Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gerstenmaier war nach der Tagesordnung als Berichterstatter des Ausschusses angekündigt. Als ich ihn sprechen hörte, da schien es mir, daß er mehr als der außenpolitische Kommentator der Evangelischen Kirche gesprochen hat und seine Funktion als Berichterstatter nach den Wünschen und Intentionen des Petersbergs ausnutzte, um eine Propaganda zu entfachen, die durch das Beiwerk, mit dem hier eine sachliche Berichterstattung umgangen wurde, dahin tendierte, der Kriegsgefangenenfrage und dem vorliegenden Antrag des Ausschusses eine Richtung zu geben, die es meiner Fraktion an und für sich schwer machen würde, diesem Antrag unsere Zustimmung zu geben.
Wenn wir trotzdem diesem Antrag aus sachlichen Erwägungen unsere Zustimmung geben, so deswegen, weil auch wir, wie es im ersten Teil des Antrags heißt, die Rückkehr aller Kriegsgefangenen und aller ehemaligen Kriegsgefangenen herbeiwünschen, und zwar ebenso, wie es die Sowjetunion
auf der Moskauer Außenministerkonferenz am 23. April 1947 gefordert hat, nämlich, „daß die deutschen Kriegsgefangenen, die sich auf Gebieten der verbündeten Mächte und auf allen anderen Gebieten befinden, bis zum 31. Dezember 1948 nach Deutschland zurückkehren sollten".
— Meine Damen und Herren, ich habe darauf gewartet! Es ist mir erwünscht, daß ich hier die Gelegenheit finde, einmal festzustellen, aus welchen Gründen dieser Vorschlag nachher vom Kontrollrat, der die Aufgabe hatte, das Verfahren für die Rückkehr der Kriegsgefangenen auszuarbeiten, nicht durchgeführt worden ist.
Wenn der Herr Berichterstatter Dr. Gerstenmaier objektiv gewesen wäre, hätte er das auch erwähnen müssen. Deswegen scheint es mir in diesem Zusammenhang notwendig zu sein, auf einige Tatsachen hinzuweisen, die die Hintergründe beleuchten, von denen aus man vom Westen her die Durchführung dieses Beschlusses hinauszögerte und sogar sabotierte.
— Herr Dr. Gerstenmaier, ich glaube, es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, daß man in den westlichen Ländern nach ziemlich einwandfreien, von ausländischen Pressestellen gegebenen Berichten nicht bloß mit einigen Tausenden, sondern mit noch ungefähr 200 000 Kriegsgefangenen und ehemaligen Kriegsgefangenen rechnen muß.
Allein in militärischen Verbänden und Organisationen
befinden sich nach Meldungen der ausländischen
Presse etwa 100 000 ehemalige Kriegsgefangene.
— Ich werde Ihnen sofort die Dokumente dafür bringen, Herr Kollege, beruhigen Sie sich!
Zunächst aber möchte ich zu einer anderen Frage Stellung nehmen und das hier einflechten, weil es vorhin bestritten wurde. Herr Dr. Gerstenmaier hat es als Berichterstatter für zweckmäßig gehalten, vorhin einen Brief zu verlesen. Es ist aber eine Tatsache, daß in Polen zum Beispiel Kassationsgerichtshöfe bestehen, so daß jeder, der verurteilt ist, die Möglichkeit hat, diesen Gerichtshof anzurufen.
— Jawohl!
N' un aber eine andere Frage, meine Damen und Herren. Man spricht von diesen Dingen mit dem Blick nach Osten und verschweigt das, was im Westen ist. Man glaubt, in diesem Zusammenhang mit der Redewendung von Zivilarbeitern abkommen zu können, verweist auf „freiwillige Arbeitsverträge", die in Frankreich, England usw. abgeschlossen worden sind. Es muß aber auch davon gesprochen werden, aus welchen Gründen sich Kriegsgefangene aus den Kriegsgefangenenlagern für die Fremdenlegion usw. gemeldet haben.
Ich glaube, es war die 25. Wochenausgabe des „Telegraf", die bekanntlich in den Westsektoren Berlins zuerst von der französischen Besatzungsmacht und dann auch von den beiden anderen beschlagnahmt worden ist. Er hat in einer längeren Schilderung dargestellt, wie es zu den sogenannten freiwilligen Meldungen zu den Fremdenlegionen gekommen ist. Ich darf wohl mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal zur Kenntnis geben, wie sich das in Wirklichkeit abgespielt hat.
In dieser Wochenausgabe des „Telegraf" heißt es bei der Schilderung eines solchen Kriegsgefangenenlagers und der Verhältnisse, die zu den „freiwilligen" Meldungen geführt haben:
Schneewasser tropft aus der undichten Dachrinne des verwahrlosten Schlosses von Brienne-le-Château, in dem einst Napoleon residierte und das nun — im Jahre 1946 — 3000 deutschen Kriegsgefangenen als Unterkunft dienen muß. Unrasiert, verschmutzt, ausgehungert drängen sich die Gefangenen an den Mauern. Mit rostigen Konservendosen versuchen sie, das schmutzige Wasser aufzufangen.
