Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine Damen und Herren! Das Zentrum hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes eingebracht. Wir sind uns darüber klar, daß dieser Entwurf nur einen Teilausschnitt aus der Fülle der Probleme bringen kann. Es ist von uns auch nicht beabsichtigt, jetzt und hier eine Generaldebatte über die wesentlichen Probleme unseres Steuerrechts auszulösen. Die Absicht des Zentrums ging bei der Vorlage vielmehr in anderer Richtung. Es sind zwei Hauptgründe, -die uns veranlaßt haben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl wir genau wissen, daß die Bundesregierung selbst einen Gesetzentwurf vorbereitet hat, der uns hoffentlich in den nächsten Tagen vorgelegt werden wird. Dieser Entwurf, der zur Zeit dem Bundesrat vorliegt, wird jedoch nur eine kurze Beratungsdauer im Bundestag haben dürfen, wenn das Änderungsgesetz nicht allzu spät verabschiedet werden soll. Es bleiben da praktisch nur wenige Wochen zur Beratung. Das zweite Steueränderungsgesetz des Wirtschaftsrats, das mit Wirkung vom 1. Januar 1949 gilt, ist datiert vom 20. April 1949, veröffentlicht im Steuer- und Zollblatt vom 28. Mai 1949, das Anfang Juni die Steuerpflichtigen erreicht hat. Ein solches, den Steuerpflichtigen und seine Dispositionen außerordentlich belastendes Verfahren darf mit dem jetzt vorliegenden Entwurf eines Änderungsgesetzes unseres Erachtens nicht durchgeführt werden.
Da der wesentlichste Inhalt des Gesetzentwurfs der Regierung durch Presseveröffentlichungen bekanntgeworden ist, besteht die Gefahr, daß wegen der Kürze der nach der Vorlage des Gesetzes dem Bundestag zur Beratung zur Verfügung stehenden Zeit in einigen entscheidenden Punkten eine Abänderung des Regierungsentwurfs erschwert sein wird. Der Entwurf des Zentrums hat deshalb noch einige Punkte aufgegriffen, die bereits vor dem Zugang der Regierungsvorlage beraten und alsdann ohne gesetzgeberische Schwierigkeiten dem Regierungsentwurf eingefügt werden können.
Der zweite Hauptgrund unseres Antrags ist folgender. Die steuerliche Lage ist so undurchsichtig wie nur je. Sämtliche Parteien werden im Wahlkampf Steuersenkungen und Änderungen der bestehenden Steuergesetze versprochen haben. Es kommt jetzt darauf an, bereits in den Vorberatungen festzulegen, in welcher grundsätzlichen Linie die Steuerneuordnung liegen soll, nämlich
entweder in der Linie einer Entlastung der unteren Einkommensteuerstufen und damit einer Stärkung der für den Konsum zur Verfügung stehenden Einkommensteile oder aber in der entgegengesetzt laufenden Linie, nämlich in der Richtung einer stärkeren Begünstigung der Selbstfinanzierung und der weiteren Privilegierung derjenigen, denen es ohnedies am besten geht. Die Steuervorschläge in unserem Gesetzentwurf verlangen in dieser Hinsicht eine ganz klare Entscheidung. Falls im Bundestag oder in den zuständigen Ausschüssen eine Einigung über die Richtung der Steuerpolitik zustande kommt, wird der Regierungsentwurf bereits geklärte Fronten vorfinden.
Unsere Vorschläge gehen im einzelnen in folgender Richtung. Erstens: Erfassung des nichtausgeschütteten Gewinns der juristischen Personen in Höhe von 20 Prozent. Nebenbei sei bemerkt, daß der französische Ministerpräsident Bidault — das haben wir nach der Einbringung unserer Vorlage inzwischen erfahren — in Frankreich eine entsprechende Steuer für Aktiengesellschaften in Höhe von 10 Prozent des nichtausgeschütteten Gewinns vorgesehen hat. Das anonyme Kapital ist durch unsere bisherige Steuergesetzgebung bevorzugt worden. Die körperschaftssteuerpflichtigen Personen haben die ganze Schwere des bisherigen Steuertarifs nur in abgeschwächtem Maße zu spüren bekommen. Sie waren in der Lage, erzielte Gewinne nicht zu verteilen, und sparten damit in erheblichem Maße Steuern. Es ist aber nicht einzusehen, warum der Entschluß eines Vorstandes einer juristischen Person, erzielten Gewinn nicht auszuschütten, steuerrechtliche Wirkungen haben müßte. Wenn ein Lohnsteuerpflichtiger seinen Lohn bei dem Arbeitgeber, bei dem er beschäftigt ist, stehen läßt und stundet, so wird gleichwohl die Lohnsteuer erhoben. Durch die Möglichkeit der Nichtausschüttung erzielten Gewinnes sind körperschaftssteuerpflichtige Unternehmungen gegenüber den übrigen zur Einkommensteuer veranlagten Steuerpflichtigen in erheblichem Maße begünstigt und in der Lage gewesen, eine Selbstfinanzierung zu betreiben, die früher oder später zu einer Verzerrung des gesamten Wirtschaftsgefüges führen kann.
