Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 19. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir wiederum eines Toten zu gedenken.
Das Mitglied des Hauses Herr Abgeordneter Günter Sewald, ist am 25. November im Alter von 44 Jahren plötzlich an einem Herzschlag verstorben. Der Herr Abgeordnete Sewald entstammte einer alten niederschlesischen Bauernfamilie, und um so tragischer ist dieses Schicksal, als er zu den Millionen gehörte, die Haus und Hof nach generationenlangem Besitz verlassen mußten, und mit seiner Familie hierher nach Westdeutschland übergesiedelt ist. Er ist hier im Hause nicht in besonderem Maße hervorgetreten, sondern nur in den einschlägigen Ausschüssen hat er still und hingebungsvoll seine Arbeit geleistet. Er wurde am 10. März 1946 des Landes verwiesen und lebte seitdem in Groß-Reken in Westfalen. Er hat unermüdlich in den in Frage kommenden Organisationen für seine vertriebenen Landsleute gearbeitet. Besonders tragisch ist es — das darf ich wohl sagen —, daß an seiner Bahre seine Gattin und fünf Kinder unversorgt trauern. Wir werden dem Toten ein ehrendes Andenken erweisen.
Ich stelle fest: Sie haben sich zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben ; ich danke Ihnen.
Ich bitte nunmehr einen der Herren Schriftführer, die Liste der abwesenden Mitglied e r des Hauses zu verlesen.
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Dr. Mücke, Schönauer, Müller , Scharnberg, Even, Gengler, Dr. Laforet, Dr. Frey, Massoth, Hilbert, Kuhlemann, Klinge, Dr. Seebohm; auf Grund von Entschuldigungen die Abgeordneten Heiland, Geritzmann, von Knoeringen, Kurlbaum, Dr. Veith, Jahn, Ludwig, Blachstein, Richter, Kalbfell, Reimann, Loritz, Dr. Falkner, Aumer, Dr. Henle, Albers, Dr. Weiß, Schüttler, Dr. Holzapfel, Brandt, Wirths und Stegner.
Ich habe weiter folgendes mitzuteilen. An Stelle des verstorbenen Abgeordneten Sewald ist, wie der Herr Landeswahlleiter von Nordrhein-Westfalen mitgeteilt hat, auf der Landesergänzungsliste Herr Dr. Pferdmenges aus Köln nachgerückt.
Er ist heute nicht anwesend.
Ich habe weiter mitzuteilen, daß auf Grund der gestrigen Abmachung im Ältestenrat auf Antrag der Herren Antragsteller Punkt 1 der Tagesordnung:
— Ich habe ihn noch nicht vorliegen. Ich darf darum bitten, ihn vorzulegen.
Meine Damen und Herren! Es wird mir soeben folgender Abänderungsantrag der KPD-Fraktion zur Tagesordnung überreicht, betreffend Regierungserklärung zum Gesetz der Alliierten Hohen Kommission über „strafbare Handlungen gegen Besatzungsinteressen".
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Laufe der 19. Tagung des Bundestags eine Erklärung über ihre Stellungnahme zu dem von der Alliierten Hohen Kommission am 25. November 1949 erlassenen Gesetz über „strafbare Handlungen gegen Besatzungsinteressen" abzugeben. Gez. Renner u. Gen.
Das ist ein Antrag zur Erweiterung der Tagesordnung. Wird das Wort dazu gewünscht?
Der Herr Abgeordnete Fisch hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat den Antrag gestellt, daß ein weiterer Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das ist der Tagesordnungspunkt, den der Herr Präsident soeben verlesen hat. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß weder die Regierung noch der Bundestag über ein Gesetz von einer solch ungeheuerlichen Tragweite stillschweigend hinweggehen kann. Der Herr Bundesjustizminister hat bereits in einer Pressekonferenz zu dem Inhalt des Gesetzes Stellung genommen. Es ist darum eine Selbstverständlichkeit, daß die Frage in diesem Hause behandelt wird.
Nach der Meinung meiner Fraktion geht es um schwerstwiegende Fragen, geht es darum, daß durch dieses Gesetz der Hohen Kommission die entscheidenden Grundrechte des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt werden, so daß das Grundgesetz selbst nichts anderes mehr bleibt als ein wertloses Stück Papier. Nach der Meinung meiner Fraktion wird die deutsche Gerichtsbarkeit auf entscheidenden Gebieten ihrer Tätigkeit ihrer Kompetenzen enthoben. und es wird ihr auch der Schein der Selbständigkeit genommen, der ihr bisher in diesen Fragen noch gegeben war.
Nach der Meinung meiner Fraktion handelt es sich um eine Frage von ebenso großer Wichtigkeit wie die, die wir in der vergangenen Woche behandelt haben, da es sich um eine Parallelmaßnahme zur Erzwingung der Anerkennung des Ruhrstatuts handelt, eine Maßnahme, die die rechtlichen Voraussetzungen schaffen soll, um jene Diktatmaßnahmen gegen das deutsche Volk mit allen Mitteln durchzusetzen. Wenn in diesem Gesetz die Todesstrafe
für Personen im Alter von 18 Jahren angekündigt wird, — —
Herr Abgeordneter Fisch - -
— so ist das eine Frage, die vom Bundestag und von der Regierung nicht übergangen werden kann.
Sofort!
Herr Abgeordneter Fisch, ich bitte Sie, sich auf eine kurze geschäftsordnungmäßige Begründung des Antrages zu beschränken, weil ich sonst sofort mit § 71 Absatz 3 der Geschäftsordnung antworten werde.
Meine Damen und Herren! Ich habe dargelegt, warum meine Fraktion das vorliegende Gesetz der alliierten Kommission als von ungeheuerlicher Tragweite betrachtet, und beantrage darum, daß eine entsprechende Erklärung der Bundesregierung mit anschließender Aussprache auf die Tagesordnung dieser Sitzung gesetzt wird.
Meine Damen und Herren! Ich frage nunmehr nach § 71 Absatz 3 der Geschäftsordnung das Haus, ob diesem Antrag widersprochen wird.
— Ich bitte, Herr Abgeordneter Euler!
Ich widerspreche und bemerke: es besteht kein Anlaß, von der Übung des Ältestenrats abzuweichen, daß Anträge erst auf die Tagesordnung der Sitzung der nächsten Woche gesetzt werden.
Mit der Erklärung des Herrn Abgeordneten Euler, daß er widerspricht, diesen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, ist der Antrag auf Aufsetzung abgelehnt.
Wir können nunmehr in die Tagesordnung eintreten. Ich habe vorhin bereits erwähnt, daß Punkt 1 der Tagesordnung von den Antragstellern noch einmal zurückgezogen worden ist, weil die Beratungen im Rechts- und Verfassungsausschuß noch nicht abgeschlossen sind.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit - Initiativantrag der Abgeordneten Strauss, Kemmer und Gen. — .
Das Wort zur Einbringung des Gesetzentwurfs
hat der Herr Abgeordnete Strauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die erste Frage, die bei dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit zu prüfen war, war die Frage der Zuständigkeit des Bundestags. Im Artikel 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes ist unter der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes auch die öffentliche Fürsorge aufgeführt. Die Meinungen darüber, was unter öffentlicher Fürsorge zu verstehen ist, waren im Laufe der Aussprachen und Verhandlungen, die geführt worden sind, geteilt. Ein Einblick in die Niederschriften der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates hat einwandfrei ergeben, daß der Begriff öffentliche Fürsorge nicht etwa auf den Umfang des Aufgabengebietes der Reichsfürsorgepflichtverordnung beschränkt sein soll, sondern daß unter öffentlicher Fürsorge auch die Jugendfürsorge einbezogen werden soll. Es waren auch in redaktionellen Vorfassungen des Grundgesetzes die Ausdrücke „Jugendfürsorge" und „Jugendwohlfahrt" ausdrücklich enthalten, bis man sich schließlich auf eine all das zusammenfassende Formulierung, auf die Bezeichnung „öffentliche Fürsorge" geeinigt hat.
Zu dieser Frage der Zuständigkeit des Bundes ist auch die Ansicht des Länderrats des amerikanischen Besatzungsgebietes zu hören. Das Koordinierungsbüro der Länder des amerikanischen Besatzungsgebietes hat am 7. Oktober 1949 mitgeteilt, daß infolge Auflösung des Länderrats der Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Jugend an die Herren Bundesminister des Innern und Bundesminister für Arbeit nach Bonn zur Veranlassung des Weiteren übersandt wurde. Daraus geht hervor, daß auch das Koordinierungsbüro der Länder, also der süddeutsche Länderrat, in dieser Frage die Zuständigkeit des Bundestags und der Bundesinstanzen für gegeben erachtet.
— Auf den sachlichen Beweis komme ich hernach zu sprechen, Herr Dr. Baumgartner.
Wenn ich auf die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes zurückkomme, so ist es nicht eine Arbeit, die von einer Person oder einem Kreise geleistet worden ist, es ist auch keine Angelegenheit, die im Laufe weniger Wochen ausgearbeitet worden ist. Seit dem Jahre 1946 ist in sämtlichen Länderregierungen, ist von einer Reihe von Organisationen, zum Beispiel von den einzelnen Jugendverbänden, vom Fachausschuß Jugendrecht der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, vom Allgemeinen Deutschen Fürsorgetag, vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, von der deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren und noch von einer Reihe anderer Organisationen an diesem Gesetz gearbeitet worden. Diese Arbeiten erstrecken sich nunmehr auf eine Zeit von über drei Jahren. Es sind in fast allen Ländern der amerikanischen, britischen und französischen Zone Entwürfe zu einem solchen Gesetz ausgearbeitet worden, zu einem Gesetz, das bestimmt war, die Reichspolizeiverordnung vom 10. 6. 1943, die im besonderen auf die Kriegsverhältnisse abgestellt war, abzulösen. Nachdem ohne Zweifel bis zum Inkrafttreten des Grund- gesetzes die Länder — ich selbst habe mich in Bayern bemüht, ein solches Gesetz in einem ähnlichen Wortlaut durchzubringen — unbestritten die Zuständigkeit hatten, ist es an sich zu verwundern, warum nicht eine Koordinierung zwischen den Ländern versucht worden ist und warum dreieinhalb Jahre die Himmlersche Polizeiverordnung, die weder den Tatsachen noch den erzieherischen Notwendigkeiten Rechnung trug, beibehalten worden ist. Die Landtage in den Ländern, auch vorher schon die Ministerpräsidenten auf Grund ihres Gesetzgebungsrechts, das sie vor den Landtagen hatten, haben die Möglichkeit gehabt, die Himmlersche Reichspolizeiverordnung abzulösen. Und wenn ich auf Ihren Zwischenruf antworten soll, so erhebt sich für mich die Frage, warum diese Reichspolizeiverordnung dann nicht vorher in den einzelnen Ländern abgelöst worden ist, was wir für dringend notwendig erachtet haben.
— Das gibt in dem Fall nicht meiner Partei eine Ohrfeige, weil wir jedem das geben, was ihm zukommt.
— Wir wollen uns hier nicht über Ohrfeigen unterhalten, die der einen oder anderen Partei gegeben werden; denn wenn wir die Diskussion darüber eröffnen, sitzen Sie im Glashaus.
Außerdem ist auch im Rechtsausschuß des Länderrats sowie bei allen Besprechungen des Länderrats
zum Ausdruck gebracht worden, daß unbedingt,
wenn nicht im Hinblick auf einen zukünftigen Bund
ein Gesetz innerhalb eines deutschen Staates erlassen werden kann, zumindest eine Rechtsangleichung oder Rechtsgleichheit von Land zu Land erzielt werden sollte. Ich stehe ja selber auf dem
Standpunkt, Herr Dr. Baumgartner, daß diese
Frage ein Grenzgebiet ist. Ich stehe aber ebensosehr auf dem Standpunkt, daß es nicht möglich ist,
Grundsatzbestimmungen zu treffen, die innerhalb
von 10 km Entfernung anders lauten. Man kann
nicht einen Sachverhalt schaffen, der zum Beispiel in Ulm für Jugendliche verboten und in Neu-
Ulm, diesseits der Donau, für Jugendliche erlaubt ist.
Das hat gar nichts damit zu tun, daß dann entsprechend den verschiedenen organisatorischen und verwaltungsrechtlichen Gegebenheiten innerhalb der Staatsministerien und der Landesregierungen die Ausführungsbestimmungen durchaus verschiedenen Gesichtspunkten Rechnung tragen müssen. Aber das, was für Jugendliche verboten und was für Jugendliche erlaubt ist, die Gefahren, die von Jugendlichen ferngehalten werden sollen, werden in Kiel dieselben sein wie in Garmisch.
Das hat aber damit nichts zu tun, daß die Zuständigkeit der Instanzen, die für die Einhaltung dieser Verbote zu sorgen haben, und daß die Stellen, die die Jugend vor diesen Gefahren zu bewahren haben, in der Hand der Länderregierungen und nicht der Bundesinstanzen sind.
Das ist die Abgrenzung, die wir treffen. Die Gefahren, die heute die deutsche Jugend bedrohen, sind wohl überall die gleichen. Das heißt aber nicht, daß von einer Zentralstelle aus auf einen Knopf gedrückt und ein Polizeiapparat oder ein Jugendamtsapparat in Bewegung gesetzt werden soll. Das heißt dann, daß die zuständigen Landesministerien sich mit der zweckvollen Ausführung dieses Gesetzes zu befassen haben.
Wenn wir uns nun zum Gesetz selber einige Gesichtspunkte vor Augen halten, so ist der Zusatz „in der Öffentlichkeit" zu dem Titel „Gesetzentwurf zum Schutze der Jugend" gewählt worden, um eine Verwechslung mit einem Jugendarbeitsschutzgesetz zu vermeiden. Auch eine ursprüngliche Fassung „Gesetz gegen ungebührliches Verhalten Minderjähriger in der Öffentlichkeit", wie der Vorschlag ungefähr ein Jahr lang lautete, ist nicht übernommen worden, weil dieser Titel noch allzusehr Zeuge einer Zeit zu sein scheint, die von den Fragen und Nöten der Jugend der Gegenwart wenig Ahnung hat. Dieser Titel würde einer Gouvernante alle Ehre machen, aber nicht den Aufgaben und Notwendigkeiten entsprechen, die heute in diesem Zusammenhang für uns erwachsen.
Bei der Abfassung dieses Gesetzes ist im Laufe der letzten drei Jahre eine Unzahl von Entwürfen, von Stellungnahmen, von Möglichkeiten, von Einzelwünschen an die Länderregierungen, an die einzelnen Organisationen, an die Jugendverbände herangetragen worden. Wenn man die Richtungen im Groben aufteilen will, so gab es eine Richtung, die den Standpunkt vertreten hat, man müsse der Jugend heute nach den Beschränkungen, denen sie im Kriege unterworfen war, weitgehende Freiheit geben und es im besonderen den Erziehungsberechtigten allein überlassen, zu entscheiden, ob die Jugend gefährdet ist und welchen Gefahren sie ausgesetzt werden kann oder nicht. Dem stand eine andere Richtung gegenüber, die für die Jugend von heute praktisch alles verboten wissen wollte und sie etwa unter eine Art Glassturz stellen wollte. Wenn man hier die Arbeit vom Standpunkt der praktischen Anwendung dieses Gesetzes aufgefaßt hat, dann konnte man nur auf dem Standpunkt stehen, daß die in ihm enthaltenen Verbote auch so einfach und klar und so einhaltbar sein mußten, daß die Einhaltung von seiten der zuständigen Behörden auch durchgesetzt werden kann. Ich darf nur ein Beispiel nennen. In der bis heute noch gültigen Reichspolizeiverordnung vom Jahre 1943, die heute noch in den meisten Ländern rechtsgültig ist und angewendet wird, ist zum Beispiel der Genuß von Tabakwaren in der Öffentlichkeit für Jugendliche unter 18 Jahren verboten. Ich glaube, eine Reise quer durch das Gebiet der Deutschen Bundesrepublik beweist, daß hier zum Beispiel ein strafbarer Sachverhalt, wie er nach der Polizeiverordnung vom 10. 6. 1943 gegeben ist, heute von keiner Länder- oder Gemeindepolizei mehr beachtet und die Abstellung dieses Sachverhalts in keiner Weise mehr durchgesetzt wird; wie man ja überhaupt bezweifeln kann, ob ein solches Verbot heute noch durchsetzbar ist.
Darum mußte man sich auf den Standpunkt stellen, daß die in einem solchen Gesetz enthaltenen Verbote auch für die Zukunft tatsächlich einhaltbar sind. Man durfte es nicht riskieren, daß durch ein Zuviel an Verboten, durch zu enge Verbote auch das. was verboten und eingehalten werden muß, nicht mehr beachtet wird.
Ein weiterer Gesichtspunkt, der dabei zu beachten war, ist der des einfachen Sachverhalts. Man kann es dem Polizeibeamten von heute — nicht, weil er weniger klug ist als sein Vorgänger, sondern infolge der Fülle an behördlichen Vorschriften und Verboten, die er zu kennen hat und deren Einhaltung und Beachtung er zu überwachen hat — nicht zumuten, daß in einem Gesetz eine solche Fülle von Einzelverboten, von Differenzierungen nach dem Alter, von Differenzierungen der einzelnen Möglichkeiten geschaffen wird, daß es dem Polizeibeamten nicht möglich ist, einen klaren Sachverhalt mit verhältnismäßiger Leichtigkeit festzustellen und die Beachtung der Vorschriften auch durchzusetzen.
Ich komme zu den wesentlichen Neuerungen gegenüber der Reichspolizeiverordnung. Was unter allen Umständen geändert werden muß — und daher bin ich so erstaunt, daß die Reichspolizeiverordnung, die Himmler im Juni 1943 erlassen hat, sich jetzt immer noch in Gültigkeit befindet —, sind nicht nur einige Bestimmungen speziell nationalsozialistischer Art, wie sie in der Jugendschutzverordnung von Himmler aus dem Jahre 1943 enthalten sind, sondern auch die Bestimmung, die für Jugendliche Strafen vorsieht und die wohl nicht mehr mit dem gegenwärtigen Erziehungsstandpunkt in Einklang gebracht werden kann. Ich betone, daß die Polizeiverordnung vom Jahre 1943 im besonderen auf die Kriegsverhältnisse abgestellt ist, auf die damals anbefohlene Verdunkelung, die für die Jugend besondere Möglichkeiten und besondere Gefahren in sich geborgen hat.
In diesem Gesetzentwurf sind als besonders einschneidende Änderung gegenüber allen bisherigen Gesetzen, die zum Schutze der Jugend erlassen worden sind, Bestimmungen vorgesehen, die für Jugendliche Erziehungsmaßregeln und nicht Strafen festlegen. Denn man kann heute die Jugend bei den Gefahren, denen sie ausgesetzt ist, für ihr in der Öffentlichkeit oft nicht zu billigendes Verhalten nicht mit Strafen belegen, während die Verantwortung in Wirklichkeit nicht bei ihr, sondern bei den Erwachsenen liegt, sei es bei den Erziehungsberechtigten, sei es bei den diese Angelegenheit manchmal allzu großzügig handhabenden Behörden. Es sind deshalb in dem Gesetz
Erziehungsmaßregeln vorgesehen, die vom Jugendamt eingeleitet werden sollen. Das besagt allerdings, daß in Zukunft sowohl die Besetzung wie die Arbeitsweise der Jugendämter vielfach noch verantwortungsvoller gehandhabt werden muß, als es bisher weitgehend der Fall gewesen ist.
Dagegen sind in diesem Gesetzentwurf Strafen in einem mäßigen Umfang für erwachsene Personen vorgesehen, die absichtlich oder fahrlässig die Jugend den Gefahren aussetzen, die nach diesem Gesetz von der Jugend ferngehalten werden sollen.
Im Laufe der Aussprache hat sich gerade über die Frage des Elternrechts eine lange Debatte ergeben. Eine Frage, die vielleicht auch im Laufe der letzten Jahre von seiten der amerikanischen Besatzungsmacht etwas zu sehr betont worden ist, ist die Frage: Sollen die Eltern das Recht haben, ihre Kinder den Gefahren auszusetzen, denen sie nach allgemeiner Auffassung nicht ausgesetzt werden sollen, weil man nun einmal nicht den Eltern verbieten könne, im großen und ganzen mit ihren Kindern anzufangen, was sie verantworten wollen? Diesen Standpunkt können wir nicht teilen. Wir sind grundsätzlich der Überzeugung, daß die Erziehungspflicht und das Erziehungsrecht in erster Linie bei den Eltern liegen muß und daß der Staat das Erziehungsrecht der Schule hat. Außerhalb des Bereichs der Schule muß dort, wo die Erziehung durch die Eltern offensichtlich versagt, der Staat subsidiär in Erscheinung treten. Das ist ein Grundsatz, der bis heute unbestritten gegolten hat, ein Grundsatz, der im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom Jahre 1922 verankert ist, das sich noch in allen Ländern in Kraft befindet und dort auch angewendet wird.
Wenn man sich noch die Frage vorlegt, ob es abgesehen von der Ablösung der Reichspolizeiverordnung notwendig ist, ein solches Gesetz zu schaffen, so glaube ich, daß darüber heute im allgemeinen kein Zweifel besteht. Auch die Tatsache, daß man über Ansätze, über die man schon seit dreieinhalb Jahren verhandelt, bis jetzt zu keinem Ergebnis gekommen ist, beweist nicht, daß das Gesetz nicht notwendig ist, sondern beweist, daß ein solches Gesetz nunmehr geschaffen werden muß. Es hat vielleicht in der Diskussion und in den Beratungen geschadet, daß es nunmehr dreieinhalb Jahre gedauert hat, bis wiederum eine gesetzgebende Instanz diese Frage aufgegriffen hat. Dabei sind die Verhandlungen bisher zum Teil an der Frage der Zuständigkeit und an der Frage der Zweckmäßigkeit gescheitert, ob man ein von Land zu Land verschiedenes Gesetz machen soll. Indem man von Land zu Land verhandelt hat, sind kleine Varianten aufgetreten, über die man sich nicht einigen konnte. Ich darf an das fast lächerliche Beispiel erinnern, daß die Behörde der Stadt Hamburg unbedingt ein Verbot der Teilnahme an dem .Fußballtoto für Jugendliche in dieses Gesetz aufgenommen wissen wollte, während man in der amerikanischen Zone auf dem Standpunkt steht, daß man den Jugendlichen die Beteiligung am Fußballtoto unter keinen Umständen verbieten sollte, ganz abgesehen davon, daß es praktisch unmöglich ist, ein solches Verbot einzuhalten, weil jederzeit ein Jugendlicher mit Hilfe eines 19- oder 18jährigen sich am Fußballtoto beteiligen kann. Man soll nicht in eine Überbürokratisierung der öffentlichen Jugendhilfe ausarten und Straftatbestände schaffen, die kein Polizeibeamter überwachen kann und die dann noch
dazu verleiten, daß die Jugendlichen sogar die richtigen und notwendigen Bestimmungen dieses Gesetzes für lächerlich halten und sich darüber hinwegsetzen.
Aus diesen Gründen habe ich vorhin meine Ausführungen dazu gemacht. Über solche fast lächerlichen Varianten ist man nie zu einer Einigung gekommen.
— Das ist eine andere Frage, ob und wann es abzuschaffen ist.
— Über die Frage habe ich nicht zu referieren.
Es hat sich nunmehr ergeben, daß die gesetzlichen Umrisse eines solchen Entwurfs im großen und ganzen festliegen. Sie liegen schon seit sehr langer Zeit fest. Es ist nicht die Arbeit einer Person, es ist eine Arbeit, die aus einer Reihe von Entwürfen, von Stellungnahmen und öffentlichen Verlautbarungen dazu zusammengetragen wurde. Der Umfang dieses Gesetzes und alle Varianten liegen fest. Was jetzt zu geschehen hat, ist nicht mehr, etwa grundsätzlich neue Gesichtspunkte hineinzutragen. Dreieinhalb Jahre lang ist über diese neuen Gesichtspunkte verhandelt worden, und am Schluß sind keine neuen mehr hinzugekommen. Worum es sich jetzt handelt, ist die Notwendigkeit, sich auf eine klare Grundlinie zu einigen und sich nun zwischen den Möglichkeiten in jedem Falle zu entscheiden: 16 Jahre oder 18 Jahre, Nikotinverbot oder nicht Nikotinverbot, Branntweinverbot oder nicht Branntweinverbot? Es gilt, zwischen diesen Varianten endlich einmal zu entscheiden, damit wir zu einem klaren Gesetzgebungswerk kommen. Die Entscheidung muß einmal getroffen werden. Ich bitte Herrn Dr. Baumgartner um Entschuldigung, wenn ich ihn zitiere. Es ist aber eine Tatsache, daß man über diese Varianten in ungefähr einem Dutzend, ja ich sage: 30 bis 40 Kommissionssitzungen zwei Jahre lang verhandelt hat, ohne sich zu einigen, und daß man dabei viel mehr kaputt gemacht hat, als man selbst bei Inkaufnahme einer vielleicht nicht ganz genügenden Bestimmung hätte retten können.
Es ist uns zum Schluß vom Länderrat gesagt worden: Wenn wir uns nicht einigen können, sorgt dafür, daß auf der Ebene des Bundes, wenn auch die Ausführung durch die Länder und die Ausführungsbestimmungen der Länder unangetastet bleiben sollen, wenigstens einheitliche Richtlinien geschaffen werden, damit man auf diesem Gebiet ein Stück weiterkommt. Ich glaube, über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes braucht man sich nicht zu lange zu verbreiten. Es herrschen heute nicht mehr dieselben Umstände, wie sie beim Erlaß der Polizeiverordnungen im Jahre 1940 und später im Jahre 1943 bestanden haben, die insbesondere auf die Kriegsverhältnisse abgestellt waren. Wir denken auch gar nicht daran, irgendwie in das Erziehungsrecht der Eltern einzugreifen. Wir betonen, daß auch der heutige Staat eine Verantwortung vor seinen Bürgern und eine Verantwortung vor Gott dafür hat, daß die Jugend diesen Gefahren ferngehalten wird, denen sie heute offensichtlich allmählich zu erliegen droht.
Bis heute haben sich ja die Verhältnisse, die durch den Krieg geschaffen worden sind, nur zum Teil geändert. Es ist für uns heute noch eine Frage, was mit der sogenannten heimatlosen Jugend geschehen soll, die zum Teil aus Kindern der Vertriebenen besteht, zum Teil heute noch monatlich zu mehreren Tausend als sogenannte illegale Grenzgänger über die Grenze der Ostzone in die Westzonen hereinströmt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß durch den Krieg eine Unzahl von Familien zerstört worden ist, sei es dadurch, daß der Vater gefallen ist, sei es, daß die Ehe durch die Kriegsumstände zerrüttet worden ist. Die Wohnungsnot trägt ja wesentlich dazu bei, den Jugendlichen auf die Straße zu treiben, weil er sich zu Hause nicht aufhalten kann, weil oft die Eltern das Gegenteil von dem tun, was sie früher getan haben, weil sie nämlich froh sind, wenn der Jugendliche aus dem Zimmer und damit eine Person weniger im Raum ist, womit sie ohne Zweifel den Jugendlichen solchen Gefahren aussetzen, denen sie ihn normalerweise nie aussetzen würden.
Eine besondere Frage, die hierbei erörtert werden muß, ist folgende. Infolge der Kriegsumstände, infolge vielleicht schon bitterer Erfahrungen, die sie mitgemacht haben, ist eine Frühreife bei der Jugend von heute festzustellen, bei der man nicht weiß, ob man ihr bei den Bestimmungen eines solchen Gesetzes Rechnung tragen soll oder ob man mit einem solchen Gesetz den Hebel ansetzen soll, jetzt wiederum zu normalen Altersverhältnissen und entsprechenden Bestimmungen zurückzukehren.
Ein Wesentliches hat zur heutigen Jugendverwahrlosung sowohl die Tatsache der Militarisierung unseres öffentlichen Lebens im Verlaufe der Kriegsjahre beigetragen wie auch die Anwesenheit der Besatzungssoldaten und so verschiedenartiger Besatzungssoldaten nach dem Zusammenbruch.
Der Staat hat die Pflicht, nunmehr Vorbeugungsmaßnahmen dagegen zu treffen. Es ist vielleicht immer eine der üblen Seiten des Staates gewesen, daß er sich in der Vergangenheit mehr um die Heilung und Bekämpfung gekümmert hat als um die Vorbeugung. Das gleiche wie hier auf dem Gebiete der Jugend muß auch zur Frage der Geschlechtskrankheiten gesagt werden, wo man Millionen hinauswirft, um zu heilen und eventuell zu bestrafen, aber in den meisten Haushaltsplänen nicht einen Bruchteil dessen ansetzt, um vorbeugende Maßnahmen oder nachgehende dauernde Besserungsmaßnahmen vorzusehen. Ich glaube, hier muß der Staat auch einmal seine grundsätzliche Einstellung ändern und seine Pflicht zur Vorbeugung und zur nachgehenden Betreuung anerkennen. Er wird sonst ein wesentliches Mehr dessen, was er heute für die Vorbeugung ausgibt, in absehbarer Zeit für Verwahrungsanstalten, Heil- und Strafanstalten auzugeben haben.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Ausführungen des Herrn Antragstellers gehört. Ehe ich die Aussprache zur ersten Beratung eröffne, weise ich nochmals auf § 37 der Geschäftsordnung hin und darf wohl das Einverständnis des Hauses annehmen, daß das Gesetz, nachdem es keine ausgeprägte Abschnittseinteilung aufweist, im ganzen debattiert wird.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Frau Abgeordnete Thiele das Wort.
Meine Herren und Damen! Die erste Vorlage zu Jugendproblemen, mit der sich der Bundestag zu beschäftigen hat, ist eine Verbotstafel. Wir haben gestern eine Denkschrift der Arbeitsgemeinschaft für Jugendfürsorge bekommen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten erlaube ich mir, Ihnen in einem Satz das Konzentrat dieser Denkschrift zu verlesen:
Mehr als 510 000 heimat- und berufslose Jugendliche sind in Not und gefährden die gesunde kulturelle, wirtschaftliche, soziale, politische und soziologische Entwicklung des deutschen Volkes. Sie warten auf Arbeit, warten auf Ausbildung, hoffen auf eine neue Heimat.
Angesichts dieser Tatsache ist die Vorlage Nr. 180 als erste Gesetzesvorlage einer Regierungspartei eine Herausforderung für die Jugend, ja, ich möchte fast sagen: eine Provokation.
Glauben Sie, daß es psychologisch klug war, der Jugend als erste Vorlage eine solche Verbotstafel zu präsentieren? Glauben Sie etwa, meine Damen und Herren, hiermit sei bei den jungen Menschen Vertrauen zur Demokratie zu entwickeln? Für die Folgen der Hitlersehen Kriegspolitik, für die Folgen der heutigen westdeutschen Kolonialpolitik im Zeichen des Marshallplans und der Konkurrenzdemontage wird durch ein solches Gesetz allein die Jugend verantwortlich gemacht. Ist es nicht ein Hohn, wenn beispielsweise nach § 1 Jugendliche unter 16 Jahren sich auf öffentlichen Straßen und Plätzen oder an sonstigen öffentlichen Orten während der Dunkelheit nicht herumtreiben dürfen, wenn Zehntausende von jungen Menschen keine Wohnung, keine Familie haben oder in zerrütteten Familienverhältnissen leben, wenn alleinstehende Mütter durch Spät- und sogar durch Nachtarbeit außerstande sind, ihre Kinder zu behüten? Durch solche Arbeit hoffen sie, diese materiell besser versorgen zu können!
Gestatten Sie mir, auf Grund von amtlichen Erhebungen, einiges Material zu bringen, das diesen Zustand noch besser charakterisiert. In Niedersachsen gibt es zirka 8000 wandernde, vagabundierende Jugendliche, davon 4000 weibliche. Nordrhein-Westfalen zählt 10 000. In ganz Deutschland werden es, glaube ich, mindestens 100 000 solcher Fälle sein. Bandenschmuggel, Diebstähle und andere kriminelle Vergehen häufen sich bei einer solchen Entwicklung. Mit diesem Problem, mit den Ursachen und den Maßnahmen zu ihrer Beseitigung sollte sich der Bundestag in erster Linie beschäftigen!
Aus Württemberg-Baden wird gemeldet, daß 25 000 Jugendliche, die aus der Schule entlassen werden, nicht in Arbeitsstellen untergebracht werden können. Die „Neue Zeitung" berichtet dazu, daß auf 100 Bewerber nur eine einzige Lehrstelle kommt. In Essen beispielsweise sind für 1600 männliche Jugendliche in diesem Jahr 620 Lehrstellen verfügbar, während für 1400 Mädels nur 50 bis 70 freie Lehrstellen vorhanden sind. In Südbaden sind es etwa 25 000 Jugendliche, die in diesem Jahre aus der Schule entlassen werden; 17 000 haben sich bereits um eine Stelle beworben. Für 9000 männliche Bewerber stehen 1678
Lehrstellen und für die 8000 weiblichen 177 Lehrstellen zur Verfügung.
Das bedeutet, daß für 15 000 Jugendliche überhaupt keine Lehrstellen vorhanden sind. In Bayern sind für 95 600 Jugendliche nur 9312 Lehrstellen verfügbar.
Wenn wir nach der vorher angeführten Denkschrift heute schon 310 000 arbeitslose Jugendliche haben, 170 000 Anwärter auf Lehr- und Anlernstellen, und wenn für weitere 400 000 Jugendliche, die Ostern aus der Schule entlassen werden, keine Lehrstellen vorhanden sind, dann muß man sich fragen: was ist hier zu tun?, und das ist das erste. Mit der größten Sorge hört die Jugend aus den verschiedensten Gruppen aus halboffiziellen und offiziellen Meldungen wieder einmal von der Hitlerschen Patentlösung, vom sogenannten „freiwilligen Arbeitsdienst", vom „Jugenddienst" und wie die Dinge heißen mögen. Meine Damen und Herren, das ist kein Ausweg, sondern führt in gerader Linie zur Militarisierung,
zur Vorbereitung eines Dienstes in einer Kolonialarmee. Schon einmal begann der Marsch ins Massengrab mit dem freiwilligen Arbeitsdienst!
Die Berufs- und Arbeitslosigkeit sind die Voraussetzungen für die Verwahrlosung der Jugend in Westdeutschland, von der Professor Hirschmann unter anderem sagt:
80 Prozent der heutigen Jugend sind körperlich
und geistig gefährdet; 10 Prozent leben jenseits der sittlichen Ordnungsgrenzen, und nur 10 Prozent sind in guter familiärer Obhut.
Und angesichts dieser Tatsachen stellen Sie Ihre Verbotstafel auf! In Hamburg leben 25 000 Jugendliche in Kellern und zerstörten Häusern und Schuppen. Nun sollen diese Jugendlichen sich also nach 8 Uhr ausweisen, wo sie wohnen und ob sie berechtigt sind, noch in diese Schuppen oder in diese Keller hineinzugehen!
Die Jugendzeitschrift aus Wiesbaden „Für Alle." berichtet:
In München besitzen beispielsweise von 75 000 erfaßten Kindern 32 Prozent kein eigenes Bett; bei 25 000 fehlt die Bettwäsche, und 28 400 leben in mangelhaften Wohnverhältnissen.
Angesichts dieser in Westdeutschland herrschenden Zustände haben Sie noch den Mut, den vorliegenden Entwurf mit dem Titel „Gesetz zum Schutz der Jugend" zu bezeichnen!
Ihr „Ausweg" aus der Not ist ganz eindeutig in § 11 gekennzeichnet; er heißt nämlich: Fürsorgeerziehung, die heute noch unter den gleichen Bedingungen und mit den gleichen Kräften durchgeführt wird wie in der Hitlerzeit, sodaß wir damit ein Heer von künftigen Verbrechern heranziehen. Es gibt auch heute noch Fürsorgeanstalten - Besichtigungen in solchen Anstalten haben es ergeben —, wo die Prügelstrafe obligatorisch ist
und von den Erziehungsberechtigten in diesen Anstalten als gutes Erziehungsmittel betrachtet wird.
Meine Damen und Herren! Jugendschutz kann nur Hilfe sein, und die sieht unter den jetzigen Bedingungen doch etwas anders aus! Ich verstehe darunter zum Beispiel die Schaffung von Berufs-und Ausbildungsmöglichkeiten, die Schaffung gesunder Lebens- und Wohnverhältnisse. Die Jugend hat von uns etwas anderes zu fordern als dieses erste Gesetz. Sie hat unter anderem zu fordern: Lehr- und Berufsausbildungswerkstätten in den Ländern und Gemeinden unter Kontrolle der Gewerkschaften, den Aufbau von Lehrlings- und Ausbildungswerkstätten in jedem größeren Betrieb und ein Berufsbildungs- und ein Berufsarbeitsschutzgesetz zur Schaffung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen, Wohn- und Heimstätten für arbeits- und stellenlose Jugendliche, den Ausbau der Berufs- und Berufsfachschulen, ein Berufsausbildungsgesetz, das unter anderem den Unternehmer verpflichtet, eine seiner Belegschaftsstärke entsprechende Anzahl von Lehrlingen einzustellen. Diese Verpflichtung geht weit über das hinaus, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vom Unternehmer verlangen. Sie legen dem Unternehmer nämlich nur die Verbotstafel, den Katalog vor, den er im Betriebe auszuhängen hat.
Die Jugend fordert die Durchführung einer wirklichen Schulreform, die auch den minderbemittelten Jugendlichen erlaubt, höhere Schulen und Berufsfachschulen zu besuchen, und nicht zuletzt auch die Zahlung des gleichen Lohnes für gleiche Arbeit
und als Allerletztes einen entschiedenen Kampf gegen jegliche Bestrebungen auf Schaffung eines Arbeitsdienstes.
Das sind einige Forderungen, deren Erfüllung im Interesse der Jugendlichen und zur Linderung der ungeheuren Not unter den Jugendlichen dringend notwendig ist. Damit müßte sich der Bundestag beschäftigen. Meine Fraktion wird den vorliegenden Entwurf in Anbetracht der Tatsache, daß er kein Jugendschutzgesetz ist, ablehnen und weiß sich darin einig mit dem größten Teil der Jugend in Westdeutschland.
— Ich bin mir klar darüber, meine Damen und
Herren, daß Ihnen diese Dinge unangenehm sind;
denn Sie gedenken nicht, diese Forderungen, deren Erfüllung notwendig ist, um der Jugend wirklich zu helfen und ihr einen wirklichen Schutz zu geben, auch in die Tat umzusetzen.
Meine Fraktion jedoch wird den Kampf um die Beseitigung der Jugendnot im Rahmen der von mir aufgezeigten Forderungen unermüdlich führen, und sie ist der Auffassung, daß sie damit der Jugend einen wirklichen Schutz gibt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Meine Damen und Herren! Ich begrüße den Erlaß eines derartigen Gesetzes. Mir erscheint es dringend notwendig, daß in einer Zeit wie dieser, in der die Jugend so gefährdet ist, ein bundeseinheitliches Gesetz geschaffen wird, nach dem sich alle Jugendlichen und auch ihre Erziehungsberechtigten zu richten haben, besonders angesichts der Tatsache, daß die Jugendlichen von einem Lande zum anderen herumstreunen.
Ich bedaure es außerordentlich, daß meine Vorrednerin eine solche Polemik eröffnet hat, die an den derzeitigen Problemen eigentlich vorbeigeht.
Wir sind uns vollkommen darüber klar, daß die angeschnittenen Probleme außerordentlich wichtig sind. Aber sie stehen hier im Augenblick nicht zur Diskussion.
— Sie stehen für uns immer zur Diskussion, wenn eine Entscheidung im Augenblick zu treffen ist. Gegenwärtig sind wir aber nicht in der Lage, das Arbeitslosenproblem entscheidend zu lösen und der Jugend die Sorge um die Lehrstellen abzunehmen.
Wir können aber sehr wohl im Augenblick eine Entscheidung darüber herbeiführen, wie wir die Jugend, die durch ihre Arbeitslosigkeit besonderen Gefahren ausgesetzt ist, vor diesen Gefahren zu schützen vermögen.
Darum erscheint es mir sehr wichtig, daß wir dieses Gesetz, auch wenn es vielleicht noch einige Mängel aufzuweisen hat, vorwärtstreiben und zur Verabschiedung bringen. Ich bin mir sehr wohl im klaren — auch Herr Kollege Strauss hat bereits darüber gesprochen —, daß es noch manche Punkte gibt, die geregelt werden müssen, und ich meine, es würde auch notwendig sein, dieses Gesetz noch ein wenig zu überarbeiten. Denn es wäre wohl nicht das richtige, wenn man ein Gesetz, das sich mit dem wertvollsten Gut unseres Volkes, der Jugend, befaßt,
gar zu schnell verabschieden und vielleicht leichtsinnig über den einen oder anderen Punkt hinweggehen würde. Ich bin zum Beispiel gerade in der Frage des Fußballtotos, die hier angeschnitten wurde, nicht ganz der Meinung, daß man da blind jeden Jugendlichen an den Fußballtoto heranlassen sollte; denn die Fälle, in denen Kinder die Mutter um das Milchgeld bestohlen haben, um zu tippen, sind ja nicht gerade selten.
Aber im großen und ganzen begrüße ich dieses Gesetz und wünsche, daß es im Ausschuß möglichst schnell durchgearbeitet und dann hier im Plenum verabschiedet wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist der Auffassung, daß Vorkehrungen zum Schutze der Jugend getroffen werden müssen. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Jugend nicht in erster Linie durch polizeiliche, sondern daß sie durch organische Maßnahmen geschützt werden muß und kann, die die Reform der gesellschaftlichen Zustände selbst betreffen.
Zur Sache selbst darf ich sagen, daß meine Fraktion die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiete ablehnt.
Einen Moment bitte, Herr Abgeordneter! — Wer hat eben gerufen „Schundhammer"? Darf ich das Mitglied des Hauses bitten, sich zu melden.
— Ich muß eine derartige Kennzeichnung des Ministers eines Landes als nicht zulässig zurückweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Berufung des Herrn Antragstellers auf Artikel 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes geht fehl. Natürlich ist jede staatliche Tätigkeit irgendwie eine Tätigkeit der öffentlichen Fürsorge, denn der Staat ist nach unserer Meinung ja nicht eine Kanaille, sondern ein wohlwollender Vater der Bevölkerung, der Menschen.
Der Begriff der öffentlichen Fürsorge liegt gesetzlich fest. Dieser Gesetzentwurf aber hat in allen seinen Bestimmungen ausschließlich und eindeutig polizeilichen Charakter. Niemand wird in der Lage sein, auch nur eine einzige Bestimmung in ihm nachzuweisen, die dem Charakter einer wirklich echten Fürsorge im Sinne der Ziffer 7 des Artikel 74 Rechnung trüge.
Aber selbst wenn es sich hier um ein solches Fürsorgegesetz handelte, wäre erst noch zu prüfen, ob eine der erforderlichen Voraussetzungen des Artikel 72 Absatz 2 gegeben ist. Wir sehen nicht ein, warum es nicht möglich sein soll, daß die Länder eine in den Grundlagen übereinstimmende Gesetzgebung auf dem Gebiete des Jugendschutzes mit den Zielen dieses Antrages herbeiführen.
Artikel 30 des Grundgesetzes sagt ausdrücklich:
Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und
die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist
Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz
keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Das Grundgesetz läßt aber keine andere Regelung zu. In einer der ersten Sitzungen dieses Hohen Hauses hat ein Abgeordneter mit Recht erklärt, es handle sich für den Bundestag darum, die Verfassung anzuwenden, nicht sie einzuschränken, aber — so sagte der Abgeordnete weiterhin — sie auch nicht zu erweitern oder auszubauen. Wir sind deshalb einigermaßen erstaunt — um es gelinde auszudrücken —, daß ausgerechnet aus den Reihen einer Partei, die sich als föderalistisch bezeichnet,
ein solcher Gesetzentwurf beantragt wird, der in Wahrheit sachlich-gegenständlich eine Erweiterung der Bundeszuständigkeit bedeuten und damit einen höchst bedenklichen Präzedenzfall für weitere Ausweitungen schaffen würde.
Wir sind entschlossen, die ganze Konsequenz aus unserer Haltung gegenüber diesem Entwurf zu ziehen, nämlich ihn für verfassungswidrig zu bezeichnen.
In jedem Einzelfall hätte sich der Strafrichter mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit zu beschäftigen. Meine Fraktion würde außerdem nach Schaffung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht die zur Beseitigung eines solchen Übergriffs und zur Sicherung der klaren Zuständigkeiten der Länder notwendigen Anträge beim Bundesverfassungsgericht zu stellen haben.
Ich erkläre also: Auch wir sind der Meinung, daß gewisse Vorkehrungen zum Schutze der Jugend getroffen werden müssen. Wir sind aber der Ansicht, daß solche Maßnahmen vor allem auf dem Gebiete einer Reform der gesellschaftlichen Zustände ergriffen werden müssen.
Auch die Metaphysik der Menschen findet ihre Grenze dort, wo physiologisch, wo einfach existentiell untragbare Zustände herrschen.
Gerade diese ernsten Überlegungen sollten wir anstellen, um uns vor dem Irrtum zu bewahren, von Polizeigesetzen das Allheilmittel für ruinöse gesellschaftliche Zustände zu erwarten.
Ich bin der Meinung, daß der Gesetzentwurf erstens verfassungswidrig ist, zweitens in seiner Grundtendenz, das heißt in seinem Ausgangspunkt falsch ist, weil er glaubt, mit polizeilichen Mitteln gesellschaftliche Mißstände oder Katastrophen beseitigen zu können.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Damen und Herren! Zweifellos hat die von Frau Abgeordnete Thiele aufgeworfene Frage der Gesamtlage der Jugend ihre Berechtigung; es ist ein schweres und dringendes Problem. Es ist im Jugendwohlfahrtausschuß gestern eingehend darüber gesprochen und entschieden worden, nach einer Untersuchung eine schnelle Lösung dieses Problems zu erreichen. Wir kennen den Standpunkt von Frau Thiele in dieser Beziehung; aber er steht hier nicht zur Debatte. Wir beraten das „Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit." Ich möchte dazu Stellung nehmen.
Nicht nur unsere Meinung, sondern auch die Meinung des Bundesjugendringes und die Meinung der staatlichen Institutionen ist, daß eine Neufassung dieses „Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit" — also eine ganz begrenzte Aufgabe — notwendig ist; erstens, um die Himmlersche Polizeiverordnung von 1943 endlich einmal verschwinden zu lassen, und zweitens, um eine fortschrittlichere Auffassung vom Jugendschutz auf diesem Gebiet gesetzlich niederzulegen. Wir begrüßen in diesem Entwurf, daß die notwendig werdenden Erziehungsmaßnahmen für die Jugendlichen über die Jugendämter und nicht durch die Polizei erfolgen sollen. Wir begrüßen ferner, daß die Härte der Bestrafung bei Übertretungen auf die Unternehmer und Veranstalter übergeht, die einen weitaus größeren Kreis der Jugendlichen schützen können, als es die einzelne
Erziehungsmaßnahme für den Jugendlichen vermag.
Zu § 1 dieses vorgelegten Gesetzes möchte ich jedoch erklären, daß wir uns nicht mit ihm einverstanden erklären können. Wir halten es für psychologisch falsch, die Jugend einleitend gleich mit dem Begriff „umhertreiben" anzusprechen. Dieser Begriff ist nicht sehr anziehend, er ist außerdem rechtlich nicht eingeengt genug, er ist zu dehnbar, und es besteht die Befürchtung, daß er keine einheitliche Auslegung im Bundesgebiet erfährt. Bei Berücksichtigung der realen Verhältnisse der heutigen Jugendnot, nämlich der Wohnungs- und Heimnot wird mit diesem Begriff ganz zweifellos eine objektive Feststellung des Tatbestandes erschwert, ja unmöglich gemacht, so daß er praktisch keine Wirkung hat. Das Gesetz wird zudem als erstes Gesetz für die Jugend in dieser Form sehr wenig Sympathien bei der Jugend erwecken, und es wird — als verkehrte Folge einer solchen Bezeichnung — die ordentlichen Jugendlichen im Hause halten, da sie sich fürchten, auf die Straße zu gehen.
Zu § 4 möchte ich bemerken, daß man dem Erziehungsberechtigten nur in festgestellten Fällen von Erziehungsunfähigkeit die Verantwortung für den Jugendlichen abnehmen kann. In seiner Begleitung kann einem Jugendlichen auch kein Verbot auferlegt werden, an einer Tanzveranstaltung teilzunehmen. Wir möchten hier um eine entsprechende Abänderung ersuchen.
Ferner möchten wir hinter den § 6 einen § 7 einschieben, der das Verbot der Teilnahme von Jugendlichen bis zu 18 Jahren an Wettveranstaltungen erfaßt. Wir halten die Gefährdung des Jugendlichen durch Wettveranstaltungen, wie z. B. des Toto, für außerordentlich groß, da der verhältnismäßig geringe geldliche Einsatz bei diesen Wetten den Jugendlichen leicht verführt, daran teilzunehmen und eine Wettleidenschaft in ihm zu erwecken, die zweifellos eine große Gefährdung zur Folge haben kann. Die Durchführung eines solchen Verbotes ist relativ leicht, wenn man auf dem Wettschein das Geburtsdatum einfügen läßt und hinzufügt, daß Wettgewinne nur an Jugendliche über 18 Jahre ausgezahlt werden.
Einige stilistische Änderungen werden wir im Ausschuß formulieren und dort beantragen.
Wir haben zum § 8 den Antrag gestellt, den Nachsatz des ehemaligen Stuttgarter Entwurfes auch hier aufzunehmen, der heißt, daß die Unternehmer nicht nur durch Aushang kenntlich machen müssen, daß die Jugendlichen dort entsprechend den Jugendschutzbestimmungen behandelt werden müssen, sondern daß noch hinzugefügt wird: „ Die Erfüllung der Aushangpflicht entbindet die Unternehmer nicht davon, sich im Zweifelsfall über das Alter von Besuchern durch Einsichtnahme in die Ausweise zu vergewissern."
Im großen und ganzen, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß dieses Gesetz nur eine negative Fürsorge für unsere Jugend ist. Einem positiven Vorschlag zum Schutze der Jugend könnten wir mit mehr Überzeugung beistimmen. Einen wirklichen Schutz der Jugend vor Gefährdung und vor Verwahrlosung sehen wir in dem Bau von Jugendheimen, Volkshäusern, Bücher- und Lesehallen, in der Heranführung der Jugend an die Kulturwerte, die ihr den Halt geben, den sie in ihrer zerrütteten Umwelt braucht. Wir hoffen, daß wir auch in dieser Be-
ziehung sehr bald Vorschläge von der Regierung erhalten in Verwirklichung der Worte des Herrn Bundeskanzlers bei seiner ersten Regierungserklärung, in der er sagte: „Wir werden versuchen, unsere Pflicht gegenüber der jungen Generation anders zu betrachten, als das bisher geschehen ist; sie trägt die Zukunft Deutschlands in den Händen." In diesem positiven Sinne möchten wir künftig den Schutz für die Jugend gesehen haben.
Wir beantragen, dieses Gesetz an den Ausschuß 'zu verweisen und die beantragten Änderungen dort zu überarbeiten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vom Standpunkt des Bundesministeriums des Innern habe ich zwei Dinge zu sagen.
Erstens bejahe ich die Zuständigkeit des Bundes hinsichtlich der Gesetzgebung auf diesem Gebiet. Nach Artikel 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes fällt die öffentliche Fürsorge in die konkurrierende Gesetzgebung. Aus der Vorgeschichte dieser Bestimmung im Parlamentarischen Rat ist deutlich, daß darunter auch die Jugendfürsorge zu verstehen ist.
Ich verweise insbesondere auf die Beratung in dem sogenannten Ausschuß für Zuständigkeitsbegrenzung, der sich in seiner 9. Sitzung am 7. Oktober 1948 darüber einig war, daß Jugendfürsorge und Jugendwohlfahrt zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehören und daß das Wort „öffentliche Fürsorge" diese Materie umfaßt.
In den weiteren Beratungen — nämlich im Redaktionsausschuß, im Hauptausschuß sowie im interfraktionellen Fünfer-Ausschuß des Parlamentarischen Rates — ist diese Linie zu keiner Zeit , verlassen worden.
Daraus ergibt sich, wie ich sage, die Bejahung der Zuständigkeit des Bundes.
Zweitens. Zur Sache habe ich nur zu sagen, daß die Vorlage eine brauchbare Grundlage darstellt und daß das Bundesministerium des Innern bei der Mitarbeit im Ausschuß des Bundestags weitere Einzelheiten zur Sprache bringen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ribbeheger.
Meine Damen und Herren! Der in Drucksache Nr. 180 vorgelegte Antrag betreffend das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit stellt zweifelsohne insofern einen Fortschritt dar, als nämlich hier der Vorstoß unternommen worden ist, Unklarheiten, Unerträglichkeiten und Verschiedenartigkeiten hinsichtlich der Anwendung der Polizeiverordnung vom Juni 1943, wie sie seit 1945 so nachteilig für die Jugendarbeit zutage getreten sind, in einem Rahmengesetz auf der Bundesebene zu beseitigen. Dabei möchte ich von vornherein betonen, daß ein solches Gesetz zum Schutze der Jugend nur im Zusammenhang mit der Endlösung jedweder Jugendarbeit hinsichtlich der Jugendfürsorge und Jugendpflege stehen kann, nämlich in der Verankerung und Verwurzelung des jungen Menschen in Beruf, Familie, Heim, Volk und Staat. Dementsprechend kann und darf ein solches Gesetz sich nicht nur in Verboten oder Polizeimaßnahmen erschöpfen, sondern muß vielmehr aus natürlicher Aufgeschlossenheit, aus der Verantwortung und dem Wissen um die Bedeutung der Jugend als Lebensquell unseres Volkes gestaltet werden.
Der Referent dieses Antrages hat bereits zum Ausdruck gebracht, daß dieser Antrag einen Initiativantrag darstellt, der auf Grund von Beratungen und Konferenzen — und ich darf auch noch hinzufügen: auf Grund der Vorlagen, die die einzelnen Ministerien in den Ländern, zum Beispiel der Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen und der Länderrat der US-Zone eingebracht haben — entstanden und zusammengefaßt worden ist.
Für die Zentrumsfraktion darf ich erklären, daß wir bei der Beratung dieses Gesetzes Anträge im Ausschuß einbringen werden. Wir sind auch der Auffassung, daß manche Formulierung und manche Fassung der einzelnen Abschnitte nicht formgerecht sein kann. Wir möchten zum Beispiel darauf hinweisen, was meine Vorrednerin schon getan hat, daß es in § 8 nicht nur darauf ankommen kann, daß die Unternehmer Schilder aushängen, sondern daß sie auch die persönliche Verantwortung und Haftung für die Innehaltung solcher Maßnahmen tragen sollten.
Bei § 11 Absatz 2 sind wir der Auffassung — es heißt dort: die Beamten des Polizeidienstes haben die Person dieser Jugendlichen festzustellen —, daß es nicht nur Aufgabe der Polizei sein kann, sondern hier muß eine Verbindung zum Jugendamt hin geschaffen werden, und zwar in der Form, daß das Jugendamt bestimmte, führende Persönlichkeiten aus dem Jugendleben der einzelnen Gemeinden dazu beauftragt, in Verbindung mit der Polizei solche Maßnahmen zu treffen.
Ansonsten sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz, wie schon gesagt ist, eine Diskussionsunterlage für die weitere Behandlung dieses Antrages im Ausschuß für Jugendfürsorge und Jugendpflege werden kann.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der bisher zu diesem Gesetzentwurf gemachten Ausführungen sehe ich mich dazu veranlaßt, noch einige Bemerkungen zu machen. Ich bedaure es, daß die Kollegin Thiele anläßlich dieses Gesetzentwurfs eine Fragestellung aufgerollt hat, die zunächst mit diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts zu tun hat. Wir werden uns ohne Zweifel sowohl in den Ländern wie auf der Bundesebene noch mit der Frage der Versorgung und der Maßnahmen für die heimatberufs- und arbeitslose Jugend zu befassen haben. Ich möchte aber gerade dieser Rednerin doch meine Meinung nicht vorenthalten, daß die Jugendnot im Westen, insbesondere der heimatlosen Jugend, dadurch besonders gestiegen ist, daß ihrer Tausende
heute noch monatlich aus der Ostzone zu uns kommen und uns die Arbeit gerade auf diesem Gebiet von Tag zu Tag erschweren.
— Das ist keine alte Platte, sondern das sind die polizeilichen Registrierzahlen, die uns beweisen, daß monatlich registriert allein 4000 Jugendliche aus der Ostzone kommen.
Wir wissen, daß 10- bis 20 000 nicht registrierte
Jugendliche aus der Ostzone sich bei uns herumtreiben.
— Wenn Sie den Bart hätten, den diese Tatsachen haben, würden Sie darüber stolpern!
Um ein Zweites aus diesem Beitrag zu entnehmen: Frau Kollegin Thiele hat sich mit gerührten und bewegenden Worten gegen diese Verbotsserie geäußert. Sie soll sich aber in ihrer politischen Heimat etwas besser umsehen; dann wird sie feststellen, daß in der Sowjetzone eine Verordnung — nicht ein Gesetz, sondern eine Verordnung; Himmler hat auch Verordnungen erlassen! — zum Schutz der Jugend vom 18. 3. 1948 für die gesamte sowjetische Besatzungszone durch die Verwaltung des Innern erlassen worden ist, die ebenfalls einen ganzen Katalog an Verboten enthält. Ich will dem Hohen Hause nicht zumuten, sich diese in mindestens 12 Paragraphen enthaltenen Verbote vorlesen zu lassen. Wenn allerdings das eine Verbot, daß sich Jugendliche unter 16 Jahren nach Eintritt der Dunkelheit in der Öffentlichkeit herumtreiben — über das Wort kann man streiten —, nicht enthalten ist, mag das mit den besonderen Zuständen dort im Zusammenhang stehen. Wir legen Wert auf dieses Verbot. Im übrigen ist gerade die Verordnung der Sowjetzone ein ziemlich getreuer Abklatsch der Himmlerschen Verordnung.
Man soll sich im Westen nicht über ein Verbotssystem aufregen, wenn man es in der eigenen politischen Heimat schon vorher erlassen hat.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin natürlich „überzeugt", daß die sozialen Voraussetzungen drüben in der Ostzone so erfüllt sind, daß man die Verordnung gar nicht mehr gebraucht hätte. Es scheint aber doch nicht ganz so zu sein, sonst hätte man diese Verordnung nicht zu machen brauchen.
Ich lasse keinen Zweifel daran, daß wir die Frage der Jugendnot und der Jugendhilfe, soweit sie auf der Bundesebene angeschnitten werden kann und soweit Bundesmittel für sie bereitgestellt werden müssen, eingehend werden behandeln müssen; denn ganz abgesehen von der moralischen und sittlichen Frage erfordert allein unsere wirtschaftliche Zukunft, daß die künftigen Träger der großen sozialen Lasten, die unser ungesunder Bevölkerungsaufbau nun einmal mit sich bringt, auch im Wirtschaftsleben mit einem ausgebildeten Beruf und nicht als ungelernte Arbeiter dastehen. Über diese Frage holen wir uns aber kaum Ratschläge von der Seite, wo das Problem am allerwenigsten gelöst ist.
Wenn ich noch weiter Stellung nehmen darf, so muß ich noch kurz auf die Äußerungen des Redners der Bayernpartei, des Herrn Dr. Etzel eingehen. Es klingt uns gut in den Ohren, wenn Herr Dr. Etzel sagt, daß auch die Bayernpartei auf dem Standpunkt stehe, daß die Jugend geschützt werden müsse. Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, in der wir uns auf breiter Basis mit allen Parteien einig sind.
Aber wenn Sie damit die Forderung verbinden: keine Verbote und keine Einschaltung der Polizei, sondern Änderung der gesellschaftlichen Zustände, dann, Herr Dr. Etzel, wird die Jugend zu Tausenden den Gefahren erlegen sein, bevor sich die Zustände der Gesellschaft geändert haben werden. Wenn Sie schon eine Gesellschaftsreform fordern und Verbote dieser mäßigen Art beanstanden, dann müssen Sie uns schon aus dem reichen Schatz Ihrer Kenntnisse sagen, wie die Gesellschaftsreform durchgeführt werden soll. Wir haben von Ihrer Seite dazu bisher verhältnismäßig wenig gehört.
— Herr Dr. Baumgartner, wenn Sie mich wörtlich in den Mund nehmen, muß ich auf Sie auch zu sprechen kommen!
Der Herr Bundesminister des Innern hat sich schon über die Frage der Zuständigkeit und über die Vorarbeiten im Parlamentarischen Rat geäußert. Was ich heute klarstellen wollte, ist nur, daß in Artikel 74 Ziffer 7 mit dem Begriff der öffentlichen Fürsorge auch das Jugendfürsorge-, recht erfaßt ist.
— Das geht einwandfrei aus den Niederschriften des Parlamentarischen Rates hervor.
Wenn aber weiterhin gesagt wird, daß der Staat der wohlwollende Vater des Volkes und der Jugend zu sein habe, so möchte ich jedenfalls darauf hinweisen, daß wir grundsätzlich auf demselben Standpunkt stehen, daß es aber wohl keinen Staat gibt, der nicht aus dem Wohlwollen heraus auch die Pflicht hat, gegenüber seinen Kindern in diesem Falle Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen.
— Und dazu stehe ich auch. Sollte es in anderen Familien anders gehandhabt werden, wäre es um diese Familien schlecht bestellt. Wir legen ja hier ausdrücklich fest, daß gegen Jugendliche Erziehungsmaßnahmen und keine Strafen verhängt werden, daß aber gegen erwachsene Personen, gewissenlose Veranstalter und Gewerbetreibende der Richter einzugreifen hat.
— Es wundert mich sehr, wenn Sie sagen, das sei Sache der Länder. Bisher hat man in den Ländern den Staat als Polizeistaat der Himmlerschen Polizeiverordnung anerkannt und kein anderes Gesetz geschaffen.
— Herr Dr. Baumgartner, Sie sagen: „Ihre Regierung!" Verschweigen Sie doch nicht dem Hohen
Hause und sagen Sie doch: „Meine Regierung, der ich lange genug angehört habe, um daran mitzuarbeiten"!
Im übrigen hat ja auch Herr Dr. Etzel darauf hingewiesen, daß eine gemeinsame Gesetzgebung der Länder notwendig sei. Lassen Sie mich dazu aus meinen Erfahrungen doch noch einige Bemerkungen machen, die ich als Referent in zwei Ministerien bei den Beratungen mit den zuständigen Ministerien der anderen Länder gemacht habe. Der Grund dafür, daß wir bis jetzt kein Gesetz haben, das die Himmlersche Polizeiverordnung abgelöst hat, liegt darin, daß man sich mangels einer entscheidenden Instanz über die Variationsmöglichkeit dieses Gesetzes bis heute einfach nicht geeinigt hat.
Ich habe lange genug darauf gedrängt, daß im Länderrat ein solches Gesetz erlassen wird. Wenn Sie nun auf die gemeinsame Gesetzgebung hinweisen, dann kann man darauf nur erwidern: diese ist ja bisher gescheitert. Im übrigen liegt ja, wie ich vorhin schon gesagt habe, vom Gremium des Länderrats eine klare Stellungnahme vor, wonach diese Materie der Bundesrepublik überwiesen wird, weil man mit dieser Materie nicht selber fertig geworden ist.
Das ist eine Tatsache. Sie mögen es glauben oder nicht. Der Umfang der Gesetzgebungsmöglichkeiten ist festgelegt worden. Seit dem Frühjahr 1946 wird über diese Materie verhandelt. Die angeblich abschließende Sitzung hat im Dezember 1947 mit dem Ergebnis stattgefunden, daß man am 31. August dieses Gesetz dem Bundestag überwiesen hat. Diese Tatsache kann nicht bestritten werden. Ich kann es Ihnen an Hand der Akten zeigen.
Allerdings gebe ich Herrn Dr. Etzel in einem recht. Darin unterscheidet er sich nicht von unserer Auffassung. Es heißt in Artikel 83 des Grundgesetzes:
Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Ich stehe selbst auf dem Standpunkt, daß dieses Gesetz eine Art Richtlinie oder Mantel- oder Rahmengesetz zu sein hat, das die Grundsätze über Gefahren und Verbote festlegt, über die Gefahren, die von Jugendlichen ferngehalten werden sollen, und Verbote, die dazu festgelegt werden. Hierin ist eine Einheitlichkeit notwendig.
— Wenn Sie sagen: „Ausgezeichnet", — sehr richtig! Dann sage ich: ich bin der gleichen Meinung, daß diese Ansicht ausgezeichnet ist; denn man kann den Föderalismus durch Überspitzung zerstören; aber man kann ihn auch so gestalten, daß er sich überall als eine staatspolitische Richtigkeit und Notwendigkeit erweist. Wenn Sie ihn auf diesen ersten Weg treiben, werden Sie ihn zerstören und die Schuld dafür auch in Bayern zu verantworten haben.
Und wenn Sie dann noch zum Ausdruck bringen, daß Sie die Absicht haben, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, dann beweisen Sie damit, daß Ihnen diese Gründe, die Sie anführen, wichtiger sind als die Sache selbst, nämlich die Hilfe gegenüber unserer Jugend.
— Sie mögen es verantworten, dieses Gesetz durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu verzögern! Das ist Ihre Sache, die Sie dann zu vertreten haben, das ist nicht die unsrige.
— Herr Dr. Etzel, jetzt habe ich gerade Ihnen etwas zu sagen, und es wäre unfair von mir, es zu sagen, wenn Sie gerade nicht zuhören würden.
Herr Abgeordneter Strauss, ich bitte, mit dem Ausdruck „unfair" gegenüber einem Kollegen recht vorsichtig zu sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben mich falsch verstanden, Herr Präsident. Ich habe gesagt: Wenn er
nicht zuhört, wäre es unfair air wenn ich es jetzt
sagen würde.
Herr Dr. Etzel, als Sie von der Möglichkeit einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und Ihrer grundsätzlichen Nein-Einstellung sprachen, gerade da haben Sie den lebhaftesten Beifall von Ihren Antipoden dieses Hauses, nämlich von den Herren der KPD gefunden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Meine verehrten Frauen und Herren! Als Mitglied des Zuständigkeitsausschusses des Parlamentarischen Rates kann ich nur das bestätigen, was sowohl der Herr Bundesinnenminister als auch die übrigen Herren ausgeführt haben. Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß die Zuständigkeit des Bundes für die Jugendfürsorgegesetzgebung gegeben ist. Im Zuständigkeitsausschuß des Parlamentarischen Rates hat man aus Vereinfachungsgründen all die einzelnen Fürsorgezweige — ob es sich nun um Jugendfürsorge, um allgemeine Fürsorge oder um Gesundheitsfürsorge handelt — in dem einen Begriff der öffentlichen Fürsorge zusammengezogen.
Wir wollten ja auch, daß nur eine Rahmengesetzgebung erfolge; aber das ist nicht durchgegangen, und die Zuständigkeit ist somit gegeben.
Nun darf ich noch auf etwas Weiteres eingehen. Es wurde gesagt, daß man mit einem Polizeigesetz in allererster Linie an die Jugend und die Eltern und an die Öffentlichkeit herantrete. Ja, meine Frauen und Herren, ich darf auf folgendes hinweisen: die übrigen Gesetze, also das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz und die Ausführungsgesetze, bestehen ja seit zwei Jahrzehnten und werden längst durchgeführt.
Auf noch etwas möchte ich hinweisen. Wir täuschen uns gewiß nicht über die ernste Situation der Jugend hinweg; aber ich möchte davor warnen, nun jede Einzelheit nur auf dem Wege der Gesetzgebung lösen zu wollen. Was weiter zu tun ist, liegt ja in der Durchführung der schon bestehenden und bewährten Gesetze durch die aktive Verwaltung. Ich versichere Ihnen, daß alle Jugendämter, Gesundheitsämter, Arbeitsämter und die Verbände
der freien Wohlfahrtspflege mit allen Mitteln daran arbeiten, die Zustände zu beheben. Es sind unterdessen Lehrlingsheime und Jugendheime, die beschlagnahmt waren, wieder freigegeben worden. Nach der Zerstörung sind auch Jugendheime und Lehrlingsheime aufgebaut worden. Es ist nicht so, als ob seit dem Jahre 1945 nichts geschehen wäre.
Nun darf ich noch etwas zu verschiedenen Pressemitteilungen, Statistiken usw. sagen. Man darf sie nicht verallgemeinern, selbst wenn sie für einen beschränkten Kreis richtig sind. Ich möchte Ihnen ein Beispiel sage. Wir beobachteten in Südbayern, daß die wandernde Jugend in den Jahren 1946 und -47 nicht mehr so groß, sondern schon stark zurückgegangen war. Plötzlich traten in den Monaten Juli, August und September immer wieder wandernde Jugendliche auf. Woher kamen diese? Es waren Kinder von Familien, die während des Krieges bei uns im Gebirge oder Vorgebirge evakuiert waren. Diese benutzten jetzt als Lehrlinge ihre Ferien, um zu ihren Herberggebern von damals zurückzukehren, sich mit Lebensmitteln einzudecken und dann wieder nach Hause zu gehen. Das waren also keine Jugendlichen, die sich heimatlos herumgetrieben haben. Sie wurden aber auf den Bahnhöfen beobachtet. Diese Erscheinungen haben sich also als ganz harmlos aufgeklärt. Allerdings wechseln die Verhältnisse. Es ist richtig, daß gerade die Jugendlichen, die aus dem Osten kamen, jetzt ein neues Problem entstehen ließen. Ich versichere Ihnen aber, daß mit allen Mitteln daran gearbeitet wird, diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Wir werden diese Gemeinschaftsarbeit mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, mit den Gewerkschaften und den Arbeitsämtern leisten und werden alle Bemühungen, Lehrstellen zu erhalten, unterstützen und regeln und so den Verhältnissen zu Leibe gehen. Nur eines möchte ich Sie versichern: Vergessen Sie nicht über der Frage der Gesetzgebung, daß die bestehenden Gesetze schon vollzogen werden und daß tatsächlich durch die Durchführung dieser Gesetze mit allen Mitteln dahin gewirkt wird, die Notstände wenigstens zu lindern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold!
Meine Damen und Herren! Ich möchte lediglich die Ausführungen des Herrn Kollegen Strauss in zwei Punkten berichtigen. Herr Dr. Etzel hat niemals erklärt, daß es polizeilicher Bestimmungen nicht bedürfe, sondern er hat gesagt, daß die Lösung vor allem auf dem Wege der Zuständereform gesucht und gefunden werden müsse. Damit ist doch nicht behauptet, daß im Bereich der Zuständigkeit der Länder die Fragen, die die Jugend betreffen, nicht auch polizeilich irgendwie geregelt werden sollen.
Es ist auch völlig falsch, wenn Herr Kollege Strauss Herrn Dr. Etzel, der wirklich ernste Ausführungen in dieser Sache gemacht hat, sagt, er habe nicht um der Sache willen gesprochen, um der Jugend irgendwie zu helfen, sondern nur aus einem formellen Grund Stellung genommen; es sei ihm wichtiger gewesen, die Verfassung einzuhalten, als der Jugend etwas zu geben.
