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ID0101911500

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag. — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1949 529 19. Sitzung Erster Tag Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1949. Nachruf des Präsidenten auf den verstorbenen Abgeordneten Sewald 530B Geschäftliche Mitteilungen 530C, 558A, 565B, 569C Eintritt des Abg. Dr. Pferdmenges in den Bundestag 530C Interpellation der Abg. Euler, Dr. Preusker, Dr. Becker, Meyer, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer und Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 172) . . . 530D Einspruch des Abg. Dr. Schumacher gegen seinen Ausschluß (Drucksache Nr. 247) 530D Geschäftsordnungsmäßige Behandlung von Anträgen auf Aufhebung der Immunität von Abgeordneten 530D Antrag des Justizministeriums Rheinland-Pfalz betr. Entscheidung über die Immunität des Abg. Stauch 531A Antrag des Niedersächsischen Justizministers betr. Entscheidung über die Immunität des Abg. Onnen 531A Abänderungsantrag der KPD-Fraktion zur Tagesordnung betr. Regierungserklärung zum Gesetz der Alliierten Hohen Kommission über „strafbare Handlungen gegen Besatzungsinteressen" 531B Fisch (KPD) 531C Euler (FDP) 532A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Initiativantrag der Abg. Strauss, Kemmer und Gen.) (Drucksache Nr. 180) 532A Strauss (CSU), Antragsteller 532A, 543A Frau Thiele (KPD) 535C Frau Dr. Ilk (FDP) 537A Dr. Etzel (BP) . . . . . . . . 537B Frau Keilhack (SPD) 538B Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 539A Ribbeheger (Z) 539B Strauss (CSU) 540A Dr. Kleindinst (CSU) . . . . . 541D Dr. Besold (BP) 542B Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Maßnahmen für Deutsche, die in Auswirkung des Krieges im Ausland zurückgehalten werden (Drucksachen Nr. 165 und 60) . . . . . . . . 543D Dr. Gerstenmaier (CDU) Berichterstatter 543D, 547D Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 545C Müller, Oskar (KPD) . . . . . . . 546A Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der DP betr. . Bevölkerung Helgolands (Drucksachen Nr 166 und 41) 548B Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 548C Walter (DP) 551D Rademacher (FDP) . . . . . . 552A Mündliche Berichte des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten über die Anträge der Fraktion der BP betr. Verteilung der DPs (Drucksachen Nr. 196 und 85), betr. Inanspruchnahme der Quartierleistungen durch die Besatzungsmächte (Drucksachen Nr. 197 und 86 neu) und betr. Wohnraumbelegung durch verschleppte Personen (Drucksachen Nr. 198 und 87) 552D Dr. Gerstenmaier (CDU), Berichterstatter 553A, 557A Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen 553C Dr. Seelos (BP) . . . . . . . . 553D Dr. Pfeiffer, Staatsminister und Leiter der Bayerischen Staatskanzlei . . 554B Niebergall (KPD) . . . . . . . 554C Stahl (FDP) 556A von Thadden (NR) 556C Unterbrechung der Sitzung . . 557D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den Antrag der Zentrumsfraktion betr. Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenhilfe für Heimkehrer (Drucksachen Nr. 190 und 121) 558A Arndgen (CDU), Berichterstatter . 558A Mündlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen über den Antrag der Fraktion der SPD betr. einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung (Drucksachen Nr. 191 und 118) 558B Pohle (SPD), Berichterstatter . 558C, 564B Leddin (SPD) . . . . . . . . . 559C Sabel (CDU) . . . . . . . 560D, 564D Krause (Z) 561C Renner (KPD) . . . . . . . . 562A Sauerborn, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit . . . . . 563B Frau Kalinke (DP) . . . . . . . 563C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen über den Antrag der Abg. Renner und Gen. betr. Bundesbahn (Drucksachen Nr. 170 und 105) . . . . 565A Rademacher (FDP), Berichterstatter 565B Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an Ausschüsse (Drucksache Nr. 211) 565D Antrag der Fraktion der BP betr. § 103 der vorl. Geschäftsordnung (Drucksache Nr. 184) 566A Dr. Arndt (SPD) . . . . . . 566A Anträge der Fraktion der SPD betr. Gleichberechtigung der Frauen (Drucksache Nr. 176), der Abg. Renner u. Gen. betr. rechtliche Gleichstellung der Frauen (Drucksache Nr. 206) und der Fraktion der SPD betr. Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung (Drucksache Nr. 177) 566B Frau Nadig (SPD), Antragstellerin . 566B Frau Thiele (KPD), Antragstellerin . 567A Frau Korspeter (SPD), Antragstellerin 568A Unterbrechung der Sitzung 565B, 569D Die Sitzung wird um 10 Uhr 17 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Bernhard Reismann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider etwas spät geworden, bis man zu der Beratung des Amnestiegesetzes gekommen ist. Zu den wichtigsten Umständen bei dem Erlaß dieses Amnestiegesetzes sollte es eigentlich gehören, daß es nicht monatelang vorher die Rechtspflege beunruhigt, bevor es beschlossen wird. Wir stehen


