Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Grund der bisher zu diesem Gesetzentwurf gemachten Ausführungen sehe ich mich dazu veranlaßt, noch einige Bemerkungen zu machen. Ich bedaure es, daß die Kollegin Thiele anläßlich dieses Gesetzentwurfs eine Fragestellung aufgerollt hat, die zunächst mit diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts zu tun hat. Wir werden uns ohne Zweifel sowohl in den Ländern wie auf der Bundesebene noch mit der Frage der Versorgung und der Maßnahmen für die heimatberufs- und arbeitslose Jugend zu befassen haben. Ich möchte aber gerade dieser Rednerin doch meine Meinung nicht vorenthalten, daß die Jugendnot im Westen, insbesondere der heimatlosen Jugend, dadurch besonders gestiegen ist, daß ihrer Tausende
heute noch monatlich aus der Ostzone zu uns kommen und uns die Arbeit gerade auf diesem Gebiet von Tag zu Tag erschweren.
— Das ist keine alte Platte, sondern das sind die polizeilichen Registrierzahlen, die uns beweisen, daß monatlich registriert allein 4000 Jugendliche aus der Ostzone kommen.
Wir wissen, daß 10- bis 20 000 nicht registrierte
Jugendliche aus der Ostzone sich bei uns herumtreiben.
— Wenn Sie den Bart hätten, den diese Tatsachen haben, würden Sie darüber stolpern!
Um ein Zweites aus diesem Beitrag zu entnehmen: Frau Kollegin Thiele hat sich mit gerührten und bewegenden Worten gegen diese Verbotsserie geäußert. Sie soll sich aber in ihrer politischen Heimat etwas besser umsehen; dann wird sie feststellen, daß in der Sowjetzone eine Verordnung — nicht ein Gesetz, sondern eine Verordnung; Himmler hat auch Verordnungen erlassen! — zum Schutz der Jugend vom 18. 3. 1948 für die gesamte sowjetische Besatzungszone durch die Verwaltung des Innern erlassen worden ist, die ebenfalls einen ganzen Katalog an Verboten enthält. Ich will dem Hohen Hause nicht zumuten, sich diese in mindestens 12 Paragraphen enthaltenen Verbote vorlesen zu lassen. Wenn allerdings das eine Verbot, daß sich Jugendliche unter 16 Jahren nach Eintritt der Dunkelheit in der Öffentlichkeit herumtreiben — über das Wort kann man streiten —, nicht enthalten ist, mag das mit den besonderen Zuständen dort im Zusammenhang stehen. Wir legen Wert auf dieses Verbot. Im übrigen ist gerade die Verordnung der Sowjetzone ein ziemlich getreuer Abklatsch der Himmlerschen Verordnung.
Man soll sich im Westen nicht über ein Verbotssystem aufregen, wenn man es in der eigenen politischen Heimat schon vorher erlassen hat.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin natürlich „überzeugt", daß die sozialen Voraussetzungen drüben in der Ostzone so erfüllt sind, daß man die Verordnung gar nicht mehr gebraucht hätte. Es scheint aber doch nicht ganz so zu sein, sonst hätte man diese Verordnung nicht zu machen brauchen.
Ich lasse keinen Zweifel daran, daß wir die Frage der Jugendnot und der Jugendhilfe, soweit sie auf der Bundesebene angeschnitten werden kann und soweit Bundesmittel für sie bereitgestellt werden müssen, eingehend werden behandeln müssen; denn ganz abgesehen von der moralischen und sittlichen Frage erfordert allein unsere wirtschaftliche Zukunft, daß die künftigen Träger der großen sozialen Lasten, die unser ungesunder Bevölkerungsaufbau nun einmal mit sich bringt, auch im Wirtschaftsleben mit einem ausgebildeten Beruf und nicht als ungelernte Arbeiter dastehen. Über diese Frage holen wir uns aber kaum Ratschläge von der Seite, wo das Problem am allerwenigsten gelöst ist.
Wenn ich noch weiter Stellung nehmen darf, so muß ich noch kurz auf die Äußerungen des Redners der Bayernpartei, des Herrn Dr. Etzel eingehen. Es klingt uns gut in den Ohren, wenn Herr Dr. Etzel sagt, daß auch die Bayernpartei auf dem Standpunkt stehe, daß die Jugend geschützt werden müsse. Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, in der wir uns auf breiter Basis mit allen Parteien einig sind.
Aber wenn Sie damit die Forderung verbinden: keine Verbote und keine Einschaltung der Polizei, sondern Änderung der gesellschaftlichen Zustände, dann, Herr Dr. Etzel, wird die Jugend zu Tausenden den Gefahren erlegen sein, bevor sich die Zustände der Gesellschaft geändert haben werden. Wenn Sie schon eine Gesellschaftsreform fordern und Verbote dieser mäßigen Art beanstanden, dann müssen Sie uns schon aus dem reichen Schatz Ihrer Kenntnisse sagen, wie die Gesellschaftsreform durchgeführt werden soll. Wir haben von Ihrer Seite dazu bisher verhältnismäßig wenig gehört.
— Herr Dr. Baumgartner, wenn Sie mich wörtlich in den Mund nehmen, muß ich auf Sie auch zu sprechen kommen!
