Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Einen wunderschönen guten Morgen!
Ich habe gleich zu Beginn eine besonders erfreuliche
Mitteilung zu machen. Der Kollege Dr. Heinz
Riesenhuber feiert heute seinen 70. Geburtstag.
Er ist nicht nur einer der mit weitem Abstand dienstältes-
ten, sondern darüber hinaus auch einer der nettesten und
beliebtesten Kollegen im Hause.
Diese Kombination ist schon aus statistischen Gründen
besonders selten. Deswegen möchte ich ihm zu diesem
besonderen Anlass meine persönlichen Glückwünsche
und gleichzeitig die Gratulation des ganzen Hauses aus-
sprechen.
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Redet
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten – – Die Ver-
waltung ist Gott sei Dank schnell genug, um übersehene
Ereignisse rechtzeitig nachzuholen. Ich werde nämlich
gerade darauf aufmerksam gemacht, dass die Kollegin
Petra Sitte ihren 65. Geburtstag feiert.
– Entschuldigung, es ist der 45. Geburtstag.
Frau Kollegin Sitte, wir werden ein geeignetes Verfahren
finden, um diesen Fauxpas wieder auszugleichen, zumal
dafür Wahlgänge nicht erforderlich sind.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, b
den Kollegen Hermann Josef Scharf sehr he
gestern für den ausgeschiedenen Kollegen Pe
emäß der berühmten brechtschen Parole: „Erst kommt
as … “ – Sie wissen schon – „und dann die Moral.“ –
ch sehe, Sie sind mit dieser Vereinbarung einverstan-
en. Dann verfahren wir so.
Wir setzen die Aussprache zur Regierungserklärung
er Bundeskanzlerin fort und ich rufe daher Tagesord-
ungspunkt 1 auf:
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
mit anschließender Aussprache
Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutige
ussprache zehn Stunden vereinbart haben. Wir begin-
en heute mit dem Bereich Wirtschaft.
ext
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Dr. Thea Dückert, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Hongkong als Zwischenschritt einer fairen
und entwicklungsorientierten Welthandels-
runde
– Drucksache 16/86 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und
erschutz
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
ng
egrüße ich
rzlich, der
ter Müller
Ausschuss
Verbrauch
Ausschuss
Ausschuss
Entwicklu
174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister für Wirtschaft und Techno-
logie, Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Ziel der Bundesregierung für diese Legisla-
turperiode ist eindeutig: Wir wollen, dass wieder mehr
Menschen Arbeit in Deutschland haben. Dazu brauchen
wir wirtschaftliches Wachstum. Um wirtschaftliches
Wachstum zu erzeugen, brauchen wir geeignete Rah-
menbedingungen und vor allen Dingen wieder mehr Zu-
versicht bei den Menschen. Nur Wachstum, das über die
Beschäftigungsschwelle hinausgeht – wir hoffen, dass
die Beschäftigungsschwelle durch die Maßnahmen, die
die Bundesregierung insgesamt trifft, auf 1 Prozent ge-
senkt wird –, bringt neue Arbeitsplätze.
Wir müssen also dem Trend sinkender Wachstums-
raten entgegentreten. Mit einem durchschnittlichen
Wachstum von 1 Prozent in den vergangenen fünf Jahren
sind wir nur halb so schnell gewachsen wie der OECD-
Durchschnitt. Unser Ziel ist es, das aufzuholen.
Das reicht natürlich nicht, um den Arbeitsmarkt ins-
gesamt wieder flottzumachen. Wir müssen darüber hi-
naus Maßnahmen ergreifen. Diese werden wir auch im
Laufe der Legislaturperiode nacheinander angehen.
Nicht nur das, was im Koalitionsvertrag steht, wird ge-
macht. Ich hoffe vielmehr, dass das gute Klima, das sich
zwischen den großen politischen Kräften entwickelt hat,
dazu beiträgt, dass man mehr machen kann, und zwar
insbesondere dort, wo es kein Geld kostet.
Die größte Hypothek, gegen die wir ankämpfen müs-
sen, ist die Tatsache, dass es bei uns im Land Zukunfts-
pessimismus gibt. Diesen Zukunftspessimismus müssen
wir überwinden. Es geht auch darum, die öffentlichen
Haushalte zu sanieren. Denn wenn wir der jungen Gene-
ration immer mehr Schulden hinterlassen, dann schafft
das nicht Optimismus, sondern Pessimismus.
Ich bin, wie selten ein Wirtschaftsminister zu Beginn
seiner Amtszeit, in der glücklichen Lage, dass ich heute
sagen kann: Wenn das stimmt, was mir auf den Tisch ge-
weht worden ist, dann haben wir das erste Mal seit zehn
Jahren einen November, der eine steigende Erwerbstä-
tigkeit und keine Zunahme der Arbeitslosigkeit mit sich
gebracht hat.
– Natürlich arbeiten wir schnell, gnädige Frau.
Es hilft nichts; das müssen wir auch.
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Wir müssen insgesamt eine verlässliche Politik ge-
talten. Nur mit einer verlässlichen Politik, mit immer
ieder konkreten Schritten lässt sich unser Land sanie-
en und reformieren. Dann wird auch wieder investiert.
as hat gestern auch Frau Bundeskanzlerin Merkel in ih-
er Regierungserklärung dargelegt.
Wir brauchen wieder eine solide finanzielle Basis.
ir müssen die öffentliche Neuverschuldung 2007
nter die 3-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages
rücken. Das wirkt natürlich darauf, welches Vertrauen
nserem Land entgegengebracht wird und wie sich zum
eispiel die Zinsen bzw. das Rating deutscher Anleihen
ntwickeln. Auch das ist ungeheuer wichtig für unsere
ukunft.
Sanieren allein reicht zur Stärkung der Wachstums-
räfte nicht aus. Wir brauchen auch Reformen der sozia-
en Sicherungssysteme. Wir müssen also weiter an der
lexibilisierung und Verbesserung der wirtschaftlichen
ahmenbedingungen arbeiten und dabei verstärkt Maß-
ahmen ergreifen, die keine zusätzlichen Haushaltsmit-
el binden, sondern da reformieren, wo es nichts kostet.
Schließlich brauchen wir wieder mehr Investitionen.
ur so werden wir es schaffen, die internationale Wett-
ewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu stärken. Um die
achstumsschwäche zu überwinden bzw. die Wachs-
umskräfte zu stärken, haben wir uns auf ein 25-Milliar-
en-Euro-Investitionspaket für die neue Legislatur-
eriode verständigt. Ich hoffe, dass es zu den privaten
nvestitionen, die wir wieder anregen wollen, hinzu-
ommt und dass wir damit insgesamt einen Aufschwung
rreichen.
