Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts des eben von Herrn Kollegen Ewers gestellten Antrages sehe ich mich veranlaßt, schon jetzt ausdrücklich den Antrag zu stellen, unsere Gesetzesvorlage Drucksache Nr. 17, Antrag der Zentrumsfraktion auf Erlaß eines Amnestiegesetzes, dem Ausschuß zu überweisen.
Auf die Äußerungen meiner Herren Vorredner möchte ich nur kurz eingehen, weil ich der Ansicht bin, daß wir die heutige Debatte nicht mit Einzelheiten belasten sollten. Wenn ich eben nichts dagegen gesagt habe, daß in dem Amnestiegesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, die Disziplinaramnestie ausgenommen ist, so soll das nicht bedeuten, daß unsere Fraktion der Ansicht wäre, man sollte nicht auch die Dienststrafvergehen amnestieren. Vielmehr sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz nicht der richtige Ort dafür ist und daß in diesen Tagen auch nicht die richtige Zeit ist, sich darüber zu unterhalten. Die Umschreibung der Tatbestände und des dafür in Frage kommenden Strafmaßes ist zu schwierig. Aber die Materie ist auch nicht so eilbedürftig, daß man sie unter allen Umständen jetzt schon behandeln müßte.
Im übrigen sind wir aber doch sehr wohl der Meinung, daß der Gedanke eines großzügigen Vergessens, eines Striches unter die Vergangenheit auch für .die Beamten gelten muß. Man muß sich einmal vor Augen halten, mit welch vorbildlichem Eifer die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit trotz größter Entbehrungen, die den Verhältnissen entsprachen, trotz ärgster Notlage, trotz ihrer absolut unzulänglichen Versorgung als Normalverbraucher
ihre Pflicht getan hat. Wenn dabei nun Dienstvergehen vorgekommen sind, so muß man nicht immer glauben, es habe sich dabei um Dienstvergehen gegen Mein und Dein, um Unterschlagungen oder um Amtsverbrechen irgendwelcher Art gehandelt. Vielmehr muß man sich daran erinnern, daß es sich dabei um Dinge gehandelt hat wie zum Beispiel Nachlässigkeit, die durch die körperliche Abspannung, durch die schlechte Versorgung, durch all die Strapazen der damaligen Zeit bedingt war. Ich erinnere an Fälle, wie sie mir vorliegen, daß man Bankbeamte der Bank deutscher Länder deswegen bestraft hat, weil sie vergessen hatten, die Zettel abzureißen, so daß Unstimmigkeiten in der Kasse entstanden. Da soll man nun kleinlich vorgehen und nicht auch über diese Dinge großzügiges Vergessen breiten? Das sehen wir durchaus nicht ein. Aber es ist hier nicht Zeit, darüber zu sprechen.
In diesem Zusammenhange komme ich noch einmal zurück auf die Frage, ob man ausgerechnet die Amtsdelikte der §§ 332, 333 und 334 StGB von der Amnestie ausnehmen soll. Es handelt sich dabei um die Vergehen der Bestechung. Ich habe Verständnis dafür, wenn man Bestechlichkeit bei
pflichtwidrigen Handlungen jetzt nicht amnestieren will. Aber ich frage: Warum nur diese nicht? Warum ist nicht Parteiverrat bei Rechtsanwälten gleichzeitig ausgenommen, warum nicht auch etwa Freiheitsberaubung im Amt? Das scheint mir alles reichlich willkürlich. Ich bin der Ansicht, daß man die Amnestie entweder auf die Straftat oder auf die Gesinnungstäterschaft abstellen sollte.
Da komme ich noch einmal auf die Gesinnungstäterschaft. Es ist von dem Herrn Kollegen Ewers zunächst dagegen eingewendet worden, es handle sich um Nazirecht mit umgekehrtem Vorzeichen. Ich\\ finde: das Wichtigste ist dabei das umgekehrte Vorzeichen, meine Damen und Herren. Was ärgert ihn eigentlich daran, wenn man das umgekehrte Vorzeichen da anbringt, wo es notwendig ist? Und es scheint mir notwendig zu sein.
Dem Herrn Kollegen von der kommunistischen Fraktion ist ein Mißverständnis unterlaufen. Er sagte, man solle lieber den Staatsanwalt zur Verantwortung ziehen, der in diesem Falle den in der Nazizeit wegen Meineids schuldig Gewordenen zum Meineid verführen wollte. Er übersieht dabei, daß der Fall des Eidesnotstandes im Strafgesetzbuch ausdrücklich vorgesehen ist. Der damalige Täter ist außerdem nicht als Angeklagter in eigener Sache, sondern als Zeuge in einer anderen Sache vernommen worden. Aus diesem Tatbestand über den Eidesnotstand heraus kann man es verstehen — ich will es nicht für richtig halten —, wenn das Verfahren in Gang gebracht wird. Weswegen soll man die Behörde in dem Konflikt lassen, ob sie nun den Fall für gegeben ansehen will — wobei man sich auf den Standpunkt stellt: gegen das Nazisystem war jedes Mittel recht —, daß der Täter sich damals in einem übergesetzlichen Notstand befunden hat. Der Begriff des übergesetzlichen Notstandes ist im einzelnen sehr bezweifelt und strittig, in der Rechtsprechung noch nicht recht ausgepaukt. Weshalb soll man nicht bei dieser Gelegenheit großzügig aufräumen und einen solchen Fall darunter fallen lassen?
