Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider etwas spät geworden, bis man zu der Beratung des Amnestiegesetzes gekommen ist. Zu den wichtigsten Umständen bei dem Erlaß dieses Amnestiegesetzes sollte es eigentlich gehören, daß es nicht monatelang vorher die Rechtspflege beunruhigt, bevor es beschlossen wird. Wir stehen
jetzt vor der Notwendigkeit, dieses Gesetz wenigstens noch vor Weihnachten zu verabschieden, das besser schon im Oktober beschlossen worden wäre.
Nun liegt uns, nachdem das Zentrum den Gedanken des Amnestiegesetzes angeregt hat, ein Regierungsentwurf vor, dessen Großzügigkeit in gewisser Richtung ich gern anerkenne. Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu wollen, die der Herr Justizminister angeregt hat, unterliegt es für unsere Fraktion keinem Zweifel, daß der Bund für dieses Gesetz zuständig ist. Aus dem Begleitbericht und der Begründung, die der Herr Justizminister soeben gegeben hat, haben wir entnommen, daß man sich sowohl im Bundesrat wie in Kreisen der Regierung ernste Gedanken über die Zuständigkeit gemacht hat. Wir haben von Anfang an die Zuständigkeit des Bundes für gegeben gehalten, weil unter die konkurrierende Gesetzgebung zumindest und in erster Linie die Strafrechtsgesetzgebung fällt und es sich bei dieser Amnestie um einen Gesetzesakt auf dem Gebiete des Strafrechts handelt. Wir haben auch keinen Anlaß, in diesem Punkte allzu ängstlich zu sein, da auch in der Weimarer Zeit, in der die Bestimmungen weniger eindeutig und klar vorlagen, schon Amnestien vom Reichstag beschlossen worden sind.
Nachdem sich nun sowohl. der Bundesrat wie auch die Regierung auf den Standpunkt der Zuständigkeit gestellt und damit unseren prinzipiellen Standpunkt anerkannt haben, ist die Frage nach dem Stichtag aufgeworfen worden. Man kann natürlich den Stichtag nicht in eine Zeit legen, in der die Menschen schon mit dem Erlaß einer Amnestie rechneten; das würde wie eine Aufforderung wirken, nun drauflos zu sündigen. Ob der Stichtag auf den 12. September oder aus der Sorge, es könnte sich sonst eine Thronbesteigungsamnestie einbürgern, auf einen anderen in der Nähe liegenden Tag gelegt wird, ist für unsere Fraktion ziemlich gleichgültig.
Wichtiger dagegen ist schon die Frage, wie hoch man den Strafrahmen bemessen soll, der von der Amnestie betroffen wird, und welche Ausnahmen man machen soll. Wenn man Ausnahmen macht — um damit zu beginnen —, so sind wir der Ansicht, daß man sie nicht so umschreiben dürfte wie hier, daß nämlich die Tatbestände der §§ 331 ff. — das betrifft ja die Bestechung zu pflichtwidrigen und nicht pflichtwidrigen Handlungen — allesamt und ohne jede Ausnahme von der Gewährung der Straffreiheit ausgeschlossen sein sollen. Wenn man auch darüber diskutieren kann, ob die Bestechung zu pflichtwidrigen Handlungen, die Gegenstand einer Bestechung waren, ausgenommen werden soll, so muß man sich aber gerade betreffs der Vergangenheit darüber klar sein, wie sehr mancher Beamte und Angestellte im übrigen einer Versuchung ausgesetzt war, von der man sich weithin nicht die richtige Vorstellung macht. Die Not des Selbstversorgers in der großen Stadt muß man sich einmal vor Augen halten und was dabei bei etwas bösem Willen und Denunziationen und vom grünen Tisch aus betrachtet nachher als eine solche Bestechung für nichtpflichtwidrige Handlungen aufgefaßt werden kann. Es ist schwer, hier eine Grenze zu ziehen — zugegeben —, und es kann üble Konsequenzen haben, wenn solche Sitten einreißen würden. Deshalb muß man sich hüten, die Amnestie in diesem Punkte zu weit zu ziehen. Das alles zugegeben! Aber solche Taten gänzlich auszunehmen, scheint mir der Situation der Vergangenheit, unter die man einen Strich ziehen soll, doch nicht gerecht zu werden.