Schon ein halbes Prozent mehr Wachstum würde zu
öheren Steuereinnahmen von 2,5 Milliarden Euro und
u Mehreinnahmen von 2,3 Milliarden Euro jährlich bei
en Sozialversicherungssystemen führen. Hier zeigt sich
lso der Zusammenhang von Wachstum und öffentlichen
innahmen.
Wir müssen schauen, dass die Investitionen ansprin-
en. Deswegen enthält die Koalitionsvereinbarung steu-
rpolitische Anreizmaßnahmen wie zum Beispiel die
nhebung der degressiven Abschreibung von derzeit
0 auf 30 Prozent. Das Ganze wird dann zum 1. Januar
008 von einer Unternehmensteuerreform abgelöst, die
ie Rahmenbedingungen für investierende Unternehmen
nsgesamt verbessern soll.
Wir werden die Verkehrsinvestitionen in dieser Le-
islaturperiode um 4,3 Milliarden Euro erhöhen und ver-
tetigen. Damit verbessern wir nicht nur die Leistungsfä-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 175
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Bundesminister Michael Glos
higkeit unserer Verkehrssysteme, sondern stärken auch
die Nachfrage und sichern Arbeitsplätze in der Bauwirt-
schaft, die sich ungeheuer schwer tut.
Insgesamt erreichen wir eine Senkung der Lohnzu-
satzkosten um 1 Prozentpunkt. Ich glaube, das ist ein
wichtiger und richtiger Schritt.
Natürlich wollen wir die mittelständischen Unter-
nehmen ins Zentrum unserer Wirtschaftspolitik rücken.
Deshalb starten wir eine breite Mittelstandsoffensive, die
sich, wie ich meine, sehen lassen kann.
Wir werden durch eine Änderung des Erbschaft-
steuer- und Schenkungsteuerrechts die Unterneh-
mensnachfolge erleichtern. Für jedes Jahr der Unterneh-
mensfortführung soll die Erbschaftsteuerschuld für das
übertragene Unternehmen reduziert werden. Wenn das
Unternehmen mindestens zehn Jahre fortgeführt wird,
entfällt die Steuer ganz. Ich halte das für ungeheuer
wichtig, um einem Konzentrationsprozess entgegenzu-
wirken. Es macht keinen Sinn, wenn wir mittelständi-
sche Firmen, die oft hoch innovativ sind, bzw. deren An-
teilseigner aufgrund der Schmälerung der Kapitalbasis
durch die Erbschaftsteuer zum Verkauf zwingen. Die
großen, international tätigen Konzerne oder Fonds, die
diese Firmen dann kaufen, tun dies oft nur wegen der
Marktzugangskanäle und des Know-hows. Die Arbeits-
plätze landen aber letztlich anderswo. Deswegen ist der
Mittelstand immer noch der beste Garant für möglichst
viel Beschäftigung im Inland.
Um auch etwas für die kleineren Unternehmen zu tun,
werden wir im Rahmen einer Sofortmaßnahme die
Umsatzgrenze für die Istbesteuerung in den alten
Bundesländern von 125 000 Euro auf 250 000 Euro jähr-
lich anheben. In den neuen Bundesländern werden wir
die entsprechende Regelung über das Jahr 2006 hinaus
verlängern.
Wir wollen vor allen Dingen investitionshemmende
Kapitalengpässe aus dem Weg räumen, indem wir das
Angebot an Beteiligungskapital für den breiten Mittel-
stand weiter ausbauen. Wir haben gestern Abend im Mit-
telstandsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau intensiv
darüber diskutiert. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau
wird entsprechende Programme dafür anbieten.
Ich meine auch, dass es ein wichtiger Schritt ist, Auf-
wendungen für Erhaltungs- und Modernisierungsmaß-
nahmen im Privathaushalt bei der Einkommensteuer
künftig begrenzt absetzbar zu machen. Wir hoffen, dass
dies zu Beschäftigung insbesondere im Handwerk und
bei den haushaltsnahen Dienstleistungen führt.
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Außerdem bin ich Franke.
Das ist ein Beispiel für die Verpflichtungen, die zu er-
füllen sind. Dies umfasst vielleicht ein paar kleine neue
Beteiligungen an Hochtechnologieprogrammen, die wir
als Europäer nicht nur den Amerikanern oder Chinesen
überlassen dürfen. Dass es überhaupt wieder möglich
wird, etwas zu zeichnen, hängt damit zusammen, dass
wir natürlich die Erhöhung der Forschungsmittel einpla-
nen, die dann nicht nur dem Forschungsministerium,
sondern auch dem Wirtschaftsministerium zugute kom-
men.
Es geht nicht um Ressortegoismus, sondern es geht da-
rum, unser Land insgesamt weiterzubringen.
Wir brauchen auch Leuchtturmprojekte, die die in-
ternationale Wettbewerbsfähigkeit des Technologie-
standortes –
– Herr Kuhn, ich nehme Ihren Zwischenruf gleich auf –
Deutschland und damit auch Bayern stärken. Ich freue
mich, dass Herr Kuhn immer wieder auf Bayern hin-
weist. Er hat Angst, ich würde es vergessen. Aber ich bin
deutscher Wirtschaftsminister und habe mich natürlich
in allererster Linie um die deutsche Wirtschaft zu küm-
mern. Die Bayern sind so tüchtig, dass sie das immer
schon selber getan haben.
Ich sprach über Leuchtturmprojekte. Damit habe ich
nicht nur den bayerischen Wirtschaftsminister gemeint,
sondern den Bau einer Referenzstrecke des Transrapid.
Die Bayern sollen nicht alle nach China fliegen müssen,
um ein Stück im Transrapid zu fahren, so wie ich das in
Schanghai einmal getan habe.
Wir wollen die Brennstoffzellentechnologie weiter-
entwickeln und wir wollen vor allen Dingen auch die
Entwicklung von konventionellen, hocheffizienten
Kraftwerken mit dem Ziel der Nullemission vorantrei-
ben. Ich glaube, das ist gerade in einem Land, in dem
sehr viele Kohle verstromt wird, sehr wichtig.
Wir werden insbesondere in den Bereichen Bio- und
Gentechnik, Informations- und Kommunikationstechno-
logie, Chemie, Medizin und Pharmazie sowie Energie
und Verkehr die Rahmenbedingungen innovations-
freundlicher gestalten. Es muss Schluss damit sein, dass
durch Technikfeindlichkeit Forschung und Arbeitsplätze
aus Deutschland in Konkurrenzländer vertrieben wer-
den.
