Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier einen Amnestie-Gesetzentwurf vor uns, der leider in einer ganzen Reihe
von Punkten nicht befriedigend genannt werden kann, nicht befriedigend vor allem deswegen, weil der Strafrahmen in § 2 des Gesetzentwurfes unseres Erachtens absolut zu niedrig gegriffen ist. Mir sind Fälle bekannt — und ich kann sie jederzeit mit Namen belegen —, daß Gerichte an den verschiedenen Orten Deutschlands Gastwirte, die lediglich ab und zu ein Stück Vieh geschlachtet haben, damit ihre Gäste nicht verhungert sind,
und zwar ohne irgendwelche Preissteigerungen oder Preisüberforderungen, auf Grund der Kriegswirtschaftsgesetze zu Strafen verurteilt haben, die weit über den Rahmen von einem Jahr Gefängnis hinausgehen. Es sind Bauern verurteilt worden, keineswegs Wucherer, sondern Leute, die eine Maschine zu kaufen hatten, die sie dringend brauchten, damit sie die Felder bestellen konnten, was uns allen zugute kommt, und die zu diesem Zweck ein oder zwei Stück Großvieh verkaufen mußten; sie sind verurteilt worden zu Strafen, die weit über einem Jahr Gefängnis liegen. All diese Leute fallen nicht unter die Amnestie.
Das ist unseres Erachtens eine Ungerechtigkeit, die wir nicht verantworten können. Wenn auch der Herr Justizminister und wenn die große Mehrzahl der Damen und Herren in diesem Hause der Auffassung ist, es müßte ein Strich unter die Vergangenheit, unter diese Delikte gegen die Kriegswirtschaftsverordnung gezogen werden — und damals ist in Tausenden und Hunderttausenden von Fällen dem Betreffenden gar nichts anderes übriggeblieben, als so zu handeln, er hatte damals die wirtschaftliche Vernunft für sich, wie sogar vom Herrn Bundesjustizminister angetönt worden ist —, dann frage ich: was hat es dann noch für einen Sinn? — oder ich frage Sie vielleicht besser: ist es da noch gerecht, solche Leute bestrafen zu lassen, Leute deswegen noch in den Gefängnissen sitzen oder auf Strafantritt warten zu lassen?
Andererseits wiederum scheint mir der Rahmen in der entgegengesetzten Richtung zu weit. Wenn nämlich jemand aus ganz gemeiner Gesinnung heraus gehandelt hat und, sagen wir einmal, zu 10 oder 11 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, dann sehen wir nicht ein, warum er unter eine Amnestie fallen soll. Ebenso ist es bei den ordinären Delikten, wo der Strafrahmen ja 6 Monate beträgt.
So, meine Damen und Herren, glaube ich, daß der Antrag der Fraktion der WAV, der Ihnen vorgelegen hat — ich glaube, schon früher oder doch zusammen mit ähnlichen Anträgen anderer Fraktionen —, doch seine Berechtigung hat oder vielleicht sogar besser ist als das, was jetzt im Entwurf vor Ihnen liegt. Dieser Antrag wünschte, daß alle Übertretungen und Vergehen amnestiert werden, insbesondere auch die Delikte, die nach den Kriegswirtschaftsgesetzen zu bestrafen sind, daß aber dann eine Ausnahme kommt — und diese Ausnahme müßte gegeben werden —, wenn diese Delikte aus besonders grobem Eigennutz begangen worden sind u n d wenn dadurch eine besonders schwere Schädigung der Volksgemeinschaft verursacht worden ist.
Sie werden mir sofort sagen, das sei eine Kautschukbestimmung. Alles auf dem Gebiete des Rechtes ist mehr oder minder eine Sache der Auslegung; das können Sie nicht verhindern! Aber wir wollen hier untersuchen, welches das geringere Übel ist. Dieser starre Strafrahmen des Gesetzentwurfes, wie er uns heute vorliegt, würde dazu
führen, daß auf der einen Seite viele Tausende von Leuten weiterhin ihre Strafe absitzen müssen, Leute, die unter allen Umständen amnestiert werden sollen und müssen, und daß auf der anderen Seite auch solche durchwitschen, die es weiß Gott nicht verdienen.