Wir haben in dem Antrag der Zentrumsfraktion seinerzeit vorgeschlagen, die auf kriminellen Neigungen beruhenden strafbaren Handlungen von der Amnestie auszunehmen. Es ist dagegen eingewandt worden, daß dieser Sachverhalt und Tatbestand rein subjektiv sei, im Innern liege und deshalb schwer festzustellen wäre. Weil wir das anerkannt haben, haben wir von vornherein vorgeschlagen, die Delikte auszunehmen, die wegen ihrer Wiederholung ein Verbrechen darstellen. Wenn man das nicht will, sondern es allein auf die Strafe abstellt, dann allerdings kommt man zu dem nicht zu wünschenden Ergebnis, daß mancher echte Kriminelle von dieser Amnestie profitiert. Wir halten deshalb in diesem Punkte an unserem Vorschlage fest.
Uns scheint aber, daß man gerade dann, wenn man die echten Kriminellen ausnimmt, den Strafrahmen höher setzen kann. Jetzt sind von der Regierung nur vorgeschlagen Gefängnisstrafen bis zu 6 Monaten und Geldstrafen bis zu 2 500 D-Mark. Die Gefängnisstrafe von 6 Monaten könnte für normale Verhältnisse als ausreichend hoch geschätzt angesehen werden. Wir haben aber damals in der Zeit, um welche es sich hier handelt, nicht in normalen Verhältnissen gelebt, und jeder, der mit der Gerichtspraxis der damaligen Zeit zu tun hatte, weiß, daß der Rahmen von 6 Monaten durchaus keine feste Taxe bedeutete, sondern daß es mehr dem Zufall und dem Geschmack des Gerichts und der Praxis des jeweiligen Amtsrichters überlassen blieb, ob 4 Monate oder 8 Monate Strafe verhängt wurden. Man ging deshalb in all den Fällen zwangsläufig dazu über, eine höhere Strafe zu konzedieren, wo irgendein Wirtschaftsdelikt i eine Rolle spielte.
Aber diese Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung, von der ich eben sprach, betrifft nicht nur die Fälle von Wirtschaftsdelikten, sie betrifft auch andere Fälle, die am Rande gelegen haben. Ich bin der Ansicht, daß ein Strafrahmen von 6 Monaten nicht ausreichend ist, und gerade das macht es notwendig, die echten kriminellen Taten, nämlich Rückfallsverbrechen, allgemein von der Gewährung der Amnestie auszuschließen, weil wir sonst einen Zufallskreis von Personen erfassen würden.
Generell bin ich also der Ansicht: man sollte es bei einem Strafrahmen von einem Jahr belassen, und eine Notwendigkeit dafür ergibt sich auch noch aus folgendem Umstande. Es ist Ihnen wohl auch in den letzten Tagen und Wochen aus den Kreisen der an der Rechtspflege Interessierten Personen, aber auch von solchen, die von den Dingen betroffen sind, eine Fülle von Zuschriften und Drucksachen gerade bezüglich dieses Amnestiegesetzes zugegangen. Ich habe dabei festgestellt, daß sich einmal die Notwendigkeit ergab, die Amnestie zeitlich weiter zu erstrecken, als es in unserem ursprünglichen Zentrumsantrag beabsichtigt war. Wir waren dabei von der Notwendigkeit ausgegangen, die Dinge aus der Zeit nach 1945 zu bereinigen, in der Annahme, daß die Straffreiheitsvorschriften, seien es alliierte, seien es solche der Länder, die inzwischen ergangen waren, mit der Vergangenheit schon aufgeräumt hätten. Das ist aber, wie es sich jetzt herausstellt, keineswegs der Fall. Ich lese, daß in Süddeutschland beispielsweise eine Staatsanwaltschaft jetzt noch ein Verfahren gegen einen Mann
in Gang bringt, der in der Nazizeit unter Eid, als Zeuge vernommen, fälschlich in Abrede gestellt hatte, Hochverrat getrieben zu haben.
Also wenn der Mann jetzt noch vor Gericht gestellt werden muß, dann kann man gewiß sagen: es besteht natürlich die Möglichkeit, daß er hinterher, wenn er verurteilt worden ist, begnadigt wird. Aber es ist doch grotesk, jetzt noch ein solches Verfahren durchzuführen!