Das ist ebenfalls nicht richtig. Es muß noch einmal völlig klar herausgestellt werden, daß der
Bundestag im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die ernste Pflicht hat, bei jedem Gesetzgebungsgebiet, das in die konkurrierende Zuständigkeit fällt, zu prüfen,
ob die Voraussetzungen des Artikel 72 Absatz 2 gegeben sind.
Der Inhalt des Artikels 72 Absatz 2 gehört zum Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung. Es muß also die Bedürfnisfrage dahingehend geprüft werden, ob nicht die Länder selbst eine solche Sache erledigen können oder ob dies eine Sache des Bundes sein müsse, um wirksam geregelt werden zu können. Darüber sind in dieser Debatte bisher überhaupt keine Ausführungen gemacht und Betrachtungen angestellt worden, höchstens diejenige, daß der Herr Kollege Strauss erklärt hat, den Ländern sei es bisher nicht möglich gewesen, die Frage der Jugendpflege oder Jugendfürsorge auf Länderbasis zu regeln. Hier r muß ich ihm widersprechen; denn er hat seine eigene Regierung und seine eigene Partei bloßgestellt, um nur eine zentrale Zuständigkeit zu erreichen.
Wer ehrlich ist, der muß sagen, daß neben solchen formalen Bestimmungen in Bayern auch von der derzeitigen Regierung sehr viel für die Jugend getan worden ist. Es ist ein Verrat an Ihrer eigenen, an der bayerischen Sache, Herr Kollege Strauss,
wenn Sie hier die Zuständigkeit des Bundes dadurch begründen wollen, daß Sie sagen, die Länder seien nicht fähig, die Jugendfragen zu lösen. Das ist ein unerhörtes Werturteil über die Tätigkeit der Länder.
daß man Polizeibestimmungen erläßt, es liegt daran, daß Schulen geschaffen werden, daß man wieder gute Lehrer an die Jugend heranführt, daß man die Jugend in ihrem Inneren wieder erfaßt. Das hat auch mein Kollege Dr. Etzel gemeint. Das ist das Primäre. Gegen Polizeiverordnungen, die Sie der Zuständigkeit des Bundes unter Verrat Ihrer eigenen bayerischen Parteifreunde überantworten wollen, möchte ich Stellung nehmen.
Ich glaube, daß gerade der Fortschritt der Jugendfürsorge in Bayern ein Beweis dafür ist, daß es einer Zuständigkeit des Bundes in dieser Frage nicht bedarf.
Im übrigen vertrete ich nochmals den Standpunkt und weise ganz klar darauf hin, daß es sich hier um einen verfassungswidrigen Antrag handelt, da in diesem Betracht allein die Zuständigkeit der Länder gegeben ist.
Wenn der Herr Bundesminister des Innern kurz und knapp zu dieser Frage Stellung genommen und in wenigen Worten erklärt hat, daß hier eine Bundeszuständigkeit bestehe, dann sind wir sehr betrübt darüber, weil die Kürze und Knappheit seiner Ausführungen zeigt, wie wenig föderalistisches Denken in der Bundesregierung ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Also das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts der letzten Worte muß ich leider dem Hohen Hause zumuten, noch ein paar Sätze anzuhören.
Ich muß dem Herrn Abgeordneten Dr. Besold allerdings erwidern, daß man mit den Ausdrücken vorsichtig sein soll, wenn man von den Begriffen zu wenig weiß. In Artikel 72 Ziffer 3 steht, daß die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes in Frage kommt, wenn die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert. Sie haben sich auf den Artikel 72 Absatz 2 bezogen.
—Dann nehmen wir es eben genau. nämlich Absatz 2 Ziffer 3: wenn die Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit es erfordert.
Es ist wirklich bedauerlich, daß in sämtlichen Länderregierungen der amerikanischen Zone nicht ein Minister gesessen hat, der bisher die Erläuterungen, die Sie hier vorgetragen haben, auch in sich selber produziert hat. Denn Sie haben mir zwar ein Kompliment gemacht.
— Ich will Ihnen den Rang in dem Punkt nicht ablaufen! Ich war ja zwei Jahre für die Jugendfürsorge in Bayern verantwortlich. Während dieser zwei Jahre scheint doch nach Ihrem Zugeständnis die Jugendfürsorge in Bayern einige Fortschritte gemacht zu haben. Ich wäre auch der allerletzte, der etwa sagen würde, daß die Handhabung der Jugendfürsorge von einer Zentrale aus gesteuert werden sollte, eventuell gar noch mit Hilfe von Bundesbehörden und deren Unterbau. Woran aber bisher im gesamten Gebiet der deutschen Republik, ob in Bayern oder anderswo, kein einziger vernünftiger Mensch gezweifelt hat, war, daß unser Jugendfürsorgerecht — und wenn Sie von Verwaltung eine Ahnung hätten, wüßten Sie, welche ungeheure Belastung unsere Verwaltung in den letzten Jahren hatte, weil das Fürsorgerecht auseinandergefallen war, welche Vielzahl von Beamten mehr beschäftigt werden mußte, weil sich die großen Schwierigkeiten' ergeben haben — im Gebiet der Bundesrepublik auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage stehen muß. Daß dann allerdings die gesamte Ausführung, die Organisation, die Durchführung, die Festlegung der Behörden usw., durch die das Fürsorgerecht ausgeführt wird, Länderangelegenheit ist und in die Länderzuständigkeit fällt, das . dürfte auch Ihnen nicht unbekannt sein.
Man soll etwas vorsichtig sein mit Äußerungen wie „Verrat an der bayerischen Sache" usw. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, daß einer Ihrer heftigsten Zwischenrufer, mein verehrter Herr Kollege Dr. Baumgartner, lange Zeit in der heute von Ihnen zitierten und zum Teil geschmähten Regierung gesessen hat. Es hat allerdings lange genug — —
— Ja, wenn doch nur!
Die Frage, um die es sich hierbei gedreht hat und die die großen Schwierigkeiten auferlegt hat, war ja nicht die, daß man im Landtag von Bayern nicht hätte zu einer Einigung kommen können. Die Frage war vielmehr die, daß die Länderregierungen vor der tragischen Alternative standen, auf der einen Seite anzuerkennen, daß das Gesetz gemeinsame Richtlinien haben muß, auf der anderen Seite die peinliche Tatsache vorzufinden, daß diese gemeinsamen Richtlinien zwischen den Länderregierungen nicht vereinbart werden konnten. An diesen beiden Punkten ist bisher der Erlaß dieses Gesetzes im Laufe von dreieinhalb Jahren gescheitert. Unterschieben Sie mir nicht, Herr Dr. Besold, ich hätte meine eigene Regierung angegriffen. Sie haben sie im Wahlkampf genug angegriffen. Wenn sie verteidigt werden soll, tue ich es schon selber.
Wenn wir diese Regierung zu verteidigen haben, tun wir es schon selber. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten! Die Leistung der bayerischen Regierung spricht für sich selber. Da brauchen Sie keine Angst zu haben; ihre Leistungen brauchen Sie weder herabzusetzen, noch brauchen Sie diese Leistungen zu betonen. Dafür sind wir schon da, beruhigen Sie sich!
Die Rednerliste scheint nunmehr wirklich erschöpft zu sein.
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit dem Ausschuß für Jugendfürsorge zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist der Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung: Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Maßnahmen für Deutsche, die in Auswirkung des Krieges im Ausland zurückgehalten werden .
Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten hat den Antrag der CDU/CSU-Fraktion wiederholt behandelt. Er hat dafür einen kleinen Unterausschuß eingesetzt, der dem Ausschuß dann den in Ihrer Hand befindlichen Antrag Drucksache Nr. 165 vorgelegt hat. Wie Sie sehen, gliedert sich dieser Antrag in zwei Ziffern Erlauben Sie mir, daß ich dazu zur Begründung kurz folgendes sage.
Die Ziffer 1 und die Ziffer 2 beziehen sich auf eines der dunkelsten Kapitel dieser Nachkriegszeit. Es handelt sich um die deutschen Kriegsgefangenen und insbesondere um den Teil von Deutschen im Ausland, die, sei es als Militärpersonen, sei es als Zivilpersonen, unter der Anklage von Kriegsverbrechen im Ausland festgehalten sind.
Um hinsichtlich der Ausmaße des Problems ein wenig Licht in die Diskussion zu bringen, darf ich Ihnen folgende Zahlen vortragen. Die weitaus größte Ziffer betrifft die in Rußland, sei es als Kriegsgefangene, sei es unter der Anklage von Kriegsverbrechen festgehaltenen deutschen Mili-
tärpersonen und verschleppten Zivilisten. Es ist unmöglich, dafür eine präzise Zahl zu nennen. Trotz der in den letzten Monaten in erhöhtem Umfange aus Rußland zurückgekehrten Kriegsgefangenen schätzen wir, daß noch eine Anzahl von etwa 300- bis 500 000 Deutschen in Rußland festgehalten ist.
In Polen können wir mit einer Zahl von etwa 15 000 deutschen Kriegsgefangenen rechnen, in Albanien mit 300 und merkwürdigerweise in Spanien ebenfalls mit 300.
Erlauben Sie mir, daß ich zu Spanien lediglich folgendes sage: Es handelt sich um die Rückführung von deutschen Kriegsgefangenen und von einigen Abenteurern, die in spanischen Lagern festgehalten sind, die die spanische Regierung auch ohne weiteres zurückliefern würde, vorausgesetzt, daß irgend jemand die Transportkosten übernimmt. Bis jetzt hat sich niemand gefunden, der für diese 300 Mann die Transportkosten auf den Tisch gelegt hätte. Infolgedessen sitzen sie nach wie vor in Spanien.
Unter den 15 000 in Polen Festgehaltenen ist zweifellos eine besonders hohe Zahl von deutschen Frauen, die in Arbeitslagern festgehalten werden.
Ich darf hier auf die Notiz des Westberliner „Der Sozialdemokrat" verweisen, der vor kurzem gemeldet hat, daß die Sowjetunion in den letzten drei Monaten 12 000 weibliche Kriegsgefangene, ehemalige deutsche Rote-Kreuz-Schwestern und Wehrmachtshelferinnen zur Arbeitsleistung an Polen ausgeliefert hat.
Wir haben Anlaß anzunehmen, daß diese Meldung nicht aus der Luft gegriffen ist.
Sie charakterisiert, daß in diesen Gebieten der Menschenhandel mitten in unserer Zeit noch stattfindet.
Wir müssen den Mut haben, die internationale Öffentlichkeit immer wieder darauf hinzuweisen. Wir sind aber der Meinung, daß nunmehr mit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland der Augenblick gekommen ist, um auch von deutscher Seite aus diese Frage initiativ anzugehen. Der Rechtsschutz, auf den diese Deutschen, gleichgültig ob sie als Kriegsgefangene oder unter der Anklage von Kriegsverbrechen im Ausland sind, Anspruch haben, muß von der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen werden. Bis jetzt ist die Hilfe, die ihnen widerfahren ist, im wesentlichen auf Initiative freier Hilfsorganisationen wahrgenommen worden, unter denen ich das Deutsche Rote Kreuz, den Deutschen Caritasverband und das Hilfswerk der Evangelischen Kirche besonders nennen darf. Bei der Aufnahme der Rückkehrenden hat sich auch die Arbeiterwohlfahrt hilfreich beteiligt.
Nun ist aberi der Augenblick gekommen, in dem diese Verbände mitsamt ihren internationalen Gliederungen diesen Rechtsschutz regelrecht an den Bund abtreten sollten und abtreten müssen. Darauf bezieht sich der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der hier in diesem Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut aufgenommen und bestätigt ist.
Erlauben Sie mir nun noch ein Wort zu dem Problem der Kriegsverbrecher zu sagen. Ich gebe hier einige Zahlen. Militärpersonen und einige Zivilpersonen, die unter der Anklage von Kriegsverbrechen stehen oder zum Teil schon abgeurteilt sind, befinden sich in Frankreich zirka 1200, in Holland zirka 200, in Belgien 100, in Luxemburg 50, in Italien 20, in Dänemark 55, in Griechenland 8, in Jugoslawien zirka 1400, in Polen etwa 8000 und in Norwegen 60. Einige weitere befinden sich in Österreich, Ungarn, in der Schweiz und nach einer soeben vorliegenden Meldung in der Türkei zirka 30. Im letzteren Falle handelt es sich um Angehörige des ehemaligen deutschen Nachrichten- bzw. Abwehrdienstes.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit doch noch einmal auch von dieser Stelle aus, von der es meines Wissens noch nicht geschehen ist, auf die Fragwürdigkeit des ganzen Verfahrens richten, das auf diese Angeklagten im Auslande bis jetzt angewandt worden ist. Ich glaube, daß die Überzeugung jenseits der deutschen Grenzen wächst, daß das Verfahren, das gegen zahlreiche wegen Kriegsverbrechen angeklagte Deutsche im Ausland von ausländischen Gerichten angewendet worden ist, mehr als problematisch ist. Vor allem müssen die Strafen aus Urteilen, die von Kriegsgerichten in den ersten Jahren nach dem Kriege gefällt worden sind, bei Anwendung objektiver Rechtsnormen als durchweg überhöht gelten, ganz abgesehen davon, daß die Verfahrensweise, aber auch die Objektivität der Urteile und Gerichte von uns auf Grund von Unterlagen ernsthaft in Zweifel gezogen werden müssen. Es ist nicht unsere Absicht, nun hier eine Rechnung aufzumachen, was in diesen Verfahren alles versäumt worden ist. Wir bezweifeln, daß die Art und Weise, wie diese Probleme von den Siegermächten und von den Gewahrsamsmächten in den Jahren nach dem Kriege gehandhabt worden sind, gut war. Indem wir das aussprechen, verkennen wir nicht, daß es auch im Ausland Zeugen von hoher Objektivität gab, und daß es auch im Ausland Stimmen von Helfern und Helferinnen gab, die sich jahrelang bemüht haben, hier einzutreten und einen offenkundigen Notstand zu beseitigen. Es darf z. B. nicht verkannt werden, daß sich Stimmen wie die eines prominenten französischen Strafrechtlers, der als Verteidiger gearbeitet hat, wirkungsvoll dagegen erhoben haben. Ich zitiere hier. Er sagt:
Die Grundsätze dieser Rechtsprechung rühren nicht nur an die Form, sondern an die Grundlage des Strafrechts. Sie laufen dem Grundsatz von dem nicht retroaktiven Strafgesetz dadurch zuwider, daß sie sowohl dem gültigen Straf- als auch dem gültigen Prozeßverfahrensrecht eine unbestreitbare Erschwerung verleihen. Sie überschreiten den Rahmen des Grundsatzes: nullum crimen, nulla poena sine lege. Wie betrüblich
— so fährt der Franzose fort —
auch immer für die französische Ehre eine derartige Feststellung sein mag, so können wir doch nicht umhin zu schließen, daß das Gesetz vom 15. September 1948 nicht der Ausdruck eines gerechten Rechts ist. Es ist eine Art legaler „Völkermord".
Meine Damen und Herren! Wie recht und wie richtig dieser Standpunkt ist, geht aus der Art und Weise hervor, wie die Prozesse in Jugoslawien gegen Deutsche durchgeführt worden
sind. Ich habe hier ein Dokument vor mir liegen, das ich Ihnen im Original zur Kenntnis bringen möchte und das die Lage blitzartig beleuchtet. Wir haben etwa 1 400 deutsche Kriegsgefangene, die nach wie vor unter der Anklage des Kollektivverbrechens festgehalten werden. Eine Reihe von ihnen sind verurteilt. Ich habe hier vor mir den Brief eines Verurteilten vom 24. 7. 1949 an seine Frau, in dem es heißt:
Am 7. Mai 1949 durch Militärgericht Belgrad 15 Jahre. Im Urteil heißt es u. a.:
Dem Angeklagten kann eine Beteiligung an
Kriegsverbrechen nicht nachgewiesen werden.
Das steht im Urteil! Es heißt dann weiter:
Durch Beschluß der Staatskommission zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen unter Nr... . wird er für Kriegsverbrechen, die durch Angehörige seines Regiments begangen wurden, mit verantwortlich gemacht und ist daher zu bestrafen.
15 Jahre! Das beleuchtet die Situation.
Wir sind der Meinung, daß die Zurückhaltung von Kriegsgefangenen sowohl auf Grund der Haager Landkriegsordnung wie auf Grund der Magna Charta der Menschenrechte, zu denen sich die Nationen bekannt haben, nicht länger bzw. überhaupt nicht so lange vertretbar ist. Artikel 20 der Haager Landkriegsordnung sagt: „Nach Friedensschluß sollen die Kriegsgefangenen binnen kürzester Frist in ihre Heimat entlassen werden." Soweit sie bisher noch nicht zurückgekehrt sind, sind sie teils zu Arbeitsleistungen zurückgehalten worden, teils unter der Anklage des Kriegsverbrechens. Dabei spielt wiederum Jugoslawien eine besondere Rolle. Ich darf in diesem Augenblick Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, daß Jugoslawien, welches zirka 1 400 nach solchen „Rechtsgrundsätzen" behandelte Deutsche immer noch festhält, nach einer Zeitungsnotiz der DPA im Begriff ist, deutsche Arbeitskräfte mit der Genehmigung des Hohen Kommissars für die französische Zone in Deutschland anzuwerben.
Im übrigen ist offenbar auch Jugoslawien der Meinung, daß immerhin in der Rechtsprechung der letzten Jahre einiges passiert ist. Denn eine andere Notiz besagt, daß die jugoslawische Regierung die unrechtmäßige Hinrichtung des ehemaligen österreichischen Oberleutnants Otto Wehhofer in einer Note an die österreichische Regierung zugegeben und sich zur Zahlung einer Entschädigung bereit erklärt habe. Wir begrüßen derartiges und sind der Meinung, daß jetzt der Augenblick gekommen ist, wo diese Frage von der Bundesrepublik Deutschland von Amts wegen in die Hand genommen werden muß. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Initiative, die die Bundesrepublik dabei ergreifen kann, durch das Besatzungsstatut begrenzt ist. Aber es wird die Pflicht der Bundesregierung und nach unserer Überzeugung auch die unabweisbare Aufgabe der Hohen Kommissare sein, in dieser Sache mit aktiv zu werden.
Denn solange die Wahrnehmung außenpolitischer i Befugnisse in der Hand der Hohen Kommissare ist, werden sie sich dieser Sache nicht entziehen wollen und auch nicht entziehen können. Was aber der vorliegende Antrag, den der Außenpolitische Ausschuß Ihnen hiermit zur Annahme empfiehlt, bezweckt, ist die Errichtung einer Rechtsschutzstelle beim Bundesministerium der Justiz, einer Rechtsschutzstelle, die eine geordnete Sammlung und Wahrnehmung aller Aufgaben, die die Bundesrepublik auf diesem Gebiete zu erfüllen hat, in die Hand nimmt und die diese Sache in einer befriedigenden Weise, hoffentlich bald, zum Abschluß zu bringen vermag.
Zur Aussprache liegen keine Wortmeldungen vor.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung erkennt die Notwendigkeit, den Deutschen, die in Auswirkung des Krieges im Ausland zurückgehalten werden und dort unter Anklage gestellt sind, Rechtsschutz zuteil werden zu lassen, an, nicht in dem Sinne, wie es von der linken Seite des Hauses vorhin in Zwischenrufen erklärt worden ist, um Kriegsverbrechern Schutz zu gewähren, sondern um diesen Menschen die primitivsten Rechtsgarantien wenigstens von unserer Seite aus zuteil werden zu lassen. Der Herr Berichterstatter hat auf die erheblichen Mängel in diesen Verfahren hingewiesen, Mängel, die von einsichtigen Juristen und Politikern auch 0 bei den Siegermächten anerkannt werden. Es soll nicht verkannt werden, daß schwere Rechtsprobleme hierin einbeschlossen sind. Aber wenn bis jetzt weitgehend den Angeklagten die Berufung auf höheren militärischen Befehl verweigert worden ist, wenn auf der andern Seite in Frankreich in den Prozessen gegen Angehörige des Maquis dieser Schutz der Berufung auf höheren Befehl gewährt worden ist, dann ergibt sich. hieraus die Notwendigkeit, daß zum mindesten die Angeklagten durch Verteidiger, die von unserer Seite aus gestellt werden, in die Lage versetzt werden, ihre Rechte ordnungsgemäß geltend zu machen.
Die Mängel dieser Verfahren sind noch andere. Auch sie sind von dem Herrn Berichterstatter schon angedeutet worden. Auf Grund der bei den Prozessen in Frankreich maßgebenden Ordonnance vom August 1944 werden Kollektivhaftungen unterstellt. Bei diesen schweren Fällen, deren Tragik wir in keiner Weise leugnen wollen, die im Gegen teil für uns Deutsche eine schwere moralische Belastung darstellen — ich meine die Exekutionen, die an der Zivilbevölkerung in Oradour, in Tulle, in Asque durchgeführt worden sind — wird unterstellt, daß jeder Angehörige eines Truppenteils der SS oder des SD oder der Feldgendarmerie schuldig ist, es sei denn, er weise nach, daß er zu dieser Organisation gezwungen worden und an der fraglichen Tat nicht beteiligt gewesen ist, eine Beweisführung, die in der Praxis gar nicht möglich ist. Unter diesem Gesichtspunkt wurden verurteilt, und zwar zu härtesten Strafen, zu Todesstrafe: der Dolmetscher des Truppenteils, der Schreiber, der Kraftfahrer, der Koch. Ich sage Ihnen das nur, um Ihnen zu zeigen, wie notwendig es ist, daß hier von uns aus den Angeklagten geholfen wird, daß die
Möglichkeit eines hinreichenden Rechtsschutzes gegeben wird.
Mein Ministerium ist bereits beauftragt, diesen Rechtsschutz zu übernehmen. Insoweit ist also die Forderung der Nr. 2 des Antrags bereits erfüllt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Oskar Müller.
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gerstenmaier war nach der Tagesordnung als Berichterstatter des Ausschusses angekündigt. Als ich ihn sprechen hörte, da schien es mir, daß er mehr als der außenpolitische Kommentator der Evangelischen Kirche gesprochen hat und seine Funktion als Berichterstatter nach den Wünschen und Intentionen des Petersbergs ausnutzte, um eine Propaganda zu entfachen, die durch das Beiwerk, mit dem hier eine sachliche Berichterstattung umgangen wurde, dahin tendierte, der Kriegsgefangenenfrage und dem vorliegenden Antrag des Ausschusses eine Richtung zu geben, die es meiner Fraktion an und für sich schwer machen würde, diesem Antrag unsere Zustimmung zu geben.
Wenn wir trotzdem diesem Antrag aus sachlichen Erwägungen unsere Zustimmung geben, so deswegen, weil auch wir, wie es im ersten Teil des Antrags heißt, die Rückkehr aller Kriegsgefangenen und aller ehemaligen Kriegsgefangenen herbeiwünschen, und zwar ebenso, wie es die Sowjetunion
auf der Moskauer Außenministerkonferenz am 23. April 1947 gefordert hat, nämlich, „daß die deutschen Kriegsgefangenen, die sich auf Gebieten der verbündeten Mächte und auf allen anderen Gebieten befinden, bis zum 31. Dezember 1948 nach Deutschland zurückkehren sollten".
— Meine Damen und Herren, ich habe darauf gewartet! Es ist mir erwünscht, daß ich hier die Gelegenheit finde, einmal festzustellen, aus welchen Gründen dieser Vorschlag nachher vom Kontrollrat, der die Aufgabe hatte, das Verfahren für die Rückkehr der Kriegsgefangenen auszuarbeiten, nicht durchgeführt worden ist.
Wenn der Herr Berichterstatter Dr. Gerstenmaier objektiv gewesen wäre, hätte er das auch erwähnen müssen. Deswegen scheint es mir in diesem Zusammenhang notwendig zu sein, auf einige Tatsachen hinzuweisen, die die Hintergründe beleuchten, von denen aus man vom Westen her die Durchführung dieses Beschlusses hinauszögerte und sogar sabotierte.
— Herr Dr. Gerstenmaier, ich glaube, es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, daß man in den westlichen Ländern nach ziemlich einwandfreien, von ausländischen Pressestellen gegebenen Berichten nicht bloß mit einigen Tausenden, sondern mit noch ungefähr 200 000 Kriegsgefangenen und ehemaligen Kriegsgefangenen rechnen muß.
Allein in militärischen Verbänden und Organisationen
befinden sich nach Meldungen der ausländischen
Presse etwa 100 000 ehemalige Kriegsgefangene.
— Ich werde Ihnen sofort die Dokumente dafür bringen, Herr Kollege, beruhigen Sie sich!
Zunächst aber möchte ich zu einer anderen Frage Stellung nehmen und das hier einflechten, weil es vorhin bestritten wurde. Herr Dr. Gerstenmaier hat es als Berichterstatter für zweckmäßig gehalten, vorhin einen Brief zu verlesen. Es ist aber eine Tatsache, daß in Polen zum Beispiel Kassationsgerichtshöfe bestehen, so daß jeder, der verurteilt ist, die Möglichkeit hat, diesen Gerichtshof anzurufen.
— Jawohl!
N' un aber eine andere Frage, meine Damen und Herren. Man spricht von diesen Dingen mit dem Blick nach Osten und verschweigt das, was im Westen ist. Man glaubt, in diesem Zusammenhang mit der Redewendung von Zivilarbeitern abkommen zu können, verweist auf „freiwillige Arbeitsverträge", die in Frankreich, England usw. abgeschlossen worden sind. Es muß aber auch davon gesprochen werden, aus welchen Gründen sich Kriegsgefangene aus den Kriegsgefangenenlagern für die Fremdenlegion usw. gemeldet haben.
Ich glaube, es war die 25. Wochenausgabe des „Telegraf", die bekanntlich in den Westsektoren Berlins zuerst von der französischen Besatzungsmacht und dann auch von den beiden anderen beschlagnahmt worden ist. Er hat in einer längeren Schilderung dargestellt, wie es zu den sogenannten freiwilligen Meldungen zu den Fremdenlegionen gekommen ist. Ich darf wohl mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal zur Kenntnis geben, wie sich das in Wirklichkeit abgespielt hat.
In dieser Wochenausgabe des „Telegraf" heißt es bei der Schilderung eines solchen Kriegsgefangenenlagers und der Verhältnisse, die zu den „freiwilligen" Meldungen geführt haben:
Schneewasser tropft aus der undichten Dachrinne des verwahrlosten Schlosses von Brienne-le-Château, in dem einst Napoleon residierte und das nun — im Jahre 1946 — 3000 deutschen Kriegsgefangenen als Unterkunft dienen muß. Unrasiert, verschmutzt, ausgehungert drängen sich die Gefangenen an den Mauern. Mit rostigen Konservendosen versuchen sie, das schmutzige Wasser aufzufangen.
Es gibt kein Trinkwasser für die 3000 verzweifelten Menschen. Der einzige Brunnen innerhalb der Stacheldrahtverhaue ist verseucht. Die ungereinigten Salzfische, die zusammen mit einem Stück Brot und einer dünnen, stets angebrannten Suppe aus Futterrüben die Verpflegung bilden, verursachen unerträglichen Durst.
Nicht nur aus diesem Grund sind die Gefangenen verzweifelt. Vor wenigen Tagen erst sind sie, die in den letzten Tagen des Krieges von den Amerikanern gefangengenommen wurden, aus amerikanischen Lagern in Frankreich an die Franzosen übergeben worden. Sie sollen zum Wiederaufbau eingesetzt werden.
Alle Hoffnungen auf baldige Rückkehr in die Heimat sind damit vernichtet.
Statt dessen waten sie nun durch den uferlosen Schlamm des Lagers oder drängen sich in dem mit Menschen bis zum Bersten vollgestopften Schloß. Hinter dem Stacheldraht drohen von den Wachtürmen die Maschinengewehre der Marokkaner.
Dann schildert der „Telegraf", wie die Werbeagenten der Fremdenlegion in das Lager kommen und auf den ersten Aufruf sich 176 dieser verzweifelten Kriegsgefangenen zur Fremdenlegion gemeldet haben.
Was ist das Ergebnis, meine Damen und Herren?
Hier möchte ich Ihnen die „New York Harald
Tribune" kurz zitieren, die am 18. Juli 1949 schrieb,
daß viele Offiziere und mindestens 100 000
Soldaten der Nazi-Armeen in ausländischen
Heeren dienen, und zwar in Französisch-Nordafrika, Ägypten, Arabien, Indonesien und
Griechenland. Tausende dieser Soldaten wurden in Schlachten eingesetzt, besonders in
Indochina, und Hundete von ihnen fielen in
diesen Kämpfen. Ein Drittel
— schreibt die „New York Herald Tribune", und andere Zeitungen bestätigen es, meine Damen und Herren —
der französischen Fremdenlegion bestehe gegenwärtig aus ehemaligen Angehörigen vor Rommels Afrika-Korps. Die deutschen Söldner dienen in folgenden Heeren: mindestens 30 000 in der französischen Fremdenlegion in Nord afrika, mindestens 4 000 ehemalige SS-Leute in Indochina; etwa 6 000 ehemalige deutsche Kriegsgefangene wurden in Ägypten aus der Gefangenschaft entlassen und in die ägyptische Armee eingegliedert. Man nimmt an, daß die deutschen Einheiten in Arabien, Kuomintang China, im Irak, in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens insgesamt 20 000 Mann zählen. Die ehemaligen Generalstäbler sagtet ferner, mindestens 15 000 ehemalige deutsche Soldaten und Offiziere seien nach Südamerika gegangen.
Ich glaube, diese Zahlen ließen sich noch erweitern durch Dokumente
aus der ausländischen Presse.
Meine Damen und Herren, so können Sie das Ziel nicht erreichen, das Sie sich gesteckt haben. Ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen, daß auf der Moskauer Konferenz die Forderung nach Rückführung der Kriegsgefangenen aus a 11 e n Ländern erhoben worden ist. Heute werden die deutschen Kriegsgefangenen von den Westmächten dazu mißbraucht, die um ihre Freiheit ringenden Kolonialvölker niederzuschlagen.
— Ich weiß, das paßt nicht in Ihren Kram hinein. Aber in einem aus Indochina geschriebenen Brief heißt es,
daß 75 Prozent des Transports von 1200 französischen Soldaten, die mit ihm zusammen
— mit diesen deutschen Kriegsgefangenen; der Hauptteil dieses Transports bestand aus ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen -
im April 1949 in Vietnam ankamen, inzwischen gefallen sind.
— 75 Prozent von 1200 Mann dieses Transportes sind gefallen. Wo sind die Nachrichten an die Angehörigen? Wo ist die Sorge darum? —
— Sein Regiment, so heißt es hier weiter, sei bei einem Großangriff in den letzten Tagen mit großen Verlusten zurückgeschlagen worden.
Meine Damen und Herren, das sind die Fragen, die Sie gern verheimlichen wollten, mit deren Verschweigen Sie aber Ihre Propaganda hier im Westen treiben, um unsere Jugend reif zu machen für einen Krieg gegen den Osten, sie damit erneut auf die Schlachtfelder zu führen und von neuem ein Kriegsgefangenenproblem aufzuwerfen.
Wir werden nicht dulden, daß mit Ihrer Propaganda ein neues Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorbereitet wird.
Sie tragen die volle Verantwortung dafür.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Redner doch nicht ständig durch Zwischenrufe zu unterbrechen.
Ich freue mich darüber, denn ich weiß: damit kommt zum Ausdruck, daß Sie getroffen sind, weil dadurch offenbar wird, daß Sie mit den menschlichen Gefühlen der Kriegsgefangenen und mit der Kriegsgefangenenfrage Schindluder treiben und gleichzeitig unsere Jugend erneut verhetzen wollen.
Wir werden dem Antrag zustimmen,
(Händeklatschen bei der KPD. — Zuruf rechts:
Bangemachen gilt nicht!)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Meine Damen und Herren, ich beabsichtige nicht — mit einer Ausnahme — meinem Vorredner anders als durch Tatsachen zu antworten. Ich muß eine Ausnahme machen. Wenn Sie mir unterstellen, daß möglicherweise Weisungen des Petersbergs hinter meinen Ausführungen stehen, dann kann ich nur sagen, daß Sie offenbar so sehr daran gewöhnt sind, nach Weisungen von ganz anderswoher zu handeln, daß Sie gar nicht anders können, als von einem anderen dasselbe anzunehmen.
Ferner: ich kann mich nicht daran erinnern, daß wir bei den Zahlen, die wir hier vorgelegt haben, den Westen ausgenommen hätten. Es ist aber eine
Tatsache, daß wir zur Zeit im Westen insgesamt 1600 Deutsche haben, die unter der Anklage des Kriegsverbrechens oder auf Grund von Urteilen festgehalten werden. Wir beklagen das, und wir möchten in jedem einzelnen Falle eine Revision wünschen. Aber im Osten — ohne Rußland —, in Jugoslawien und Polen allein sind es zur Zeit mindestens 10 000.
Außerdem: wenn Sie von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit reden und uns hier ermahnen wollen, daß wir solche Verbrechen nicht mehr zulassen
möchten, — meine sehr verehrten Damen und
Herren, in Frankfurt an der Oder gibt es 7 000
Soldatengräber von heimgekehrten Kriegsgefangenen. Diese sind im letzten Augenblick bei der
Übergabe gestorben, sie waren noch in russischer
Hand. In jedem einzelnen Fall hat es Rußland abgelehnt, auch nur die Namen dieser im letzten
Augenblick gestorbenen Deutschen bekanntzugeben.
7000 ungenannte Soldatengräber, das ist eine Barbarei!
— Legen Sie sie doch auf den Tisch, Sie haben ja gute Beziehungen zu Moskau.
Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht, um Zwiegespräche zu pflegen. Ich bitte, den Redner sprechen zu lassen.
Wenn Sie der Meinung sind, daß ausgerechnet Sie es nötig haben, uns Lektionen über die Verteidigung der Menschenrechte zu geben, dann haben Sie reiches Material, um diese Ihre gute Absicht im eigenen Lager vollauf zu betätigen.
Im übrigen möchte ich sagen, daß ich es — im Unterschied zu einem Zuruf — für durchaus erwünscht halte, daß die Herren von der kommunistischen Fraktion sich diesem Antrag anschließen. Ich glaube, daß uns Ihre guten Beziehungen im höchsten Maße für die Rückführung dieser 300 000 bis 500 000 Menschen, die immer noch in Schweige-und anderen Lagern im Osten gefangen sind, nutzvoll sein könnten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, wie ich soeben orientiert werde.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 165 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Bevölkerung Helgolands .
Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz als Berichterstatter das Wort.
Darf ich, ehe der Herr Abgeordnete das Wort ergreift, bekanntgeben, daß ich soeben durch Rücksprache festgestellt habe, daß es wohl dem allgemeinen Wunsche des Hauses entspricht, wenn wir von 1 Uhr 30 Minuten bis etwa 3 Uhr nachmittags Mittagspause machen. Ist das Haus einverstanden? — Danke schön!
Ich bitte den Herrn Berichterstatter, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten empfiehlt Ihnen, den Antrag der DP, Drucksache Nr. 41, anzunehmen. Der Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Hohen alliierten Kommission vorstellig zu werden, daß der Bevölkerung Helgolands die baldige Rückkehr auf ihre Heimatinsel und der Wiederaufbau ihrer Wohnstätten gestattet wird.
Zur Begründung dieses Antrags darf ich als Berichterstatter folgendes vortragen, und ich bitte das Hohe Haus um Vergebung, wenn ich zu diesem Gegenstand etwas gründlichere Ausführungen zu machen versuche.
Die 150 Hektar große Insel Helgoland hat ein sehr wechselndes Schicksal gehabt. Vom Jahre 1714, nachdem die Insel vorher im Besitz Hamburgs, Bremens und Stades in fortwährendem Wechsel war, war sie bis 1807 dänisch. 1807 wurde sie von England annektiert und blieb als englische Kronkolonie bis zum Jahre 1890 in englischem Besitz. 1890 wurde Helgoland gegen Sansibar und das Wituland von Deutschland eingetauscht.
Die Bevölkerung der Insel ist friesisch; sie spricht einen besonderen Dialekt. Die Insel war nicht nur ein geologischer Vorposten; die Menschen haben daraus auch einen militärischen gemacht, und das wurde Helgoland zum Schicksal.
Helgoland ist ein einzigartiges Naturdenkmal, eine hochgepreßte Scholle, deren Stoff — roter Sandstein und, Muschelkalk — aus dem erdzeitlichen Mittelalter stammt, eine Insel von besonderer Schönheit, die dem ganzen deutschen Volk einen besonderen Wert dargestellt hat. Etwa 5 Millionen der gegenwärtig lebenden Deutschen — so kann man ungefähr schätzen — haben Helgoland als Erholungsstätte aufgesucht, jenes einzigartige Eiland, das aus dem Meere herausragt. Ich darf zu Beginn dieser Ausführungen als Berichterstatter sagen, daß, solange der Mensch nicht nur ein Kalkulationsobjekt von Kalorien und Produktionsindex ist, diese Gemütswerte auch eine ganz wesentliche Rolle zu spielen haben. Es wird einem Volk außerordentlich schwerfallen, auf ein Denkmal zu verzichten, auf eine Insel dieser Schönheit, wie sie Helgoland gewesen ist, ein Wahrzeichen an der Wasserkante. Es ist ein Naturdenkmal, das sich in hervorragender Weise als wissenschaftliche Forschungsstätte eignet. In Helgoland wurden unterhalten: die Biologische Anstalt für Fischereiwesen und Vogelkunde, eine Erdbebenstation, botanische Versuchsanstalten, Laboratorien und das berühmte Nordseemuseum. Etwa eine Viertelmillion Besucher hatte Helgoland durchschnittlich in den Sommermonaten. Nach den Zahlen, die mir von 1939 zugänglich sind, umfaßte die Bevölkerung 926 Haushaltungen mit einer Bevölkerungskopfzahl von 4424 Einwohnern außer der militärischen Besatzung, die auf
Helgoland lag. Jetzt sind von dieser Bevölkerung etwa noch 2500 Köpfe übriggeblieben, die in die Kreise Pinneberg in Schleswig-Holstein und Cuxhaven im Lande Niedersachsen evakuiert worden sind.
Die Berufsverteilung der Bevölkerung Helgolands war etwa folgende. Es gab 120 Fischer, und es liefen 50 Boote auf der Nordsee. Die Fischer beschäftigten sich hauptsächlich mit der berühmten Hummerfischerei. Der Rest der Bevölkerung war in anderen Seefahrtsberufen beschäftigt, er versah den Lotsendienst oder gab sich dem Gewerbe des Fremdenverkehrs, handwerklichen Berufen und anderen Gewerben hin.
Die strategische Bedeutung der Insel, die ihr zum Schicksal geworden ist, liegt darin, daß Helgoland die Elbe- und Jademündung als Seefestung sperrt. Eine offensive Bedeutung hat die Insel im modernen Seekrieg nicht mehr gehabt. Das .ist sehr wesentlich festzuhalten, weil es im ersten Weltkrieg nicht möglich war, obgleich die Insel damals mit sehr starker Seeartillerie und schwersten Geschützen armiert war, den Durchbruch englischer Streitkräftie bei diesigem Wetter — so bereits im August 1914 geschehen — zu verhindern. Nachdem Helgoland nach dem ersten Weltkrieg abgerüstet worden war, trat seine Wiederaufrüstung als Seefestung im Jahre 1935 wieder ein. Es wurde diesmal nicht wie vor dem ersten Weltkrieg als eine Sperr- und Seefestung aufgebaut, sondern als ein Luftabwehrstützpunkt. Offensive Bedeutung hat dieser Luftabwehrstützpunkt nicht gehabt, und seine marine- und luftkriegmäßige Bedeutung hat sich als sehr gering erwiesen.
Am 18. April 1945 wurde Helgoland von tausend britischen Flugzeugen angegriffen, und bereits nach 10 Minuten schwiegen sämtliche Batterien der Insel. Die Insel war bereits nach diesen 10 Minuten von den tausend angreifenden Flugzeugen zur vollkommenen Niederlage gebracht worden. 128 Opfer waren damals zu beklagen.
Nach der Kapitulation hatte die Insel folgendes Schicksal. Am 12. Mai 1945 wurde sie besetzt und die Räumung der Zivilbevölkerung, soweit sie nicht bereits evakuiert war, unter Zurücklassung sämtlicher Habe, die in den Bunkern der Insel untergebracht war, sofort verlangt.
Im April 1946 erhielt der zuständige Landrat des Kreises Pinneberg seitens der britischen Marinebehörde die Benachrichtigung, daß die Gemeinde Helgoland rechtlich zu bestehen aufgehört habe. Der diensttuende Admiral soll damals den Ausspruch getan haben, man beabsichtige, die Insel so weit zu zerstören, daß das Meer nur noch das Übrige zu tun habe, daß sie also von der Oberfläche verschwinden sollte.
Ich halte mich für verpflichtet, in der Folge einige Dokumente zur Verlesung zu bringen, die in der Folgezeit bis zur Sprengung der Insel die Bemühungen nachweisen, die seitens der schleswig-holsteinischen Landesregierung und anderer deutscher Stellen unternommen worden sind, um die Insel vor der Zerstörung zu bewahren.
Die Kontrollregierung hat bezüglich Helgolands durch ein Schreiben vom 20. 12. 1946 folgende immerhin wesentliche Feststellungen getroffen:
Eine Sprengung der Insel Helgoland ist nicht beabsichtigt, es ist jedoch unbedingt notwendig, die Insel zu entmilitarisieren, und da hierbei einige 22 Kilometer Tunnel und Galerien zerstört oder durch Sprengmaterial blockiert werden dürften, wird unweigerlich ein großer Teil der Inseloberfläche vernichtet werden.
Diese Tunnel enthalten jetzt fast 4000 Tonnen Sprengmaterial, das teilweise durch Überalterung unsicher geworden ist und es immer mehr wird. Da außerdem alle Zugänge zu diesen Galerien durch die Bombardierungen zerstört sind, können sie nur durch Überklettern von Hindernissen zu Fuß erreicht werden. Ohne eine Erneuerung der Drahtseilbahn und Freimachung der versperrten Zugangsgalerien ist daher die Entfernung dieser Sprengmaterialien praktisch unmöglich. Man beabsichtigt daher, sie an Ort und Stelle zu sprengen.
Nach den Zerstörungen werden genug Häfen übrig bleiben, um den Fischerbooten Schutz während schlechten Wetters zu gewähren. In der Nachbarschaft der Insel sind bereits leichte Bojen gelegt worden, um die Navigation der Boote zu erleichtern.
Was die Gebäude und Wohnhäuser der Insel angeht, so haben diese bereits durch die Bombardierung und die Wetterstürme gelitten. Sie sind außerdem durch Fischer ausgeplündert worden, die es riskiert haben, zwischen den einzelnen Bombardierungen auf der Insel zu landen. Es ist unwahrscheinlich, daß diese Häuser noch bewohnbar sind, wenn die Zerstörungen beendet sind.
Obwohl die Kraftstation noch intakt sein soll, ist doch das Leitungsnetz zerstört. Die Wasserleitung funktioniert gleichfalls nicht mehr.
Einer baldigen Rückkehr der Inselbewohner stehen also unüberwindliche Hindernisse entgegen. Über eine eventuelle Rückkehr der Einwohner nach Helgoland ist eine Entscheidung noch nicht getroffen worden.
Ich darf ferner das Schreiben des Herrn Innenministers des Landes Schleswig-Holstein vom 20. 2. 1947 zur Verlesung bringen.
Die Landesregierung hat sich am 11. Februar 1947 erneut mit dem Schicksal Helgolands beschäftigt und folgenden Beschluß gefaßt.
Die Landesregierung Schleswig-Holstein sieht es als ihre Pflicht gegenüber den kommenden Generationen und der schleswigholsteinischen Heimat an, die britische Militärregierung in letzter Stunde zu bitten, von der Sprengung der Insel Helgoland abzusehen und damit den in der Geschichte der Menschheit wohl einmaligen Plan, einen bewohnten Teil der Erdoberfläche von großer wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Bedeutung zu vernichten, aufzugeben.
Sollte eine Vernichtung der militärischen Anlagen, ohne daß die Insel selbst in ihrem Bestand zerstört oder gefährdet wird, nicht möglich sein, so beschließt die Landesregierung, die Vereinten Nationen zu bitten, die Treuhänderschaft über die Insel zu übernehmen.
Der Beschluß ist am 14. 2. 1947 der britischen Militärregierung zugeleitet worden.
Diese Bitte der schleswig-holsteinischen Landesregierung hat die Insel vor ihrem Schicksal nicht
bewahren können. Am 10. April, also wenige Tage vor der Sprengung der Insel, führte Landesminister Arp im Schleswig-Holsteinischen Landtag noch folgendes aus:
Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um nochmals in letzter Minute einen Appell an die Königlich Großbritannische Flotte zu richten, die allein für diese Sprengung verantwortlich ist, dieses zu unterlassen. Aus militärischen Gründen können wir nicht einsehen, warum diese Sprengung erforderlich ist. Wir haben das Angebot gemacht, eine Delegation der Helgoländer aus dem Kreise Pinneberg hat beim Gouverneur das Angebot gemacht, alle Sprengstoffe, die in den Stollen der Insel Helgoland untergebracht sind, durch freiwillige Arbeit herauszubringen und ins Meer zu versenken. Wir haben inzwischen festgestellt, daß der größte Teil der Sprengstoffe auf der Insel Helgoland nicht Bestände sind, die von der deutschen Wehrmacht auf der Insel zurückgelassen wurden, sondern daß es zum größten Teil Sprengstoffe sind, die die Königlich Großbritannische Flotte in monatelanger Arbeit, Dampfer um Dampfer, mühselig auf Helgoland gelöscht und durch eine Drahtseilbahn mit großer Mühe erst in diesen Stollen untergebracht hat.
Die deutschen Sprengstoffe, die auf der Insel lagen, waren zum größten Teil, wie mir die Helgoländer berichtet haben, nicht geschärfte Artilleriemunition, die ohne weiteres hätte entfernt werden können. Die Helgoländer haben in diesen Tagen erklärt, sie sind auch heute noch bereit, und wenn sie jahrelang daran arbeiten sollten, die jetzt hineingebrachten Sprengstoffe und alles, was auf der Insel untergebracht ist, herauszuholen. Damit wäre dieses Argument entkräftet, daß man dort sprengen müßte, um Sprengstoffe unschädlich zu machen. Die Schleifung der Befestigungsanlagen kann auch ohne diese große Totalsprengung, die die größte Sprengung aller Zeiten genannt wird, geschehen.
Dennoch ist am 18. April 1947 die Sprengung vollzogen worden. Es lagen in der Südostecke der Insel in den Stollen und Kammern 3500 Tonnen Sprengstoff, innerhalb der Batteriestellungen des Oberlandes und deren unterirdischen Verbindungen 850 Tonnen und in den U-Boot-Bunkern des Südhafens 260 Tonnen, insgesamt also 4610 Tonnen Sprengstoff. Mit einem riesigen, 2000 Meter in den Himmel ragenden Rauchpilz ging die Insel in die Luft. Es folgten zahlreiche einzelne Detonationen. Helgoland ist seit dieser großen Sprengung in veränderter Gestalt zurückgeblieben. Wer die Insel in Erinnerung hat, wie sie dereinst aus dem Meere aufstieg — ein einzigartiger Anblick! —, den wird es mit großem Schmerz erfüllen, dieses veränderte Bild Helgolands zu sehen.
Die Umrißformen der Insel sind wesentlich verändert worden. Am stärksten kommt das bei einem Blick von Süden oder Südosten zum Ausdruck. Die gerade Oberkante ist wellig geworden, und nach Osten und Westen geht sie nicht mehr nahezu rechtwinklig in das Steilufer über, sondern steigt in sanften Wellen zum Meeresniveau hinab. Das Herbe und Kantige des Bildes hat vielfach weichen Konturen Platz machen müssen, und es ist damit etwas Wesensfremdes in die Erscheinung Helgolands gekommen. Die Schutthalden werden zunächst, das heißt solange die Schuttmauern und das Unterland die Brandung von ihnen fernhalten, Weiterwachsen, und die Rundung des Reliefs wird weitere Fortschritte machen. Von der über 600 Meter langen Steilwand gegen das Unterland sind nur noch reichlich 200 Meter erhalten, also nur etwa ein Drittel; die übrigen 400 Meter sind zurückverlegt, auf 300 Meter verkürzt und weitgehend mit dem Schutt der Zurückverlegung bedeckt. Die Westseite hatte eine ursprüngliche Länge von 1500 Metern. Davon sind im Süden fast 400 Meter in Schutt verwandelt, und auch die beiden Einzelfelsen Mönch und Hoyshorn sind dabei verschwunden. Die Schuttmassen bilden die Umwallung eines großen dreiteiligen Kraters. Außerdem häufen sich in allen Nischen der Steilwand ständig wachsende Schutthalden an. Das gleiche gilt von der ganzen Ostseite. Das Oberland ist nicht mehr eben, sondern mit Sprengtrichtern und -hügeln wie eine Mondlandschaft bedeckt. An allen diesen Schuttmassen zeigt sich aber oberflächlich bereits eine deutliche Verwitterung, und dieser so vorbereitete Boden ist von Pflanzen, insbesondere von Hederich, besiedelt worden, sehr viel rascher als die Trümmer einer Großstadt.
Es ergibt sich: wenn der Prozeß der langsamen Ausheilung, den die Natur bei den von den Menschen zugefügten Narben der Erde anwendet, nicht ständig wieder durch weitere Bombardierungen der Insel unterbrochen würde, würde Helgoland wieder zur Besiedlung reif werden. So wie die Insel gegenwärtig daliegt, wird sie in relativ kurzer Zeit vom Meer vertilgt werden. Die Geschichte Helgolands kennt viele Katastrophen. Es sei insbesondere an die Sturmkatastrophe vor 200 Jahren erinnert, in der ein großer Teil der Insel vernichtet wurde. Es handelt sich also tatsächlich nur noch um einen kurzen Zeitraum, dann ist dieses Land von der Erdoberfläche verschwunden.
Es ist notwendig, diesen Sachverhalt darzulegen und damit den Anspruch der Bevölkerung Helgolands auf Rückkehr auf die Insel auch völkerrechtlich zu begründen. In dieser Frage schließe ich mich einem ganz ausgezeichneten Gutachten an, das vom Sekretariat „Friedensvertrag" der Senatskanzlei der Hansestadt Hamburg für das Deutsche Büro für Friedensfragen in Stuttgart erstattet worden ist. Ich darf dem. Hohen Hause dieses völkerrechtliche Gutachten kurz referieren, weil in der Frage der Vertreibung der Bevölkerung Helgolands von der Insel eine Grundfrage des modernen Völkerrechts, nämlich die Frage der Völkervertreibung schlechthin, angeschnitten worden ist.
Den Helgoländern ist die Rückkehr auf die Insel verboten. Die politische Gemeinde Helgoland ist aufgelöst. Die Insel wird fortgesetzt als Ziel für Bombenabwürfe verwendet. Nach den Zerstörungen, die die Sprengung am Inselfelsen selbst angerichtet hat, können sie die Insel der endlichen Vernichtung zuführen. Wenn ihre Bevölkerung vertrieben bleibt, wenn die Insel weiterhin zerstört und wenn sie schließlich vernichtet wird, dürfte Helgoland einmal als einzigartiges Beispiel planmäßiger Vernichtung eines Teils dieses Planeten in die Völkerrechtsgeschichte eingehen, die derartiges bislang nicht kennt.
Ich mache das Hohe Haus auf die außerordentliche Konsequenz mit Rücksicht auf einen etwa drohenden Atomkrieg aufmerksam.
Es handelt sich bei dieser Frage um einen Präzedenzfall, der sehr ernst genommen werden muß abgesehen davon, daß es eine Ehrenpflicht und eine Pflicht der Solidarität aller Deutschen ist, den Helgoländern, die nirgendwoanders leben können als auf Helgoland, die Rückkehr auf diese Insel zu ermöglitchen.
Die Besatzungsmacht kann die Befugnis zur Zerstörung von Befestigungsanlagen in Deutschland auch nach Abschluß der Feindseligkeiten herleiten aus der von den Verbündeten Nationen ausgesprochenen Absicht, Deutschland vollständig zu entwaffnen. Derart könnte die große Sprengung vom 18. April 1947 nur als Akt der Entmilitarisierung begründet werden. Diese Ermächtigung erstreckt sich aber nur auf die militärischen Anlagen, nicht auf die Insel als solche. Mit den Sprengungen sind die Befestigungsanlagen zerstört worden. Es gibt nichts mehr auf der Insel, was noch der Abrüstung oder Schleifung bedürfte. Jede weitere Zerstörungsmaßnahme trifft die Insel als solche oder Objekte, die einer Entmilitasierung
völkerrechtlich nicht zugänglich sind.
Die Übergabe der Insel an die britische Marine und ihre Verwendung als Bombenziel ist auch nicht als Requisition zu militärischen Übungen zu rechtfertigen. Nach internationalem Herkommen beschränkt sich dieses Recht der Besatzungsmacht auf unbewohnte Plätze und Flächen, wie sie auch in Deutschland hinreichend zur Verfügung stehen. Es ist aber aller völkerrechtlichen Gewohnheit widersprechend, einen solchen unbewohnten Platz dadurch herzustellen, daß man ihn zerstört und daß man die Bevölkerung vertreibt. Dadurch, durch dieses Herbeiführen des Tatbestandes, wird ein bewohnter Platz im völkerrechtlichen Sinne nicht zu einem unbewohnten Platz. Die gegenwärtige Verwendung der Insel verstößt also gegen anerkannte Grundsätze der internationalen Gewohnheit, weil ihre fortgesetzte Bombardierung eine systematische Devastation einer Ortschaft auf fremdem Staatsgebiet darstellt. Eine solche ist selbst während der Dauer eines Krieges nur dann rechtmäßig, wenn sie im Rahmen kriegerischer Operationen einer dringenden militärischen Notwendigkeit entspricht.
Dies ist die anerkannte völkerrechtliche Meinung. Ich zitiere nur einige der berühmtesten Schriftsteller des Auslands: Oppenheim, Hack-worth und Garner.
Was aber im Krieg und im Verlaufe von Kampfhandlungen verboten ist, ist um so weniger drei Jahre nach dem Ende der Feinseligkeiten einer Besatzungsmacht erlaubt, die ihren vollständigen Sieg mit bedingungsloser Kapitulation des Gegners gekrönt hat.
Aus den gleichen Gesichtspunkten kann auch die Auflösung der politischen Gemeinde Helgoland nicht als zulässig angesehen werden. Helgoland' muß den Charakter einer bewohnten Ortschaft zurückerlangen. Das moderne Rechtsbewußtsein der Völker zuerkennt den Bewohnern eines Gebiets die Sicherheit ihrer Wohnstätten auf angestammtem Boden und den Schutz gegen Vertreibung. Es entspricht dieser Rechtsanschauung, wenn große internationale Organisationen heute Vertriebene in ihre Heimat zurückzuführen suchen und wenn bei Gebietsveränderungen seit langer Zeit besondere Schutzbestimmungen zugunsten der Bewohner abgetretener Gebiete getroffen zu
sein pflegen. Zum Beispiel sichert der Friedensvertrag zwischen den Vereinten Nationen und Italien vom 10. Februar 1947 entsprechend dem Herkommen den Bewohnern abgetretener Gebiete in Artikel 19 Ziffer 4 ausdrücklich den Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten zu, anerkennt also ihr Recht, auf dem ererbten Boden gesichert zu wohnen. Dasselbe Rechtsprinzip findet in einer Reihe von Erklärungen und Satzungen der neueren Zeit Anerkennung. Ich erinnere an Wilson, an die sogenannte Mount-Vernon-Rede vom 4. Juli 1918. Ich erinnere zweitens an Punkt 2 der Atlantik-Charta vom 14. August 1941, sodann an die Satzung der Vereinten Nationen Artikel 1 Ziffer 2 und an Artikel 55. Auch die nationalen Verfassungsbestimmungen, wie zum Beispiel Artikel 27 Absatz 2 der französischen Verfassung vom 28. Oktober 1946 legen dieses Recht als ein in der gesamten zivilisierten Welt anerkanntes Prinzip des Völkerrechts fest.
Ich präzisiere: als Rechtsprinzip in der gesamten zivilisierten Welt gilt der Satz, daß die Völkervertreibung aus einem Gebiet widerrechtlich ist. Auf dieses Rechlsprnzip der Niederlassung hat unter anderem auch der französische Völkerrechtslehrer Scelle hingewiesen. Ich möchte damit die völkerrechtlichen Darlegungen schließen. Das, was in diesem Hamburger Gutachten noch vor Inkrafttreten des Besatzungsstatuts ausgeführt worden ist, gilt um so mehr nach Inkrafttreten des Besatzungsstatuts und nachdem ein ehrlicher Weg der Verständigung beschritten worden ist.
Ich möchte meine Ausführungen mit dem alten Vers über die Farben Helgolands schließen. Möge die Zerstörung der Insel aufhören, möge endlich eine friedliche Arbeit dieses Land wieder aufbauen und wenigstens annähernd zu seiner ehemaligen Schönheit zurückführen, damit es dereinst wieder lauten darf und kann:
Greun is dat Land,
Witt is de Sand,
Rot is de Kant;
Dat sind de Farben von Helgoland.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Zum Wort hat sich der Herr Abgeodnete Walter gemeldet; ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen, meine Herren! Der Grund, warum meine Fraktion den Antrag betreffend Helgoland eingebracht hat, ist der, daß wir wegen der Ungerechtigkeit, die die Helgoländer Bevölkerung dauernd zu erdulden hat, das Gewissen der Welt wachrufen wollen. Jeder Bombenabwurf auf Helgoland heute trifft nicht nur den einzelnen Helgoländer ins Herz, er muß jeden Deutschen ebenso treffen; denn es sind 2500 deutsche Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, die zurückkönnten, wenn genügend Einsicht da wäre, wenn man sich endlich dazu bekennen wollte, Völkerversöhnung zu betreiben, anstatt die Völker auseinanderzubringen; und die Bombardierung Helgolands ist solch ein Grund dafür.
Wenn die britische Regierung — der Kriegsminister der britischen Regierung zeichnet für die Bombardierung Helgolands verantwortlich — behauptet, sie benötige Helgoland für die Zielwürfe ihrer Bomber, da sie ein Ziel haben müssen, das
genügend nahe an den Flugplätzen der britischen Insel liege, dann dürfen wir darauf hinweisen, daß es oben bei den Shetlands einige Dutzend kahler Felsen gibt, die für Bombenabwürfe der englischen Flieger ein geeignetes Objekt wären.
Dort brauchte man keinen Menschen zu evakuieren, höchstens ein paar Schafe. Auf Helgoland sind es immerhin 2500 Deutsche, die sich danach sehnen, auf ihre Heimatinsel zurückzukommen. Wir appellieren daher an das Gewissen der Welt, die Forderung der Helgoländer zu unterstützen. Die Forderung der Helgoländer darf nicht eine Forderung der 2500 bleiben, sie muß eine Forderung des gesamten deutschen Volkes werden und darüber hinaus eine Forderung der europäischen Kulturwelt, um damit ein wirkliches Beispiel zur Völkerversöhnung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Die Frage Helgoland ist nicht Angelenheit eines einzelnen Landes und, wie ich hoffe, auch nicht Angelegenheit einer einzelnen Partei. Helgoland ist eine deutsche Frage. Gestatten Sie mir, den Vernunftgründen des Herrn Berichterstatters noch einige andere hinzuzufügen. Helgoland ist immer ein natürlicher Schutz der Schiffahrt von Jütland bis zur Jade gewesen. Helgoland hat eine besondere Bedeutung gehabt als Station für die Rettung Schiffbrüchiger. Ich darf nur auf die Leistung eines einzelnen Mannes hinweisen, der 416 Menschenleben gerettet hat und, wie wir wissen, nicht nur deutsche Menschenleben. Tausende von Gelehrten und Studenten haben Helgoland besucht, um ihre Kenntnisse zu erweitern und ihre Studien dort zu betreiben. Außerdem ist Helgoland die einzige Heilungsstation für gewisse allergische Krankheiten, für die wir keine zweite im deutschen Staatsgebiet besitzen.
Ich möchte nicht noch einmal auf den Leidensweg der Vernichtung dieser Insel eingehen, aber ich glaube, es ist notwendig, sich noch einmal mit der angeblichen militärischen Bedeutung dieser Insel etwas näher zu befassen. Als im Jahre 1890 der Austausch Helgoland—Sansibar erfolgte, hat es — das darf angenommen werden — in England auch damals fähige Strategen gegeben, die sehr wohl übersehen konnten, ob diese Insel militärisch lediglich eine defensive oder aber eine offensive Aufgabe habe. Um wieviel mehr trifft diese Erkenntnis heute zu, im Zeitalter der Luftwaffe und der Atombombe! So gesehen hat Helgoland keine andere Bedeutung als die Inseln Sylt und Borkum und, um es an diesem Beispiel den Engländern begreiflich zu machen, keine andere Bedeutung als die Isle of Wight, auf die ich am Schluß meiner Ausführungen noch einmal zurückkommen werde. Es ist daher unverständlich, daß man unter Hinweis auf die Ereignisse zweier Kriege nunmehr Helgoland als eine Bedrohung des Weltfriedens ansieht — im Zeitalter der Luftwaffe und der Atombombe!
Der Herr Berichterstatter ist sehr ausführlich auf die Fragen des Völkerrechts eingegangen. Ich möchte hierzu nur noch eine einzige Feststellung treffen. Es ist das erste Mal in der Völkergeschichte, daß ein besetztes Gebiet planmäßig derart zerstört werden soll, daß von ihm für alle
Zeiten nichts mehr übrigbleibt. Das ist ein einmaliger Vorgang, der in völkerrechtlicher Hinsicht, wie der Herr Berichterstatter bewiesen hat, in keiner Weise berechtigt ist.
Aber, meine Damen und Herren, viel wichtiger scheint mir die menschliche und die nationale Seite zu sein, national im echten Sinne des Wortes. Es handelt sich zwar nur um ein Gebiet von 150 Hektar, es handelt sich zwar nur um 2500 Menschen. Das mag gering erscheinen in Anbetracht der Millionen von Schicksalen, die wir nach dieser Katastrophe kennengelernt haben. Aber Helgoland hat eben eine besondere Stellung im Herzen aller Deutschen. Es ist ein einmaliges Denkmal der Natur. Jeder, der einmal von Süd, Ost oder West eine Reise in den Norden gemacht hat, weiß: der Höhepunkt einer solchen Reise war immer eine Fahrt zu diesem einzigartigen Juwel der Nordsee. Darum, meine Damen und Herren, glaube ich feststellen zu dürfen, daß jede weitere Bombe auf diese Insel das echte Heimatgefühl und das echte Nationalgefühl eines jeden Deutschen verletzen muß.
Ich möchte einmal an die englische Nation die Frage stellen: Was würde sie sagen, wenn mehrere Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten ihre Isle of Wight vor den Kreidefelsen Englands planmäßig bombardiert würde mit dem Ziel, diese Insel, die in England eine ähnliche nationale Bedeutung wie Helgoland für uns hat, vollkommen auszulöschen?
Ich möchte daher die Hohen Kommissare, die sich ja nach dem Antrag mit dieser Angelegenheit zu befassen haben, dringend bitten, nicht nur die Gründe der Vernunft zu berücksichtigen, sondern auch jene unmeßbaren Dinge, die seit der Kapitulation im Jahre 1945 leider so häufig verletzt 1 worden sind und nichts mehr zu tun haben mit dem Geist, den man den europäischen nennt.
Die FDP wird daher dem Ausschußantrag zustimmen. Ich möchte nur hoffen, daß es zu einem einstimmigen Beschluß kommt, um der Welt zu beweisen: Helgoland ist eine deutsche Angelegenheit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten, Drucksache Nr. 166, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich bitte Sie um Ihre Erlaubnis, die Punkte 5, 6 und 7 zusammen aufzurufen:
5. Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der BP betreffend Verteilung der DPs ;
6. Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der BP betreffend Abkommen über die Inanspruchnahme der Quartierleistungen durch die Besatzungsmächte ;
7. Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Ange-
legenheiten über den Antrag der Fraktion
der BP betreffend Wohnraumbelegung durch verschleppte Personen .
Es handelt sich um denselben Berichterstatter desselben Ausschusses, und auch die Materie der Berichte ist ungefähr die gleiche. — Ich stelle Ihr Einverständnis fest und erteile Herrn Dr. Gerstenmaier als Berichterstatter das Wort.
Meine Damen und Herren! Es liegen Ihnen drei Anträge der Fraktion der Bayernpartei vor: Drucksachen Nr. 85, 86 und 87, jetzt Nr. 196, 197 und 198. Erlauben Sie mir, daß ich dazu für den Ausschuß für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten folgendes sage:
Zu dem Antrag der Fraktion der Bayernpartei auf Drucksache Nr. 85 hat der Ausschuß beschlossen, Ihnen die Annahme zu empfehlen. Wir sind dabei von der Situation ausgegangen, daß die Bundesregierung sich binnen kurzem mit der Tatsache auseinandersetzen muß, daß die IRO, die Flüchtlingsorganistation der Vereinten Nationen, aufgelöst wird und damit ihre Tätigkeit beendet. Bis jetzt hat die UNNRA bzw. ihre Nachfolgeorganisation, die IRO, rund 6 Millionen DPs aus Europa in überseeische Länder umgesiedelt. Nach dem 30. Juni 1950, dem Datum, zu dem die IRO zunächst aufgelöst werden sollte, würden in Europa schätzungsweise 275 000 DPs verbleiben. Davon würden schätzungsweise 206 000 auf Westdeutschland entfallen. Durch einen Beschluß der Vereinten Nationen ist die Tätigkeit der IRO bis zum 1. April 1951 verlängert worden. Es bleibt aber auch dann, wenn die Tätigkeit der IRO endgültig abgeschlossen sein wird, aller Voraussicht nach im Bereich der Bundesrepublik Deutschland eine Anzahl von etwas über 100 000 DPs, und zwar hauptsächlich solcher DPs, die als nicht mehr wanderungsfähig, das heißt nicht mehr arbeits- und nicht mehr auswanderungsfähig angesehen werden. Die Frage der Versorgung dieser nicht mehr auswanderungsfähigen DPs wird zweifellos an die Bundesregierung herankommen. Es ist der Wunsch des Auswärtigen Ausschusses, den Antrag der Fraktion der Bayernpartei auch deshalb Ihrer Annahme zu empfehlen, weil wir der Überzeugung sind, daß von seiten der Bundesrepublik Deutschland nicht nur eine schöne Geste erfolgen, sondern eine echte Bereitschaft erklärt werden sollte, sich dieser Menschen anzunehmen und für sie in absehbarer Zeit eine besondere Vereinbarung mit den Hohen Kommissaren bzw. der IRO zustande zu bringen. Wir sind der Meinung, daß diese DPs, die sich, einstweilen jedenfalls, nicht unter deutscher Zuständigkeit befinden, in dem Augenblick, in dem sie in deutsche Zuständigkeit übergehen, selbstverständlich wie Inländer behandelt werden sollten und daß sie dann auch den Regeln der Verteilung unterworfen sein sollten, denen etwa die Flüchtlinge unterworfen werden.
Der Antrag Nr. 86, jetzige Drucksache Nr. 197, befaßt sich mit der Neuregelung über die Inanspruchnahme von Privatwohnräumen und von Hotels durch die Alliierten. Er berührt die Frage der DPs unmittelbar und geht über die Frage der DPs hinaus. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auch hier die Annahme, weil er der Überzeugung ist, daß die Neuregelung dieser Inanspruchnahme von Privatwohnraum und von Hotels in der Tat dringend notwendig ist. Soweit es sich um die DPs handelt, glauben wir, daß mit der Annahme dieses
Antrages Nr. 86 der Antrag Nr. 87 der Fraktion der Bayernpartei als erledigt betrachtet werden muß; denn nach den bestehenden Regelungen ist der Wohnraum für DPs alliierter Wohnraum. Er würde also bei der Annahme des Antrages Nr. 86 in die Neuregelung über den Wohnraum der Alliierten in Deutschland eingeschlossen sein.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen deshalb, den Antrag Nr. 87 der Fraktion der Bayernpartei abzulehnen, die beiden anderen Anträge aber anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Lukaschek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hohes Haus! Die grundsätzliche Einstellung der deutschen Bundesregierung zu den DPs läßt sich folgendermaßen umreißen. Nachdem der größte Teil der unter dem Hitlerregime Zwangsverschleppten ins Ausland abgewandert ist, verbleiben innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik noch etwa 250 000 Personen, die bisher von der IRO betreut wurden. Eine Auswanderung dieser Personen ist aus den verschiedensten Gründen nur noch beschränkt möglich. Bei verschiedenen Anlässen ist von deutscher Seite ausdrücklich erklärt worden, daß wir es als eine selbstverständliche Pflicht betrachten, für diese DPs in gleicher Weise zu sorgen wie für unsere eigenen Heimatvertriebenen. Denn es handelt sich um Menschen, die das gleiche Schicksal zu tragen haben.
Zu der Frage, inwieweit eine rechtliche Verpflichtung der Bundesregierung bestehe, kann heute noch keine Stellung genommen werden, da mit der Beendigung der Tätigkeit der IRO Verhandlungen insbesondere mit den Hohen Kommissaren noch stattfinden werden, deren Zuständigkeit nach dem Besatzungsstatut für diesen Personenkreis gegeben ist. Wenn wir die Betreuungspflicht anerkennen, setzen wir aber das Verständnis des Auslandes voraus, daß wir aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln das Gesamtproblem der Vertriebenen nicht befriedigend lösen können und daß uns daher das Ausland eine Mithilfe nicht versagen darf.
Zu der Verteilung der DPs kann ich nur das eine sagen: sobald die Frage der Zuständigkeit mit den Hohen Kommissaren gelöst ist, wird es eine besondere Sorge der Bundesregierung sein, die DPs in angemessener, ihre Verhältnisse berücksichtigenden Form auf die verschiedenen Länder zu verteilen. In dieser Beziehung sind bereits Vorstellungen bei den Hohen Kommissaren wegen der besonderen Belegung Bayerns erfolgt. Denn dort sind durch das enge Zusammenwohnen mit den vielen Sudentendeutschen auch gewisse politische Reibereien möglich. Auch in dieser Beziehung wird die Bundesregierung tun, was nur in ihren Kräften steht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat bereits die Annahme der Anträge der Bayernpartei im wesentlichen empfohlen. Auch die Bundesregierung steht diesem Problem durchaus wohlwollend gegenüber. Ich brauche mich daher zu den beiden ersten An-
trägen nicht zu äußern. Dagegen würde es in Bayern nicht verstanden werden, wenn der dritte Antrag, der die gleiche Belegungsdichte für verschleppte Personen wie für die deutsche Bevölkerung vorschlägt, abgelehnt werden würde. Wenn die Bundesregierung es für richtig hält, diesen Antrag in dem Gesamtantrag über die Regelung der Quartierleistungen einzuschließen, so kann das der Bundesregierung vorbehalten bleiben. Jedoch darf auf keinen Fall eine Ablehnung dieses Antrages erfolgen.