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Wir wissen auch, dass junge und besonders innovative
echnologieunternehmen oft nicht über die ausreichen-
en Sicherheiten verfügen, um ihre Ziele zu verwirkli-
hen. Deswegen müssen wir Anreize für Risikokapital
chaffen, um dies zu unterstützen. In der Koalitionsver-
inbarung steht, dass wir diese verbessern werden. Daran
ird rasch gearbeitet. Auch die Kreditanstalt für Wieder-
ufbau hat zugesagt, sich hier einzubringen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Energiepolitik sa-
en. Die jüngste Entwicklung auf den Energiemärk-
en hat uns drastisch vor Augen geführt, wie eng die
erbindung zwischen Energie und Wachstum ist. Wir
issen auch, dass hohe Energiepreise die realen Ein-
ommen reduzieren, dass sie die Möglichkeiten für an-
ere Ausgaben einschränken und dass sie vor allen Din-
en ein Produktionskostenfaktor für die Wirtschaft sind.
uch die Energiepolitik muss sich insbesondere diesem
achstumsziel, das wir erreichen wollen, anpassen. Wir
etzen große Hoffnungen in die neu erfolgte Regulierung
es Strom- und Gasmarktes, um auf die Netzentgelte
nd damit auch auf die Preise Druck zu ermöglichen.
Ich werde in der kommenden Woche nach Russland
eisen, um beim ersten Spatenstich für die neue Erdgas-
ipeline dabei zu sein, die gebaut werden muss, weil wir
nsere Rohstoffversorgung auch langfristig sichern müs-
en. Das Erdgas aus Russland gehört ganz sicher dazu.
nsofern gibt es auch ein Stück Kontinuität in der Politik
it Russland.
um Beispiel habe ich meinen russischen Kollegen Gref
uch schon in Hamburg getroffen, wo sich EADS be-
üht, auch Russland in die Airbus-Kooperation einzu-
eziehen.
Ich bin besonders dankbar, dass ich jetzt wieder für
ie Luft- und Raumfahrt und somit auch für Airbus zu-
tändig bin. Denn am Beginn meiner parlamentarischen
aufbahn stand die Berichterstattung für das Wirt-
chaftsministerium im Haushaltsausschuss und die
urchsetzung der Entscheidung für die ersten Airbusse.
ann einmal ein solches Flugzeug, einen Airbus wie den
380, zu sehen und zu erleben, das war für mich schon
in bewegender Augenblick, wenn ich das einmal sagen
arf.
ir müssen bei solchen Projekten vorne mit dabei sein;
ft haben sie ja erst nach Jahren oder Jahrzehnten zur
olge, dass in Deutschland neue Arbeitsplätze entstehen.
Vor allen Dingen wollen wir auch unsere Außenwirt-
chaftspolitik vorantreiben, mit den Zielen der Schaf-
ung weltweit offener Märkte und der Herstellung von
hancengleichheit für deutsche Unternehmen im inter-
ationalen Wettbewerb. Das dient auch dem Ziel, den
ntwicklungsländern weiterhin zu helfen. Deswegen
offe ich, dass auf der WTO-Konferenz in Hongkong
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 177
)
)
Bundesminister Michael Glos
entsprechende Vereinbarungen getroffen werden. Dafür
werde ich mich gemeinsam mit vielen Kolleginnen und
Kollegen einsetzen, auch wenn ich persönlich leider
nicht so lange dort bleiben kann.
Natürlich ist es auch sehr wichtig, dass wir die Ex-
portkreditgarantien für deutsche Lieferungen und die
Garantien für deutsche Investitionen im Ausland dort
weiterführen, wo sie – dadurch, dass wir Kunden gewin-
nen – bei uns für Beschäftigung sorgen.
In Europa gibt es ungeheuer viel zu tun. Es ginge zu
weit, jetzt über die Dienstleistungsrichtlinie zu diskutie-
ren. Dieses Thema haben wir im Koalitionsvertrag nie-
dergelegt; es wird noch sehr intensive Arbeit erfordern.
Allerdings denke ich, dass wir bei der Zusammenarbeit
zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Um-
weltministerium – hierfür bedanke ich mich beim Kolle-
gen Gabriel – auf erste Erfolge verweisen können.
Ich glaube, dass wir im Zusammenhang mit der Che-
mikalienrichtlinie REACH, nachdem sich an einem Tag
der Wirtschaftsminister und am nächsten Tag der Um-
weltminister darum gekümmert haben, auf einem sehr
guten Weg sind, um eine Lösung zu finden, die sowohl
dem berechtigten Interesse an Verbraucherschutz als
auch der Wettbewerbsfähigkeit unserer Chemieunter-
nehmen dient. Auch hier wird es, wenn die britische Prä-
sidentschaft dieses Vorhaben noch vorantreibt, bald zu
einem guten Abschluss kommen.
Zum Schluss möchte ich Folgendes sagen: Wir müs-
sen die Eigeninitiative stärken und den Ordnungsrah-
men, der unsere Wirtschaftspolitik in Sachen soziale
Marktwirtschaft von Beginn an getragen hat, wieder aus-
bauen, damit in viele Vorhaben, die anstehen, Ordnungs-
politik hineingetragen wird. Dazu möchte ich gerne bei-
tragen.
Ganz zum Schluss möchte ich darum bitten – dazu
fordere ich auch die Verbände der Wirtschaft und die
Manager auf –, unser Land nicht nur schlecht zu reden
und so zu tun, als stünden immer Tarifverhandlungen an.
Je schlimmer man eine Lage darstellt, desto besser – so
wird es erwartet – soll letztlich der Abschluss sein, je
nachdem, für welche Seite.
Abschließend möchte ich – das wird mir noch gestat-
tet sein – den Bundespräsidenten zitieren. Ich habe ges-
tern eine Agenturmeldung gelesen, nach der er unter an-
derem gesagt hat, das Motto der Koalitionsvereinbarung
„Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Mensch-
lichkeit“ solle alle angehen. Er hat vor allen Dingen da-
rauf hingewiesen, dass er von den Wirtschaftsführern
das notwendige Einfühlungsvermögen erwarte, wo der
verdiente Lohn des Tüchtigen ende und wo die pure Gier
beginne, und hat gesagt, das solle man sich – man darf
den Bundespräsidenten ja zitieren; ich hätte mich das gar
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Die Regierung bekennt sich in ihrem Koalitionsver-
rag dazu, die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft
u stärken. Das ist lobenswert; nur so kommen wir zu
ehr Wachstum und Beschäftigung. Doch die Vorstel-
ungen, die die Regierung äußert, zeigen deutlich: Diese
178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Rainer Brüderle
Absichtserklärung ist ein Lippenbekenntnis. Im Wahl-
kampf hat Frau Merkel die deutsche Maggie Thatcher
gespielt; jetzt spielt sie die Frau Holle, die überall weiße
Flocken auf die Problemfelder streut.
Wenn der Inhalt des Koalitionsvertrags umgesetzt wird,
wird die Marktwirtschaft nicht gestärkt, im Gegenteil:
Sie wird geschwächt. Die geplanten Steuererhöhungen
entspringen einer übertriebenen Staatsgläubigkeit. Haus-
haltssanierung ist nicht zu beanstanden, im Gegenteil:
Sie ist dringend notwendig. Aber die Bundesregierung
sollte auf der Ausgabenseite sparen, statt zusätzliche
Steuern wie die so genannte Reichensteuer zu erfinden.