    (Dr. Reismann)

    jetzt vor der Notwendigkeit, dieses Gesetz wenigstens noch vor Weihnachten zu verabschieden, das besser schon im Oktober beschlossen worden wäre.
    Nun liegt uns, nachdem das Zentrum den Gedanken des Amnestiegesetzes angeregt hat, ein Regierungsentwurf vor, dessen Großzügigkeit in gewisser Richtung ich gern anerkenne. Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu wollen, die der Herr Justizminister angeregt hat, unterliegt es für unsere Fraktion keinem Zweifel, daß der Bund für dieses Gesetz zuständig ist. Aus dem Begleitbericht und der Begründung, die der Herr Justizminister soeben gegeben hat, haben wir entnommen, daß man sich sowohl im Bundesrat wie in Kreisen der Regierung ernste Gedanken über die Zuständigkeit gemacht hat. Wir haben von Anfang an die Zuständigkeit des Bundes für gegeben gehalten, weil unter die konkurrierende Gesetzgebung zumindest und in erster Linie die Strafrechtsgesetzgebung fällt und es sich bei dieser Amnestie um einen Gesetzesakt auf dem Gebiete des Strafrechts handelt. Wir haben auch keinen Anlaß, in diesem Punkte allzu ängstlich zu sein, da auch in der Weimarer Zeit, in der die Bestimmungen weniger eindeutig und klar vorlagen, schon Amnestien vom Reichstag beschlossen worden sind.
    Nachdem sich nun sowohl. der Bundesrat wie auch die Regierung auf den Standpunkt der Zuständigkeit gestellt und damit unseren prinzipiellen Standpunkt anerkannt haben, ist die Frage nach dem Stichtag aufgeworfen worden. Man kann natürlich den Stichtag nicht in eine Zeit legen, in der die Menschen schon mit dem Erlaß einer Amnestie rechneten; das würde wie eine Aufforderung wirken, nun drauflos zu sündigen. Ob der Stichtag auf den 12. September oder aus der Sorge, es könnte sich sonst eine Thronbesteigungsamnestie einbürgern, auf einen anderen in der Nähe liegenden Tag gelegt wird, ist für unsere Fraktion ziemlich gleichgültig.
    Wichtiger dagegen ist schon die Frage, wie hoch man den Strafrahmen bemessen soll, der von der Amnestie betroffen wird, und welche Ausnahmen man machen soll. Wenn man Ausnahmen macht — um damit zu beginnen —, so sind wir der Ansicht, daß man sie nicht so umschreiben dürfte wie hier, daß nämlich die Tatbestände der §§ 331 ff. — das betrifft ja die Bestechung zu pflichtwidrigen und nicht pflichtwidrigen Handlungen — allesamt und ohne jede Ausnahme von der Gewährung der Straffreiheit ausgeschlossen sein sollen. Wenn man auch darüber diskutieren kann, ob die Bestechung zu pflichtwidrigen Handlungen, die Gegenstand einer Bestechung waren, ausgenommen werden soll, so muß man sich aber gerade betreffs der Vergangenheit darüber klar sein, wie sehr mancher Beamte und Angestellte im übrigen einer Versuchung ausgesetzt war, von der man sich weithin nicht die richtige Vorstellung macht. Die Not des Selbstversorgers in der großen Stadt muß man sich einmal vor Augen halten und was dabei bei etwas bösem Willen und Denunziationen und vom grünen Tisch aus betrachtet nachher als eine solche Bestechung für nichtpflichtwidrige Handlungen aufgefaßt werden kann. Es ist schwer, hier eine Grenze zu ziehen — zugegeben —, und es kann üble Konsequenzen haben, wenn solche Sitten einreißen würden. Deshalb muß man sich hüten, die Amnestie in diesem Punkte zu weit zu ziehen. Das alles zugegeben! Aber solche Taten gänzlich auszunehmen, scheint mir der Situation der Vergangenheit, unter die man einen Strich ziehen soll, doch nicht gerecht zu werden.
    Wir haben in dem Antrag der Zentrumsfraktion seinerzeit vorgeschlagen, die auf kriminellen Neigungen beruhenden strafbaren Handlungen von der Amnestie auszunehmen. Es ist dagegen eingewandt worden, daß dieser Sachverhalt und Tatbestand rein subjektiv sei, im Innern liege und deshalb schwer festzustellen wäre. Weil wir das anerkannt haben, haben wir von vornherein vorgeschlagen, die Delikte auszunehmen, die wegen ihrer Wiederholung ein Verbrechen darstellen. Wenn man das nicht will, sondern es allein auf die Strafe abstellt, dann allerdings kommt man zu dem nicht zu wünschenden Ergebnis, daß mancher echte Kriminelle von dieser Amnestie profitiert. Wir halten deshalb in diesem Punkte an unserem Vorschlage fest.
    Uns scheint aber, daß man gerade dann, wenn man die echten Kriminellen ausnimmt, den Strafrahmen höher setzen kann. Jetzt sind von der Regierung nur vorgeschlagen Gefängnisstrafen bis zu 6 Monaten und Geldstrafen bis zu 2 500 D-Mark. Die Gefängnisstrafe von 6 Monaten könnte für normale Verhältnisse als ausreichend hoch geschätzt angesehen werden. Wir haben aber damals in der Zeit, um welche es sich hier handelt, nicht in normalen Verhältnissen gelebt, und jeder, der mit der Gerichtspraxis der damaligen Zeit zu tun hatte, weiß, daß der Rahmen von 6 Monaten durchaus keine feste Taxe bedeutete, sondern daß es mehr dem Zufall und dem Geschmack des Gerichts und der Praxis des jeweiligen Amtsrichters überlassen blieb, ob 4 Monate oder 8 Monate Strafe verhängt wurden. Man ging deshalb in all den Fällen zwangsläufig dazu über, eine höhere Strafe zu konzedieren, wo irgendein Wirtschaftsdelikt i eine Rolle spielte.
    Aber diese Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung, von der ich eben sprach, betrifft nicht nur die Fälle von Wirtschaftsdelikten, sie betrifft auch andere Fälle, die am Rande gelegen haben. Ich bin der Ansicht, daß ein Strafrahmen von 6 Monaten nicht ausreichend ist, und gerade das macht es notwendig, die echten kriminellen Taten, nämlich Rückfallsverbrechen, allgemein von der Gewährung der Amnestie auszuschließen, weil wir sonst einen Zufallskreis von Personen erfassen würden.
    Generell bin ich also der Ansicht: man sollte es bei einem Strafrahmen von einem Jahr belassen, und eine Notwendigkeit dafür ergibt sich auch noch aus folgendem Umstande. Es ist Ihnen wohl auch in den letzten Tagen und Wochen aus den Kreisen der an der Rechtspflege Interessierten Personen, aber auch von solchen, die von den Dingen betroffen sind, eine Fülle von Zuschriften und Drucksachen gerade bezüglich dieses Amnestiegesetzes zugegangen. Ich habe dabei festgestellt, daß sich einmal die Notwendigkeit ergab, die Amnestie zeitlich weiter zu erstrecken, als es in unserem ursprünglichen Zentrumsantrag beabsichtigt war. Wir waren dabei von der Notwendigkeit ausgegangen, die Dinge aus der Zeit nach 1945 zu bereinigen, in der Annahme, daß die Straffreiheitsvorschriften, seien es alliierte, seien es solche der Länder, die inzwischen ergangen waren, mit der Vergangenheit schon aufgeräumt hätten. Das ist aber, wie es sich jetzt herausstellt, keineswegs der Fall. Ich lese, daß in Süddeutschland beispielsweise eine Staatsanwaltschaft jetzt noch ein Verfahren gegen einen Mann


    (Dr. Rebmann)

    in Gang bringt, der in der Nazizeit unter Eid, als Zeuge vernommen, fälschlich in Abrede gestellt hatte, Hochverrat getrieben zu haben.