Es ist eine Politik der Militärregierung gewesen, die DPs immer mehr von Norden nach dem Süden zu verlagern. Bayern hat zur Zeit in Lagern 111 000 DPs und in Privatwohnungen 70 000 DPs, die 52 000 private Wohnräume in Anspruch nehmen.
Wenn wir nun die Forderung aufstellen, daß sie eine gleichmäßige Belegungsdichte wie die deutsche Bevölkerung haben sollen, so bedeutet das bei einer Belegung von zwei Personen auf einen Wohnraum, wie sie die deutsche Bevölkerung aufweist, eine Ersparnis von 17 000 Wohnräumen oder einer Bausumme von etwa 100 Millionen Mark. Das ist ein Objekt, das für uns eine ganz große Rolle spielt, insbesondere da Bayern seit der Währungsreform allein für die DPs 176 Millionen DM an Ausgaben gehabt hat.
Der Antrag trägt auch keinerlei Spitze irgendwelcher Art in sich. Denn die Zusammensetzung dieser 70 000 DPs ist folgende. Es sind 26 000 Polen, 6 000 Russen, 3 000 Rumänen, 9 000 Ungarn, 6 500 Letten, 4 000 Tschechen, 7 500 Jugoslawen und 8 000 Staatenlose.
Ich glaube, es wäre falsch, in Bayern den Eindruck zu erwecken, daß auch in der Zwischenzeit — es kann noch ein oder zwei Jahre dauern, bis die IRO-Betreuung wegfällt — nicht eine gleichmäßige Verteilung des Wohnraums vorgenommen würde. Wie gesagt, man soll es dann der Regierung überlassen, ob sie diese in das Gesamtabkommen einbezieht oder ob man ein besonderes Abkommen mit der IRO abschließt. Aber es würde in Bayern als untragbar bezeichnet werden, wenn der Bundestag diesen Antrag ablehnen würde. Ich bitte daher, den Antrag in der Fassung der Bayernpartei anzunehmen.
Das Wort hat gemäß Artikel 43 des Grundgesetzes als Mitglied des Bundesrats Herr Minister Dr. Pfeiffer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, Hohes Haus! In seinen letzten Sätzen hat der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Heimatvertriebenen von der besonders starken Belegung Bayerns gesprochen. Damit hat er ein Wort ausgesprochen, das absolut zutrifft. Das Problem der DPs stellt nämlich für Bayern ein Problem von einer Härte und einer Schwere dar wie wohl in keinem anderen Land. Wir wissen, daß sich die - ich möchte sagen — Konsolidierung der IRO von Norden nach Süden vollzieht. Daraus ergibt sich nun eine besondere Stauung in Bayern und in etwas geringerem Umfang in Württemberg.
Die Geschichte der DPs. in Bayern ist nicht .nur für die DPs, sondern insbesondere für Bayern und seine Bevölkerung eine Leidensgeschichte, in der sehr, sehr viele bittere Tatsachen zu Lasten der bayerischen Bevölkerung zu verzeichnen sind. Den Einzelheiten, die der Herr Antragsteller vorhin mitgeteilt hat, brauche ich nichts weiter hinzuzufügen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß die IRO alles, was sie innerhalb Deutschlands in Anspruch nimmt, mit der Begründung fordert, daß das deutsche Volk auf diese Weise einer Wiedergutmachungspflicht genüge. Nun geht es aber doch nicht an, die daraus erwachsenden Lasten in so ausgeprägter Weise auf dem Gebiet von einem oder eineinhalb deutschen Ländern zu konzentrieren und zu kumulieren. Aus diesem Grunde würde die bayrische Staatsregierung es sehr begrüßen, wenn der Bundestag dem bayrischen Volke Verständnis für diese besondere Lage entgegenbrächte, indem er den Antrag Drucksache Nr. 87 annimmt.
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Meine Damen und Herren! Das Problem der sogenannten DPs beunruhigt seit Jahr und Tag unsere Bevölkerung. Es ist deshalb an der Zeit, auch in diesem Hause die Dinge beim Namen zu nennen und zu dieser Angelegenheit richtige Maßnahmen vorzuschlagen und zu ergreifen.
Worum handelt es sich bei den verschleppten Personen? Es handelt sich in erster Linie um Leute, die Hitler und seinen Quislingen gedient haben, und Personen, die sich an ihrer eigenen Nation und ihrem Volke vergangen haben. Ein großer Teil dieser DPs gehörte der SS, dem SD oder der Gestapo an. Die wirklich von Hitler verschleppten Personen sind längst nach ihrer Heimat zurückgekehrt oder sind bestrebt, nach dort zurückzukehren; sie werden allerdings zum Teil durch die westlichen Besatzungsmächte daran gehindert.
Warum befinden sich die anderen Verschleppten immer noch hier? Weil sie bestimmten westlichen Militärregierungen Dienste leisten! Weil sie in den Kriegsplänen der Westmächte eine bestimmte Rolle spielen! Sie befinden sich noch hier, weil man sie als Streikbrecher und Terrorgarde in Westdeutschland gebrauchen will. Es gibt eine ganze Menge Instruktionsmaterial, das sehr bezeichnend dafür ist, wie man diese Leute für den zukünftigen Kampf gegen die deutschen Arbeiter instruiert. Man beläßt sie hier, weil sie dem Anti-Kommunismus dienen. Sie befinden sich noch hier, weil man sie als Herd der Zersetzung und als Hort der konterrevolutionären Umtriebe benutzen will und auch benutzt. Hierfür gibt es eine Fülle von Beispielen in der Auslandspresse.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das weitere Verbleiben dieser Personen in Westdeutschland? Einige Beispiele von vielen!
In Mainz werden in einem deutschen Betrieb von deutschen Arbeitern Schnellboote gebaut. Die Zusammensetzung erfolgt in Speyer durch Ausländer. Abgesehen davon, daß die Kriegsproduktion in Deutschland verboten ist, - wem dient das? So frage ich Sie.
In Prüm wurde das Munitionsdepot, das vor einigen Monaten explodierte, von Ausländern bewacht. Am Tage der Explosion war die Wachmannschaft total betrunken.
Deutscher Bundestag. — 10. Sitzurig. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1940 555
— Ich spreche zum Antrag.
Abgesehen von der Tatsache, daß es verbrecherisch ist, ein solches Depot am Rande einer Stadt anzulegen, waren die Folge davon Tote, Verwundete und eine Stadt in Trümmern, und alles zu Lasten des deutschen Volkes. Die Ursache dieser Katastrophe ist bis heute noch nicht geklärt, und die Schuldigen, die zu finden wären, sind bis jetzt noch nicht gefunden.
In Kaiserslautern, inmitten der französischen Besatzungszone, befindet sich ein großes Militärlager der Amerikaner für Bomben, Tanks, Geschütze und andere Kriegswerkzeuge. Die Bewachung setzt sich aus verschleppten Personen zusammen. Abgesehen von der Gefahr, die sich daraus für unsere Bevölkerung ergibt: Kein Tag vergeht, an dem nicht in Kaiserslautern Zusammenstöße mit diesen DPs stattfinden.
Das ist also die eine Seite, die eine Bedrohung des Friedens ist. Auf der anderen Seite steht eine Bedrohung unseres Volkes. Eine sehr oberflächliche Statistik besagt, daß seit dem Jahre 1945 über 175 000 Einbrüche, Diebstähle, Erpressungen auf das Konto der sogenannten verschleppten Personen kommen.
Hinzu kommen Zehntausende Raubüberfälle, Hunderte Morde. Dafür ein Beispiel aus Hunderten! Allein für die Stadt Ulm ergibt sich für die Zeit vom 20. September bis zum 5. November folgende Bilanz: 8 Raubüberfälle, 1 Mord, 2 Mordversuche und 31 Einbrüche. Nach einem mir vorliegenden Bericht wurde bei einer Besichtigungsfahrt durch neun Dörfer in den Kreisen Minden und Bückeburg folgendes festgestellt. Es wurden dort für 15 Millionen D-Mark Werte vernichtet. 1945 mußten die Dörfer fast ausnahmslos geräumt werden, um 16 800 heimatlose Ausländer in den 713 Häusern und Gehöften unterzubringen. Die Bevölkerung mußte in den entfernt liegenden Dörfern unterkommen. 1945/46 wurden in der Umgebung der „Polendörfer" — so nannte man sie im Volksmunde — nachweislich 13 Morde, 500 Raubüberfälle und Zehntausende von Einbruchsdiebstählen verübt; 27 Großbrände vernichteten zahlreiche Gehöfte und Scheunen. Insgesamt betrug der Schaden über 15 Millionen D-Mark. Ein Kommentar dazu ist überflüssig.
Nicht anders sieht es aus in Vörde in Nordrhein-Westfalen. Die Wohnungen und Einrichtungen waren nach dem Abzug der Verschleppten vollständig demoliert, aber die Bevölkerung wurde mit Bettelpfennigen abgespeist.
So geht das nach unserer Auffassung nicht mehr weiter, und zwar um so weniger, als der Vertreter der Umsiedler Hermann in Dachau von diesen Verschleppten überfallen und mißhandelt wurde. In Ulm wurde das Parteibüro der Kommunistischen Partei von diesen Verschleppten überfallen und demoliert. Man soll ja nicht glauben, daß das nur bei den Kommunisten stehenbleibt; es gibt eine ganze Reihe von Anzeichen, und zwar auf Grund der Instruktionen, die diese Leute haben, daß in Zukunft auch andere Demokraten mit solchen Dingen von dieser Seite zu rechnen haben. Wir selbst werden uns in Zukunft zu schützen wissen.
Aber wie ist es mit Bevölkerung? — frage ich
Sie. Hier wäre eine dankbare Aufgabe für das
Innenministerium gegeben, einmal das Material über diese Vergehen und Verbrechen und über die Belastung zusammentragen, die unser Volk zu tragen hat. Aber anscheinend hat man dazu im Innenministerium wenig Zeit. Man sammelt dort um so fleißiger Material über die Kommunistische Partei und unerwünschte Demokraten.
Solche Zustände sind unmöglich. Während für die Kriegsversehrten, für die Witwen und Waisen, die Umsiedler und die Kriegsgefangenen angeblich kein Geld da ist, werden hunderte Millionen für den Unterhalt dieser verschleppten Personen ausgegeben. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß Tausende unserer Menschen in Kellern und Bunkern hausen, während 235 000 Wohnungen von verschleppten Personen bewohnt werden. Es ist unhaltbar, daß viele deutsche Studenten sich durchhungern müssen, während wir 400 000 DM für das Studium von verschleppten Personen aufbringen müssen.
Deshalb beantragt die Kommunistische Partei, die Anträge der Bayernpartei wie folgt abzuändern:
Die Bundesregierung wird beauftragt, mit der Hohen Kommission Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziele, alle sich zur Zeit noch in den Ländern der Bundesrepublik aufhaltenden DPs und Verschleppten aus dem Bundesgebiet zu entfernen.
Nächster Antrag:
Die Bundesregierung wird beauftragt, mit der Hohen Kommission Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, daß die zur Zeit von den Alliierten in Anspruch genommenen i Privatwohnungen und Hotelräume freigegeben werden.
Das ist nach unserer Auffassung der einzig richtige und mögliche Weg. Das Verschlepptenproblem ist ein Gefahrenherd für die Sicherheit der Bevölkerung. Wir wünschen und fordern aber Sicherheit für die Bevölkerung. Die Arbeiterschaft und die Angestellten haben keinerlei Interesse an einer solchen Streikbrechergarde. Wir wünschen deshalb den Abzug dieser Leute.
Das Verschlepptenproblem ist nach unserer Auffassung auch ein Gefahrenherd für den Frieden. Wir aber wünschen und fordern den Frieden. Wenn gewisse Westmächte an diesen Verschleppten interessiert sind, so steht es ihnen ja frei, sie in ihre Länder zu verschicken, sofern ihre Völker damit einverstanden sind.
Wir und unser Volk aber wünschen, daß diese Zustände im Westen so schnell wie möglich geändert werden. Deshalb bitten wir Sie, unseren Abänderungsanträgen zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Sitzung ist vereinbart worden, daß um 1 Uhr 30 unterbrochen werden soll. Ich frage Sie nun: Soll ich jetzt unterbrechen, obwohl noch zwei Redner zu diesem Punkte gemeldet sind, oder sollen wir nicht lieber diesen Punkt erst erledigen?
- Wir fahren also fort.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stahl.
556 Deutscher_ Bundestag. — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1949
Verehrte Männer und Frauen, ich werde mich kurz fassen; denn die Mittagszeit naht. Ich möchte nur zu den Anträgen Drucksachen Nr. 86 und 197 sprechen. Es handelt sich um die Requisitionen der Hotels und um die Frage des unterbelegten Wohnraums.
Man ist im Ausschuß von der Erkenntnis ausgegangen, daß einem großen Gewerbe, nämlich dem Fremdenbeherbergungsgewerbe, große Schwierigkeiten entstanden sind, speziell in Bayern. Über diese Nachteile, die durch die andauernden Beschlagnahmungen der Hotels und auch des privaten Wohnraums entstanden sind, wird außer in Bayern auch in anderen Ländern geklagt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einiges Grundsätzliche über das Fremdenbeherbergungsgewerbe sagen.
Das Fremdenbeherbergungsgewerbe ist das friedlichste aller Gewerbe, die überhaupt existieren.
- Gerade dieses, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in erster Linie imstande, Brücken zu den anderen Nationen zu schlagen. Dazu ist es bereit, und das wird es auch tun.
Wenden Sie nun bitte Ihre Aufmerksamkeit einmal nicht nur auf die bayrischen Gebiete, sondern auch auf meine Heimat, den Schwarzwald. Das ist ein Gebiet, das etwas unglücklich in der Südwestecke liegt, ein Gebiet, das Sie alle kennen unter dem Begriff des Ländchens Südbaden, also eines Ländchens, das in der heutigen Gestalt recht bald zu existieren aufgehört haben wird.
In diesem Lande liegt der Hochschwarzwald, liegt
der Bodensee, nebendran Süd-Württemberg. Dieses
Land hat - Sie müssen mir's glauben — in den Vorkriegsjahren zum großen Teil vom Fremdenbeherbergungsgewerbe gelebt. Der Fremdenstrom kam aus dem Norden und aus dem Land, in dem wir jetzt wohnen. Er hat den Motor in jenem Landesteil angekurbelt. Davon hat nicht nur der Fremdenbeherbergungsmann, der Hotelier, sondern davon haben weite Kreise des Handwerks, des Handels und der Industrie gelebt. Die Verwalter der Gemeinde- und Länderfinanzen können ein Wort davon reden.
Ich möchte Ihnen nur einmal an Hand eines einzigen Beispiels zeigen, daß es so nicht mehr weitergehen darf. Ich greife einen Hotelbetrieb heraus, der dem einen oder anderen von Ihnen vielleicht ein Begriff ist. Das ist das Hotel auf dem Feldberg in 1200 Meter Höhe, das Hotel Feldberger Hof. Dieses Hotel war im Kriege als Lazarett beschlagnahmt und ist nun seit 1945 bis zum heutigen Tage requisitioniert.
- Es ist nicht nur ein Luxushotel gewesen, meine Herren von der Linken, sondern dort hat auch der einfache Wandersmann stets und ständig Unterkunft gefunden. Wer dieses Gebiet kennt, weiß das. Der deutsche Steuerzahler zahlt für diese eine Requisition pro . Monat 37 000 DM Requisitions-gebühren. Dieses Hotel hat in den vergangenen vier Jahren keine Umsatzsteuer, keine Gewerbesteuer, keine Einkommensteuer und keine Kurförderungsbeiträge gezahlt, alles eine Folge dieser Beschlagnahme. Die Beschlagnahme hat erreicht, daß dem badischen Staat und den dortigen Gemeinden jedes Jahr rund eine halbe Million Mark an Geldern verlorengegangen ist. Das Hotel ist im Augenblick von ganzen zehn Gästen belegt. Zur
Betreuung dieser zehn Gäste stehen in dem Hotel 84 Angestellte zur Verfügung. Das ist in der heutigen Zeit ein Unsinn. Sie können mir vielleicht erwidern: im Sommer wird es anders gewesen sein! Das trifft zu; aber zur Beherbergung der Gäste stehen 250 bis 260 Betten zur Verfügung, und selbst in der Hochsaison im Sommer war das Hotel nur mit etwa 120 bis 130 Personen belegt.
Nach vier Jahren Besatzungszeit haben wir wohl ein Recht, die Hohen Kommissare zu bitten, daß sie diesem rechtlosen Zustand ein Ende bereiten. Wir wollen, daß die deutsche Wirtschaft wieder rollt. Dann muß man uns aber auch die Möglichkeit geben, die Wirtschaft dieses Gebiets durch die Hebung des deutschen Fremdenverkehrs selbst anzukurbeln. Es handelt sich hier nicht nur um Hotels, Steuern und Mehrung der Wirtschaftskraft. Es handelt sich nach diesen vier Jahren Nachkriegszeit darum, daß unsere junge Demokratie auch bei der Jugend wieder an Ansehen gewinnt. Ich meine, es wäre eine Geste des Vertrauens angesichts der Not unserer Bevölkerung, wenn man diese Requisitionen beenden und auch den unterbelegten Wohnraum wieder an unsere Bevölkerungsschichten zurückgeben würde. Hierzu mögen die beiden Anträge Drucksachen Nr. 86 und Nr. 197 Wegbereiter sein. Die Bundesregierung möge den Hohen Kommissaren sagen, daß es an der Zeit ist, dieses Unrecht wieder gutzumachen.
Als letzter Diskussionsredner hat Herr Abgeordneter von Thadden das Wort.
Meine Damen und Herren! Mit Rücksicht auf den Magen, der befriedigt werden will, kann ich mich ganz kurz fassen.
Ich glaube, es wird keiner vermuten, ich stünde der KPD nahe. Aber einiges - das möchte ich betonen — von dem, was der Sprecher der KPD hier vorgetragen hat, ist unserer Ansicht nach nicht von der Hand zu weisen.
Ich bitte, den Herrn Abgeordneten nicht durch Zurufe zu unterbrechen.
Man redet von Verschleppten, und man redet andererseits auch von Zwangsverschleppten. Ich glaube, daß, wenn man von Zwangsverschleppten spricht, man die Millionenzahl der Flüchtlinge genau so als Zwangsverschleppte ansprechen könnte. Nach meiner Auffassung besteht aller Anlaß, diese Menschen, die zum Teil — ich weiß das aus eigener Anschauung, ich war noch bis 1947 in Polen — nur deswegen hier sind, weil sie dort drüben wegen krimineller Delikte gesucht werden,
unseren aus dem Osten Vertriebenen absolut gleichzustellen; irgendwelche Vorzugsregelungen sind heutzutage nicht mehr angebracht.
Wenn wir für diese zwangsverschleppten oder verschleppten Personen sorgen sollen und das auch tun wollen gegenüber denjenigen, die eben in
dieses Terrorregime, das drüben herrscht, einfach nicht zurückkehren können, ohne Angst haben zu müssen, daß sie dabei ihr Leben verlieren, dann haben wir auch das Recht, zu verlangen, daß sie sich unseren Lebensverhältnissen, wie sie durch die Anwesenheit der Flüchtlinge bestimmt werden, anpassen.
Nun wird hier gesagt, wir könnten da nichts machen, weil es sich um alliierten Wohnraum handele. Nun, nach unserer Auffassung sollte gerade deshalb die Regierung alles tun, um zu erreichen, daß dieser alliierte Wohnraum wieder deutscher Wohnraum wird, den w i r verteilen, und zwar für die Zwangsverschleppten genau so wie für unsere eigenen Leute. Ich möchte daher bitten, diesem Antrag der Bayernpartei so, wie er hier vorliegt, zuzustimmen und auf diese Weise dafür zu sorgen, daß für alle Menschen, die hier bei uns leben, in jeder Beziehung gleiches Recht gilt.
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Dr. Gerstenmaier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, zum Schluß zu sagen, daß der Ausschuß die Argumente, die hier sowohl von dem Herrn Sprecher der Bayernpartei als auch von dem Herrn Vertreter der bayerischen Regierung vorgetragen worden sind, in seinen Besprechungen sorgsam erwogen hat, aber mit großer Mehrheit der Überzeugung gewesen ist, daß trotz dieser guten Argumente der Antrag Nr.
87 abgelehnt werden sollte.
Ich darf hier nur mit zwei Sätzen noch auf folgenden Gesichtspunkt hinweisen. Das Ziel, das wir von der Aktivität der Bundesregierung in dieser Sache erwarten müssen, ist doch, daß möglichst viele DPs möglichst rasch aus Deutschland herausgebracht werden. Wir sind der Meinung, daß von unserer Seite nichts getan und die Bundesregierung zu nichts aufgefordert werden sollte, was dazu angetan wäre, die Erreichung dieses Ziels in irgendeiner Weise zu gefährden oder auch nur zu verzögern.
Wir fürchten, daß die beiden Herren Vorredner von der äußersten Rechten sowohl als auch von der äußersten Linken der Delikatesse, mit der die Sache zu behandeln ist, nicht ganz gerecht geworden sind. Auch wir haben ein menschliches Empfinden für die Richtigkeit und das Gewicht ihrer Argumente; wir haben das nämlich auch alles miterlebt. Aber wir sind der Meinung, daß es sich hier um ein internationales Problem handelt, das einseitig wahrgenommen wird, weil wir bis jetzt davon ausgeschlossen sind. Wir möchten aber, daß diese internationale Hilfsmaßnahme für die DPs plangerecht möglichst .schnell abgeschlossen wird, und wir haben darüber hinaus den Wunsch, alles zu tun, was von uns dazu getan werden kann, damit auch die deutsche Flüchtlingsfrage möglichst bald auf dieselbe internationale Ebene gebracht wird. Dazu scheint es mir nun nicht gerade eine besonders empfehlende Einleitung zu sein, wenn wir die Bundesregierung oder die Hohen Kommissare mit einem Antrag behelligen, wie er in der Drucksache Nr. 87 enthalten ist. Ich glaube deshalb auch im Sinne der Antragsteller zu argumentieren, wenn ich meine Bitte wiederhole, dem Beschluß des Ausschusses
stattzugeben, den Antrag Drucksache Nr. 87 abzulehnen, die beiden anderen Anträge aber anzunehmen.
— Danke schön!
Meine Damen und Herren, zur Abstimmung! Ich lasse über den Antrag Drucksache Nr. 85 abstimmen, mit dem die Drucksache Nr. 196 zusammenhängt, die den Antrag des Ausschusses enthält.
Zunächst habe ich über einen Abänderungsantrag der Fraktion der KPD zur Drucksache Nr. 85 abstimmen zu lassen, den ich nochmals verlesen will. Er lautet:
Die Bundesregierung wird beauftragt, mit der Hohen Kommission Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, alle zur Zeit noch in den Ländern der Bundesrepublik sich aufhaltenden DPs unverzüglich aus dem Bundesgebiet zu entfernen.
Wer für die Annahme dieses Abänderungsantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 196. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Ich lasse abstimmen über den Antrag der Bayernpartei, Drucksache Nr. 86. Auch hierzu liegt ein Abänderungsantrag der KPD vor:
Die Bundesregierung wird beauftragt, mit der Hohen Kommission Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, daß die zur Zeit von C den Alliierten in Anspruch genommenen Privatwohnungen und Hotelräume freigegeben werden.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 197. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Dann lasse ich über den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 198 abstimmen. Dies ist der Antrag, der dem Plenum die Ablehnung des Antrags der Bayernpartei Nr. 187 empfiehlt. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Der Antrag des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in eine Pause ein. Eine Reihe von Fraktionen hat das Bedürfnis, unmittelbar anschließend Fraktionssitzungen abzuhalten. Aus diesem Grund bin ich gebeten worden, den Wiederzusammentritt auf 16 Uhr anzuberaumen. Der Bundestag tritt um
16 Uhr wieder zusammen.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung wird um 16 Uhr 17 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung wird wieder eröffnet. Wir fahren in der Tagesordnung fort.
Ich bitte zunächst, von folgendem Kenntnis zu nehmen. Mit Rücksicht auf die stattfindenden Besprechungen haben die Beteiligten gebeten, die Punkte 8 und 8a, die wir heute früh noch eingefügt haben, zunächst zurückzustellen, bis die Vertreter der beteiligten Fraktion — es handelt sich in dem Fall um die FDP — zurückgekommen sind. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen.
Wir beginnen nunmehr mit Punkt 9 der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenbeihilfe für Heimkehrer .
Ich erteile dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Arndgen das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag Drucksache Nr. 121 haben sich die Ausschüsse für Arbeit, für Sozialpolitik und für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen in gemeinsamer Sitzung beschäftigt. Der Antrag verfolgt das Ziel, die Heimkehrer bevorzugt in Arbeit zu vermitteln. Sofern eine Vermittlung nicht gleich möglich sein sollte, soll dem Heimkehrer eine ausreichende Arbeitslosenhilfe gewährt werden. Bei diesem Antrag ist auf den Gesetzentwurf des Wirtschaftsrates des Zweizonengebietes hingewiesen worden. Nun ist zwar die Verordnung vom Jahre 1939, nach der bestehende Arbeitsverhältnisse durch Einberufung zum Heeresdienst nicht unterbrochen sind, noch in Geltung. Doch ist ein sehr großer Teil der damaligen Arbeitsplätze nicht mehr existent, so-daß das Gros der Heimkehrer sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen muß. Vielfach wird auch eine berufliche Umschulung notwendig sein.
Eine bevorzugte Arbeitsvermittlung und Berufshilfe ist für die Heimkehrer, die jahrelang nicht nur fern von ihrer Familie gelebt haben und leben mußten, sondern auch die gleiche Zeit außerhalb ihres Berufes standen, ein dringendes Gebot. Kann dem Heimkehrer nicht gleich eine Arbeitsstelle vermittelt werden, dann muß es als ein Akt der Gerechtigkeit betrachtet werden, ihm ohne Prüfung der Hilfsbedürftigkeit Arbeitslosenunterstützung zu gewähren, die nach einem angemessenen Wochenlohn errechnet wird.
Wohl haben in der Zwischenzeit die einzelnen Länder die Versorgung der Heimkehrer geregelt; doch sind diese Regelungen derart unterschiedlich, daß es unbedingt notwendig ist, sie zu vereinheitlichen. Die drei Ausschüsse haben daher den Antrag Nr. 121 etwas umformuliert und schlagen dem Hause vor, folgendes zu beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, dein Bundestag einen Gesetzentwurf über die Betreuung der Heimkehrer unverzüglich vorzulegen.
Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich danke zunächst dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und möchte noch hinzufügen, daß wir uns im Ältestenrat darüber klar geworden waren, daß gleichzeitig auch der Bericht zu Punkt 10 der Tagesordnung erstattet wird:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Kriegopfer- und Kriegsgefangenenfragen
über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung .
Ich darf daher im Einverständnis des Hauses dem Herrn Abgeordneten Pohle als Berichterstatter das Wort erteilen.
Meine Damen und Herren! Ein Kriegsgefangener, der nach Deutschland zurückkehrt, wird im Gespräch freudig ausrufen: Ich w a r gefangen. Wenn man mit diesem Kriegsgefangenen einige Wochen später wieder in ein Gespräch kommt, wird er einem sagen: Ich bin wieder gefangen, und zwar gefangen in einer Unzahl von Verordnungen und Anordnungen, gefangen von der wirtschaftlichen Not und einer vermauerten Berufszukunft, oft den niedrigsten Satz der Arbeitsfürsorge empfangend oder 80 Pfennig tägliches Krankengeld. Das verbittert den Menschen, und diese Verbitterung muß naturgemäß von dem Manne genommen werden. Von diesen Grundsätzen ging auch der Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 118 aus, der eine einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung fordert.
Über die Massenversammlung von Ausschüssen — drei Ausschüsse! - hat Kollege Arndgen schon berichtet. Mir bleibt übrig, von dem Sozialpolitischen Ausschuß und dem Ausschuß für Kriegshinterbliebene, Kriegsgefangene und Kriegsbeschädigte zu berichten, die sich beide mit diesem Antrag auseinanderzusetzen hatten. Wir haben in einer eingehenden Aussprache zu dem Antrag Stellung genommen und haben uns einmütig zu einer einheitlichen Regelung der Heimkehrerbetreuung im ganzen Bundesgebiet bekannt. Wir haben den Absatz 1 des Antrags Nr. 118 unverändert gelassen, sprechen aber in der Einleitung des Absatzes 2 von den Grundsätzen, die der Gesetzentwurf zu beachten hat. Die Grundsätze für das Gesetz, das von der Bundesregierung geschaffen werden muß und zu dem die Vorbereitungen im Gange sind, haben in Ziffer 2 folgende Änderung erfahren:
Die Heimkehrer sind bei der Zuweisung von angemessenem Wohnraum mit den in den seitherigen Gesetzen bevorzugten Gruppen gleichzusetzen.
Ziffer 3 ist durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Arndgen schon erledigt.
In Ziffer 4 haben wir gesagt:
Im Falle der Arbeitslosigkeit erhält ein Heimkehrer eine Unterstützung, berechnet nach
den Grundsätzen der Arbeitslosenversicherung und unter Zugrundelegung eines
Wochenverdienstes von mindestens 48 DM. Damit würde eine ungeheuerliche Menge von Unzuträglichkeiten, die sich bei der Heimkehrerbetreuung herausgestellt haben, aus der Welt geschafft werden.
Ziffer 5 lautet:
Ruhe- und Wartegelder sowie Renten von Heimkehrern sind mit größter Beschleunigung wieder zu gewähren.
Das ist unverändert geblieben.
Ziffer 6 hat eine Änderung erfahren, indem wir uns hier zu folgender Formulierung bekannt haben:
Dem Heimkehrer ist in jedem Fall der Versicherungsschutz der Sozialversicherung zu ge-
währen. Bei der Krankenversicherung ist ein Grundlohn von mindestens 200 DM zugrunde zu legen.
Auch hier Würden die Unzuträglichkeiten, die, wie ich schon angeführt habe, sich oftmals bei einem Krankengeld von täglich 80 Pfennig bemerkbar machen, aus der Welt zu schaffen sein.
Die Ziffer 7 hat eine Änderung erfahren, indem es dort heißt:
Soweit für die Schaffung neuer oder zur Sicherung bestehender Existenzen Mittel zur Verfügung gestellt werden, sind die Heimkehrer den Vertriebenen und Bombengeschädigten gleichzustellen.
Besonderen Wert legt der Ausschuß in Ziffer 8 auf folgendes:
Für die Niederlegung von Grundsätzen für die berufliche Ausbildung, Fortbildung und Umschulung der Heimkehrer ist besonders Sorge zu tragen.
Einem Knaben, der einberufen worden ist, nachdem
er vorher sein Notabitur gemacht hat, und heute im
Alter von 25, 26, 27 Jahren zurückkehrt, mussen
die ersten Schritte zu einem neuen Anfang und zu einer Berufsumschulung einheitlich im ganzen Bundesgebiet geebnet werden. Bei der Binnenwanderung, die wir als Folge der Umsiedlung gegenwärtig noch haben, spielt es auch eine Rolle, daß, wer in irgendeinem Land anfängt und mit seiner Familie umgesiedelt wird, auch in dem Aufnahmeland dieselben Bedingungen vorfindet.
In Ziffer 9 sagen wir, daß den Heimkehrern Vergünstigungen zu gewähren sind, die ihnen die Eingliederung in das wirtschaftliche Leben ermöglichen. Wir haben nicht konkreter dazu Stellung genommen, weil wir keine Steuersachverständigen sind. Wir hoffen, bei der Beratung des Gesetzentwurfs noch die Hilfe der Steuersachverständigen zu finden.
Der Ausschuß hat sich weiterhin mit der Frage beschäftigt, ob nicht durch eine Bezuschussung von Arbeitsplätzen, die für Kriegsgefangene zur Verfügung gestellt werden sollten, mit eine Teillösung des Problems herbeigeführt werden könnte. Bremen ist in dieser Angelegenheit vorangegangen. Wir wollen erst die Erfahrungen von Bremen auf diesem Gebiet abwarten, ehe wir hier eingehend und abschließend dazu Stellung nehmen.
Es bestand innerhalb des Ausschusses allgemein die Ansicht, die Bestimmungen des materiellen Inhalts ab 1. 10. 1949 in Kraft treten zu lassen und als Stichtag für den Spätheimkehrer den 1. 1. 1948 zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Auch nach Erlaß eines solchen Gesetzes wird sich das Einzelschicksal oft nur in harter Mitarbeit des Heimkehrers wenden lassen. Aber dieses Gesetz, in welchem die Grundsätze verankert sind, die ich soeben von den beiden Ausschüssen aus vortragen konnte, kann die Barrikaden mit beseitigen helfen, die dem Tätigwerden des Heimkehrers hinderlich im Wege stehen, und an Stelle der Verbitterung wieder Hoffnung setzen. Der Ausschuß ist der Meinung: mit der einheitlichen Ausrichtung der Heimkehrerfürsorge durch das angestrebte Gesetz mit den hier vorgelegten Grundsätzen schaffen wir im Heimkehrer — gleichgültig, ob er in München oder Kiel, Essen oder Stuttgart beheimatet ist, ob er aus Königsberg oder Breslau, Stettin oder Danzig stammt — das Gefühl: du bist als Deutscher in Deutschland willkommen geheißen worden, Deutschland in seiner Gesamtheit will dir
bei einem neuen Anfang helfend zur Seite stehen.
Meine Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne nunmehr die gemeinsame Aussprache über die Anträge gemäß Drucksachen Nr. 190 und 191. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Leddin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von den sozialpolitischen Aufgaben, die der Bundestag in Angriff nehmen muß, erscheint die Regelung der Heimkehrerbetreuung und die Schaffung eines neuen einheitlichen Versorgungsrechts für die Kriegsopfer besonders vordringlich zu sein. Gegenwärtig haben wir auf dem Gebiet der Heimkehrerbetreuung den Zustand zu verzeichnen, daß in allen elf westdeutschen Ländern die Betreuung nach den verschiedensten Maßstäben und Richtlinien vorgenommen wird.
Aber selbst innerhalb der Länder bestehen dann
noch die verschiedensten Möglichkeiten in den einzelnen Städten und Gemeinden. Daß ein solcher Zustand nicht nur zu großen Ungerechtigkeiten und, Härten, sondern auch zu einer maßlosen Verbitterung der Heimkehrer führen mußte, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Hinzu kommt aber, daß ein großer Teil gerade der Spätheimkehrer so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten gefunden haben und daß sie ferner — und das gilt besonders für meine Landsleute, deren Heimat in den deutschen unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten liegt — eine völlig unzureichende Arbeitslosenunterstützung erhalten. Ihre Notlage wird noch dadurch verstärkt, daß auch ihre wohnliche Unterbringung nur in den allerseltensten Fällen gelingt und sie weiter in mehr oder weniger schönen Massenunterkünften untergebracht werden müssen, ohne die Gelegenheit zu haben, mit ihren Familienangehörigen, von denen sie viele Jahre getrennt waren, nun endlich vereint werden zu können.
Nach den mir vorliegenden zuverlässigen Berichten sind von den in den letzten Monaten zurückgekehrten Heimkehrern seit ihrer Entlassung über 30 000 ununterbrochen erwerbslos. Niemand wird sich der Tragik, des Schicksals dieser Menschen verschließen können, die durch jahrelange Gefangenschaft unter entsetzlichen Verhältnissen gedarbt und gelitten haben und nun auch heute wieder in völlig ungeklärten Verhältnissen leben.
Hier Wandel zu schaffen und diesen Menschen unter allen Umständen einen neuen Start für das Leben zu gewährleisten, wird Sache der Regierung und des Bundestages sein müssen. Wenn schon durch die gegenwärtigen Verhältnisse ihre Unterbringung im Arbeitsprozeß zur Zeit nicht möglich ist, dann wird durch eine über den Rahmen der sonstigen Leistungen hinausgehende Regelung in der Arbeitslosenunterstützung ein kleines Äquivalent geschaffen werden müssen. Das gilt auch für die zum größten Teil kranken Heimkehrer, bei denen sich die Einkommensverhältnisse vor ihrer Einberufung zum Herresdienst nicht mehr klären lassen und die daher nur eine kleine Krankenunterstützung beziehen. Sie bekommen zum Teil so niedrige Krankenunterstützung, daß oftmals die öffentliche Fürsorge zusätzlich Hilfe leisten muß. Das aber scheint mir ein unwürdiger Zustand zu
sein, den gerade diese Menschen nicht verdient haben. Auch dieser Zustand muß unter allen Umständen beseitigt werden.
Für die jüngeren, oftmals von der Schulbank eingezogenen Heimkehrer, die keinen Beruf erlernen konnten, muß durch wirklich ausreichende Beihilfe für ihre berufliche Ausbildung und für ihre Fortbildung und Umschulung Sorge getragen werden, und nicht zuletzt, ähnlich wie bei den Kriegsopfern, muß den Heimkehrern für mehrere Jahre eine besondere Vergünstigung in der Steuergesetzgebung eingeräumt werden. Für die selbständigen Existenzen müssen aber, ähnlich wie es in dem Antrag zum Ausdruck kommt, wie für die Vertriebenen und Ausgebombten Mittel für die Existenzschaffung und -sicherung in ausreichender Höhe bereitgestellt werden. Das Entlassungsgeld muß endlich einheitlich im gesamten Bundesgebiet so bemessen werden, daß den Heimkehrern neben der Anschaffung der notwendigsten Kleidung auch ein zusätzlicher Betrag für die Erholungszeit und zum Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verbleibt.
Diese Gedankengänge haben seinerzeit in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vom 14. Oktober ihren Niederschlag gefunden. Sie sind identisch mit einem großen Teil der Forderungen, die auch die Heimkehrer selbst in ihren Organisationen gestellt haben. Diese Aufgaben sind vordringlich und müssen schnell - so schnell wie möglich — durch Gesetz erfüllt werden.
Es bleibt dann immer noch eine ganze Anzahl von Fragen offen, wie etwa die Frage einer Entschädigung für die in den Verwahrungsländern geleistete, aber nicht entschädigte Arbeit auf das Konto der Reparationen. Diese und andere Fragen bedürfen einer eingehenden Prüfung. Aber das, was in dem sozialdemokratischen Antrag und in dem Antrag des Ausschusses für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen als Grundsätze herausgearbeitet wurde und was die Billigung aller Parteien gefunden hat, muß nun endlich schleunigst verabschiedet werden.
Sehr wichtig erscheint uns auch, daß die Regierung die Fortführung des Suchdienstes sicherstellt, der zum Erliegen kommen muß, weil die bisherigen finanziellen Quellen versiegten.
Bei der Anerkennung der auf diesem Gebiet geleisteten wertvollen Arbeit durch die großen Wohlfahrtsorganisationen gedenke ich auch der großen Leistungen vieler freiwilliger Helfer, und ich gedenke auch der Arbeit, die die Kriegsgefangenenhilfe der Sozialdemokratischen Partei geleistet hat. Aber dieses Gesetz muß über den Kreis der in Kriegsgefangenschaft geratenen ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht hinaus auch all die deutschen Männer und Jugendlichen, besonders aber die unglücklichen Frauen und Mädchen aus den alten deutschen Ostgebieten einschließen, die in den Jahren 1945 und 1946 von der Roten Armee und von den Polen unter den härtesten Bedingungen verschleppt worden sind.
Nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte zivilisierte Welt ist es eine erschütternde Bilanz, daß 41/2 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten neben Hunderttausenden ehemaliger Wehrmachtsangehöriger auch noch fast 60 000 deutsche Frauen und Mädchen sich in den Gewahrsamsländern befinden.
Wir können unser Befremden nicht verhehlen, daß die Bundesregierung, obwohl auch ihr die Dringlichkeit des Anliegens der Heimkehrer bewußt sein mußte, bis heute noch zu keinem Gesetzentwurf gekommen ist, der von allen Parteien — das möchte ich hier betonen — im Ausschuß als besonders dringlich bezeichnet worden ist. Bei aller Würdigung der Schwierigkeiten, die der Neuaufbau der Verwaltung sicherlich mit sich gebracht hat und die man auch unbedingt anerkennen muß, darf man aber nicht übersehen, daß die Bundesregierung in der Zwischenzeit viele Wochen auf einen mit größter Kraftanstrengung geführten Kampf um die Bundeshauptstadt verwendet hat, als wenn es sich dabei um eine entscheidende Lebensfrage für das Volk handelte, anstatt sich besser um dieses soziale Anliegen der Heimkehrer und Kriegsopfer zu kümmern.
Weder wir — noch der größte Teil des deutschen Volkes — haben Verständnis dafür, daß ausgerechnet das Beamtenrecht und einige andere sehr viel weniger wichtige Fragen von der Regierung dem Parlament unterbreitet wurden, anstatt endlich einmal auf sozialpolitischem Gebiet die Initiative zu ergreifen.
Wir möchten daher mit aller Entschiedenheit das
Verlangen stellen, daß die von dem Ausschuß erarbeiteten Grundsätze nunmehr sofort in einem
Entwurf der Regierung dem Bundestag zur sofortigen Beschlußfassung übermittelt werden, damit die ungeheure seelische und materielle Not der
Heimkehrer und Heimkehrerinnen in den wichtigsten Punkten, wenn nicht beseitigt, dann aber
wenigstens entscheidend gelindert werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sabel.
Meine Damen und Herren! Bei der Aussprache über die Heimkehrerfragen müssen wir die beiden vorliegenden Anträge auseinanderhalten. Zunächst geht es bei dem Antrag Drucksache Nr. 121 um die Frage der Arbeitsplatzbeschaffung und der eventuellen Unterstützung solcher Heimkehrer, denen ein Arbeitsplatz nicht zugewiesen werden kann, ganz besonders aber um die Möglichkeit, Heimkehrern, die auf Grund der Ereignisse der Vergangenheit keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen können, die Möglichkeit zu bieten, zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu kommen. Hier kann der dem Wirtschaftsrat bereits vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenhilfe für Heimkehrer als Verhandlungsgrundlage bei der Schaffung eines Heimkehrergesetzes dienen. Wir alle sind, glaube ich, der Auffassung, daß die Regelung der Frage vordringlich ist. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß in den meisten Ländern schon etwas geschehen ist. Ich habe den Eindruck: man sollte das, was in den einzelnen Ländern bisher schon eine Regelung erfahren hat, nicht ignorieren. Die Regelungen betreffen allerdings nur einen Teil der angeschnittenen Fragen, und es wird auch in den Ländern eine Regelung auf der Bundesebene gewünscht und erwartet.
Welche Maßnahmen sind im einzelnen zu treffen? Das Entscheidende ist wohl die Sicherstellung des Arbeitsplatzes für den Heimkehrer. Da-
her ist dieser Personenkreis vorzugsweise in Arbeits- oder Ausbildungstellen zu vermitteln. Hierbei darf der gesetzliche Anspruch auf den alten Arbeitsplatz nicht übersehen werden. Bei der Gelegenheit möchte ich auch einen Appell an die Arbeitgeber dieser Heimkehrer richten, soweit wie irgend möglich diesen Anspruch auf den alten Arbeitsplatz auch anzuerkennen, selbst wenn hierdurch die Notwendigkeit besteht, irgendwie Platz zu schaffen. Es gibt zweifellos die Möglichkeit, jemanden zur Seite treten zu lassen, der auf den Arbeitsplatz vielleicht nicht so stark angewiesen ist.
Eine weitere Aufgabe ist die Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten. Diese Aufgabe sollten wir, glaube ich, in aller Deutlichkeit erkennen und uns in Anlehnung an bereits gemachte Versuche sehr viel stärker darum bemühen, diejenigen, die berufslos sind, einem Beruf zuzuführen, da hierdurch ihre zweckmäßige Einordnung in das Wirtschaftsleben wohl am leichtesten ist.
Soweit nun die Zuweisung von Arbeitsplätzen nicht möglich ist, muß dem Arbeitslosen, wie ja hier schon bemerkt wurde. eine Unterstützung zugebilligt werden. Dabei soll man den Heimkehrer demjenigen gleichstellen, der Gelegenheit hatte, sich einen versicherungsmäßigen Anspruch auf Unterstützung zu erwerben. Richtig ist, daß für die Errechnung der Unterstützung ein Mindestverdienst zugrunde gelegt wird. Es ist allerdings
überprüfen, ob es zweckmäßig erscheint, hierbei einen einheitlichen Mindestverdienst festzulegen, oder ob man nicht schließlich auch die regionalen Unterschiede in der Lohnhöhe berücksichtigen sollte. Andere Erleichterungen, wie Fortfall der Wartezeit und Befreiung der arbeitslosen Heimkehrer von der Meldepflicht, sind zu befürworten.
Im Gegensatz zu dem Entwurf, der dem Wirtschaftsrat vorgelegen hat, sind wir der Auffassung, daß man bei der Finanzierung der Maßnahmen nicht auf die zweckgebundenen Mittel der Arbeitslosenversicherung zurückgreifen kann. Die Finanzierung muß vielmehr aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen, da es eine Sache der Allgemeinheit ist, dem Heimkehrer die notwendige Hilfe zu gewähren.
Über die Fragen der Arbeitsplatzbeschaffung und der Unterstützung hinaus harren weitere Probleme der Erledigung. Es ist eben schon einiges angedeutet worden. Die Frage der Gewährung eines Entlassungsgeldes, einer weitergehenden Hilfe in den Fällen, wo die Schaffung einer Lebensgrundlage den Einsatz weiterer materieller Mittel erforderlich macht, muß erörtert werden. Ebenfalls scheint es dringlich zu sein, auch dem Heimkehrer die Garantie zu geben, . daß ihm bevorzugt Wohnraum zugewiesen wird.
Aus den dargelegten Gründen empfiehlt meine Fraktion, zunächst einmal dem Antrag Drucksache Nr. 190 so, wie er gestellt ist, zuzustimmen.
Bezüglich der Drucksache Nr. 191 empfiehlt meine Fraktion, die Einleitung des Antrags zu ändern. Es heißt hier in dem Antrag:
Im Gesetz sind insbesondere folgende Grundsätze zu beachten.
Ich beantrage namens meiner Fraktion, hier die Formulierung zu wählen:
Im Gesetz sind nach Möglichkeit folgende Richtlinien zu beachten.
Zur Begründung möchte ich folgendes sagen.
Wenn wir dem Antrag, wie er hier vorgelegt ist,
stattgeben, binden wir das zuständige Ministerium zu stark. Wir sind der Auffassung, daß hier eine gewisse Bewegungsfreiheit zweckmäßig wäre.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß das zuständige Ministerium nicht so untätig war, wie es von meinem Herrn Vorredner eben dargestellt wurde. Ich habe gerade heute früh eine Zusammenstellung über die Regelungen in den einzelnen Ländern erhalten, die vom Ministerium gefertigt wurde. Ich muß Ihnen sagen: diese Zusammenstellung vermittelt mir doch die Erkenntnis, daß schon manches geschehen ist. Wir haben die Überzeugung, daß die Bundesregierung baldmöglichst einen Gesetzentwurf zur Regelung der Heimkehrerfragen vorlegen wird, weil auch sie die Bedeutung dieses Problems erkannt hat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Krause.
Meine Damen und Herren! Über die politische Aufgabe des Bundestags gegenüber den Heimkehrern brauchte in diesem Zusammenhang gar kein Wort mehr verloren zu werden. Mir kommt es im Hinblick auf die kommende Gesetzesberatung nur darauf an, die Ausführungen meiner Herren Vorredner durch einige Hinweise zu erweitern. Wenn meine Fraktion, die Zentrumsfraktion, den Antrag eingebracht hat, einen Gesetzentwurf über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenhilfe für Heimkehrer unter Verwendung des Vorschlags des Wirtschaftsrats zu unterbreiten, so deshalb, weil es uns darauf ankam und wir freuen uns darüber, daß das auch die Meinung des gesamten Plenums ist —, daß in dieser Frage unverzüglich gehandelt wird und die Vorlage beschleunigt erfolgt. Das wäre zu begrüßen. Die Heimkehrer draußen im Lande warten darauf, daß im Zusammenhang mit der kommenden Gesetzesarbeit auch die Frage der Zuzugsgenehmigung für Heimkehrer endlich einmal geregelt würde. Daher sollte die Bundesregierung bei der Alliierten Hohen Kommission die Aufhebung des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 vom 18. März 1946 wenigstens insoweit zu erreichen versuchen, als von den Bestimmungen über den Zuzug zu Brennpunkten des Wohnungsbedarfs die Heimkehrer betroffen werden.
Bei der Gelegenheit bitten wir den Herrn Bundesminister für den Wohnungsbau, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, damit die Heimkehrer bei dem Wohnungsbauprogramm, das die Bundesregierung angekündigt hat, nun, nachdem sie jahrelang hinter Stacheldraht gesessen haben, nach Möglichkeit bevorzugt behandelt werden.
Im übrigen bitten wir die Bundesregierung, auch darauf zu achten, daß nichts geschieht, was dazu führen könnte, Heimkehrerheime, aus welchen Gründen auch immer, gerade jetzt zu schließen, da neue Heimkehrertransporte zu erwarten sind. Grundsätzlich sind wir uns alle darüber einig, daß in der Heimkehrerfrage schnell und unverzüglich gehandelt werden muß. Die Heimkehrer draußen warten darauf!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion stimmt dem Bericht des Ausschusses zu. Heute sind in diesem Hause einmal mehr sehr viele schöne, unverbindliche Worte über das Schicksal der Kriegsgefangenen gesprochen worden. Bei der Beurteilung dieser Vorlage ist es unsere Pflicht, das Propagandistische abzutrennen und das Reale, das Tatsächliche, das in diesem Vorschlag enthalten ist, herauszustellen.
— Ich komme, Frau Kalinke, nur Geduld!
Was hier los ist, das geht schon aus der kleinen Kontroverse hervor, daß nämlich dem Sprecher der CDU die Formulierung der zu beachtenden Grundsätze schon zu weit gegangen ist.
Er will sie umgewandelt wissen in „Richtlinien, die nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind".
Was steht nun in der Vorlage drin? Die Bundesregierung wird ersucht, ein Gesetz herauszubringen, in dem zunächst einmal die Frage des Entlassungsgeldes geregelt und in dem auch ein Überbrückungsgeld festgelegt werden soll. Was ist heute auf diesem Gebiet los? Das durchschnittliche Entlassungsgeld für einen Kriegsgefangenen beträgt 50 Mark. Das Überbrückungsgeld, das gewährt wird, bewegt sich in der Höhe von etwa 100, 110, 120 Mark bis zum Höchstbetrag von 300 Mark im Lande Hamburg. Entscheidend aber ist, daß dieses Überbrückungsgeld nur bei Vorliegen der Bedürftigkeit gewährt wird. Der rückgekehrte Kriegsgefangene wird also nach den Prinzipien unserer Wohlfahrtsbehörden erst einmal auf seine Bedürftigkeit hin überprüft. Es ist vielleicht sehr aufschlußreich, daran zu erinnern, daß, als wir Kommunisten in dem zuständigen Ausschuß die Forderung erhoben, dieses Überbrückungsgeld auch ohne Vorliegen der Bedürftigkeit zu gewähren, dieser Antrag von sämtlichen Mitgliedern dieser vereinigten Ausschüsse abgelehnt worden ist.
Wir sind der Meinung, daß, wenn man den rückgekehrten Kriegsgefangenen helfen will, dies nur auf der Basis eines Gesetzes geschehen kann, das ihnen einen Rechtsanspruch gewährt. Darum sind wir der Auffassung, daß das Problem der Betreuung der Kriegsopfer befreit werden muß vom Geruch der Wohlfahrtsämter und der Wohlfahrtstätigkeit.
In der Hauptsache handelt es sich darum, die Kriegsgefangenen wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern, ihnen Arbeit zu beschaffen. Darum halten wir es für richtig, die Betreuung grundsätzlich in die Hand der Arbeitsbehörden zu legen. Auch dieser Antrag ist im Ausschuß gegen unsere Stimmen abgelehnt worden.
Gehen wir nun einen Schritt weiter, kommen wir zu Ziffer 2! Das ist doch ein alter, bekannter Satz, den wir da lesen:
Die Heimkehrer sind bei der Zuweisung von angemessenem Wohnraum mit den in den seitherigen Gesetzen bevorzugten Gruppen gleichzusetzen.
Ja, was kauft sich der Kriegsgefangene dafür? Wie sieht es denn mit der bevorzugten Zurverfügungstellung von Wohnraum für die zu bevorzugenden Gruppen aus, etwa für die Gruppe der politisch Geschädigten? Die warten ja ebenfalls noch auf Wohnraum! Deshalb wage ich zu sagen, daß, genau wie
im Grundgesetz, diese Formulierung nichts anderes ist als eine leere wertlose Deklaration. Ehe das Problem des sozialen Wohnungsbaues nicht gelöst ist, kann man mit solchen Deklarationen den Obdachlosen und den Wohnungslosen nicht helfen.
Der dritte Grundsatz:
Der Heimkehrer hat grundsätzlich Anspruch auf seinen alten Arbeitsplatz.
Soweit er noch besteht, was in einer großen Zahl von Fällen nicht mehr zutrifft! Aber dann soll er von den Arbeitsämtern bevorzugt in Arbeit vermittelt werden. Heute morgen ist hier im Saal gesagt worden, daß 30 Prozent der in den letzten Monaten zurückgekehrten Kriegsgefangenen arbeitslos sind. Was kauft sich, so frage ich, der Kriegsgefangene für diese Deklaration in den Richtlinien? Nichts kauft er sich dafür!
Gehen wir noch einen Schritt weiter zu dem Problem der Unterstützung im Fall der Arbeitslosigkeit nach den Grundsätzen der Arbeitslosenversicherung. Anzuerkennen ist, daß hier zum ersten Mal das Prinzip verankert ist, daß ein bestimmter Wochenlohn zugrunde gelegt werden muß. Wir Kommunisten machen aber darauf aufmerksam, daß die Verpflichtung der Arbeitsämter, die arbeitslosen Kriegsgefangenen nach diesen Prinzipien zu unterstützen, nicht zur Notwendigkeit einer Beitragserhöhung führen darf.
Nun ein weiterer Grundsatz:
Ruhe- und Wartegelder sowie Renten von Heimkehrern sind mit größter Beschleunigung wieder zu gewähren.
Als wir in der vorvergangenen Sitzung uns über das Problem der Kriegsopferversorgung unterhalten haben, ist unwidersprochen festgestellt worden, daß bei den Versorgungsbehörden, das heißt bei den Dienststellen, die die Versorgungsanträge zu bearbeiten haben, Hunderttausende von unerledigten Anträgen schon seit Jahr und Tag liegen und daß diese Zahl von Monat zu Monat anschwillt. Was kauft sich der Kriegsgefangene dafür, wenn ihm hier rein deklamatorisch zugesagt wird, daß sein Antrag, sein Anspruch auf Pension und Wartegeld beschleunigt erledigt bzw. befriedigt werden soll?
Nun zu der Forderung:
Soweit für die Schaffung neuer oder zur Sicherung bestehender Existenzen Mittel zur Verfügung gestellt werden, sind die Heimkehrer den Vertriebenen und Bombengeschädigten gleichzustellen.
Was kauft sich der heimgekehrte Kriegsgefangene dafür, wenn er etwa nach den Prinzipien und Richtsätzen der Soforthilfe, des Hausrats- und des Beschaffungsgesetzes befriedigt wird? Wer wagt hier in diesem Hause zu behaupten, daß damit auch nur ein Bruchteil der Not der Heimkehrer behoben werden kann?
Ich komme zu dem letzten Problem, dem Problem, das seinen Niederschlag in Punkt 8 dieser Richtlinien gefunden hat:
Für die berufliche Ausbildung, Fortbildung und Umschulung der Heimkehrer ist besonders Sorge zu tragen.
Im Ausschuß hat uns der Vertreter des Arbeitsministeriums eine erschütternde Zahl genannt. Er hat uns gesagt, daß 27 Prozent der Heimkehrer vor ihrer Einziehung zur Wehrmacht weder eine Berufsausbildung hinter sich, noch ihre Schulung abgeschlossen hatten. Wir stehen also vor dem Problem, daß rund 30 Prozent der rückgekehrten Kriegsgefangenen heute aus Staatsmitteln ent-
weder umgeschult werden müßten oder daß ihnen die Möglichkeit gegeben werden müßte, ihre Berufsschulung überhaupt zu betreiben.
Alles in allem: wenn der Herr Berichterstatter seinen Bericht mit dem Satz eingeleitet hat, daß der Zurückgekehrte sagen konnte: ich war gefangen, und daß er dann nach wenigen Wochen des Aufenthalts in Westdeutschland sagen kann: ich bin wieder gefangen, dann meine ich, ist er nicht nur in dem Gestrüpp der bürokratisch-behördlichen Anordnungen gefangen. Er ist gefangen in der Not, in dem sozialen Elend, in der Erwerbslosigkeit, die im Gebiet der sogenannten Deutschen Bundesrepublik auf ihn wartet.
Herr Abgeordneter Renner, ich darf Sie unterbrechen. Es gibt keine „sogenannte" ¡Deutsche Bundesrepublik, sondern nach dem Grundgesetz: die Bundesrepublik Deutschland.
Ich nehme diese Belehrung hin. Ich . fürchte nur, daß wir über diesen Punkt nicht einig werden.
Ich schließe ab. Was hier zur Lösung des Kriegsgefangenenproblems konkret vorgeschlagen wird, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit fangen Sie die berechtigte Empörung in den Kreisen der Kriegsgefangenen nicht ab. Wenn Sie in der Zukunft noch einmal, wie das bisher nur von Ihnen getan worden ist, mit der Not der Kriegsgefangenen Propaganda treiben, dann nehmen Sie es uns bitte nicht übel, wenn wir Ihnen die Tatsache entgegenhalten, daß Sie bisher nichts oder kaum etwas zu ihren Gunsten getan haben und daß das, was Sie hier vorschlagen, weniger ist als ein Tropfen auf einen heißen Stein.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Sauerborn vom Bundesministerium für Arbeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für das Bundes-Arbeitsministerium darf ich Ihnen folgendes erklären.
Die Bundesregierung erkennt die Notwendigkeit des sozialen Schutzes der entlassenen Kriegsgefangenen an. Sie bejaht die Notwendigkeit der Vereinheitlichung dieses Schutzes, und sie erkennt ferner die Dringlichkeit der Regelung an. Sie arbeitet deswegen intensiv an dem Entwurf und wird ihn in kürzester Frist vorlegen. Wie der Herr Abgeordnete Sabel Ihnen bereits gesagt hat, haben wir schon heute morgen eine große Menge von einschlägigem Material, das für die Beratung dieses Gesetzentwurfes notwendig sein wird, vorgelegt.
Meine Damen und Herren, ich darf aber darauf hinweisen, daß die Mittel für die Durchführung dieses Gesetzes bis zum 1. April 1950, dem Beginn des ersten Haushaltjahres des Bundes, von den Ländern zur Verfügung gestellt werden müssen. Für uns sind daher Besprechungen mit den Ländern erforderlich. Diese Besprechungen werden erleichtert und beschleunigt, wenn der Antrag, den der Herr Abgeordnete Sabel soeben gestellt hat, angenommen wird. Ich darf Sie daher bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinka.
- Ich bitte sehr um Entschuldigung, Frau Abgeordnete!
Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich hatte nicht die Absicht, zu diesem Problem das Wort zu nehmen. Aber die Herren Vorredner haben es herausgefordert; da darf etwas nicht unwidersprochen bleiben. Denn ich sehe eine Gefahr für die Diskussion in der Zukunft. Wenn es um soziale Probleme und ihre Lösung geht, Probleme, die das ganze deutsche Volk angehen, dann ist es nach meiner Auffassung nicht gut, daß man einen solchen Antrag dazu benutzt, hier eine große Rede zu halten, wenn von vornherein feststeht, daß im Ausschuß alle Parteien gleichermaßen, getragen von derselben Verantwortung und vom gleichen Ernst, um die Lösung des Problems gerungen und mit dem gleichen Ernst auch das gleiche gewollt und veranlaßt haben.
- Das ist zwar anerkannt worden. Deshalb sollte man sich aber davor hüten, bei den Dingen, die als die große soziale Not unserer Gegenwart doch allen bekannt sind und uns allen nicht nur auf den Nägeln, sondern im Herzen brennen, sich zu irgendwelchen Debatten verleiten zu lassen, mit denen ich zwar sachlich restlos mit Ihnen, Herr Leddin, übereinstimme, bis auf den einen Punkt: Es ist nicht Schuld der Regierungsparteien, daß wir bei der Lösung der sozialen Probleme in so vielen Wochen praktisch nicht vorwärtskommen konnten. Nicht wir, auch nicht die Koalitionspartner haben den Antrag gestellt, über die Hauptstadtfrage eine Diskussion zu entfachen, die wir uns hätten ersparen können.
Daß ich mich nun noch mit den Ausführungen des Kollegen Renner beschäftige, geschieht nur deswegen, weil ich der Meinung bin, daß das Hohe Haus wissen sollte, von welchen Gesichtspunkten wir geleitet waren, als wir den Grundsatz der Bedürftigkeitsprüfung, vielmehr den Grundsatz der Prüfung in diesem Falle im Gegensatz zu unserer sonstigen Auffassung ablehnten. Der Grundsatz der Bedürftigkeitsprüfung, wie ihn die Wohlfahrt anwendet, und das, was wir hier nicht angewendet haben wollen, ist etwas ganz anderes. Dazu bitte ich Sie, Ihnen erklären zu dürfen, daß es uns im Ausschuß sehr ernsthaft darum ging, nicht etwa einen Sonderstand der Heimkehrer und nicht etwa ein sozialpolitisches Gesetz für Heimkehrer zu schaffen, das die Rechtsansprüche für Heimkehrer für alle Zeit festlegen sollte, sondern daß es uns vielmehr ein sehr ernstes Anliegen ist, die Heimkehrer so schnell wie möglich wirklich „heimkehren" zu lassen, das heißt, ihre Probleme nicht mehr einer besonderen gesetzlichen Regelung unterliegen zu lassen. Deshalb haben wir im Ausschuß gesagt, daß es bei der großen Not und Leere der Kassen in allen Ländern nicht darauf ankommen kann, alle n einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag zu geben, sondern daß das Problem nur so gelöst werden kann, daß der Sohn, der auf seinen Bauernhof, in seinen Handwerksbetrieb oder in seine alte Stellung
zurückkehrt, aufgenommen von der Familie, zurückkehrend in die Umgebung, die ihm eine gesicherte Heimkehr bieten kann, verzichten muß zugunsten des vertriebenen, des alleinstehenden Heimkehrers, der ohne Familienhilfe, ohne jede Sicherheit, ohne die alte Existenz, die ihn wieder aufnimmt, nun mit der großen Not der Zeit fertig werden muß.
Nur aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns im Ausschuß gegen Ihren Vorschlag gewandt, Herr Kollege Renner. Das muß um der Wahrheit willen gesagt sein, nicht etwa um verschiedenes Recht zu schaffen, sondern um wirklich denen grundlegend zu helfen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Aber nach dem gleichen Grundsatz soll der Staat von dieser Verpflichtung bei all denen befreit werden, denen die Möglichkeit der Hilfe — sei es über die Familie, über den Betrieb oder durch eigene Kraft — gegeben ist, um sich wieder auf ihre eigenen Füße zu stellen.
Es hat mich sehr gerührt, Herr Kollege Renner, daß gerade Ihre Partei sich so außerordentlich der Heimkehrer annimmt Ich darf an Sie die Bitte richten, daß auch Ihre Partei — --
Ich bin wirklich gerührt! Ich hoffe, daß Sie sich mit der gleichen Anteilnahme für die deutschen Frauen einsetzen werden, die noch nicht heimkehren konnten.
Der Vertreter der Regierung hat uns schon im Ausschuß gesagt, weshalb die Möglichkeit eines Sofort-Gesetzes - das heißt also die Vorlage eines Gesetzes innerhalb von 8 oder 14 Tagen - noch nicht besteht. Wir haben im Ausschuß die Regierung gebeten, dieses Gesetz nicht erst zu Anfang des neuen Jahres, sondern nach Möglichkeit noch im Monat Dezember zu verabschieden. Es ist uns zugesagt worden; es wurde uns auch zugesagt, daß die Besprechungen mit den Ländern schnellstens geführt werden sollen. Wir sollten uns angewöhnen — das ist der Grund, weshalb ich das Wort ergriffen habe —, bei so ernsten Problemen der deutschen Massennot darauf zu verzichten, irgendwelche Propagandareden zu halten,
sondern wir sollten nur die gegensätzlichen Auffassungen über den Weg darlegen. Über das Ziel werden wir sehr selten gegensätzlicher Auffassung sein. Wir sollten die gegensätzlichen Auffassungen über den Weg, der zu beschreiten ist, in die sachliche Atmosphäre der Ausschußarbeit verlegen.
Ich stelle noch einmal der Ordnung halber und aus Gründen der Höflichkeit fest, daß Frau Abgeordnete Kalinke — nicht Kalinka — das Wort gehabt hat und entschuldige mich.
Herr Abgeordneter Pohle hat das Wort.
Meine Damen und Herren, zu den guten Gepflogenheiten des alten Reichstags gehörte es, daß die Reden der Berichterstatter die kürzesten waren, und ich wollte nicht in die Unart verfallen, einen großen Vortrag zu dem gesamten Problem zu halten. Aber vielleicht war das auch nicht richtig, denn ich glaube, wir sind teilweise mißverstanden worden. Insbesondere der Herr Kollege Sabel, der ja diesem 3. Ausschuß vorgestanden hat, hat mich in der heutigen Sitzung sehr enttäuscht, und ich muß doch den Beschluß des Ausschusses nach dieser Richtung hin vertreten. Der ursprüngliche Antrag der SPD-Fraktion sah vor: „Im Gesetz sind folgende Gesichtspunkte zu beachten." Er war an sich sehr leger gefaßt, da aber in den beiden Ausschüssen sehr viele Kollegen und Kolleginnen vorhanden waren, die praktisch und aktiv in der Heimkehrerbetreuung tätig sind und die auch etwas die Bürokratie kennen, glaubten sie, man muß sie doch etwas fester binden, und so kam der Ausschuß dann zu der Formulierung, daß „im Gesetz insbesondere folgende Grundsätze zu beachten sind".
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier darum, daß der Ausschuß festgestellt hat: das ist grundsätzlich nötig; und daran können wir nicht vorbeigehen. Ich glaube, ich werde Sie nicht überzeugen können, ich möchte aber doch nicht den Augenblick vorbeigehen lassen, ohne Sie nochmal daran zu erinnern. Mein Kollege Renner hat mich ebenfalls enttäuscht. Er ist sonst in Ausschußsitzungen ein friedliebender Mensch, ein Mensch, mit dem man sich durchaus vernünftig unterhalten kann und der wertvolle Anregungen bringt. Aber im Plenum ist er mir doch sehr ein psychologisches Rätsel;
dann möchte ich nach seinen Ausführungen sagen:
Grüß mich nicht im Plenum, damit man nicht
merkt, daß wir uns kennen, Herr Kollege Renner!
Gewiß werden wir manches nicht so hundertprozentig erfüllen können, wie es uns vorschwebt; das soll uns aber nicht davon abhalten, das Möglichste in dieser Angelegenheit zu tun.
Herr Abgeordneter Pohle, Sie haben gegenüber dem Abgeordneten Renner den Ausdruck „psychologisches Rätsel" gebraucht. War das ein Werturteil?
Liegen noch weitere Wortmeldungen vor? — Herr Abgeordneter Sabel, bitte!
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur folgendes richtigstellen. Ich habe der gemeinsamen Ausschußsitzung der drei Ausschüsse vorgestanden, die sich lediglich mit der Drucksache Nr. 121 beschäftigte. Dieserhalb haben wir keine Abänderungsanträge gestellt. Bezüglich der Drucksache Nr. 118 habe ich an der Besprechung nicht teilgenommen, Herr Kollege Pohle; den Vorsitz hat der Herr Abgeordnete Richter gehabt. Wir haben nur anschließend an diesen Beschluß noch einmal die Frage überprüft und halten es für zweckmäßiger, nicht eine so bindende Marschroute vorzuschreiben. Ich bin doch der Meinung, man sollte sich hier verständigen können, und ich bitte, unserm Antrag stattgeben zu wollen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich stelle fest, daß damit die Aussprache geschlossen ist.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Ich stelle ausdrücklich fest, daß geklingelt worden ist, und zwar für das ganze Haus gleichmäßig.
Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag gemäß Druck-
sache Nr. 190. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich darf wohl feststellen: einstimmig angenommen.
Zu Drucksache Nr. 191 liegt ein Abänderungsantrag vor, den ich nach den Geschäftsordnungsvorschriften noch einmal vorlese:
In der Einleitung des Ausschußantrages erhält der zweite Satz folgende Fassung:
Im Gesetz sind nach Möglichkeit folgende Richtlinien zu beachten.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Meine Damen und Herren, ich glaube, wir werden auszählen müssen. Darf ich die Herren Schriftführer bitten auszuzählen. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Für den Abänderungsantrag 177 Stimmen, dagegen 121 Stimmen.
Damit ist der Abänderungsantrag angenommen,
und wir kommen nunmehr zur Abstimmung über
den Antrag Drucksache Nr. 191 unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Abänderung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich glaube: fast einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Bundesbahn .
Darf ich, ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort erteile, noch folgende geschäftliche Mitteilung machen. Es besteht Übereinstimmung im Hause, daß die Sitzung um 6 Uhr abgebrochen wird, weil Fraktionssitzungen notwendig sind. Die Fortsetzung der Sitzung wird, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, wie ich gleich vorschlagen möchte, morgen vormittag 9 Uhr 30 erfolgen. Darf ich das Einverständnis des Hauses insoweit feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch.
— Über die Tagesordnung werden wir uns nachher noch interfraktionell unterhalten. Ich habe keinen Widerspruch gehört; es ist demgemäß beschlossen.
Als Berichterstatter hat nun der Herr Abgeordnete Rademacher das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich in seiner vierten Sitzung mit dem Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend die Bundesbahn befaßt und dabei festgestellt, daß zu Teil 1 des Antrages im wesentlichen die 175 Millionen gemeint sind, die laut Beschluß des Wirtschaftsrates an den Etat des Bundes abzuführen sind. Es ist bekannt, meine Damen und Herren, daß dieser Betrag, der durchschnittlich 14 Millionen Mark im Monat ausmacht, in der prekären Situation der Bundesbahn seit Monaten nicht mehr gezahlt werden konnte. Es lag daher der Gedanke nahe, daß der Ausschuß dem Hohen Hause empfehlen würde, die vorläufige Streichung oder Stundung des Betrages zu beschließen. Da aber ein Betrag von einer solchen Höhe entscheidend in den ganzen Etat des Bundes einschneidet, empfiehlt Ihnen der Ausschuß, diese Ziffer 1 des
Antrages der Drucksache dem Haushaltsausschuß federführend mit der Maßgabe zu überweisen, daß der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und ebenso der Ausschuß für Verkehrswesen an- den Verhandlungen im Haushaltsausschuß beteiligt werden.