Damit leistet sie nur der Kapitalflucht ins Ausland Vor-
schub. Das Geld brauchen wir aber in Deutschland, es
muss hier investiert werden.
Es gab doch einen ganz primitiven Kuhhandel: Gibst du
mir meine Mehrwertsteuer, bekommst du deine Reichen-
steuer; schluckst du meine Kröte, schluck ich deine.
Aber das ist keine Strategie für mehr Wachstum. Mehr
Steuern ist immer ein Weniger an Freiheit: weil ich we-
niger über die Verwendung dessen, was ich mir selbst
hart erarbeite, entscheiden kann, sondern andere an mei-
ner Stelle entscheiden, was damit geschieht. Das ist ein
Abbau von Freiheit und nicht ein Mehr an Freiheit!
Trotz der derzeitigen Staatsquote in Deutschland
maßt sich der Staat erneut an, dem Bürger tiefer in die
Tasche zu greifen. Wir müssten weniger statt mehr
Staatseingriffe haben. Die Erhöhung der Mehrwert-
steuer ist das Gegenteil. Herr Glos sprach von einer Of-
fensive für den Mittelstand. „Offensive“ bedeutet An-
griff – und das klingt nicht nur so: Die Erhöhung der
Mehrwertsteuer ist ein Angriff auf den deutschen Mittel-
stand.
Über die Verteilungswirkung der Mehrwertsteuer ist
viel gesagt worden; aber einen Aspekt hat man bisher
ausgeblendet, nämlich die Wirkung einer Mehrwertsteu-
ererhöhung auf die Preisstabilität und die Beschäftigung.
Wenn die Unternehmen die Steuererhöhung auf die
Preise aufschlagen können, handeln wir uns Zweitrun-
deneffekte ein: Die Gewerkschaften haben schon ange-
kündigt, höhere Löhne zu fordern, um kommende Preis-
erhöhungen zu kompensieren. Schon die Erwartung
einer höheren Inflation heizt Preissteigerungen an. Eine
Folge davon sind letztlich auch höhere Zinsen.
Ich kann, so wie Herr Juncker, die Bundesregierung nur
davor warnen, zu versuchen, Druck auf die Europäische
Zentralbank auszuüben.
Hält die gegenwärtige Konsumflaute an – das ver-
mute ich –, dann können die Unternehmen die Mehr-
wertsteuererhöhung nicht auf die Abnehmer abwälzen.
Dadurch verschlechtert sich die Gewinnsituation der Un-
ternehmen. Der Mittelstand hat aber keine Polster, über
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Die Freiheit der Unternehmen zu stärken, hieße,
üter- und Faktormärkte zu flexibilisieren, vor allem
en Arbeitsmarkt. Was Sie im Bereich des Kündigungs-
chutzes machen, ist Augenwischerei. Schon bisher
onnte die Probezeit bis zu 24 Monate dauern. Jetzt ge-
en Sie dem einen neuen Titel. Das ist faktisch keine
eränderung.
Die Philosophie dieser Regierung ist eher, Märkte ab-
uschotten, anstatt sie zu liberalisieren. Die Entsende-
ichtlinie auf Gebäudereiniger auszudehnen, ist ein Bei-
piel dafür. Die europäische Dienstleistungsrichtlinie
st der Koalition suspekt. Der europäische Binnenmarkt
önnte ja zu mehr Wettbewerb führen. Der SPD wäre
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 179
)
)
Rainer Brüderle
eine Dienstleistungsverhinderungsrichtlinie lieber, sie
könnte auch gleich eine Wirtschaftsverhinderungsrichtli-
nie fordern. Als Exportweltmeister sind wir auf offene
Weltmärkte angewiesen. Diese nutzen wir gern. Wir
können uns aber nicht mit einer Dienstleistungsrichtlinie
von den Dienstleistungsmärkten abschotten.
Ebenso suspekt sind der Bundesregierung unter-
schiedliche Steuersätze in Europa. Gegenüber Län-
dern, die das marktwirtschaftliche Prinzip verstanden
haben, den Vorwurf des Steuerdumpings zu erheben, ist
absurd. Statt selbst besser zu werden, sollen andere
schlechter werden. Nein, wir müssen bei uns die Dinge
in Ordnung bringen, damit wir bessere Wettbewerbs-
chancen haben.
Dies alles atmet den Geist von Mindestlöhnen, Regle-
mentierung, Abschottung und Unfreiheit. Marktwirt-
schaft ist etwas anderes. Mehr Freiheit zu wagen, wie
die Bundeskanzlerin angekündigt hat, sieht anders aus.
Aber ihr fehlt es offenbar an marktwirtschaftlichen
Ideen. Für Anfang 2006, rechtzeitig vor den drei Land-
tagswahlen, wird ein Energiegipfel angekündigt; das ist
wahrscheinlich ein Beitrag zum Wahlkampf.
Wettbewerb ist anstrengend. Deshalb ist dieses
Thema im Koalitionsvertrag wohl auch mit keinem Ka-
pitel bedacht. Dass die CDU, die sich so oft auf Ludwig
Erhard beruft, darauf verzichtet, wundert mich. Mit dem
Bekenntnis zum Wettbewerb ist es im Koalitionsvertrag
nicht weit her. Wenn Sie von Wettbewerb sprechen, dann
meinen Sie Industriepolitik und Markteingriffe. Das gilt
für erneuerbare Energien, für den europäischen Binnen-
markt und natürlich für die Lex Telekom. Ich halte es für
skandalös, wenn der Telekom im Koalitionsvertrag ver-
sprochen wird, die vorhandenen und die noch zu erstel-
lenden Breitbandtelekommunikationsnetze für einen ge-
wissen Zeitraum aus der Regulierung herauszunehmen.
Dadurch wird ein Sonderkartellrecht geschaffen. Wo
sind wir denn? Bekommt jeder nach Hausmannsart was
gebacken? Morgen wird dem Nächsten eine Sonderposi-
tion von dieser Regierung gewährt.
Die Bundesregierung leidet an einer Machbarkeits-
illusion. Sie glaubt, sie könne den Erfolg für die Wirt-
schaft machen. Sie wissen offenbar genau, welche Bran-
chen Zukunftsbranchen sind, in denen künftig mehr
Geld verdient werden kann. Sie reden von den Leucht-
turmprojekten und hoch innovativen Bereichen. Das
muss über den Markt ermittelt werden. Das weiß der
Staat nicht besser als die Wirtschaftsunternehmen, die
jeden Tag draußen an der Front sind.
