Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Berufung des Herrn Antragstellers auf Artikel 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes geht fehl. Natürlich ist jede staatliche Tätigkeit irgendwie eine Tätigkeit der öffentlichen Fürsorge, denn der Staat ist nach unserer Meinung ja nicht eine Kanaille, sondern ein wohlwollender Vater der Bevölkerung, der Menschen.
Der Begriff der öffentlichen Fürsorge liegt gesetzlich fest. Dieser Gesetzentwurf aber hat in allen seinen Bestimmungen ausschließlich und eindeutig polizeilichen Charakter. Niemand wird in der Lage sein, auch nur eine einzige Bestimmung in ihm nachzuweisen, die dem Charakter einer wirklich echten Fürsorge im Sinne der Ziffer 7 des Artikel 74 Rechnung trüge.
Aber selbst wenn es sich hier um ein solches Fürsorgegesetz handelte, wäre erst noch zu prüfen, ob eine der erforderlichen Voraussetzungen des Artikel 72 Absatz 2 gegeben ist. Wir sehen nicht ein, warum es nicht möglich sein soll, daß die Länder eine in den Grundlagen übereinstimmende Gesetzgebung auf dem Gebiete des Jugendschutzes mit den Zielen dieses Antrages herbeiführen.
Artikel 30 des Grundgesetzes sagt ausdrücklich:
Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und
die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist
Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz
keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Das Grundgesetz läßt aber keine andere Regelung zu. In einer der ersten Sitzungen dieses Hohen Hauses hat ein Abgeordneter mit Recht erklärt, es handle sich für den Bundestag darum, die Verfassung anzuwenden, nicht sie einzuschränken, aber — so sagte der Abgeordnete weiterhin — sie auch nicht zu erweitern oder auszubauen. Wir sind deshalb einigermaßen erstaunt — um es gelinde auszudrücken —, daß ausgerechnet aus den Reihen einer Partei, die sich als föderalistisch bezeichnet,
ein solcher Gesetzentwurf beantragt wird, der in Wahrheit sachlich-gegenständlich eine Erweiterung der Bundeszuständigkeit bedeuten und damit einen höchst bedenklichen Präzedenzfall für weitere Ausweitungen schaffen würde.
Wir sind entschlossen, die ganze Konsequenz aus unserer Haltung gegenüber diesem Entwurf zu ziehen, nämlich ihn für verfassungswidrig zu bezeichnen.
In jedem Einzelfall hätte sich der Strafrichter mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit zu beschäftigen. Meine Fraktion würde außerdem nach Schaffung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht die zur Beseitigung eines solchen Übergriffs und zur Sicherung der klaren Zuständigkeiten der Länder notwendigen Anträge beim Bundesverfassungsgericht zu stellen haben.
Ich erkläre also: Auch wir sind der Meinung, daß gewisse Vorkehrungen zum Schutze der Jugend getroffen werden müssen. Wir sind aber der Ansicht, daß solche Maßnahmen vor allem auf dem Gebiete einer Reform der gesellschaftlichen Zustände ergriffen werden müssen.
Auch die Metaphysik der Menschen findet ihre Grenze dort, wo physiologisch, wo einfach existentiell untragbare Zustände herrschen.
Gerade diese ernsten Überlegungen sollten wir anstellen, um uns vor dem Irrtum zu bewahren, von Polizeigesetzen das Allheilmittel für ruinöse gesellschaftliche Zustände zu erwarten.
Ich bin der Meinung, daß der Gesetzentwurf erstens verfassungswidrig ist, zweitens in seiner Grundtendenz, das heißt in seinem Ausgangspunkt falsch ist, weil er glaubt, mit polizeilichen Mitteln gesellschaftliche Mißstände oder Katastrophen beseitigen zu können.