Ziffer 2 des Antrages befaßt sich mit den Massenentlassungen bei der Bundesbahn und deckt vollinhaltlich den Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, der vom Hohen Hause bereits mit der Entscheidung verabschiedet worden ist, daß bei der Bundesbahn vorläufig keine Entlassungen in größerem Umfange stattfinden, bis die Bundesregierung durch den Herrn Bundesverkehrsminister einen mündlichen und schriftlichen Bericht über die Situation bei der Bundesbahn vorgelegt hat. Der Ausschuß empfiehlt also, diesen Teil des Antrages für erledigt zu erklären.
Bei Ziffer 3 kann ich mich auf den Wortlaut beschränken, der in der Drucksache mit dem mündlichen Bericht vorliegt: „Ziffer 3 durch die verbindlichen Erklärungen des Bundesverkehrsministeriums, daß außer laufenden vertraglichen Verpflichtungen keinerlei neue Reparaturen der Deutschen Bundesbahn ins Ausland vergeben werden und auch keinerlei derartige Reparaturaufträge mehr ins Ausland gehen sollen, für erledigt zu erklären".
Ich darf dem Hohen Hause noch bekanntgeben, daß alle drei Empfehlungen vom Ausschuß einstimmig beschlossen wurden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag nach Drucksache Nr. 170. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun-
mehr zu Punkt 12 der Tagesordnung. Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an Ausschüsse .
Ich darf Sie bitten, diese Drucksache einmal zur Hand zu nehmen. Es sind da noch einige Korrekturen anzubringen. Der auf der ersten Seite der Drucksache 211 aufgeführte Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache Nr. 178, wird zunächst zurückgezogen, ist also auf der Sammeldrucksache Nr. 211 zu streichen.
Ferner ist gemäß Beschluß des Ausschusses der auf der zweiten Seite aufgeführte Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen, Drucksache Nr. 204, nicht an den Ausschuß für Sozialpolitik, sondern an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen.
Erfolgen noch weitere Berichtigungen dieser Drucksache Nr. 211? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann lasse ich unter Berücksichtigung der soeben von mir festgestellten Berichtigungen abstimmen. Wer für Drucksache Nr. 211 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
— Verzeihung! Die Abstimmung war bereits erfolgt. Ich gehe aber sofort darauf ein. Ich stelle zunächst fest, daß die Drucksache Nr. 211 in der
von mir bekanntgegebenen Fassung beschlossen ist.
Ich muß allerdings noch nachtragen, daß von seiten des Ausschusses für Verkehr bezüglich der Drucksache Nr. 201, die auf Seite 2 oben aufgeführt ist und bei der vorgesehen war, sie an den Ausschuß für Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten zu überweisen, nunmehr beantragt wird, diesen Antrag dem Verkehrsausschuß zu überweisen. Ich glaube, das können wir korrigierenderweise ohne weiteres machen, indem ich frage: Besteht Einverständnis im Hause darüber, daß dementsprechend verfahren wird? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist dementsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der BP betreffend § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung .
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Arndt zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und meine Herren! Ich glaube nicht, daß sich dieser sehr wichtige Punkt in 30 Minuten wird erledigen lassen. Da die Sitzung um 6 Uhr geschlossen werden soll, möchte ich deshalb anregen und auch beantragen, den Punkt 13 zurückzustellen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt zur Geschäftsordnung gehört. Wird das Wort gewünscht? Im allgemeinen ist es parlamentarische Sitte, daß einem solchen Antrag, wenn ihn eine große Fraktion des Hauses stellt, Folge geleistet wird. Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Darf ich dann das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß wir Punkt 13 zunächst zurückstellen? Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist demgemäß beschlossen.
Wir werden nun allerdings, Herr Abgeordneter Arndt, unter dem gleichen Gesichtspunkt sachlich und zeitlich etwas in Bedrängnis kommen, wenn wir, wie es beabsichtigt ist, die Punkte 14, 15 und 16 gemeinsam behandeln. Aber wir müssen einmal den Versuch machen. Es ist im Ältestenrat vorgesehen worden, daß die Einbringung der Anträge gemäß den Tagesordnungspunkten 14, 15 und 16 gemeinsam erfolgt.
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Gleichberechtigung der Frauen ;
Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend rechtliche Gleichstellung der Frauen ;
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung .
Ich darf zunächst die Herren Antragsteller fragen, ob sie eine Begründung geben wollen.
— Dann erteile ich zunächst das Wort zur Begründung des unter Punkt 14 der Tagesordnung aufgeführten Antrags, Drucksache Nr. 176. Wer wünscht das Wort? — Bitte, Frau Abgeordnete Nadig!
Meine Herren und Damen! In dem Artikel 3 des Grundgesetzes ist
verfassungsmäßig die Gleichstellung von Mann und Frau verankert. Damit hat endlich die Frau die volle rechtliche Mündigkeit erhalten. Ein langer Kampf ist hier vorausgegangen. Wurde doch der erste Antrag auf Gleichberechtigung schon 1895 im alten Reichstag gestellt. Das Hohe Haus hat jetzt die Aufgabe — bis zum 31. März 1953 läuft die Frist nach dem Grundgesetz —, den Gleichheitssatz Wirklichkeit werden zu lassen, ihm Leben und Inhalt zu geben, das heißt die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des zivilen, des Privatrechts und des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu vollziehen. Eine sehr große Aufgabe! Es ergibt sich daraus eine Fülle von Maßnahmen und Forderungen, unter denen zweifellos die Umgestaltung des Familien-, Ehe- und Güterrechts im Vordergrund steht. Dafür ein Beispiel.
Im deutschen Familienrecht ist der Mann das Oberhaupt der Familie. Ihm steht die alleinige Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Eheleben betreffenden Angelegenheiten zu. Die Frau hat sich seinen Entscheidungen zu fügen. An Stelle dieser Bevormundung der Frau muß die gemeinsame Entscheidung beider Ehegatten treten. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen.
Eine ähnliche Regelung wünschen wir auch für das Elternrecht. Auch hier soll die elterliche Gewalt auf beiden Schultern liegen.
Am reformbedürftigsten ist zweifellos das eheliche Güterrecht. Der gesetzliche Güterstand des Bürgerlichen Gesetzbuchs weist der Frau die Rolle eines bevormundeten Kindes zu. Die Verwaltung und Nutznießung des Vermögens der Frau steht dem Manne zu. Er ist berechtigt, das Vermögen der Frau in Besitz zu nehmen; er ist auch berechtigt, mit diesem Vermögen zu arbeiten, ohne seiner Frau Auskunft geben zu müssen. Der Frau ist praktisch jeder entscheidende Einfluß darauf entzogen. Das sind Paragraphen, die in klarem Widerspruch zur Gleichberechtigung stehen.
Die Gleichstellung von Mann und Frau muß aber auch im Beamtenrecht erfolgen. Die Bestimmung, daß Frauen nur bis zur Vollendung des 35. Lebensjahres ins Beamtenverhältnis überführt werden können, muß beseitigt werden. Ihre Beibehaltung wäre ein Verstoß gegen das Grundgesetz.
Von außerordentlicher Bedeutung ist die soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau. Frauenlöhne kann es nach der verfassungsmäßigen Verankerung der Gleichberechtigung nicht mehr geben. Es muß für gleichwertige Arbeit auch gleicher Lohn gezahlt werden. Es wird unsere Aufgabe sein, diesen. Grundsatz zur vollen Anerkennung zu bringen. Er ist nicht mit gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit erfüllt. Es gilt, der Frau den Weg in die leitenden Stellen und führenden Berufe wirklich freizumachen. Bis jetzt ist das Vordringen in diese Stellen immer nur einzelnen gelungen. Die noch vorhandenen Hürden müssen fallen.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß es eine verschiedenartige Behandlung der Beamten und Beamtinnen im beruflichen Aufstieg nicht mehr geben darf, zum Beispiel bei den Lehrern und Lehrerinnen. Ich denke an gewisse Vorgänge in Bayern, an die Sonderbehandlung der Lehrerinnen, sie im Schuldienst zurückzudrängen, unter anderem auch an den Erlaß des bayerischen Kultusministers vom 3. 8. 1949, der den Frauen bei der Wiedereinberufung ins Beamtenverhältnis
Deutscher Bundestag. — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1049 567
bestimmte Auflagen macht, die man vom Mann nicht fordert.
Das sind Bestimmungen und Maßnahmen, die zum Grundgesetz in scharfem Widerspruch stehen. Die Lehrerin, kurz jede Beamtin und Angestellte muß die gleiche Aufstiegsmöglichkeit haben wie der Beamte und der Angestellte.
Die große Aufgabe, ein lang geübtes Unrecht gegenüber der Frau wiedergutzumachen, hat jetzt dieses Hohe Haus. Sie, meine Herren und Damen, können das Gemeinschaftsleben auf eine höhere Ebene heben. Das ist eine Aufgabe, die sich lohnt. In diesem Sinne bitte ich Sie, unserer Drucksache Nr. 176 Ihre Zustimmung zu geben.
Ich darf mich noch einer Höflichkeitspflicht entledigen. Ich habe vorhin gesagt: Frau Abgeordnet Ladig, - in Wirklichkeit Frau Abgeordnete Nadig.
Unter Tagesordnungspunkt 15, Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend rechtliche Gleichstellung der Frauen, Drucksache Nr. 206, hat zur Einbringung des Antrages Frau Abgeordnete Thiele das Wort.
Meine Herren und Damen, gestatten Sie mir eine kritische Bemerkung zuvor. Der Antrag, bei dem es sich um die Änderung der Geschäftsordnung handelt, wurde mit der Bemerkung zurückgestellt, daß jetzt die 30 Minuten nicht mehr ausreichten, um eine so wichtige Sache zu behandeln. Ich stelle aber fest, daß die Frage der Gleichberechtigung der Frauen soeben zwischen Tür und Angel noch erledigt werden soll.
Da ist es „nicht so wichtig"!
Nun zum Antrag selbst. Die Vorlagen Nr. 176 und Nr. 177 der SPD-Fraktion und unser Antrag auf Drucksache Nr. 206 beschäftigen sich mit der Verwirklichung der im Grundgesetz Artikel 3 Absatz 2 deklarierten Gleichberechtigung. Im Parlamentarischen Rat ist die Forderung der kommunistischen Fraktion, den Rechtsanspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Jugendliche auch im Grundgesetz zu verankern, von allen übrigen Parteien abgelehnt worden. Aber im Protokoll des Parlamentarischen Rates ist bei diesem Beratungspunkt ausdrücklich vermerkt worden, daß in der Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" auch beinhaltet ist der Rechtsanspruch der Frauen auf Zahlung von gleichem Lohn bei gleicher Arbeit. Es kommt nun darauf an, diesem Verfassungsgrundsatz durch ein Gesetz auch Wirksamkeit zu verschaffen.
Von allen Forderungen, die die Frauen im Sinne der Gleichberechtigung erheben, ist dies eine der wichtigsten Forderungen. Denn heute stehen Hunderttausende von Frauen im Arbeitsprozeß, haben eine Familie zu versorgen und arbeiten unter Bedingungen, die wesentlich schlechter sind als die der Männer. Eine Weberin zum Beispiel, die im Stundenlohn arbeitet, bekommt nur 80 Prozent des Lohnes, den ein Weber für die gleiche Arbeit bekommt. In meiner Heimatstadt Wuppertal gibt es zum Beispiel eine große Textilfirma, die ihren Betrieb auf der Basis der Frauenlöhne fast als Frauenbetrieb aufgebaut hat. Daher ist auch das
Bestreben der Unternehmer, möglichst Frauenbetriebe oder Frauenabteilungen zu schaffen, damit keine Vergleichslöhne vorhanden sind, damit man aber Löhne geben kann, die sich auf der Ebene der unterschiedlichen Lohnstufe bewegen.
— Sie vergessen dabei aber, daß die Lebenshaltungskosten für die Frauen — —
Darf ich Sie einmal einen Moment unterbrechen. Ich glaube kaum, Herr Abgeordneter von Rechenberg, daß zwischen Ihnen und der Frau Abgeordneten Thiele ein väterliches Verhältnis besteht.
Ich bitte Sie, fortzufahren, Frau Abgeordnete Thiele.
Ich glaube, Herr Abgeordneter, Sie können nicht bestreiten, daß heute in einer ganzen Reihe von Betrieben wesentliche Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen vorhanden sind. Sie können auch nicht bestreiten, daß auf der Basis der unterschiedlichen Frauenlöhne Frauenbetriebe und Frauenabteilungen aufgebaut werden.
— Jawohl, aber in der „Betriebsnotwendigkeit" liegt, den Profit zu steigern.
Den Profit kann man damit steigern, daß man Frauen einstellt und ihnen weniger Lohn gibt als I den Männern.
Auf der Grundlage der ungleichen Löhne versuchen die Unternehmer ebenfalls, bei den Lohnverhandlungen prozentuale Lohnerhöhungen und nicht Lohnerhöhungen nach Beträgen durchzuführen. Durch die prozentualen Lohnerhöhungen auf dieser ungleichen Lohnebene verstärkt sich die Kluft zwischen den Männer- und Frauenlöhnen immer mehr.
Meine Herren und Damen! Nicht nur die strukturellen. Veränderungen der Bevölkerung nach den zwei Weltkriegen, sondern auch die ganze wirtschaftliche Entwicklung hat einen Stand erreicht, daß die Frauenarbeit aus der Gesellschaft überhaupt nicht mehr wegzudenken ist. Es ist auch nach den heute geltenden Rechtsbegriffen als unsittlich zu bezeichnen, daß Teile der Arbeiter wegen ihres Geschlechts oder Alters schlechter bezahlt werden als der andere Teil.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß das Grundgesetz in Verbindung mit dem Protokollvermerk aus den Beratungen des Parlamentarischen Rates die Grundlage für ein Gesetz im Sinne unseres Antrages ist.
Ich glaube, die Regierung wird durch die Schaffung eines solchen Gesetzes Gelegenheit haben, den Wahlversprechungen, mit denen Sie einen großen Teil der Frauen zu Ihrer Regierungspolitik an die Wahlurne gebracht haben, nun auch die Praxis folgen zu lassen. Wir jedenfalls werden interessiert sein, ob Sie Ihren Worten die Tat folgen lassen. Wir werden den Frauen in der Öffent-
568 Deutscher Bundestag. — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1049
lichkeit die Beratungen aus dem Ausschuß und auch aus diesem Bundestag zu Gehör bringen.
Meine Damen und Herren! Ich erteile nunmehr wie vorgesehen zunächst das Wort zur Einbringung des Antrages unter Tagesordnungspunkt 16, Antrag der Fraktion der SPD betreffend Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung, Drucksache Nr. 177.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung davon gesprochen, daß er beabsichtigt, im Ministerium des Innern ein besonderes Frauenreferat einzurichten. Die Schaffung eines solchen Referats wurde begrüßt. Es wurde allerdings von einigen Rednerinnen auch bereits darauf hingewiesen, daß ein solches Referat keineswegs genüge, um dem Grundsatz des Artikel 3, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau vorschreibt, Rechnung zu tragen. Meine politischen Freunde haben von jeher den Grundsatz der Gleichberechtigung für alle Gebiete des Lebens vertreten. Sie haben von jeher für Männer und Frauen die gleichen Möglichkeiten der Entwicklung und Entfaltung gefordert, und es freut mich aufrichtig, daß die Kollegin Kalinke in der Spezialdebatte zur Regierungserklärung uns als d i e Vorkämpfer für diesen Grundsatz anerkannt hat.
Unser Antrag geht nun von dem Gesichtspunkt aus, daß, wenn wirklich dem Artikel 3 entsprochen werden soll, dafür zu sorgen ist, daß in allen Stufen des öffentlichen Dienstes bei der Bundesverwaltung Frauen eingestellt werden, insbesondere auch in leitenden Stellen. Ich betone das Wort „leitenden" ganz besonders. Wir wünschen und fordern die verantwortliche Mitarbeit der Frauen in allen Ministerien entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und auch entsprechend ihrer Bereitschaft zur Mithilfe am Wiederaufbau Deutschlands. Das heißt also, wir wollen, daß den Frauen genau wie den Männern im öffentlichen Dienst dieselben Chancen gegeben werden. Wir denken dabei nicht nur beispielsweise an die Leitung der Abteilung Jugendwohlfahrt und Wohlfahrtspflege im Innenministerium. Wenn wir allerdings auch der Ansicht sind, daß gerade die Leitung dieser beiden Abteilungen Frauen vorbehalten bleiben sollte — ja wir würden es geradezu nicht verstehen, wenn man darauf verzichten wollte —, so denken wir dabei aber auch an alle anderen Ministerien, in denen Frauen entscheidend und verantwortlich mitarbeiten sollen, um wirklich den Gleichberechtigungsgrundsatz in diesem Punkt in die Praxis umzusetzen. Bis jetzt sind wir leider noch weit davon entfernt. Sie werden mir zugeben müssen, daß, wenn man bei Stellenbesetzungen die Wahl zwischen einem Mann und einer Frau hat, man immer wieder — wenn vielleicht auch die Frau in diesem Falle die Tüchtigere ist — den Mann vorziehen wird. In anderen Ländern gibt es weibliche Minister.
In anderen Ländern gibt es weibliche Diplomaten.
In anderen Ländern ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Bei uns, meine Herren und Damen, erregt die Besetzung eines solchen Postens durch eine Frau immerhin noch ein großes Aufsehen. Das wollte ich damit gesagt haben. Ich habe nicht gesagt, daß es dies bei uns nicht gibt.
Wir sollten es deshalb endlich lernen, die Leistung der Frau ohne jeden Vorbehalt nur als Leistung zu werten.
Gerade der öffentliche Dienst muß bei den Stellenbesetzungen vor allem von dem Motiv der Leistung geleitet sein, nicht zuletzt deshalb, weil der öffentliche Dienst dem öffentlichen Wohl zu dienen hat. Ich darf auch noch dazu sagen — und Kollegin Nadig hat es vorhin schon einmal angeschnitten —, daß wir unter gar keinen Umständen wünschen, daß etwa der Versuch unternommen wird, das materielle Recht der Frauen im öffentlichen Dienst in irgendeiner Weise zu schmälern. Wenn wir beispielsweise aus dem Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen gehört haben, daß trotz des Beamtengesetzes Nr. 15 in der Postverwaltung nicht ein einziger Angestellter zum Beamten gemacht worden ist mit der Begründung, daß dann 40 000 weibliche Angestellte in Frage gekommen wären, dann muß ich sagen, daß das eine Maßnahme gewesen ist, die sich ganz eindeutig gegen die Frauen gerichtet hat.
Es handelt sich in diesem Falle um die vielen weiblichen Postangestellten, die seit einer Reihe von Jahren treu ihren Dienst tun, denen man diese Möglichkeit nicht gegeben hat. Es wäre uns sehr interessant, einmal zu erfahren, wie man die Umgehung des Beamtengesetzes in dieser Hinsicht verantworten will.
Wir begrüßen selbstverständlich das Frauenreferat und glauben, daß, wenn hier die Aufgabe richtig gesehen wird, etwas Gutes im Interesse der Frauen dabei herauskommen kann. In den nächsten Jahren wird eine Reihe von Gesetzen verabschiedet werden müssen, die tief in das Leben der Frau eingreifen und die deshalb sorgfältiger Prüfung bedürfen. Dieses Frauenreferat sollte deshalb zu einer Art Forschungsstelle werden, um die Stellung der Frau in allen Bezirken des Lebens zu untersuchen und zu erforschen. Es handelt sich dabei sowohl um soziologische, rechtliche, bevölkerungspolitische wie um soziale, wirtschaftliche und kulturelle Probleme, die zur Diskussion stehen und die einer Lösung entgegengeführt werden müssen. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die die Frau in den Lebensbezirk des Mannes hineingeführt haben, die tragische Tatsache des eminenten Frauenüberschusses und die damit verbundene Notwendigkeit für die Frau, ihren Lebensunterhalt für sich und für ihre Familienangehörigen zu verdienen, verlangen von uns eine Festlegung der neuen Zustände im Recht und Gesetz.
Nirgends, meine Herren und Damen, ist der Kampf zwischen neuen Tatsachen und alten Gewohnheiten so tiefgehend und so unübersehbar wie auf dem Gebiet der Frauenarbeit und Frauenwertung. Hier zu untersuchen, zusammenzufassen,
bei der Gesetzgebung beratend mitzuwirken, das muß die Aufgabe dieses Frauenreferates sein. In den Vereinigten Staaten gibt es im Department of Labor ein Women-Bureau, das wertvolle Arbeit geleistet hat und heute noch leistet. Dieses Büro sollte uns beim Aufbau und bei der Schaffung dieses Frauenreferates als Anregung dienen.
Meine Herren und Damen, um nun unseren Antrag nicht in der Abgeschlossenheit des Kabinetts erledigt zu sehen, fordern wir in Punkt 3, daß nach Schluß eines jeden Kalendervierteljahres dem Bundestag ein schriftlicher Bericht über den Anteil der Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung vorzulegen ist. Das soll kein Mißtrauensbeweis sein. Aber wir glauben — und ich nehme an, daß alle Kolleginnen der Meinung sind —, daß die Öffentlichkeit und dabei ganz besonders die Frauen ein Recht darauf haben, unterrichtet zu werden, ja daß sie sogar darauf warten, zu hören, wieweit die Bundesregierung unserem Antrag entsprochen hat.
Eines, meine Herren und Damen, darf ich zum Schluß noch sagen. Wir würden es sehr begrüßen, ja wir erwarten es eigentlich, daß der Herr Bundeskanzler bei der Einstellung von Frauen — und ich meine dabei ganz besonders bei der Einstellung von Frauen in die leitenden Positionen — sich nicht nur politisch einseitig orientiert, sondern wir sind der Ansicht, daß es notwendig ist, daß er hierbei nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach der Leistung verfährt.
Ich bitte, daß unsere beiden Anträge heute hier zur Abstimmung kommen.
I Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Sie haben die Ausführungen der Antragsteller zu den Tageordnungspunkten 14, 15 und 16 gehört.
Mein Blick geht auf die Uhr. Es liegen bereits drei Wortmeldungen vor. Ich halte es nicht für richtig
— darf ich bitten, mich ausreden zu lassen! -, daß
wir jetzt noch den weiblichen Mitgliedern des
Hauses nun etwa ganze sechs Minuten zur Ver fügung stellen, um ihre Ausführungen zu machen. Mein Gefühl von Ritterlichkeit gegenüber den Damen
verbietet mir das. Außerdem sind wir uns darüber einig, wie ich inzwischen habe feststellen können, daß um 6 Uhr die Fraktionssitzungen beginnen. Ich möchte daher meinerseits dem Hohen Hause den Vorschlag machen, es bei der Entgegennahme der Begründungen der Anträge bewenden zu lassen und die Aussprache über diese Anträge morgen früh auf die Tagesordnung zu setzen.. Die Wortmeldungen, die bereits dafür vorliegen, gelten auch weiter. Darf ich in dem Sinne die Zustimmung des Hohen Hauses erbitten? Ich höre keinen Widerspruch, besonders nicht von männlicher Seite, was mir sehr wertvoll ist.
Zweitens, meine Damen und Herren, wird heute abend noch einmal eine Sitzung des Ältestenrates notwendig sein, weil sich durch den späteren Anfang der Sitzung von heute nachmittag wohl die Notwendigkeit ergeben hat, verschiedene Abänderungen der Tagesordnung vorzunehmen. Außerdem ist es bei dem derzeitigen Stand der Beratung der Tagesordnung zweifelhaft, ob wir etwa bis zum morgigen frühen Nachmittag fertig werden. Ich möchte deshalb die Damen und Herren des Ältestenrats darauf aufmerksam machen, daß ich heute abend etwa zwischen 8 Uhr 30 und 9 Uhr noch einmal durch den Lautsprecher den genauen Termin der Sitzung des Ältestenrats für die Neufestsetzung der Tagesordnung für die morgige Sitzung bekanntgeben werde.
Meine Damen und Herren! Ich unterbreche für heute die 19. Sitzung des Bundestags und berufe sie auf morgen früh 9 Uhr 30 wieder ein.
Mir wird soeben noch eine Mitteilung gegeben, daß die Fraktion der CDU/CSU um 18 Uhr Fraktionssitzung hat. Darf ich auch für andere Fraktionen ähnliches bekanntgeben? - Wenn das nicht der Fall ist, erkläre ich die Sitzung heute für geschlossen bzw. unterbrochen.
19. Sitzung
Zweiter Tag .
Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1949.
Aufhebung des Ausschlusses des Abg. Dr. Schumacher nach § 91 der Geschäftsordnung 572B
Geschäftliche Mitteilungen 572B
Umstellung und Abwicklung der Tagesordnung 572D, 587B
Renner 572D
Frau Dr. Weber 587B
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit in Verbindung mit der Fortsetzung der ersten Beratung eines Amnestiegesetzes (Antrag der Fraktion des Zentrums) (Drucksache Nr. 17) . . . . 572D
Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 573A, 586C
Dr. Reismann , Antragsteller 574D, 585B
Ewers . . . . . . . . . . 576C
Dr. Etzel 578A
Euler 579A
Leibbrand . . . . . . . 579D
Dr. Kleindinst . . . . . . 580C
Dr. Wahl 581A
Dr. Arndt 582A
Dr. Pfeiffer, Staatsminister und Leiter
der Bayerischen Staatskanzlei . 583B
Loritz 583D
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" . . . . 587C
Schäffer, Bundesminister der Finanzen 587C
Rische . . . . . . . . . 588B
Dr. Fink 589D, Erste Beratung des Entwurfs eins Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 (Drucksache Nr. 223) 590D
Schäffer, Bundesminister der
Finanzen 590D, 606A
Dr. Leuchtgens 593B
Rische 596B
Schoettle 598B
Dr. Pünder . . . . . . 602A
Dr. Dr. Höpker-Aschoff 604A, 607A
Schuster . . . . . . . . 605D
Informatorische Teilnahme von Ausschußmitgliedern des Bundestags an entsprechenden Ausschüssen des Bundesrats 601C, 604D
Dr. Dr. Höpker-Aschoff . . . 607A
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache Nr. 238) 607C
Dr. Bertram , Antragsteller . . 607C
Erste Beratung des Entwurfs eines Notgesetzes für die deutsche Hochseefischerei (Drucksache Nr. 221) in Verbindung mit ,den Anträgen der Fraktion der DP betr. Wiederaufbau der deutschen Hochseefischerei (Drucksache Nr. 218) und betr. Notlage der kleinen Hochsee- und Küstenfischerei (Drucksache Nr. 220) . . . . . . . . 610A
Dr. Mühlenfeld , Antragsteller 610B
Gundelach . . . . . . . 610D
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes Aber die Verkündung von Rechtsverordnungen 611B
Dr. Etzel , Berichterstatter . . 611C Dr. Kleindinst (CSU) 613A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 613B Dr. Reissmann (Z) . . . . . . . . 613C
Antrag der Abg. Dr. Middelhauve und Gen. betr. Steuerfreiheit für Weihnachtszuwendungen 614A
Dr. Middelhauve, Antragsteller . . 614A
Dr. Fink 616A
Loritz 616C
Mertins 616D
Antrag der Abg. Renner und Gen. betr
einmalige Winterbeihilfe für Erwerbslose 617A
Harig , Antragsteller . . . 617A
Sabel (zur Geschäftsordnung) 617D
Nuding (zur Geschäftsordnung) 618A
Antrag der Fraktion der BP betr. Stromlieferung . . . . 618B
Dr. Decker , Antragsteller . . . 618B
Dr. Wellhausen 619C
Stücklen 620A
Wönner 620C
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht über den- Antrag der Fraktion der FDP betr. Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung für Militärpensionäre und deren Hinterbliebene . 621B
Arnholz (zur Geschäftsordnung) 621B
Euler (zur Geschäftsordnung) 621C
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion des Zentrums und über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Wartegeld und Pensionen der ostvertriebenen Beamten 621D
Euler (zur Geschäftsordnung) 621D
Dr. Kather (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . 622A
Beschlußunfähigkeit und nächste Sitzung . 622D
Die Sitzung wird um 10 Uhr 16 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne erneut die 19. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen auf Grund einer soeben getroffenen Vereinbarung im Ältestenrat folgende Mitteilung zu machen. Die gemeinsame Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Vorsitzenden der SPD-Fraktion ist Ihnen bekannt. Ich hebe den Ausschluß des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher auf. Der Einspruch des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher ist somit gegenstandslos. Alle übrigen in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen gelten als erledigt, da ihre Voraussetzungen entfallen.
Ich bitte nunmehr den Herrn Schriftführer, die heute abwesenden Mitglieder des Bundestags zu verlesen.
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Scharnberg, Gengler, Dr. Mücke, Ziegler, Kuhlemann, Klinge, Wirths. — Auf Grund von Entschuldigungen fehlen die Abgeordneten Dr. Henle, Massoth, Dr. Laforet, Schüttler, Ludwig, Heinz Meyer , Kalbfell, Kurlbaum, Richter, Krahnstöver, Klabunde, Professor Dr. Baade, Zinn, von Knoeringen, Dr.
Veith, Blachstein, Schönauer, Aumer, Dr. Nöll von I der Nahmer.
Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß als Nachfolger des verstorbenen Herrn Abgeordneten Sewald Herr Abgeordneter Dr. Pferdmenges ins Haus eingetreten ist, den ich hiermit willkommen heiße und dem ich gute Zusammenarbeit wünsche.
Meine Damen und Herren, ehe wir zu Punkt 1 der Tagesordnung kommen,
darf ich folgende grundsätzliche Bemerkungen vorausschicken. Wir haben in der Tagesordnung eine Reihe von ersten Beratungen von Gesetzentwürfen. Wir haben uns gestern abend im Ältestenrat eingehend über die Art und Weise unterhalten, in der erste Beratungen und Ausführungen dazu bisher erfolgt sind. Ich kann Ihnen in Übereinstimmung mit einer einstimmigen Auffassung des Ältestenrats folgendes zum Ausdruck bringen. Bereits in der Geschäftsordnung ist vorgesehen, daß die Bemerkungen zu Gesetzentwürfen in der ersten Beratung sich lediglich auf grundsätzliche Gesichtspunkte beschränken sollen. Alle materiellen Bemerkungen sind Gegenstand der Aussprache in den Ausschüssen bzw. in der zweiten und dritten Beratung. Ich darf daher an alle Damen und Herren, die sich an der ersten Beratung der Gesetzentwürfe, die hier auf der Tagesordnung vorgesehen sind, beteiligen, die dringende Bitte richten, sich in ihren Ausführungen lediglich auf grundsätzliche Bemerkungen im Sinne der Geschäftsordnung zu beschränken.
Das vorausgeschickt, kommen wir nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfes eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit .
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! In der gestrigen Sitzung des Ältestenrats ist nicht nur eine Umstellung der offiziellen Tagesordnung für die Sitzung des gestrigen und des heutigen Tages vorgenommen worden, sondern man hat auch vollkommen neue Tagesordnungspunkte, Gesetzentwürfe, die uns buchstäblich erst in der letzten Minute, wie zum Beispiel das Amnestiegesetz, zugeleitet worden sind, auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn der Herr Bundestagspräsident hier erklärt, daß diese Änderung die einmütige Zustimmung im Ältestenrat gefunden habe, dann bin ich verpflichtet, dazu zu sagen, daß diese Einstimmigkeit auf Grund der von allen Mitgliedern des Älestenrats eingegangenen Verpflichtung zustande gekommen ist, diese Tagesordnung heute abzuwickeln. Ich erkläre das, um Bestrebungen, mit denen man rechnen muß, die heutige Sitzung etwa in den frühen Nachmittagsstunden zu Ende zu bringen, von vornherein unmöglich zu machen. Nur unter der Voraussetzung, daß die Tagesordnung restlos abgewickelt wird, verzichte ich auf mein formales Recht, Einspruch gegen diese umgeänderte Tagesordnung zu erheben. Das einzige, was bei unserer Arbeit bisher konstant war, ist sozusagen der dauernde Wechsel. Wir müssen darauf bestehen, daß die vorgesehenen, vorgelegten und genehmig-
ten Tagesordnungen auch erledigt werden. Wir haben zum Beispiel ein Interesse daran, daß unsere Tagesordnungspunkte, von denen einer jetzt schon durch drei Sitzungen weitergeschleppt worden ist, heute erledigt werden. Ich bitte Sie also, nicht mit Überraschungsanträgen auf Schluß der Sitzung zu kommen, wenn Sie nachmittags gegen 15 oder 16 Uhr müde werden sollten. Ich halte mich für verpflichtet, dies hier auszusprechen.
Meine Damen und Herren! Ich stelle in Ergänzung der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Renner fest, daß gestern abend im Ältestenrat darüber Einstimmigkeit bestand, bis in die Abendstunden zu tagen.
Wir treten also jetzt in die Aussprache zu Punkt 1 der Tagesordnung ein.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort zur Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit.
Meine
Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat
im Namen der Regierung schon bei seiner Regierungserklärung am 20. September angekündigt, daß die Bundesregierung die Frage eines Straffreiheitsgesetzes erwägt. Sie ist sich dabei durchaus der Bedenken gegenüber einer solchen gesetzgeberischen Maßnahme bewußt. Jedes Straffreiheitsgesetz ist ein tiefer Eingriff in die Rechtspflege, bringt mit sich die Gefahr der Erschütterung des Rechtsbewußtseins, des Bewußtseins der Verbindlichkeit des Rechts. Die Regierung hat sich trotzdem dazu entschlossen, weil sie der Meinung ist, daß unser Staat einen neuen Start hat und bei diesem Start abschließen soll, was an Wirrnissen hinter uns liegt. Die Jahre, auf die wir jetzt zurückblicken, waren Jahre des Übergangs und Jahre der wirtschaftlichen Erschütterung. Dadurch sind viele Menschen dazu verleitet worden, mit dem Gesetz in Widerspruch zu kommen, die sonst einer solchen Versuchung niemals erlegen wären.
Wir wollen keinen Generalpardon gewähren, wir wollen aber doch weitgehend eine Bereinigung durchführen, gerade auf dem Gebiete des Strafrechts.
Die Hauptfrage, die bei diesem Gesetz wie bei manchen anderen Gesetzen auftaucht, ist die Frage der Zuständigkeit des Bundes. Diese Dinge haben bereits im Bundesrat zu erheblichen Auseinandersetzungen geführt. Der Bundesrat hat nur mit einer knappen Mehrheit die Zuständigkeit des Bundes für diese Gesetzgebung bejaht. Die Bundesregierung nimmt auf Grund des Artikel 74 Ziffer 1 die Zuständigkeit des Bundes für ein Straffreiheitsgesetz in Anspruch, weil nach ihrer Überzeugung ein Straffreiheitsgesetz ein Teil der Strafsetzungsgewalt ist. Der Bund kann Strafgesetze erlassen. Er kann sie auch wieder aufheben. Er kann auch unter Aufrechterhaltung der Strafgesetze Straffreiheit gewähren und rechtskräftig erkannte Strafen durch einen Akt der Gesetzgebung erlassen.
Die Frage war schon unter der Herrschaft der Weimarer Verfassung bestritten. Aber auch dort hat sich die Rechtslehre überwiegend und auch der Reichstag selber auf diesen Standpunkt gestellt. Wenn bei verschiedenen Straffreiheitsgesetzen der Weimarer Zeit in der Präambel festgestellt wurde, daß diese Straffreiheitsgesetze mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen wurden, so war das nur eine vorsorgliche Maßnahme. Ich sage also: das Recht, Straffreiheit zu gewähren, ist ein Teil des materiellen Strafrechts und damit Sache des Bundes. Ich bin der Ansicht, daß auch die Fassung des Artikel 74 unseres Grundgesetzes, die von der Parallelbestimmung im Artikel 7 der Weimarer Verfassung wesentlich abweicht, die Bundeszuständigkeit rechtfertigt. Im Grundgesetz ist als konkurrierende Zuständigkeit des Bundes festgelegt: „Strafrecht und Strafvollzug", während in Artikel 7 der Weimarer Verfassung die Formulierung lautete: „das Strafrecht, . . . das gerichtliche Verfahren einschließlich des Strafvollzugs". Ich sehe die Änderung, die damit eingetreten ist, darin,
daß dem Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nicht nur das Wie des Strafvollzuges, sondern auch das Ob des Strafvollzuges als Zuständigkeit zugeteilt ist.
Mit der Erwägung der „Justizhoheit" kommt man diesem Problem nach meiner Meinung nicht nahe. Der Begriff der Justizhoheit ist mehrdeutig. Im Bundesstaat haben sowohl der Bund wie die Lander Justizhoheit. Sie haben beide Gesetzgebungszuständigkeit. Die Justizverwaltung ist zwar überwiegend Sache der Länder, aber zum Teil, soweit die oberen Bundesgerichte in Frage stehen, auch Sache des Bundes. Entscheidend ist, daß der Bund die Möglichkeit hat, durch die Gesetzgebung die Länder zu beschränken.
Das Straffreiheitsgesetz ist kein Akt der Rechtspflege, ist auch kein Verwaltungsakt wie etwa der einzelne Gnadenakt. Man kann auch das Straffreiheitsgesetz nicht als allgemeinen Gnadenakt bezeichnen. Das Straffreiheitsgesetz ist ein echtes materielles Gesetz. Das Bedürfnis, daß der Bund diese Frage einheitlich regelt, bedarf kaum der Begründung.
Ich will nur einzelne wesentliche Fragen, die bei dem Gesetz auftauchen, berühren, zunächst einmal die Frage des Stichtages. Bis zu welchem Tage sollen strafbare Handlungen unter das Straffreiheitsgesetz fallen? Die Bundesregierung schlägt Ihnen vor, den 12. September, den Tag, an dem der Bundespräsident gewählt und der neue Staat zum ersten Mal durch ein Symbol wieder in Erscheinung getreten ist, festzusetzen. Dagegen sind bei den Besprechungen im Bundesrat Bedenken erhoben worden. Man hat erklärt, man wolle zur Verhinderung späterer Amnestien keine „Thronbesteigungsamnestie". Ich halte diese Sorge nicht für begründet. Der Bundesrat selber hat die Versuche, den Stichtag auf den 23. Mai, den Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes, vorzuverlegen, abgelehnt, empfiehlt aber als Stichtag den 14. August, den Tag der Wahl zum Bundestag. Ich halte diesen Stichtag in seiner Auswirkung für schädlich, weil er weitgehend das Straffreiheitsgesetz entwerten würde. Wenn wirklich Bedenken bestehen würden, den 12. September zu wählen, möchte ich anregen, sich auf den 20. September zu einigen, den Tag, an dem der Herr Bundeskanzler die Straffreiheit in Aussicht gestellt hat.
Das Straffreiheitsgesetz soll möglichst einfache Tatbestände schaffen, auch in seiner Durchführung möglichst klar sein. Deswegen hat der Entwurf davon abgesehen, subjektive Voraussetzungen für die Straffreiheit oder weitgehende Ausschließungen der Straffreiheit zu normieren, zum Beispiel Notlage, besondere Zeitverhältnisse, besondere Würdigkeit zur Voraussetzung zu machen oder auf be-
sondere Eigenschaften wie Heimkehrer und Flüchtlinge abzustellen. Der Entwurf lehnt es auch ab, die Straffreiheit bei einer bestimmten Haltung; etwa „niedrige", „unehrenhafte" Gesinnung, auszuschließen, will auch nicht Täter des Straffreiheitsgesetzes für unwürdig erscheinen lassen, wenn sie vorbestraft sind, sondern will es lediglich auf die Höhe der Strafe abstellen.
Der Regierungsentwurf sieht vor, daß folgende Strafen unter die Straffreiheit fallen sollen — ob sie nun schon zu einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben oder ob eine Strafe in solcher Höhe zu erwarten ist —: Gefängnisstrafen bis zu einem halben Jahr oder Geldstrafen bis zu 2500 DM allgemein für kriminelle Handlungen. Herausgehoben davon sind nur sogenannte Wirtschaftsvergehen oder Verbrechen; diese sollen der Straffreiheit teilhaftig werden bei einer Strafe bis zu einem Jahr oder 5000 DM.
Der Bundesrat schlägt eine einheitliche Strafhöhe bei allen Taten vor, und zwar nur bis zu 6 Monaten Gefängnis und bis zu 5000 DM Geldstrafe. Dabei wird als Variante vorschlagen, die Ersatzfreiheitsstrafe für die Geldstrafe zugrunde zu legen, und zwar Amnestie bis zu 6 Monaten Ersatzfreiheitsstrafe, aber äußerstenfalls bis zu 5000 DM. Diese Frage muß im Ausschuß und am Ende von Ihnen entschieden werden.
Keine Amnestie soll auf jeden Fall gewährt werden für Reststrafen und für Dienststrafen. Es soll auch nicht im Wege der Straffreiheit die Löschung in den Strafregistern durchgeführt werden.
Ich will mir technische Einzelheiten, besonders in Erinnerung an das, was der Herr Präsident gesagt hat, ersparen. Die Frage der Gesamtstrafbildung ist kompliziert, wenn allgemeine kriminelle Handlungen von Wirtschaftsvergehen unterschiedlich behandelt werden.
Das Verfahren soll möglichst einfach gehalten werden. Deswegen hat der Vorschlag der Regierung kein Beschwerdeverfahren vorgesehen, wenn die Staatsanwaltschaft der Einstellung zugestimmt hat. Der Bundesrat will zwei Instanzen schaffen. Ich halte das nicht für nötig. Auf jeden Fall soll der Betroffene die Möglichkeit haben, wenn er seine Unschuld nachweisen will, die Durchführung des Verfahrens zu verlangen. Bei Privatklageverfahren ist es notwendig, auch im Sinne der Vereinfachung der Dinge, eine etwas primitive Kostenentscheidung zu treffen; in Abweichung von früheren Regelungen, die vorsahen, daß die Kosten angemessen verteilt werden sollten, mit der Folge, daß der Richter immer wieder in die Notwendigkeit versetzt wurde, den Tatbestand zu erheben und zu werten, sollen grundsätzlich die Gerichtskosten niedergeschlagen werden; im übrigen soll jeder Teil seine Kosten tragen.
Bedeutsam erscheint die Anregung, die bei Verfahren wegen übler Nachrede, wegen Verleumdung und wegen falscher Anschuldigung dem Verletzten die Möglichkeit zu geben, in einem objektiven Verfahren trotz der Einstellung des Strafverfahrens die Unwahrheit oder die Nichterweislichkeit der aufgestellten Behauptung dartun zu können. Denn es wäre, glaube ich, teilweise sehr bitter, wenn ein in seiner Ehre Verletzter nicht die Möglichkeit haben würde, durch einen gerichtlichen Spruch dartun zu können, daß die Verletzung seiner -Ehre ungerechtfertigt war.
Ich möchte nachträglich noch einen Punkt zur Debatte stellen, der mir erwägenswert erscheint.
Infolge der Wirrnisse der letzten Jahre leben viele Menschen illegal. Sie haben sich unter falschem Namen gemeldet, haben sich falsche Ausweispapiere geben lassen, haben gegen das Personenstandsgesetz, die Meldevorschriften und viele andere Bestimmungen verstoßen. Hier handelt es sich um Dauerdelikte, die also über den Stichtag hinweggehen und deshalb keinesfalls unter die Straffreiheit fallen können. Ich schlage vor, daß diese Handlungen im Wege der tätigen Reue der Straffreiheit unterstellt werden können. Ich schlage einen Stichtag bis zum 31. März nächsten Jahres vor. Im Falle der ordnungsmäßigen Anmeldung bis zu diesem Zeitpunkt würde Straffreiheit gewährt werden.
Unter Straffreiheit sollen auch Ordnungsstrafen fallen, und zwar bis einem Betrage von 10 000 DM.
Von der Straffreiheit sollen nach der Anregung des Regierungsentwurfes aus politischen Gründen, um die Notwendigkeit der Sauberkeit unseres Staates zu betonen, alle Vergehen und Verbrechen der aktiven und passiven Bestechung ausgenommen werden. Der Bundesrat hat sich dagegen ausgesprochen.
Auf jeden Fall sind auszunehmen alle Steuerdelikte wie auch die Verfehlungen gegen die Meldepflicht der Vorräte nach dem Soforthilfegesetz. Auf diesem Gebiet besteht die Möglichkeit der tätigen Reue. Wenn der Straffällige von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, besteht kein Anlaß, ihm darüber hinaus Straffreiheit zu gewähren.
Ich habe damit nur die wesentlichsten Punkte und Probleme, die in diesem Gesetzentwurf behandelt sind, berührt und darf mit der Bitte schließen, die Dinge zu beschleunigen. Leider stand der Gesetzentwurf unter keinem besonders glücklichen Stern. Aus technischen Gründen hat er sich sehr verzögert. Das Gesetz sollte schon längst unter Dach und Fach sein. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie heute zur Verweisung an den Ausschuß kämen und wenn der Ausschuß noch in dieser Woche die Vorlage durchberaten könnte, so daß bei der letzten Plenarsitzung vor Weihnachten die Möglichkeit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs bestünde.
Meine Damen und Herren! Da Punkt 2 der Tagesordnung thematisch den gleichen Gegenstand behandelt wie Punkt 1, bestand Einverständnis im Ältestenrat, daß die Punkte 1 und 2 gemeinsam behandelt werden sollen. Ich frage die antragstellende Fraktion, wer das Wort wünscht.
Ich bitte Herrn Abgeordneten Dr. Reismann, zu Punkt 2:
das Wort zu nehmen. Wir treten dann in die gemeinsame Aussprache zu den Punkten 1 und 2 ein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider etwas spät geworden, bis man zu der Beratung des Amnestiegesetzes gekommen ist. Zu den wichtigsten Umständen bei dem Erlaß dieses Amnestiegesetzes sollte es eigentlich gehören, daß es nicht monatelang vorher die Rechtspflege beunruhigt, bevor es beschlossen wird. Wir stehen
jetzt vor der Notwendigkeit, dieses Gesetz wenigstens noch vor Weihnachten zu verabschieden, das besser schon im Oktober beschlossen worden wäre.
Nun liegt uns, nachdem das Zentrum den Gedanken des Amnestiegesetzes angeregt hat, ein Regierungsentwurf vor, dessen Großzügigkeit in gewisser Richtung ich gern anerkenne. Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu wollen, die der Herr Justizminister angeregt hat, unterliegt es für unsere Fraktion keinem Zweifel, daß der Bund für dieses Gesetz zuständig ist. Aus dem Begleitbericht und der Begründung, die der Herr Justizminister soeben gegeben hat, haben wir entnommen, daß man sich sowohl im Bundesrat wie in Kreisen der Regierung ernste Gedanken über die Zuständigkeit gemacht hat. Wir haben von Anfang an die Zuständigkeit des Bundes für gegeben gehalten, weil unter die konkurrierende Gesetzgebung zumindest und in erster Linie die Strafrechtsgesetzgebung fällt und es sich bei dieser Amnestie um einen Gesetzesakt auf dem Gebiete des Strafrechts handelt. Wir haben auch keinen Anlaß, in diesem Punkte allzu ängstlich zu sein, da auch in der Weimarer Zeit, in der die Bestimmungen weniger eindeutig und klar vorlagen, schon Amnestien vom Reichstag beschlossen worden sind.
Nachdem sich nun sowohl. der Bundesrat wie auch die Regierung auf den Standpunkt der Zuständigkeit gestellt und damit unseren prinzipiellen Standpunkt anerkannt haben, ist die Frage nach dem Stichtag aufgeworfen worden. Man kann natürlich den Stichtag nicht in eine Zeit legen, in der die Menschen schon mit dem Erlaß einer Amnestie rechneten; das würde wie eine Aufforderung wirken, nun drauflos zu sündigen. Ob der Stichtag auf den 12. September oder aus der Sorge, es könnte sich sonst eine Thronbesteigungsamnestie einbürgern, auf einen anderen in der Nähe liegenden Tag gelegt wird, ist für unsere Fraktion ziemlich gleichgültig.
Wichtiger dagegen ist schon die Frage, wie hoch man den Strafrahmen bemessen soll, der von der Amnestie betroffen wird, und welche Ausnahmen man machen soll. Wenn man Ausnahmen macht — um damit zu beginnen —, so sind wir der Ansicht, daß man sie nicht so umschreiben dürfte wie hier, daß nämlich die Tatbestände der §§ 331 ff. — das betrifft ja die Bestechung zu pflichtwidrigen und nicht pflichtwidrigen Handlungen — allesamt und ohne jede Ausnahme von der Gewährung der Straffreiheit ausgeschlossen sein sollen. Wenn man auch darüber diskutieren kann, ob die Bestechung zu pflichtwidrigen Handlungen, die Gegenstand einer Bestechung waren, ausgenommen werden soll, so muß man sich aber gerade betreffs der Vergangenheit darüber klar sein, wie sehr mancher Beamte und Angestellte im übrigen einer Versuchung ausgesetzt war, von der man sich weithin nicht die richtige Vorstellung macht. Die Not des Selbstversorgers in der großen Stadt muß man sich einmal vor Augen halten und was dabei bei etwas bösem Willen und Denunziationen und vom grünen Tisch aus betrachtet nachher als eine solche Bestechung für nichtpflichtwidrige Handlungen aufgefaßt werden kann. Es ist schwer, hier eine Grenze zu ziehen — zugegeben —, und es kann üble Konsequenzen haben, wenn solche Sitten einreißen würden. Deshalb muß man sich hüten, die Amnestie in diesem Punkte zu weit zu ziehen. Das alles zugegeben! Aber solche Taten gänzlich auszunehmen, scheint mir der Situation der Vergangenheit, unter die man einen Strich ziehen soll, doch nicht gerecht zu werden.
Wir haben in dem Antrag der Zentrumsfraktion seinerzeit vorgeschlagen, die auf kriminellen Neigungen beruhenden strafbaren Handlungen von der Amnestie auszunehmen. Es ist dagegen eingewandt worden, daß dieser Sachverhalt und Tatbestand rein subjektiv sei, im Innern liege und deshalb schwer festzustellen wäre. Weil wir das anerkannt haben, haben wir von vornherein vorgeschlagen, die Delikte auszunehmen, die wegen ihrer Wiederholung ein Verbrechen darstellen. Wenn man das nicht will, sondern es allein auf die Strafe abstellt, dann allerdings kommt man zu dem nicht zu wünschenden Ergebnis, daß mancher echte Kriminelle von dieser Amnestie profitiert. Wir halten deshalb in diesem Punkte an unserem Vorschlage fest.
Uns scheint aber, daß man gerade dann, wenn man die echten Kriminellen ausnimmt, den Strafrahmen höher setzen kann. Jetzt sind von der Regierung nur vorgeschlagen Gefängnisstrafen bis zu 6 Monaten und Geldstrafen bis zu 2 500 D-Mark. Die Gefängnisstrafe von 6 Monaten könnte für normale Verhältnisse als ausreichend hoch geschätzt angesehen werden. Wir haben aber damals in der Zeit, um welche es sich hier handelt, nicht in normalen Verhältnissen gelebt, und jeder, der mit der Gerichtspraxis der damaligen Zeit zu tun hatte, weiß, daß der Rahmen von 6 Monaten durchaus keine feste Taxe bedeutete, sondern daß es mehr dem Zufall und dem Geschmack des Gerichts und der Praxis des jeweiligen Amtsrichters überlassen blieb, ob 4 Monate oder 8 Monate Strafe verhängt wurden. Man ging deshalb in all den Fällen zwangsläufig dazu über, eine höhere Strafe zu konzedieren, wo irgendein Wirtschaftsdelikt i eine Rolle spielte.
Aber diese Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung, von der ich eben sprach, betrifft nicht nur die Fälle von Wirtschaftsdelikten, sie betrifft auch andere Fälle, die am Rande gelegen haben. Ich bin der Ansicht, daß ein Strafrahmen von 6 Monaten nicht ausreichend ist, und gerade das macht es notwendig, die echten kriminellen Taten, nämlich Rückfallsverbrechen, allgemein von der Gewährung der Amnestie auszuschließen, weil wir sonst einen Zufallskreis von Personen erfassen würden.
Generell bin ich also der Ansicht: man sollte es bei einem Strafrahmen von einem Jahr belassen, und eine Notwendigkeit dafür ergibt sich auch noch aus folgendem Umstande. Es ist Ihnen wohl auch in den letzten Tagen und Wochen aus den Kreisen der an der Rechtspflege Interessierten Personen, aber auch von solchen, die von den Dingen betroffen sind, eine Fülle von Zuschriften und Drucksachen gerade bezüglich dieses Amnestiegesetzes zugegangen. Ich habe dabei festgestellt, daß sich einmal die Notwendigkeit ergab, die Amnestie zeitlich weiter zu erstrecken, als es in unserem ursprünglichen Zentrumsantrag beabsichtigt war. Wir waren dabei von der Notwendigkeit ausgegangen, die Dinge aus der Zeit nach 1945 zu bereinigen, in der Annahme, daß die Straffreiheitsvorschriften, seien es alliierte, seien es solche der Länder, die inzwischen ergangen waren, mit der Vergangenheit schon aufgeräumt hätten. Das ist aber, wie es sich jetzt herausstellt, keineswegs der Fall. Ich lese, daß in Süddeutschland beispielsweise eine Staatsanwaltschaft jetzt noch ein Verfahren gegen einen Mann
in Gang bringt, der in der Nazizeit unter Eid, als Zeuge vernommen, fälschlich in Abrede gestellt hatte, Hochverrat getrieben zu haben.
Also wenn der Mann jetzt noch vor Gericht gestellt werden muß, dann kann man gewiß sagen: es besteht natürlich die Möglichkeit, daß er hinterher, wenn er verurteilt worden ist, begnadigt wird. Aber es ist doch grotesk, jetzt noch ein solches Verfahren durchzuführen!
— Ja, aber von Ihrem witzigen Zuruf ganz abgesehen, meine Herren: wenn der Mann erst dieses ganze Prozeßverfahren durchlaufen muß — eine Niederschlagung kennt unser Recht nicht, und wir wollen sie beileibe nicht einführen -, so muß man doch berücksichtigen, daß das nicht nur e i n Fall ist. Wieviel solcher Dinge mögen noch passiert sein, andere, durchaus vergleichbare Dinge aus jener Zeit und nachher?
Ich habe bei der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfes schon darauf hingewiesen, daß sich jetzt manchmal eine Zusammenrottung der Gesellschaft der gestürzten Nazis ergibt, welche jetzt gegen die anderen losschießen mit Anzeigen nach § 164 des Strafgesetzbuches wegen wissentlich falscher Anschuldigungen, mit Verleumdungsklagen, mit Meineidsanzeigen und ähnlichen.
Für alle diese Fälle, erst recht aber wegen des zuerst erwähnten, wo sogar eine Meineidsklage in Frage kommt, wo der Mann übrigens sogar zugegeben hat — ich konnte den Sachverhalt nicht näher untersuchen —, daß er sich, als Zeuge vernommen, von der gegen ihn selbst gerichteten Beschuldigung des Hochverrats durch einen Falscheid befreit hat, wäre es absolut erforderlich, den Strafrahmen auf mehr als ein halbes Jahr auszudehnen.
Und jetzt frage ich Sie: Kommen Sie dann an der Notwendigkeit vorbei, die Gesinnung bei der Amnestie eine Rolle spielen zu lassen? Das war gerade das, was man an unserer Amnestie beanstandet hat. Ich habe gehört und gelesen: ja, daß das Zentrum die Gesinnungstäterschaft bei einer Tat mit politischem Hintergrund mit in Betracht zieht, ist ein Rückfall in nazistische Methoden und Anschauungen! Das hat beileibe mit Gesinnungstäterschaft nichts zu tun. Wenn aber aus solchen Gründen einer strafbar geworden ist, so verdient er eine andere Berücksichtigung als etwa ein rückfälliger Wegelagerer.
Ich bin also der Ansicht, daß wir in diesem Punkte statt' auf die Regierungsvorlage besser vielleicht auf den Antrag der Zentrumsfraktion zurückgreifen, bin der Ansicht, daß man die Gesinnungstäterschaft berücksichtigen, daß man den Strafrahmen höher setzen muß, der bei der Amnestie Berücksichtigung finden soll, und im übrigen auch gewiß nicht allzu ängstlich und nicht allzu kleinlich sein soll. Gerade bei dieser Amnestie handelt es sich darum, unter eine unheilvolle Periode der jüngsten deutschen Geschichte einen Strich zu ziehen, unter eine Zeit, in welcher manches nicht bloß mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe, sondern als allgemein menschlich verständlich zugedeckt zu werden verdient. Wir alle müssen an unsere Brust schlagen und sagen: wenn wir in der Lage gewesen wären, der manche ausgesetzt waren, über die die Gerichte schon den Stab gebrochen haben, so wäre niemand sicher, daß
er in der gleichen Versuchung nicht auch gefallen wäre. Ich denke da an die vielen Eigentumsvergehen, die in der Zeit vorgekommen sind, als die Leute ausgebombt, aus ihrer Heimat vertrieben durch die deutschen Länder zogen und nicht wußten, wohin sie ihr Haupt legen sollten. Sind das echte Kriminelle, wenn sie sich dann an anderer Leute Eigentum vergingen?
Der Herr Bundeskanzler selber hat in seiner Regierungserklärung, der Anregung unseres schon vorher eingereichten Amnestieantrages folgend, warme Worte gefunden und mit großem menschlichen Verstehen von einer Amnestie gesprochen. Ich würde es bedauern, wenn jetzt kleinlichere Gesichtspunkte, das Handeln um einen Monat oder einige Monate das herabwerten würden, was damals so großzügig begonnen wurde.
Im übrigen bin ich der Ansicht, daß die Beratungen unter allen Umständen noch im Monat Dezember zu Ende gebracht werden müssen, damit wenigstens zu Weihnachten, dem Fest des Friedens, diese Dinge geregelt sind und den Leuten, die deswegen in Unruhe sind, die Ruhe wiedergegeben werden kann.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung über die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung und erteile zunächst Herrn Abgeordneten Ewers das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist unzweifelhaft, daß Amnestien im Strafrecht und in der Strafjustiz grundsätzlich bedenkliche Einrichtungen sind, da sie den Strafrechtsanspruch des Staates, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung unabhängig von der Person grundsätzlich den Gesetzen entsprechend aufrechterhalten bleiben muß, gefährden. Es ist aber ebenso klar, daß bei besonderen staatsumstürzenden Anlässen Amnestien, die bei minderwichtigen Straftaten einen Strich unter die Vergangenheit ziehen, um der ganzen Nation ein neues Leben zu ermöglichen, angebracht und historisch von alters her begründet sind.
Solche Anlässe sind in der Vergangenheit unseres neuen deutschen Staatswesens schon zweimal verpaßt worden. Das erstemal nach der Kapitulation im Mai 1945, als unzweifelhaft, wie wir es alle erlebt haben, eine zwar sehr dunkle, sehr unklare, aber sicherlich völlig neue Zeit anbrach. Wenn damals ein deutscher Strafgesetzgeber vorhanden gewesen wäre, hätte er zweifellos über die Justiz der Vergangenheit sich zu Gericht gesetzt und unter vieles, was bis dahin an Strafen verhängt worden war, einen Strich gezogen. Der zweite Anlaß wurde bedauerlicherweise verpaßt, als die Währungsreform durchgeführt wurde und damit, was wir alle ja gleich einem Wunder erlebt haben, im Wirtschaftsleben unserer Länder tatsächlich eine völlig neue Ara heraufzog. Daß nicht gleichzeitig mit dem Währungsumstellungsgesetz mindestens für alle in der Reichsmarkzeit begangenen Wirtschaftsvergehen eine sehr weitgehende Amnestie erlassen wurde, ist tief bedauerlich und hat ohne Zweifel die Moral bei Beginn der neuen Zeit nicht gerade gestärkt, sondern viele moralische Übelstände in die Zeit der neuen Währung mit hinübergetragen.
Jetzt, nach der Bildung unserer westdeutschen Bundesrepublik, ist es allerhöchste Zeit, den Erwartungen der deutschen Menschen, daß die Vergangenheit irgendwie ausgebügelt und ausgefegt wird, Rechnung zu tragen. Nun ist eine Amnestie ihrem Wesen nach zwar ein Gnadenakt, jedenfalls ein Akt, der nicht aus reinen Rechtsgründen erfolgt, sondern der aus der Gnadensonne herabstrahlt. Wenn aber eine Amnestie, wie es in einer Demokratie gar nicht anders möglich ist, weil es keinen Selbstherrscher gibt, der von oben Gnade für die Allgemeinheit regnen lassen kann, durch ein Gesetz erlassen werden muß und erlassen wird, dann ist sie eben gleichzeitig ein Strafrecht, nämlich ein Recht, das in gewissem Umfange die Strafbarkeit ausschließt. Aus diesem Grunde hat meine Fraktion keine Bedenken, daß diese Amnestie, die sich in erster Linie auf Vergehen gegen das in allen Ländern gleicherweise geltende Strafrecht bezieht, sehr wohl Bundessache zu sein hat. Denn es wäre im höchsten Maße mißlich und unangebracht, wenn in einem Lande etwas, was in der Vergangenheit geschehen ist, nach wie vor bestraft würde, was in einem anderen Lande nicht mehr irgendwie gesühnt wird. Diese Rechtsungleichheit unseres einheitlichen deutschen Strafrechtes wäre nach unserer Auffassung geradezu unerträglich, allen Föderalismus vorbehalten.
So bejahen wir an sich die Zuständigkeit des Bundes und begrüßen die Amnestie als Ganzes, allerdings nicht ohne jedenfalls mein persönliches Bedauern, daß sie jetzt, wenn sie raschestens verabschiedet wird, erst zu Weihnachten kommt. Es ist richtig, so etwas mag wie ein Weihnachtsgeschenk wirken. Aber es wäre überaus bedenklich, wenn daraus im Volke etwa die Ansicht aufkommen könnte, als ob jeweils zu Weihnachten, zum Fest des Friedens, neue Amnestien in Aussicht stünden. Davon kann nach unserer Auffassung schlechterdings keine Rede sein. Dieses Zusammentreffen ist vielmehr rein zufällig und beruht auf der Zeitnot, in die wir mit unserer Gesetzgebung gekommen sind.
Im übrigen machen sich, glaube ich, die nicht Rechtsbeflissenen keine richtige Vorstellung davon, welch tiefe Störung unseres Rechtslebens durch das Ausbleiben dieser seit nunmehr bald einem Vierteljahr erwarteten Amnestie eingetreten ist. Die Rechtspflege und die Rechtsdisziplin der Gerichte haben schon jetzt schwersten Schaden erlitten. Es gilt im allgemeinen für den Anwalt als unwürdig, dilatorische Anträge zu stellen und den Ablauf eines geordneten Verfahrens durch irgendwelche Winkelzüge zu verhindern. Trotzdem hat jeder gewissenhafte Anwalt bei unwichtigen kleineren Straftaten — seiner Pflicht entsprechend, für seine Klienten zu sorgen — alles daransetzen müssen, um eine Hauptverhandlung und damit zunächst einmal eine Bestrafung, die ja ins Strafregister kommt, auch wenn sie nicht verbüßt wird, hintanzuhalten. Derartige Einbrüche in den normalen Ablauf der Rechtspflege sind für unsere Justiz außerordentlich schädlich, und so möchte ich dem Herrn Justizminister in jeder Beziehung beipflichten, wenn ich erkläre, daß diese Vorlage das Eiligste ist, was der Bundestag überhaupt verabschieden kann. Jeder Tag, den sie früher kommt, ist ein Heil für unsere Rechtspflege. Nur weil sie so unbedingt eilbedürftig ist, kann es überhaupt hingenommen werden, daß wir hier heute über eine Vorlage beraten, die vom ersten bis zum letzten Wort durchzulesen kein Abgeordneter dieses Hauses meines Wissens
bisher Gelegenheit hatte. Ich selbst habe lediglich die Protokolle des Bundesrats gesehen und mich daher darüber unterrichten können, welche Gesichtspunkte bei der zu erwartenden Vorlage maßgebend waren. Aber die Vorlage selbst finde ich heute morgen um 10 Uhr hier auf meinem Tisch liegen; sie kann also von niemandem durchgearbeitet sein, und schon deshalb erscheint es mir ausgeschlossen, in dieser Generaldebatte auf Einzelheiten einzugehen. Ich möchte mich insoweit daher nur auf einige ganz wenige Bemerkungen beschränken.
Mir ist es sehr zweifelhaft, ob es richtig ist, Disziplinarvergehen, also Beamtenvergehen, von der Amnestie vollständig auszuschließen. Wir haben hier im Wort berechtigte und außerordentlich warmherzige Dankeserklärungen gegenüber unserem unbestechlichen Beamtentum gehört. Es ist aber auch den braven Beamten in der Vergangenheit in der einen oder anderen Beziehung nicht möglich gewesen, ihren Dienst immer so zu verrichten, wie es gefordert werden muß. Daß man schlechthin gegenüber jeder kleinen Entgleisung eines Beamten keine Nachsicht üben will, daß man zu Ehren des Beamtenstandes überhaupt jedes kleinste Delikt, das mit irgendwelchen kleinen Strafen geahndet werden müßte, heute noch weiter verfolgen will, das bedauere ich; das ist meines Erachtens nicht der richtige Dank an unsere Beamtenschaft. Selbstverständlich sind diejenigen Disziplinarstrafverfahren auszunehmen, die eventuell mit einer Dienstentlassung enden könnten; aber alle übrigen Strafen, von der Geldstrafe bis zur Verwarnung oder zum Verweis, sollten meines Erachtens ebenso amnestiert werden wie kriminelle Delikte, und man sollte damit die Beamten nicht unter ein Sonderrecht stellen.
Ein anderer Punkt, der vielleicht nicht sehr viele trifft, aber von um so mehr die Gerechtigkeit störender Bedeutung ist, ist die Höhe der Geldstrafen, die hier amnestiert werden sollen. Geldstrafen haben bekanntlich das eigentümliche Gesicht, daß derselbe Strafausspruch nicht die gleich schwere Tat ahndet; das liegt in der Natur der Sache. Ein sehr reicher Mann wird in Geldstrafen ganz anders angefaßt als der normale Durchschnittsstaatsbürger, der eben auf normaler Basis sein Leben fristen muß. Wenn man dann aber bei der Geldstrafe, die bei einem Wohlhabenden seines Reichtums wegen so hoch bemessen ist, bei summenmäßiger Gleichheit von gleich schwerer Bestrafung ausgeht, so wird damit ein Unrecht begangen. Der richtige Vergleich ist meines Erachtens allein der, daß alle Geldstrafen, deren Ersatzfreiheitsstrafe innerhalb der Amnestiegrenze liegt, erlassen sein müssen; sonst wird mit zweierlei Maß gemessen.
Es gibt noch eine Reihe von sonstigen Einwendungen. Ich möchte meinem Herrn Vorredner nur eines entgegnen. Wenn wir in die Amnestie irgendwelche Vorausetzungen der Gesinnung oder des subjektiven Straftatbestandes einbauen, so gefährden wir nicht nur das ganze Gesetz, sondern machen damit einen Apparat bei der Staatsanwaltschaft und bei den-Gerichten notwendig, der die ganze Vorlage in der Praxis unter Umständen über den Haufen wirft. Der Herr Justizminister hat vollkommen recht: Amnestien müssen einen sehr einfachen, klaren Tatbestand haben, damit sozusagen auf den ersten Blick gesehen werden kann: fällt dieses Urteil im Tenor unter die Amnestie oder nicht? Eine Durcharbeitung von Akten nach ihrem Inhalt und eine Abwägung der Motive
des Täters ist bei einer wahrhaften Amnestie aus praktischen und rechtspolitischen Gründen nicht zweckmäßig.
Ich möchte nur um eines bitten. Zur Amnestievorlage wird jeder Jurist diese oder jene Wünsche haben. Mit einer Durcharbeitung aller solcher Wünsche würde die Vorlage in ihrer eiligen Abwicklung gefährdet. Ich möchte daher bitten, sich im Ausschuß darüber zu einigen, daß man sich zur raschen Arbeit auf der Basis der Vorlage anhält und sich insoweit in den Einzelbestimmungen abstimmt. Ich erkläre ebenso wie mein Herr Vorredner, daß wir eine Amnestie, die sich bei allgemeinen Delikten auf nur 6 Monate Gefängnis bezieht, für die unterste Grenze des Möglichen halten, wenn wir bedenken, wie sehr wir heute beim Beginn eines neuen Staates sind.
Was die Zentrumsvorlage anlangt, so lehnt sie meine Fraktion schon deshalb ab, weil ihre Diktion Nazigesetzen entnommen ist. Man kann ihren Wortlaut aus dem Nazirecht ohne weiteres ablesen. Solche Bezugnahme auf die frühere Zeit mit umgekehrten Vorzeichen lehnen wir grundsätzlich ab. Wit glauben auch, daß praktisch alles, was dort gefordert wird, durch die Amnestievorlage der Regierung schon erledigt wird. Ich würde daher empfehlen, daß das Haus über die Zentrumsvorlage zur Tagesordnung übergeht, weil sie durch den Regierungsentwurf sachlich erledigt ist. Ich beantrage dies hiermit.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich will der Mahnung des Herrn Präsidenten mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Bundestages folgen und mich auf eine ganz kurze grundsätzliche Untersuchung der Frage der verfassungsmäßigen Zuständigkeit beschränken. Wir stehen vor der unerfreulichen Situation, daß in diesem Anfangsabschnitt der Legislative Gesetzentwürfe vorgelegt werden, bei denen die Frage der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern immer wieder aktuell wird. Dadurch aber, daß der in Artikel 94 Absatz 2 vorgesehene Gesetzentwurf über die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht möglich war, besteht die fatale Lage, daß diese Zuständigkeitsfragen durch Mehrheitsbeschlüsse geklärt, erledigt und entschieden werden, ohne daß — wie unsere angespannte Geschäftslage zeigt — eine eindringende Untersuchung möglich ist und die notwendigen Argumente geprüft werden.
Der Herr Bundesjustizminister hat im Bundesrat, der mit 25 gegen immerhin 18 Stimmen die Frage der Bundeszuständigkeit bejaht hat, erklärt, es liege ihm daran, die Angelegenheit durchzupauken; es sei nicht damit gedient, daß die Bundeszuständigkeit sozusagen nur toleriert würde. Dieser Auffassung bin ich ebenfalls. Die Möglichkeit zur verfassungsrechtlichen Austragung fehlt uns, weil eine verfassungsrechtliche Lücke wegen der bisherigen Nichtausführung des Artikel 94 Absatz 2 vorhanden ist. Diese Lücke vermag auch der Ausschuß zum Schutze der Verfassung nicht auszufüllen.
Im einzelnen! Ich spreche nicht von Begnadigung, ich spreche von Amnestie; das heißt: von einem Massenerlaß von Strafen. Es scheint mir, daß es bis jetzt an der nötigen scharfen juristischen Unterscheidung gefehlt hat. Die Amnestie
ist in zwei Grundformen möglich, zunächst in der Form der Aufhebung eines Strafgesetzes für eine Vielzahl generell bestimmter Straftatbestände selbst. Wenn ein solches Straffreiheitsgesetz gemeint wäre, dann würde allerdings nach Artikel 74 Ziffer 1 — hier stimme ich, unter diesem Vorbehalt, mit dem Herrn Bundesjustizminister überein — eine Zuständigkeit des Bundes gegeben sein. Ich werde gleich in der Lage sein zu beweisen, daß ein solches Straffreiheitsgesetz in dem von mir angedeuteten Sinn in dem Entwurf nicht vorliegt.