Sie sind auch nicht konsequent. Bei dem 25-Milliar-
den-Euro-Investitionsprogramm geht es in weiten Tei-
len um ganz andere Bereiche und kaum um Technologie-
förderung. Es geht um die steuerliche Absetzbarkeit von
Handwerkerrechnungen und haushaltsnahen Dienstleis-
tungen sowie um Gebäudesanierungsprogramme. Das ist
kein Beschäftigungsprogramm, das ist ein Besänfti-
gungsprogramm, um die Wirkung der katastrophal ho-
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Wir brauchen mehr Investitionen. Die staatliche In-
estitionslenkung passt nicht in den Instrumentenkasten
iner Marktwirtschaft. Monopole und Kartelle stehen
icht im Ruf, besonders innovativ zu sein. Im Bereich
er Energiewirtschaft hat Rot-Grün die Fusion von Eon
nd Ruhrgas genehmigt, deren Marktanteil nun 87 Pro-
ent beträgt. Dann beklagte sich der frühere Kanzler
uch noch darüber, dass die Gaspreise steigen! Bereits in
er zweiten Stunde der Einführung in die Volkswirt-
chaft wird an der Volkshochschule in Mainz-Süd ge-
ehrt, dass Monopolpreise höher als Wettbewerbspreise
ind. Hier liegt ein Teil der Schwierigkeiten. Die Mono-
olisierung und Kartellierung der deutschen Wirtschaft
ind falsche Wege; auf diesen kommen wir nicht voran.
Wir leben nämlich nicht primär von den Großkonzer-
en, sondern vom Mittelstand.
Sie wollen die Abschreibungsbedingungen für zwei
ahre verbessern. Das belebt die Konjunktur doch nicht
angfristig. Damit werden die Ausgaben jetzt von diesem
ns nächste Jahr geschoben und im nächsten Jahr vorge-
ogen. Das alles haben wir schon gehabt. Das ist doch
eine dauerhafte Politik. Das sind keine verlässlichen
ahmenbedingungen. Das ist auch kein Beitrag zum Ab-
au von Bürokratie, das ist ein Zuwachs an Bürokratie,
ine Verkomplizierung. Man muss über Zuschüsse und
bschreibungen strategisch entscheiden, anstatt nüch-
ern rechnen zu können. Das ist Ihr Fehler.
Auch der Sachverständigenrat sagt, dass eine umfas-
ende Unternehmensteuerreform, durch die Freiräume
eschaffen werden – nicht erst 2008, sondern jetzt –,
ine Reform des Arbeitsmarktes und die Umstrukturie-
ung der sozialen Sicherungssysteme nötig wären. Hier
achen Sie nichts. Zeitmangel war es nicht. Sie sind
ich nicht einig und wissen nicht, was Sie gemeinsam
ollen. Ich kann mir auch nur schlecht einen Kompro-
iss zwischen der Bürgerversicherung und der Kopf-
auschale vorstellen. Am besten wäre es, Sie würden un-
er Modell des Wettbewerbs nehmen, aber ich fürchte,
ass Sie dazu nicht den Mut haben.
Herr Minister Glos, Aufgabe eines Wirtschaftsminis-
ers ist es, das ordnungspolitische Gewissen einer Regie-
ung zu sein. Ludwig Erhard hat betont: Der Wirtschafts-
inister muss Mut zum Widerstand haben. Herr
inister Glos, diesen Mut werden Sie gegenüber Ihren
abinettskollegen ausgiebig gebrauchen müssen, wenn
hnen die deutsche Wirtschaft am Herzen liegt. Wenn
ie mutig sind, sind wir an Ihrer Seite. Als Girlande ei-
er falschen Politik geben wir uns nicht her. Ordnungs-
olitisch müssen Sie klotzen und nicht kleckern, sonst
leiben Sie unter der Aufbruchschwelle.
180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Rainer Brüderle
Das merkelsche Trippelschritttheorem ist falsch.
Seit Paracelsus weiß man: Wenn die Dosierung nicht
stimmt, gibt es keine Wirkung. Deutschland darf kein
Versuchskaninchen für Trippelschritte sein, sondern be-
nötigt eine mutige Politik, durch die die Situation verän-
dert wird, damit sich die Wachstumsgeschwindigkeit er-
höht.
Unsere Probleme sind seit Jahren bekannt. Sie werden
nicht angepackt. Diese minimale Konsenslösung der
großen Koalition aus einer sozialdemokratischen Frak-
tion und einer sozialdemokratisierten Fraktion führt na-
türlich nicht dazu, dass es zu einem neuen Denken
kommt. Sie setzen die falsche Politik ein bisschen modi-
fiziert und rhetorisch breit gestärkt fort. Wenn wir nicht
den Mut zu Veränderungen haben, kommen wir nicht
voran.
Herr Kollege Brüderle.
Durch die Regierungserklärung wurde schwarz auf
weiß gezeigt: Schwarz-Rot schafft es nicht.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Das Wort erhält nun der Kollege Ludwig Stiegler für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
wirklich fast wie eine List der Geschichte, nach Herrn
Brüderle reden zu dürfen.
Selbst diejenigen, die bei uns die neue Liebe zu den
neuen Partnern noch nicht vollständig entdeckt haben,
wissen nach der Rede von Herrn Brüderle, dass es doch
besser ist, in dieser Formation zu arbeiten, als eine an-
dere Kombination zu erleiden.
Man stelle sich einmal vor, Herr Brüderle und Herr
Merz würden durch die Arbeitnehmerlandschaft dieses
Landes reisen. Da sind wir schon froh, dass wir im Drei-
schritt den Menschen ihre Freiheit und ihre Freiheits-
rechte durch soziale Sicherheit erhalten können.
– So entstehen neue Freundschaften. Herr Brüderle, Sie
sind der reinste Stifter.
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Schon die Startvereinbarungen zu den Koalitions-
erhandlungen beinhalteten das Bekenntnis zur Tarif-
utonomie, die Erhaltung der Steuerfreiheit der Sonn-
ags-, Schicht- und Nachtarbeit,
ie Konzentration auf Forschung und Entwicklung so-
ie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist
ine ganz entscheidende Weichenstellung. Diese Koali-
ion wird eben beide Seiten der Medaille berücksichti-
en: eine starke Wirtschaft und eine faire Beteiligung
er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Gerade angesichts der Eingangsdaten, die der Minis-
er und auch Herr Brüderle genannt haben, danken wir
urchaus Wolfgang Clement,
nserem früheren Bundeswirtschaftsminister, für die
ahmenbedingungen, die er geschaffen hat. Ein Beispiel
st das Energiewirtschaftsgesetz. Der Wettbewerb, Herr
rüderle, den Sie gefordert haben, ist darin bereits in-
talliert worden. Dafür danken wir Wolfgang Clement.