    (Hört! Hört! in der Mitte und links.)

    Also wenn der Mann jetzt noch vor Gericht gestellt werden muß, dann kann man gewiß sagen: es besteht natürlich die Möglichkeit, daß er hinterher, wenn er verurteilt worden ist, begnadigt wird. Aber es ist doch grotesk, jetzt noch ein solches Verfahren durchzuführen!

    (Sehr richtig! beim Zentrum und links. — Zuruf von der SPD: Es ist auch fraglich, ob man da einen Richter begnadigen kann! — Heiterkeit.)

    — Ja, aber von Ihrem witzigen Zuruf ganz abgesehen, meine Herren: wenn der Mann erst dieses ganze Prozeßverfahren durchlaufen muß — eine Niederschlagung kennt unser Recht nicht, und wir wollen sie beileibe nicht einführen -, so muß man doch berücksichtigen, daß das nicht nur e i n Fall ist. Wieviel solcher Dinge mögen noch passiert sein, andere, durchaus vergleichbare Dinge aus jener Zeit und nachher?
    Ich habe bei der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfes schon darauf hingewiesen, daß sich jetzt manchmal eine Zusammenrottung der Gesellschaft der gestürzten Nazis ergibt, welche jetzt gegen die anderen losschießen mit Anzeigen nach § 164 des Strafgesetzbuches wegen wissentlich falscher Anschuldigungen, mit Verleumdungsklagen, mit Meineidsanzeigen und ähnlichen.
    Für alle diese Fälle, erst recht aber wegen des zuerst erwähnten, wo sogar eine Meineidsklage in Frage kommt, wo der Mann übrigens sogar zugegeben hat — ich konnte den Sachverhalt nicht näher untersuchen —, daß er sich, als Zeuge vernommen, von der gegen ihn selbst gerichteten Beschuldigung des Hochverrats durch einen Falscheid befreit hat, wäre es absolut erforderlich, den Strafrahmen auf mehr als ein halbes Jahr auszudehnen.
    Und jetzt frage ich Sie: Kommen Sie dann an der Notwendigkeit vorbei, die Gesinnung bei der Amnestie eine Rolle spielen zu lassen? Das war gerade das, was man an unserer Amnestie beanstandet hat. Ich habe gehört und gelesen: ja, daß das Zentrum die Gesinnungstäterschaft bei einer Tat mit politischem Hintergrund mit in Betracht zieht, ist ein Rückfall in nazistische Methoden und Anschauungen! Das hat beileibe mit Gesinnungstäterschaft nichts zu tun. Wenn aber aus solchen Gründen einer strafbar geworden ist, so verdient er eine andere Berücksichtigung als etwa ein rückfälliger Wegelagerer.
    Ich bin also der Ansicht, daß wir in diesem Punkte statt' auf die Regierungsvorlage besser vielleicht auf den Antrag der Zentrumsfraktion zurückgreifen, bin der Ansicht, daß man die Gesinnungstäterschaft berücksichtigen, daß man den Strafrahmen höher setzen muß, der bei der Amnestie Berücksichtigung finden soll, und im übrigen auch gewiß nicht allzu ängstlich und nicht allzu kleinlich sein soll. Gerade bei dieser Amnestie handelt es sich darum, unter eine unheilvolle Periode der jüngsten deutschen Geschichte einen Strich zu ziehen, unter eine Zeit, in welcher manches nicht bloß mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe, sondern als allgemein menschlich verständlich zugedeckt zu werden verdient. Wir alle müssen an unsere Brust schlagen und sagen: wenn wir in der Lage gewesen wären, der manche ausgesetzt waren, über die die Gerichte schon den Stab gebrochen haben, so wäre niemand sicher, daß
    er in der gleichen Versuchung nicht auch gefallen wäre. Ich denke da an die vielen Eigentumsvergehen, die in der Zeit vorgekommen sind, als die Leute ausgebombt, aus ihrer Heimat vertrieben durch die deutschen Länder zogen und nicht wußten, wohin sie ihr Haupt legen sollten. Sind das echte Kriminelle, wenn sie sich dann an anderer Leute Eigentum vergingen?