Die zweite große Grundgruppe der Amnestiegesetze umfaßt den Verzicht des Staates auf die ihm zustehende Strafklage, das heißt, den Verzicht des Staates auf Strafverfolgung und — im Falle eines durchgeführten Verfahrens — auf Strafvollstreckung. Der Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsanspruch als Ausfluß des Strafklagerechtes ist ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder als der verfassungsmäßigen Sachwalter der Strafrechtspflege gegeben.
Mit anderen Worten: Wenn es in einem gewissen Zeitpunkt nicht um die Aufhebung des Strafgesetzes selbst für eine Gruppe generell bestimmter Tatbestände geht, dann besteht grundsätzlich keine Zuständigkeit des Bundes. Sie bestünde nur dann, wenn ein Bundesobergericht in erster und einziger Instanz zuständig wäre. Wo aber die erste Instanz in der Zuständigkeit der Ländergerichte liegt, ist der Verzicht auf die Strafklage als Inbegriff des Strafverfolgungs- und Straf vollstreckungsanspruchs ausschließlich Sache der Länder.
Der Gesetzentwurf bestimmt in § 2 Absatz 1: Die Gefängnisstrafen usw. werden erlassen, wenn die Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt oder die Geldstrafe noch nicht gezahlt worden ist. Ist sie verbüßt oder gezahlt, dann hat der Arme, der zufällig früher in die Mühle geraten ist, nichts zu bestellen und nichts zu fordern. Aus dieser Bestimmung ergibt sich ganz klar, daß es sich nicht um die Aufhebung des Strafgesetzes selbst dreht, sondern um den Verzicht auf die Strafklage, weil im andern Fall dem derartig Bestraften ein Entschädigungs- und Rückerstattungsanspruch gegen den Staat zugebilligt werden müßte. Es hätte, meine Damen und Herren, daher auch eine Bestimmung getroffen werden müssen, wonach die derart abgebüßten Strafen auch auf Straffälle angerechnet werden, die über der Höchstgrenze der Amnestiebestimmungen liegen. Mit anderen Worten: es müßten dann die erlaßbaren Strafen und Strafmaße, soweit sie abgesessen oder gezahlt sind, auf die über die Amnestiegrenzen hinausgehenden Strafen angerechnet werden. Auch das ist nicht vorgesehen.
Ebenso ist in Absatz 2 bestimmt, daß ein Erlaß bei Zuwiderhandlungen gegen die Strafvorschriften von Bewirtschaftungsgesetzen stattfindet, wenn die Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt oder die Geldstrafe noch nicht gezahlt ist. In Absatz 4 heißt es ausdrücklich, daß gewisse Nebenstrafen, Strafnebenfolgen, Sicherungs- und Besserungsmaßnahmen aufrechterhalten werden sollen. Das ist der eklatanteste Beweis dafür, daß das Strafgesetz selbst nicht aufgehoben ist, sonst könnte nicht ein Teil der Strafen, der Straffolgen und Nebenstrafen aufrechterhalten werden. Diese Regelung zeigt, daß das Strafgesetz selbst in Kraft blieb und daß nur ein Verzicht auf die Strafklage erfolgen soll. Ich kann darauf verzichten, näher auszuführen, daß in § 3 Absatz 4 und in § 4 Absatz 2 und 3 sich die gleichen Argumente finden.
Meine Damen und Herren, der Sinn der Abgrenzung der Zuständigkeit der Länder gegenüber dem Bund ist doch der, daß die Artikel 30, 70 und 83 grundlegend beachtet werden müssen, und daß eine Zuständigkeit des Bundes nur im Rahmen und unter Berücksichtigung dieser Grundsatzvorschriften entschieden werden kann. Der Sinn des Artikel 74 ist, daß die Zuständigkeit des Bundes in einem restringierenden, strengen Sinn abgegrenzt werden muß. Hätte man es anders gewollt, dann hätte es überhaupt der Einfügung einer konkurrierenden Gesetzgebung gar nicht bedurft; dann hätte man dem Bund glattweg die ausschließliche Gesetzgebung auf allen Gebieten dieser Artikel, die in Frage kommen, zuweisen können. Das war aber eben gerade nicht der Wille des Gesetzgebers, weil hier föderalistische Minimalprinzipien, will ich einmal sagen, gewahrt bleiben sollten. Ich hätte wohl den Wunsch gehabt, die Bayerische Staatsregierung hätte diesen Entwurf nach einer entsprechenden Verbesserung als Landesgesetz erlassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ankündigung der Bundesregierung in der Regierungserklärung des Kanzlers, daß eine Amnestie in Erwägung gezogen werde, hat wohl einmütigen Beifall gefunden. Wir stehen heute am Ende einer Periode ungeheurer Wirrnis, die für weiteste Bevölkerungsschichten elementarste Notstände mit sich gebracht hat. Es ist aber darüber hinaus wichtig zu sagen, daß wir — so hoffen wir wenigstens — auch am Ende einer Rechtswirrnis, einer Rechtsunsicherheit stehen, die aus den allgemeinen Zuständen nach dem Zusammenbruch resultierte und die auch damit zusammenhängt, daß sich neue Grundlagen rechtsstaatlichen Denkens und Handelns bei uns erst wieder finden müssen. Nach alledem braucht nicht weiter begründet zu werden, daß am Anfang dieses neuen Staates eine Amnestie stehen soll, die allen denen zugute kommt, welche aus Gründen, die allgemeines Verständnis finden, gestrauchelt sind.
Die Amnestie muß klar sein, und sie muß einfach sein, wenn sie schnell und wirksam durchgeführt werden soll, ohne daß einem großen Apparat vermeidbare Schwierigkeiten bereitet werden. Aus diesem Grunde schon geben wir dem Regierungsentwurf den Vorzug vor dem Zentrumsentwurf, der subjektive Voraussetzungen enthält und allgemeine Ausschließungen vornimmt, von denen eine besonders gefährlich ist, weil sie politisch diskriminierender Art ist. Wir können uns den Entwurf in einer noch schlagkräftigeren, vereinfachten Form insofern vorstellen, als es uns nicht notwendig zu sein scheint, jene Staffelung vorzunehmen, wie sie in § 2 Absatz 1 und 2 vorgesehen ist. Es sollte einheitlich bei allen Delikten auf einen Rahmen abgestellt werden, der durch die Angabe der Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr und der Geldstrafe bis zu 10 000 DM gegeben ist. Dieser Rahmen ist insbesondere für die Wirtschaftsvergehen erforderlich; denn wir wissen, daß gerade in der Reichsmark-zeit Geldstrafen verhängt worden sind, die über den üblichen Rahmen weit hinausgingen und deswegen nach dem bisherigen Absatz 2 des § 2 nicht erfaßt würden. Daraus ergibt sich dann auch eine entsprechende Abänderung der folgen-
den Paragraphen, um diesen einfachen Rahmen von einem Jahr Gefängnis und 10 000 DM Geldstrafe durchweg zum Tragen zu bringen.
Besonders wichtig erscheint uns, daß gemäß den Vorschlägen des Bundesrats in § 7 die Ziffer 1 gestrichen wird, die sich auf Bestechungen bezieht, und die Ziffer 3, die Vergehen und Verbrechen betrifft, zu deren Aburteilung gemäß der Verordnung Nr. 69 der Militärregierung der britischen Zone die Spruchgerichte zuständig sind. Es handelt sich dabei durchaus um Straferkenntnisse, Strafurteile der Spruchgerichte der britischen Zone, und deswegen gehört die Amnestierung dieser Erkenntnisse durchaus zum Inhalt des Amnestiegesetzes. Wir stimmen dem Bundesrat darin bei, daß die Amnestierung von Strafen aus Erkenntnissen der Spruchgerichte in der britischen Zone, soweit sie unter den Rahmen des Amnestiegesetzes fallen, nicht auf demnächstige Maßnahmen im Zuge der Beendigung der Entnazifizierung verschoben werden sollte, weil die Erkenntnisse der Spruchgerichte regelrechte Strafurteile sind.
Wir bedauern, daß das Gesetz erst jetzt soweit vorbereitet ist, daß wir es in erster Lesung verabschieden können. Es ist dringend erforderlich, die zweite und die dritte Lesung noch vor Weihnachten vorzunehmen. An den Verzögerungen, die entstanden sind, waren gewisse Zuständigkeitsstreitigkeiten schuld, die für uns keine Substanz haben. Es ist richtig: wir sollten jedes Bedenken ernst nehmen, das aus dem Geiste des Grundgesetzes geltend gemacht wird; denn es handelt sich um nicht weniger und nicht mehr als darum, daß wir bemüht sein wollen, einen wirklichen Rechtsstaat aufzubauen. Aber es scheint uns doch recht klar zu sein, daß die Zuständigkeit des' Bundes zum Erlaß des Amnestiegesetzes mit Fug nicht bestritten werden kann, da es sich doch nicht leugnen läßt, daß es sich bei dem Amnestiegesetz um ein Gesetz strafrechtlichen Gehalts handelt und somit Ziffer 1 des Artikels 74 des Grundgesetzes anwendbar ist,
und da weiter nicht bestritten werden kann, daß die Wahrung der Rechtseinheit die einheitliche bundesgesetzliche Regelung notwendig macht, so daß auch der Artikel 72 Absatz 2 Ziffer 3 des Grundgesetzes anwendbar ist.
Es hat aber noch ein anderer Umstand mitgewirkt und trägt daran schuld, daß dieses Gesetz immerhin erst drei Monate nach dem Termin wirksam wird, auf den die Amnestiemaßnahmen abgestellt sind: das ist die Schwerfälligkeit unserer gesetzgeberischen Maschinerie, wie sie nach dem Grundgesetz vorgesehen ist. Wir hoffen, daß durch ein reibungsloses Zusammenarbeiten aller Organe die Gesetzgebungsmaschinerie in ihrer Leistungsfähigkeit doch so entfaltet wird, daß ein Umbau des Grundgesetzes in dieser Richtung nicht erforderlich wird.
Als nächstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Leibbrand das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion bejaht eine Amnestie. Wir wünschen, daß sie mit der größtmöglichen Beschleunigung noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Nur aus diesem Grunde und mit diesem ausdrücklichen Vorbehalt können wir uns damit ein-
verstanden erklären, daß heute noch die erste Lesung durchgeführt wird, wenige Minuten nachdem wir den Gesetzentwurf überhaupt erst zu Gesicht bekommen haben. Diese Ausnahme darf auf keinen Fall zur Regel werden, wie das leider bei der Arbeit der Bundesregierung als Tendenz in Erscheinung tritt.
Es ist sehr zu bedauern, daß Bundesregierung und Bundesrat solange gebraucht haben, um uns diesen Entwurf für ein Straffreiheitsgesetz vorzulegen. Es geht nicht an, daß dann der Bundestag dafür büßen und das nachholen muß, was Bundesregierung und Bundesrat versäumt haben. Nur im Interesse der Betroffenen, denen durch die Amnestie geholfen werden soll, können wir dieser überstürzten Behandlung jetzt zustimmen. Es ist aber nicht möglich, unter diesen Umständen zu den Einzelheiten des Gesetzentwurfs Stellung zu nehmen. Wir behalten uns das für die Beratung im Ausschuß und für die zweite und dritte Lesung vor.
Nur zwei allgemeine Bemerkungen möchte ich machen. Wir können uns nicht damit einverstanden erklären, daß, wie es in dem Entwurf der Regierung vorgesehen ist, mit doppeltem Maß gemessen und ein Unterschied zwischen allgemeinen Vergehen und Verbrechen und Wirtschaftsvergehen, Vergehen gegen die Bewirtschaftungsverordnungen usw., gemacht wird und diese letzteren besonders begünstigt werden. Selbstverständlich sind wir dafür, daß unter die große, große Zahl der Vergehen gegen Bewirtschaftungsverordnungen, die in der vergangenen Zeit begangen worden sind, ein Strich gemacht wird. Aber, meine Damen und Herren, wenn im Falle eines Wirtschaftsvergehens eine Strafe von einem Jahr Gefängnis und eine Geldstrafe von 5000 DM verhängt worden ist, dann handelt es sich doch wirklich nicht um einen kleinen Sünder, sondern schon um einen ausgewachsenen Großschieber. Wir sehen nicht ein, warum diese Vergehen gegenüber anderen Vergehen wie Eigentumsdelikten usw., die sehr oft aus wirklicher Not begangen worden sind, irgendwie begünstigt werden sollen.
Und ein zweites möchte ich sagen. Das Amnestiegesetz soll möglichst großzügig sein und eine möglichst einfache Handhabung zulassen, damit seine Durchführung nicht wieder zu unnötiger, überflüssiger Arbeit der Justizbehörden führt. Aus dem Grunde kann ich der Anregung des Herrn Abgeordneten Reismann, die Amnestie von irgendwelchen subjektiven Voraussetzungen abhängig zu machen, nicht zustimmen. Mag auch manches dafür sprechen, so spricht doch wohl mehr dagegen. Und der Abgeordnete Reismann selbst hat nach meinem Dafürhalten das treffendste Beispiel dafür angeführt, warum man das nicht machen kann. Er hat den Fall angeführt, daß gegen einen Mann, der im Dritten Reich in einem Hochverratsverfahren gegen ihn selber aus Not einen Meineid geleistet hat, noch heute, im Jahre 1949, ein Gerichtsverfahren durchgeführt werden soll. Ich finde es unerträglich, daß dem Mann jetzt nur durch eine Amnestie geholfen, daß er nur durch eine Amnestie vor einem solch offenbaren Mißbrauch der Justiz bewahrt werden kann. Ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß ein solches Verfahren nicht durchgeführt werden darf und niedergeschlagen werden muß.
Es wäre vielmehr zu erwägen, ob nicht ein Disziplinarverfahren gegen die Staatsanwaltschaft am
Platze wäre, die ein solches Verfahren durchführen I will.
Aber, meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Reismann — —
Meine Damen und Herren, da wäre wohl eine Erklärung des Bundesjustizministeriums am Platze, was es in diesem Fall zu veranlassen gedenkt. Aber wenn Sie in einem Amnestiegesetzentwurf auf eine Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen abstellen, dann geben Sie ja das Ermessen im Einzelfall gerade in die Hand solcher Staatsanwälte und Richter, von denen ich der Meinung war, daß ein Disziplinarverfahren gegen sie mehr am Platze wäre.
Aus diesem Grund glauben wir, daß das Amnestiegesetz großzügig und einfach sein sollte. Es ist jetzt, wie gesagt, nicht der Platz, auf Einzelheiten einzugehen. Wir behalten uns das für die Beratungen im Ausschuß und in der zweiten und dritten Lesung vor.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe gestern auf Grund meiner Kenntnis der Entstehung der Bonner Verfassung die Zuständigkeit des Bundes in bezug auf den behandelten Gesetzentwurf zum Schutze der Jugend bejahen müssen und bejaht. Ich muß leider heute die Zuständigkeit des Bundes in bezug auf die Gewährung einer Amnestie bestreiten.
— Dort, wo es notwendig ist und wo es rechtlich begründet ist! Ich bin dem Herrn Abgeordneten Euler dafür dankbar, daß er die Frage der Zuständigkeit und der grundgesetzlichen Fundierung in einem Rechtsstaat mit dem gebührenden Ernst betont hat. Nehmen wir diese Frage nicht zu leicht! Nichts hat die Weimarer Verfassung mehr gefährdet, als daß man über die Fragen der Zuständigkeit und über den Artikel 48 immer mit Leichtigkeit hinweggegangen ist.
Im Bundesrat hat nicht etwa nur Bayern, sondern haben Baden, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern die Zuständigkeit zur Gewährung einer Amnestie für die Länder in Anspruch genommen. Ich muß hervorheben: Während der Weimarer Verfassung haben die Länder Länderamnestien erlassen und hat das Reich mit verfassungändernder Mehrheit die Reichsamnestie beschlossen. Mehr brauche ich nicht hervorzuheben. Wir wenden uns nicht gegen den Gedanken der Amnestie überhaupt, müssen aber wegen der großen präjudiziellen Bedeutung für die Zukunft unsere verfassungsrechtlichen Bedenken hervorheben. Der Herr Bundesjustizminister hat gesagt, die Länder sollten diese Frage nicht tolerieren, sie müsse eines Tages ausgetragen und klargestellt werden. Deshalb heben wir heute bei dieser Gelegenheit unsere Rechtsauffassung von der Zuständigkeit der Länder ausdrücklich hervor. Wir stimmen nicht gegen die Amnestie in substantieller Beziehung, sondern wir stimmen mit den Ländern,
die im Bundesrat ihre Rechtsauffassung gegen die Zuständigkeit des Bundes geltend gemacht haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wahl.
Meine Damen und Herren! Amnestien pflegen erlassen zu werden entweder aus außergewöhnlichen festlichen Anlässen in der Geschichte eines Volkes, an deren Freude man auch solche Verurteilte teilnehmen lassen will, die, nach der Höhe des Strafmaßes zu urteilen, keine schweren Verbrecher sind, oder bei einem Systemwechsel, wenn die bisherigen Verurteilungen nicht mehr den Rechtsanschauungen entsprechen, die sich nunmehr durchgesetzt haben oder Ausnahmezuständen entsprungen sind, die nunmehr als überwunden gelten dürfen. Beide Anlässe für eine Amnestie sind heute gegeben. Fürwahr, die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist ein freudiger Anlaß, wenn man die Leidensgeschichte des deutschen Volkes von der bedingungslosen Kapitulation bis zum Wiedererstehen des deutschen Staates verfolgt; und es ist sicher richtig, daß man zu Beginn dieser neuen Ara alle diejenigen, die, ohne deswegen eine schwere Strafe zu verdienen, nur deshalb in den hinter uns liegenden apokalyptischen Jahren gefehlt haben, weil die beispiellosen Schicksale des Volkes sie moralisch überbeansprucht haben, nun durch einen Straferlaß zur positiven Mitarbeit gewinnen will.
Aber auch die zweite Rechtfertigung für eine Amnestie ist gegeben. Wenn man an die Wirtschaftsdelikte denkt, so muß man nunmehr, da wir mehr oder weniger zur freien Marktwirtschaft zurückgekehrt sind, die schon mehrmals in diesem Hohen Baus getroffene Feststellung machen, daß die Wirtschaftsdelikte uns heute zu einem großen Teil nicht mehr strafbar erscheinen. In einer Zeit, in der jeder, um die nackte Existenz zu erhalten, gegen die Wirtschaftsgesetze verstoßen mußte, haben wir erlebt, wie das Naturrecht des Menschen auf Selbsterhaltung die staatlichen Vorschriften ad absurdum führte. Ich habe es immer als eine furchtbare Krisenerscheinung unserer gesamten rechtlichen Zustände empfunden, wenn Richter und Staatsanwälte, deren Ehefrauen selber Kartoffeln und andere Dinge organisieren mußten, um ihre Familien am Leben zu halten, gezwungen waren, Täter wegen ebensolcher Delikte einer Bestrafung zuzuführen.
Ich freue mich besonders darüber — das muß ich im Namen der CDU sagen daß Bundesregierung und Bundesrat die Bundeszuständigkeit für diese Amnestie bejaht haben. Auf die Einzelheiten der bei der Beratung hervorgetretenen Gesichtspunkte kann ich hier nicht eingehen.
Gewiß ist die Justiz Ländersache und der einzelne Gnadenakt aus diesem Grunde den Länderregierungen vorzubehalten. Wenn aber eine allgemeine Amnestie sich als notwendig erweist, um eine neue Rechtsära einzuleiten, dann handelt es sich in Wahrheit um einen Teil der strafrechtlichen Gesetzgebung, für die der Bund Zuständigkeit beanspruchen kann.
Ich weiß, daß man unter den älteren Reichsverfassungen über diese Zuständigkeitsfrage lebhaft diskutiert hat. Aber schon damals wurden Reichsamnestien erlassen. Und die Kontinuität dieser Rechtsentwicklung zu wahren, erscheint mir notwendig und richtig.
Im Rechtsausschuß wird die Frage noch gründlich behandelt werden.
Auf zwei Dinge möchte ich noch hinweisen. Mit diesem Gesetz ist noch nicht alles geleistet, was wir im gegenwärtigen Zeitpunkt von der Bundesregierung erwarten. Es muß ein Schlußstrich unter die nationalsozialistische Strafrechtspflege von Bundes wegen gezogen werden, indem Verurteilungen, die damals stattgefunden haben und bei denen nur allzu oft der Verdacht gerechtfertigt war, daß es sich um Unrecht handelte, das in die Form des Rechts gekleidet wurde, in irgendeiner Weise korrigiert werden. Dabei ist nicht nur an die einheitliche Löschung im Strafregister zu denken, an die in manchen Ländern vorgesehen Überprüfung der urteile, die anderwärts
ganz fehlt, sondern auch an die Wiedergutmachung im weitesten Sinne. Ich war beruhigt, als mir Herr Staatssekretär Strauss versicherte, daß diesen Dingen im Zusammenhang mit einem allgemeinen Wiedergutmachungsgesetz zugunsten der politisch Verfolgten nachgegangen würde.
Im weiteren Zusammenhang mit diesem politischen Problem ließe sich auch der Zentrumsantrag betreffend die Privilegierung der Straftaten aus demokratischem Übereifer erörtern, der freilich sehr genau überlegt werden muß und nicht in dieses Gesetz eingearbeitet werden kann.
Ferner aber ist auf dem Gebiet der Strafrechtspflege auch die Amnestierung vieler sogenannter Kriegsverbrecher eine notwendige Aufgabe, deren sich unsere Regierung annehmen müßte. In der britischen Zone sind 26 000 Personen von den Spruchgerichten nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 verurteilt worden. Soweit es sich dabei um den Tatbestand der bloßen Zugehörigkeit zu sogenannten verbrecherischen Organisationen handelt, liegt in Wahrheit die Bejahung einer Kollektivschuld vor, die in einer Zeit, die die Rechte des Individuums wieder zum obersten Grundsatz erhebt, einen unerträglichen Einbruch in unser Rechtsbewußtsein bedeutet. Das müssen wir bald wieder rückgängig machen. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 ist ein Ausnahmerecht. Das hat sich gerade jetzt wieder bei der alliierten Anordnung gezeigt, wonach deutsche Gerichte dieses Gesetz auf Ausländer nicht anwenden dürfen. Soweit die Verurteilungen durch die Militärgerichte erfolgt sind, hat der Bund keine Zuständigkeit. Aber auch hier wird erwogen — ich erinnere an die Regierungserklärung —, ob bei dem allmählichen Abbau der Kriegsfolgen die Regierung bei den Alliierten nicht mit dem Ziele eines Gnadenerweises vorstellig werden sollte.
Zur Klarstellung ist endlich hervorzuheben, daß die Strafamnestie, die hier Gegenstand der Gesetzgebung ist, natürlich noch die große Frage offen läßt, wie die unheilvollen Wirkungen der Entnazifizierung, die trotz innerer Verwandtschaft mit der Strafrechtspflege unter dem Stichwort der politischen Verantwortung läuft, beseitigt werden sollen. Sie wissen, daß ein Antrag darüber im Rechtsausschuß bereits vorliegt. Ich hoffe, daß das Plenum alsbald mit der Sache befaßt werden kann.
Mit Rücksicht auf die große Tagesordnung, die heute zu bewältigen ist, will ich Einzelheiten der Gesetzesvorlage nicht behandeln und mich mit diesen allgemeinen Feststellungen begnügen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident, meine Damer und Herren! Allgemein ist bedauert worden, daß durch den langen Zeitablauf zwischen der Regierungserklärung und der ersten Lesung dieses Gesetzes der Sinn-Zusammenhang geradezu zerrissen worden ist. Wir sollten daher überlegen, ob es nicht möglich ist, auch unter Wahrung des Grundgesetzes in derartigen Fällen zu einem gesetzgeberischen Verfahren zu kommen, das eine derartige übermäßige Erstreckung der Zeitdauer verhindert. Wenn auch der Bundesrat nicht gut daran tut, wie er es früher einmal angekündigt hat, seinerseits gewissermaßen unmittelbar mit den Bundestagsausschüssen in Verbindung zu treten, so glaube ich doch, daß der Artikel 76 des Grundgesetzes es dem Bundesrat ermöglicht, auf die ihm gewährte Frist zu verzichten und die Bundesregierung zu ermächtigen, in einem Falle wie in dem hier vorliegenden die Gesetzesvorlage gleichzeitig auch beim Bundestag einzubringen. Denn der Bundesrat vergibt sich damit nichts, weil seine Entscheidung ja auch immer noch aussteht. Ich halte es deshalb für unbedingt erforderlich, ein solches Verfahren zu erwägen, damit diese bedauerlichen Vorkommnisse, die offenbar auch von der Regierung beklagt werden, sich nicht wiederholen. Ein Wort noch zu dem Punkt, bei dem der Herr Kollege Wahl erklärt hat, Anlaß des Amnestiegesetzes sei die „Gründung der Bundesrepublik Deutschland", und zu der neuerlich abgegebenen Behauptung des Kollegen von Merkatz, daß Deutschland untergegangen sei. Nun, ich glaube, die beiden Herren Kollegen werden mit dieser Auffassung ziemlich allein dastehen. Nach der weit überwiegenden Auffassung im Inland und Ausland besteht Deutschland als Staat fort. Es ist hier keine Bundesrepublik neu „gegründet" worden, sondern Deutschland wurde nur neu organisiert.
Zur Frage der Zuständigkeit muß ich mit den Herren Kollegen von der Bayernpartei allerdings beklagen, daß die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers zu dieser Frage doch recht mager gewesen sind, sowohl in der gedruckten als auch in der heute vorgebrachten mündlichen Begründung. Wir müssen in solchen Fällen und bei Fragen von solcher Bedeutung, auch wenn die Zeit kurz ist, erwarten, daß dem Bundestag ein begründetes Rechtsgutachten zu einer Frage von solcher Tragweite vorgelegt wird, ein Rechtsgutachten, in dem die- bisherige Staatspraxis und die Auffassungen der Rechtslehre entwickelt werden. Wir bekommen ja auch sonst mancherlei Gutachten. Gerade hier wäre es aber einmal wirklich am Platze gewesen.
Denn ich muß den Herren Kollegen von der Bayernpartei zugeben, daß man die Zuständigkeit des Bundes so, wie es hier geschehen ist, nicht begründen kann, ohne daß ich im einzelnen die Argumente der Bayernpartei dabei wiederholen möchte.
Ich will nur das eine hinzufügen: Wäre das Amnestiegesetz wirklich eine Aufhebung von Strafrecht, so würde man ja geradezu gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verstoßen, weil die, die schon bestraft waren, die ihre Strafe bereits verbüßt oder die Geldstrafe bezahlt haben, ja von dieser Aufhebung des Gesetzes nun keinen Vorteil mehr haben, während die anderen in der Lage waren, ihre Verfahren hinzuziehen, und dann begünstigt werden. Auch mit dem Strafvollzug kann man es nicht begründen.
Auf der anderen Seite halte ich allerdings die Ausführungen, die seitens der Bayernpartei hier gemacht worden sind, ebenfalls für nicht stichhaltig; und ich halte, wenn ich, da unsere Zeit knapp bemessen ist, das nur mit einem Wort andeuten darf, auch das nicht für stichhaltig, was im Bundesrat namentlich .seitens des Herrn bayerischen Ministerpräsidenten und des Herrn bayerischen Staatsministers der Justiz ausgeführt worden ist. Diese beiden Herren haben im Bundesrat vorgetragen, es handle sich bei der Amnestie um einen allgemeinen Verwaltungsakt und infolgedessen sei das Land allein zuständig, weil nach dem Grundgesetz die Verwaltung dem Lande zustehe. Nun, mit der Charakteristik der Amnestie als eines allgemeinen Verwaltungsaktes bin ich einverstanden. Ein Verwaltungsakt beruht aber im allgemeinen auf der Grundlage eines Gesetzes. Denn das ist das wesentliche, daß die Verwaltung ja nur auf Grund und ihm Rahmen von Gesetzen handeln darf. Der Amnestieverwaltungsakt dagegen unterscheidet sich ja von allen übrigen Verwaltungsakten dadurch, daß er — ich möchte es etwas zugespitzt sagen — gegen das Gesetz ergeht, daß hier Schuldige oder Beschuldigte von den Wirkungen und Folgen eines Gesetzes befreit werden, also die Verwaltung dem Gesetz geradezu entgegenwirkt. Daß das nicht ohne die Mitwirkung des Gesetzgebers erfolgen kann und sogar allein durch den Gesetzgeber, von dem das Gesetz ausgegangen ist, erfolgen müßte, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Aber wir werden im Ausschuß darüber noch ausführlich sprechen müssen. Denn ich lege auch meinerseits auf eins Gewicht — das möchte ich hier ganz besonders betonen —: man kann solche Fragen nicht in der Weise entscheiden, daß man sagt: ja, nun sind wir in der Mehrheit, und da überstimmen wir eben die Minderheit.
Meine Damen und Herren, Sie sehen an diesem Falle, daß manche Illusion, die hier im Hause besteht, die Mehrheit wäre immer die gleiche, auf sehr schwachen Füßen steht.
Es kann durchaus, wie in diesem Falle höchstwahrscheinlich, auch einmal dazu kommen, daß die Mehrheit eine andere ist.
— Nein, das schadet nichts; aber das soll uns hier dazu veranlassen, unter Beweis zu stellen, daß man nicht glauben darf: der, der die Mehrheit hat, sei im Recht,
sondern daß man auch als Mehrheit die Verpflichtung hat, in allem Ernst zu prüfen, ob das, was
man zu tun sich hier anschickt, mit dem Grundgesetz bis zum letzten I-Punkt zu vereinbaren ist.
— Ich habe von diesen Selbstverständlichkeiten in diesem Hause bisher wenig gemerkt, Herr Kollege Rümmele.
Grundsätzliche Bedenken bestehen gegen jede Amnestie; auch darüber sind wir uns einig. Aber ich halte es doch für erforderlich, hier noch eines hervorzuheben, nämlich, daß Amnestien kein Mittel für die Wirtschafts- oder Finanzpolitik sein dürfen, sondern daß sie ihre ausschließliche Rechtfertigung in Rechtserwägungen finden
müssen, insbesondere in Erwägungen, wie sie Herr Kollege Wahl hier vorgetragen hat. Auch
aus diesem Grunde halten wir es daher für unmöglich, daß in dem Gesetz eine derartige Unterscheidung zwischen Straftaten allgemeiner • Art und Wirtschaftsstraftaten gemacht wird. Wenn der Herr Kollege Ewers bedauert hat, daß das „Wunder" der Währungsreform ohne Amnestie ablief, und wenn er glaubt, daß dadurch der Moral geschadet worden ist, so darf ich an die sehr klaren und offenen Worte erinnern, die Herr Bischof Dibelius bei Eröffnung des Bundestags hier in Bonn gesprochen hat. Ich glaube, es ware das letzte gewesen, was wir hätten tun sollen, die Unmoral, die am Tage der Währungsreform vor aller Augen lag, nun auch noch mit einer Amnestie zu krönen.
Auf Einzelheiten des Amnestiegesetzes will ich nicht eingehen, aber eines hier bereits ankündigen, nämlich daß wir im Ausschuß einen Ergänzungs- und Erweiterungsantrag stellen werden, die Amnestie in einem gewissen angemessenen und entsprechenden Umfang auch auf Dienststrafen auszudehnen. Nach der Geschäftsordnung ist es nicht zulässig, solche Erweiterungs- oder Ergänzungsanträge bereits bei der ersten Lesung einzubringen, und wir sind entschlossen, uns an die Geschäftsordnung zu halten, die vom Reichstag in jahrzehntelanger Praxis erprobt worden ist und nicht von Fall zu Fall umgestoßen werden sollte.
In diesem Antrag werden wir daher im Ausschuß dafür eintreten, daß in entsprechendem Maße auch die Dienststrafen amnestiert werden, soweit welche verwirkt sein sollten. Denn wir sehen Grund und Recht, uns insoweit auch schützend vor die Träger des öffentlichen Dienstes zu stellen, die seit 1945 unter heute schon gar nicht mehr vorstellbaren Verhältnissen ihres Dienstes gewaltet haben —, Beamte, die damals nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet waren, oft nach eigener Verantwortung zu verfahren, und denen man heute aus einer ganz anderen Sicht der Dinge heraus und ohne sich darüber klar zu sein, wie es damals stand, aus formalen Gesichtspunkten etwas am Zeuge flicken will. Es ist sogar zu erwägen, ob es sich hier insoweit um eine Amnestie handelt; denn wir sind der Auffassung, daß das Tun der Beamten, denen man heute alles mögliche anhängen möchte, gerechtfertigt war und daß Anlaß besteht, ihnen dafür sogar den Dank auszusprechen.
Das Wort hat das Mitglied des Bundesrates Herr Minister Dr. Pfeiffer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Hohes Haus!
Ich knüpfe an die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Arndt zu der Frage an, ob Mehrheit auch Recht bedeutet. Die These, die er dazu ausgesprochen hat, wird dann besonders interessant und bedeutsam, wenn Mehrheit und Minderheit sehr nahe beieinander liegen. Der Herr Bundesminister der Justiz hat von einer knappen Mehrheit im Bundesrat gesprochen, die beschlossen hat, gegen die Zuständigkeit des Bundes in der Frage eines Gesetzes über die Straffreiheit keine Einwendungen zu erheben. Die Minderheit war recht bedeutend. Sie setzte sich zusammen aus den Ländern Baden, Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern. Von diesen Ländern teilten die Justizverwaltungen von Hamburg und von Bayern ursprünglich durchaus die Motive für eine Amnestie, hielten aber den Weg umfangreicher Einzelbegnadigungen für zweckmäßiger. Im weiteren Verlauf haben aber auch diese beiden Länder bei der Erarbeitung von Vorschlägen für eine Amnestie mitgewirkt.
Die erwähnten fünf Länder konnten sich aber im Bundesrat nicht dazu entschließen, die Zuständigkeit des Bundes anzuerkennen. Ich habe für die Bayerische Staatsregierung zu erklären, daß sie — und sie tut es aus grundsätzlichen Erwägungen — ihre Auffassung nicht geändert hat. Die Bayerische Staatsregierung wird bei den Beratungen im Ausschuß durch ihren Beauftragten ihre Auffassung gemäß dem einschlägigen Artikel des Grundgesetzes zum Ausdruck bringen. Bei der Besprechung des Entwurfs eines Gesetzes über die Straffreiheit haben aber die fünf Länder in den Einzelberatungen durchaus positiv mitgewirkt.
Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat auch den Vorschlag gemacht, man möge im Bundesrat zu einem Verfahren kommen, daß in besonders dringenden Fällen die Fristen nicht bis auf das letzte ausgehalten werden; vielmehr solle man das Inkrafttreten von Gesetzen beschleunigen. Die bayerische Regierung wird die Erarbeitung eines solchen Verfahrens positiv unterstützen, weil wir ja erst aus der Erfahrung heraus lernen, wie die Maschinerie der gesetzgebenden Körperschaften verfeinert und weiter entwickelt werden kann.
Ich habe aber an die Adresse der Bundesregierung noch eine Anfrage zu richten. In der „Stellungnahme der Bundesregierung", in den Bemerkungen „Zu 6 bis 8" in dem uns vorgelegten Dokument findet sich ein merkwürdiger Satz, der folgendermaßen lautet:
Auf Grund verschiedener Vorstellungen, die nach Verabschiedung des Entwurfs im Kabinett beim Bundesjustizministerium erhoben wurden, regt die Bundesregierung außerdem an, in das Gesetz folgenden § 6a einzufügen.
Ist das nun als eine Vorlage der Bundesregierung zu betrachten? — Wenn ja, dann müßte sie durch den Bundesrat gehen. Die Angelegenheit ist nicht so bedeutend, daß sie eine Verzögerung rechtfertigen würde. Aber grundsätzlich möchte ich doch bitten, daß jede wirkliche, echte Vorlage auch in der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Weise an den Bundesrat kommt, damit dieser dazu Stellung nehmen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier einen Amnestie-Gesetzentwurf vor uns, der leider in einer ganzen Reihe
von Punkten nicht befriedigend genannt werden kann, nicht befriedigend vor allem deswegen, weil der Strafrahmen in § 2 des Gesetzentwurfes unseres Erachtens absolut zu niedrig gegriffen ist. Mir sind Fälle bekannt — und ich kann sie jederzeit mit Namen belegen —, daß Gerichte an den verschiedenen Orten Deutschlands Gastwirte, die lediglich ab und zu ein Stück Vieh geschlachtet haben, damit ihre Gäste nicht verhungert sind,
und zwar ohne irgendwelche Preissteigerungen oder Preisüberforderungen, auf Grund der Kriegswirtschaftsgesetze zu Strafen verurteilt haben, die weit über den Rahmen von einem Jahr Gefängnis hinausgehen. Es sind Bauern verurteilt worden, keineswegs Wucherer, sondern Leute, die eine Maschine zu kaufen hatten, die sie dringend brauchten, damit sie die Felder bestellen konnten, was uns allen zugute kommt, und die zu diesem Zweck ein oder zwei Stück Großvieh verkaufen mußten; sie sind verurteilt worden zu Strafen, die weit über einem Jahr Gefängnis liegen. All diese Leute fallen nicht unter die Amnestie.
Das ist unseres Erachtens eine Ungerechtigkeit, die wir nicht verantworten können. Wenn auch der Herr Justizminister und wenn die große Mehrzahl der Damen und Herren in diesem Hause der Auffassung ist, es müßte ein Strich unter die Vergangenheit, unter diese Delikte gegen die Kriegswirtschaftsverordnung gezogen werden — und damals ist in Tausenden und Hunderttausenden von Fällen dem Betreffenden gar nichts anderes übriggeblieben, als so zu handeln, er hatte damals die wirtschaftliche Vernunft für sich, wie sogar vom Herrn Bundesjustizminister angetönt worden ist —, dann frage ich: was hat es dann noch für einen Sinn? — oder ich frage Sie vielleicht besser: ist es da noch gerecht, solche Leute bestrafen zu lassen, Leute deswegen noch in den Gefängnissen sitzen oder auf Strafantritt warten zu lassen?
Andererseits wiederum scheint mir der Rahmen in der entgegengesetzten Richtung zu weit. Wenn nämlich jemand aus ganz gemeiner Gesinnung heraus gehandelt hat und, sagen wir einmal, zu 10 oder 11 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, dann sehen wir nicht ein, warum er unter eine Amnestie fallen soll. Ebenso ist es bei den ordinären Delikten, wo der Strafrahmen ja 6 Monate beträgt.
So, meine Damen und Herren, glaube ich, daß der Antrag der Fraktion der WAV, der Ihnen vorgelegen hat — ich glaube, schon früher oder doch zusammen mit ähnlichen Anträgen anderer Fraktionen —, doch seine Berechtigung hat oder vielleicht sogar besser ist als das, was jetzt im Entwurf vor Ihnen liegt. Dieser Antrag wünschte, daß alle Übertretungen und Vergehen amnestiert werden, insbesondere auch die Delikte, die nach den Kriegswirtschaftsgesetzen zu bestrafen sind, daß aber dann eine Ausnahme kommt — und diese Ausnahme müßte gegeben werden —, wenn diese Delikte aus besonders grobem Eigennutz begangen worden sind u n d wenn dadurch eine besonders schwere Schädigung der Volksgemeinschaft verursacht worden ist.
Sie werden mir sofort sagen, das sei eine Kautschukbestimmung. Alles auf dem Gebiete des Rechtes ist mehr oder minder eine Sache der Auslegung; das können Sie nicht verhindern! Aber wir wollen hier untersuchen, welches das geringere Übel ist. Dieser starre Strafrahmen des Gesetzentwurfes, wie er uns heute vorliegt, würde dazu
führen, daß auf der einen Seite viele Tausende von Leuten weiterhin ihre Strafe absitzen müssen, Leute, die unter allen Umständen amnestiert werden sollen und müssen, und daß auf der anderen Seite auch solche durchwitschen, die es weiß Gott nicht verdienen.
Es dreht sich hier nicht bloß um Kriegswirtschaftsdelikte. Der Strafrahmen von 6 Monaten umfaßt ja Delikte aller möglichen Art: „Urkundenfälschung", meine Damen und Herren, das tönt furchtbar hart — ich weiß es — in den Ohren eines Nichtjuristen; aber wir Juristen wissen, was alles darunterfällt, welch verhältnismäßig nicht allzu kriminellen Delikte unter diesen Begriff subsumiert werden müssen. Ein armer Teufel, der aus einer Notlage dieser furchtbaren Zeit heraus irgend etwas gemacht hat, ist, sagen wir, zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden und fällt jetzt nicht unter die Amnestie. Gerade bei diesen Urkundenfälschungen, bei denen der Strafrahmen auf Grund des allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches ein so weiter und so strenger ist, gerade da, meine Damen und Herren, werden Sie mit diesem heutigen Gesetzentwurf nicht durchkommen und der Gerechtigkeit und dem berechtigten Verlangen aller Gutgesinnten nicht so Rechnung tragen können, wie sie selbst es möchten. Also: Urkundenfälschung und eine ganze Reihe anderer Delikte; einer meiner Herren Vorredner hat heute gesagt: Diebstahlsdelikte und so fort. Es gäbe noch eine große Anzahl weiterer Delikte, die überhaupt nur aus der Notlage der ganzen Zeit nach 1945 heraus zu erklären sind und die meines Erachtens unter allen Umständen amnestiert werden müssen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie zu gestatten, daß wir von der WAV auf unseren Antrag zurückkommen bzw. den Antrag wieder stellen — das ist ja ohne weiteres möglich —, eine allgemeine Amnestie zu erlassen für sämtliche Übertretungen und Vergehen sowie für die Kriegswirtschaftsdelikte, auch dann, wenn sie als Verbrechen zu charakterisieren sind —das sind fast sämtliche oder der allergrößte Teil von ihnen —, davon aber die Delikte auszunehmen, die aus „besonders grobem" Eigennutz begangen worden sind und dazu eine „besonders schwere" Schädigung der Volkswirtschaft verursacht haben. Die Mehrarbeit, die den Gerichten dadurch entstehen könnte, müssen wir im Namen der Gerechtigkeit in Kauf nehmen. Das möchte ich ausdrücklich für den Herrn Bundesjustizminister sagen, da ich annehmen muß, daß der Herr Bundesjustizminister gerade gegen diesen Punkt vielleicht Einwendungen geltend machen könnte.
Wir müssen einen Schlußstrich unter diese furchtbaren letzten Jahre seit 1945 machen, und diesen Strich müssen wir großzügig ziehen. Wir müssen ihn so ziehen, daß wirkliche Verbrecher, wirklich gemeine Kerle, die nur dem Volk schaden wollten, nicht amnestiert werden können. Aber wir müssen ihn auch so ziehen, daß die große Masse derer, die lediglich, sagen wir einmal, Schwarzhandelsgeschäfte gemacht haben, weil sie den Geldbetrag brauchten, weil sie umgekehrt wichtigste Artikel, landwirtschaftliche Maschinen, industrielle Produkte nur zu Schwarzhandelspreisen beziehen konnten oder weil sie mit Rücksicht auf die Lage ihrer Familie nicht mehr anders konnten, unter allen Umständen unter die Amnestie fallen.
Deswegen würden wir Sie bitten, den Antrag der WAV-Fraktion hier doch besonders berück-
sichtigen zu wollen, den wir zur Abstimmung stellen — —
Herr Abgeordneter Loritz, darf ich zu Ihren Ausführungen bemerken, daß nach der Geschäftsordnung Anträge erst in der zweiten Lesung gestellt werden können.
Für die zweite Lesung, ich weiß! Ich bin unterbrochen worden; ich bin mit dem Satz noch nicht zu Ende gewesen. Wir würden Sie bitten, diesen Antrag zu berücksichtigen und ihn genauestens zu studieren. Es ist mir sehr wohl bekannt, daß der Antrag in der zweiten Lesung formell neu gestellt werden muß und gestellt werden kann. Genau das hatte ich dem Hohen Hause auch vorschlagen wollen. Wir werden auf diesem Antrag in der zweiten Lesung bestehen. Wir lehnen aus diesen Gründen — nur aus diesen Gründen - den § 2 des Gesetzes ab.
Wir befürworten selbstverständlich den unverzüglichen Erlaß einer Amnestie und sind auch mit dem in dem Entwurf vorgesehenen Strafrahmen einverstanden, ja wir bezeichnen diesen Strafrahmen von sechs Monaten oder einem Jahr noch als zu niedrig, allerdings unter der Bedingung, die ich Ihnen nannte, nämlich daß die wirklich kriminellen Existenzen trotzdem bestraft werden.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollte ich Ihnen namens der Fraktion der WAV zum Amnestierungsgesetzentwurf ganz kurz vortragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts des eben von Herrn Kollegen Ewers gestellten Antrages sehe ich mich veranlaßt, schon jetzt ausdrücklich den Antrag zu stellen, unsere Gesetzesvorlage Drucksache Nr. 17, Antrag der Zentrumsfraktion auf Erlaß eines Amnestiegesetzes, dem Ausschuß zu überweisen.
Auf die Äußerungen meiner Herren Vorredner möchte ich nur kurz eingehen, weil ich der Ansicht bin, daß wir die heutige Debatte nicht mit Einzelheiten belasten sollten. Wenn ich eben nichts dagegen gesagt habe, daß in dem Amnestiegesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, die Disziplinaramnestie ausgenommen ist, so soll das nicht bedeuten, daß unsere Fraktion der Ansicht wäre, man sollte nicht auch die Dienststrafvergehen amnestieren. Vielmehr sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz nicht der richtige Ort dafür ist und daß in diesen Tagen auch nicht die richtige Zeit ist, sich darüber zu unterhalten. Die Umschreibung der Tatbestände und des dafür in Frage kommenden Strafmaßes ist zu schwierig. Aber die Materie ist auch nicht so eilbedürftig, daß man sie unter allen Umständen jetzt schon behandeln müßte.
Im übrigen sind wir aber doch sehr wohl der Meinung, daß der Gedanke eines großzügigen Vergessens, eines Striches unter die Vergangenheit auch für .die Beamten gelten muß. Man muß sich einmal vor Augen halten, mit welch vorbildlichem Eifer die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit trotz größter Entbehrungen, die den Verhältnissen entsprachen, trotz ärgster Notlage, trotz ihrer absolut unzulänglichen Versorgung als Normalverbraucher
ihre Pflicht getan hat. Wenn dabei nun Dienstvergehen vorgekommen sind, so muß man nicht immer glauben, es habe sich dabei um Dienstvergehen gegen Mein und Dein, um Unterschlagungen oder um Amtsverbrechen irgendwelcher Art gehandelt. Vielmehr muß man sich daran erinnern, daß es sich dabei um Dinge gehandelt hat wie zum Beispiel Nachlässigkeit, die durch die körperliche Abspannung, durch die schlechte Versorgung, durch all die Strapazen der damaligen Zeit bedingt war. Ich erinnere an Fälle, wie sie mir vorliegen, daß man Bankbeamte der Bank deutscher Länder deswegen bestraft hat, weil sie vergessen hatten, die Zettel abzureißen, so daß Unstimmigkeiten in der Kasse entstanden. Da soll man nun kleinlich vorgehen und nicht auch über diese Dinge großzügiges Vergessen breiten? Das sehen wir durchaus nicht ein. Aber es ist hier nicht Zeit, darüber zu sprechen.
In diesem Zusammenhange komme ich noch einmal zurück auf die Frage, ob man ausgerechnet die Amtsdelikte der §§ 332, 333 und 334 StGB von der Amnestie ausnehmen soll. Es handelt sich dabei um die Vergehen der Bestechung. Ich habe Verständnis dafür, wenn man Bestechlichkeit bei
pflichtwidrigen Handlungen jetzt nicht amnestieren will. Aber ich frage: Warum nur diese nicht? Warum ist nicht Parteiverrat bei Rechtsanwälten gleichzeitig ausgenommen, warum nicht auch etwa Freiheitsberaubung im Amt? Das scheint mir alles reichlich willkürlich. Ich bin der Ansicht, daß man die Amnestie entweder auf die Straftat oder auf die Gesinnungstäterschaft abstellen sollte.
Da komme ich noch einmal auf die Gesinnungstäterschaft. Es ist von dem Herrn Kollegen Ewers zunächst dagegen eingewendet worden, es handle sich um Nazirecht mit umgekehrtem Vorzeichen. Ich\\ finde: das Wichtigste ist dabei das umgekehrte Vorzeichen, meine Damen und Herren. Was ärgert ihn eigentlich daran, wenn man das umgekehrte Vorzeichen da anbringt, wo es notwendig ist? Und es scheint mir notwendig zu sein.
Dem Herrn Kollegen von der kommunistischen Fraktion ist ein Mißverständnis unterlaufen. Er sagte, man solle lieber den Staatsanwalt zur Verantwortung ziehen, der in diesem Falle den in der Nazizeit wegen Meineids schuldig Gewordenen zum Meineid verführen wollte. Er übersieht dabei, daß der Fall des Eidesnotstandes im Strafgesetzbuch ausdrücklich vorgesehen ist. Der damalige Täter ist außerdem nicht als Angeklagter in eigener Sache, sondern als Zeuge in einer anderen Sache vernommen worden. Aus diesem Tatbestand über den Eidesnotstand heraus kann man es verstehen — ich will es nicht für richtig halten —, wenn das Verfahren in Gang gebracht wird. Weswegen soll man die Behörde in dem Konflikt lassen, ob sie nun den Fall für gegeben ansehen will — wobei man sich auf den Standpunkt stellt: gegen das Nazisystem war jedes Mittel recht —, daß der Täter sich damals in einem übergesetzlichen Notstand befunden hat. Der Begriff des übergesetzlichen Notstandes ist im einzelnen sehr bezweifelt und strittig, in der Rechtsprechung noch nicht recht ausgepaukt. Weshalb soll man nicht bei dieser Gelegenheit großzügig aufräumen und einen solchen Fall darunter fallen lassen?
Der zweite Einwand des Herrn Kollegen Ewers war dann: das erfordert zu viel Arbeit. Und der des Herrn Justizministers: man muß einen möglichst klaren, einfachen Tatbestand haben. Der Tatbestand ist einfach, aber die Folgerung daraus, Herr
Justizminister, ist keineswegs einfach. Denn es wird doch anders, als der Herr Kollege Ewers annimmt. Den Gerichten und den Staatsanwaltschaften wird zugemutet, in jeden Einzelfall hineinzusteigen, und zwar mit aller Sorgfalt, mit der Sorgfalt, wie sie bei einer Hauptverhandlung nötig wäre, deswegen, weil beurteilt werden muß, ob ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr Strafe angemessen und ausreichend ist. Wenn man so weit in die Strafakten einsteigen muß, muß man alles berücksichtigen, folglich auch die Gesinnung, aus der heraus eine Tat geschehen ist. Wenn man das berücksichtigt, welche Arbeit macht es dann mehr, auch zu prüfen, aus welcher bestimmten Geisteshaltung die Tat geschehen ist, und so überhaupt zu einer Einstellung des Verfahrens zu gelangen? Also die Gründe, die man gegen die Berücksichtigung der Gesinnungstäterschaft vorbringt, ziehen keineswegs. Ich glaube, daß man im Zuge der Beratung im Ausschuß gar nicht anders verfahren, kann, als die innere Einstellung der Täter zu berücksichtigen. Es ist ja gar kein Unterschied zu erkennen, wenn man nicht darauf zurückgreift, was für Gedanken den Täter beseelt haben, als er die strafbare Handlung beging. Ohne Berücksichtigung der Gesinnung gelangt man unweigerlich dahin, Leuten Vergünstigungen zu gewähren, die ihrer ganz zweifellos nicht würdig sind, und gelangt man weiter dahin, daß man Leute unter Strafe stehen lassen müßte, die einer Amnestierung durchaus würdig wären. Man kann allerdings sagen, außer der Amnestie seien auch Einzelbegnadigungen möglich. Jawohl! Dann bleibt aber immer noch die Tatsache der Bestrafung und die Registereintragung bestehen, die in sehr vielen Fällen, und zwar gerade bei den besten, mindestens ebenso belastend für ihre Zukunft wirkt wie die Strafe selbst. Hier erinnere ich besonders an die Beamten. Es ist — ich glaube, Herr Kollege Arndt hat es gesagt — nicht alles menschlich und moralisch verwerfbar, was man unter den Begriff Untreue subsumiert. Ich denke da an das Kompensieren von Reichsbahnbeamten, um den Betrieb in Gang zu bringen; ich denke zum Beispiel, an das Kompensieren manches Privatmannes, das geschehen ist, um einen lebenswichtigen Betrieb und die darin arbeitenden Menschen einigermaßen zu versorgen. Da ist es sehr wohl möglich, daß über den Strafrahmen hinaus Strafen verhängt worden sind, die nach dem Regierungsentwurf über den Rahmen des zu Amnestierenden hinausgehen würden. Ich kann mir die Dinge überlegen, wie ich will: man kommt nicht umhin, die subjektive Seite zu berücksichtigen, und ich bitte Sie also, in diesem Sinne dem Antrag des Zentrums Beachtung zu schenken.
Wir sind selbstverständlich bereit, im einzelnen weitgehende Konzessionen zu machen, zumal wir ja sehen, daß der Grundgedanke der Notwendigkeit, Vergessen über die Vergangenheit zu decken, von dem auch der Amnestiegesetzentwurf der Regierung ausgeht, von allen Parteien des Hauses anerkannt wird. Ich glaube, daß wir zu einer Übereinstimmung kommen, trotz des Vorbehaltes wegen der Gesinnungstäterschaft, in der Form, daß es sich hier um Nazigesichtspunkte handle. Gerade auf politischem Gebiet, meine Damen und Herren — damit schließe ich —, ist es notwendig, das, was an strafbarem Tatbestand aus der Nazizeit noch in die Gegenwart hineinragt, durch ein umgekehrtes Vorzeichen auszulöschen und so die Verhältnisse richtigzustellen. Das geht gar nicht anders als durch das umgekehrte Vorzeichen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Der Herr bayerische Bundesratsbevollmächtigte hat an mich die Frage gerichtet, welche Bewandtnis es mit dem § 6 a in meiner Stellungnahme zu den Beschlüssen des Bundesrats habe, ob er eine neue Vorlage darstelle. Ich werde mich hüten, das zu bejahen. Sie ersehen an der Situation, aus der heraus ich diese Anregung gemacht habe, welchen Gefahren unsere Gesetzgebungspraxis auf Grund des Grundgesetzes ausgesetzt ist. Würde ich sagen, das sei eine Vorlage, dann hätte das die Konsequenz, daß sie noch einmal an den Bundesrat gehen müßte und daß der Bundesrat noch einmal 21 Tage darüber sitzen könnte. Dann erst würde wieder die Vorlage an den Bundestag erfolgen. Ich habe diese Gefahr gesehen. Ich glaube, wenn wir uns selbst formale Schwierigkeiten machen, dann werden wir bei unserer Gesetzgebungstätigkeit erhebliche Gefahren laufen. Ich habe überhaupt bange Sorge, auch aus dem Vorgang des heutigen Tages. Hat diese Aussprache irgend etwas genützt? Hat diese erste Lesung einen Effekt? All die Fragen, die teils gründlich, teils weniger gründlich behandelt worden sind, müssen noch einmal im Ausschuß behandelt und dann in zweiter und dritter Lesung ausgetragen werden. Ich sage das nur, weil ich das Gefühl habe, wir reden uns auseinander und reden den Parlamentarismus zu Tode.
Herr Minister, darf ich Se unterbrechen? An sich bleibt es den Mitgliedern des Hauses unbenommen, ihre Redezeit im Rahmen der Geschäftsordnung auszudehnen. Ich werde aber nachher grundsätzlich auf Ihre Bemerkungen eingehen.
Es sollte nur eine Anregung sein, überhaupt in der Praxis der ersten Lesung vor der Ausschußbehandlung sehr zurückhaltend zu sein. Unsere bayerischen Erfahrungen, die wir dem Herrn Präsidenten Horlacher, dem Mitglied dieses Hauses, verdanken, haben sich durchaus bewährt, daß wir grundsätzlich — von seltenen Fällen abgesehen — auf eine solche erste Lesung verzichtet haben.
Wir haben unsere Gegensätze trotzdem ausgetragen, haben aber überflüssigen Aufwand vermieden.
Dieser § 6 a ist lediglich eine Anregung, die ich persönlich — nicht namens der Regierung — zur Diskussion im Bundestag stelle.
Die Hauptfrage, die heute zu klären war, war wohl die Frage der Zuständigkeit des Bundes für dieses Straffreiheitsgesetz. Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat meinen Standpunkt für „mager" gehalten, ich halte ihn für knapp und richtig. Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt hat nichts Sachliches und Entscheidendes dagegen vorbringen können. Ich sage: das Recht, Straffreiheit zu gewähren, ist das Recht desjenigen, der das Strafrecht setzt; und wer die Gewalt hat, Strafrechtsnormen aufzustellen, hat auch das Recht, sie zu variieren, sie völlig aufzuheben oder sie in Kraft zu lassen und ihre Wirkung zu beschränken. Dabei spielt gar keine Rolle — das ist meine Über-
zeugung —, ob ein Urteil ergangen ist oder nicht. Das Problem des Anspruchs auf Strafklage, auf Strafverfolgung und auf Strafvollstreckung, das vom Herrn Abgeordneten Dr. Etzel aufgeworfen worden ist, ist demgegenüber unbeachtlich. Das Strafrecht und das Recht, über das Strafrecht gesetzgeberisch zu verfügen, ist maßgebend. Die Straffreiheit setzt einen Strafaufhebungsgrund, sie wirkt allgemein und verstößt daher auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Dieser Strafaufhebungsgrund soll dem Täter zugute kommen, gleichgültig ob er bestraft ist oder ob er seiner Verurteilung entgegensieht. Das ist der einfache und klare Gesichtspunkt, der durchgreift.
Meine Damen und Herren! Ich darf wohl annehmen, daß nunmehr keine weiteren Wortmeldungen zur Aussprache in der ersten Beratung erfolgen.
Ich stelle das fest und schließe hiermit die erste
Aussprache.
Ich darf weiter das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß der Entwurf der Bundesregierung Drucksache Nr. 251 hiermit dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassung als überwiesen gilt.
Einverstanden? — Danke. Ich stelle das fest.
Ich darf wohl dasselbe für die Drucksache Nr. 17 — Antrag der Fraktion des Zentrums — feststellen, der als an den Ausschuß für Rechtswesen überwiesen gilt. Erhebt sich Widerspruch? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir an Hand der Erfahrungen, die wir jetzt bei der ersten Beratung des ersten Gesetzentwurfs gemacht haben, einige grundsätzliche Bemerkungen. Ich glaube, meine Bitte an alle Mitglieder des Hauses, sich auf das Grundsätzliche zu beschränken, ist nicht in allen Fällen erfüllt worden. Ich habe dadurch, daß ich das eingangs sagte, stillschweigend die Erwartung auch einer gewissen zeitlichen Beschränkung involviert. Ich stelle aber in tatsächlicher Beziehung fest, daß wir zweiundeineviertel Stunde oder zweiundeinehalbe Stunde für die erste Lesung dieses ersten Gesetzentwurfs gebraucht haben. Ich glaube, ich brauche nicht darauf hinzuweisen, wie lange sich die heutige Sitzung dann ausdehnen wird, wenn wir bei den ersten Beratungen der nächsten Gesetzentwürfe in dieser Art und Weise fortfahren. Ich darf also erneut an alle Damen und Herren, die sich an der ersten Beratung der kommenden Gesetzentwürfe beteiligen, hoch einmal die Bitte und den herzlichen Appell richten, sich sowohl in bezug auf die Art der Ausführungen — nämlich auf die Behandlung der Grundsätze - als auch in bezug auf die Redezeit auf der andern Seite auf ein angemessenes zeitliches Maß zu beschränken, weil ich sonst allerdings fürchte, daß wir mit dieser umfangreichen Tagesordnung heute nicht fertig werden.
Wir kommen damit zu Punkt 3 der Tagesordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte einmal fragen, Herr Bundestagspräsident, warum die Aussprache über die Frage der Gleichberechtigung der Frau,
die gestern abgebrochen worden war, an die 15. Stelle der Tagesordnung gesetzt worden ist. Ich kann verstehen, daß die vier Gesetzentwürfe vorgehen, die jetzt den Ausschüssen zugestellt werden. Aber daß wir an die 15. Stelle rücken und daß die Zusammenhänge auseinandergerissen werden, habe ich nicht verstanden.
Frau Abgeordnete Weber, darf ich Ihnen darauf erwidern, daß gestern abend sehr eingehend geprüft worden ist, in welcher Reihenfolge wir die Angelegenheiten erledigen wollen. Wir haben gewisse Dringlichkeitsfragen in völliger Übereinstimmung festgestellt, und Sie sind mit der Fortsetzung der Aussprache über die älteren, früheren Tagesordnungspunkte auf Punkt 15 gekommen. Sie dürfen überzeugt sein, daß nach meinem Appell, an dessen Erfolg ich nun nicht mehr zweifle, rechtzeitig der Punkt 15 zur Sprache kommen wird.
—Vielleicht haben wir nachhenr Gelegenheit, noch
einmal darüber zu sprechen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland .
Das Wort zur Einbringung der Vorlage hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Nur wenige Worte zu dem Gesetzentwurf, die den Zweck haben sollen, Sie zu bitten, diese Vorlage möglichst rasch zu behandeln. Das bisherige Gesetz über die Erhebung des Berliner Notopfers läuft am 31. Dezember 1949 ab. Ich möchte Sie dringend bitten, die Beratungen hier im Hause wie im Finanzausschuß selbst so zu beschleunigen, daß dieser Termin des 31. Dezember 1949 eingehalten werden kann.
Über die Notwendigkeit des Gesetzes brauche ich dem Hohen Hause nichts zu sagen. Ich wiederhole hier nur kurz die Leistungen, die Westdeutschland übernommen hat, um der Stadt Berlin die notwendige Hilfe zu geben. Sie werden aus der Zusammenstellung der Zahlen ersehen, daß die Aufbringung von Mitteln unbedingt notwendig ist, um diese Leistungen erfüllen zu können. Die deutsche Bundesregierung hat, um einen Kredit von insgesamt 55 Millionen DM für den Ausbau der BEWAG in Berlin flüssigmachen zu können, eine Bürgschaft von 11 Millionen DM übernommen. Sie hat, um den sogenannten Swing des Interzonenhandels zu überbrücken, einen weiteren Kredit von 20 Millionen DM übernommen. Sie hat, um die Handelswechsel, mit denen die Stadt Berlin die Verpflichtungen an das Deutsche Kohlenkontor für die Aufrechterhaltung des Kohlenstocks abdecken will, eine weitere Bürgschaft von 37 Millionen DM übernommen. Sie übernimmt weiter eine Verpflichtung von 50 Millionen DM, wenn die Verhandlungen mit den Wirtschaftsverbänden Berlins über die Richtlinien abgeschlossen sind, um den Warenverkehr zwischen Berlin und Westdeutschland des politischen Risikos zu entkleiden. Aus Mitteln der sogenannten Gegenwertkonten sollen weitere 95 Millionen DM nach Berlin gegeben werden, näm-
lich 50 Millionen DM für Industriezwecke und rund 45 Millionen DM hauptsächlich 'für Wohnungsbauten. Außerdem gewährt der Bundesfinanzminister Umsatzsteuerfreiheit für die Waren, die aus der Stadt Berlin nach Westdeutschland verkauft und in Westdeutschland in Verkehr gebracht werden. Ferner hat sich die deutsche Regierung verpflichtet, öffentliche Aufträge in größtmöglichem Umfange nach der Stadt Berlin zu lenken. Sie wissen weiter wohl, daß die Stadt Berlin für ihre Ausgleichsforderungen und für die Aufwertung der Uraltkonten auch in diesem Jahr einen Betrag von 174 Millionen DM erstrebt, der von der Bank deutscher Länder gegeben werden soll.
Ich möchte dem Hohen Hause erklären, daß alle diese Maßnahmen eingeleitet sind, daß insbesondere die 95 Millionen DM ERP-Gegenwert-konten in absehbarer Zeit nach meiner Überzeugung werden freigegeben werden können. Ich kann dem Hohen Hause auch versichern, daß die deutsche Bundesregierung alles tut, um auch die Haushaltsunterstützungen in Berlin möglichst rasch und möglichst im notwendigen Umfange zu gewähren. Ursprünglich waren es 22 Millionen monatlich; derzeit sind es 37 Millionen. Der Wunsch des Magistrats Berlins lautet dahin, eine monatliche Haushaltshilfe von 60 Millionen zu erhalten. Sie wissen, daß alle diese außerordentlichen Ausgaben zur Zeit insofern von den Ländern geleistet werden, als der Bund, solange die großen Bundessteuern in den Händen der Länder sind, seine Ausgaben nur dadurch leisten kann, daß er aus diesen sachlich und rechtlich Bundessteuern darstellenden Einnahmen gewisse Beiträge für die Aufgaben des Bundes von den Ländern p erheben muß. Die Finanzlage der Länder ist angespannt, und die Bundesregierung würde wahrscheinlich den Ansprüchen der Stadt Berlin über das bisher Gewährte hinaus nur entsprechen können, wenn sie einen Kredit bei der Bank deutscher Länder aufnimmt, aber in einer Form, die für die Länder auch tragbar wäre. Die Verhandlungen hierüber laufen.
Um nun das ganze Werk nicht zu stören, ist es notwendig, das Berliner Notopfer weiter zu erheben und keine Lücke eintreten zu lassen, und ich bitte Sie deshalb, diesen Gesetzentwurf möglichst rasch zu behandeln, damit er möglichst bald Gesetz wird.
Meine Damen und Herren! Darf ich eine Bemerkung zum geschäftlichen Ablauf des heutigen Tages machen. Es herrschte gestern abend Übereinstimmung im Ältestenrat, daß wir ohne Pause tagen, wie es früher auch im Reichstag gewesen ist, das heißt, daß wir die Mahlzeiten zwischendurch einnehmen. Darf ich an die Fraktionen die Empfehlung richten, sich untereinander so zu verständigen, daß man gruppenweise geht,
so daß eine entsprechende Besetzung des Hauses gewährleistet bleibt.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Abgeordneten Rische das Wort.
Meine Damen und Herren! Wirklich in letzter Minute wurde uns ein Gesetz der
Bundesregierung über die Abgabe „Notopfer Berlin" vorgelegt. Gegen diese Praxis haben wir schon anläßlich des Amnestiegesetzes unsere ernstesten Bedenken geäußert. Ich werde da an die Praxis des Wirtschaftsrats erinnert.
Auch im Wirtschaftsrat war es üblich, uns derartige unbequeme Gesetze immer in letzter Minute vorzulegen, insbesondere — daran werden sich die Herren des Wirtschaftsrats noch erinnern können —, wenn es sich um Gesetze vom Ausmaß des Notopfergesetzes handelte. Darin liegt meiner Meinung nach eine bestimmte Methode. Man möchte nämlich unangenehme Gesetze in verdächtiger Eile durchpeitschen. Außerdem ist es eine unparlamentarische Praxis. Gesetze müssen den Abgeordneten eine geraume Zeit vor der ersten Lesung bekannt sein. Nur dann kann überhaupt eine ordnungsgemäße Behandlung von Gesetzesvorlagen erfolgen.
Herr Abgeordneter Rische, ich darf Sie einmal einen Moment zu einer Berichtigung unterbrechen. Es herrschte gestern abend im Ältestenrat durchaus Übereinstimmung darüber, daß insoweit von dieser nach der Geschäftsordnung richtigen Praxis in diesem vordringlichen Fall ab- gewichen werden soll.
Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich in dieser Frage einen grundsätzlich andern Standpunkt vertrete!
Bitte!
Ein Gesetz muß den Abgeordneten vorher vorgelegt worden sein, damit jeder Abgeordnete Gelegenheit hat, sich mit dem materiellen Inhalt des Gesetzes vertraut zu machen.
Nur so ist überhaupt die politische Behandlung einer Gesetzesvorlage in parlamentarischer Weise möglich.
Zu dem Gesetz selbst nehmen wir den Ihnen bekannten Standpunkt ein. Wir möchten die Berlin-Frage, die für unser Volk so tragisch ist, politisch regeln. Berlin ist zugegebenermaßen ein politisches Problem und muß auch von politischen Gesichtspunkten aus gesehen und behandelt werden, Subventionen, Zuschüsse usw., Herr Finanzminister, sind immer unzureichend und außerdem ungerecht. Hier wird nämlich etwas präjudiziert. Das könnte hier in Westdeutschland einmal Schule machen. Ich erinnere nur an die schwierige Finanzlage unserer Kommunen draußen im Lande. Ich glaube, es besteht von dieser Seite her die Gefahr, daß man sich eines Tages — und mit Recht — auf die Berlin-Praxis beruft und verlangt, daß auch für die Kommunen Mittel flüssiggemacht werden, um den notleidenden Kommunen zu helfen.
Meine Damen und Herren! Wenn Berlin geholfen werden soll, dann kann es nur auf folgende Weise geschehen: Man muß dieser so sehr von Leid geprüften Stadt die alte Stellung wiedergeben. Das erfordert die Herstellung der Einheit der Stadt, die Herstellung der Einheit der Währung, die Herstellung einer einheitlichen Stadtverwaltung, ja einer einheitlichen Kommunalpraxis in Berlin.
Wir wissen, daß diese Einheit nur in einem einheitlichen Vaterland wiederhergestellt werden kann.
— Meine Damen und Herren, Sie haben derart viele Einwände gegen eine solche Praxis, die wir empfehlen, um die Einheit einer Stadt herzustellen! Stellen Sie sich doch einmal Berlin vor! Diese Millionenstadt ist gespalten, ihre Wirtschaft ist auseinandergerissen,
es gibt zweierlei Währungen.
Es gibt zweierlei Politik und darum auch die entsprechenden Schwierigkeiten. Aber es gibt nur eine einzige Berliner Bevölkerung
— ich denke, das dürfte deutlich genug sein —, genau so wie es in unserem Vaterland nur eine einzige Bevölkerung gibt nämlich Deutsche in Westdeutschland und Deutsche in Mitteldeutschland und Deutsche in Ostdeutschland.
Das ist unser grundsätzlicher Standpunkt zur Frage Berlin. Und unser Standpunkt, meine Damen und Herren, ist zur gleichen Zeit auch der Standpunkt von Millionen Menschen in Berlin und in Westdeutschland. Ich erinnere hier daran, daß die Gewerkschaftsbünde, daß die Gewerkschaftsorganisationen und -kartelle, daß Betriebsbelegschaften zu Tausenden Resolutionen gegen die Erhebung des Notopfers Berlins verfaßten.
Wenn Sie einmal auf die Stimmung des Volkes hören wollen, — —
— Mein lieber Kollege von der Sozialdemokratischen Partei, hören Sie nur gut zu!
Wenn Sie einmal die Stimmung des Volkes kennenlernen wollen, dann beschäftigen Sie sich mit diesen Resolutionen;
denn diese Resolutionen verlangen, daß das Notopfer Berlin nicht mehr erhoben werden soll.
