Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich will der Mahnung des Herrn Präsidenten mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Bundestages folgen und mich auf eine ganz kurze grundsätzliche Untersuchung der Frage der verfassungsmäßigen Zuständigkeit beschränken. Wir stehen vor der unerfreulichen Situation, daß in diesem Anfangsabschnitt der Legislative Gesetzentwürfe vorgelegt werden, bei denen die Frage der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern immer wieder aktuell wird. Dadurch aber, daß der in Artikel 94 Absatz 2 vorgesehene Gesetzentwurf über die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht möglich war, besteht die fatale Lage, daß diese Zuständigkeitsfragen durch Mehrheitsbeschlüsse geklärt, erledigt und entschieden werden, ohne daß — wie unsere angespannte Geschäftslage zeigt — eine eindringende Untersuchung möglich ist und die notwendigen Argumente geprüft werden.
Der Herr Bundesjustizminister hat im Bundesrat, der mit 25 gegen immerhin 18 Stimmen die Frage der Bundeszuständigkeit bejaht hat, erklärt, es liege ihm daran, die Angelegenheit durchzupauken; es sei nicht damit gedient, daß die Bundeszuständigkeit sozusagen nur toleriert würde. Dieser Auffassung bin ich ebenfalls. Die Möglichkeit zur verfassungsrechtlichen Austragung fehlt uns, weil eine verfassungsrechtliche Lücke wegen der bisherigen Nichtausführung des Artikel 94 Absatz 2 vorhanden ist. Diese Lücke vermag auch der Ausschuß zum Schutze der Verfassung nicht auszufüllen.
Im einzelnen! Ich spreche nicht von Begnadigung, ich spreche von Amnestie; das heißt: von einem Massenerlaß von Strafen. Es scheint mir, daß es bis jetzt an der nötigen scharfen juristischen Unterscheidung gefehlt hat. Die Amnestie
ist in zwei Grundformen möglich, zunächst in der Form der Aufhebung eines Strafgesetzes für eine Vielzahl generell bestimmter Straftatbestände selbst. Wenn ein solches Straffreiheitsgesetz gemeint wäre, dann würde allerdings nach Artikel 74 Ziffer 1 — hier stimme ich, unter diesem Vorbehalt, mit dem Herrn Bundesjustizminister überein — eine Zuständigkeit des Bundes gegeben sein. Ich werde gleich in der Lage sein zu beweisen, daß ein solches Straffreiheitsgesetz in dem von mir angedeuteten Sinn in dem Entwurf nicht vorliegt.
Die zweite große Grundgruppe der Amnestiegesetze umfaßt den Verzicht des Staates auf die ihm zustehende Strafklage, das heißt, den Verzicht des Staates auf Strafverfolgung und — im Falle eines durchgeführten Verfahrens — auf Strafvollstreckung. Der Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsanspruch als Ausfluß des Strafklagerechtes ist ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder als der verfassungsmäßigen Sachwalter der Strafrechtspflege gegeben.
Mit anderen Worten: Wenn es in einem gewissen Zeitpunkt nicht um die Aufhebung des Strafgesetzes selbst für eine Gruppe generell bestimmter Tatbestände geht, dann besteht grundsätzlich keine Zuständigkeit des Bundes. Sie bestünde nur dann, wenn ein Bundesobergericht in erster und einziger Instanz zuständig wäre. Wo aber die erste Instanz in der Zuständigkeit der Ländergerichte liegt, ist der Verzicht auf die Strafklage als Inbegriff des Strafverfolgungs- und Straf vollstreckungsanspruchs ausschließlich Sache der Länder.
Der Gesetzentwurf bestimmt in § 2 Absatz 1: Die Gefängnisstrafen usw. werden erlassen, wenn die Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt oder die Geldstrafe noch nicht gezahlt worden ist. Ist sie verbüßt oder gezahlt, dann hat der Arme, der zufällig früher in die Mühle geraten ist, nichts zu bestellen und nichts zu fordern. Aus dieser Bestimmung ergibt sich ganz klar, daß es sich nicht um die Aufhebung des Strafgesetzes selbst dreht, sondern um den Verzicht auf die Strafklage, weil im andern Fall dem derartig Bestraften ein Entschädigungs- und Rückerstattungsanspruch gegen den Staat zugebilligt werden müßte. Es hätte, meine Damen und Herren, daher auch eine Bestimmung getroffen werden müssen, wonach die derart abgebüßten Strafen auch auf Straffälle angerechnet werden, die über der Höchstgrenze der Amnestiebestimmungen liegen. Mit anderen Worten: es müßten dann die erlaßbaren Strafen und Strafmaße, soweit sie abgesessen oder gezahlt sind, auf die über die Amnestiegrenzen hinausgehenden Strafen angerechnet werden. Auch das ist nicht vorgesehen.
Ebenso ist in Absatz 2 bestimmt, daß ein Erlaß bei Zuwiderhandlungen gegen die Strafvorschriften von Bewirtschaftungsgesetzen stattfindet, wenn die Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt oder die Geldstrafe noch nicht gezahlt ist. In Absatz 4 heißt es ausdrücklich, daß gewisse Nebenstrafen, Strafnebenfolgen, Sicherungs- und Besserungsmaßnahmen aufrechterhalten werden sollen. Das ist der eklatanteste Beweis dafür, daß das Strafgesetz selbst nicht aufgehoben ist, sonst könnte nicht ein Teil der Strafen, der Straffolgen und Nebenstrafen aufrechterhalten werden. Diese Regelung zeigt, daß das Strafgesetz selbst in Kraft blieb und daß nur ein Verzicht auf die Strafklage erfolgen soll. Ich kann darauf verzichten, näher auszuführen, daß in § 3 Absatz 4 und in § 4 Absatz 2 und 3 sich die gleichen Argumente finden.
Meine Damen und Herren, der Sinn der Abgrenzung der Zuständigkeit der Länder gegenüber dem Bund ist doch der, daß die Artikel 30, 70 und 83 grundlegend beachtet werden müssen, und daß eine Zuständigkeit des Bundes nur im Rahmen und unter Berücksichtigung dieser Grundsatzvorschriften entschieden werden kann. Der Sinn des Artikel 74 ist, daß die Zuständigkeit des Bundes in einem restringierenden, strengen Sinn abgegrenzt werden muß. Hätte man es anders gewollt, dann hätte es überhaupt der Einfügung einer konkurrierenden Gesetzgebung gar nicht bedurft; dann hätte man dem Bund glattweg die ausschließliche Gesetzgebung auf allen Gebieten dieser Artikel, die in Frage kommen, zuweisen können. Das war aber eben gerade nicht der Wille des Gesetzgebers, weil hier föderalistische Minimalprinzipien, will ich einmal sagen, gewahrt bleiben sollten. Ich hätte wohl den Wunsch gehabt, die Bayerische Staatsregierung hätte diesen Entwurf nach einer entsprechenden Verbesserung als Landesgesetz erlassen.