    (Sehr gut! links und in der Mitte.)

    Der Herr Bundeskanzler selber hat in seiner Regierungserklärung, der Anregung unseres schon vorher eingereichten Amnestieantrages folgend, warme Worte gefunden und mit großem menschlichen Verstehen von einer Amnestie gesprochen. Ich würde es bedauern, wenn jetzt kleinlichere Gesichtspunkte, das Handeln um einen Monat oder einige Monate das herabwerten würden, was damals so großzügig begonnen wurde.
    Im übrigen bin ich der Ansicht, daß die Beratungen unter allen Umständen noch im Monat Dezember zu Ende gebracht werden müssen, damit wenigstens zu Weihnachten, dem Fest des Friedens, diese Dinge geregelt sind und den Leuten, die deswegen in Unruhe sind, die Ruhe wiedergegeben werden kann.

    (Beifall beim Zentrum.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung über die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung und erteile zunächst Herrn Abgeordneten Ewers das Wort.

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    Rede von Hans Ewers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist unzweifelhaft, daß Amnestien im Strafrecht und in der Strafjustiz grundsätzlich bedenkliche Einrichtungen sind, da sie den Strafrechtsanspruch des Staates, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung unabhängig von der Person grundsätzlich den Gesetzen entsprechend aufrechterhalten bleiben muß, gefährden. Es ist aber ebenso klar, daß bei besonderen staatsumstürzenden Anlässen Amnestien, die bei minderwichtigen Straftaten einen Strich unter die Vergangenheit ziehen, um der ganzen Nation ein neues Leben zu ermöglichen, angebracht und historisch von alters her begründet sind.
    Solche Anlässe sind in der Vergangenheit unseres neuen deutschen Staatswesens schon zweimal verpaßt worden. Das erstemal nach der Kapitulation im Mai 1945, als unzweifelhaft, wie wir es alle erlebt haben, eine zwar sehr dunkle, sehr unklare, aber sicherlich völlig neue Zeit anbrach. Wenn damals ein deutscher Strafgesetzgeber vorhanden gewesen wäre, hätte er zweifellos über die Justiz der Vergangenheit sich zu Gericht gesetzt und unter vieles, was bis dahin an Strafen verhängt worden war, einen Strich gezogen. Der zweite Anlaß wurde bedauerlicherweise verpaßt, als die Währungsreform durchgeführt wurde und damit, was wir alle ja gleich einem Wunder erlebt haben, im Wirtschaftsleben unserer Länder tatsächlich eine völlig neue Ara heraufzog. Daß nicht gleichzeitig mit dem Währungsumstellungsgesetz mindestens für alle in der Reichsmarkzeit begangenen Wirtschaftsvergehen eine sehr weitgehende Amnestie erlassen wurde, ist tief bedauerlich und hat ohne Zweifel die Moral bei Beginn der neuen Zeit nicht gerade gestärkt, sondern viele moralische Übelstände in die Zeit der neuen Währung mit hinübergetragen.


    (Ewers)