Es dreht sich hier nicht bloß um Kriegswirtschaftsdelikte. Der Strafrahmen von 6 Monaten umfaßt ja Delikte aller möglichen Art: „Urkundenfälschung", meine Damen und Herren, das tönt furchtbar hart — ich weiß es — in den Ohren eines Nichtjuristen; aber wir Juristen wissen, was alles darunterfällt, welch verhältnismäßig nicht allzu kriminellen Delikte unter diesen Begriff subsumiert werden müssen. Ein armer Teufel, der aus einer Notlage dieser furchtbaren Zeit heraus irgend etwas gemacht hat, ist, sagen wir, zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden und fällt jetzt nicht unter die Amnestie. Gerade bei diesen Urkundenfälschungen, bei denen der Strafrahmen auf Grund des allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches ein so weiter und so strenger ist, gerade da, meine Damen und Herren, werden Sie mit diesem heutigen Gesetzentwurf nicht durchkommen und der Gerechtigkeit und dem berechtigten Verlangen aller Gutgesinnten nicht so Rechnung tragen können, wie sie selbst es möchten. Also: Urkundenfälschung und eine ganze Reihe anderer Delikte; einer meiner Herren Vorredner hat heute gesagt: Diebstahlsdelikte und so fort. Es gäbe noch eine große Anzahl weiterer Delikte, die überhaupt nur aus der Notlage der ganzen Zeit nach 1945 heraus zu erklären sind und die meines Erachtens unter allen Umständen amnestiert werden müssen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie zu gestatten, daß wir von der WAV auf unseren Antrag zurückkommen bzw. den Antrag wieder stellen — das ist ja ohne weiteres möglich —, eine allgemeine Amnestie zu erlassen für sämtliche Übertretungen und Vergehen sowie für die Kriegswirtschaftsdelikte, auch dann, wenn sie als Verbrechen zu charakterisieren sind —das sind fast sämtliche oder der allergrößte Teil von ihnen —, davon aber die Delikte auszunehmen, die aus „besonders grobem" Eigennutz begangen worden sind und dazu eine „besonders schwere" Schädigung der Volkswirtschaft verursacht haben. Die Mehrarbeit, die den Gerichten dadurch entstehen könnte, müssen wir im Namen der Gerechtigkeit in Kauf nehmen. Das möchte ich ausdrücklich für den Herrn Bundesjustizminister sagen, da ich annehmen muß, daß der Herr Bundesjustizminister gerade gegen diesen Punkt vielleicht Einwendungen geltend machen könnte.
Wir müssen einen Schlußstrich unter diese furchtbaren letzten Jahre seit 1945 machen, und diesen Strich müssen wir großzügig ziehen. Wir müssen ihn so ziehen, daß wirkliche Verbrecher, wirklich gemeine Kerle, die nur dem Volk schaden wollten, nicht amnestiert werden können. Aber wir müssen ihn auch so ziehen, daß die große Masse derer, die lediglich, sagen wir einmal, Schwarzhandelsgeschäfte gemacht haben, weil sie den Geldbetrag brauchten, weil sie umgekehrt wichtigste Artikel, landwirtschaftliche Maschinen, industrielle Produkte nur zu Schwarzhandelspreisen beziehen konnten oder weil sie mit Rücksicht auf die Lage ihrer Familie nicht mehr anders konnten, unter allen Umständen unter die Amnestie fallen.
Deswegen würden wir Sie bitten, den Antrag der WAV-Fraktion hier doch besonders berück-
sichtigen zu wollen, den wir zur Abstimmung stellen — —