Wir befinden uns mit unserem Standpunkt nicht nur auf einer gemeinsamen Linie mit den Gewerkschaften und Betriebsbelegschaften, sondern, meine Damen und Herren von der Rechten, auch mit der Wirtschaft. Selbst die Wirtschaft lehnt es ab, das Gesetz über die Erhebung des Notopfers Berlins weiterhin anzuerkennen.
— Na, Sie haben eine rechte Auffassung von Ihrer Wirtschaft! Wenn Sie von Mißwirtschaft sprechen, bin ich mit der Definition Ihrer Wirtschaft einverstanden.
Meine Damen und Herren! Ich bitte nicht allzuviele Zwischenrufe zu machen; sie verlängern nur die Sitzung.
Außerdem befinden wir uns in bester Gemeinschaft mit der öffentlichen Meinung.
Ich möchte hierzu einen Artikel zitieren, der in der offiziellen Zeitung der britischen Militärregierung am 17. November 1949 veröffentlicht wurde. In diesem Artikel heißt es sehr zutreffend:
Auch die völlige Einfügung Berlins in den westdeutschen Bund würde nicht ausreichen. Auch sie könnte nicht den Verlust der Ostgebiete als entscheidender Berliner Markt wettmachen. Mehr als irgendein anderer Landesteil also braucht Berlin das ungeteilte Deutschland. Aus seiner Tradition, aus seiner wirtschaftlichen Not heraus wird Berlin zur entscheidenden Triebkraft und zum entscheidenden Angelpunkt des politischen Strebens nach einer Einheit Deutschlands.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen von der sozialdemokratischen Fraktion,
nach meiner Unterrichtung hat diesen Artikel ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei — er soll außerdem ein sogenannter Berlin-Flüchtling sein —, ein Herr Rudolf Küstermeyer, verfaßt.
— Sie müssen ja wissen, ob dieser Mann Mitglied Ihrer Partei ist. Ich denke, dieser Mann hat hier einen außerordentlich gesunden und außerdem richtigen Standpunkt vertreten.
Meine Damen und Herren, wir sind heute ermahnt worden, möglichst kurz zu den Gesetzesvorlagen zu sprechen. Trotzdem möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf § 24 lenken, der die Durchführungsvorschriften betrifft. Darin heißt es unter Absatz 1: „Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, . . ." usw. Eine derartige Ermächtigung des Bundesfinanzministers finden Sie auch im Absatz 2. Meine Damen und Herren, was ist das für eine Praxis? Wir wenden uns ganz entschieden gegen derartige Ermächtigungen an Minister. Es gibt nur eine einzige Ermächtigung; die gab das Volk u n s , dem Parlament. Wir haben die ernstesten Bedenken gegen diese Ermächtigungen, weil wir wissen, daß dann von ministerieller Seite aus angesichts der großen Schwierigkeiten der Stadt Berlin irgendwie noch etwas geschehen wird, um unter Ausschluß der Öffentlichkeit irgend etwas zu tun. Natürlich muß Berlin geholfen werden; wir streiten das keinesfalls ab. Aber dann muß die Tragik dieser Stadt beseitigt werden, dann muß Berlin eine Einheit bilden und dann muß Berlin die Hauptstadt Deutschlands werden. Da Sie das nicht wollen, können Sie von uns nicht verlangen, das wir diese Praxis der Erhebung einer Massensteuer unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Fink.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Anläßlich der Informationsreise, die der Berlin-Ausschuß kürzlich nach Berlin unternommen hat, ist uns allen, die wir an dieser Reise teilgenommen haben, erschreckend vor Augen gestellt worden, wie groß heute noch die wirtschaftliche und finanzielle Not Berlins und der Berliner Bevölkerung ist, diese Not, die ihre Gründe nicht nur in den Folgeerscheinungen des verlorenen Krieges hat, sondern die zum guten und großen Teil auch auf die fast ein Jahr währende Blockade Berlins zurückzuführen ist. Wenn auch die Ber-
liner Blockade heute aufgehoben ist, so sind die Folgen dieser Blockade noch nicht überwunden. Auch heute noch tritt uns diese Not in weitem und weitestem Umfang vor Augen.
Deshalb wird sich niemand dem Gedanken der zwingenden Notwendigkeit einer materiellen Hilfeleistung für Berlin verschließen können. Wenn der Herr Kollege Rische hier die Notwendigkeit dieser Hilfe überhaupt in Frage gestellt hat, wenn er gemeint hat, die Hilfe könnte sich lediglich auf der politischen Ebene vollziehen, so kann, glaube ich, niemand sonst in dem Hohen Hause diesen Gedankengängen Folge leisten. Man kann sich dabei fast des Eindrucks nicht erwehren, daß die Hilfeleistung, die Berlin heute erhält, in den Reihen der KPD deshalb so wenig Sympathie findet, weil ihr durch diese fortschreitende Hilfe mehr oder weniger der Boden für Propagandastoff entzogen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die Bayernpartei hat sich in der Debatte, die kürzlich hier in dem Hohen Hause über Berlin stattgefunden hat, durchaus auf einen positiven Standpunkt gestellt und hat dabei durch ihren Sprecher hier im Hause fast durchwegs vollste Zustimmung gefunden. Es wird demnächst Veranlassung gegeben sein, im Berlin-Ausschuß das Resultat der Berlin-Reise genauestens unter die Lupe zu nehmen und alle Mittel und Wege in Erwägung zu ziehen, die gefunden werden können, um die Berlin-Hilfe auch wirklich und in der Tat wirksam durchführen zu können.
Eine andere Frage aber ist die der formellen o Durchführung, das heißt, wie die Hilfe für Berlin geleistet und gestaltet wird. Es sollen — wir haben das aus den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers soeben wieder gehört — auch in der Zukunft weitestgehend Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden. Unter Berücksichtigung dessen wäre es nunmehr an der Zeit, die baldmögliche — wir sagen nicht: die sofortige, aber die baldmögliche — Aufhebung des sogenannten Notopfers Berlin in Aussicht zu nehmen.
In diesem Sinne hat auch der Vertreter Bayerns
im Bundesrat, Herr Staatsminister Dr. Seidel,
sich in der Sitzung vom 23. November 1949 ausgesprochen. Er hat einer Beschränkung der
Weitergeltung bis zum 31. März 1950 das Wort
geredet und das damit begründet, daß diese Abgabe ein schweres Opfer für die Bevölkerung der
Bundesrepublik darstellt. Mögen auch — das soll
gewiß nicht bestritten werden — die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Westzonen heute im
allgemeinen besser sein, als es in Berlin der Fall
ist, so ist doch ebenso unbestritten, daß auch im
„goldenen Westen" nicht alles Gold ist, was glänzt.
Für die Besteuerung in Form einer Briefmarke, die während der Blockade ihren Sinn haben mochte, hat heute die Bevölkerung im Westen kein so rechtes Verständnis mehr. Es ergeben sich auch bei der Beförderung der Postsachen so vielerlei Unzuträglichkeiten, wenn vergessen wird, die Marken aufzukleben, und wenn dann die Briefe und Karten an den Absender zurückbefördert werden. Sonst ist es überall gang und gäbe, daß in solchen Fällen, wenn nicht genügend frankiert ist, Strafporto erhoben wird. Das ist auch eine Belastung des ganzen Postbetriebs, die berücksichtigt werden muß. Darüber hinaus erwächst
aber auch den Finanzämtern, die an und für sich ein vollgerüttelt Maß an Arbeit haben — das, glaube ich, wissen wir alle —, durch die Notopferabgabe noch zusätzlich eine Fülle von weiterer Arbeit.
Somit muß es wohl als ein Gebot der Billigkeit bezeichnet werden, diese Form einer Sonderbesteuerung unserer Bevölkerung so schnell als möglich abzubauen. Es möge angesichts der vom Bund in Zukunft zur Verfügung zu stellenden Mittel von der Bundesregierung doch überlegt werden, wie rasch dieser Abbau dann auch erfolgen kann.
Ich wiederhole deshalb: An der Notlage, in der sich Berlin auch' heute nach Aufhebung der Blokkade noch befindet, wollen und dürfen wir nicht mit verschlossenen Augen vorübergehen. Daß hier Hilfe, und zwar wirksame Hilfe geleistet werden muß, ist jedem Einsichtigen klar. Aber diese Hilfe soll nicht in der Weise verwirklicht werden, daß man unserer eigenen Bevölkerung, die wahrlich heute auch noch nicht mit Glücksgütern gesegnet ist, länger eine solche Last aufbürdet, als unbedingt notwendig ist, weil diese Last auch für unsere Bevölkerung in den Westzonen immer drükkender wird.
Die zeitliche Beschränkung des Notopfers, wie sie im Bundesrat vom Vertreter Bayerns gefordert worden ist, ist deshalb eine zwingende Notwendigkeit. Denn hinsichtlich der Hilfeleistung für Berlin können auch andere gangbare und ebenso wirksame Mittel und Wege gefunden werden. Wenn deshalb im Gesetzentwurf der Bundesregierung eine mögliche Geltungsdauer der Notopferabgabe bis 31. Dezember gegenüber dem ursprünglichen Termin des 31. März vorgesehen ist, so können wir einer solchen neuen,. so langen Terminsetzung im Interesse der Bevölkerung unserer Westzonen nicht zustimmen. Wir bitten daher zu überlegen, ob man nicht an dem ursprünglich festgesetzten Termin festhalten soll.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist damit geschlossen. Der Entwurf wird an den Haushaltsausschuß verwiesen.
- An den Haushaltsausschuß.
Ich rufe nunmehr auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplanes und über die vorläufige Rechnungsprüfung sowie über die vorläufige Haushaltsführung im Rechnungsjahr 1949 .
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Artikel 120 des Grundgesetzes sieht vor, daß mit einem durch Gesetz zu bestimmenden Tage die großen Ausgaben für Kriegslasten und Kriegsfolgelasten auf den Bund übergehen und daß die großen Einnahmen des Bundes gleichzeitig und am gleichen Tage auf den Bund übergehen. Es ist Ihnen bekannt, daß in der Zeit der Geburtsstunde der deutschen Bundesrepublik die Vereinbarung getroffen wurde,
daß für das laufende Haushaltsjahr die Länder noch die Lasten, aber auch die Einnahmen behalten. Erst mit dem Schluß des laufenden Haushaltsjahres, also mit dem 1. April 1950, sollen die Lasten sowohl wie die Einnahmen auf den Bund übergehen. Dadurch entsteht eine Übergangszeit. Diese Übergangszeit entsteht auch nach der formalrechtlichen Seite insofern, als zur Zeit eine gesetzliche Grundlage für die Haushaltsführung des Bundes und die Haushaltsgestaltung praktisch noch nicht gegeben ist. Deswegen hat die Ministerpräsidentenkonferenz von sich aus einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans und die vorläufige Rechnungsprüfung sowie die vorläufige Haushaltsführung im Jahre 1949 gemacht. Dieser Gesetzentwurf ist in seinem wesentlichen Inhalt von der Bundesregierung übernommen worden und liegt Ihnen vor.
Für die Regelung, die dieser Gesetzentwurf trifft, ist zum Verständnis folgendes zu bemerken. Für einen großen Teil der Bundesverwaltung, nämlich für die Verwaltungen, die aus der Zeit des Vereinigten Wirtschaftsgebieles übernommen worden sind und deren Aufgaben als Bundesaufgaben ohne Änderung im organisatorischen Aufbau fortgeführt werden, sind bereits verwertbare Haushaltsgrundlagen in dem erst im Juli 1949 vom Wirtschaftsrat verabschiedeten Haushaltsplan 1949 vorhanden. Bei den neuen Bundesorganen und Bundesverwaltungen ist die Entwicklung, ihr Aufbau und ihr Aufgabengebiet noch völlig im Fluß und war noch nicht genau zu übersehen, als der Gesetzentwurf Ihnen vorgelegt worden ist. Deshalb ist in diesem Entwurf vorgeschlagen, Verfügungssummen auszuwerfen, um sich der Entwicklung anzupassen und gleichzeitig durch Bewilligungen etwaiger Verfügungssummen nicht eine Präjudizierung auch der gesetzgebenden Körperschaften für die Zukunft eintreten zu lassen.
Was die Aufstellung des Haushalts betrifft, so ist es unmöglich, für das Rumpfrechnungsjahr 1949 einen Haushaltsplan in der üblichen Form aufzustellen und Ihnen vorzulegen. Die Ausarbeitung eines solchen Haushaltsplanes würde soviel Zeit beanspruchen, daß Ihnen vermutlich der Gesetzentwurf erst nach Abschluß des Rumpfrechnungsjahres vorgelegt werden könnte. Auch hier muß den Übergangsschwierigkeiten Rechnung getragen werden. Das Hauptgewicht der jungen Finanzverwaltung muß darauf gelegt werden, den Haushaltsentwurf 1950/51, der für lange Jahre richtunggebend sein wird, möglichst exakt auszuarbeiten, damit er wirklich als Unterlage dienen kann. So ist der vorliegende Gesetzentwurf entstanden. Er besteht seinem doppelten Zweck nach inhaltlich aus zwei Teilen, nämlich aus einer vorläufigen Haushaltsordnung und einem vorläufigen Haushaltsgesetz. Nur aus Vereinfachungsgrinden sind diese beiden Teile in einem Gesetzentwurf zusammengefaßt.
Eine kurze Bemerkung zur vorläufigen Haushaltsordnung. Diese umfaßt die Ordnung des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens sowie der Rechnungsprüfung. Auf längere Sicht gesehen wäre wohl zu erwägen, ob das gesamte Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen für die Bundesverwaltung neu zu ordnen ist. Eine solche Neuordnung erfordert aber gründliche Vorarbeit und längere Zeit. Sie kann nicht abgewartet werden, da die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesverwaltung sofort in geordnete Bahnen
gelenkt werden muß. Sie wird einem späteren Zeitpunkt vorbehalten werden.
Die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung und die zu ihrer Ergänzung und Durchführung erlassenen Bestimmungen haben sich bewährt. Sie sind deshalb von der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes bisher entsprechend angewandt worden. Nach ihren Grundsätzen wird auch in den Ländern der Westzone verfahren. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß diese Vorschriften und Bestimmungen auch für die Aufstellung des Bundeshaushaltsplans grundsätzlich gelten sollen. Die Reichshaushaltsordnung enthält neben den Vorschriften über die Aufstellung des Haushaltsplans, über seine Ausführung, über die Kassen- und Buchführung und über die Rechnungslegung auch Vorschriften über die Rechnungsprüfung und über den Rechnungshof. Die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung über die Rechnungsprüfung und über den Rechnungshof sind in ihrem wesentlichen und grundsätzlichen Teil seit ihrer Schaffung im Jahre 1922 in Kraft. Der Rechnungshof ist danach eine unabhängige. nur dem Gesetz unterworfene Behörde, die in kollegialer Besetzung entscheidet. Die seit 1933 vorgenommenen Änderungen haben den kollegialen Charakter des Rechnungshofs nicht berührt. Für die Zwecke der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes waren die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung über den Rechnungshof und seinen Präsidenten den veränderten Verhältnissen durch das Gesetz über die Errichtung eines Rechnungshofs für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet vom 3. November 1948 angepaßt worden. Dieses Gesetz ist, von einigen geringfügigen Einschränkungen abgesehen, geeignet, dem bisherigen Rechnungshof als vorläufige Grundlage auch für seine Arbeit im Bereiche der Bundesverwaltung zu dienen. Der Gesetzentwurf sieht eine entsprechende Regelung vor. Er bestimmt dazu, daß der durch das vorgenannte Gesetz errichtete bizonale Rechnungshof zunächst die Aufgaben des Bundesrechnungshofs übernimmt. Er stellt weiter klar, daß der Rechnungshof die Rechnungsprüfung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes zu Ende zu führen hat.
Diese Bestimmungen über den Rechnungshof sollen nur solange in Kraft bleiben, bis ein Gesetz über die Errichtung eines Bundesrechnungshofs verabschiedet sein wird, das im Hinblick auf Artikel 114 des Grundgesetzes notwendig erscheint und für das ein Referentenentwurf bereits vorliegt. Der Referentenentwurf liegt zur Zeit den Länderverwaltungen zur Stellungnahme vor. Ich hoffe, daß der Entwurf bald, vielleicht noch im Dezember, den gesetzgebenden Körperschaften
zugehen kann.
Ich hatte bezüglich des vorläufigen Haushaltsgesetzes bereits ausgeführt, daß es aus technischen und sachlichen Gründen nicht durchführbar ist, für die Übergangszeit des Rumpfrechnungsjahres einen Haushaltsplan in der sonst üblichen Form aufzustellen. Ich hatte darauf hingewiesen, daß für einen großen Teil der im Aufbau befindlichen neuen Bundesorgane und Bundesverwaltungen die funktionellen und organisatorischen Grundlagen noch nicht so weit geklärt sind, daß die Vorarbeiten hierfür bis zum Gesetzentwurf hätten abgeschlossen werden können. Auf der anderen Seite hatte ich daran erinnert, daß für diejenigen Bundesverwaltungen, die ohne größere Verschiebungen in dem organisatorischen Aufbau die bisherigen bizonalen Aufgaben weiterführen, im bizona-
len Haushaltsplan 1949 weitgehend verwertbare Haushaltsgrundlagen bereits vorhanden sind, die nicht erst neu erarbeitet zu werden brauchen.
Bei der Besonderheit der Lage sieht der Gesetzentwurf für das Rechnungsjahr 1949 auf vier verschiedenen Grundlagen eine Regelung vor, die zusammen den Haushaltsplan ergeben.
Für diejenigen Bundesverwaltungen, die an die Stelle entsprechender bisheriger Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes getreten sind, soll grundsätzlich die Übernahme des Haushalts- und Wirtschaftsplans 1949, der im Juli 1949 beschlossen worden ist, gelten. Ich muß betonen, daß bei diesen Verwaltungen die Einnahmen und Ausgaben vom 21. September 1949 ab geschieden werden und daß sie ohne Rücksicht auf den Zeitraum, für den sie bestimmt sind, auf den Bund übergehen und für die Zeit vorher für die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes verrechnet werden.
Etwaigen Änderungen im organisatorischen Aufbau der Verwaltungen wird haushaltsplanmäßig bei einem begründeten zusätzlichen Ausgabebedarf durch Bereitstellung überplanmäßiger Mittel, bei Wegfall von Aufgaben oder von Voraussetzungen für Mittelbewilligungen durch entsprechende Sperrungen von Ausgabemitteln durch den Bundesminister der Finanzen Rechnung zu tragen sein.
Für diejenigen Organe und Einrichtungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, deren Zwecke weggefallen sind oder völlig neu gestaltet werden, wie zum Beispiel Wirtschaftsrat, Länderrat, Direktorialkanzlei, Rechtsamt, Amt für Fragen der Heimatvertriebenen, Deutsches Obergericht und andere dürfen ab 21. September 1949 die im bizonalen Haushaltsplan 1949 bereitgestellten Mittel grundsätzlich nur noch insoweit in Anspruch genommen werden, als es für die Abwicklung dieser Stellen notwendig ist.
Für diejenigen Bundesorgane, die keinen Vorgänger in einer Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets haben, sollen nach dem Entwurf Verfügungssummen zur Bestreitung der Ausgaben bewilligt werden. Für eine solche Regelung war bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs bestimmend, daß sich für diese Bundesorgane der Ausgabebedarf im einzelnen erst näher wird feststellen lassen, nachdem Form und Umfang ihrer Organisation sowie ihr Aufgabenbereich sich klarer abzeichnen, als es damals der Fall gewesen ist. Ich bemerke: Wahrscheinlich werden sich, bis die Beratungen im Haushaltsausschuß beginnen, Form und Umfang der neuen Organe übersehen lassen, so daß ich hoffen kann, daß schon während der Beratungen des Haushaltsausschusses die Stellenpläne und die benötigten Mittel für diese neuen Bundesorgane bekanntgegeben und damit bereits auf dem ordentlichen Weg der Haushaltsberatung beschlossen werden können.
Darüber hinaus wird es notwendig werden, durch besonderes Gesetz Ergänzungen oder Änderungen zu den bisherigen Haushaltsbewilligungen zu beschließen. Die Bundesregierung wird sich genötigt sehen, für Lebensmittelsubventionen und für die Finanzhilfe für die Stadt Berlin die Bewilligung weiterer Mittel anzufordern. Der Entwurf eines entsprechenden Ergänzungsgesetzes wird den gesetzgebenden Körperschaften demnächst zugehen.
Das Ergebnis der Auswirkungen der vorgeschlagenen Gesetzesregelung, also die rechnerische Zusammenfassung der vier Grundlagen bildet den Gesamtplan für das Rumpfrechnungsjahr 1949, zu dessen Zusammenstellung und verbindlicher Bekanntgabe der Bundesminister der Finanzen ermächtigt werden soll, der aber dabei nur die Aufgabe der rechnerischen Zusammenstellung dessen hat, was sich an Ausgaben aus ihren Beschlüssen und aus der bestehenden Gesetzgebung ergibt.
Bei den Beratungen in den Ausschüssen wird es möglich sein, über das Zahlenbild des vorläufigen Haushaltsplans schon genauere Angaben zu machen. Das Etatvolumen wird sich ungefähr in einer Größenordnung von 950 Millionen D-Mark bewegen. Ich bemerke hierzu, daß das Etatvolumen der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, für ein Jahr gerechnet, 1,3 Milliarden gewesen ist. Es würde also auf die neue Bundesverwaltung zunächst ein Halbjahr treffen plus, genau gerechnet, 10 Tage, also ein Betrag von über 650 Millionen D-Mark. Da aber, wie ich Ihnen bereits sagte, die Einnahmen und Ausgaben nicht nach dem Zeitpunkt berechnet werden, in dem sie anfallen, sondern automatisch mit dem 21. September 1949 abgeschnitten wird und Einkünfte und Ausgaben nach dem Zeitpunkt des Kasseneingangs und Kassenausgangs geschieden werden, fallen große Ausgaben, die wirtschaftlich auf das erste Halbjahr zu rechnen wären, also auf die Zeit des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, heute in den Etat des Bundes, nämlich in das zweite Halbjahr. Diese Beträge sind zum Beispiel:
1. rund 200 Millionen D-Mark Subventionsmittel für die Zeit vor dem 1. September 1949,
2. Beträge von ungefähr 60 Millionen D-Mark für die gleiche Zeit, die für den Kohlenbergbau, Bergarbeiterwohnungsbau usw. bestimmt sind, und
3. 32,7 Millionen D-Mark aus der Verwaltung
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Diese Beträge gehören wirtschaftlich in das erste Halbjahr, fallen aber kassenmäßig in das zweite Halbjahr und erhöhen infolgedessen dan Halbanteil in Höhe von 650 Millionen DM urn rund 300 Millionen. Daraus ergibt sich das Etatvolumen von 950 Millionen D-Mark. Die neuen Verwaltungen und die neuen Aufgaben, die die Bundesregierung zu übernehmen hat, stellen nur eine prozentual geringe Mehrung dar. Die genaue Ziffer wird Ihnen aus den Haushaltsunterlagen vorgelegt werden. Sie wird insgesamt ungefähr 20 Millionen D-Mark betragen.
Das wird der Haushaltsplan für das Rumpfrechnungsjahr sein, der Ihnen auf Grund dieses Gesetzentwurfs, wenn er beschlossen ist, vorgelegt werden kann, und zwar mit einem Ergänzungsgesetz für die außerordentlichen Ausgaben, die Ihnen schon bekannt sind, darunter insbesondere auch die Hilfe für die Stadt Berlin.
Gemäß Artikel 76 des Grundgesetzes ist der
Bundesrat zu dem Gesetzentwurf gehört worden.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 10. November wie folgt entsprechend der Empfehlung
seines Finanzausschusses Stellung genommen:
Der Bundesrat erkennt die dringende Notwendigkeit an, für den Bund klare haushaltsrechtliche Verhältnisse zu schaffen. Gleichwohl sieht er sich zur Zeit außerstande, zu dem nach Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes zugeleiteten Gesetzentwurf über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans usw. zustimmend Stellung zu nehmen.
Der Bundesrat beauftragt den Finanzausschuß des Bundesrats, in sofort aufzunehmen-
der Verhandlung mit dem Herrn Bundesfinanzminister und gegebenenfalls mit dem entsprechenden Ausschuß des Bundestags seine Bedenken zu erörtern mit dem Ziele, eine Verständigung herbeizuführen.
Gemäß dem letzten Absatz dieses Beschlusses sind die zu dem Gesetzentwurf aufgeworfenen Fragen in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats am 11. November 1949 in Bad Königstein mit den Vertretern meines Ministeriums erörtert worden. Es hat sich ergeben, daß der Bundesrat irgendeine Änderung am Wortlaut des Ihnen vorgelegten •Gesetzentwurfs nicht vorgeschlagen hat, sondern daß sich die Bedenken auf ein anderes Kapitel, nämlich auf den aufzustellenden Haushaltsplan bezogen haben, der auf Grund dieses Gesetzentwurfes für das Rumpfrechnungsjahr 1949 dem Bundesrat und Ihnen demnächst vorgelegt werden kann und der ungefähr das Etatvolumen umfassen wird, das ich Ihnen gezeigt habe.
Um die Haushalts- und Wirtschaftsführung im Bereich der Bundesverwaltung sofort auch schon vor Verabschiedung des Gesetzentwurfs wenigstens nach der formalen Seite in eine gewisse Ordnung zu bringen und um auch vorbereitend die zur alsbaldigen Durchführung des Gesetzes erforderlichen Unterlagen in die Hand zu bekommen, habe ich durch Rundschreiben an die Organe und Verwaltungen des Bundes mit Zustimmung der Bundesregierung sichergestellt, daß bereits jetzt nach Grundsätzen verfahren wird, die sich mit den Grundgedanken des Gesetzentwurfs decken. Unter den von mir dargelegten Umständen hoffe ich, daß es Ihnen möglich sein wird, den vorliegenden Gesetzentwurf ohne längere Beratung zu verabschieden. Damit würde das von uns gemeinsam zu erstrebende Ziel erreicht, die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesverwaltung sobald als möglich auf geordnete Grundlagen zu stellen. Ich schließe daher mit der Bitte, den Gesetzentwurf recht bald dem Haushaltsausschuß zuzuleiten und der Beratung im Haushaltsausschuß zu unterstellen.
Der Gesetzentwurf ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, noch nie in der Finanzgeschichte der demokratischen Staaten ist ein Haushaltsgesetz unter den Formen eingebracht worden wie das vorliegende. Es ist ein Unikum, daß ein Haushaltsgesetz eingebracht wird ohne einen Haushaltsplan. Sie haben, meine Damen und Herren, überhaupt kein Urteil über das, was mit dem Finanzgesetz bewilligt werden soll. Die Summen, die hier genannt werden, sind ganz oberflächlich zusammengestellt und entbehren jeder Art von Grundlage. Mit der Annahme dieses Gesetzes würde der Finanzminister zum Finanzdiktator: er kann machen, was er will, und wir haben überhaupt keine Kontrolle. Eine solche Haltung des Parlaments der Exekutive gegenüber ist ein Ding der Unmöglichkeit. Hören Sie im einzelnen die Bestimmungen, die 'hier vorgesehen werden. Das Budgetrecht des Bundestags ist gleich null. Der Finanzminister kann machen, was er will. Solche Dinge sind in einem geordneten Staat unmöglich.
Zunächst sagt der § 3 des vorliegenden Entwurfs, den ich vorzunehmen bitte:
Für die Bundesverwaltungen, die an die Stelle der entsprechenden Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets getreten sind, bildet der durch das Gesetz des Wirtschaftsrats vom 22. Juli 1949 festgestellte Haushaltsplan der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets für das Rechnungsjahr 1949 nebst den Änderungen und Ergänzungen, die in den durch die Gesetze des Wirtschaftsrats vom 15. August und vom 26. August 1949 festgestellten Nachtragsplänen enthalten sind, die vorläufige Grundlage für ihre Haushalts- und Wirtschaftsführung im Rechnungsjahr 1949 nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften.
Das also, was der Wirtschaftsrat am 22. Juli, am 15. und am 26. August beschlossen hat, soll hier angenommen werden. Niemand von Ihnen — ich wage das Wort: niemand — kennt diese Voranschläge.
Ich habe sie mir besorgen lassen.
Dieses Buch, die beiden Nachträge, enthalten Zahlen, die damals der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets beschlossen hat, und Sie kennen sie nicht.
— Ich habe sie bis gestern abend noch nicht gekannt. Wie sollen wir jetzt etwas beschließen, was wir überhaupt nicht kennen?
Es ist unmöglich, daß wir so etwas bewilligen! Wir müssen von der Regierung einen Haushaltsplan vorgelegt bekommen.
Der § 5 bricht nun den Haushalt auseinander: bis 21. September 1949 soll es beim Vereinigten Wirtschaftsgebiet verbleiben, von da ab soll alles auf den Bund übergehen. Dieses Auseinanderbrechen ist an und für sich geeignet, aller Zahlenjongliererei Tür und Tor aufzumachen.
Weiter ist in § 6 — ich will mich kurz fassen; es wäre über diese Dinge noch viel mehr zu reden — festgestellt, daß der Finanzminister in Wirklichkeit zum Finanzdiktator für die letzten Monate dieses Wirtschaftsjahres gemacht wird:
Der Bundesminister der Finanzen kann bei der Bereitstellung der Betriebsmittel nähere Bestimmungen über die Verwendung der Mittel treffen.
Er ist also vollständig frei.
Er kann den monatlichen Grenzbetrag für einzelne Ausgabetitel oder für bestimmte Gruppen von solchen anders festsetzen. Er kann auch die Inanspruchnahme von Mitteln bei einzelnen Ausgabetiteln von seiner Zustimmung abhängig machen. Seiner Zustimmung bedarf in jedem Falle die Leistung einmaliger Ausgaben.
Noch nie ist einem Finanzminister die Verfügung über solche Millionenbeträge, wie sie hier in Frage kommen, zugestanden worden — ich komme nachher noch darauf zu sprechen —, wie jetzt dem Herrn Finanzminister der Bundesregierung.
In § 9 wird ein ganz neuer etatrechtlicher Begriff eingeführt, der Begriff der „Verfügungssummen". Die Verfügungssummen sollen neu festgestellt werden; aber auch die Verfügungs-
summen — das sind also Summen, über die der Finanzminister verfügt — werden hier nur ganz oberflächlich festgesetzt.
- Ganz oberflächlich, lesen Sie es nur genau, denn es heißt hier:
mit der Maßgabe, daß die Ausgaben monatlich ein Sechstel dieser Verfügungssummen ohne Zustimmung des Bundesministers der Finanzen nicht übersteigen dürfen.
Also auch hier wieder eine Ermächtigung für den Finanzminister, zu machen, was er will.
— Ja, jetzt kommt die Frage: es geht um die beiden Haushaltsausschüsse. Meine Damen und Herren, das ist in der Finanzgeschichte auch noch nie dagewesen, daß ein Ausschuß an die Stelle des. Plenums tritt. Ein Verhältnis zwischen Ausschuß und Finanzministerium gibt es gar nicht,
es gibt nur ein Verhältnis zwischen dem Ausschuß und dem Plenum. Einen Ausschuß an die Stelle des Plenums zu setzen, wäre eine Regelung, die niemand billigen kann. Der Ausschuß hat gar keine Befugnis, selbstverantwortlich mit dem Finanzminister zu reden. Er kann auch in keiner Weise mit irgendwelchen Befugnissen betraut werden. Damit kann man nur das Plenum betrauen. Wir können aber nicht alle Beratungen ins Plenum verlegen. Genau dasselbe gilt für den Finanzausschuß des Bundesrats. Der kann auch nicht im Namen des Bundesrats reden, sondern der Ausschuß des Bundesrats kann diese Dinge auch nur mit dem Plenum des Bundesrats regeln. Solche Fragen können nicht zwischen Exekutive und Legislative geregelt werden. Eine solche Regelung wäre ein finanzielles Unding und würde dem Finanzminister Tür und Tor öffnen.
In § 10 — darauf will ich noch kurz zu sprechen kommen — heißt es:
Soweit die Ausgaben in den Einnahmen keine Deckung finden und eine gesetzliche Regelung über die Inanspruchnahme der zum Haushaltsausgleich erforderlichen, nach dem Grundgesetz dem Bunde zustehenden Einnahmequellen nicht erfolgt ist, ist
— und nun bitte ich achtzugeben —
der Bundesminister der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats von den Ländern die hierfür erforderlichen Mittel einzufordern.
Hier geben Sie dem Finanzminister wieder eine Omnipotenz, die ein Exekutivbeamter nie haben kann, hier sogar noch über die Mittel der Lander. Der Bundesrat mag das zu seinem Teil verantworten, aber ich stelle ausdrücklich fest, daß auf dieser Basis ein geordnetes Finanzgebaren nicht möglich ist und daß das Parlament dadurch vollständig ausgeschaltet wird.
Um welche Summen es sich dabei handelt, das bitte ich aus dem letzten Nachtrag zum Haushalt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets zu entnehmen. Es ist die Summe -- der Herr Finanzminister hat sie vorhin auch schon genannt — von 1 304 789 500 D-Mark. 1,3 Milliarden D-Mark bewilligen Sie damit für das ganze Jahr, ich möchte sagen, in einem Blankowechsel, meine Damen und Herren! So können wir die Dinge wirklich nicht handhaben. Auch wenn der Finanzminister jetzt nur noch über ein halbes Jahr verfügen kann, gut, so handelt es sich aber immer noch um die Hälfte dieser ungeheuren Summe; aber auch in dieser Höhe können die Dinge nicht ohne weiteres dem Finanzminister überlassen bleiben.
Aber auch aus einer anderen Erwägung heraus müssen wir die stärksten Bedenken gegen dieses Finanzgesetz anmelden. In § 13, den ich ebenfalls besonders zu beachten bitte, heißt es:
Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, zur vorübergehenden Verstärkung der Betriebsmittel der Bundeshauptkasse Mittel bis zur Höhe von 500 000 000 DM im Wege des Kredits zu beschaffen.
500 Millionen Kredit! Außerdem befinden sich in dem Voranschlag schon Fehlbeträge in Höhe von 800 Millionen, die dort vom Haushalt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets auch noch nicht nachgewiesen sind. Es handelt sich also um einen Kreditbetrag nicht nur von 500 Millionen, sondern darüber hinaus von weiteren 800 Millionen. Dem Finanzpolitiker graut es vor diesen phantastischen Vorstellungen über Kredit und Kredithöhe.
Der Herr Finanzminister hat vorhin bei der Berlin-Hilfe Zahlen genannt — ich habe sie mir kurz nachgeschrieben —, bei denen es sich um weitere Kredite von 400 bis 500 Millionen handelt. Ja, Herr Finanzminister, haben Sie nicht einmal darüber nachgedacht, daß man solche Dinge nicht auf dem Wege des Kredits machen kann? Woher wollen wir denn den Kredit nehmen? Der Kredit muß doch irgendwie untermauert und unterbaut sein;
wir können doch nicht einfach ins Blaue hinein wirtschaften!
Meine Damen und Herren, ich werde daran erinnert, was Herr Finanzminister Schacht seinerzeit gemacht hat.
Der hat dasselbe gemacht, er hat einfach Kredit um Kredit auf den Staat gehäuft. Das ist die bekannte Methode des sogenannten Finanzzauberers, als der Herr Schacht hingestellt worden ist, etwas, was natürlich jeder Schulbub hätte machen können: einfach den Staat einzuspannen, um Kredite aufzunehmen. Dasselbe macht jetzt der Herr Finanzminister der Bundesregierung, er nimmt auch Kredit um Kredit auf. Was soll nicht alles durch Kredite gemacht werden!
Ich habe Ihnen hier ein paar Zahlen genannt. Mir graut es davor. Ich stehe in der Praxis der Bankverwaltung. Ich weiß genau, daß die Banken Kredite bis an die Grenze des Möglichen gegeben haben; ihr Kreditvolumen ist durchweg erschöpft. In den Banken macht man sich nur noch Gedanken darüber, wie man für möglichst rasche Rückzahlung sorgen kann. Es sind dauernd Verhandlungen über die Rückzahlungen zwischen den Kreditnehmern und den Banken im Gange. Gespart wird nichts oder wenigstens nur in ganz geringem Umfange. Aber die Kredite müssen doch durch Sparen irgendwie wieder hereingebracht werden; darüber ist sich doch auch die Finanzwissenschaft längst einig. Heute ist die ganze Wirtschaft in ein großes Kreditsystem verwickelt. Ich habe vorgestern eine Kreditausschußsitzung geleitet. Dabei sagte mir ein Geschäftsmann: Wenn heute die Banken ihren Kredit sperren, machen wir morgen alle bankrott! Soweit sind wir in der Kredithergabe schon vorgeschritten! Und nun glaubt der Herr Finanzminister, daß er diese
ungeheuren Kreditsummen, die er in diesem Finanzgesetz vorsieht und die auch bei den ganzen seitherigen Verhandlungen eine Rolle gespielt haben, auch noch auf den Markt bringen kann. Das ist unmöglich! Wenn er sie aber unterbringt, droht die große Gefahr der Inflation!
Wenn wir diese Kredite hereinkriegen und in den Umlauf unserer Kreditmittel einfügen, wird es ein Steigen der Preise geben und damit ein Steigen der Löhne und Gehälter; kurzum: es wird zu einer gewaltigen Inflation kommen. So können wir nicht weiterfahren. Oder soll alles auf Kredit gemacht werden?
Die Berlin-Hilfe soll auf dem Kreditweg aufgestellt werden; der Herr Wohnungsbauminister schlägt uns vor, 2,5 Milliarden für den Wohnungsbau zu kreditieren; die Subventionierung der Nahrungsmittel soll über den Weg der Kredite gehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wir müssen es uns endlich abgewöhnen mit Krediten zu rech nen. Überall da, wo wir keinen Ausweg wissen, heißt es: es wird ein Kredit aufgenommen. Wir sind ja gar nicht mehr kreditwürdig! Sehen Sie doch den Zustand unserer Wirtschaft an, die Zerstörungen, sehen Sie den ganzen Leerlauf an, den wir heute noch haben! Da müssen wir uns gegen die Kredite wehren! Sie geben aber dem Finanzminister eine Ermächtigung zur weiteren Einführung von Krediten, wenn Sie dem Vorschlag dieses Kreditgesetzes nachgeben.
Lassen Sie mich meine Behauptungen nun noch mit ein paar Zahlen untermauern!
Ich habe hier den Voranschlag des Haushaltsplans der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Ein paar Zahlen mögen Ihnen hier veranschaulichen, was da bewilligt werden soll, wenn Sie dem Entwurf des Haushaltsplans, wie ihn die Regierung vorgelegt hat, zustimmen. Da heißt es: Im Wirtschaftsrat ein Fehlbetrag von 2,8 Millionen, beim Länderrat 701 Millionen ungedeckter Fehlbetrag, im Vorsitz des Verwaltungsrats, in der direktorialen Leitung 5,2 Millionen Fehlbetrag, Personalamt 1,9 Millionen Fehlbetrag, Rechnungsamt 3,5 Millionen Fehlbetrag — ich kürze ab —, Deutsches Obergericht — das ist nun wohl jetzt überwunden -, aber auch hier 2,5 Millionen Fehl- betrag,
Amt für Heimatvertriebene 718 000 D-Mark, Verwaltung für Verkehr 156 Millionen Fehlbetrag, Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 69,5 Millionen Zuschuß, Verwaltung für Wirtschaft 53 Millionen, Verwaltung der Finanzen 78 Millionen. Natürlich kommt nachher bei der allgemeinen Verwaltung infolge der Steuereinnahmen auch wieder ein großes Plus. Es bleibt aber immer bei einem Fehlbetrag von 800 Millionen D-Mark.
Es kommt weiter hinzu, daß, wenn Sie diesem Gesetz zustimmen, ohne daß ein Plan vorgelegt wird, der Personalbestand des Vereinigten Wirtschaftsgebiets übermäßig hoch ist. Es kommt hinzu, daß für Zulagen, Dienstaufwandsentschädigungen gewaltige Summen ausgeworfen werden. Bei den Sachausgaben dreht es sich um die Bewilligung von Hunderten von Kraftfahrzeugen und Krafträdern, deren Zahl in der bizonalen Verwaltung von 14 Tagen zu 14 Tagen noch höher wird.
Nun soll demnächst eine neue Steuersenkung kommen. Wenn wir die Steuersenkung überhaupt behandeln wollen, dann müssen wir wissen, was wir in diesem halben Jahr auszugeben haben, welches die wirklichen Leistungen sind; eher können wir über diese Frage doch gar nicht reden. Der Herr Finanzminister sagt, es sei unmöglich, einen Haushaltsplan vorzulegen. Ich gebe ohne weiteres zu, da ich mich ja mit diesen Dingen schon viele Jahrzehnte beschäftige, daß das eine ungeheure Schwierigkeit ist. Aber man hat im Vereinigten Wirtschaftsgebiet vom 22. Juli bis zum 15. August einen Nachtragsetat geschaffen, der noch einmal den ganzen Stoff durchgepaukt hat. Man hat den zweiten Nachtragsetat innerhalb von 11 Tagen, vom 15. August bis 26. August, vorgelegt. So rasch, wie der Wirtschaftsrat arbeitet, kann doch auch heute das Finanzministerium arbeiten. Denn es hat ja noch dieselben Kräfte zur Verfügung, die seinerzeit von 14 Tagen zu 14 Tagen diese neuen Pläne vorlegten.
— Ich rede von den Dingen als Sachverständiger
und behaupte, daß ich so gut Sachverständiger bin wie Sie!
Ich bitte, von jedem Zwiegespräch Abstand zu nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich meine, was Sie da sagen und was Sie da tun, zeugt nur davon, daß Sie von den Dingen keine Ahnung haben, sonst würden Sie diesen Einwand nicht machen.
— Ob Sie das nun eine Retourkutsche nennen oder nicht, es ist eine Ungehörigkeit, einem Redner überhaupt vorzuwerfen, daß er das nicht verstünde, worüber er redet. Das kann nur jemand tun, der gewohnt ist, über Dinge zu reden, von denen e r nichts versteht.
Ich glaube, man kann den Zwischenfall im Wege der Aufrechnung erledigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jedenfalls bleibt es Ihnen
vorbehalten, meine Ausführungen zu widerlegen.
— Sie haben den Haushaltsplan zum ersten Mal gesehen. Ich habe ihn mitgemacht.
Herr Abgeordneter Leuchtgens, sprechen Sie bitte zum Plenum und nicht zu einem einzelnen Abgeordneten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde Ihrer Mahnung folgen.
Das Bundesfinanzministerium hätte also längst Gelegenheit dazu gehabt; denn es besteht ja schon 21/2 Monate. Wenn es diese Dinge von Anfang an aufgenommen hätte, dann hätte es sie längst meistern können. Mit einem Behördenapparat, wie er
zur Verfügung steht, kann man, wenn auch nur in Umrissen, einen Haushaltsplan aufstellen. Ich habe die Haushaltszahlen mit Erklärungen und Erläuterungen vor mir. Ich habe schon als hessischer Landtagsabgeordneter von 1925 bis 1931 jedes Jahr eine Etatrede gehalten und meine Etatkritik damals dargelegt.
Ach, meine Herren, — —
Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens, würden Sie bitte zu der Vorlage sprechen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, das tue ich! Ich spreche ja nur davon, daß die Dinge nicht so gemacht werden können.
Wenn Sie nachher eine andere Vorlage machen wollen, dann tun Sie das! Wenn Sie, mein Herr — ich weiß im Augenblick nicht einmal, zu welcher Partei Sie gehören —,
zu der Vorlage eine bejahende Stellung einnehmen, so tun Sie das! Ich habe nichts dagegen, ich kann nichts dagegen haben. Ich sage Ihnen nur ausdrücklich, daß die Dinge so nicht gemacht werden können und daß wir von unserer Gruppe und, ich glaube, viele Abgeordnete des Hauses die Verantwortung nicht übernehmen, dem Finanzminister eine solche Vollmacht zu gewähren.
Das Budgetrecht wird auf alle Fälle in Frage gestellt. Wenn Sie dieses Gesetz annehmen, so ist es unmöglich, daß Sie vor Ihre Wähler treten und sagen können: Wir haben das Budgetrecht in irgendeiner Form ausgeübt. Sie geben der Exekutive volles und freies Verfügungsrecht. Wenn Sie das tun wollen, dann reden Sie mir aber später nicht mehr von den Rechten des Parlaments! Dann liefern Sie sich ohne weiteres der Exekutive aus.
Ich stelle deshalb, um aus dieser Schwierigkeit herauszukommen, folgenden Antrag:
Der Gesetzentwurf über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans wird der Regierung mit der Auflage zurückgegeben, alsbald einen detaillierten Haushaltsplan über tatsächliche Einnahmen und Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen.
Erst wenn wir den haben, wenn wir wirklich wissen, was Wir bewilligen sollen und wofür diese Ausgaben gemacht werden, und wenn wir wenigstens einen einigermaßen klaren Blick haben, können wir einem solchen Gesetz zustimmen. Vorläufig ist das ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich bin nur sehr gespannt darauf, wie diese Einwendungen, die ich vorgebracht habe, von irgend jemand widerlegt werden, es sei denn, daß sie einfach mit der Zeit und mit den Umständen entschuldigt werden. Das hat der Herr Finanzminister bereits getan. Diese Entschuldigung kann ich nicht gelten lassen. Der Herr Finanzminister muß — was zu jedem Haushaltsgesetz gehört — auch einen Haushaltsplan vorlegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rische.
Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes über den Staatshaushalt
wirft immer politische Fragen auf. So ist es auch i mit der Vorlage des Gesetzes über die vorläufige Aufstellung des Bundeshaushaltsplans. Es handelt sich bei dieser Vorlage um das Bundeshaushaltsgesetz, also um die politische und finanzielle Repräsentanz der Bundesregierung. Allerdings ist das Ergebnis dieser Vorlage mehr als mager und außerdem — wie mir scheint — eine bestimmte Brüskierung des Parlaments. Geht man von dieser Tatsache aus, dann ist es mit der politischen Repräsentanz des Bundes — nach dieser Vorlage gemessen — sehr schlecht bestellt.
Seit dem 21. September 1949, dem Tage der Inkraftsetzung des Besatzungsstatuts — darauf muß man achten —, wurde die Bundesverwaltung offiziell errichtet. Es sind also etliche Wochen ins Land gegangen, ehe sich die Regierung darauf besann, einen für ihre Existenz rechtlosen Zustand zu beseitigen. Dieser Zustand ist so lange gegeben, bis sich der Bund zur Verabschiedung eines Haushaltsgesetzes entschließt.
Obgleich einige Wochen ins Land gingen, hat es die Bundesregierung bis jetzt vorgezogen, dem Parlament einen Bericht über den Aufbau der Ministerien an Hand eines genauen Stellenplanes vorzuenthalten. Wir kennen zwar die Schwierigkeiten, die beim Aufbau der Ministerien und Dienststellen bestehen können, aber die Schwierigkeiten der Adenauer-Regierung bei der Ausarbeitung des Stellenplans scheinen uns . doch von besonderer Art zu sein. Uns will es scheinen, als ob die Regierung mit der Verzögerung nur ein eisernes Prinzip einhielte, um beispielsweise bei der Stellenbesetzung die notwendige Zeit zu finden, um die Ausschaltung aller fortschrittlichen Menschen aus der Verwaltung des Bundes zu betreiben oder diese Menschen von einer Teilnahme an den Dienststellen der Regierung fernzuhalten.
Wir haben jedenfalls den Eindruck, daß nicht zuletzt aus diesem Grunde die Vorlage des Haushaltsplans verzögert wird. Ich denke, seit dem 21. September 1949 war Zeit genug, um uns nicht nur ein formelles Übergangsgesetz, sondern auch einen ordentlichen Haushaltsplan auf den Tisch des Hauses zu legen, der allein von der formalen und materiellen Seite her geeignet ist, die prekäre Lage der Bundesfinanzen bloßzulegen. Die Praxis solcher Übergangsgesetze ist uns überdies aus dem Wirtschaftsrat noch in unrühmlicher Erinnerung. Mit Hangen und Bangen wurden die Etats der Bizone verabschiedet, und von einer gründlichen Beleuchtung und Beratung der Probleme konnte dabei oft nicht die Rede sein.
— Herr Kollege Mellies, Sie selbst haben mehr als einmal die Praxis des damaligen Verwaltungsrats mit Recht kritisiert. Nach dem vorliegenden Gesetz werden alle Positionen des ehemaligen Wirtschaftsrates im Bundeshaushalt übernommen. Gegen diese unkritische Übernahme des Etats des Wirtschaftsrates bestehen bei uns erhebliche Bedenken, um es einmal ganz gelinde auszudrücken. Bedenken bestehen aber auch beim Bundesrat, der am 10. November 1949 die Zustimmung zum Gesetzentwurf über den vorläufigen Bundeshaushalt bis zur Gewinnung eines genauen Überblicks über seinen materiellen Inhalt ablehnte. Diese Länderbedenken bestanden bekanntlich bereits gegen die eigentümliche Haushaltsführung des Wirtschaftrates und richteten sich hauptsächlich gegen den stark übersetzten Stellen-
I plan einiger Verwaltungen, gegen eine allzugroße Ausdehnung der bizonalen Bürokratie.
Der Herr Finanzminister hat nun mit sehr wenigen Worten über den materiellen Inhalt der Vorlage gesprochen. So dürfte es wohl angebracht sein, an jene Meldungen zu erinnern, wonach der Bundesetat mit einem vorläufigen Defizit von über 400 Millionen D-Mark abschließen soll. Dies sind, wie gesagt, nur Meldungen; aber man hätte erwarten können, daß der Herr Bundesfinanzminister auch zu dieser, wie uns scheint, besonders wichtigen Frage heute wenigstens einige Worte verloren hätte.
Der größte Ausgabenposten des neuen, vorläufigen Haushaltsplans ist jedenfalls nach diesen Meldungen durch die Subventionierung für Lebensmittel entstanden. Dazu werden wir zu geeigneter Zeit noch einmal Stellung nehmen.
Als nächsthöchster Posten im Defizitetat, möchte ich beinahe sagen, erscheint die sogenannte BerlinHilfe. Dazu haben wir heute morgen schon das Notwendige gesagt, und will darauf verzichten, die Zahlen hier noch einmal einer genauen Überprüfung zu unterziehen, die in diesem Zusammenhang vom Bundesfinanzminister bekanntgegeben wurden.
Diese wenigen Tatsachen sollen zunächst genügen. Sie zeigen, wie zerrissen der Bundessäckel ist, und sie zeigen allzu deutlich, warum sich die Bundesregierung offensichtlich scheut, dem Hohen Hause einen ordentlichen Haushalt vorzulegen; denn nur so kann man kritisch zu der Finanz- und Haushaltspolitik des Bundes Stellung nehmen.
Die Regierung hat indessen ein anderes, allerdings probates Mittel. Sie will das Defizit im Bundessäckel durch Matrikularbeiträge der Länder oder durch neue Steuern vom Ausmaß der Benzinsteuer decken.
Allein durch die Benzinsteuer hofft der Bundesfinanzminister einen runden Betrag von 200 Millionen D-Mark zu erhalten, um damit das lecke Staatsschifflein wieder flottzumachen. Ich glaube, auch zu dieser Frage der Steuerpolitik' wird hier noch oft Gelegenheit sein, Grundsätzliches zu äußern; aber wir möchten schon jetzt von dieser Stelle unsere ernstesten Bedenken gegen die beabsichtigte Benzinsteuer anmelden.
Wir sind der Meinung, daß die Regierungspolitik nicht erfolgreich sein wird. Ich brauche nur an die Länder zu erinnern, die selbst über allergrößte Schwierigkeiten klagen. Die Länderdefizite häufen sich, und es bestehen große Schwierigkeiten, den Finanzausgleich der Länder so durchzuführen, wie es beabsichtigt war. Bei solcher Lage müssen sich auch alle Versprechungen des Bundeskanzlers, beispielsweise für den Wohnungsbau, die hier mit Recht so oft diskutierte Flüchtlingshilfe und die Rentenbeihilfe als Schall und Rauch erweisen. Leider wird dies eine Tatsache sein; denn alle diese Hilfsversprechen werden sich bei der prekären Finanzlage des Bundes und bei der, ich möchte sagen, Politik des leeren Säckels nicht verwirklichen lassen.
Uns hat aber noch eine andere Seite in dieser Vorlage stutzig gemacht. In § 1 Absatz 3 werden de facto die neuen staatsrechtlichen Kompetenzen des Bundes aufgezählt. Zwar ist dies nur eine formelle Angelegenheit; denn man hat längst Tatsachen geschaffen. Darüber will ich in diesem Zusammenhang keineswegs hinwegsehen. Aber da heißt es: ,,. . . treten an die Stelle des Reiches die Bundesrepublik Deutschland, des Reichspräsidenten der Bundespräsident, des Reichstags der Bundestag, des Reichsrats der Bundesrat" usw. usw. Ich möchte sagen: ein recht trauriges Kapitel deutscher Nachkriegspolitik! Deutlicher konnte jedenfalls die Spaltung unseres Vaterlandes nicht demonstriert werden.
Unsere Hauptbedenken richten sich dagegen, daß durch diese Gesetzesvorlage der ganze reaktionäre, volksfeindliche Haushaltsplan des Wirtschaftsrates und einiger Länder der französischen Besatzungszone mit den Ausgaben für Besatzungskosten, den Millionenzuschüssen für die alliierte Stahlkontrolle, die Ruhrbehörde, die kombinierte Kohlenkontrolle völlig unbesehen übernommen werden soll. Der in der Zwangsacke der Militärgouverneure von der Frankfurter Reaktion, den Rechtsparteien ausgearbeitete Haushaltsplan würde damit völlig unbesehen übernommen und damit auch gleichzeitig die volksfeindliche Politik der Rechtsmehrheit des bizonalen Wirtschaftsrates hier im Bundestag auch von dieser Seite aus, des Haushaltsrechts also, fortgeführt werden. Mit der Annahme des Übergangsgesetzes würde die Preis- und Wirtschaftspolitik eines Professor Erhard, die rücksichtslose Steuerpolitik des Verwaltungsrates übernommen und die Sozialpolitik sanktioniert, die in keiner Weise den sozialen Belangen der Flüchtlinge, der Fliegergeschädigten und der Rentner gerecht geworden ist. Wir müssen es daher ablehnen, der Adenauer-Regierung derartige unbeschränkte Vollmachten zu erteilen, wie es im Übergangsgesetz vorgesehen ist. Diese Vollmachten dienen der Regierung Adenauer nur zur Fortführung ihrer gegen das Volk gerichteten Geheimpolitik.
— Sie lachen, meine Damen und Herren. Ich verstehe Ihre besonderen Sorgen, ich möchte sagen: Ihre Absichten; denn diese volksfeindliche Geheimpolitik kommt selbstverständlich gewissen Herren auch dieses Hohen Hauses sehr wohl entgegen.
Wir können es unserem Volk gegenüber auch nicht verantworten, der Regierung einen Blankoscheck für die Kreditaufnahme von einer halben Milliarde Mark zu geben. Meine Damen und Herren, diese Regierung hat keinen Kredit beim werktätigen Volk, wie die unzähligen Resolutionen aus den Betrieben, die Streiks und Proteste der Werktätigen in den letzten Wochen bewiesen haben.
Ich will im Zusammenhang mit dieser Frage der Vollmacht zur Kreditaufnahme noch an eine andere Tatsache erinnern. Ich verweise darauf, daß die Steuereinnahmen zurückgehen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß die Herren von der Industrie wieder einmal eine sehr schlechte Steuermoral haben, oder ob das im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen „Entwicklung" steht. Ich möchte das dahingestellt sein lassen. Die Tatsache besteht jedenfalls, daß die allgemeinen Steuereinnahmen zurückgehen.
Daraus ergeben sich aber für die Regierung, für die Haushaltsführung und für die Finanzpolitik neue Schwierigkeiten. Ich befürchte, daß man zu guter Letzt kein anderes Mittel mehr sieht, als aus dem Ausland Kredite aufzunehmen.
Ich erinnere hier nur an die prekäre Lage unserer Bundeseisenbahn. Es gibt hier nicht wenige Stimmen, die heute schon sagen: diese schwierige Lage kann erst dann behoben werden, wenn die Bundeseisenbahn nicht mehr eine . staatliche oder halbstaatliche Organisation ist, sondern privaten Händen übergeben wird. Eine derartige Andeutung machte jedenfalls kürzlich die offizielle Zeitung der amerikanischen Militärregierung, die „Neue Zeitung" in München. Auf eine derartige Politik möchten wir mit Nachdruck aufmerksam machen und sie schärfstens zurückweisen. Kredite aus dem Ausland dienen unter den gegenwärtigen Verhältnissen — ich sage: unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen des Besatzungs- und Ruhrstatuts — nicht der Wirtschaft und dem deutschen Volke, sondern letzten Endes den ausländischen Monopolkapitalisten, die sich bemühen, die deutsche Wirtschaft durch Kredite aufzukaufen und den Ausverkauf Deutschlands fortzusetzen.
Nichtsdestoweniger verlangen wir von der Regierung schnellstens die Vorlage eines ordentlichen Gesamtetats. Diese Forderung richtet sich — das sagen wir ganz offen — gegen die Geheimpolitik der Regierung und bezweckt, daß der Aufbau der Bundesorgane unter der Kontrolle des Parlaments vor sich geht. Aus der Vorlage zur vorläufigen Regelung des Bundeshaushalts spricht der Geist der Geheimpolitik, spricht der Geist der volksfeindlichen- Politik des Wirtschaftsrates. Namens meiner Freunde erhebe ich den schärfsten Protest gegen eine derartige Praxis und erkläre, daß wir dieser niemals zustimmen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage der Regierung für ein Haushaltsgesetz knüpft in ihrem äußeren Aufbau an eine Empfehlung des Finanzausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz an. Man muß aber sagen, daß sie ihrem Geiste nach und nach den Voraussetzungen in wesentlichen Punkten von diesen Empfehlungen der Finanzexperten der Ministerpräsidentenkonferenz abweicht. Das läßt sich wohl aus den politischen Vorzeichen erklären, denen diese Vorlage ihr Entstehen verdankt. Es ist ja kein Geheimnis, daß die entscheidenden Unterschiede zwischen den Empfehlungen der Ministerpräsidentenkonferenz und dem vorliegenden Entwurf dort liegen, wo durch den Gang der Koalitionsverhandlungen zu Beginn der Tätigkeit dieses Hohen Hauses die Voraussetzungen verändert worden sind, unter denen seinerzeit die Ministerpräsidentenkonferenz zu ihren Empfehlungen kam. Ich darf Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, daß der Finanzausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz, als er seinen Entwurf in Anlage 6 seiner Empfehlungen der Öffentlichkeit und den neuen Bundesorganen unterbreitete, unter anderem zu dem Ergebnis kam, daß das vorläufige Haushaltsgesetz sogleich nach dem Zusammentritt des Bundestags dem Bundestag unterbreitet werden
müßte, um für die Haushaltsführung des Bundes I eine vorläufige haushaltsrechtliche Grundlage sicherzustellen. Der Finanzausschuß wies damals darauf hin, daß neben diesem Gesetz ein Überleitungsgesetz die notwendigen organisatorischen Maßnahmen vorbereiten müsse. Man war sich damals darüber klar, daß Haushaltsgesetzgebung und Behördenaufbau untrennbar miteinander verbunden sind. Wir warten bis heute noch auf das Überleitungsgesetz. Anstatt sogleich nach dem Zusammentritt des Bundestags ein Haushaltsgesetz vorzulegen, hat man drei Monate verstreichen lassen, und heute bekommen wir dieses Gesetz in einer Farm, gegen die meine Fraktion die stärksten Bedenken anmeldet.
Ich möchte nicht die Gelegenheit benützen, heute einen Ausflug in die zahllosen politischen Probleme zu unternehmen, die dieses Haus noch des öfteren beschäftigen werden. Es ist bedauerlich — ich möchte das sagen —, daß der Bundestag die neue Periode staatlichen Werdens nicht mit jenen wirklich großen politischen Auseinandersetzungen verbinden kann, die normalerweise in anderen Parlamenten mit Haushaltsberatungen verbunden sind.
Das liegt wohl an dem Umstand, daß wir in einer Übergangsperiode, in einem Provisorium leben. Aber man soll die Entschuldigung, daß wir in einer Übergangsperiode leben, nicht so weit treiben, daß die Provisorien letzten Endes die definitiven Lösungen werden.
Wenn man sich die Terminmöglichkeiten für die Haushaltsgesetzgebung dieses Parlaments ansieht, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß die Vorlage, die wir heute in der ersten Lesung beraten, wahrscheinlich so provisorisch ist, daß sie das ganze Rumpfhalbjahr 1949 decken wird und daß wir in diesem Hause, wenn es nach dieser Vorlage geht, vor der Verabschiedung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 überhaupt keine klare Übersicht haben werden, was nun auf der Ebene des Verwaltungs- und Behördenaufbaus praktisch geschehen ist.
Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat die Vorlage der Regierung beraten und ist am 10. November 1949 zu dem Ergebnis gekommen, daß er sie der Bundesregierung zurückgeben müsse. Sie sehen der Wortlaut des Beschlusses des Bundesrats auf der ersten Seite der Drucksache Nr. 223. Ich bedaure sehr, daß dem Hohen Hause mit der Mitteilung des formellen Beschlusses des Bundesrats nicht auch die Begründung gegeben worden ist, die der Bundesrat seinem zunächst negativen Beschluß angefügt hat. Sie umfaßt sechs Schreibmaschinenseiten und ist auch vom Standpunkt dieses Hauses aus recht interessant.
Die sozialdemokratische Fraktion macht sich nicht alle Gesichtspunkte zu eigen, von denen der Bundesrat bei seiner Beschlußfassung ausgegangen ist. Es ist ganz klar, daß das Parlament andere Gesichtspunkte hat, als der Bundesrat, der eben zu einem erheblichen Teil von den Interessen der Länder her bestimmt ist. Aber die Konsequenzen, zu denen der Bundesrat in seiner Begründung kommt, und die Schwierigkeiten, auf die er hinweist, sind unsere Sache ebensosehr wie die Sache
der Länder, die im Bundesrat ihre Vertretung sehen.
Wenn in dieser Begründung des Bundesrats zu seinem negativen Beschluß darauf hingewiesen wird, daß zwischen der Vorlage und den gleichzeitig von der Regierung verkündeten Absichten auf eine Steuersenkung ein Widerspruch klaffe, dann können wir dieser Auffassung nur in vollem Umfange zustimmen.
Da klafft in der Tat ein Widerspruch. Man kann doch nicht von der Tatsache absehen, daß die ursprünglichen Empfehlungen des Finanzausschusses der Ministerpräsidenten von acht Ministerien ausgegangen sind, die die künftige Bundesverwaltung darstellen sollten, während im Zuge der Koalitionsverhandlungen aus diesen acht Ministerien dreizehn geworden sind, und daß man auf der andern Seite eine großzügige Steuerreform mit dem Ziel einer Steuersenkung ankündigt. Man hat also auf der einen Seite zweifellos einen erhöhten Verwaltungsaufwand, tut aber auf der anderen Seite nichts, um die Steuerausfälle die zweifellos zunächst eintreten werden, auf der Verwaltungsseite durch eine zweckmäßige Behördenorganisation auszugleichen.
— Ich weiß nicht. Ich traue dem Herrn Bundesfinanzminister Schäffer mancherlei gute Eigenschaften zu, aber ich glaube nicht, daß er in der Lage ist, das Einmaleins zu ändern und die Einnahmequellen des Bundes so zu vervielfachen, daß all die Ansprüche, die an die Bundesverwaltung gestellt werden und berechtigterweise gestellt werden müssen, in dem gleichen Atemzug befriedigt werden können, in dem man eine Steuerreform vornimmt, die im wesentlichen wohl nicht die Masse der Steuerzahler mit ihren Begünstigungen treffen wird, sondern eine ganz andere Absicht zur Grundlage hat.
Ich möchte auch noch betonen, daß der Bundesrat in der Begründung zu seinem negativen Beschluß auf die veränderten Grundlagen hinweist, die seit dem Ingangkommen der Bundesbehörden und des Bundestags eingetreten sind, und daß daraus die Schlußfolgerung gezogen wird, daß man den Versuch machen müßte — ich zitiere hier nicht wörtlich —, die Stellenpläne der sogenannten neuen Ministerien unter dem Gesichtspunkt zu betrachten — das ist wohl der Sinn dieser Kritik an der Vorlage der Regierung —, ob in ihnen nicht eine Reihe von Funktionen enthalten ist, die schon in den sogenannten alten Verwaltungen und ihren Rechtsvorgängern wahrgenommen worden sind, ob man sich nicht überlegen müsse, daß, um nur ein Beispiel zu nennen, für die aus politischen Gründen neugeschaffenen Ministerien — es gibt deren ja, wie wir wissen, mehrere — die Finanzierung bei den Verwaltungen gesucht werden müsse, die ursprünglich diese Aufgaben wahrgenommen haben. Man kann wohl auch unterstellen, daß Aufgaben, die heute — nehmen wir zum Beispiel das ERP-Ministerium oder das Wohnungsbauministerium — von besonderen Verwaltungen wahrgenommen werden, früher ihren Platz in der Wirtschaftsverwaltung hatten und daß deshalb das heutige Wirtschaftsministerium, das der formelle Rechtsnachfolger der Wirtschaftsverwaltung in Frankfurt ist, nicht
unbesehen auf dem Gebiet des Haushaltsrechts in I vollem Umfange der Rechtsnachfolger sein kann, sondern daß ein Teil der Mittel zur Finanzierung der aus politischen Gründen neugeschaffenen Verwaltungen aus dieser alten gemeinsamen Verwaltung genommen werden sollte. Das ist ein Hinweis darauf, in welcher Richtung wir in den Ausschußberatungen auf eine Korrektur bestimmter Dinge drängen werden.
Ich glaube ferner, daß wir uns sehr wohl überlegen müssen, ob nicht tatsächlich heute auch in den neugeschaffenen Ministerien zu einem Teil bereits Doppelarbeit geleistet wird, ob alle Aufgaben, die formal auf diese neuen Ministerien übertragen worden sind, nun auch tatsächlich aus dem Bereich der alten Verwaltungen, insbesondere des Wirtschaftsministeriums, herausgelöst worden sind. Wir werden vielleicht dahinterkommen, daß heute sowohl im Wirtschaftsministerium wie im ERP-Ministerium Fragen des Marshall-plans bearbeitet werden. Vielleicht kommt man da gelegentlich zu einer genaueren Untersuchung der Abgrenzung der Zuständigkeit und der Aufgaben der Behörden, ohne die wir klare Stellenpläne und einen klaren Behördenaufbau überhaupt nicht erreichen können.
— Das ist eine Frage, die mich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht interessiert, Herr Kollege Rische.
Es ist auch nicht meine Sorge, es ist genau genommen die Sorge ganz anderer Leute.
Ich möchte mich generell zu einigen charakteristischen Zügen der Vorlage äußern. Wir haben im allgemeinen Bedenken gegen den Umfang der Ermächtigungen, die dem Herrn Bundesfinanzminister übertragen werden. Wir sind der Meinung, daß in einer Periode des Aufbaus der Verwaltungen nichts so notwendig ist wie die Kontrolle des Parlaments über das, was da getan wird.
Ich glaube, kein Parlament kann es sich leisten, ohne auf seine eigene Daseinsberechtigung Verzicht zu leisten, auf diese seine ursprüngliche Funktion, die Kontrolle des Parlaments über die Exekutive zu verzichten. Das •widerspricht nicht dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Wenn es so wäre, dann hätte das Parlament überhaupt nur den einen Sinn, zu Vorlagen und Maßnahmen der Regierung ja oder nein zu sagen. Kein Parlament kann also auf diese, seine eigentliche, Funktion in irgendeiner Form, unter irgendeinem Vorwand, etwa durch Delegation von Zuständigkeiten auf untergeordnete Organe oder Werkzeuge des Parlaments verzichten.
— Es gilt in jedem Fall, lieber Kollege Rische.
— Ich glaube deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir gerade jene Punkte des Gesetzes im Ausschuß sehr sorgsam überprüfen müssen, in denen dem Herrn Bundesfinanzminister die Ermächtigung übertragen wird, über die Verwendung von Mitteln in einer bestimmten Richtung, zum Beispiel über die Einrichtung von Planstellen, zu entscheiden, in denen ihm im
generellen die Ermächtigung erteilt wird, über den Gang des Behördenaufbaus zu entscheiden und weitgehend zum Beherrscher dieses Behördenaufbaus zu werden. Wir müssen unter allen Umständen Wert darauf legen, daß das Parlament auch in vollem Umfang über die sachlichen Unterlagen der sogenannten Verfügungssummen unterrichtet wird. Meine Fraktion und ich sind in diesem Punkt durchaus der Meinung, daß in einer gewissen Übergangsperiode nicht die normalen haushaltsrechtlichen Gepflogenheiten beobachtet werden können und daß man zu zeitweiligen Lösungen kommen muß. Aber jede zeitweilige Lösung, die den Versuch bedeutet, die Prärogative des Parlaments zu durchbrechen, es zu entmachten, und die auch nur in der Tendenz eine Ermächtigung der Regierung über das im allgemeinen übliche Maß hinaus beinhaltet, bedeutet nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion eine Verschiebung des 'Gewichts zwischen der Regierung und dem Parlament, das zur Kontrolle in diesen haushaltsrechtlichen Dingen beruf en ist.
Lassen Sie mich zu einigen Paragraphen dieses Gesetzes noch etwas sagen. Im § 8 ist davon die Rede, daß bestimmte Verwaltungen, die bei der neuen Behördenordnung keine Rechtsnachfolger haben, von den ihnen in den alten Haushaltsplänen bereitgestellten Mitteln nur insoweit Gebrauch machen dürfen, als sie zur Abwicklung notwendig sind. Ich mache darauf aufmerksam, daß unter diesem Titel die Einzelpläne IIIa und IIId des Haushaltsplans der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets genannt werden, das Personalamt und das Deutsche Obergericht. Ich will hier nicht in die Kontroverse eintreten, die notwendigerweise in dem Augenblick entstehen wird, in dem wir hier über die sachliche Notwendigkeit eines Personalamts debattieren. Ich will nur eins sagen: die Absicht der Regierung, das Personalamt zu beseitigen, bedeutet noch nicht, daß sie ohne Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung das Recht hat, dem Personalamt die Mittel zu entziehen. Das Personalamt hat noch Funktionen zu erfüllen. Solange eine Behörde Funktionen zu erfüllen hat, kann man ihr nicht einfach die Mittel entziehen, wie das hier vorgeschlagen ist. Wir werden im Ausschuß auf diesen Punkt zurückkommen. Es liegen gute Gründe für die Annahme vor, daß man in diesem Punkt auch im Lager der Mehrheit und auch bei der Regierung im Augenblick etwas anderen Sinnes geworden ist.