    Jetzt, nach der Bildung unserer westdeutschen Bundesrepublik, ist es allerhöchste Zeit, den Erwartungen der deutschen Menschen, daß die Vergangenheit irgendwie ausgebügelt und ausgefegt wird, Rechnung zu tragen. Nun ist eine Amnestie ihrem Wesen nach zwar ein Gnadenakt, jedenfalls ein Akt, der nicht aus reinen Rechtsgründen erfolgt, sondern der aus der Gnadensonne herabstrahlt. Wenn aber eine Amnestie, wie es in einer Demokratie gar nicht anders möglich ist, weil es keinen Selbstherrscher gibt, der von oben Gnade für die Allgemeinheit regnen lassen kann, durch ein Gesetz erlassen werden muß und erlassen wird, dann ist sie eben gleichzeitig ein Strafrecht, nämlich ein Recht, das in gewissem Umfange die Strafbarkeit ausschließt. Aus diesem Grunde hat meine Fraktion keine Bedenken, daß diese Amnestie, die sich in erster Linie auf Vergehen gegen das in allen Ländern gleicherweise geltende Strafrecht bezieht, sehr wohl Bundessache zu sein hat. Denn es wäre im höchsten Maße mißlich und unangebracht, wenn in einem Lande etwas, was in der Vergangenheit geschehen ist, nach wie vor bestraft würde, was in einem anderen Lande nicht mehr irgendwie gesühnt wird. Diese Rechtsungleichheit unseres einheitlichen deutschen Strafrechtes wäre nach unserer Auffassung geradezu unerträglich, allen Föderalismus vorbehalten.
    So bejahen wir an sich die Zuständigkeit des Bundes und begrüßen die Amnestie als Ganzes, allerdings nicht ohne jedenfalls mein persönliches Bedauern, daß sie jetzt, wenn sie raschestens verabschiedet wird, erst zu Weihnachten kommt. Es ist richtig, so etwas mag wie ein Weihnachtsgeschenk wirken. Aber es wäre überaus bedenklich, wenn daraus im Volke etwa die Ansicht aufkommen könnte, als ob jeweils zu Weihnachten, zum Fest des Friedens, neue Amnestien in Aussicht stünden. Davon kann nach unserer Auffassung schlechterdings keine Rede sein. Dieses Zusammentreffen ist vielmehr rein zufällig und beruht auf der Zeitnot, in die wir mit unserer Gesetzgebung gekommen sind.
    Im übrigen machen sich, glaube ich, die nicht Rechtsbeflissenen keine richtige Vorstellung davon, welch tiefe Störung unseres Rechtslebens durch das Ausbleiben dieser seit nunmehr bald einem Vierteljahr erwarteten Amnestie eingetreten ist. Die Rechtspflege und die Rechtsdisziplin der Gerichte haben schon jetzt schwersten Schaden erlitten. Es gilt im allgemeinen für den Anwalt als unwürdig, dilatorische Anträge zu stellen und den Ablauf eines geordneten Verfahrens durch irgendwelche Winkelzüge zu verhindern. Trotzdem hat jeder gewissenhafte Anwalt bei unwichtigen kleineren Straftaten — seiner Pflicht entsprechend, für seine Klienten zu sorgen — alles daransetzen müssen, um eine Hauptverhandlung und damit zunächst einmal eine Bestrafung, die ja ins Strafregister kommt, auch wenn sie nicht verbüßt wird, hintanzuhalten. Derartige Einbrüche in den normalen Ablauf der Rechtspflege sind für unsere Justiz außerordentlich schädlich, und so möchte ich dem Herrn Justizminister in jeder Beziehung beipflichten, wenn ich erkläre, daß diese Vorlage das Eiligste ist, was der Bundestag überhaupt verabschieden kann. Jeder Tag, den sie früher kommt, ist ein Heil für unsere Rechtspflege. Nur weil sie so unbedingt eilbedürftig ist, kann es überhaupt hingenommen werden, daß wir hier heute über eine Vorlage beraten, die vom ersten bis zum letzten Wort durchzulesen kein Abgeordneter dieses Hauses meines Wissens