Ähnliche Ewägungen haben auch in Amerika den Präsidenten der New Yorker Effektenbörse veranlaßt, gegen die Selbstfinanzierung in der amerikanischen Wirtschaft Stellung zu nehmen. In der deutschen Presse und in der öffentlichen Meinung wird dagegen weitgehend der angebliche Vorteil der Selbstfinanzierung hervorgehoben. Diesen Gedankengängen können wir uns vom Zentrum aus nur insofern anschließen, als durch die Selbstfinanzierungen eine Kapitalfehlleitung nicht
hervorgerufen wird. Die betriebliche Eigenkapitalbildung kann daher nur insofern begrüßt werden, als dadurch die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung und die Steuerehrlichkeit begünstigt wird. Sobald die Selbstfinanzierung die damit gesteckte Grenze überschreitet, müssen wir sie ablehnen. Bei entsprechend ausgerichteter Steuerpolitik werden sich dann diejenigen Überschüsse auf dem Kapitalmarkt bilden, die erforderlich sind, um neue Unternehmungen zu finanzieren und damit Nachwuchskräften, Flüchtlingen, Inhabern zerstörter oder beschädigter Betriebe die Möglichkeit einer Neugründung ihrer Betriebe zu geben.
Die Steuerpolitik ist das wichtigste Mittel der Wirtschaftspolitik. Sie unter diesem wirtschaftspolitischen Gesichtspunkt richtig einzusetzen, ist daher unsere Hauptaufgabe. Wir hoffen deshalb, daß die folgenden drei Forderungen eigentlich Gemeingut aller Parteien sein sollten, nämlich, daß keine direkten Steuern vom Existenzminimum erhoben werden dürfen, daß die unteren Einkommensteuerstufen besondere Begünstigung verdienen und daß die Steuerpolitik der Wirtschaftspolitik zu dienen hat.
Wenn bisher die Steuererhebung bereits bei 750 DM Jahreseinkommen begann, so lag das an dem ganz anderen Preisniveau zum Zeitpunkt der Einführung der Steuertabelle. Inzwischen hat sich das Preisniveau aber wesentlich erhöht. Demgemäß müssen die Freigrenzen auch wesentlich höher angesetzt werden. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit einen gewissen Lebensspielraum, einen gewissen Einkommensspielraum voraussetzt. Diesen für die Entwicklung der Persönlichkeit erforderlichen Mindestspielraum wollen wir jedem Steuerpflichtigen erhalten.
Gerade die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen müssen auch deshalb stärker entlastet werden, weil diese Einkommensteuerpflichtigen ihr Einkommen im wesentlichen zum Konsum verwenden müssen und deshalb bereits durch die indirekten Steuern erheblich zur Bestreitung der Staatslasten beitragen. Jetzt ist der Zustand der, daß diese Steuerpflichtigen für ihren Konsum zweimal Steuern zahlen müssen, einmal durch die indirekten Steuern und zum anderen durch die sehr hohen direkten Steuern, die in das Existenzminimum eingreifen. Das ist unlogisch und nicht zu vertreten.
Als zweiten Hauptpunkt haben wir deshalb in unserem Antrag eine grundsätzliche Abkehr von dem bisherigen Steuertarif vorgesehen, und zwar sollen vor allem die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen wesentlich stärker entlastet werden, als es in der Regierungsvorlage vorgesehen ist. In der Regierungsvorlage, die wir offiziell ja noch nicht kennen, ist die Rede davon, daß dem Junitarif entsprechend die unteren und mittleren Einkommensteuerstufen bereits eine Entlastung erfahren hätten. Diesen Gedankengang können wir nicht anerkennen. Die Vorschläge des Regierungstarifs liegen unserer Ansicht nach gerade bei diesen Steuerstufen wesentlich zu hoch.
Wir sind uns klar darüber, daß Mut dazu gehört, einen entsprechenden Einnahmeausfall in Kauf zu nehmen, obwohl die indirekten Steuern den Ausfall weitgehend wettmachen werden. Diesen Mut sollten wir aber auch vor allem deshalb haben, um das Recht der Persönlichkeit durchzusetzen und ernst zu machen mit der Berücksichtigung des Rechts des einzelnen.
Wenn das Umstellungsgesetz zum Haushaltsausgleich zwingt, so gedenken wir auch Vorschläge dafür zu machen, wie entsprechende Mehreinnahmen erzielt werden können. Wir sind uns klar darüber, daß Mehreinnahmen erforderlich sind, wenn wir eine verstärkte Steuersenkung beim Einkommen- und Lohnsteuertarif vorschlagen. Diese Mehreinnahme haben wir in unserem Vorschlag vorgesehen.
