Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von den sozialpolitischen Aufgaben, die der Bundestag in Angriff nehmen muß, erscheint die Regelung der Heimkehrerbetreuung und die Schaffung eines neuen einheitlichen Versorgungsrechts für die Kriegsopfer besonders vordringlich zu sein. Gegenwärtig haben wir auf dem Gebiet der Heimkehrerbetreuung den Zustand zu verzeichnen, daß in allen elf westdeutschen Ländern die Betreuung nach den verschiedensten Maßstäben und Richtlinien vorgenommen wird.
Aber selbst innerhalb der Länder bestehen dann
noch die verschiedensten Möglichkeiten in den einzelnen Städten und Gemeinden. Daß ein solcher Zustand nicht nur zu großen Ungerechtigkeiten und, Härten, sondern auch zu einer maßlosen Verbitterung der Heimkehrer führen mußte, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Hinzu kommt aber, daß ein großer Teil gerade der Spätheimkehrer so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten gefunden haben und daß sie ferner — und das gilt besonders für meine Landsleute, deren Heimat in den deutschen unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten liegt — eine völlig unzureichende Arbeitslosenunterstützung erhalten. Ihre Notlage wird noch dadurch verstärkt, daß auch ihre wohnliche Unterbringung nur in den allerseltensten Fällen gelingt und sie weiter in mehr oder weniger schönen Massenunterkünften untergebracht werden müssen, ohne die Gelegenheit zu haben, mit ihren Familienangehörigen, von denen sie viele Jahre getrennt waren, nun endlich vereint werden zu können.
Nach den mir vorliegenden zuverlässigen Berichten sind von den in den letzten Monaten zurückgekehrten Heimkehrern seit ihrer Entlassung über 30 000 ununterbrochen erwerbslos. Niemand wird sich der Tragik, des Schicksals dieser Menschen verschließen können, die durch jahrelange Gefangenschaft unter entsetzlichen Verhältnissen gedarbt und gelitten haben und nun auch heute wieder in völlig ungeklärten Verhältnissen leben.
Hier Wandel zu schaffen und diesen Menschen unter allen Umständen einen neuen Start für das Leben zu gewährleisten, wird Sache der Regierung und des Bundestages sein müssen. Wenn schon durch die gegenwärtigen Verhältnisse ihre Unterbringung im Arbeitsprozeß zur Zeit nicht möglich ist, dann wird durch eine über den Rahmen der sonstigen Leistungen hinausgehende Regelung in der Arbeitslosenunterstützung ein kleines Äquivalent geschaffen werden müssen. Das gilt auch für die zum größten Teil kranken Heimkehrer, bei denen sich die Einkommensverhältnisse vor ihrer Einberufung zum Herresdienst nicht mehr klären lassen und die daher nur eine kleine Krankenunterstützung beziehen. Sie bekommen zum Teil so niedrige Krankenunterstützung, daß oftmals die öffentliche Fürsorge zusätzlich Hilfe leisten muß. Das aber scheint mir ein unwürdiger Zustand zu
sein, den gerade diese Menschen nicht verdient haben. Auch dieser Zustand muß unter allen Umständen beseitigt werden.
Für die jüngeren, oftmals von der Schulbank eingezogenen Heimkehrer, die keinen Beruf erlernen konnten, muß durch wirklich ausreichende Beihilfe für ihre berufliche Ausbildung und für ihre Fortbildung und Umschulung Sorge getragen werden, und nicht zuletzt, ähnlich wie bei den Kriegsopfern, muß den Heimkehrern für mehrere Jahre eine besondere Vergünstigung in der Steuergesetzgebung eingeräumt werden. Für die selbständigen Existenzen müssen aber, ähnlich wie es in dem Antrag zum Ausdruck kommt, wie für die Vertriebenen und Ausgebombten Mittel für die Existenzschaffung und -sicherung in ausreichender Höhe bereitgestellt werden. Das Entlassungsgeld muß endlich einheitlich im gesamten Bundesgebiet so bemessen werden, daß den Heimkehrern neben der Anschaffung der notwendigsten Kleidung auch ein zusätzlicher Betrag für die Erholungszeit und zum Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verbleibt.