    bisher Gelegenheit hatte. Ich selbst habe lediglich die Protokolle des Bundesrats gesehen und mich daher darüber unterrichten können, welche Gesichtspunkte bei der zu erwartenden Vorlage maßgebend waren. Aber die Vorlage selbst finde ich heute morgen um 10 Uhr hier auf meinem Tisch liegen; sie kann also von niemandem durchgearbeitet sein, und schon deshalb erscheint es mir ausgeschlossen, in dieser Generaldebatte auf Einzelheiten einzugehen. Ich möchte mich insoweit daher nur auf einige ganz wenige Bemerkungen beschränken.
    Mir ist es sehr zweifelhaft, ob es richtig ist, Disziplinarvergehen, also Beamtenvergehen, von der Amnestie vollständig auszuschließen. Wir haben hier im Wort berechtigte und außerordentlich warmherzige Dankeserklärungen gegenüber unserem unbestechlichen Beamtentum gehört. Es ist aber auch den braven Beamten in der Vergangenheit in der einen oder anderen Beziehung nicht möglich gewesen, ihren Dienst immer so zu verrichten, wie es gefordert werden muß. Daß man schlechthin gegenüber jeder kleinen Entgleisung eines Beamten keine Nachsicht üben will, daß man zu Ehren des Beamtenstandes überhaupt jedes kleinste Delikt, das mit irgendwelchen kleinen Strafen geahndet werden müßte, heute noch weiter verfolgen will, das bedauere ich; das ist meines Erachtens nicht der richtige Dank an unsere Beamtenschaft. Selbstverständlich sind diejenigen Disziplinarstrafverfahren auszunehmen, die eventuell mit einer Dienstentlassung enden könnten; aber alle übrigen Strafen, von der Geldstrafe bis zur Verwarnung oder zum Verweis, sollten meines Erachtens ebenso amnestiert werden wie kriminelle Delikte, und man sollte damit die Beamten nicht unter ein Sonderrecht stellen.
    Ein anderer Punkt, der vielleicht nicht sehr viele trifft, aber von um so mehr die Gerechtigkeit störender Bedeutung ist, ist die Höhe der Geldstrafen, die hier amnestiert werden sollen. Geldstrafen haben bekanntlich das eigentümliche Gesicht, daß derselbe Strafausspruch nicht die gleich schwere Tat ahndet; das liegt in der Natur der Sache. Ein sehr reicher Mann wird in Geldstrafen ganz anders angefaßt als der normale Durchschnittsstaatsbürger, der eben auf normaler Basis sein Leben fristen muß. Wenn man dann aber bei der Geldstrafe, die bei einem Wohlhabenden seines Reichtums wegen so hoch bemessen ist, bei summenmäßiger Gleichheit von gleich schwerer Bestrafung ausgeht, so wird damit ein Unrecht begangen. Der richtige Vergleich ist meines Erachtens allein der, daß alle Geldstrafen, deren Ersatzfreiheitsstrafe innerhalb der Amnestiegrenze liegt, erlassen sein müssen; sonst wird mit zweierlei Maß gemessen.
    Es gibt noch eine Reihe von sonstigen Einwendungen. Ich möchte meinem Herrn Vorredner nur eines entgegnen. Wenn wir in die Amnestie irgendwelche Vorausetzungen der Gesinnung oder des subjektiven Straftatbestandes einbauen, so gefährden wir nicht nur das ganze Gesetz, sondern machen damit einen Apparat bei der Staatsanwaltschaft und bei den-Gerichten notwendig, der die ganze Vorlage in der Praxis unter Umständen über den Haufen wirft. Der Herr Justizminister hat vollkommen recht: Amnestien müssen einen sehr einfachen, klaren Tatbestand haben, damit sozusagen auf den ersten Blick gesehen werden kann: fällt dieses Urteil im Tenor unter die Amnestie oder nicht? Eine Durcharbeitung von Akten nach ihrem Inhalt und eine Abwägung der Motive