Was das Deutsche Obergericht betrifft, so liegt, glaube ich, auch hier ein zwingender Grund vor, von der im Ausschuß vorgesehenen Regelung abzusehen. Denn nach Artikel 137 des Grundgesetzes — wenn ich nicht irre — ist das Deutsche Obergericht mit der Funktion einer Beschwerdeinstanz in Wahlprüfungssachen des Bundestags betraut, solange ein Bundesverfassungsgericht nicht besteht. Es handelt sich also um ein Provisorium auch dem Sinn und Wortlaut des Grundgesetzes nach. Sie haben es in der Hand, dieses Provisorium abzukürzen. Wenn Sie bei dem Bestreben der sozialdemokratischen Fraktion, so schnell wie möglich das Bundesverfassungsgericht einzusetzen, mitwirken, kann die Periode sehr kurz sein, in der das Deutsche Obergericht diese ihm im Grundgesetz übertragenen Funktionen zu erfüllen hat. Es scheint uns aber nicht möglich zu sein, einfach zu sagen, das Deutsche Obergericht gehöre zu den Behörden, die noch in der Abwicklung begriffen sind, und ihm unter diesem Titel nur die Mittel für die Abwicklung der Aufgaben zu bewilligen. Man kann Behörden, deren Funktionen nicht erloschen sind, nicht einfach dadurch liquidieren, daß man eine gute oder — vom Standpunkt meiner Fraktion aus gesehen — nicht gerade gute Absicht auf diese Weise in die Tat umsetzt.
Ein ganz besonders schwieriger Punkt scheint mir im § 9 vorzuliegen. Hier schlägt man vor — und es könnte so scheinen, als ob man dabei über die Vorschläge des Finanzausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz hinausgeht; es scheint aber nur so —, daß bei der Bewilligung von Mitteln für die neugeschaffenen Ministerien und Verwaltungen die Haushaltsausschüsse des Bundestags und des Bundesrats eingeschaltet werden. In der Empfehlung der Finanzexperten der Ministerpräsidenten wird ausdrücklich von der Bewilligung von Verfügungssummen gesprochen und nach Gesprächen, die ich mit Mitgliedern des Parlamentarischen Rats und des Wirtschaftsrats hatte, die an diesen Sitzungen der Finanzkommission teilgenommen haben, handelt es sich hier eindeutig um die parlamentarische Bewilligung von Mitteln. Niemand hat damals daran gedacht, auf die Bewilligung durch einen Parlamentsakt zu verzichten.
Meine Damen und Herren! Wenn es nun hier in § 9 der Regierungsvorlage - zwar nicht im Wortlaut, aber es ist ungefähr das gleiche — heißt: Mittel sollen bewilligt werden, Verfügungssummen sollen bewilligt werden, und wenn man dann wieder am Schluß dieser Ziffer 1 des § 9 sagt: die Bewilligung der Verfügungssummen sowie von Stellen für planmäßige Beamte erfolgt durch den Haushaltsausschuß des Bundestags und den des Bundesrats, dann möchten wir mit aller Entschiedenheit unsere schärfsten Bedenken gegen eine solche Delegation der Befugnisse des Parlaments an seine Ausschüsse geltend machen.
Ich glaube, kein Ausschuß dieses Bundestags darf
auf sich die Verantwortung dafür laden, daß er
Beschlüsse faßt, für die er niemals legitimiert ist.
Es muß ein Weg gefunden werden, der es möglich macht, dem Bundestag vor der endgültigen Verabschiedung dieses Gesetzes nicht nur formal ein gutes Gewissen zu geben, sondern ihm auch materiell die Möglichkeit der Überprüfung desser zu geben, was er zu beschließen hat.
Mit anderen Worten: Der Herr Bundesfinanzminister wird sich in den Ausschußberatungen vor die Frage gestellt sehen, ob er nicht dazu übergehen muß, diesem Haushaltsgesetz das hinzuzufügen, was eigentlich die Substanz eines Haushaltsgesetzes sein müßte, nämlich mindestens, wenn man schon nicht zur vollen Vorlage von Einzelplänen übergehen kann, die Schlußsummen des Haushaltsplans, die nach meiner Auffassung und Kenntnis der Dinge, Herr Bundesfinanzminister, heute im wesentlichen bekannt sind. Es ist mir weiter bekannt, daß die Einzelpläne auch der neuen Ministerien schon nahezu fertiggestellt sind, wenn sie nicht überhaupt fertig sind. Ich sehe keinen Grund dafür, daß diese Einzelpläne und ihre Endergebnisse nicht in dem möglichen und kontrollierbaren Umfange diesem Haushalts-
gesetz beigefügt werden, so daß wir hier im Plenum nicht nur ja sagen dürfen
— sofern wir ja sagen wollen — zu einem Gesetz, das dem Herrn Finanzminister gestattet, Beamte anzustellen oder ihre Anstellung zu verweigern, das ihm gestattet, in den Gang des Behördenaufbaus fördernd oder hemmend einzugreifen, das ihm gestattet — eine formelle Bewilligung, meine Damen und Herren —, einen Betriebsmittelkredit von 500 Millionen aufzunehmen. Ich glaube, diejenigen, die das kennen, wissen, daß es sich nicht um eine neue Maßnahme handelt, sondern lediglich um die Erneuerung des Kredits, der der Finanzverwaltung schon in der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung zugestanden worden ist. Im übrigen handelt es sich, wenn man die gesamte Situation kennt, wahrscheinlich um eine unvermeidliche Maßnahme, die dem Herrn Bundesfinanzminister nicht nur Vollmachten gibt, sondern die ihn auch in vollem Umfange gegenüber diesem Hohen Hause verantwortlich macht und das Haus in den Stand setzt, seine eigene Verantwortung zu tragen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung über das weitere Verfahren mache. Der Bundesrat hat seinen Beschluß vom 10. November — der Herr Bundesfinanzminister hat schon darauf hingewiesen — am Schlusse so formuliert, daß Verhandlungen seines zuständigen Ausschusses mit dem Herrn Bundesfinanzminister und gegebenenfalls mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestags aufzunehmen seien mit dem Ziel, eine Verständigung herbeizuführen. Nun glaube ich, es ist gleichermaßen das Interesse aller Teile des Hauses, der Bundesregierung, der Mehrheit des Hauses sowie der Opposition, so schnell wie maglich zu einigermaßen übersehbaren und soliden haushaltsrechtlichen Grundlagen zu kommen.
An einer schnellen Verabschiedung des Gesetzes sind wir alle interessiert. Wir sind nicht interessiert daran, ein schlechtes Gesetz zur endgültigen Verabschiedung vorzulegen. Wir sind alle interessiert daran, ein zureichendes Gesetz unter Überlegung aller gegenwärtig hemmenden Faktoren vorzulegen. Wir sind auch nicht daran interessiert, den Konflikt über Zuständigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat in diesem Falle auszuspielen. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang — ich tue das auch als Vorsitzender des Haushaltsausschusses — folgendes sagen: Es besteht noch nicht das Instrument, das Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat im Wege der Verhandlungen auszugleichen hat. Der im Artikel 77 des Grundgesetzes vorgesehene Zwischenausschuß ist noch nicht funktionsfähig. Es sind zwar einige Vorschläge dafür vorhanden. Ich glaube aber, wir können uns den Luxus nicht leisten, eine Vorlage im Ausschuß zu verabschieden, das Plenum des Bundestags damit zu beschäftigen und uns dann womöglich dem Risiko auszusetzen, daß der Bundesrat doch noch grundlegende Bedenken äußert und in Wahrnehmung seiner eigenen Rechte die endgültige Inkraftsetzung dieses vorläufigen Haushaltsgesetzes auf einen Zeitraum hinausschiebt, den wir alle nicht verantworten können.
Ich sage das aus einer allgemeinen Verantwortung heraus. Ich glaube deshalb, daß das Hohe Haus sich wirklich keinen Bruch seiner eigenen Befugnisse zuschulden kommen lassen würde, wenn es seinen Haushaltsausschuß ermächtigen würde, in informelle Verhandlungen mit dem entsprechenden Ausschuß des Bundesrats einzutreten, um eventuelle Schwierigkeiten und Gegensätze zu einem Zeitpunkt auszuräumen, in dem wir noch die Möglichkeit haben, die letzte Entscheidung des Bundesrats in einem produktiven Sinne zu beeinflussen. Ich sage — und ich hoffe, daß das Haus mir in diesem Falle zustimmt —, daß der Haushaltsausschuß des Bundestags solche Verhandlungen führen kann, ohne das Haus zu präjudizieren. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, — —
Ich möchte mir nicht nachher sagen lassen, Herr Kollege Wellhausen, daß wir in einen heiligen Bereich von Zuständigkeiten eingebrochen sind, in dem wir eigentlich nach der gegenwärtigen Rechtstage noch nichts zu suchen haben. Deshalb diese Bemerkung, die lediglich von der Vorsicht diktiert ist! Sie werden mir zugeben, Herr Kollege Wellhausen, daß ich als Sprecher der Opposition in einem solchen Falle noch in einer etwas schwierigeren Lage bin, als Sie es wären; denn ich habe ja in diesen Dingen auch noch einen grundsätzlichen Standpunkt wahrzunehmen, und wenn ich hier diesen Vorschlag mache, dann geschieht das einfach deshalb, weil ich aus rationellen Überlegungen der Meinung bin, daß wir so schnell wie möglich zu einem solchen Gespräch kommen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß kommen. So wie die Vorlage jetzt aussieht, wird meine Fraktion nicht in der Lage sein, die Verantwortung für sie zu tragen. So wie die Vorlage jetzt aussieht, wird meine Fraktion im Ausschuß mit allen Mitteln danach streben, jene Garantien für eine solide Haushaltskontrolle dieses Bundestags zu schaffen, die wir für notwendig halten, damit wir nicht auf diesem einfachen Wege in ein Abenteuer hineinkutschieren, aus dem wir vielleicht sehr schwer wieder herauskommen.
Wir werden uns jedenfalls gegenüber der Vorlage auf den Standpunkt stellen, daß sie in vielen Punkten, ja in entscheidenden Punkten verbesserungsbedürftig ist. Die Verbesserungsmöglichkeiten habe ich angedeutet, ohne sie zu erschöpfen. Nach unserer Auffassung kann es sich kein Parlament, auch nicht der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland, leisten, durch die Zustimmung zu dieser Vorlage sich selber seines ureigensten Rechtes zu begeben, nämlich auf dem Wege über den Haushalt den Behördenaufbau, die Verwaltung und die Exekutive einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit und ihre Vertreter zu unterziehen. An diesem Recht werden wir festhalten, und wir hoffen, daß wir bei seiner Verteidigung die Bundesgenossenschaft aller Abgeordneten finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Pünder.
Meine Damen und Herren! Die Materie, mit der wir uns heute in dieser vorgerückten Verhandlungsstunde zu befassen haben, ist etwas spröde; sie ist aber trotzdem von einer außerordentlich, großen Bedeutung. Gilt es doch, die ersten haushaltsrechtlichen Grundlagen für das positive Wirken aller Bundesorgane hier in Bonn zu schaffen. Es handelt sich heute nicht darum, einen Haushaltsplan zu besprechen oder gar zu verabschieden. Deshalb stimme ich vollkommen Herrn Abgeordneten Schoettle zu, daß heute nicht der Augenblick ist, eine große politische Debatte zu entfachen, wie Herr Abgeordneter Rische es wohl wünschte. Wir wollen nur die Grundlagen schaffen, und zwar sind es nur vorläufige Grundsätze, die wir aufstellen können.
Es ist natürlich eine überaus entscheidungsvolle Frage, ob wir uns dazu entschließen wollen, vorläufige
Grundsätze aufzustellen, oder gleich darangehen, endgültige Lösungen zu linden. Meine politischen 1 freunde stimmen durchaus dem Vorschlag der Bundesregierung und dem, was der Herr Bundesfinanzminister heute ausgeführt hat, zu, daß wir unter dem Drange der Zeit im Augenblick nur eine vorläufige Grundlage schaffen können, das heißt zunächst einmal fur den Rest des Haushaltsjahrs .1949/1950, von dem ja nur noch knapp 4 Monate übrig sind. Der Schwerpunkt der künftigen haushaltsrechtlichen Beratungen muß bei der Behandlung des Haushaltsplans für 1950 liegen. Gerade um das zu ermöglichen, ist in voller Übereinstimmung mit der Bundesregierung zu sagen, daß wir sehr schnell eine vorlaufige Regelung linden müssen.
Ich stimme also Herrn Abgeordneten Schoettle auch insofern zu, daß wir uns mit der Verabschiedung dieses vorläufigen Gesetzes sehr beeilen mussen. Es wäre sehr begrüßenswert gewesen, wenn wir diese wenigen 15 Paragraphen, über deren Aufbau, wie ich glaube, schon seit längerer Zeit ziemlich weitgehend Klarheit bestand, vielleicht schon etwas früher als Entwurf bekommen hätten. Jedenfalls befinden wir uns jetzt mit der Verabschiedung etwas in zeitlichem Druck. Aber wir wollen hoffen, daß wir doch noch vor Weihnachten mit der Vorlage zu Ende kommen werden.
Auf die Stellungnahme des Bundesrats ist bereits vom Herrn Bundesfinanzminister und mehreren Rednern hingewiesen worden. Es ist nicht ganz so, Herr Kollege Schoettle, daß der Bundesrat eine negative Stellung eingenommen hätte.
— Das wollte ich gerade sagen! Es war keine sehr positive! Im Gegenteil, er hat erklärt, er sei im Augenblick überhaupt nicht in der Lage, eme positive Stellung zu nehmen. Ich gebe ohne weiteres zu — und der Herr Bundesfinanzminister möge es mir nicht übelnehmen —, daß auch ich fur die Bedenken des Bundesrats vorerst Verständnis habe. Ich würde es begrüßen, wenn wir die sechs Schreibmaschinenseiten Begründung, die der Bundesrat seiner Entschließung zugrunde legte, zum mindesten im Haushaltsausschuß auch vorgelegt bekommen könnten. Immerhin hat der Bundesrat in dem Anschreiben, das uns vorliegt, im letzten Satz gesagt, er verfolge das Ziel, in gemeinsamen Verhandlungen mit dem Herrn Bundesfinanzminister und auch mit dem Haushaltsausschuß des Hohen Hauses zu einer Verständigung zu kommen, durch die die bestehenden Be-
denken ausgeräumt werden sollen. Ich persönlich habe keinen Zweifel, daß sich dazu in diesen gemeinsamen Beratungen, wie sie eben auch Herr Kollege Schoettle schon umrissen hat, Gelegenheit bieten wird.
Auch von uns wird ja heute keine positive Stellungnahme zu dieser Vorlage erbeten. Es ist die erste Lesung, und wir haben noch reichlich Gelegenheit, über die einzelnen Punkte zu sprechen. Wir haben heute nur den dringenden Wunsch, daß diese Haushaltsdebatte möglichst schnell in erster Lesung beendet wird, so daß wir im Haushaltsausschuß darangehen können, wirklich sachliche Arbeit zu leisten. Um dem zu entsprechen, was der Herr Präsident gesagt hat, werde ich mich meinerseits nur auf ganz wenige Bemerkungen beschränken.
Meine politischen Freunde und ich stimmen den maßgeblichen Gedanken dieses Gesetzes zu: erstens, daß wir überhaupt erst einmal ein Provisorium für die Übergangszeit bis zum 1. April nächsten Jahres schaffen müssen, ferner daß für die Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltplans das Reichshaushaltsgesetz und das Grundgesetz zu gelten haben sowie daß für die Rechnungsprüfung der durch das Gesetz des Wirtschaftsrats eingesetzte Bizonale Rechnungshof tätig werden soll, vorläufig mit der Wahrung der Aufgaben des Bundesrechnungshofs sozusagen beauf tragt.
Auch die Aufgliederung in 25 Einzelpläne scheint gut und übersichtlich, gut auch der Einzelplan Nr. XXII, der den Sonderhaushalt der Besatzungskosten bringt, wodurch diese in ihrer ungeheuren Bedeutung für unser finanz- und wirtschaftspolitisches Ergehen klar herausgearbeitet werden. Besonders begrüßen wir, daß auch die Hilfe für Berlin im Einzelplan XXV besonders ausgewiesen wird, wodurch unsere Bereitschaft, aber auch unsere Verpflichtung, für Berlin zu sorgen, ganz besonders unterstrichen wird.
Dann ist sehr bedeutsam — das haben die Herren Vorredner ja auch bereits ausgeführt — der Vorschlag in § 3, wonach für die Bundesverwaltungen, die an die Stelle bisher schon bestehender Verwaltungen in Frankfurt getreten sind, die Frankfurter Haushaltspläne gelten sollen. Es ist keineswegs so, wie der verehrte erste Herr Vorredner — der sich hier zu Worte gemeldet hatte, ohne daß er die bizonalen Haushaltspläne kannte — sagen zu dürfen glaubte, daß wohl niemand im Hause etwas vom bizonalen Haushaltsplan wisse. Ich glaube, es gibt manchen in diesem Hohen Hause, der sogar recht viel von diesen Dingen versteht. Es ist ja in diesem Entwurf des Herrn Bundesfinanzministers ausgeführt, um welche Gesetze es sich handelt; wer es nicht weiß, kann sie sehr schnell nachlesen. Es handelt sich um die Gesetze vom 22. Juli, vom 15. und 26. August dieses Jahres. Ich nenne diese Daten mit voller Absicht, weil ich in völligem Gegensatz zu dem, was der erste Herr Vorredner sagte, hier ein Wort besonderer Anerkennung für die Arbeit des Wirtschaftsrats einflechten möchte. Ich habe dem Wirtschaftsrat nicht angehört, fühle mich aber verpflichtet, hier auszusprechen: der Wirtschaftsrat hat bis in die Wahlzeit hinein, ja bis über den 14. August hinaus an diesen Haushaltsplänen schwer geschafft, und zwar nicht seiner Existenz wegen — denn es stand ja fest, daß er in wenigen Tagen zu existieren aufhören würde —,
sondern nur, um die Voraussetzungen zu schaffen, daß jetzt die Bundesregierung hier überhaupt arbeiten kann. Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit, und die schnellebigen Zeiten haben es manchmal an sich, daß die in ihr Lebenden an einer grausamen Vergeßlichkeit leiden. Deshalb möchte ich jedenfalls, nachdem es von anderer Seite nicht gesagt worden ist, dem verblichenen Wirtschaftsrat hier ein hohes Lied singen
und ihm dafür danken, daß er noch in jener Wahlzeit diese wichtige politische Arbeit geleistet hat.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zu dem berühmten Kapitel der Verfügungssummen. Nach § 9 ist vorgesehen, daß den neuen Organen der Bundesregierung zur Bestreitung ihrer Ausgaben Verfügungssummen bewilligt werden, und zwar, wie es da heißt, durch die beiden Haushaltsausschüsse des Bundesrats und des Bundestags. Ich gebe ohne weitere zu, daß dieser Vorschlag etwas sehr Ungewohnliches an sich hat und mit der Wahrung des Budgetrechts des Parlaments eigentlich nicht recht vereinbar ist.
Aber da es sich zunächst einmal darum handelt, daß wir in dieser Not und Eile zunächst einmal einen Übergang schaffen müssen, um dann wirklich einen richtigen Haushaltsplan 1950 besprechen zu können, werden wir auch hierfür Verständnis haben. Trotz reichlicher Überlegung und Besprechungen mit manchem Sachverständigen ist mir, ehrlich gesagt, auch noch nichts Besseres eingefallen. Ich möchte glauben, daß man mit diesem Vorschlag, Verfügungssummen durch die beiden Haushaltsausschüsse, den des Bundesrats und des Bundestags, zu bewilligen, auf dem rechten Wege ist. Es ist eben tatsächlich alles noch sehr in Fluß, und eine gewisse Elastizität ist notwendig. Ich nehme an, daß durch die jetzt notwendig werdenden Verhandlungen — notwendig auf Grund der Vorschrift des § 9 — manche der Bedenken sich beheben lassen werden, die namentlich auch der Bundesrat hatte und die Herr Abgeordneter Schoettle vorhin mit Recht vorgebracht hat.
Ich meinerseits möchte zur Vorbereitung dieser Verhandlungen einige wenige Punkte unterstreichen. Wenn wir uns über Verfügungssummen unterhalten sollen, dann ist es unbedingt notwendig, einen Gesamtüberblick über den materiellen Bereich des gesamten Haushaltsplans zu erhalten. Nicht mit langen Worten, sondern wirklich durch die Tat muß auch das Parlament und muß die Bundesregierung beweisen, daß sich niemand über die Schwere der gegenwärtigen finanzpolitischen Lage hinwegtäuscht. Die in vielen Ländern zu beobachtende Bewilligungsfreudigkeit der Parlamente muß unter allen Umständen eingedämmt werden. Ebenso wie der Bundesrat es auf diesen sechs Schreibmaschinenseiten, die ich auch gelesen habe, ausgeführt hat, müssen auch wir im Haushaltsausschuß und im Plenum die absolute Überzeugung haben, daß die Haushaltspolitik der Bundesregierung diesen Erfordernissen hinreichend Rechnung trägt.
In der Vorlage wird an einer Stelle — der Herr Bundesfinanzminister hat es auch getan — auf die Empfehlungen der Herren Ministerpräsidenten hingewiesen, und die Herren Ministerpräsidenten wieder fußten auf den Vorschlägen des Organisationsausschusses in Schlangenbad. Aber ich muß auch betonen, daß die Grundlage dieser Schlangenbader Vorschläge sich ganz wesentlich verändert hat, schon allein durch die Tatsache, daß damals 8 Bundesministerien vorgesehen waren, sich jetzt aber, wie wir feststellen müssen, 14 Nothelfer um die Sorgen und Nöte unserer Bundesrepublik bemühen!
Gerade diese hohe Zahl der Ministerien umschließt zweifellos eine sehr große Gefahr: es geht um die Schwierigkeit der Abgrenzung parallel laufender Bereiche zwischen den einzelnen Bundesministerien. Infolgedessen können leicht an verschiedenen Stellen Verwaltungskosten für gleiche Ausgaben veranschlagt werden. Ich weiß nicht, ob im Schoße der Bundesregierung über diese Dinge im Augenblick schon völlige Klarheit geschaffen ist. Man hört hin und wieder, es sei noch nicht ganz der Fall. Wenn es nicht der Fall sein sollte, kann der zuständige Herr Bundesfinanzminister unserer Mithilfe jedenfalls absolut gewiß sein.
Wir werden auch vom Haushaltsausschuß aus
seine Stellung unter allen Umständen zu stützen
und dabei gleichfalls das Budgetrecht des Parlaments zu wahren suchen. Es besteht eben zweifellos die Gefahr, daß durch solche Verfügungssummen, wenn sie nicht ganz solide überlegt und berechnet sind, leicht präjudizielle Tatbestände in der Personalwirtschaft geschaffen werden.
Im übrigen erinnere ich mich auch sehr gern der häufigen Erklärungen aus offiziellem Munde, daß der Personalbestand der Bundesministerien insgesamt keineswegs höher sein werde als der der Frankfurter Verwaltungen, wahrscheinlich sogar niedriger. Wenn - woran ich keinen Zweifel haben möchte — das auch in der Praxis durchgeführt werden wird, hat der Herr Abgeordnete Schoettle durchaus recht, daß jedenfalls für den Personalhaushalt Verfügungssummen vielleicht überhaupt nicht erforderlich wären. Aber, wie gesagt, über diese Dinge wollen wir uns sehr gern im Haushaltsausschuß bei aller Anerkennung der Richtigkeit der Grundsätze des Herrn Bundesfinanzministers und hoffentlich auch in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat unterhalten.
Der erste Herr Vorredner, Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens, hat gemeint, § 10 sei doch sehr bedenklich. In diesem § 10 heißt es, daß, soweit die Ausgaben in den Einnahmen — in dieser Übergangszeit — noch keine Deckung finden, der Bundesfinanzminister die erforderlichen Mittel mit Zustimmung des Bundesrats von den Ländern einfordern kann. Es ist zuzugeben, daß diese Bestimmung zweifellos nur für eine solche Übergangszeit verständlich ist. Aber sie ist, wie ich glaube, auch notwendig; denn der Bund verfügt eben noch nicht über die ihm nach dem Grundgesetz zustehenden Einnahmen. Es wird deshalb für diese Übergangszeit, wenn dem Herrn Abgeordneten Dr. Leuchtgens nicht etwas anderes einfällt, nichts übrigbleiben, als über den § 10 mit den Ländern eine solche Einigung herbeizuführen. Ich habe auch keinen Zweifel, daß mit dem Bundesrat, der ja selber erklärt, er verfolge das Ziel der Verständigung, über diese Frage des § 10 eine völlige Einigung erzielt werden kann, wenn im übrigen über seine Bedenken, die ich ja auch kurz gestreift habe, eine Einigung erzielt sein wird.
Am Schluß habe ich noch eine kleine technische Bitte an den Herrn Bundesfinanzminister zu richten, nämlich die Anregung, er möchte bereits jetzt seinen Entwurf, der sprachlich wirklich nicht
sehr schön und auch für den Sachverständigen etwas schwer zu lesen ist, vielleicht noch einmal etwas überprüfen lassen. Satzungetüme mit über 60, ja 78 und sogar 86 Wörtern mit drei bis vier Verschachtelungen sollten in deutschen Bundesgesetzen nicht zu finden sin.
Im Grundsatz also stimmen wir der Vorlage zu, wünschen dringend ihre baldige Verweisung an den Ausschuß und geben der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, daß wir auf der Basis dieser Grundsätze, die der Herr Bundesfinanzminister entwickelt hat, zusammen mit dem Ausschuß des Bundestags und dem Bundesrat zu einer Einigung kommen werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Es ist hier wiederholt von einem Provisorium gesprochen worden, und die Überschrift des Entwurfs, den der Herr Bundesfinanzminister uns vorgelegt hat, bezeichnet das Gesetz, das wir nunmehr verabschieden sollen, als ein vorläufiges Haushaltsgesetz. Mir will scheinen, daß diese Bezeichnung nicht ganz zutrifft, denn das Haushaltsgesetz, das hier zur Verabschiedung steht, ist in der Tat kein vorläufiges Haushaltsgesetz, sondern ist das Haushaltsgesetz, das der Wirtschaftsführung des Bundes in dem zweiten halben Jahr 1949/50 zugrunde gelegt werden soll. Insofern also ist es kein Provisorium, sondern ein Definitivum.
Richtig ist allerdings — und das haben sowohl die Verfasser des Entwurfs wie auch der Herr Vorredner gesagt —, daß diese Vorlage von dem, was wir bei Haushaltsgesetzen gewohnt sind, in einer erstaunlichen Weise abweicht. Es ist ein Haushaltsgesetz ohne Haushaltsplan und ohne Zahlen. Dieses sonderbare Verfahren ist natürlich zum Teil durch die Schwierigkeiten des Übergangs zu erklären. Wir stimmen dem Herrn Bundesfinanzminister darin zu, daß es unsere erste Aufgabe sein muß, überhaupt eine rechtliche Grundlage für die Haushaltsführung der Bundesregierung zu schaffen, denn diese rechtliche Grundlage ist vorläufig nicht vorhanden; sie muß so schnell wie möglich geschaffen werden.
Wir wollen auch keine Einwendungen dagegen erheben, daß dies nun auf einem Wege geschieht, der an die Vorschläge des Finanzausschusses der Ministerpräsidenten anknüpft und der uns eine Reihe von harten Opfern zumutet, Verzichte auf Rechte, die sonst ein Parlament zu seinen höchsten Rechten zählt. Aber die außergewöhnliche Lage mag das rechtfertigen.
Nun bestehen aber doch eine Reihe von Bedenken, auf die ich hier hinweisen möchte. Nach dem Vorschlag des Herrn Bundesfinanzministers sollen wir der Haushaltsführung des Bundes im zweiten Halbjahr 1949/50, soweit die alten Verwaltungen in Frage kommen, einfach den Haushaltsplan des Vereinigten Wirtschaftsgebiets zugrunde legen. Das würde bedeuten, daß wir selber hier auf unser Recht, die Ansätze des Haushaltsplans zu prüfen, weitgehend Verzicht leisten. Der Bundesrat hat seine Zustimmung vorläufig nicht gegeben. Es wäre gut gewesen, wenn der Herr Bundesfinanzminister uns nicht nur die Stellungnahme des Bundesrats mitgeteilt hätte, sondern auch die Begründung zu dieser Stellungnahme. Da es nun nicht geschehen ist, haben wir versuchen müssen, aus anderen Quellen zu schöpfen. Denn, Herr
Bundesfinanzminister, bekannt geworden ist uns t die Begründung natürlich doch. Die meisten von uns, die sich für diese Dinge interessieren, werden das Schreiben kennen, das Herr Finanzminister Hilpert im Auftrag des Finanzausschusses des Bundesrats an den Herrn Bundesfinanzminister gerichtet hat. Es wäre daher doch vielleicht ratsam gewesen, wenn uns dieses Schreiben als Begründung der ablehnenden Stellung des Bundesrats auch von Amts wegen zugegangen wäre.
Die Bedenken, die der Bundesrat gehabt hat, sollten uns zu einigem Nachdenken veranlassen. Der Bundesrat steht auf dem Standpunkt, daß er nicht zustimmen kann, weil nach seinem Dafürhalten die Ansätze der Ausgaben in dem Haushaltsplan des Frankfurter Wirtschaftsrats noch einer sorgfältigen Nachprüfung bedürfen. Die Herren des Bundesrats sind der Meinung, daß hier nicht mit der erforderlichen Sparsamkeit vorgegangen sei; auch die Stellenpläne seien zu aufwendig, und daher sei es gefährlich, einfach diesen Haushaltsplan zugrunde zu legen und damit womöglich nun noch ein Präjudiz für die kommenden Jahre zu schaffen. Ich glaube nicht, daß wir an diesen Bedenken ohne weiteres vorübergehen können. Wir werden versuchen müssen, wenigstens in großen Zügen eine Nachprüfung des Haushaltsplans des Wirtschaftsrats vorzunehmen und uns Gewißheit darüber zu verschaffen, daß diese Ansätze in sparsamen und vernünftigen Grenzen gehalten sind.
Etwas besser ist unsere Lage bei den neuen Verwaltungen. Hier sollen Verfügungssummen zur Verfügung gestellt werden. Zur Begründung der Verfügungssummen wird uns der Herr Bundesfinanzminister, wie ich annehme, die einzelnen Ausgabenansätze mitteilen; er wird uns auch einen Stellenplan vorlegen. Das ist vorgesehen, und wir sollen dann diese Finanzzuweisungen bewilligen. Hier ist also unser Bewilligungsrecht an sich gewahrt, allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung, auf die Herr Kollege Schoettle schon hingewiesen hat, daß es nun nicht durch das Plenum dieses Hauses ausgeübt wird, sondern durch zwei Ausschüsse, durch den Ausschuß des Bundestags und den Ausschuß des Bundesrats. Herr Kollege Schoettle, ich von meinem Standpunkt komme über diese Bedenken hinweg. Die Zeit drängt. Die Forderung des Bundesfinanzministers, so schnell wie möglich eine Rechtsgrundlage für die Haushaltsführung überhaupt zu schaffen, ist durchaus berechtigt, und darum könnte ich mich damit abfinden, daß das Haus selber auf das Bewilligungsrecht verzichtet und die Bewilligung einem Ausschuß überläßt. Aber ich kann hier an einem Bedenken nicht vorbeigehen: daß nämlich der Ausschuß des Bundestags und der Ausschuß des Bundesrats als gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden. Meine Damen und Herren, das ist eine ganz merkwürdige Konstruktion. Haushaltgesetze an sich werden nach dem Grundgesetz durch den Bundestag beschlossen. Dem Bundesrate steht nicht das Recht der Zustimmung zu. Ihm muß die Vorlage zur Stellungnahme vorgelegt werden, und er kann gegen das Haushaltgesetz ein Veto einlegen. Immerhin: die eigentliche Entscheidung liegt beim Bundestag allein. Nun wird die Entscheidung an Stelle des Bundestags einem Auschuß übertragen, aber der korrespondierende Faktor auf der andern Seite, der Ausschuß des Bundesrats, hat nun nicht nur ein Veto-, sondern das volle Recht der Zustimmung. Also mir ist nicht ganz wohl bei dieser Geschichte, ob wir hier nicht etwas von den Rechten
U des Bundestags preisgeben und die Rechtsstellung des Bundesrats allzusehr erweitern.
Ein weiteres, meine Damen und Herren. Der § 10 enthält die Ermächtigung des Bundesfinanzministers, die Fehlbeträge, die sich ergeben, von den Ländern mit Zustimmung des Bundesrats in einer Globalsumme einzufordern; die Unterverteilung soll dem Bundesrat überlassen werden. Nun, dieses Wiederaufleben der Matrikularbeiträge soll von mir nicht getadelt werden. Denn da wir nun einmal noch nicht über die Bundessteuern verfügen können und nach dem Grundgesetz der Übergang der Einnahmen auf den Bund gleichzeitig mit dem Übergang der Ausgaben stattfinden soll und gegen den Gedanken, der Termin dieses Übergangs möge bis zum 1. April hinausgeschoben werden, nicht allzuviel zu sagen ist, habe ich gegen dieses Verfahren an sich nichts einzuwenden. Aber, Herr Bundesfinanzminister, ich möchte Sie dringend bitten, wenn wir hier schon keinen Plan festzustellen haben, wie das sonst bei Haushaltgesetzen der Fall ist, uns doch wenigstens im Ausschuß einen Plan — ich verlange keine Einzelpläne — in seinen großen Zügen vorzulegen, uns einmal ein Zahlenbild zu geben, aus dem hervorgehen müßte, welche Einnahmen aus dem Haushaltplan des Wirtschaftsrats anfallen, welche Ausgaben anzusetzen sind, welche Verfügungssummen für die neuen Verwaltungen in Frage kommen, welcher Fehlbetrag sich daraus ergibt; und dann müßte auch der so errechnete Fehlbetrag doch wohl in einem solchen Zahlenbild noch durch die weiteren Summen ergänzt werden, die ja auf Grund eines Ergänzungsgesetzes für Berlin und für die Nahrungsmittelsubventionen zur Verfügung gestellt werden sollen. Das gehört auch in diesen Plan hinein. Wenn wir uns dazu entschließen sollten, auf die Feststellung eines Plans zu verzichten — und ich sehe keine Möglichkeit, nach den allgemeinen Normen zu verfahren —, so möchte ich doch den Herrn Bundesfinanzminister dringend bitten, uns dieses Zahlenbild in einer möglichst eingehenden Darstellung im Ausschuß vorzulegen, weil wir ohne die Kenntnis dieses mutmaßlichen und genau abzuschätzenden Ergebnisses die Verantwortung dafür, dem Herrn Bundesfinanzminister eine solche Ermächtigung zu erteilen, kaum übernehmen könnten.
Meine Damen und Herren! Das ist eigentlich das Wesentliche, was ich ausführen wollte. Ich bin dabei der Mahnung eingedenk, die der Herr Präsident an uns gerichtet hat. Es wird im Ausschuß noch manches zu besprechen sein. Aber, Herr Kollege Schoettle, glauben Sie nicht, daß wir am Mittwoch nachmittag oder Donnerstag fertig werden. Sehen Sie einige Tage mehr für die nächste Woche vor!
Ich glaube, wir werden sehr eingehend miteinander zu verhandeln haben, und an Meinungsverschiedenheiten wird es offenbar nicht fehlen. Nun, das schadet ja auch nichts. Im übrigen aber erscheint mir die Anregung, die der Herr Kollege Schoettle gegeben hat, sehr beachtenswert, daß nämlich unter Umständen in einem außergewöhnlichen Verfahren — also in Abweichung von den Bestimmungen des Grundgesetzes Artikel 77 — der Ausschuß von sich aus sich mit dem Ausschuß des Bundesrats in Verbindung setzt. Ich möchte mir daher den Vorschlag erlauben, daß wir, wenn wir jetzt diese Vorlage an den Haushaltsausschuß überweisen, diesem gleichzeitig die Ermächtigung erteilen, seinerseits die Verhandlungen mit dem
zuständigen Ausschuß des Bundesrats aufzunehmen, falls er es für notwendig und richtig hält. Das mag ein ungewöhnliches Verfahren sein und nicht ganz dem Gedankengang des Artikel 77 entsprechen, aber die Schwierigkeiten dieser Übergangszeit erfordern eben außergewöhnliche Maßnahmen, und ich könnte mir denken, daß durch eine solche gemeinsame Behandlung mit dem zuständigen Ausschuß des Bundesrats die möglichst schnelle Verabschiedung dieses Gesetzes außerordentlich gefördert werden könnte. Die schnelle Verabschiedung ist eine Notwendigkeit, denn die Bundesregierung braucht die haushaltsrechtliche Grundlage für ihre Geschäftsführung überhaupt und muß sie so schnell wie möglich haben. Wenn wir in normalen Zeiten lebten, müßten wir heute nicht im Plenum, sondern schon in den Ausschüssen mit der Beratung des Haushaltsplans für das Jahr 1950 beschäftigt sein. Früher wurden die Haushaltspläne den parlamentarischen Körperschaften im Reich und in Preußen am 1. November zugeleitet, und wir haben dann für die Verabschiedung über drei bis vier Monate gebraucht. Wenn ich an diese Fristen früherer Zeiten denke, bekomme ich ein bißchen Sorge: Wann werden wir die Vorlage für das nächste Jahr bekommen, und wann werden wir sie verabschiedet haben? Das sollten wir uns ja nicht leisten, daß wir am 1. April in das nächste, volle Rechnungsjahr hineingehen, ohne daß bis dahin auch der Haushaltsplan für dieses volle Jahr verabschiedet ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schuster.
Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende vorläufige Gesetzentwurf weist eine ganze Reihe von Mängeln auf, die ich aber hier nicht mehr alle anführen möchte, da doch ein großer Teil davon schon von fast allen Vorrednern erwähnt wurde. Ich möchte nur auf einige wenige Punkte besonders hinweisen.
Als einer der Hauptmängel dieses Entwurfs erscheint uns der Umstand, daß er nunmehr glücklich drei Monate nach Arbeitsbeginn der Regierung endlich auf dem Tisch des Hohen Hauses gelandet ist. Da er doch ein Provisorium darstellt, das nur vorübergehend in Kraft gesetzt werden soll, hätte man doch erwarten dürfen, daß die Ausarbeitung eines solchen vorläufigen Entwurfs wesentlich schneller hätte bewerkstelligt werden können.
Ein anderer Punkt ist noch der, daß der Entwurf zwar als vorläufig gekennzeichnet wird, aber im Gesetz selbst keine zeitliche Begrenzung vorgesehen ist. Wir wollen es nicht annehmen - aber es könnte immerhin möglich sein —, daß man sehr lange keine Zeit finden würde, ein endgültiges Gesetz dazu auszuarbeiten. Deshalb erachten wir es als dringend notwendig, in einen vorläufigen Gesetzentwurf wie diesen auf alle Fälle eine zeitliche Begrenzung mit einzubauen.
Auch daß es in einem Haushaltsgesetzentwurf der Regierung erlassen ist, einen detaillierten Haushaltsplan und Etats vorzulegen, halten wir für denkbar unmöglich. Selbst wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, mit der die Regierung bzw. das Bundesfinanzministerium zur Zeit zu kämpfen hat, so kann ein Provisorium doch nicht so weit gehen, daß man der Regierung
-
die maßgebendsten Dinge, wie es die Vorlage eines Haushaltsplans ist, einfach erläßt.
Als ein ebenso wichtiger Punkt erscheint uns noch der § 9, die Bewilligung der Verfügungsmittel durch die beiden Ausschüsse, das heißt, den Haushaltsausschuß des Bundestags und den des Bundesrats. Dies würde ja den Charakter der Ausschüsse vollkommen ändern. Bis jetzt hatten alle Ausschüsse nur beratenden Charakter. Wenn man einem Ausschuß die Befugnis der Mittelbewilligung gäbe, würde dies eine vollkommene Abweichung von der bisherigen Praxis bedeuten.
Ich will nun auf all die Punkte, die von Vorrednern schon erwähnt wurden, nicht mehr eingehen, sondern nur nochmals bemerken, daß die Fraktion der WAV diesen vorläufigen Gesetzentwurf ablehnen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister,
Meine Damen und Herren! Nur ganz kurz einige Feststellungen. Der Gesetzentwurf ist dem Kabinett seinerzeit vorgelegt und von diesem am 14. Oktober beschlossen worden. Die Bundesrepublik und das Kabinett selbst sind bekanntlich erst am 20. September erstanden. Demnach war also die Zeitspanne zwischen der Entstehung der Bundesregierung und der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs in der Regierung relativ kurz. Die gesetzliche Frist für den Bundesrat beträgt drei Wochen. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf am 10. November beschlossen. Heute haben wir den 2. Dezember, und heute beraten wir die erste Lesung im Bundestag. Sie sehen, daß der Weg der normalen Gesetzgebung Zeit beansprucht. Gerade weil dem so ist, ist dieser Gesetzentwurf notwendig gewesen. Denn auch in der Zeit, in der die Gesetzgebungsmaschine ihr Werk noch nicht geboren hat, muß der Haushalt der Bundesrepublik laufen und auf bestimmte Grundlagen gestellt werden.
Es ist viel über § 9 und die sogenannten Verfügungssummen gesprochen worden. Ich habe aber in meinen einleitenden Ausführungen schon bemerkt, daß ich hoffe, von dem System der Verfügungssummen überhaupt keinen Gebrauch machen zu müssen; denn inzwischen ist Zeit vergangen, und inzwischen ist es möglich gewesen, die Einzelhaushaltspläne der jungen Verwaltungen auszuarbeiten. Insofern ist es möglich, Ihnen das vom Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff gewünschte Zahlenbild im Ausschuß gleichzeitig mit dem Zahlenbild vorzulegen, das der Ergänzungshaushalt voraussichtlich bieten wird, in dem die Ausgaben enthalten sind, welche zum Beispiel infolge der Pfundabwertung nach der Bildung der Bundesregierung unvorhergesehen und ganz neu an den Bundeshaushalt herantreten. Wenn das geschehen ist, werden alle Sorgen, daß der § 9 einem Bundesfinanzminister etwa zuviel Vollmachten gebe und ihn in engere Verbindung mit nicht ganz legalen Körperschaften bringe, hoffentlich geschwunden sein. Ich glaube, daß dann auch die Sorge, daß die Demokratie in Gefahr sei, bei dem Herrn Kollegen Schoettle behoben sein wird.
Wenn inzwischen einige Zeit vergangen ist, um die Haushaltspläne aufzustellen, so darf ich bemerken, daß es 15 Haushaltspläne sind, und — verzeihen Sie, meine Herren — ich habe die Ziffern von ungefähr 20 Millionen Mehraufwendungen für neue Bundesverwaltungen genannt, von denen der größte Betrag — selbstverständlich mit weitem Abstand — auf unsere gesetzgebenden Körperschaften entfällt, die ja auch in diesem Bundeshaushalt einbegriffen sind.
Ich darf vielleicht feststellen, daß der letzte Haushaltsplan, der eingegangen ist, der der gesetzgebenden Körperschaften war.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz betonen, daß es sich bei dem Gesetzentwurf, wie der Name sagt, um ein Gesetz über die vorläufige Haushaltsordnung und die vorläufige Haushaltsführung des Rechnungsjahrs 1949 handelt. Damit ist nicht nur der Zweck, sondern auch die Zeit bestimmt. Die Sorgen, die der Herr Vorredner ausgesprochen hat, daß dieses vorläufige Gesetz ein Dauergesetz für den Bundeshaushalt sein könnte, sind nach der Überschrift des Gesetzes, glaube ich, schon behoben.
— Entschuldigung, es heißt: vorläufige Haushaltsordnung und vorläufige Haushaltsführung.
— Es wird nicht gesagt: vorläufiges Haushaltsgesetz, sondern: Gesetz über vorläufige Haushaltsführung.
In diesem Zusammenhang darf ich folgendes sagen. Durch diese Vorschriften sollte die Möglichkeit gegeben sein, Zeit zu gewinnen, dem Deutschen Bundestag und natürlich auch dem Bundesrat die Gesetzentwürfe vorzulegen, die der normale Sprachgebrauch als Haushaltsgesetze begreift, für das Jahr 1950/51 hoffentlich in der vollen ausführlichen Form. Aber für das Jahr 1949/50 ist es weder notwendig noch wäre es sinnvoll, die Ziffern, die der Wirtschaftsrat ausgearbeitet und zuletzt am 26. August 1949, drei Wochen vor Entstehung der Bundesregierung, festgelegt hat, jetzt noch einmal sämtlich neu aufzustellen, sondern man kann annehmen, daß das, was der Wirtschaftsrat für die alten Verwaltungen am 26. 8. 1949 aufgestellt und beschlossen hat, für die Weiterführung derselben Verwaltungen in ihrem grundsätzlich alten Aufgabenbereich einfach zu übernehmen sein wird. Das ist der wesentliche Kern, in dem sich dieser Ihnen vorzulegende Haushaltsplan von einem normalen Haushaltsplan entfernt, und vom Jahre 1950/51 an werden wir wieder im alten System und in den alten Formen sein. Ich hoffe, damit alle Sorgen um eine bedrohte Demokratie behoben zu haben.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich stelle das fest. Dann darf ich das Einvernehmen des Hauses feststellen, daß damit Punkt 4, der Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans usw., als an den Haushaltsausschuß überwiesen gilt.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeodneter Dr. Höpker-Aschoff!
Herr Kollege Schoettle hatte angeregt, daß der Haushaltsausschuß ermächtigt werden möge, wenn nötig, von sich aus Verhandlungen mit dem entsprechenden Ausschuß des Bundesrats aufzunehmen. Ich halte diesen Vorschlag für zweckmäßig; aber ohne irgendeine Ermächtigung des Plenums können wir nicht so vorgehen. Ich würde daher bitten, daß das Haus beschließen möge, den Entwurf dem Haushaltsausschuß mit einer entsprechenden Ermächtigung zu überweisen.
Wollen Sie zu diesem Punkt sprechen, Herr Abgeordneter Dr. Leuchtgens?
— Jetzt muß ich erst den geschäftsordnungsmäßigen Vorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff erledigen. Besteht Einverständnis mit diesem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff.? - Zweifellos.
Ich darf bei dieser Gelegenheit noch folgendes mitteilen. Ich habe neulich mit dem Herrn Präsidenten des Bundesrats, Herrn Ministerpräsidenten Arnold, gesprochen und ihm den Vorschlag gemacht, in Umkehrung unseres früheren Grundsatzes beim Wirtschaftsrat, nach dem die Vertreter des Länderrats jeweils an den Ausschußsitzungen teilgenommen haben, zur Vereinfachung unserer gesetzgeberischen Arbeit in die Geschäftsordnung des Bundesrats eine Vorschrift aufzunehmen, daß auch einige Vertreter des jeweils einschlägigen Ausschusses des Bundestags lediglich zu Informationszwecken an der Sitzung des entsprechenden Ausschusses des Bundesrats teilnehmen. Herr Ministerpräsident Arnold hat mir gesagt, daß er meiner Anregung in diesem Sinne Folge leisten werde. Das würde ungefähr auf derselben Linie liegen. Ich stelle also abschließend fest, daß das Haus mit einer Fühlungnahme unseres Haushaltsausschusses mit dem Haushaltsausschuß des Bundesrats einverstanden ist.
— Darf ich fragen, wozu Sie noch sprechen wollen?
- Das ist mir nicht bekannt.
Der Punkt 4 ist abgeschlossen. Verzeihen Sie
bitte, Herr Abgeordneter, die Vorlage des Tagesordnungspunktes 4 ist, wie beantragt, an den einschlägigen Auschuß überwiesen worden. Mir hat
kein Antrag von Ihnen vorgelegen. Es tut mir
leid, ich kann die Debatte nur mit Zustimmung
der Mehrheit des Hauses noch einmal eröffnen.
- Es erhebt sich Widerspruch. Ich bedauere daher, nicht in der Lage zu sein, Ihnen das Wort zu geben.
— Zu peiner persönlichen Bemerkung laut Geschäftsordnung erst am Schluß der Sitzung!
— Nein, erst nach Schluß der Beratung.
— Darf ich bitten, die Geschäftsordnung freundlicherweise nachzulesen!
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 10. August 1949 (Drucksache Nr. 238)
Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Bertram!
Meine Damen und Herren! Das Zentrum hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes eingebracht. Wir sind uns darüber klar, daß dieser Entwurf nur einen Teilausschnitt aus der Fülle der Probleme bringen kann. Es ist von uns auch nicht beabsichtigt, jetzt und hier eine Generaldebatte über die wesentlichen Probleme unseres Steuerrechts auszulösen. Die Absicht des Zentrums ging bei der Vorlage vielmehr in anderer Richtung. Es sind zwei Hauptgründe, -die uns veranlaßt haben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl wir genau wissen, daß die Bundesregierung selbst einen Gesetzentwurf vorbereitet hat, der uns hoffentlich in den nächsten Tagen vorgelegt werden wird. Dieser Entwurf, der zur Zeit dem Bundesrat vorliegt, wird jedoch nur eine kurze Beratungsdauer im Bundestag haben dürfen, wenn das Änderungsgesetz nicht allzu spät verabschiedet werden soll. Es bleiben da praktisch nur wenige Wochen zur Beratung. Das zweite Steueränderungsgesetz des Wirtschaftsrats, das mit Wirkung vom 1. Januar 1949 gilt, ist datiert vom 20. April 1949, veröffentlicht im Steuer- und Zollblatt vom 28. Mai 1949, das Anfang Juni die Steuerpflichtigen erreicht hat. Ein solches, den Steuerpflichtigen und seine Dispositionen außerordentlich belastendes Verfahren darf mit dem jetzt vorliegenden Entwurf eines Änderungsgesetzes unseres Erachtens nicht durchgeführt werden.
Da der wesentlichste Inhalt des Gesetzentwurfs der Regierung durch Presseveröffentlichungen bekanntgeworden ist, besteht die Gefahr, daß wegen der Kürze der nach der Vorlage des Gesetzes dem Bundestag zur Beratung zur Verfügung stehenden Zeit in einigen entscheidenden Punkten eine Abänderung des Regierungsentwurfs erschwert sein wird. Der Entwurf des Zentrums hat deshalb noch einige Punkte aufgegriffen, die bereits vor dem Zugang der Regierungsvorlage beraten und alsdann ohne gesetzgeberische Schwierigkeiten dem Regierungsentwurf eingefügt werden können.
Der zweite Hauptgrund unseres Antrags ist folgender. Die steuerliche Lage ist so undurchsichtig wie nur je. Sämtliche Parteien werden im Wahlkampf Steuersenkungen und Änderungen der bestehenden Steuergesetze versprochen haben. Es kommt jetzt darauf an, bereits in den Vorberatungen festzulegen, in welcher grundsätzlichen Linie die Steuerneuordnung liegen soll, nämlich
entweder in der Linie einer Entlastung der unteren Einkommensteuerstufen und damit einer Stärkung der für den Konsum zur Verfügung stehenden Einkommensteile oder aber in der entgegengesetzt laufenden Linie, nämlich in der Richtung einer stärkeren Begünstigung der Selbstfinanzierung und der weiteren Privilegierung derjenigen, denen es ohnedies am besten geht. Die Steuervorschläge in unserem Gesetzentwurf verlangen in dieser Hinsicht eine ganz klare Entscheidung. Falls im Bundestag oder in den zuständigen Ausschüssen eine Einigung über die Richtung der Steuerpolitik zustande kommt, wird der Regierungsentwurf bereits geklärte Fronten vorfinden.
Unsere Vorschläge gehen im einzelnen in folgender Richtung. Erstens: Erfassung des nichtausgeschütteten Gewinns der juristischen Personen in Höhe von 20 Prozent. Nebenbei sei bemerkt, daß der französische Ministerpräsident Bidault — das haben wir nach der Einbringung unserer Vorlage inzwischen erfahren — in Frankreich eine entsprechende Steuer für Aktiengesellschaften in Höhe von 10 Prozent des nichtausgeschütteten Gewinns vorgesehen hat. Das anonyme Kapital ist durch unsere bisherige Steuergesetzgebung bevorzugt worden. Die körperschaftssteuerpflichtigen Personen haben die ganze Schwere des bisherigen Steuertarifs nur in abgeschwächtem Maße zu spüren bekommen. Sie waren in der Lage, erzielte Gewinne nicht zu verteilen, und sparten damit in erheblichem Maße Steuern. Es ist aber nicht einzusehen, warum der Entschluß eines Vorstandes einer juristischen Person, erzielten Gewinn nicht auszuschütten, steuerrechtliche Wirkungen haben müßte. Wenn ein Lohnsteuerpflichtiger seinen Lohn bei dem Arbeitgeber, bei dem er beschäftigt ist, stehen läßt und stundet, so wird gleichwohl die Lohnsteuer erhoben. Durch die Möglichkeit der Nichtausschüttung erzielten Gewinnes sind körperschaftssteuerpflichtige Unternehmungen gegenüber den übrigen zur Einkommensteuer veranlagten Steuerpflichtigen in erheblichem Maße begünstigt und in der Lage gewesen, eine Selbstfinanzierung zu betreiben, die früher oder später zu einer Verzerrung des gesamten Wirtschaftsgefüges führen kann.
Ähnliche Ewägungen haben auch in Amerika den Präsidenten der New Yorker Effektenbörse veranlaßt, gegen die Selbstfinanzierung in der amerikanischen Wirtschaft Stellung zu nehmen. In der deutschen Presse und in der öffentlichen Meinung wird dagegen weitgehend der angebliche Vorteil der Selbstfinanzierung hervorgehoben. Diesen Gedankengängen können wir uns vom Zentrum aus nur insofern anschließen, als durch die Selbstfinanzierungen eine Kapitalfehlleitung nicht
hervorgerufen wird. Die betriebliche Eigenkapitalbildung kann daher nur insofern begrüßt werden, als dadurch die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung und die Steuerehrlichkeit begünstigt wird. Sobald die Selbstfinanzierung die damit gesteckte Grenze überschreitet, müssen wir sie ablehnen. Bei entsprechend ausgerichteter Steuerpolitik werden sich dann diejenigen Überschüsse auf dem Kapitalmarkt bilden, die erforderlich sind, um neue Unternehmungen zu finanzieren und damit Nachwuchskräften, Flüchtlingen, Inhabern zerstörter oder beschädigter Betriebe die Möglichkeit einer Neugründung ihrer Betriebe zu geben.
Die Steuerpolitik ist das wichtigste Mittel der Wirtschaftspolitik. Sie unter diesem wirtschaftspolitischen Gesichtspunkt richtig einzusetzen, ist daher unsere Hauptaufgabe. Wir hoffen deshalb, daß die folgenden drei Forderungen eigentlich Gemeingut aller Parteien sein sollten, nämlich, daß keine direkten Steuern vom Existenzminimum erhoben werden dürfen, daß die unteren Einkommensteuerstufen besondere Begünstigung verdienen und daß die Steuerpolitik der Wirtschaftspolitik zu dienen hat.
Wenn bisher die Steuererhebung bereits bei 750 DM Jahreseinkommen begann, so lag das an dem ganz anderen Preisniveau zum Zeitpunkt der Einführung der Steuertabelle. Inzwischen hat sich das Preisniveau aber wesentlich erhöht. Demgemäß müssen die Freigrenzen auch wesentlich höher angesetzt werden. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit einen gewissen Lebensspielraum, einen gewissen Einkommensspielraum voraussetzt. Diesen für die Entwicklung der Persönlichkeit erforderlichen Mindestspielraum wollen wir jedem Steuerpflichtigen erhalten.
Gerade die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen müssen auch deshalb stärker entlastet werden, weil diese Einkommensteuerpflichtigen ihr Einkommen im wesentlichen zum Konsum verwenden müssen und deshalb bereits durch die indirekten Steuern erheblich zur Bestreitung der Staatslasten beitragen. Jetzt ist der Zustand der, daß diese Steuerpflichtigen für ihren Konsum zweimal Steuern zahlen müssen, einmal durch die indirekten Steuern und zum anderen durch die sehr hohen direkten Steuern, die in das Existenzminimum eingreifen. Das ist unlogisch und nicht zu vertreten.
Als zweiten Hauptpunkt haben wir deshalb in unserem Antrag eine grundsätzliche Abkehr von dem bisherigen Steuertarif vorgesehen, und zwar sollen vor allem die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen wesentlich stärker entlastet werden, als es in der Regierungsvorlage vorgesehen ist. In der Regierungsvorlage, die wir offiziell ja noch nicht kennen, ist die Rede davon, daß dem Junitarif entsprechend die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen bereits eine Entlastung erfahren hätten. Diesen Gedankengang können wir nicht anerkennen. Die Vorschläge des Regierungstarifs liegen unserer Ansicht nach gerade bei diesen Steuerstufen wesentlich zu hoch.
Wir sind uns klar darüber, daß Mut dazu gehört, einen entsprechenden Einnahmeausfall in Kauf zu nehmen, obwohl die indirekten Steuern den Ausfall weitgehend wettmachen werden. Diesen Mut sollten wir aber auch vor allem deshalb haben, um das Recht der Persönlichkeit durchzusetzen und ernst zu machen mit der Berücksichtigung des Rechts des einzelnen.
Wenn das Umstellungsgesetz zum Haushaltsausgleich zwingt, so gedenken wir auch Vorschläge dafür zu machen, wie entsprechende Mehreinnahmen erzielt werden können. Wir sind uns klar darüber, daß Mehreinnahmen erforderlich sind, wenn wir eine verstärkte Steuersenkung beim Einkommen- und Lohnsteuertarif vorschlagen. Diese Mehreinnahme haben wir in unserem Vorschlag vorgesehen.
Daß die Entwicklung richtig gesehen ist, ergibt sich aus der Entwicklung des Steueraufkommens. Die Lohnsteuer brachte 1938 2,1 Milliarden und erbringt in dem Jahr Mitte 1948 bis Mitte 1949 1,8
Milliarden. Die veranlagte Einkommensteuer, die 1938 3,1 Milliarden erbrachte, erbrachte in den Jahren Mitte 1948 bis Mitte 1949 2,6 Milliarden. Die Körperschaftssteuer, die damals 2,4 Milliarden erbrachte, ist aber auf die Hälfte gesunken und brachte in dem halben Jahr nur noch 1,2 Milliarden. Die Umsatzsteuer ist von 3,3 Milliarden auf 3,1 Milliarden zurückgegangen. Wir sehen also, daß tatsächlich die Körperschaftssteuerpflichtigen in verstärktem Maße von der Steuer entlastet worden sind.
Wir erwarten Mehreinnnahmen unter anderem auch aus der Streichung des § 7c des Zweiten Steueränderungsgesetzes. Dieser § 7c ermöglichte es, Beträge, die als unverzinsliche Darlehen zum Zwecke des Wohnungsbaus gegeben werden, als Betriebsausgaben zu behandeln und wirkt deshalb in erheblichem Maße steuerschmälernd. Unerwünschte Manipulationen sind nach einmütiger Meinung aller leicht damit möglich. Die Bestimmung des § 7c bedeutet, daß es in die Hand der großen Verdiener gelegt wird, welchen Teil ihrer Gewinne sie in diesen jetzigen Krisenjahren der Einkommensteuer oder Körperschaftssteuer entziehen wollen. Wir haben es praktisch mit einer progressiven Verminderung der Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer zu tun. Das kann nicht im Sinne einer gerechten Verteilung der Steuerlasten liegen. Wir sind sogar der Ansicht, daß die Bestimmung des § 7c den Ausgleich des gesamten Haushalts gefährden kann. Man hat nämlich mit dieser Bestimmung völliges Neuland betreten.
Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Erlaß des Bundesfinanzministers zur Erläuterung des § 7c beschäftigt sich in anderthalbfachem Zeitungsspaltenformat im Bundesanzeiger mit der Verhinderung unerlaubter Manipulationen auf Grund dieser Steuervergünstigung und mit der Auslegung dieser Bestimmung im einzelnen. Die Bestimmung macht also offenbar der Finanzverwaltung schon jetzt in überreichem Maße Sorge. Aus diesem Gesichtspunkt kann auch das Interesse an der Finanzierung des Wohnungsbaues auf dem Wege über § 7c nicht als gerechtfertigt anerkannt werden. Wir halten es für richtiger, statt dessen eine hochverzinsliche steuerfreie Wiederaufbauanleihe aufzulegen, die in einfacher und übersichtlicher Weise den gleichen Erfolg erbringt, ohne die Gefahren der jetzigen Regelung mit sich zu bringen.
Der Kurszettel der Aktien zeigt seit einigen Monaten ständig erhebliche Steigerungen, die — so möchte ich meinen — zum Teil in ursächlichem Zusammenhang mit den steuerlichen Vorteilen des anonymen Kapitals stehen. Die Kapitalgesellschaften werden wegen der für sie so günstigen Steuerpolitik — einschließlich der Soforthilfeabgabe - vom anlagesuchenden Publikum entsprechend hoch bewertet. Diese Kapitalien des Publikums müßten durch eine entsprechend ausgestattete Anleihe für den Wohnungsbau erfaßt werden.
Zum § 7a, Bewertungsfreiheit für Ersatzbeschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter, haben wir vorgeschlagen, diese Bestimmung insofern einzuschränken, als nur bestimmte volkswirtschaftlich notwendige Wirtschaftsgüter abgeschrieben werden dürfen. Wir erleben es heute, daß diese Bestimmung sich nicht nur für diejenigen Unternehmungen auswirkt, die die Vergünstigung in Anspruch nehmen, sondern in noch stärkerem Maße für diejenigen Betriebe, die Zulieferanten derjenigen sind, die von der Vergünstigung Gebrauch machen wollen.
Wir haben ferner vorgeschlagen, erhöhte Absetzungen für Wohngebäude zuzulassen. Wir haben in § 7b der Zweiten Steuerveränderungsverordnung eine Vorschrift, wonach erhöhte Absetzungen für Wohngebäude zulässig sind, wenn 80 Prozent der Neubauten für Wohnzwecke verwendet werden. Wir möchten diese Vorschrift dahin abändern, daß bereits ein Anteil von 51 Prozent für Wohnungen und der Rest für Geschäftsbauten die Absetzungsmöglichkeit rechtfertigt.
Darf ich Sie einen Moment unterbrechen! Ich habe mir vorhin erlaubt, die Herren Redner darauf hinzuweisen, daß sie sich entsprechend den Vereinbarungen im Ältestenrat auf das Notwendigste beschränken. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie Ihre Bemerkungen zum materiellen Inhalt Ihres Antrags auf ein Minimum beschränken würden. Ich darf Sie bitten, sich danach zu richten.
— Ich werde das gern tun.
Wir glauben also, daß diese Vorschrift in richtiger Weise dem Wohnungsbau nützen würde.
Ferner haben wir den Vorschlag gemacht, daß in § 33 des Einkommensteuergesetzes die zwangsläufigen Belastungen auch schon für solche Belastungen zugrunde gelegt werden dürfen, die auf Grund einer sittlichen oder auf den Anstand Rücksicht nehmenden Pflicht entstehen.
Ich will auf die Einzelheiten unserer Vorschläge nicht weiter eingehen. Die Wünsche des Zentrums bei einer längst fällig gewordenen organischen Steuerreform sind mit dem vorliegenden Gesetz natürlich nicht erfüllt oder auch nur sämtlich berührt. Dem Grundübel unserer geltenden Steuergesetzgebung, nämlich der Unklarheit und Kompliziertheit der Bestimmungen, insbesondere auch der Vergünstigungsmöglichkeiten, läßt sich in kurzer Zeit und bei dem Mangel an statistischem Material nicht beikommen. Manche Vergünstigungsmöglichkeiten sind praktisch häufig unbrauchbar, weil die Steuerpflichtigen sie nicht kennen, andere, weil sie zu schwer verständlich sind.
Auch die Art der Steuerprüfungen müßte einmal unter die Lupe genommen und neu geregelt werden. Es dürfte nicht vorkommen, daß, wie mir aus einzelnen Fällen bekanntgeworden ist, die Prüfer des Finanzamts, wenn sie die Tür aufmachen, schon erklären: Wollen Sie bekennen oder sollen wir prüfen?
Das Anliegen des Zentrums mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht also kurz zusammengefaßt dahin: Stärkung der Kaufkraft, Verminderung der ungerechten Doppelerfassung derjenigen Einkommensbezieher, die ihr Einkommen verzehren müssen, verstärkte Erfassung des Gewinns der anonymen Kapitalgesellschaften, Begünstigung des Bauwillens, Stärkung des Sparwillens.
Meine Damen und Herren! Ich nehme nicht an, daß Sie sämtlich mit unseren Ansichten in allen Einzelheiten übereinstimmen werden, hoffe aber zuversichtlich, daß Sie in den Grundgedanken mit uns einig gehen werden. Der Vorschlag, den uns die Regierung in den nächsten Wochen, hoffentlich möglichst bald, machen wird, ist ja zum großen Teil ein Vorschlag der Finanzverwaltung. Die Abgeordneten aller Parteien sind demgegenüber
daran interessiert, die Rechte der Bevölkerung zu wahren. Das Recht der Steuerbewilligung war, wie wir heute schon wiederholt gehört haben, das höchste Recht einer jeden Volksvertretung. Ich hoffe deshalb, daß auch in diesem Hohen Hause alle Abgeordneten ohne Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit mit uns zusammen daran arbeiten werden, eine stärkere Steuergerechtigkeit bei den Steuern und bei dem kommenden Lastenausgleich zuwege zu bringen.
Meine Damen und Herren! Wir haben gestern abend im Ältestenrat in Obereinstimmung mit der Vorsitzenden der antragstellenden Fraktion, Frau Abgeordnete Wessel, vereinbart, daß wir uns bei diesem Punkt der Tagesordnung lediglich auf die Einbringung beschränken und ohne Debatte die Zustimmung des Hauses feststellen wollen, daß der Antrag Drucksache Nr. 238 als Material zu dem zu erwartenden entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung an den zuständigen Ausschuß für Finanz-und Steuerfragen überwiesen werden soll. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Damit gilt der Antrag auf Drucksache Nr. 238 als an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen.
Wir kommen zu den Punkten 6, 7 und 8 der Tagesordnung:
6. Erste Beratung des Entwurfs eines Notgesetzes für die deutsche Hochseefischerei (Drucksache Nr.
221);
7. Antrag der Fraktion der DP betreffend Wiederaufbau der deutschen Hochseefischerei ;
8. Antrag der Fraktion der DP betreffend Notlage der kleinen Hochseefischerei und Küstenfischerei .
Hierzu ist gestern abend im Ältestenrat eine gemeinsame Behandlung nach kurzer Einführung
vereinbart worden. •
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Mühlenfeld.
Meine Damen und Herren! Entsprechend der Vereinbarung im Ältestenrat und der Mahnung des Herrn Bundestagspräsidenten beschränke ich mich darauf, zur formellen Seite dieser drei Anträge zu sprechen, und verzichte auf eine materielle Begründung.
Es handelt sich zunächst um den Antrag Drucksache Nr. 221 gemäß Punkt 6 der Tagesordnung, und zwar um eine Vorarbeit, die nach langem, gründlichem Studium im Wirtschaftsrat erledigt worden ist, mit dem Ziel, ein Notgesetz zu schaffen, das die deutsche Hochseefischerei in die Lage versetzt, nunmehr wirtschaftlich zu arbeiten. Das Notgesetz ist nur eine der Vorbedingungen. Die anderen beiden Vorbedingungen müssen auch erfüllt sein, um die gesamte deutsche Wirtschaft in den deutschen Küstengebieten vor einem Niedergang zu bewahren, der sich zweifellos schon in ganz gefährlichen Umrissen andeutet.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß das Notgesetz, dessen Entwurf Ihnen auf Drucksache Nr. 221 vorliegt, bereits vom Wirtschaftsrat verabschiedet, von der Militärregierung aber nicht existent gemacht worden ist mit dem Hinweis darauf, das müsse dem Bund überlassen werden.
Das Gesetz, wie es Ihnen jetzt vorliegt, hat dieselbe Fassung, wie der Wirtschaftsrat es verabschiedet hat, nur mit dem Unterschied, daß die durch den Wechsel des Gesetzgebers notwendig gewordenen Änderungen rein formeller Art vorgenommen worden sind. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß bereits im Haushaltsplan des Vereinigten Wirtschaftsgebiets die erforderlichen Mittel eingesetzt worden sind, um zu einer Verbilligung der Bunkerkohle zu kommen, also die alte friedensmäßige Relation wiederherzustellen, wie sie bis 1938 vorhanden gewesen ist.
Der Antrag Drucksache Nr. 218, Tagesordnungspunkt 7, geht dahin, die Bundesregierung möge für einen Investitionskredit in Höhe von 30 Millionen D-Mark Sorge tragen, um unsere deutsche Hochseefischereiflotte wiederaufzubauen, die bekanntlich total darniederliegt, überaltert ist und allein schon aus diesem Grunde so unwirtschaftlich ist, daß die Fischerei nicht in der Lage ist, dem Verbraucher zu angemessenen Preisen Fische zur Verfügung zu stellen. Ich nehme an, es ist Ihnen sehr wohl geläufig, daß wir auch bei der heutigen Ernährungslage auf den wertvollen Eiweißzuwachs aus unseren Meeren nicht verzichten können.
Das gleiche gilt für die Notlage der kleinen Hochsee- und Küstenfischereibetriebe nach dem Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 220. Auch hier handelt es sich darum — ich mache Sie mit allem Ernst darauf aufmerksam —, eine ganz gewaltige Notlage zu beseitigen, die vor allen Dingen dadurch sehr katastrophal geworden ist, daß die zahlreichen Fischer aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jetzt an den Küsten des deutschen Bundesgebiets eine Existenz finden müssen.
Ich bitte Sie, diesen Anträgen zuzustimmen, mit der Maßgabe, daß sie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden.
Ich darf wohl annehmen, daß das Wort nicht gewünscht wird.
— Bitte, Herr Abgeordneter Gundelach!
Meine Damen und Herren! Jeder von uns weiß, daß die Hochsee- und Küstenfischerei nicht nur für die Volksernährung, sondern auch für das Wirtschaftsleben besonders der Hafenstädte von größter Bedeutung ist. Die Fischerei kann aber nur mit einer leistungsfähigen Fischereiflotte lohnend betrieben werden. Diese fehlt uns eben heute. Abgesehen von den wenigen neuen Hochseefischereifahrzeugen und den Fischkuttern, die nach 1945 gebaut worden sind, ist der Fischdampfer- und der Fischkutterbestand nicht nur unzureichend, sondern infolge der Oberalterung auch ganz unrentabel geworden. An diesem Zustand sind vor allem die von den Alliierten der Fischerei in der Vergangenheit aus Konkurrenzgründen auferlegten Beschränkungen schuld, besonders hinsichtlich des Fischdampferneubaus und der Größe dieser Fahrzeuge. Die vorhandenen alten Fischdampfer sind bei den bestehenden Preisen für Bunkerkohle nicht mehr in der Lage, mit dem erzielten Erlös für ihre Fänge die Unkosten zu decken, die entstehen. Das hat zum Beispiel in Hamburg bereits dazu geführt, daß Fischdampfer nicht mehr zum Fang ausgelaufen sind. Wir
sind der Meinung, daß in Verbindung mit dieser Frage der Bau neuer Fischdampfer von sehr großer Bedeutung ist, und zwar von solchen Schiffen, die den modernsten Anforderungen entsprechen und auch von anderen Ländern betrieben werden. Jede Beschränkung betreffend Größe und Einrichtung muß beseitigt werden, damit schnellstens mit dem Bau der dringend benötigten Schiffe begonnen werden kalm. Das liegt sowohl im Interesse der Versorgung der Bevölkerung mit Fischen zu erträglichen Preisen wie auch im Interesse der Werftarbeiterschaft und der in der Fischindustrie Beschäftigten.
