Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich hatte nicht die Absicht, zu diesem Problem das Wort zu nehmen. Aber die Herren Vorredner haben es herausgefordert; da darf etwas nicht unwidersprochen bleiben. Denn ich sehe eine Gefahr für die Diskussion in der Zukunft. Wenn es um soziale Probleme und ihre Lösung geht, Probleme, die das ganze deutsche Volk angehen, dann ist es nach meiner Auffassung nicht gut, daß man einen solchen Antrag dazu benutzt, hier eine große Rede zu halten, wenn von vornherein feststeht, daß im Ausschuß alle Parteien gleichermaßen, getragen von derselben Verantwortung und vom gleichen Ernst, um die Lösung des Problems gerungen und mit dem gleichen Ernst auch das gleiche gewollt und veranlaßt haben.
- Das ist zwar anerkannt worden. Deshalb sollte man sich aber davor hüten, bei den Dingen, die als die große soziale Not unserer Gegenwart doch allen bekannt sind und uns allen nicht nur auf den Nägeln, sondern im Herzen brennen, sich zu irgendwelchen Debatten verleiten zu lassen, mit denen ich zwar sachlich restlos mit Ihnen, Herr Leddin, übereinstimme, bis auf den einen Punkt: Es ist nicht Schuld der Regierungsparteien, daß wir bei der Lösung der sozialen Probleme in so vielen Wochen praktisch nicht vorwärtskommen konnten. Nicht wir, auch nicht die Koalitionspartner haben den Antrag gestellt, über die Hauptstadtfrage eine Diskussion zu entfachen, die wir uns hätten ersparen können.
Daß ich mich nun noch mit den Ausführungen des Kollegen Renner beschäftige, geschieht nur deswegen, weil ich der Meinung bin, daß das Hohe Haus wissen sollte, von welchen Gesichtspunkten wir geleitet waren, als wir den Grundsatz der Bedürftigkeitsprüfung, vielmehr den Grundsatz der Prüfung in diesem Falle im Gegensatz zu unserer sonstigen Auffassung ablehnten. Der Grundsatz der Bedürftigkeitsprüfung, wie ihn die Wohlfahrt anwendet, und das, was wir hier nicht angewendet haben wollen, ist etwas ganz anderes. Dazu bitte ich Sie, Ihnen erklären zu dürfen, daß es uns im Ausschuß sehr ernsthaft darum ging, nicht etwa einen Sonderstand der Heimkehrer und nicht etwa ein sozialpolitisches Gesetz für Heimkehrer zu schaffen, das die Rechtsansprüche für Heimkehrer für alle Zeit festlegen sollte, sondern daß es uns vielmehr ein sehr ernstes Anliegen ist, die Heimkehrer so schnell wie möglich wirklich „heimkehren" zu lassen, das heißt, ihre Probleme nicht mehr einer besonderen gesetzlichen Regelung unterliegen zu lassen. Deshalb haben wir im Ausschuß gesagt, daß es bei der großen Not und Leere der Kassen in allen Ländern nicht darauf ankommen kann, alle n einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag zu geben, sondern daß das Problem nur so gelöst werden kann, daß der Sohn, der auf seinen Bauernhof, in seinen Handwerksbetrieb oder in seine alte Stellung
zurückkehrt, aufgenommen von der Familie, zurückkehrend in die Umgebung, die ihm eine gesicherte Heimkehr bieten kann, verzichten muß zugunsten des vertriebenen, des alleinstehenden Heimkehrers, der ohne Familienhilfe, ohne jede Sicherheit, ohne die alte Existenz, die ihn wieder aufnimmt, nun mit der großen Not der Zeit fertig werden muß.
Nur aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns im Ausschuß gegen Ihren Vorschlag gewandt, Herr Kollege Renner. Das muß um der Wahrheit willen gesagt sein, nicht etwa um verschiedenes Recht zu schaffen, sondern um wirklich denen grundlegend zu helfen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Aber nach dem gleichen Grundsatz soll der Staat von dieser Verpflichtung bei all denen befreit werden, denen die Möglichkeit der Hilfe — sei es über die Familie, über den Betrieb oder durch eigene Kraft — gegeben ist, um sich wieder auf ihre eigenen Füße zu stellen.
Es hat mich sehr gerührt, Herr Kollege Renner, daß gerade Ihre Partei sich so außerordentlich der Heimkehrer annimmt Ich darf an Sie die Bitte richten, daß auch Ihre Partei — --
Ich bin wirklich gerührt! Ich hoffe, daß Sie sich mit der gleichen Anteilnahme für die deutschen Frauen einsetzen werden, die noch nicht heimkehren konnten.
Der Vertreter der Regierung hat uns schon im Ausschuß gesagt, weshalb die Möglichkeit eines Sofort-Gesetzes - das heißt also die Vorlage eines Gesetzes innerhalb von 8 oder 14 Tagen - noch nicht besteht. Wir haben im Ausschuß die Regierung gebeten, dieses Gesetz nicht erst zu Anfang des neuen Jahres, sondern nach Möglichkeit noch im Monat Dezember zu verabschieden. Es ist uns zugesagt worden; es wurde uns auch zugesagt, daß die Besprechungen mit den Ländern schnellstens geführt werden sollen. Wir sollten uns angewöhnen — das ist der Grund, weshalb ich das Wort ergriffen habe —, bei so ernsten Problemen der deutschen Massennot darauf zu verzichten, irgendwelche Propagandareden zu halten,
sondern wir sollten nur die gegensätzlichen Auffassungen über den Weg darlegen. Über das Ziel werden wir sehr selten gegensätzlicher Auffassung sein. Wir sollten die gegensätzlichen Auffassungen über den Weg, der zu beschreiten ist, in die sachliche Atmosphäre der Ausschußarbeit verlegen.