Es gibt kein Trinkwasser für die 3000 verzweifelten Menschen. Der einzige Brunnen innerhalb der Stacheldrahtverhaue ist verseucht. Die ungereinigten Salzfische, die zusammen mit einem Stück Brot und einer dünnen, stets angebrannten Suppe aus Futterrüben die Verpflegung bilden, verursachen unerträglichen Durst.
Nicht nur aus diesem Grund sind die Gefangenen verzweifelt. Vor wenigen Tagen erst sind sie, die in den letzten Tagen des Krieges von den Amerikanern gefangengenommen wurden, aus amerikanischen Lagern in Frankreich an die Franzosen übergeben worden. Sie sollen zum Wiederaufbau eingesetzt werden.
Alle Hoffnungen auf baldige Rückkehr in die Heimat sind damit vernichtet.
Statt dessen waten sie nun durch den uferlosen Schlamm des Lagers oder drängen sich in dem mit Menschen bis zum Bersten vollgestopften Schloß. Hinter dem Stacheldraht drohen von den Wachtürmen die Maschinengewehre der Marokkaner.
Dann schildert der „Telegraf", wie die Werbeagenten der Fremdenlegion in das Lager kommen und auf den ersten Aufruf sich 176 dieser verzweifelten Kriegsgefangenen zur Fremdenlegion gemeldet haben.
Was ist das Ergebnis, meine Damen und Herren?
Hier möchte ich Ihnen die „New York Harald
Tribune" kurz zitieren, die am 18. Juli 1949 schrieb,
daß viele Offiziere und mindestens 100 000
Soldaten der Nazi-Armeen in ausländischen
Heeren dienen, und zwar in Französisch-Nordafrika, Ägypten, Arabien, Indonesien und
Griechenland. Tausende dieser Soldaten wurden in Schlachten eingesetzt, besonders in
Indochina, und Hundete von ihnen fielen in
diesen Kämpfen. Ein Drittel
— schreibt die „New York Herald Tribune", und andere Zeitungen bestätigen es, meine Damen und Herren —
der französischen Fremdenlegion bestehe gegenwärtig aus ehemaligen Angehörigen vor Rommels Afrika-Korps. Die deutschen Söldner dienen in folgenden Heeren: mindestens 30 000 in der französischen Fremdenlegion in Nord afrika, mindestens 4 000 ehemalige SS-Leute in Indochina; etwa 6 000 ehemalige deutsche Kriegsgefangene wurden in Ägypten aus der Gefangenschaft entlassen und in die ägyptische Armee eingegliedert. Man nimmt an, daß die deutschen Einheiten in Arabien, Kuomintang China, im Irak, in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens insgesamt 20 000 Mann zählen. Die ehemaligen Generalstäbler sagtet ferner, mindestens 15 000 ehemalige deutsche Soldaten und Offiziere seien nach Südamerika gegangen.
Ich glaube, diese Zahlen ließen sich noch erweitern durch Dokumente
aus der ausländischen Presse.
Meine Damen und Herren, so können Sie das Ziel nicht erreichen, das Sie sich gesteckt haben. Ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen, daß auf der Moskauer Konferenz die Forderung nach Rückführung der Kriegsgefangenen aus a 11 e n Ländern erhoben worden ist. Heute werden die deutschen Kriegsgefangenen von den Westmächten dazu mißbraucht, die um ihre Freiheit ringenden Kolonialvölker niederzuschlagen.
— Ich weiß, das paßt nicht in Ihren Kram hinein. Aber in einem aus Indochina geschriebenen Brief heißt es,
daß 75 Prozent des Transports von 1200 französischen Soldaten, die mit ihm zusammen
— mit diesen deutschen Kriegsgefangenen; der Hauptteil dieses Transports bestand aus ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen -
im April 1949 in Vietnam ankamen, inzwischen gefallen sind.
— 75 Prozent von 1200 Mann dieses Transportes sind gefallen. Wo sind die Nachrichten an die Angehörigen? Wo ist die Sorge darum? —
— Sein Regiment, so heißt es hier weiter, sei bei einem Großangriff in den letzten Tagen mit großen Verlusten zurückgeschlagen worden.
Meine Damen und Herren, das sind die Fragen, die Sie gern verheimlichen wollten, mit deren Verschweigen Sie aber Ihre Propaganda hier im Westen treiben, um unsere Jugend reif zu machen für einen Krieg gegen den Osten, sie damit erneut auf die Schlachtfelder zu führen und von neuem ein Kriegsgefangenenproblem aufzuwerfen.
Wir werden nicht dulden, daß mit Ihrer Propaganda ein neues Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorbereitet wird.
Sie tragen die volle Verantwortung dafür.