Bei dem Bau neuer Fischdampfer ist aber auch auf die äußerst schwere Arbeit der Schiffsbesatzungen Rücksicht zu nehmen. Die Seeleute dieser Schiffe haben einen berechtigten Anspruch darauf, bequeme Unterkunftsräume zu haben, um in ihrer Ruhezeit auch wirklich Ruhe zu finden.
In den Anträgen der Deutschen Partei wird auch zur Frage der Finanzierung des Wiederaufbaues der Fischdampferflotte Stellung genommen, und es werden Investitionskredite in Höhe von 30 Millionen D-Mark gefordert. Wir stehen dieser Frage nicht ablehnend gegenüber, erheben jedoch die Forderung, daß diese Kredite insbesondere den kleinen Reedern, den Genossenschaften usw. gegeben werden und daß die Küstenfischer dabei nicht benachteiligt werden. Es muß unserer Meinung nach in dieser Frage sehr schnell gehandelt werden, damit recht bald mit dem Bau neuer Fischereifahrzeuge begonnen werden kann; denn das ist notwendig, um bei den Werften der Hafenstädte weitere Entlassungen in der kommenden Zeit zu vermeiden.
Ob im einzelnen die aufgestellten Forderungen, wie sie in den vorliegenden Anträgen vertreten werden, hinsichtlich der Hebung des Fischfangs erfüllt werden können, sollte man eingehend im Ausschuß nachprüfen. Deshalb sind wir Kommunisten für die Überweisung der vorliegenden Anträge an den zuständigen Ausschuß.
Meine Damen und Herren, wird 'das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Dann schließe ich die Aussprache über die Drucksachen Nr. 221, 218 und 220 und erbitte das Einverständnis des Hauses zu folgendem:
1. Überweisung der Drucksache Nr. 221 an den Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft als den federführenden Ausschuß und auf Wunsch des Ausschusses für Wirtchaft auch an diesen;
2. Überweisung der Drucksache Nr. 218 an den Ausschuß für Ernährung;
3. Überweisung der Drucksache Nr. 220 an den Ausschuß für Ernährung als federführenden Ausschuß und auf Wunsch der betreffenden Ausschüsse auch an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Verkehr.
Darf ich das Einverständnis des Hauses hierzu
feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; demnach ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen .
Dabei mache ich darauf aufmerksam, daß die Fraktion der CDU/CSU inzwischen dazu einen Abänderungsentwurf eingereicht hat.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Etzel als Berichterstatter das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich darf einige allgemeine und grundsätzliche Bemerkungen vorausschicken, bevor ich über das Ergebnis der Ausschußberatung im einzelnen berichte.
Der Bundestag hat in seiner 16. Sitzung am 10. November den Entwurf eines Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen nach der ersten Beratung dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen, der sich am 22. November mit ihm in einer allgemeinen und einer Einzelberatung beschäftigt hat. Der Ausschuß ist zu einer weitgehenden Umgestaltung des Entwurfs gelangt. Die von ihm beschlossenen Änderungsvorschläge sind aus der Zusammenstellung der beiden Fassungen in Drucksache Nr. 239 ersichtlich.
Die Verkündung ist die letzte Phase der Rechtsetzung; sie ist nicht nur eine Veröffentlichung oder Bekanntmachung, sondern ein förmlicher, gewissermaßen feierlicher Akt. Er macht den Gesetzesbefehl erst existent und für Bürger und Behörden verbindlich. Das Bedeutende eines Rechtsetzungsaktes muß auch in ihr zum Ausdruck kommen. Gerade die Demokratie hat nach den gemachten Erfahrungen allen Anlaß, den Formgedanken, der in Wahrheit ein sehr wirksames Ordnungs- und Sicherheitsprinzip ist, auf dem weiten Felde der Ausübung der Staatsgewalt nicht gering zu achten. Die richterliche Nachprüfung hat nicht nur die Verfassungsmäßigkeit des Inhalts, sondern ebenso die des Rechtsetzungsverfahrens zum Gegenstande, erstreckt sich also auch auf die Frage der ordnungsmäßigen Verkündung.
Wie das Gesetz — abgesehen von den Fällen des Staatshaushaltsgesetzes und der Amnestie, die ihrem Wesen nach Verwaltungsakte sind —, greift in der Regel auch die nach Artikel 80 des Grundgesetzes zugelassene Rechtsverordnung, wie ihr Name sagt, in die Individualsphäre der Bürger, in Eigentum und persönliche Freiheit ein. Die Würde des Rechtsetzungsaktes kommt ihr nicht weniger zu, auch wenn sie nur das Kind einer Ermächtigung des eigentlichen Verfassungs- oder Gesetzgebers an die Exekutive ist. Es wäre an sich folgerichtig, daß Form und Organ ihrer Verkündung die gleichen wie bei den Gesetzen wären und ihre Verkündung ebenso wie bei diesen im Bundesgesetzblatt konzentriert würde.
Der Ausschuß hat sich diesen Erwägungen nicht verschlossen. Er hat auch anerkannt, daß eine Vielzahl von Verkündungsblättern die Überblickbarkeit des Rechtsstoffes und damit die Rechtssicherheit wie die Autorität der Rechtsetzung in ähnlicher Weise gefährde wie die Inflation der letzteren selbst. Dies habe sich nach 1934 und in noch höherem Maße nach 1945 in drastischer Weise gezeigt. Andererseits erschien es der Mehrheit des Ausschusses notwendig, das Bundesgesetzblatt, soll es nicht zu umfänglich und seine Brauchbarkeit in Frage gestellt werden, von allen Verkündungen zu entlasten, die sich nicht an alle Bürger oder einen überwiegenden oder sonst größeren Kreis derselben wenden.
Dem Ausschuß lagen das unter der Weimarei Verfassung erlassene Gesetz vom 13. Oktober 192
über die Verkündung von Rechtsverordnungen und ein vom Bundesrat gebilligter Gegenentwurf zu dem vorliegenden Gesetzentwurf vor. Auch der Gegenentwurf konnte, da die zugrunde liegende Sitzung des Bundesrats infolge widriger Umstände erst einige Stunden nach Ablauf der Fristen des Artikels 77 des Grundgesetzes stattgefunden hatte, nur als Material gewertet werden.
Die Beschlüsse des Rechtsausschusses sehen als Verkündungsorgane das Bundesgesetzblatt, den Bundesanzeiger, den Tarif- und Verkehrsanzeiger der Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Bundesgebiet und das Verkehrsblatt als Amtsblatt des Bundesverkehrsministeriums der Bundesrepublik Deutschland vor. Die Frage der Rechtsnatur einzelner Tarif- oder Gebührenordnungen als echter Rechtsverordnungen blieb dahingestellt.
Ich komme nun zu den einzelnen Bestimmungen.
§ 1. Die ursprüngliche Fassung des Entwurfs war mißverständlich; ihr Sinn konnte kumulativ gedeutet werden. Sie war daher abzuändern. Dabei wurde es als unzweckmäßig erachtet, die einschränkenden und bedingenden Vorbehalte „grundsätzlich", „in Ausnahmefällen" oder „in dringenden Fällen" zu machen, um dem subjektiven Ermessen nicht unnötig Spielraum zu geben.
Der Ausschuß schlägt folgende Fassung vor: Rechtsverordnungen des Bundes werden im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkündet.
Weiterhin empfahl sich aus systematischen Gründen die Heraufnahme des § 3 als Absatz 2 des § 1. Das Bundesgesetzblatt bringt also einen Hinweis auf alle Rechtsverordnungen, ausgenommen die Tarife des § 2. Die Anordnung dieses Hinweises ist eine Ordnungsvorschrift, deren Einhaltung zu der Verkündung im Bundesanzeiger hinzukommt. Ihre Unterlassung hindert die Rechtswirksamkeit der Verordnung nicht. Es handelt sich nicht, wie von einer Seite angenommen wurde, um eine lex imperfecta.
§ 2. In Absatz 1 war Buchstabe a) zu streichen, da die Entgeltfestsetzungen der Post immer Bestandteil der Fernsprechordnung, der Telegrafenordnung und der Postordnung ais echter Rechtsverordnungen sind und in das Bundesgesetzblatt gehören und da die Verordnungen über die bei der Herstellung von Telegrafen anfallenden Entgeltfestsetzungen nicht so zahlreich sind, daß sie nicht in den Bundesanzeiger aufgenommen werden könnten. So hat auch das Bundespostministerium mitgeteilt, daß es auf die Einbeziehung seiner Tarifverordnungen in die Sonderregelung der Verkündung verzichtet.
Buchstabe b war als Absatz 1 heraufzunehmen. Hinsichtlich der Verordnungen der Wasserstraßendirektionen war eine redaktionelle Änderung erforderlich, da sie jetzt im Hinblick auf das Grundgesetz die Bezeichnung Wasser- und Schiffahrtsdirektion führen. Bei ihren Verordnungen handelt es sich nicht nur um Tarife, sondern um Regelungen aller Art, vor allem um solche wasserpolizeilichen Charakters. Es erschien daher zweckmäßig, die Bestimmung des Buchstaben d mit der des Buchstaben c zusammenzuziehen und als Absatz 2 zu systematisieren.
Die vor allem im Hinblick auf die umfänglichen internationalen Tarifbücher veranlaßten Absätze 2 und 3 des § 2 waren einfacher und verständlicher zu fassen und in .einen einzigen Absatz 3 zusammenzuziehen. Der gesetzestechnisch
unklare Begriff „bekanntgemacht"' war durch den 1 strengen Begriff „verkündet" zu ersetzen. Da, wie erwähnt, die Einbeziehung der Post- und Fernmeldetarife in die Sonderregelung entfällt, kommen als Amtsblätter im Sinne des § 2 zur Zeit nur der Tarif- und Verkehrsanzeiger der Eisenbahn und das Verkehrsblatt in Betracht.
§ 3. Dieser ist, wie bereits angegeben, als Absatz 2 in den § 1 aufgenommen worden.
§ 4. Absatz 1 und Absatz 2 Satz 2 wurden im Hinblick auf Artikel 82 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes als entbehrlich gestrichen.
Den Satz 1 des Absatzes 2 lehnte der Ausschuß ab. Er war der Meinung, daß der Beginn der Geltung eines Tarifs jeweils in der Verordnung angegeben werden soll. Damit entfällt der ganze § 4; der bisherige § 5 wird § 3.
§ 5. Die Absätze 1 und 2 dieses Paragraphen blieben bis auf die Einschaltung des Wortes „Deutscher" bei „Reichsanzeiger" unverändert. In Absatz 3 waren die dreimaligen in Klammer beigefügten Gesetzesverweisungen selbstverständlich, also überflüssig. Außerdem mußte wegen des Verzichts des Bundespostministeriums die Angabe der Amtsblätter des ehemaligen Reichspostministeriums, des Amtsblatts der Frankfurter Hauptverwaltung und des Amtsblatts des Bundespostministeriums entfallen. Das Verkehrsblatt war in Parenthese als Amtsblatt des Bundesverkehrsministeriums der Bundesrepublik Deutschland zu kennzeichnen.
§ 6. Der Ausschuß konnte keinen Grund zu einer besonderen, von der Bestimmung des Artikels 82 Absatz 2 Satz 2 abweichenden Festsetzung des Beginns der Geltung des Gesetzes anerkennen. Er beschloß daher, die Streichung des Absatzes 1 vorzuschlagen.
Die Bestimmung des Absatzes 2 gehört inhaltlich zu § 5. Sie wurde als Absatz 4 in den § 5, nunmehrigen § 3, aufgenommen.
Nach den Vorschlägen des Ausschusses umfaßt das Gesetz nunmehr drei Paragraphen. Als Verkündungsorgane sind das Bundesgesetzblatt und der Bundesanzeiger, für Tarifverordnungen im Bereiche des Bundesverkehrsministeriums zwei Amtsblätter vorgesehen. Die bisherige Zersplitterung im Verkündungswesen ist wesentlich gemildert.
Ich hatte mich auf die Darstellung der Ausschußberatungen und ihrer Ergebnisse zu beschränken und den soeben durch den Herrn Präsidenten angekündigten, nachträglich beabsichtigten Antrag auf Einfügung eines neuen § 3 nicht einzubeziehen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Ehe ich die Aussprache eröffne, darf ich auf die einschlägige Bestimmung der Geschäftsordnung, § 40 Absatz 2, aufmerksam machen:
Die Einzelbesprechung wird der Reihenfolge nach über jede selbständige Bestimmung, die Abschnittsüberschriften und zuletzt über Einleitung und Überschrift eröffnet und geschlossen. Nach Schluß jeder Einzelbesprechung wird abgestimmt.
Ich darf das Einverständnis des Hohen Hauses erbitten, daß wir im Hinblick auf die äußere Kürze des Gesetzentwurfes von dieser Bestimmung absehen und es den einzelnen Rednern überlassen,
zu welcher Bestimmung sie sprechen wollen. Abschließend stimmen wir der Reihe nach über jeden einzelnen Paragraphen ab, den ich aufrufen werde. — Ich höre keinen Widerspruch gegen dieses Verfahren. Ich stelle Ihr Einverständnis fest.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Meine Damen und Herren! Durch die Streichung des § 4 im ursprünglichen Entwurf ist eine kleine Lücke entstanden, die aber notwendigerweise ausgefüllt werden muß. Es ist nämlich die Lücke entstanden, daß Verkehrstarife nicht unter Rechtsverordnungen fallen, daß sie aber ausdrücklich genannt werden müssen.
Infolgedessen stellen wir den Antrag, hinter § 2 folgenden § 3 anzufügen:
Rechtsverordnungen treten, falls sie nichts anderes bestimmen, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Verkündungsblatt ausgegeben worden ist.
Das ist also eine Angelegenheit, die unbestreitbar ist.
Und nun kommt der ausschlaggebende Absatz 2: Zu dem gleichen Zeitpunkt treten auch Verkehrstarife in Kraft, falls nichts anderes bestimmt ist oder bestimmt wird.
Das ist übersehen worden und soll noch eingefügt werden, damit später keine Schwierigkeiten entstehen. Ich bitte dem zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst, ich bitte um den Wortlaut des Antrags. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Der Antrag, der von dem Herrn Abgeordneten Dr. Kleindinst im Wortlaut soeben verlesen worden ist, ist mit mir abgestimmt worden und wird von mir gebilligt.
Der Ausschuß hat die Bestimmung des § 4 des Entwurfs gestrichen. In diesem Paragraphen war das vorgesehen, was jetzt der Ergänzungsantrag in dem Absatz 1 wieder aufnimmt: daß Rechtsverordnungen, falls nichts anderes bestimmt wird, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages in Kraft treten, an dem das Verkündungsblatt ausgegeben worden ist.
Im Ausschuß hatte man angenommen, es bedürfe dieser Vorschrift nicht im Hinblick auf Artikel 82 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes, der bestimmt, daß Rechtsverordnungen ebenso wie Gesetze 14 Tage nach Ablauf des Tages in Kraft treten, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist. Dabei hat man nicht erwogen, daß in dem vorliegenden Gesetz ja auch die Verkündung von Rechtsverordnungen im Bundesanzeiger und in den Verkehrsblättern vorgesehen ist. Für diesen Fall muß das Gesetz den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsverordnung regeln.
Absatz 2 des Antrags, der von den Verkehrstarifen handelt, ist erforderlich, weil nicht alle Verkehrstarife Rechtsverordnungen darstellen, so daß durch Absatz 1 Tarife, die nicht hoheitsrechtlicher Art sind und deswegen keine Rechtsverordnung darstellen, nicht erfaßt werden.
Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion kann sich mit dem § 1 weder in der Fassung des Regierungsentwurfs noch in der des Ausschußentwurfs einverstanden erklären. Es heißt im Ausschußentwurf:
Rechtsverordnungen des Bundes werden im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkündet.
Es gibt also danach zwei Publikationsorgane, von denen das eine, der „Bundesanzeiger", wie eine Tageszeitung aussieht. Das soll demnächst geändert werden. Zur Begründung wird gesagt, es gebe so viele Publikationen, die das breite Publikum nicht interessieren. Wir wollen es uns einmal genauer ansehen. Was die breitesten Kreise des Publikums interessiert, sucht man also nicht im „Bundesanzeiger", sondern man sucht es im Bundesgesetzblatt.
Mir ist nun in diesen Tagen die Nummer 27
des Bundesanzeigers in die Hand gefallen. In dieser Nummer steht der Erlaß vom 17. November über die Behandlung der Zuschüsse und unverzinslichen Darlehen zur Förderung des Wohnungsbaus bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Dieser Erlaß enthält unter B Ziffer 4 eine materiell-rechtliche Änderung des bisherigen Einkommensteuergesetzes, nämlich die Vorschrift, daß Handwerker, Kleingewerbetreibende und Angehörige der freien Berufe die Vergünstigung des § 7c Einkommensteuergesetz 1949 ebenfalls wie die anderer Berufe in Anspruch nehmen können, die bisher allein den Vorteil hatten, wenn sie ihren Gewinn unter Beachtung der zusätzlichen Bestimmungen über die Buchführung dieser Berufe ermitteln.
Also solch eine materiell höchst bedeutsame Vorschrift finden Sie nicht, wenn Sie sie suchen; denn Sie erwarten diese Vorschrift gar nicht hier. An diesem Beispiel sieht man deutlich, wie unzweckmäßig es ist, mehrere Publikationsorgane zu haben. Könnte man nicht, wenn man das Bedürfnis hat, die weniger wichtigen Publikationen anderswo zu veröffentlichen, wie es auch früher üblich war, einen Teil I und einen Teil II des Bundesgesetzblatts schaffen? Aber es muß doch nicht unbedingt jede Rechtsverordnung in einem besonderen Blatt veröffentlicht werden, in dem beispielsweise auf der Rückseite die Mitteilungen der Registergerichte Waldbröl, Koblenz oder Groß-Umstadt veröffentlicht werden! Das bedeutet praktisch die Verzettelung von Rechtsverordnungen, die die Würde dieser Verordnungen herabsetzt. Denn Rechtsverordnungen setzen Recht, materielles Recht, also genau so Recht, wie es in Gesetzen steht, und es bedeutet, daß man die Würde dieser Rechtsverordnungen herabsetzt, wenn man sie gemeinsam mit den Bekanntmachungen des Registergerichts Groß-Umstadt bekanntgibt.
Es würde außerdem einen heilsamen Zwang für alle mit der Herausgabe von Rechtsverordnungen befaßten Regierungsstellen bedeuten, wenn sie nicht immer nur in einem sehr dickleibig werdenden Werk zu sehen wären, einschließlich der Durchführungs- und Ausführungsverordnungen, die man zu diesem Gesetz schafft. Denn wenn kürzlich sage und schreibe 40 Durchführungsverordnungen, ja sogar noch mehr, zu einem Gesetz
herausgekommen sind, dann muß jeder Laie sagen, daß hier von der Regierung eine nachlässige Arbeit geleistet worden ist. Man hätte sich rechtzeitig überlegen können, wie man es machen will, und dann weniger Durchführungsverordnungen machen sollen. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß dieses Ausweichen in eine Zeitung, um es dort zu publizieren, eine willkommene Gelegenheit ist, eine Schluderei verstecken zu können. Es ist auch eine willkommene Gelegenheit, den Kopf in den Sand zu stecken. Es sieht so aus, als wenn wir weniger produktiv in der Schaffung von Gesetzen wären; wenn wir einen Teil so nebenbei unter dem Tisch herausgeben, dann fällt es nicht so auf. Ein Zwang zur Straffheit liegt darin, wenn wir nur ein Gesetzblatt und eine Gesetzespublikation haben. Und diesen Zwang zur Straffheit wünschen wir! Wir wollen nicht den Kopf in den Sand stecken! Es soll äußerlich in Erscheinung treten, wenn nicht straff und präzise genug gearbeitet wird, und das Recht soll auch übersichtlich zu finden sein. Wir haben jetzt im Bunde zwei Publikationsorgane, und wenn man die nebensächlicheren Verordnungsblätter für die Tarife berücksichtigt, sogar noch mehr; also für den Bund zwei Publikationsorgane und für jedes Land womöglich noch mehrere! Nun stellen Sie sich einmal den unglücklichen Juristen vor, der als Richter oder Verteidiger oder Verwaltungsbeamter aus irgendeinem Anlaß, zum Beispiel hier im Ministerium, zu irgendeinem Zeitpunkt zusammenstellen muß, was eigentlich rechtens ist. Er muß eine ganze Bibliothek zur Verfügung haben, während er sonst nur in dem Katalog dieses einen Gesetzblatts nachzusehen hat, wo er wenigstens für den Bund findet, was er sucht. Und wenn die Zustände anderswo — man sprach von den südamerikanischen Staaten und von der Gesetzessammlung Frankreichs — bei einem Gesetzsammlungsblatt wenig erfreulich sind, so ist das keine Entschuldigung für uns. Wir können ja darauf achten, daß unsere Gesetzespublikationsorgane straff und ordentlich geführt werden. Jedenfalls droht die Gefahr der Zersplitterung, wenn wir mehrere solche Organe haben.
Wird das Wort weiter gewünscht? Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist. Damit schließe ich die Aussprache der zweiten Lesung.
Sie haben vorhin Ihr Einverständnis mit dem von mir vorgeschlagenen Verfahren der Abstimmung zum Ausdruck gebracht. Ich rufe daher auf: Wer für die Überschrift des Gesetzes — alles in der Fassung der Beschlüsse des 23. Ausschusses Drucksache Nr. 239 — ist, für § 1 —, für § 2 —, den bitte ich, eine Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war zweifellos die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Antrag, hinter § 2 einen § 3 einzufügen. Wünscht das Haus, daß ich diesen Ergänzungsantrag noch einmal verlese? — Das ist nicht der Fall. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, hinter § 2 einen § 3 einzufügen mit der Maßgabe, daß der bisherige § 3 § 4 wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit angenommen.
Wer für die §§ 3, 4, 5 und 6 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. -- Mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, nun sagt die Vorschrift der Geschäftsordnung, daß wir frühestens am zweiten Tage nach der zweiten in die dritte Beratung eintreten können, nämlich nach Festlegung und Verteilung der in der zweiten Beratung gefaßten Beschlüsse. Wir haben insoweit einen Beschluß gefaßt, als wir einen Ergänzungsantrag angenommen haben. Ich darf Ihnen aber im Namen des Ältestenrats empfehlen, daß wir abweichend von dieser Bestimmung der Geschäftsordnung im vorliegenden Falle auch gleich die
dritte Beratung
vornehmen. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Dann kommen wir, falls das Wort nicht mehr gewünscht wird, zur Abstimmung in der dritten Beratung. — Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wer für die soeben in zweiter Beratung angenommene Gesetzesvorlage — Drucksache Nr. 239 — im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen.
Damit haben wir den Punkt 9 der Tagesordnung
erledigt. Wir kommen nunmehr zu Punkt 10: Antrag der Abgeordneten Dr. Middelhauve und Genossen betreffend Steuerfreiheit für
Weihnachtszuwendungen .
Zur Einbringung des Antrags hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Middelhauve.
Meine Damen und Herren! Weihnachtsgratifikationen zu geben ist zu einem guten Brauch in fast allen Betrieben worden. Sie sind zum Teil gestaffelt nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und erreichen dadurch bei langjährigen Mitarbeitern, sowohl Angestellten als auch Arbeitern, eine zum Teil sehr beachtliche Höhe.
In diesem Jahre werden die Weihnachtsoder Neujahrszuwendungen — je nachdem, wie sie von den einzelnen Firmen bezeichnet werden — besonders sehnsüchtig erwartet, und zwar aus zwei Gründen. Zunächst einmal ist der Bedarf an allen Gütern des täglichen Lebens, der Bedarf für Anschaffungen, sei es von Kleidern, sei es Unterwäsche, sei es Hausrat oder was immer es auch sei, derartig aufgestaut und gewachsen, daß er dringend nach Befriedigung verlangt, vor allen Dingen in den Familien der Ostvertriebenen und der total Bombengeschädigten. Weiter werden wir offen zugestehen müssen, daß die Diskrepanz zwischen Preisen und Löhnen und vor allen Dingen den Gehältern, die prozentual seit 1938 nicht im gleichen Maße wie die Löhne gestiegen sind, noch nicht überbrückt ist, daß größere Anschaffungen nur gemacht werden können mit Hilfe solcher außergewöhnlichen Zuwendungen wie etwa Weihnachtsgratifikationen. Daher diese besonders dringende Sehnsucht nach solchen Weihnachtsgratifikationen.
Nun möchten die Empfänger dieser Gratifikation sie sicher ungeschmälert erhalten. Ich kann mich sehr gut in die Lage dessen versetzen, der eine solche Weihnachtsgratifikation erwartet, kann mir seine Empfindungen vorstellen, wenn ihm von dieser Weihnachtszuwendung noch Steuern abgezogen werden, und seien es auch nur wenige Mark. Das ist eine psychologische Frage, an der auch der Steuerfiskus und der Bundesfinanzminister nicht vorübergehen sollten.
Deswegen unser Vorschlag, diese Zuwendungen wenigstens bis zur Höhe eines Monatseinkommens steuerfrei zu lassen. Im Grunde genommen stellen wir damit einen Zustand wieder her, wie er bis 1941 lange Zeit gewesen ist. 1941 wurde diese Freigrenze, die damals noch bei der Höhe eines Monatseinkommens lag, erheblich herabgesetzt, und zwar aus durchaus begreiflichen Gründen: man wollte in einer Zeit zunehmender Warenverknappung, während des Krieges, die Kaufkraft schwächen. Heute aber ist gerade das Umgekehrte nötig, nämlich die Kaufkraft zu stärken und die Kauflust zu heben, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen eben angeführt habe; wir sind heute daran interessiert, die Wirtschaft zu beleben.
Daß die Regelung der letzten Jahre, nur 100 Mark steuerfrei zu lassen, nicht als ausreichend angesehen wird, nicht nur von den Empfängern der Weihnachtsgratifikationen, sondern auch von den veranwortlichen Regierungsstellen, beweist die Tatsache, daß eine Reihe von Ländern sowohl durch ihre Parlamente als auch durch ihre Regierungen die Steuerfreigrenze im vergangenen Jahre heraufgesetzt haben. Bayern zum Beispiel hat im vergangenen Jahre Weihnachtsgratifikationen bis zur Höhe eines Monatseinkommens von den Abgaben zur Sozialversicherung freigestellt. Diese Regelung, die Bayern im Hinblick auf die Sozialversicherungspflicht schon getroffen hat, möchten wir in diesem Jahre für die Verpflichtung zur Zahlung von Lohnsteuern getroffen wissen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Vereinigung der bayerischen Arbeitgeberverbände sich mit einer Eingabe vom 31. Oktober an den Herrn Bundesfinanzminister gewandt hat, Weihnachts- und Neujahrszuwendungen bis zur Höhe eines Monatsverdienstes einkommensteuerfrei zu lassen.
Ich will nun einmal versuchen, kurz die Einwände zu skizzieren, die gegen unseren Antrag erhoben werden könnten, vor allen Dingen seitens des Steuerfiskus, also des Herrn Bundesfinanzministers. Da ist zunächst der Hinweis auf den Steuerausfall möglich. Man kann darauf hinweisen, daß unsere Finanzen keinerlei Steuerausfälle vertragen, weil die Decke, unter der nun der Koloß des Bundes und die einzelnen Länder untergebracht werden müssen, ohnedies zu knapp ist, und daß jedes Loch, daß hineingerissen wird, unerträglich ist, so daß ein solcher Steuerausfall nicht zumutbar wäre. Aber ist der Ausfall tatsächlich so groß, wenn nach unserem Antrag verfahren wird? Fließen nicht die Gelder, die dann, statt als Lohnsteuer abgeführt zu werden, an die Empfänger der Gratifikation gehen, in die Kanäle der Wirtschaft, da sie angesichts des starken Bedarfs ja doch in voller Höhe ausgegeben werden. Fließen sie also auf diesem Wege nicht doch wieder als Steuern zum Steuerfiskus?
Zweitens könnte darauf hingewiesen werden, daß bei der Wirrnis der Steuergesetzgebung und bei der Fülle der Steuerbestimmungen es auch dem erfahrenen Steuerfachmann und Steuerbeamten kaum mehr möglich ist, diese Fülle zu übersehen und eine klare und richtige Anwendung dieser Bestimmungen zu sichern. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Einwand wird nicht ernstlich aufrechterhalten werden können. Wir sollten soviel Vertrauen zu unseren Finanzbeamten haben, daß sie sich mit der von uns getroffenen Veränderung durchaus zurechtfinden werden. Im Gegenteil, wir können darauf hinweisen, daß für das Finanzamt eine Arbeitserleichterung insofern eintritt, als bei den Prüfungen — und es handelt sich ja nur um eine Überprüfung der abzuführenden Beträge, die Beträge werden ja von den Betrieben selbst errechnet — sehr viel weniger steuerpflichtige Beträge zu überprüfen sind, als wenn nach dem bisherigen Modus der steuerfreien Grenze von 100 Mark verfahren wird.
Drittens könnte der Herr Bundesfinanzminister erklären, er habe bereits eine Verordnung erlassen, wonach es auch in diesem Jahr bei der steuerfreien Grenze von 100 Mark verbleiben solle. Aber ich glaube, jeder Empfänger der Gratifikation, ob Arbeiter oder Angestellter, wird dem Herrn Bundesfinanzminister nur dankbar sein, wenn er seine erste Verordung aufhebt und eine bessere an ihre Stelle setzt, eine, die in höherem Maße weihnachtlichen Charakter trägt. Jeder wird dann wohl von einem guten Ding sprechen, das sich bessert, oder — in diesem Falle modifizierend - von einem guten Mann, der sich bessert, und das sollte für den Herrn Bundesfinanzminister, der leider im Augenblick nicht auf der Regierungsbank sitzt, nicht ganz unwesentlich sein.
Um unserem Antrag eine breite Basis in diesem Hause zu sichern und es auch dem Herrn Bundesfinanzminister möglich zu machen, unserem Antrag zuzustimmen, hat sich meine Fraktion, wenn auch nicht ganz leichten Herzens, entschlossen, einen Abänderungsantrag einzubringen, der nicht einen Monatsverdienst als steuerfreie Grenze angesetzt haben will, sondern die steuerfreie Grenze beim Betrage von 300 Mark festgelegt wissen möchte. Die SPD hat im bayerischen Landtag nämlich einen gleichen Antrag eingebracht, wie ich nachträglich erfahren habe, und ihn auch durchgesetzt. Sie kann ihn nur durchgesetzt haben mit Zustimmung der CSU, also der Fraktion, der der Herr Bundesfinanzminister angehört hat. Also ich glaube, wir könnten uns, falls wir den Abänderungsantrag, den ich hiermit einreiche, zur Grundlage unserer Diskussion machen, doch wohl auf dieser Basis einigen.
Der Abänderungsantrag hat folgenden Wortlaut:
In der Schlußzeile des Antrags Drucksache
Nr. 217 werden die Worte „bis zur Höhe
eines Monatseinkommens" geändert in die
Worte „bis zum Betrage von 300 DM".
Ich erlaube mir, dem Herrn Präsidenten diesen Abänderungsantrag zu überreichen, und bitte das Haus, über unseren Antrag durch Abstimmung zu entscheiden, ihn also nicht erst dem Ausschuß zur Prüfung zu überweisen. Das würde angesichts der vorgerückten Zeit zu spät sein und die Durchführbarkeit des Antrags gefährden. Nehmen Sie den Antrag an! Ich glaube, Sie werden Tausenden von Arbeitern und Angestellten eine Weihnachtsfreude machen.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort zur Aussprache über diesen Antrag erteile, möchte ich darauf hinweisen, daß gestern abend im Ausschuß zwischen den Vertretern aller Fraktionen Übereinstimmung über diesen Abänderungsantrag erzielt worden ist, also dahingehend, daß die Fassung lauten soll: „bis zum Betrage von 300 D-Mark". Das darf ich vorausschicken.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Zum Wort hat sich Herr Dr. Fink gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Lage, wie sie sich nach der Währungsreform gestaltet hat, ist ja wohl die, daß ein stetiger, aber naturgemäß nur schrittweiser Aufstieg zu verzeichnen ist. Aber gerade die Steuerlasten, die heute noch auf unserem Volk ruhen, müssen von weiten Kreisen als so drückend empfunden werden, daß jede Erleichterung, die irgendwie und irgendwo gegeben werden kann, wirklich als Erleichterung empfunden werden wird. Wir wissen es, der Staat braucht Mittel, und er muß, um seinen Aufgaben gerecht werden zu können, diese Mittel auf dem Wege von Steuern für sich hereinholen. Aber kann nicht auch hier das Wort gelten: keine Regel ohne Ausnahme? Warum sollte nicht auch der Staat einmal im Jahr eine Ausnahme machen können, wenn es darum geht, einem großen Kreis von Menschen zum bevorstehenden Weihnachtsfest eine Freude zu bereiten? Dabei wollen wir nicht romantisch und nicht sentimental werden, im Gegenteil die Dinge ganz nüchtern und sachlich betrachten.
Es wird oft so getan, als ob die Weihnachtszulage ein besonderes Verdienst der Industrie und Wirtschaft sei. Unser bodenständiges gutes Bauerntum, meine Damen und Herren, hat diese Form einer besonderen Zulage von jeher gekannt
und damit großes soziales Verständnis bewiesen. Dabei sind von diesen Zulagen keinerlei Abzüge einbehalten worden.
Für alle jene, die hier in Betracht kommen, bietet die Weihnachts- und Neujahrszulage wohl die einzige Möglichkeit, einmal im Jahr etwas Besonderes zu verausgaben; denn der normale Arbeitslohn reicht ja gerade für den dringendsten Lebensbedarf aus. Darum möge die Weihnachtszulage so, wie es der vorliegende Antrag bzw. der Abänderungsantrag vorsieht, steuerfrei bleiben. Man soll nicht mit der einen Hand geben und mit der anderen wieder etwas nehmen! Das käme mir so vor, wie wenn man zum Beispiel Kindern an Weihnachten ein Spielzeug schenkt und es ihnen nachher wieder wegsperrt. Meine Damen und Herren, sollte man nicht versuchen, dem Wort vom „Vater Staat" — dieses Wort ist gestern schon einmal in diesem Hohen Hause gefallen — einen neuen Inhalt zu geben? Nicht wie der Vater, der seinen. Sohn nur dann mit der neuen Eisenbahn spielen läßt, wenn er selber mitspielen kann, sondern, um bei dem Bilde zu bleiben: Lasse der Vater Staat ruhig unser Volk einmal allein „mit seiner Eisenbahn spielen",
das heißt: möge er in diesem Fall auf eine Steuereinhebung verzichten. Das Geld, meine Damen und Herren, das hier ausgegeben wird, kommt ja auch wieder in den allgemeinen Geldumlauf und damit der Wirtschaft zugute.
Dann noch etwas. Manche meinen vielleicht, es handle sich hier um Imponderabilien. Aber auch diese Dinge haben ihren tieferen Sinn und haben ihr bestimmtes und nicht zu geringes Gewicht! Wir werben heute in unserer jungen Demokratie um das Vertrauen bei unserem Volk. Da müssen
wir eine Vertrauensbasis schaffen, sei es auch nur einmal aus kleinen Anfängen heraus. Wir kennen ja alle das Wort: „Wohltun trägt Zinsen". Das mag und muß auch für den Staat gelten. Meine Damen und Herren, der Staat leidet Not, und das Volk leidet Not. Helfen wir hier etwas dem Volk, dann beginnen wir, Vertrauen zu schaffen, und dienen damit nicht nur unserem Volk, sondern auch unserem Staat und unserer jungen Demokratie. Denn dieses Vertrauen ist in der praktischen Auswirkung vielleicht mehr wert als eine — auf das Ganze des Staatshaushalts gesehen — relativ nicht allzu hohe Steuereinahme aus den Weihnachts- und Neujahrsgratifikationen. Wir unterstützen deshalb den vorliegenden Antrag bzw. den Abänderungsantrag und empfehlen ihn dem Hohen Haus zur Annahme.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen den Standpunkt der WAV zu dem vorliegenden Antrag bzw. Abänderungsantrag zur Kenntnis bringen.
Wir unterstützen wärmstens den vorliegenden Antrag aus sozialen Gründen, aus wirtschaftlichen Gründen, aus menschlichen Gründen. Es ist gar nicht nötig, daß man zur Begründung des Antrags immer wieder lange Ausführungen macht.
Wir erschweren damit nur die Arbeit des Parlaments. Es muß endlich einmal möglich sein, daß die Fraktionen in aller Kürze ihren Standpunkt dafür oder dagegen zur Kenntnis bringen. Man muß mit fünf Sätzen sagen können, was man will. Dieser Antrag muß von jedem, dem das Wohl unserer Mitbürger am Herzen liegt, angenommen werden, und deswegen werden wir ihn unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertins.
Meine Damen und Herren! Nach den sehr gefühlvollen Ausführungen besonders des zweiten Herrn Redners vor mir kann ich es mir ersparen, mehr als zwei Sätze zu sagen. Unsere Fraktion wird den abgeänderten Antrag annehmen.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 217 in Verbindung mit dem Abänderungsantrag dahingehend, daß es auf der letzten Zeile des Antrags auf Drucksache Nr. 217 statt „bis zur Höhe eines Monatseinkommens" heißen soll: „bis zum Betrage von 300 DM". Wer für die Drucksache Nr. 217 in der von mir soeben verlesenen abgeänderten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit kommen wir zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend einmalige Winterbeihilfe für Erwerbslose .
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harig.
Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt die 'Drucksache Nr. 209. Sie behandelt die einmalige Winterbeihilfe für alle Empfänger der Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Es ist unbestritten, und wir können an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß der Reallohn des Arbeiters sich so um 60 Prozent herum bewegt, und — Sie werden lachen - ich berufe mich hier auf einen Zeugen aus den Fraktionen der Regierungskoalition, der gerade vor einigen Minuten hier festgestellt hat, daß die Diskrepanz zwischen Löhnen und Preisen ungeheuer ist. Ich meine den Herrn Kollegen Dr. Middelhauve. Es ist also eine Tatsache, daß bei diesem Verdienst der arbeitenden Bevölkerung Rückstellungen oder Rücklagen nicht gemacht werden können. Also derjenige, der arbeitslos wird, wird von Anfang an vor einem Nichts stehen, und diejenigen, die schon länger arbeitslos sind, werden erst recht tief in der Not stecken.
Und nun zu der Geschichte selbst. Die Arbeitslosenversicherung schreibt zum Beispiel vor, daß derjenige, der, sagen wir, in den letzten 13 Wochen 48 Mark pro Woche verdient hat, für seine aus Mann, Frau und zwei Kindern, also aus vier Personen bestehende Familie 27 DM pro Woche an Unterstützung bekommt. Das sind dann im Monat 121 DM. Meine Damen und Herren, 121 DM Einkommen für eine vierköpfige Familie! Hiervon müssen noch die sogenannten fixen Kosten in Abzug gebracht werden, davon müssen die Mieten, Kohle, Licht, Schuhreparaturen usw. usw. noch bezahlt werden. Ein kleiner Überblick über diese sogenannten fixen Ausgaben oder Kosten ergibt, daß wir von den 121 DM rund 55 DM in Abzug bringen können. Es verbleiben somit dem Arbeitslosen noch 66 DM für den ganzen Monat, wovon er den Unterhalt für eine vierköpfige Familie bestreiten soll, das sind also ungefähr 14 DM pro Woche. Nun sagen Sie selbst: Kann davon eine Familie mit vier Köpfen bestehen? Kann sie davon ernährt werden?
Vor gar nicht langer Zeit hat Frau Dr. Marga Rolfin vom Sozialforschungsinstitut in Münster festgestellt, daß allein 140 DM für die Lebensweise eines Arbeiters mit einer Familie von vier Köpfen pro Woche notwendig sind. Sehen Sie: Weil wir nicht nur eine Diskrepanz zwischen Preisen und Löhnen feststellen, sondern auch eine Diskrepanz zwischen den Feststellungen, die von Instituten gemacht werden, zu denen Sie ja auch Vertrauen haben, und der wahren Tatsache, also dem wahren Einkommen der Arbeitslosen, deshalb können Sie sich dem Antrag nicht widersetzen. Er besagt, daß man zumindest jetzt zum Anbruch des Winters dem Arbeitslosen irgendeine Unterstützung zuteil werden läßt, die ihm gestattet, entweder Kartoffeln oder Kohlen einzukellern oder für seine Kinder ein Paar Schuhe oder warme Unterkleider oder sonst ein Wäschestück anzuschaffen.
Schon in der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler gesagt: Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein. Meine Damen und Herren, ich glaube, hier ist der Regierung eine Gelegenheit geboten, dieses Versprechen zu erfüllen. Es muß aber auch damit Schluß gemacht werden — und darauf möchte ich ganz besonders dringlich hinweisen —, daß man aus dem Arbeitsstock Beträge zu anderen Zwecken als denen entnimmt, für die sie von den Arbeitern selber zusammengekratzt worden sind. So sind noch in der jüngsten Vergangenheit in der französischen Zone aus dem Arbeitsstock Gelder zur Deckung von Besatzungskosten entnommen worden.
Ich denke, daß das ein Mißbrauch ist, den wir nicht dulden dürfen. Die Beiträge, die von den Arbeitern an eine Versicherung abgeführt werden, gehören nach der Meinung meiner Fraktion nur diesen Arbeitern, denn sie haben sich ja gegen irgend etwas versichert. Man sollte die Finger von Geldern lassen, die nur den Versicherungsträgern gehören.
Wir sind davon überzeugt, daß die Not der Arbeitslosen auch durch diesen Antrag, falls er angenommen werden sollte nicht beseitigt wird Wir
sind davon überzeugt, daß die Not der Arbeitslosen erst dann beseitigt wird, wenn die Arbeitslosigkeit selbst beseitigt sein wird. Wir sind der
Überzeugung, daß die Arbeitslosigkeit nur beseitigt werden kann, wenn wir dem Problem der
Vollbeschäftigung nähertreten. Erst wenn dieses
Problem gelöst ist, werden wir uns mit solchen
Anträgen nicht mehr zu beschäftigen brauchen.
Wir können auch nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß es auch Länder gibt — oder schon
Länder gibt! —, in denen dieses Problem gelöst ist.
- Bitte schön! Wenn das gelöst ist, dann brauchen wir von der kommunistischen Fraktion derartige Anträge nicht mehr zu stellen. Sehen Sie, es gibt eben Leute, die in der Frage der Akkumulation von Kapital sehr firm sind,
aber in der Frage der Lösung des Problems der Vollbeschäftigung haben sie bislang immer noch versagt.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, daß ich ganz kurz auf folgendes hinweise. Ich denke, Sie sind mir nicht böse, wenn ich das erkläre.
Bisher noch nicht!
Sie dürfen nicht glauben, daß wir nur an die Arbeitslosen denken, die noch aus dem Arbeitsstock ihre Unterstützung erhalten. Für alle, die auf die öffentliche Fürsorge angewiesen sind, haben wir, da der Winter und Weihnachten vor der Tür stehen, in den einzelnen kommunalen und Länderparlamenten ähnliche Anträge gestellt.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
— Ich muß solche Ausdrücke zurückweisen, Herr Abgeordneter Rische!
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Sabel.
Ich beantrage namens meiner Fraktion, diesen Antrag ohne Aussprache an den
Ausschuß für Arbeit und an den Haushaltsausschuß überweisen zu wollen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag zur Geschäftsordnung gehört, über den ich zunächst abstimmen lasse.
— Ich erteile das Wort lediglich zu dem soeben gestellten geschäftsordnungsmäßigen Antrag, wenn jemand dagegen zu sprechen wünscht. — Bitte, Herr Abgeordneter Nuding!
Meine Damen und Herren! Unser Antrag ist dazu bestimmt, den Arbeitslosen noch ein kleines Weihnachtsgeschenk zu machen. Wenn Sie diesen Antrag jetzt in einem Ausschuß beerdigen wollen, so beweisen Sie damit, daß es sich bei der Forderung der Regierungsparteien auf Steuerfreiheit der Weihnachtsgratifikation wirklich nur um einen Agitationsantrag gehandelt hat. — Wenn Sie schon zustimmen, daß ein Teil Weihnachstgratifikationen in erhöhtem Maße bekommt, dann möchte ich Sie bitten, über unsern Antrag zugunsten der Ärmsten der Armen jetzt schon abzustimmen und ihn nicht an einen Ausschuß zu verweisen.
Ich schließe die Geschäftsordnungsaussprache und lasse zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Sabel abstimmen.
— Verzeihen Sie, wenn ein Antrag zur Geschäftsordnung in dem Sinne gestellt wird, daß ein Antrag ohne Debatte unmittelbar an den Ausschuß überwiesen wird, so wird, nachdem ein Gegenredner dazu das Wort gehabt hat, zunächst über diesen Antrag entschieden.
Ich lasse also nunmehr über den Antrag des Herrn Abgeordneten Sabel abstimmen, daß dieser Antrag ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse, daß heißt an den federführenden Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Arbeit, überwiesen wird. Wer für diesen Antrag Sabel ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Zweifellos mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zu Punkt 12 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der BP betreffend
Stromlieferung .
Wer von den Antragstellern wünscht das Wort?
— Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schwere Sorgen um die Gefährdung des bayerischen Wirtschaftslebens durch die allwinterlich mit äußerster Schärfe auftretende Krise in der Stromversorgung Bayerns haben uns veranlaßt, diesen Antrag zu stellen. Ich möchte Ihnen kurz einige technische Erläuterungen zur Darstellung des Sachverhalts geben.
Seit 1945 hat Bayern durch Ausfall vertraglicher Lieferungen aus Mitteldeutschland und durch Demontagen, zum Beispiel von Gendorf mit 60 000 Kilowatt, sowie durch Überlassung an Österreich einen Gesamtverlust an elektrischer Energie von 320 000 Kilowatt, daß heißt von 40 Prozent der gesamten zur Verfügung stehenden
Leistung erlitten, während im gleichen Zeitraum die Bevölkerung Bayerns um 30 Prozent zugenommen hat. Im Jahre 1944 stand Bayern eine Höchstleistung von 1230 Megawatt zur Verfügung, im September 1949, also zu einer günstigen Jahreszeit, nur noch 60 Prozent davon, und davon sind nun wieder 65 Prozent Wasserkraftleistung, nur 25 Prozent Dampfkraftleistung und 10 Prozent Einfuhr gewesen.
Weit mehr als die Hälfte der bayerischen Stromerzeugung stammt also aus Wasserkräften. Die bayerischen Wasserkraftwerke werden in der Hauptsache aus Flüssen gespeist, die ihr Einzugsgebiet im Hochgebirge haben, und daher ist im Winter mit einer außerordentlich geringen Wasserführung zu rechnen. Das bedeutet aber, daß von den 65 Prozent, die aus den Wasserkräften erzeugt werden, im Winter ein ganz bedeutender Teil wegfällt. Die Stromerzeugung in Bayern geht im Winter so einschneidend zurück, daß sich hieraus eine Krise entwickeln muß, wenn keine Abhilfemaßnahmen getroffen werden. Bayern hat das an sich von Anfang an erkannt, und es war ein weiterer Ausbau von Wasserkraftspeicherwerken und Steinkohlenkraftwerken geplant. Damit wäre der winterliche Ausfall zu decken gewesen.
An diesem Punkt setzt nun die Tragödie ein. Systematisch ist beides, der Ausbau von Wasserkraftspeicherwerken wie von Steinkohlenkraftwerken, von zentralen Stellen des Reichs und ihren Nachfolgern verhindert worden.
Selbst in jüngster Zeit noch hat die Verwaltung für Wirtschaft den Bau des von Bayern geforderten Steinkohlenkraftwerks abgelehnt. Bei Wasserkraftwerken wurde von außerbayerischen Stellen die Ausrede gebraucht, daß Dampfkraftwerke schneller zu bauen seien, und bei Steinkohlenkraftwerken entgegnete man wieder, es sei einfacher, den Strom als die Kohle zu transportieren. Beides sind Einwände, deren Fadenscheinigkeit jeder Techniker durchschaut.
Diese Behandlung Bayerns ist ein Musterbeispiel dafür, wie die zentralistische Bürokratie die gesunde Initiative der Länder unterbindet. Nachdem man verhindert hat, daß Bayern aus eigener Kraft den winterlichen Stromausfall deckt, ist es auf Einfuhr angewiesen. Um sich nach dem schon erwähnten Ausfall an mitteldeutschen Lieferungen und sonst gemachten recht üblen Erfahrungen zu sichern, hat Bayern dem Zentrallastverteilungsgesetz vom 21. 11. 1947 und dem Energienotgesetz vom 10. 6. 1949 zugestimmt, die beide eine gleichmäßige und gerechte Verteilung der elektrischen Energie auf die Länder unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Eigenart vorsehen. Die Erwartungen, welche Bayern an eine loyale Durchführung des Gesetzes knüpfen konnte, haben sich nicht erfüllt. Oder war man vielleicht auch hier wieder der Ansicht, daß die wirtschaftliche Eigenart Bayerns lediglich darin besteht, daß es zum Schröpfen da ist?
Es scheinen allerdings noch tieferliegende Gründe für dieses eigenartige Gebaren der Zentralstellen in Fragen der bayerischen Energiewirtschaft vorhanden zu sein. Warum wurde der Aus-und Aufbau der weiteren Werke in Bayern, die doch eine gewisse Unabhängigkeit Bayerns in der Stromversorgung bewirkt hätten, immer wieder systematisch verhindert? Der Schlüssel ist wohl
darin zu finden: Wer die Energieversorgung eines Landes in der Hand hat, kontrolliert damit auch dessen Wirtschaft. Bayern ist dasjenige deutsche Land, dessen Wirtschaft in Zeiten der Stromkrise am rücksichtlosesten gedrosselt wird. Ich sage mit voller Absicht: gedrosselt; denn jeder Winter seit 1945 bedeutete wegen der einseitigen Maßnahmen eine Strangulierung der bayerischen Wirtschaft.
Zum Beweis dafür, daß diese Einschränkungen tatsächlich in einseitiger Weise vorgenommen werden, darf ich zwei Zahlen anführen. Der durchschnittliche Stromverbrauch in der Bizone beträgt pro Kopf 640 Kilowattstunden, in Bayern nur 500 Kilowattstunden. Die Folgen der alljährlich im Winter über die bayerische Wirtschaft verhängten elektrischen Hungerkur sind kaum zu übersehen und in Zahlen kaum zu fassen. Produktionsausfall und Arbeitslosigkeit sind die unmittelbaren Folgeerscheinungen. Die Abwanderung ganzer Betriebe, der Abbruch langjähriger Geschäftsbeziehungen wegen unzuverlässiger Lieferungen sind weitere Folgen. Bis in die kleinsten Handwerks- und Landwirtschaftsbetriebe hinein ist die Rentabilität aufs äußerste ggefährdet Durch die einseitig Bayern benachteiligenden Kürzungen der Stromeinfuhr wird die bayerische Wirtschaft in ihrer Wettbewerbsfähigkeit in unerhörtem Maße geschädigt, ja ganz von Märkten ausgeschlossen. Ich glaube, das ist in gewissen Kreisen eine durchaus erwünschte Erscheinung und ein Grund, den systematischen Ausbau der bayerischen Energiewirtschaft zu sabotieren.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie fragen: Sie meinen doch zweifellos damit Kreise außerhalb des Hauses?
Selbstverständlich!
Danke schön!
Vor kurzem wurde die Energielieferung nach Bayern zugunsten von WürttembergBaden von 180 000 auf 130 000 Kilowatt gekürzt.
— Das war der Zentrallastverteiler.
Wir gönnen Württemberg-Baden durchaus Licht und Kraft in jedem Ausmaß; aber es ist nicht recht und entspricht nicht dem Wortlaut des EnergieNotgesetzes, die 50 000 Kilowatt von dem Kontingent wegzunehmen, das Bayern zusteht.
Die Folge dieser einseitigen Regelung ist, daß Bayern zu zweitägigen Stromabschaltungen und zu einer Kürzung der Stromzufuhr für die Industrie um 40 Prozent gezwungen ist, während Württemberg-Baden bis heute überhaupt keine Abschaltung vorzunehmen braucht und den Industriestrom nur um den unbedeutenden Teil von 10 Prozent kürzen muß. Dabei muß aber Bayern ohne Rücksicht auf seine angespannte Lage, auf den nichtgedeckten Eigenbedarf, weitere 30 000 Kilowatt nach Österreich und 10 000 Kilowatt an OMGUS liefern.
In nächster Woche soll eine Leitung vom Westen nach Bayern in Betrieb genommen werden. Damit kann aus dem Ruhrgebiet, wo die elektrische Energie ja zur Verfügung steht, weitere elektrische
Energie nach Bayern transportiert werden. Die Ausrede, daß der Stromtransport Schwierigkeiten bereite, entbehrt von diesem Zeitpunkt an jeder Grundlage. Bayern erhebt den Anspruch, daß sofort die einseitig Bayern diskriminierenden Kürzungsmaßnahmen des Zentrallastverteilers rückgängig gemacht werden. In letzter Minute kann damit die Gefahr einer neuen außerordentlich großen Schädigung der bayerischen Wirtschaft, die bereits die gesamte bayerische Bevölkerung in größte Bestürzung versetzt hat, verhindert werden.
Die Fraktion der Bayernpartei bittet daher das Hohe Haus, dem Antrag in der vorliegenden Form zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Ehe ich die Aussprache eröffne, darf ich mir doch noch einmal in aller Zurückhaltung erlauben, die Bitte an das Haus zu richten, gemäß der Vorschrift der Geschäftsordnung nach Möglichkeit ohne Manuskript zu sprechen. Wir haben diese Frage wiederholt im Ältestenrat erörtert und stimmten insoweit darin überein.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache über den Antrag. Als erster Redner hat das Wort Herr Abgeordneter Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Ich will mich, dem Wunsche des Herrn Präsidenten folgend, sehr kurz fassen. Wir stimmen dem Antrag der Bayernpartei zu. Wir stimmen auch durchweg den Ausführungen des Vertreters der Bayernpartei zu, der hier gesprochen hat, teilen allerdings nicht das von ihm ausgedrückte Mißtrauen.
Wir möchten darauf hinweisen, daß die Verschlechterung der Lage Bayerns nicht zuletzt auch ihren Grund in der Abschaltung aller der Liefermöglichkeiten hat, die früher in der Ostzone gegeben waren. Ich erinnere zum Beispiel an die Saale-Talsperre.
Wenn man das Problem kurz umreißen will, ist es nötig, darauf hinzuweisen, daß der Stromverbrauch in den letzten Jahren in einer außerordentlich erfreulichen Weise gestiegen ist, daß aber der Neubau von Werken leider nicht im gleichen Maße hat folgen können. Man muß auch ein wenig die günstigen Momente hervorheben.
Als wir — ich glaube, es war im Frühling dieses Jahres — im Wirtschaftsrat dem Energie-Notgesetz zustimmten, geschah es mit großem Widerwillen, weil es ein Rudiment der von uns ja abgelehnten Zwangswirtschaft war, und da meinte unser so außerordentlich optimistischer — wenn ich so sagen darf — Bundeswirtschaftsminister, es würde wahrscheinlich nie mehr in Kraft gesetzt werden müssen. Er hat aber auf Petrus auch nur einen beschränkten Einfluß, und infolgedessen ist es nun doch dazu gekommen. Ich mache darauf aufmerksam, daß das Problem nicht nur in Bayern, sondern zum Beispiel auch in Südbaden vorhanden ist und daß in Hessen vor kurzem der Stromnotstand angedroht werden mußte.
Ich möchte hoffen, daß bei der Nachprüfung, zu der der Hauptlastverteiler sich ja nun veranlaßt sehen muß, etwas Gutes herauskommt. Auf der anderen Seite darf aber nicht verkannt werden, daß die Kapazitäten der Firmen, die neue Kraftwerke, neue Staustufen usw. bauen müssen — ich gehöre in meinem andern Beruf einer solchen Firma an —, auch nur beschränkt sind.
Meine Damen und Herren! Wir sind dafür, dem Antrag der Bayernpartei, der hier sachlich begründet worden ist und dessen Argumenten wir uns anschließen, zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Stromschwierigkeiten in Bayern sind in der Tat außerordentlich groß. Mit Rücksicht auf die noch große Tagesordnung und auf Ihre Zeit beschränke ich mich auf rein technische Angaben und bitte Sie, mir meine dürren technischen Angaben zu verzeihen.
Ich stimme mit dem Vertreter der Bayernpartei nicht ganz darin überein, daß die Drosselung der Stromzuführung nach Bayern eine politische Frage sein könnte. Ich meine auch, daß die Sündenbockpolitik, von der man in Frankfurt häufig hörte, nicht nach Bonn verschleppt werden sollte. Ich glaube, man kann die Gründe erstens in dem Ausfall der Stromversorgung aus dem mitteldeutschen Braunkohlengebiet infolge der Demontagen der dortigen Betriebe suchen, die einen Stromausfall für Bayern von 200 000 Kilowatt darstellen, zweitens in der Demontage bayerischer Industriekraftwerke, die einen weiteren Stromausfall von 110 000 Kilowatt darstellt. Drittens sind wir auf Weisung der Besatzungsmacht verpflichtet, aus den Inn-Grenzkraftwerken 30 000 Kilowatt und auf dem Vertragswege mit OMGUS weitere 10 000 Kilowatt nach Österreich zu liefern. Die genannten Umstände ergeben für Bayern einen Stromausfall von zusammen 350 000 Kilowatt.
Auf der anderen Seite ist der Stromverbrauch in Bayern gewaltig gestiegen, allein schon durch die Vermehrung der Bevölkerung in Bayern. Der Stromverbrauch in Bayern beträgt zur Zeit 3,75 Milliarden Kilowattstunden gegenüber 2,4 Milliarden Kilowattstunden im Jahre 1937. Das ist also ein Mehrstromverbrauch von 50 Prozent.
Diese besonders ungünstigen Momente sind der Grund dafür, daß Bayern trotz namhafter Stromlieferungen aus dem Westen — und das soll hier anerkennend hervorgehoben werden — nicht in der Lage ist, den notwendigen Strombedarf zu decken. Aus außerbayerischen Dampfkraftwerken erhielten wir bis zum 21. 11. 1949 30- bis 40 000 Kilowatt, und zwar aus Hamburg über die Fernleitung der russischen Zone. Eine Verstärkung der Stromlieferungen auf dieser Leitung ist aus technischen Gründen nicht möglich, es sei denn, daß die Länder Hessen, Württemberg und Baden, die als Speisungsnetzträger für Bayern in Frage kommen, mit der gleichen Stromeinsparung einverstanden sind wie Bayern. Diese Einsparungsmaßnahmen können aller Vorausicht nach dank der zielstrebigen Arbeit der bayerischen Staatsregierung, die neue Kraftwerke mit einer Kapazität von 170 000 Kilowatt im Bau hat, in absehbarer Zeit wesentlich verkürzt werden, zumal die neue Ost-West-Leitung, eine 200 000-Kilowatt-Leitung über Nürnberg — Aschaffenburg — Frankfurt, in Betrieb genommen werden soll. In Bayern sind Kraftwerke, Dampfkraftwerke und hauptsächlich Wasserkraftwerke, mit 170 000 Kilowatt im Bau, die in den nächsten Jahren fertig werden. Es geht also darum, daß für diese Überbrückungszeit der Notstand in Bayern behoben wird. Es ist notwendig, daß die angrenzenden Länder Hessen, Württemberg und Baden mit Stromeinsparungen einverstanden sind. Das ist die einzig möglich Hilfe, die wir dem Hause vorschlagen können. Diese Hilfe deckt sich mit dem Antrag der Bayernpartei.
Daher bitten wir, diesen Antrag zu unterstützen. Ich bitte besonders die Abgeordneten der Länder Württemberg, Baden und Hessen, für die außerordentlich katastrophale Lage Bayerns Verständnis zu haben. Es kann unter gar keinen Umständen so weit kommen, daß dadurch eine weitgehende wirtschaftliche Schädigung der Industrie Bayerns herbeigeführt wird, daß nicht nur die Industrie, sondern auch unmittelbar im Zusammenhang damit die Arbeiterschaft dieser Industriebetriebe in Mitleidenschaft gezogen wird. Weiterhin ist der bayerischen Struktur entsprechend der gesamte Mittelstand, hauptsächlich die handwerklichen Betriebe, durch die Stromabschaltung weitestgehend betroffen.
Meine politischen Freunde und ich bitten Sie deshalb, den Antrag der Bayernpartei Drucksache Nr. 226 anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wönner.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat zu dem gleichen Thema eine Anfrage an die Regierung gerichtet, von der wir uns versprechen, daß sie die Folgewirkung haben wird, zu einem Teil wenigstens die derzeitige Stromkrise in Bayern einzuschränken; denn behoben kann sie im Augenblick sicherlich nicht werden. Es ist schon mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß sie ursächlich bedingt ist durch politisch-technische Kriegsfolgen, dadurch, daß die 200 Megawatt aus Mitteldeutschland nicht mehr nach Bayern gebracht werden können, daß in Bayern selber einige Werke demontiert worden sind und daß wir dazu verpflichtet worden sind, 60 000 Kilowatt laufend nach Österreich zu liefern.
Über die Stromversorgung aus Wasserkraftwerken braucht man in diesem Kreise wohl kaum viel zu sagen. Die bayerischen Ströme haben infolge des ungeheuer trockenen Herbstes, den wir gehabt haben, heuer noch weniger Wasser, als sie sonst zu haben pflegen. Daraus resultiert die besondere Schärfe der Situation. Es ist nicht nötig, auf die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Umstände besonders hinzuweisen. Die damit verbundene Kurzarbeit und der Arbeitszeitausfall bedingen naturnotwendig eine Produktionsminderung. Aber das ist es nicht allein, was uns bewegt, sondern uns bewegen selbstverständlich auch die sozialen Wirkungen, die damit in Zusammenhang stehen. Die Verlagerungen von Arbeitszeit in die Nachtzeit können nur zu einem sehr, sehr spärlichen Teil vorgenommen werden. Denn würden sie in großem Umfang geschehen, würden sie praktisch bedeutungslos bleiben, weil ja die Wasserspeicherung durch die Nacht nicht mehr durchgeführt werden könnte. Das Ausweichen auf den Samstag und Sonntag ist eine zusätzliche Belastung für einen großen Teil der davon betroffenen Arbeitnehmerschaft, was uns ebenfalls dazu bewegen muß, zu versuchen, recht bald Abhilfe zu schaffen.
Es ist mit Dringlichkeit bereits darauf hingewiesen worden, daß akute augenblickliche Hilfe nur dann gebracht werden kann, wenn die naheliegenden Länder Hessen, Baden und Württemberg bereit wären, einen Teil der ihnen über das bayerische Maß hinauszugehenden Energiemenge dazu zur Verfügung zu stellen. Auch Südbaden leidet
ja in diesem Punkt unter denselben Schwierigkeiten wie Bayern, weil es auch vornehmlich Wasserstrom zu erzeugen hat. Aber trotzdem sollte versucht werden, einen billigen Ausgleich zu finden.
Damit ist das Problem aber grundsätzlich nicht gelöst. Das Problem kann grundsätzlich nur dann gelöst werden, wenn es uns gelingt — und daher die Anfrage an den Herrn Wirtschaftsminister —, die Energieversorgung nach Bayern aus dem Ruhrgebiet, aus dem Kohlengebiet her auf einer neuen Grundlage für die Dauer sicherzustellen. Daß die bayerische Staatsregierung bemüht sein wird, die in Angriff genommenen Kraftwerke fertigzustellen, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber das dauert viel zu lange; denn wir haben ja heuer bereits den dritten Winter, in dem diese Stromkrise einen beachtlichen Einbruch in dem bayerischen Wirtschaftsgefüge zur Folge gehabt hat.
Wir bitten daher, daß die Bundesregierung recht bald diesen Dingen ihre Aufmerksamkeit zuwendet und diejenigen Erleichterungen schafft. die die bayerische Wirtschaft nötig hat.
Meine Damen und Herren! Wird das Wort weiter gewünscht? — Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist, und schließe die Aussprache über den Antrag Drucksache Nr. 226. Es ist gestern abend im Ältestenrat Übereinstimmung dahingehend festgestellt worden, diesen Antrag dem zuständigen Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. — Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung für Militärpensionäre und deren Hinterbliebene .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Arnholz erbeten.
Meine Damen und Herren! Zu den Ziffern 1 und 2 der Drucksache Nr. 216 ist mir mitgeteilt worden, daß im Bundesinnenministerium Gesetzentwürfe in Vorbereitung sind. Der Herr Bundesinnenminister selbst hat mir das auf meine Rückfrage hin bestätigt. Das Bundesinnenministerium legt den größten Wert darauf, uns diese Gesetzentwürfe mit größter Beschleunigung vorzulegen.
Ich beantrage daher, von einer Behandlung der Ziffern 1 und 2 heute abzusehen und die Berichterstattung und Aussprache bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, zu dem die Entwürfe eingebracht sind.
Bezüglich der Ziffer 3 wäre wegen der finanziellen Seite eine Beratung im Haushaltsausschuß erforderlich. Im Ausschuß für Beamtenrecht ist über diese Dinge bereits gesprochen worden. Der Ausschuß hatte aber nicht die Möglichkeit, von sich aus die Überleitung dieser Angelegenheit vorzunehmen. Ich beantrage daher, daß die Vollversammlung die Beratung der Ziffer 3 dem Haushaltsausschuß überweist.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Arnholz zur Geschäftsordnung gehört. Der Antrag geht dahin, Ziffer 1 und 2 der Drucksache Nr. 216 heute von der Tagesordnung abzusetzen und Ziffer 3 dem Haushaltsausschuß zur weiteren Verhandlung zu überweisen. Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht?
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir scheint, daß die Diskussion über die Ziffern 1 und 2 keine lange Zeit in Anspruch nehmen wird, da im Hause Einmütigkeit über die Wichtigkeit dieser Gesetzesvorschläge besteht. Die Tatsache, daß im Innenministerium entsprechende Gesetzentwürfe in Vorbereitung sind, schließt nicht aus, daß das Haus sein Interesse an der beschleunigten Regelung kundgibt. Indem wir das tun
— und ich glaube, es .besteht auf allen Seiten des Hauses darüber Einmütigkeit —, leihen wir dem
Innenministerium nur eine Unterstützung, wenn es wirklich den Wunsch hat, die Gesetze von sich aus mit der erforderlichen Beschleunigung vorzubereiten.
Meine Damen und Herren! Es haben jetzt zwei Herren zu dem Geschäftsordnungsantrag gesprochen, der eine dafür, der eine dagegen. Ich schließe die Aussprache darüber und lasse über den Antrag des Herrn Abgeordneten Arnholz abstimmen, Ziffer 1 und 2 zurückzustellen und Ziffer 3 dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das scheint mir die Mehrheit zu sein.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist zweifelsfrei mit Mehrh it angenommen. Damit wäre also Punkt 13 vol der Tagesordnung abgesetzt und bis auf weiteres vertagt.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung.
— Verzeihung, Herr Abgeordneter Dr. Etzel, ein Ergänzungsantrag ist insofern nicht möglich, als die Angelegenheit von der Tagesordnung für heute abgesetzt ist.
Wir kommen also zu Punkt 14:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Fraktion des Zentrums und über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Wartegeld und Pensionen der ostvertriebenen Beamten ; Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kather.
— Bitte, Herr Abgeordneter Euler!
Ich möchte vorschlagen, diesen Antrag noch einmal an den Rechtsausschuß zu verweisen. Im Rechtsausschuß ist über einen wesentlichen Punkt noch nicht gesprochen worden, nämlich darüber, ob nicht der Artikel 131 des Grundgesetzes hinsichtlich der Regelung der Einstellungsverhältnisse und Pensionen für den Personenkreis, der im Artikel 119 genannt ist, eine lex specia-
lis darstellt. Zu diesem Personenkreis gehören auch die heimatvertriebenen Beamten und Ruhegehaltsanwärter. Der Artikel 119, der sich allgemein auf Vertriebenenfragen bezieht und der Regierung das Recht gibt, Rechtsverordnungen zu erlassen, muß meines Erachtens hinter der lex specialis des Artikel 131 zurücktreten. Aus diesem Grunde beantrage ich, den Antrag an den Rechtsausschuß zu verweisen.
Wird zu diesem geschäftsordnungsmäßigen Antrag noch das Wort gewünscht? — Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Kather.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag des Herrn Abgeordneten Euler abzulehnen. Es handelt sich um Anträge, die aus der ersten Zeit des Bundestags, vom September dieses Jahres stammen, also schon seit zwei Monaten Gegenstand von Ausschußberatungen gewesen sind. Es steht außer Zweifel und wird auch vom Herrn Abgeordneten Euler nicht bestritten werden, daß es sich um eine Maßnahme handelt, die sehr dringend ist und auf die Hunderttausende von Vertriebenen warten.
Die Frage, ob die Artikel 119 und 131 im Widerspruch zueinander stehen und ob der eine den andern ausschließt, ist im Ausschuß, wie mein Bericht ergeben wird, sehr eingehend geprüft worden. Der Ausschuß ist, und zwar wohl einmütig, zu dem Ergebnis gekommen, daß Artikel 131 dem nicht entgegensteht. Der Beschluß ist, wie ich hier sagen kann, mit 24 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen 1 Stimme zustande gekommen. Es besteht kein sachlicher Grund, heute diesen Bericht zu vertagen.
Ich schließe die Aussprache über diesen Geschäftsordnungsantrag.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Euler zustimmen wollen, wonach der Punkt 14 der Tagesordnung heute abgesetzt und noch einmal zwecks Prüfung der Rechtsfragen an den Ausschuß zurückverwiesen werden soll, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das
erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.
— Wenn das Ergebnis der Abstimmung angezweifelt wird, müssen wir sie wiederholen und auszählen.
— Dann mache ich Sie auf die Folgen aufmerksam.
Nachdem die Abstimmung angezweifelt ist, wiederhole ich sie. Diesem Antrag muß ich Folge leisten. Wir wiederholen also die Abstimmung.
— Darf ich mir die Interpretation dieses Kommentars ersparen.
— Zur Geschäftsordnung — —
— Es ist ganz richtig: Wir sind in der Abstimmung.
Wer für den Antrag Euler ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich bitte den Herrn Schriftführer, links auszuzählen, und die Frau Schriftführerin, rechts auszuzählen. — Ich bitte nun um die Gegenprobe. Ich bitte um Auszählung seitens der Schriftführer.
Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen folgende Mitteilung machen. Für den Antrag sind 84 Stimmen abgegeben worden, gegen den Antrag 106. Das sind im ganzen 190 Stimmen. Ich stelle die Beschlußunfähigkeit des Hauses fest und damit die Ungültigkeit dieser Abstimmung.
Nach § 100 der Geschäftsordnung hebe ich die Sitzung auf und berufe eine neue Sitzung auf 17 Uhr 30 Minuten ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
— Ich habe die Sitzung geschlossen.