Rede von
Paul
Harig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt die 'Drucksache Nr. 209. Sie behandelt die einmalige Winterbeihilfe für alle Empfänger der Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Es ist unbestritten, und wir können an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß der Reallohn des Arbeiters sich so um 60 Prozent herum bewegt, und — Sie werden lachen - ich berufe mich hier auf einen Zeugen aus den Fraktionen der Regierungskoalition, der gerade vor einigen Minuten hier festgestellt hat, daß die Diskrepanz zwischen Löhnen und Preisen ungeheuer ist. Ich meine den Herrn Kollegen Dr. Middelhauve. Es ist also eine Tatsache, daß bei diesem Verdienst der arbeitenden Bevölkerung Rückstellungen oder Rücklagen nicht gemacht werden können. Also derjenige, der arbeitslos wird, wird von Anfang an vor einem Nichts stehen, und diejenigen, die schon länger arbeitslos sind, werden erst recht tief in der Not stecken.
Und nun zu der Geschichte selbst. Die Arbeitslosenversicherung schreibt zum Beispiel vor, daß derjenige, der, sagen wir, in den letzten 13 Wochen 48 Mark pro Woche verdient hat, für seine aus Mann, Frau und zwei Kindern, also aus vier Personen bestehende Familie 27 DM pro Woche an Unterstützung bekommt. Das sind dann im Monat 121 DM. Meine Damen und Herren, 121 DM Einkommen für eine vierköpfige Familie! Hiervon müssen noch die sogenannten fixen Kosten in Abzug gebracht werden, davon müssen die Mieten, Kohle, Licht, Schuhreparaturen usw. usw. noch bezahlt werden. Ein kleiner Überblick über diese sogenannten fixen Ausgaben oder Kosten ergibt, daß wir von den 121 DM rund 55 DM in Abzug bringen können. Es verbleiben somit dem Arbeitslosen noch 66 DM für den ganzen Monat, wovon er den Unterhalt für eine vierköpfige Familie bestreiten soll, das sind also ungefähr 14 DM pro Woche. Nun sagen Sie selbst: Kann davon eine Familie mit vier Köpfen bestehen? Kann sie davon ernährt werden?
Vor gar nicht langer Zeit hat Frau Dr. Marga Rolfin vom Sozialforschungsinstitut in Münster festgestellt, daß allein 140 DM für die Lebensweise eines Arbeiters mit einer Familie von vier Köpfen pro Woche notwendig sind. Sehen Sie: Weil wir nicht nur eine Diskrepanz zwischen Preisen und Löhnen feststellen, sondern auch eine Diskrepanz zwischen den Feststellungen, die von Instituten gemacht werden, zu denen Sie ja auch Vertrauen haben, und der wahren Tatsache, also dem wahren Einkommen der Arbeitslosen, deshalb können Sie sich dem Antrag nicht widersetzen. Er besagt, daß man zumindest jetzt zum Anbruch des Winters dem Arbeitslosen irgendeine Unterstützung zuteil werden läßt, die ihm gestattet, entweder Kartoffeln oder Kohlen einzukellern oder für seine Kinder ein Paar Schuhe oder warme Unterkleider oder sonst ein Wäschestück anzuschaffen.
Schon in der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler gesagt: Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer Gerechtigkeit wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein. Meine Damen und Herren, ich glaube, hier ist der Regierung eine Gelegenheit geboten, dieses Versprechen zu erfüllen. Es muß aber auch damit Schluß gemacht werden — und darauf möchte ich ganz besonders dringlich hinweisen —, daß man aus dem Arbeitsstock Beträge zu anderen Zwecken als denen entnimmt, für die sie von den Arbeitern selber zusammengekratzt worden sind. So sind noch in der jüngsten Vergangenheit in der französischen Zone aus dem Arbeitsstock Gelder zur Deckung von Besatzungskosten entnommen worden.
Ich denke, daß das ein Mißbrauch ist, den wir nicht dulden dürfen. Die Beiträge, die von den Arbeitern an eine Versicherung abgeführt werden, gehören nach der Meinung meiner Fraktion nur diesen Arbeitern, denn sie haben sich ja gegen irgend etwas versichert. Man sollte die Finger von Geldern lassen, die nur den Versicherungsträgern gehören.
Wir sind davon überzeugt, daß die Not der Arbeitslosen auch durch diesen Antrag, falls er angenommen werden sollte nicht beseitigt wird Wir
sind davon überzeugt, daß die Not der Arbeitslosen erst dann beseitigt wird, wenn die Arbeitslosigkeit selbst beseitigt sein wird. Wir sind der
Überzeugung, daß die Arbeitslosigkeit nur beseitigt werden kann, wenn wir dem Problem der
Vollbeschäftigung nähertreten. Erst wenn dieses
Problem gelöst ist, werden wir uns mit solchen
Anträgen nicht mehr zu beschäftigen brauchen.
Wir können auch nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß es auch Länder gibt — oder schon
Länder gibt! —, in denen dieses Problem gelöst ist.
- Bitte schön! Wenn das gelöst ist, dann brauchen wir von der kommunistischen Fraktion derartige Anträge nicht mehr zu stellen. Sehen Sie, es gibt eben Leute, die in der Frage der Akkumulation von Kapital sehr firm sind,
aber in der Frage der Lösung des Problems der Vollbeschäftigung haben sie bislang immer noch versagt.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, daß ich ganz kurz auf folgendes hinweise. Ich denke, Sie sind mir nicht böse, wenn ich das erkläre.