Der Minister hat sich zu den internationalen Themen
ur sehr zurückhaltend geäußert. Wir werden uns mit der
onzentration der Europazuständigkeiten auf das
irtschaftsministerium auf eine enge parlamentarische
usammenarbeit einstellen. Dabei beziehen wir uns auf
ie Vereinbarungen zum Zusammenarbeitsgesetz. Wir
ehen schon davon aus, dass wir bereits drei Monate vor
nd nicht drei Monate nach den Ereignissen informiert
erden und dass die Zusammenarbeit hier funktioniert.
Wir haben bei der Dienstleistungsrichtlinie die not-
endigen Grundvereinbarungen erzielt. Herr Brüderle,
ch wette, dass Sie dann, wenn Sie vor Handwerkern,
ie etwa Fliesenlegern, in Rheinland-Pfalz reden, nicht
o über die Dienstleistungsrichtlinie reden, wie Sie das
ier eben getan haben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 181
)
)
Ludwig Stiegler
Ich sage Ihnen: Wir wollen europäische Dienstleistun-
gen, aber – in Bayern sagt man: Die kleinen Leute dür-
fen nicht immer das Bummerl sein – die Umsetzung der
Richtlinie darf nicht auf Kosten der breiten Schichten
geschehen.
Wir werden eine Menge über Wettbewerbspolitik zu
reden haben. Der Minister hat das nur zart angedeutet.
Zum Thema Pressefusion: Man sollte nicht schon von ei-
ner Ministererlaubnis reden oder über eine solche speku-
lieren, bevor überhaupt das Bundeskartellamt und die
KEK die Probleme angepackt haben. Wecken Sie hier
also keine falschen Erwartungen!
Wir sollten gerade vor dem Hintergrund der aktuellen
Ereignisse hinsichtlich der Stromversorgung darauf
drängen, dass die Anreizregulierung beschleunigt um-
gesetzt wird. Im Rahmen einer vernünftigen Anreizregu-
lierung werden die großen Energieversorger Rücklagen
oder Rückstellungen für solche Katastrophenereignisse
bilden müssen. Selbst wenn nach der gegenwärtigen
Rechtslage noch keine Haftung besteht, darf ein großes
Unternehmen seine Abnehmer in der Stunde der Not
nicht im Stich lassen. Es ist die Zeit der Kulanz und des
Entgegenkommens. Das rufe ich den großen Energiever-
sorgern zu.
Wir werden gemeinsam mit den beteiligten Ländern
die Kohlevereinbarungen angehen müssen. Der Minis-
ter hat das zwar noch nicht so deutlich angesprochen,
aber ich denke, da gibt es noch einige schwarze Warzen
auf der Kröte; das Thema ist noch zu bearbeiten. Aber
Franz Müntefering sagt schließlich immer, Schwarz sei
ein besonders dunkles Rot. Insofern gibt es einen dialek-
tischen Übergang von der einen Seite zur anderen. Las-
sen Sie uns also dieses Thema angehen.
Zur Bürokratie wird der Kollege Rainer Wend das
Notwendige sagen. Selbstverständlich – darin stimmen
wir dem Minister zu – werden wir im Wirtschaftsbereich
dem Kanzleramt freudig zuarbeiten, wenn es darum
geht, die kleinen und mittleren Unternehmen und die
Wirtschaft insgesamt von Bürokratielasten zu befreien.
Herr Brüderle hat uns vorgeworfen, wir würden
nächstes Jahr Politik nach Keynes und ab dem über-
nächsten Jahr eine Politik wie seinerzeit Brüning ma-
chen. Mit Keynes mögen Sie noch Recht haben. Aber
wenn Sie die Haushaltsplanung für die Jahre danach mit
der Politik Brünings gleichstellen, dann empfehle ich Ih-
nen, die Wirtschaftsgeschichte nachzulesen. Dieser Ver-
gleich klingt ad hominem gut, aber wenn Sie sich in Er-
innerung rufen, was Meister Brüning wirklich getan hat
und was wir vorhaben, dann merken Sie, dass dieser Ver-
gleich zwar schön klingt und dass man ihn in einer
Narrhalla-Sitzung als Knaller bringen könnte, dass er
aber die ökonomische Lage nicht richtig abbildet.
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Alle, die kritisiert haben, wie wir nächstes Jahr die
irtschaft ankurbeln werden, und die gemeint haben, es
iege ein Verstoß gegen Art. 115 des Grundgesetzes vor,
rinnere ich auch an Art. 109: Bund, Länder und Ge-
einden haben bei ihrer Haushaltswirtschaft den Er-
ordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
echnung zu tragen. Insofern ist die Haushaltswirtschaft
m nächsten Jahr gerechtfertigt.
Herr Brüderle, wenn wir Ihrem Rezept folgen wür-
en, mit beiden Beinen auf die Bremse zu treten, dann
ürden Sie hier die Opfer beklagen. Es geht aber nicht
n, dass Sie hier zuerst mit den Jägern jagen und an-
chließend mit den Hasen flüchten. Sie müssen schon
ine einheitliche Linie verfolgen.
Es ist wirklich toll, dass Herr Brüderle vor mir geredet
at. So kann ich meine neuen Freunde immer wieder er-
reuen. Das ist wirklich eine Erleichterung der rhetori-
chen Situation.
Wir gestalten mit der energetischen Gebäudesanie-
ung eine langfristige Strukturpolitik. Das hilft den Ver-
rauchern, der Umwelt, dem Handwerk und dem Mittel-
tand. Diese Programme werden mit einem Volumen
on 10 bis 15 Milliarden Euro Impulse setzen, die uns
angfristig wirtschaftlich gut tun werden. Sie werden
uch bei Herrn Ramsauer wirken, der noch so skeptisch
lickt.
ber selbst Mühlen kann man damit energetisch sanie-
en.
Wir werden den Privathaushalt als Arbeitgeber
eiterentwickeln. Auch das ist ein großes Projekt.
Gut, aber Sie wissen, dass man dann endlich Fort-
chritte erzielt hat. Wir beschreiten den richtigen Weg,
en Haushalt als Arbeitgeber zu entwickeln und die Ab-
etzbarkeit von Handwerksdienstleistungen als Mittel
ur Bekämpfung der Schwarzarbeit und zur Förderung
es Handwerks einzusetzen. Haus, Hof und Garten als
eues Dienstleistungszentrum – das hilft uns gewaltig.
Wir haben mit dem Abbau und der Stabilisierung der
ohnnebenkosten wichtige Schritte unternommen. Zur
ffentlich-privaten Partnerschaft wird Rainer Wend noch
iniges ausführen, zum Thema Tourismus die Kollegin
aße. Wir haben mit der Verlängerung der Investitions-
ulage eine wichtige Weichenstellung für die Förderung
es Aufbaus Ost gesetzt. Herr Brüderle, die Zeichen
182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Ludwig Stiegler
stehen also auf Wachstum. Steigen Sie ein und fahren
Sie mit!
– Sie wissen ja, wie es dem ungläubigen Thomas ergan-
gen ist.