Der zweite Einwand des Herrn Kollegen Ewers war dann: das erfordert zu viel Arbeit. Und der des Herrn Justizministers: man muß einen möglichst klaren, einfachen Tatbestand haben. Der Tatbestand ist einfach, aber die Folgerung daraus, Herr
Justizminister, ist keineswegs einfach. Denn es wird doch anders, als der Herr Kollege Ewers annimmt. Den Gerichten und den Staatsanwaltschaften wird zugemutet, in jeden Einzelfall hineinzusteigen, und zwar mit aller Sorgfalt, mit der Sorgfalt, wie sie bei einer Hauptverhandlung nötig wäre, deswegen, weil beurteilt werden muß, ob ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr Strafe angemessen und ausreichend ist. Wenn man so weit in die Strafakten einsteigen muß, muß man alles berücksichtigen, folglich auch die Gesinnung, aus der heraus eine Tat geschehen ist. Wenn man das berücksichtigt, welche Arbeit macht es dann mehr, auch zu prüfen, aus welcher bestimmten Geisteshaltung die Tat geschehen ist, und so überhaupt zu einer Einstellung des Verfahrens zu gelangen? Also die Gründe, die man gegen die Berücksichtigung der Gesinnungstäterschaft vorbringt, ziehen keineswegs. Ich glaube, daß man im Zuge der Beratung im Ausschuß gar nicht anders verfahren, kann, als die innere Einstellung der Täter zu berücksichtigen. Es ist ja gar kein Unterschied zu erkennen, wenn man nicht darauf zurückgreift, was für Gedanken den Täter beseelt haben, als er die strafbare Handlung beging. Ohne Berücksichtigung der Gesinnung gelangt man unweigerlich dahin, Leuten Vergünstigungen zu gewähren, die ihrer ganz zweifellos nicht würdig sind, und gelangt man weiter dahin, daß man Leute unter Strafe stehen lassen müßte, die einer Amnestierung durchaus würdig wären. Man kann allerdings sagen, außer der Amnestie seien auch Einzelbegnadigungen möglich. Jawohl! Dann bleibt aber immer noch die Tatsache der Bestrafung und die Registereintragung bestehen, die in sehr vielen Fällen, und zwar gerade bei den besten, mindestens ebenso belastend für ihre Zukunft wirkt wie die Strafe selbst. Hier erinnere ich besonders an die Beamten. Es ist — ich glaube, Herr Kollege Arndt hat es gesagt — nicht alles menschlich und moralisch verwerfbar, was man unter den Begriff Untreue subsumiert. Ich denke da an das Kompensieren von Reichsbahnbeamten, um den Betrieb in Gang zu bringen; ich denke zum Beispiel, an das Kompensieren manches Privatmannes, das geschehen ist, um einen lebenswichtigen Betrieb und die darin arbeitenden Menschen einigermaßen zu versorgen. Da ist es sehr wohl möglich, daß über den Strafrahmen hinaus Strafen verhängt worden sind, die nach dem Regierungsentwurf über den Rahmen des zu Amnestierenden hinausgehen würden. Ich kann mir die Dinge überlegen, wie ich will: man kommt nicht umhin, die subjektive Seite zu berücksichtigen, und ich bitte Sie also, in diesem Sinne dem Antrag des Zentrums Beachtung zu schenken.
Wir sind selbstverständlich bereit, im einzelnen weitgehende Konzessionen zu machen, zumal wir ja sehen, daß der Grundgedanke der Notwendigkeit, Vergessen über die Vergangenheit zu decken, von dem auch der Amnestiegesetzentwurf der Regierung ausgeht, von allen Parteien des Hauses anerkannt wird. Ich glaube, daß wir zu einer Übereinstimmung kommen, trotz des Vorbehaltes wegen der Gesinnungstäterschaft, in der Form, daß es sich hier um Nazigesichtspunkte handle. Gerade auf politischem Gebiet, meine Damen und Herren — damit schließe ich —, ist es notwendig, das, was an strafbarem Tatbestand aus der Nazizeit noch in die Gegenwart hineinragt, durch ein umgekehrtes Vorzeichen auszulöschen und so die Verhältnisse richtigzustellen. Das geht gar nicht anders als durch das umgekehrte Vorzeichen.