Diese Gedankengänge haben seinerzeit in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vom 14. Oktober ihren Niederschlag gefunden. Sie sind identisch mit einem großen Teil der Forderungen, die auch die Heimkehrer selbst in ihren Organisationen gestellt haben. Diese Aufgaben sind vordringlich und müssen schnell - so schnell wie möglich — durch Gesetz erfüllt werden.
Es bleibt dann immer noch eine ganze Anzahl von Fragen offen, wie etwa die Frage einer Entschädigung für die in den Verwahrungsländern geleistete, aber nicht entschädigte Arbeit auf das Konto der Reparationen. Diese und andere Fragen bedürfen einer eingehenden Prüfung. Aber das, was in dem sozialdemokratischen Antrag und in dem Antrag des Ausschusses für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen als Grundsätze herausgearbeitet wurde und was die Billigung aller Parteien gefunden hat, muß nun endlich schleunigst verabschiedet werden.
Sehr wichtig erscheint uns auch, daß die Regierung die Fortführung des Suchdienstes sicherstellt, der zum Erliegen kommen muß, weil die bisherigen finanziellen Quellen versiegten.
Bei der Anerkennung der auf diesem Gebiet geleisteten wertvollen Arbeit durch die großen Wohlfahrtsorganisationen gedenke ich auch der großen Leistungen vieler freiwilliger Helfer, und ich gedenke auch der Arbeit, die die Kriegsgefangenenhilfe der Sozialdemokratischen Partei geleistet hat. Aber dieses Gesetz muß über den Kreis der in Kriegsgefangenschaft geratenen ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht hinaus auch all die deutschen Männer und Jugendlichen, besonders aber die unglücklichen Frauen und Mädchen aus den alten deutschen Ostgebieten einschließen, die in den Jahren 1945 und 1946 von der Roten Armee und von den Polen unter den härtesten Bedingungen verschleppt worden sind.
Nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte zivilisierte Welt ist es eine erschütternde Bilanz, daß 41/2 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten neben Hunderttausenden ehemaliger Wehrmachtsangehöriger auch noch fast 60 000 deutsche Frauen und Mädchen sich in den Gewahrsamsländern befinden.
Wir können unser Befremden nicht verhehlen, daß die Bundesregierung, obwohl auch ihr die Dringlichkeit des Anliegens der Heimkehrer bewußt sein mußte, bis heute noch zu keinem Gesetzentwurf gekommen ist, der von allen Parteien — das möchte ich hier betonen — im Ausschuß als besonders dringlich bezeichnet worden ist. Bei aller Würdigung der Schwierigkeiten, die der Neuaufbau der Verwaltung sicherlich mit sich gebracht hat und die man auch unbedingt anerkennen muß, darf man aber nicht übersehen, daß die Bundesregierung in der Zwischenzeit viele Wochen auf einen mit größter Kraftanstrengung geführten Kampf um die Bundeshauptstadt verwendet hat, als wenn es sich dabei um eine entscheidende Lebensfrage für das Volk handelte, anstatt sich besser um dieses soziale Anliegen der Heimkehrer und Kriegsopfer zu kümmern.
Weder wir — noch der größte Teil des deutschen Volkes — haben Verständnis dafür, daß ausgerechnet das Beamtenrecht und einige andere sehr viel weniger wichtige Fragen von der Regierung dem Parlament unterbreitet wurden, anstatt endlich einmal auf sozialpolitischem Gebiet die Initiative zu ergreifen.
Wir möchten daher mit aller Entschiedenheit das
Verlangen stellen, daß die von dem Ausschuß erarbeiteten Grundsätze nunmehr sofort in einem
Entwurf der Regierung dem Bundestag zur sofortigen Beschlußfassung übermittelt werden, damit die ungeheure seelische und materielle Not der
Heimkehrer und Heimkehrerinnen in den wichtigsten Punkten, wenn nicht beseitigt, dann aber
wenigstens entscheidend gelindert werden kann.