Wir haben gute Chancen auf mehr Wachstum und Be-
schäftigung. Gleichwohl müssen wir die langfristige In-
vestitionsfähigkeit und Investitionstätigkeit der kleinen
und mittleren Unternehmen verbessern. Um an Karl
Schiller zu erinnern, der zu Beginn der ersten großen
Koalition einmal gesagt hat: Die Pferde müssen wieder
saufen. – Damals hatten die Pferde kein Wasser in der
Tränke. Nun stehen die großen Pferde bis zum Hals im
Wasser, saufen aber nicht, während die kleinen nicht ge-
nügend haben. Wir fordern Banken und Sparkassen auf,
die Kreditversorgung der kleinen und mittleren Un-
ternehmen so zu gestalten, dass eine breite, nachho-
lende Investitionstätigkeit des Mittelstandes erreicht
wird.
– Das war erst später. Zu diesem Zeitpunkt war der Auf-
schwung schon da und musste bereits gebremst werden.
Sie sind wie immer zeitlich nicht auf der Höhe. Wir sind
erst am Beginn der zweiten großen Koalition und nicht
schon in der Zeit, in der wir den Aufschwung bremsen
müssen. Wir wünschen uns, dass wir dorthin kommen.
Wir werden alles zur Verbesserung der Eigenkapital-
ausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen tun.
Wir werden daran arbeiten, dass die Bundesrepublik
Deutschland der Weltausstatter bleibt. Deshalb werden
wir Forschung und Entwicklung sowie den Technologie-
transfer fördern, die ganze Bildungskette erneuern und,
wie gesagt, vor allem die Finanzierungsgrundlagen der
kleinen und mittleren Unternehmen verbessern. Es müs-
sen nicht immer amerikanische Pensionsfonds Unterneh-
men in Deutschland kaufen. Vielmehr gibt es auch in
Deutschland genügend Geld, um die Unternehmen, die
unserer Volkswirtschaft dienen, zu fördern und mit den
notwendigen Mitteln auszustatten. Lasst uns daran arbei-
ten! Dann kommt der Aufschwung und dann werden wir
eines Tages wieder bremsen müssen.
Glückauf!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
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Wenn man dem zustimmt, ist die Frage aufzuwerfen,
b wir uns in diesem Parlament über die Erfolgskrite-
ien der Politik noch verständigen können. Es hat uns
chon überrascht, dass gestern mehrfach festgestellt
orden ist, und zwar von den Vertretern beider Fraktio-
en, die die große Koalition tragen, dass die letzten Jahre
ehr erfolgreich gewesen seien. Für meine Fraktion und
ahrscheinlich für die anderen Oppositionsfraktionen
ob das auch auf die Grünen zutrifft, da bin ich mir
icht ganz sicher – möchte ich aber feststellen, dass das
riterium der Arbeitslosigkeit nach wie vor darüber ent-
cheidet, ob eine Wirtschaftspolitik erfolgreich ist oder
icht.
ch bitte die Vertreter der großen Koalition sehr herzlich,
ei 5 Millionen Arbeitslosen nicht zu behaupten: Wir ha-
en eine sehr erfolgreiche Wirtschaftspolitik gemacht. –
as ist Zynismus und wird von den Betroffenen als Ver-
öhnung verstanden. Deshalb können wir solche Sätze
icht unwidersprochen stehen lassen.
Wenn wir darüber reden, was in den letzten Jahren
alsch gelaufen ist, möchte ich mit einem Papier begin-
en, das meiner Fraktion – genauso wie allen anderen –
us dem Bundeskanzleramt zugestellt worden ist und das
ich überrascht hat. In diesem Papier mit der Über-
chrift „Abstimmung zum nationalen Reformprogramm
eutschlands“, das noch von Herrn Mirow unterschrie-
en worden ist – er teilt gleichzeitig mit, dass er in seiner
unktion nicht weiterarbeiten wird –, wird festgestellt:
oraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist ein
spannungsfreies Zusammenwirken der makroökonomi-
chen Politikbereiche“. Das hat mich deshalb wirklich
berrascht, weil davon in den letzten Jahren in diesem
aus quer durch alle Fraktionen überhaupt nichts mehr
u hören war. Wir lesen dort weiter:
Günstige makroökonomische Rahmenbedingungen
sind eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung und verbessern das Umfeld
für strukturelle Reformen.
Meine Fraktion stimmt diesem Satz ohne jede Ein-
chränkung zu. –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 183
)
)
Oskar Lafontaine
Diese wiederum verstärken den Wirkungsgrad von
gesamtwirtschaftlichen Wachstumsimpulsen.
– Auch dieser Satz ist richtig. –
Dazu müssen Finanz-, Geld- und Lohnpolitik span-
nungsfrei zusammenwirken und mit Strukturrefor-
men verzahnt sein.
– Das ist ein wirklich grundsätzlich richtiger Ansatz.
Das Erstaunliche ist nur, dass dieses Papier aus dem
Bundeskanzleramt kommt und bisher in dieser Debatte
davon überhaupt nicht die Rede war. Nicht im Ansatz
konnte man erkennen, dass irgendjemand, bevor er hier
ans Podium trat, dieses Papier überhaupt gelesen hatte.
Nun beginne ich einmal, da es um die makroökono-
mischen Rahmenbedingungen geht, mit der Geldpolitik.
Auch wenn es richtig ist, dass die Geldpolitik von einer
Bundesregierung nicht direkt beeinflusst werden kann,
so hätte man doch erwarten können, dass, wenn nicht die
Bundeskanzlerin, dann zumindest der Wirtschaftsminis-
ter irgendetwas zur europäischen Geldpolitik und zu den
Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaftsentwick-
lung sagt. Ich möchte für meine Fraktion im Gegensatz
zu einem Nebensatz des Wirtschaftsministers angesichts
unserer ökonomischen Situation hier in Deutschland
feststellen: Bei fallenden Löhnen – ich komme darauf
zurück – und steigenden Energiepreisen ist es völlig
falsch, wenn die Europäische Zentralbank jetzt die Zin-
sen anheben will. Das wird die Wachstumskräfte in
Deutschland nicht stärken, sondern eher bremsen.
Ich hätte mir gewünscht, dass zumindest einer einen Ge-
danken an diese wichtige Rahmenbedingung der wirt-
schaftlichen Entwicklung in Deutschland verschwendet
hätte.
Nun komme ich zu dem zweiten Punkt, der Lohn-
politik, die richtigerweise in dem Papier des Kanzler-
amts angesprochen worden ist. Hier gibt es natürlich
keine direkte Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesregie-
rung, aber indirekt wirkt sie in großem Umfang auf die
Lohnentwicklung in Deutschland hin. Ich werde darauf
noch eingehen. Es ist für mich unvorstellbar, wie diese
Koalition ökonomischen Erfolg haben will, wenn sie den
Sachverhalt zum ersten Mal fallender Bruttolöhne in
Deutschland hier noch nicht einmal erwähnt. Sie hat das
offenbar überhaupt noch nicht bemerkt.
