Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ankündigung der Bundesregierung in der Regierungserklärung des Kanzlers, daß eine Amnestie in Erwägung gezogen werde, hat wohl einmütigen Beifall gefunden. Wir stehen heute am Ende einer Periode ungeheurer Wirrnis, die für weiteste Bevölkerungsschichten elementarste Notstände mit sich gebracht hat. Es ist aber darüber hinaus wichtig zu sagen, daß wir — so hoffen wir wenigstens — auch am Ende einer Rechtswirrnis, einer Rechtsunsicherheit stehen, die aus den allgemeinen Zuständen nach dem Zusammenbruch resultierte und die auch damit zusammenhängt, daß sich neue Grundlagen rechtsstaatlichen Denkens und Handelns bei uns erst wieder finden müssen. Nach alledem braucht nicht weiter begründet zu werden, daß am Anfang dieses neuen Staates eine Amnestie stehen soll, die allen denen zugute kommt, welche aus Gründen, die allgemeines Verständnis finden, gestrauchelt sind.
Die Amnestie muß klar sein, und sie muß einfach sein, wenn sie schnell und wirksam durchgeführt werden soll, ohne daß einem großen Apparat vermeidbare Schwierigkeiten bereitet werden. Aus diesem Grunde schon geben wir dem Regierungsentwurf den Vorzug vor dem Zentrumsentwurf, der subjektive Voraussetzungen enthält und allgemeine Ausschließungen vornimmt, von denen eine besonders gefährlich ist, weil sie politisch diskriminierender Art ist. Wir können uns den Entwurf in einer noch schlagkräftigeren, vereinfachten Form insofern vorstellen, als es uns nicht notwendig zu sein scheint, jene Staffelung vorzunehmen, wie sie in § 2 Absatz 1 und 2 vorgesehen ist. Es sollte einheitlich bei allen Delikten auf einen Rahmen abgestellt werden, der durch die Angabe der Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr und der Geldstrafe bis zu 10 000 DM gegeben ist. Dieser Rahmen ist insbesondere für die Wirtschaftsvergehen erforderlich; denn wir wissen, daß gerade in der Reichsmark-zeit Geldstrafen verhängt worden sind, die über den üblichen Rahmen weit hinausgingen und deswegen nach dem bisherigen Absatz 2 des § 2 nicht erfaßt würden. Daraus ergibt sich dann auch eine entsprechende Abänderung der folgen-
den Paragraphen, um diesen einfachen Rahmen von einem Jahr Gefängnis und 10 000 DM Geldstrafe durchweg zum Tragen zu bringen.
Besonders wichtig erscheint uns, daß gemäß den Vorschlägen des Bundesrats in § 7 die Ziffer 1 gestrichen wird, die sich auf Bestechungen bezieht, und die Ziffer 3, die Vergehen und Verbrechen betrifft, zu deren Aburteilung gemäß der Verordnung Nr. 69 der Militärregierung der britischen Zone die Spruchgerichte zuständig sind. Es handelt sich dabei durchaus um Straferkenntnisse, Strafurteile der Spruchgerichte der britischen Zone, und deswegen gehört die Amnestierung dieser Erkenntnisse durchaus zum Inhalt des Amnestiegesetzes. Wir stimmen dem Bundesrat darin bei, daß die Amnestierung von Strafen aus Erkenntnissen der Spruchgerichte in der britischen Zone, soweit sie unter den Rahmen des Amnestiegesetzes fallen, nicht auf demnächstige Maßnahmen im Zuge der Beendigung der Entnazifizierung verschoben werden sollte, weil die Erkenntnisse der Spruchgerichte regelrechte Strafurteile sind.
Wir bedauern, daß das Gesetz erst jetzt soweit vorbereitet ist, daß wir es in erster Lesung verabschieden können. Es ist dringend erforderlich, die zweite und die dritte Lesung noch vor Weihnachten vorzunehmen. An den Verzögerungen, die entstanden sind, waren gewisse Zuständigkeitsstreitigkeiten schuld, die für uns keine Substanz haben. Es ist richtig: wir sollten jedes Bedenken ernst nehmen, das aus dem Geiste des Grundgesetzes geltend gemacht wird; denn es handelt sich um nicht weniger und nicht mehr als darum, daß wir bemüht sein wollen, einen wirklichen Rechtsstaat aufzubauen. Aber es scheint uns doch recht klar zu sein, daß die Zuständigkeit des' Bundes zum Erlaß des Amnestiegesetzes mit Fug nicht bestritten werden kann, da es sich doch nicht leugnen läßt, daß es sich bei dem Amnestiegesetz um ein Gesetz strafrechtlichen Gehalts handelt und somit Ziffer 1 des Artikels 74 des Grundgesetzes anwendbar ist,
und da weiter nicht bestritten werden kann, daß die Wahrung der Rechtseinheit die einheitliche bundesgesetzliche Regelung notwendig macht, so daß auch der Artikel 72 Absatz 2 Ziffer 3 des Grundgesetzes anwendbar ist.
Es hat aber noch ein anderer Umstand mitgewirkt und trägt daran schuld, daß dieses Gesetz immerhin erst drei Monate nach dem Termin wirksam wird, auf den die Amnestiemaßnahmen abgestellt sind: das ist die Schwerfälligkeit unserer gesetzgeberischen Maschinerie, wie sie nach dem Grundgesetz vorgesehen ist. Wir hoffen, daß durch ein reibungsloses Zusammenarbeiten aller Organe die Gesetzgebungsmaschinerie in ihrer Leistungsfähigkeit doch so entfaltet wird, daß ein Umbau des Grundgesetzes in dieser Richtung nicht erforderlich wird.