Daß die Entwicklung richtig gesehen ist, ergibt sich aus der Entwicklung des Steueraufkommens. Die Lohnsteuer brachte 1938 2,1 Milliarden und erbringt in dem Jahr Mitte 1948 bis Mitte 1949 1,8
Milliarden. Die veranlagte Einkommensteuer, die 1938 3,1 Milliarden erbrachte, erbrachte in den Jahren Mitte 1948 bis Mitte 1949 2,6 Milliarden. Die Körperschaftssteuer, die damals 2,4 Milliarden erbrachte, ist aber auf die Hälfte gesunken und brachte in dem halben Jahr nur noch 1,2 Milliarden. Die Umsatzsteuer ist von 3,3 Milliarden auf 3,1 Milliarden zurückgegangen. Wir sehen also, daß tatsächlich die Körperschaftssteuerpflichtigen in verstärktem Maße von der Steuer entlastet worden sind.
Wir erwarten Mehreinnnahmen unter anderem auch aus der Streichung des § 7c des Zweiten Steueränderungsgesetzes. Dieser § 7c ermöglichte es, Beträge, die als unverzinsliche Darlehen zum Zwecke des Wohnungsbaus gegeben werden, als Betriebsausgaben zu behandeln und wirkt deshalb in erheblichem Maße steuerschmälernd. Unerwünschte Manipulationen sind nach einmütiger Meinung aller leicht damit möglich. Die Bestimmung des § 7c bedeutet, daß es in die Hand der großen Verdiener gelegt wird, welchen Teil ihrer Gewinne sie in diesen jetzigen Krisenjahren der Einkommensteuer oder Körperschaftssteuer entziehen wollen. Wir haben es praktisch mit einer progressiven Verminderung der Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer zu tun. Das kann nicht im Sinne einer gerechten Verteilung der Steuerlasten liegen. Wir sind sogar der Ansicht, daß die Bestimmung des § 7c den Ausgleich des gesamten Haushalts gefährden kann. Man hat nämlich mit dieser Bestimmung völliges Neuland betreten.
Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Erlaß des Bundesfinanzministers zur Erläuterung des § 7c beschäftigt sich in anderthalbfachem Zeitungsspaltenformat im Bundesanzeiger mit der Verhinderung unerlaubter Manipulationen auf Grund dieser Steuervergünstigung und mit der Auslegung dieser Bestimmung im einzelnen. Die Bestimmung macht also offenbar der Finanzverwaltung schon jetzt in überreichem Maße Sorge. Aus diesem Gesichtspunkt kann auch das Interesse an der Finanzierung des Wohnungsbaues auf dem Wege über § 7c nicht als gerechtfertigt anerkannt werden. Wir halten es für richtiger, statt dessen eine hochverzinsliche steuerfreie Wiederaufbauanleihe aufzulegen, die in einfacher und übersichtlicher Weise den gleichen Erfolg erbringt, ohne die Gefahren der jetzigen Regelung mit sich zu bringen.
Der Kurszettel der Aktien zeigt seit einigen Monaten ständig erhebliche Steigerungen, die — so möchte ich meinen — zum Teil in ursächlichem Zusammenhang mit den steuerlichen Vorteilen des anonymen Kapitals stehen. Die Kapitalgesellschaften werden wegen der für sie so günstigen Steuerpolitik — einschließlich der Soforthilfeabgabe - vom anlagesuchenden Publikum entsprechend hoch bewertet. Diese Kapitalien des Publikums müßten durch eine entsprechend ausgestattete Anleihe für den Wohnungsbau erfaßt werden.
Zum § 7a, Bewertungsfreiheit für Ersatzbeschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter, haben wir vorgeschlagen, diese Bestimmung insofern einzuschränken, als nur bestimmte volkswirtschaftlich notwendige Wirtschaftsgüter abgeschrieben werden dürfen. Wir erleben es heute, daß diese Bestimmung sich nicht nur für diejenigen Unternehmungen auswirkt, die die Vergünstigung in Anspruch nehmen, sondern in noch stärkerem Maße für diejenigen Betriebe, die Zulieferanten derjenigen sind, die von der Vergünstigung Gebrauch machen wollen.
Wir haben ferner vorgeschlagen, erhöhte Absetzungen für Wohngebäude zuzulassen. Wir haben in § 7b der Zweiten Steuerveränderungsverordnung eine Vorschrift, wonach erhöhte Absetzungen für Wohngebäude zulässig sind, wenn 80 Prozent der Neubauten für Wohnzwecke verwendet werden. Wir möchten diese Vorschrift dahin abändern, daß bereits ein Anteil von 51 Prozent für Wohnungen und der Rest für Geschäftsbauten die Absetzungsmöglichkeit rechtfertigt.