Der Herr Bundesminister des Innern hat sich schon über die Frage der Zuständigkeit und über die Vorarbeiten im Parlamentarischen Rat geäußert. Was ich heute klarstellen wollte, ist nur, daß in Artikel 74 Ziffer 7 mit dem Begriff der öffentlichen Fürsorge auch das Jugendfürsorge-, recht erfaßt ist.
— Das geht einwandfrei aus den Niederschriften des Parlamentarischen Rates hervor.
Wenn aber weiterhin gesagt wird, daß der Staat der wohlwollende Vater des Volkes und der Jugend zu sein habe, so möchte ich jedenfalls darauf hinweisen, daß wir grundsätzlich auf demselben Standpunkt stehen, daß es aber wohl keinen Staat gibt, der nicht aus dem Wohlwollen heraus auch die Pflicht hat, gegenüber seinen Kindern in diesem Falle Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen.
— Und dazu stehe ich auch. Sollte es in anderen Familien anders gehandhabt werden, wäre es um diese Familien schlecht bestellt. Wir legen ja hier ausdrücklich fest, daß gegen Jugendliche Erziehungsmaßnahmen und keine Strafen verhängt werden, daß aber gegen erwachsene Personen, gewissenlose Veranstalter und Gewerbetreibende der Richter einzugreifen hat.
— Es wundert mich sehr, wenn Sie sagen, das sei Sache der Länder. Bisher hat man in den Ländern den Staat als Polizeistaat der Himmlerschen Polizeiverordnung anerkannt und kein anderes Gesetz geschaffen.
— Herr Dr. Baumgartner, Sie sagen: „Ihre Regierung!" Verschweigen Sie doch nicht dem Hohen
Hause und sagen Sie doch: „Meine Regierung, der ich lange genug angehört habe, um daran mitzuarbeiten"!
Im übrigen hat ja auch Herr Dr. Etzel darauf hingewiesen, daß eine gemeinsame Gesetzgebung der Länder notwendig sei. Lassen Sie mich dazu aus meinen Erfahrungen doch noch einige Bemerkungen machen, die ich als Referent in zwei Ministerien bei den Beratungen mit den zuständigen Ministerien der anderen Länder gemacht habe. Der Grund dafür, daß wir bis jetzt kein Gesetz haben, das die Himmlersche Polizeiverordnung abgelöst hat, liegt darin, daß man sich mangels einer entscheidenden Instanz über die Variationsmöglichkeit dieses Gesetzes bis heute einfach nicht geeinigt hat.
Ich habe lange genug darauf gedrängt, daß im Länderrat ein solches Gesetz erlassen wird. Wenn Sie nun auf die gemeinsame Gesetzgebung hinweisen, dann kann man darauf nur erwidern: diese ist ja bisher gescheitert. Im übrigen liegt ja, wie ich vorhin schon gesagt habe, vom Gremium des Länderrats eine klare Stellungnahme vor, wonach diese Materie der Bundesrepublik überwiesen wird, weil man mit dieser Materie nicht selber fertig geworden ist.
Das ist eine Tatsache. Sie mögen es glauben oder nicht. Der Umfang der Gesetzgebungsmöglichkeiten ist festgelegt worden. Seit dem Frühjahr 1946 wird über diese Materie verhandelt. Die angeblich abschließende Sitzung hat im Dezember 1947 mit dem Ergebnis stattgefunden, daß man am 31. August dieses Gesetz dem Bundestag überwiesen hat. Diese Tatsache kann nicht bestritten werden. Ich kann es Ihnen an Hand der Akten zeigen.
Allerdings gebe ich Herrn Dr. Etzel in einem recht. Darin unterscheidet er sich nicht von unserer Auffassung. Es heißt in Artikel 83 des Grundgesetzes:
Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Ich stehe selbst auf dem Standpunkt, daß dieses Gesetz eine Art Richtlinie oder Mantel- oder Rahmengesetz zu sein hat, das die Grundsätze über Gefahren und Verbote festlegt, über die Gefahren, die von Jugendlichen ferngehalten werden sollen, und Verbote, die dazu festgelegt werden. Hierin ist eine Einheitlichkeit notwendig.
— Wenn Sie sagen: „Ausgezeichnet", — sehr richtig! Dann sage ich: ich bin der gleichen Meinung, daß diese Ansicht ausgezeichnet ist; denn man kann den Föderalismus durch Überspitzung zerstören; aber man kann ihn auch so gestalten, daß er sich überall als eine staatspolitische Richtigkeit und Notwendigkeit erweist. Wenn Sie ihn auf diesen ersten Weg treiben, werden Sie ihn zerstören und die Schuld dafür auch in Bayern zu verantworten haben.
Und wenn Sie dann noch zum Ausdruck bringen, daß Sie die Absicht haben, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, dann beweisen Sie damit, daß Ihnen diese Gründe, die Sie anführen, wichtiger sind als die Sache selbst, nämlich die Hilfe gegenüber unserer Jugend.
— Sie mögen es verantworten, dieses Gesetz durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu verzögern! Das ist Ihre Sache, die Sie dann zu vertreten haben, das ist nicht die unsrige.
— Herr Dr. Etzel, jetzt habe ich gerade Ihnen etwas zu sagen, und es wäre unfair von mir, es zu sagen, wenn Sie gerade nicht zuhören würden.