    (Ewers)

    des Täters ist bei einer wahrhaften Amnestie aus praktischen und rechtspolitischen Gründen nicht zweckmäßig.
    Ich möchte nur um eines bitten. Zur Amnestievorlage wird jeder Jurist diese oder jene Wünsche haben. Mit einer Durcharbeitung aller solcher Wünsche würde die Vorlage in ihrer eiligen Abwicklung gefährdet. Ich möchte daher bitten, sich im Ausschuß darüber zu einigen, daß man sich zur raschen Arbeit auf der Basis der Vorlage anhält und sich insoweit in den Einzelbestimmungen abstimmt. Ich erkläre ebenso wie mein Herr Vorredner, daß wir eine Amnestie, die sich bei allgemeinen Delikten auf nur 6 Monate Gefängnis bezieht, für die unterste Grenze des Möglichen halten, wenn wir bedenken, wie sehr wir heute beim Beginn eines neuen Staates sind.
    Was die Zentrumsvorlage anlangt, so lehnt sie meine Fraktion schon deshalb ab, weil ihre Diktion Nazigesetzen entnommen ist. Man kann ihren Wortlaut aus dem Nazirecht ohne weiteres ablesen. Solche Bezugnahme auf die frühere Zeit mit umgekehrten Vorzeichen lehnen wir grundsätzlich ab. Wit glauben auch, daß praktisch alles, was dort gefordert wird, durch die Amnestievorlage der Regierung schon erledigt wird. Ich würde daher empfehlen, daß das Haus über die Zentrumsvorlage zur Tagesordnung übergeht, weil sie durch den Regierungsentwurf sachlich erledigt ist. Ich beantrage dies hiermit.