— Ja, aber von Ihrem witzigen Zuruf ganz abgesehen, meine Herren: wenn der Mann erst dieses ganze Prozeßverfahren durchlaufen muß — eine Niederschlagung kennt unser Recht nicht, und wir wollen sie beileibe nicht einführen -, so muß man doch berücksichtigen, daß das nicht nur e i n Fall ist. Wieviel solcher Dinge mögen noch passiert sein, andere, durchaus vergleichbare Dinge aus jener Zeit und nachher?
Ich habe bei der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfes schon darauf hingewiesen, daß sich jetzt manchmal eine Zusammenrottung der Gesellschaft der gestürzten Nazis ergibt, welche jetzt gegen die anderen losschießen mit Anzeigen nach § 164 des Strafgesetzbuches wegen wissentlich falscher Anschuldigungen, mit Verleumdungsklagen, mit Meineidsanzeigen und ähnlichen.
Für alle diese Fälle, erst recht aber wegen des zuerst erwähnten, wo sogar eine Meineidsklage in Frage kommt, wo der Mann übrigens sogar zugegeben hat — ich konnte den Sachverhalt nicht näher untersuchen —, daß er sich, als Zeuge vernommen, von der gegen ihn selbst gerichteten Beschuldigung des Hochverrats durch einen Falscheid befreit hat, wäre es absolut erforderlich, den Strafrahmen auf mehr als ein halbes Jahr auszudehnen.
Und jetzt frage ich Sie: Kommen Sie dann an der Notwendigkeit vorbei, die Gesinnung bei der Amnestie eine Rolle spielen zu lassen? Das war gerade das, was man an unserer Amnestie beanstandet hat. Ich habe gehört und gelesen: ja, daß das Zentrum die Gesinnungstäterschaft bei einer Tat mit politischem Hintergrund mit in Betracht zieht, ist ein Rückfall in nazistische Methoden und Anschauungen! Das hat beileibe mit Gesinnungstäterschaft nichts zu tun. Wenn aber aus solchen Gründen einer strafbar geworden ist, so verdient er eine andere Berücksichtigung als etwa ein rückfälliger Wegelagerer.
Ich bin also der Ansicht, daß wir in diesem Punkte statt' auf die Regierungsvorlage besser vielleicht auf den Antrag der Zentrumsfraktion zurückgreifen, bin der Ansicht, daß man die Gesinnungstäterschaft berücksichtigen, daß man den Strafrahmen höher setzen muß, der bei der Amnestie Berücksichtigung finden soll, und im übrigen auch gewiß nicht allzu ängstlich und nicht allzu kleinlich sein soll. Gerade bei dieser Amnestie handelt es sich darum, unter eine unheilvolle Periode der jüngsten deutschen Geschichte einen Strich zu ziehen, unter eine Zeit, in welcher manches nicht bloß mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe, sondern als allgemein menschlich verständlich zugedeckt zu werden verdient. Wir alle müssen an unsere Brust schlagen und sagen: wenn wir in der Lage gewesen wären, der manche ausgesetzt waren, über die die Gerichte schon den Stab gebrochen haben, so wäre niemand sicher, daß
er in der gleichen Versuchung nicht auch gefallen wäre. Ich denke da an die vielen Eigentumsvergehen, die in der Zeit vorgekommen sind, als die Leute ausgebombt, aus ihrer Heimat vertrieben durch die deutschen Länder zogen und nicht wußten, wohin sie ihr Haupt legen sollten. Sind das echte Kriminelle, wenn sie sich dann an anderer Leute Eigentum vergingen?
Der Herr Bundeskanzler selber hat in seiner Regierungserklärung, der Anregung unseres schon vorher eingereichten Amnestieantrages folgend, warme Worte gefunden und mit großem menschlichen Verstehen von einer Amnestie gesprochen. Ich würde es bedauern, wenn jetzt kleinlichere Gesichtspunkte, das Handeln um einen Monat oder einige Monate das herabwerten würden, was damals so großzügig begonnen wurde.
Im übrigen bin ich der Ansicht, daß die Beratungen unter allen Umständen noch im Monat Dezember zu Ende gebracht werden müssen, damit wenigstens zu Weihnachten, dem Fest des Friedens, diese Dinge geregelt sind und den Leuten, die deswegen in Unruhe sind, die Ruhe wiedergegeben werden kann.