Die Zahlen, die bei Tarifabschlüssen genannt werden,
sagen überhaupt nichts mehr aus, weil, wie das Konjunk-
turforschungsinstitut der deutschen Gewerkschaften
richtig festgestellt hat, die Tarifentwicklung den Tarif-
partnern völlig entglitten ist. Was ist damit gemeint? Es
nützt nichts mehr, wenn Tarifverträge mit Lohnerhöhun-
gen von 2 Prozent abgeschlossen werden, gleichzeitig
aber Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und andere Leistun-
gen zusammengestrichen werden.
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Merkel, hö-
ren Sie einmal zu! Es ist wirklich ein entscheidender
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Nun fragen Sie, verehrter Herr Kauder: Wo kommt das
eld her? Sehen Sie: Wenn man die Lage hier in
eutschland überhaupt analysieren will, dann muss man
u zwei Dingen bereit sein: zum Ersten, die Steuer- und
bgabenquote der Nachbarstaaten zur Kenntnis zu neh-
en – in der großen Koalition weigern sie sich perma-
ent, das zu tun –, und zum Zweiten, die Prozentrech-
ung zu beherrschen. Das ist ja bekanntermaßen
chwierig. Allerdings gibt es Sachverständige, die in der
age sind, die letzte Übung zu machen.
Verehrter Herr Wend, ich möchte Ihnen hier entgegen-
alten: Ihre ganze Reformpolitik beruht auf einer einzi-
en Lüge, nämlich auf der Lüge, dass der Sozialstaat in
er Bundesrepublik Deutschland nicht mehr finanzierbar
ei.
Nun können Sie folgenden Satz widerlegen: Mit der
teuer- und Abgabenquote unserer Nachbarstaaten – die
rankreichs würde schon ausreichen – wäre keine ein-
ige soziale Kürzungsmaßnahme der letzten Jahre nötig
ewesen; die ganze Reformpolitik war ein einziger
chwindel und hat Wachstum und Beschäftigung ge-
remst.
Sie, Herr Kauder, fragen: Woher kommt denn das
eld? Sie sind nicht verlegen, wenn es darum geht, wo-
er das Geld kommt. Sie kassieren es nur an der falschen
telle ein.
er in einer Situation, in der die Schere bei den Ein-
ommen in Deutschland immer weiter auseinander geht,
n der die Verteilung von Vermögen immer schiefer
ird, nichts anderes zu tun hat – für eine christlich-
oziale Partei ist das doch unglaublich! –, als rund
5 Milliarden Euro bei den kleinen Leuten einzukassie-
en, und zu feige ist, das Geld bei den großen Vermögen
inzusammeln, der sollte hier nicht die Frage stellen,
erehrter Herr Kauder: Woher kommt denn das Geld?
Wenn wir nur den Mut hätten – von Mut war doch so
iel die Rede –, die Wohlhabenden und die Reichen in
eutschland genauso zur Kasse zu bitten, wie sie in
roßbritannien oder in den USA zur Kasse gebeten wer-
en, dann hätten wir pro Jahr 50 Milliarden Euro Mehr-
innahmen in den öffentlichen Kassen. Das trifft viel-
eicht Ihre Vorurteile, aber es ist überprüfbar; jeder kann
ich das aus dem Internet herunterladen.
Ich schließe mit dem Wort eines Millionärs, des Ham-
urger Reeders Peter Krämer, der Ihre Politik wirklich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 185
)
)
Oskar Lafontaine
auf den Punkt gebracht hat. Er sagte: Sie sollten Politik
für das Volk machen. Sie machen aber nur Politik für die
oberen zehntausend. Das ist wirklich traurig.
Eine große Koalition gegen die kleinen Leute wird
bei Wachstum, Beschäftigung und Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit keinen Erfolg haben.
Das Wort hat nun die Kollegin Thea Dückert, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vorab doch eine Bemerkung
zu Herrn Lafontaine; das kann ich mir nicht verkneifen.
Herr Lafontaine, Sie haben eben alle aufgefordert, Poli-
tik fürs Volk zu machen. Sie sind einer derjenigen, die
eine große Gelegenheit dazu hatten. Wenige von uns hat-
ten eine Gelegenheit in dieser Art und Weise. Sie waren
Finanzminister dieses Landes. Sie haben offenbar über-
haupt keine Lust gehabt, weil es für Sie zu unbequem
geworden war, Politik fürs Volk zu machen, obwohl Sie
die Gelegenheit hatten. Sie haben sich in die Büsche ge-
schlagen, Herr Lafontaine!
Was Sie hier vorgetragen haben, ist unglaublich, un-
seriös und feige, Herr Lafontaine. Ich war zu dieser Zeit
frisch im Bundestag. Ich war rentenpolitische Sprecherin
meiner Fraktion. Ich kann mich sehr gut daran erinnern,
dass Sie einer der Hauptprotagonisten waren, die verhin-
dert haben, dass wir bei der Rentenreform schnell in die
nachhaltige Reform der sozialen Sicherungssysteme ein-
gestiegen sind. Wir hatten schon damals einen großen
Nachholbedarf, aber Sie haben auf der Bremse gestan-
den, weil Sie nicht in der Lage sind, die Realitäten in
diesem Land, zum Beispiel die demographische Ent-
wicklung, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, Herr
Lafontaine.
Zu Ihren semantischen Übungen in der Frage, ob es
nun „Lohnnebenkosten“ oder „Lohnzusatzkosten“ heißt,
kann ich nur sagen: Darum geht es nicht. Sie sollten ein-
mal zur Kenntnis nehmen, dass die Unternehmen in un-
serem Land auch ein Problem mit den Zusatzkosten, das
heißt mit den zusätzlichen Belastungen, haben. Insbe-
sondere für den Mittelstand sind die Lohnnebenkosten
eine hohe Beschäftigungshürde. Wenn wir in Deutsch-
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Sehr geehrter Herr Glos, Sie sind der neue Wirt-
chaftsminister. Ich gratuliere Ihnen dazu. Sie sind
achrücker für Herrn Stoiber. Interessant ist: Herr
toiber ist hier körperlich nicht mehr anwesend;
on Herrn Ramsauer haben wir aber vernommen, dass
ein Geist noch über dem Kabinettstisch schwebt.
ch hoffe, dass das nicht der einzige Geist ist, der die Ar-
eit dort beseelt.
Herr Glos, Sie sind mit großen Vorsätzen ans Podium
etreten. Sie haben wie alle anderen in Ihrer neuen Re-
ierung das Mantra wiederholt: Vorfahrt für Arbeit. Ich
abe gestern genau zugehört. Ich habe auch heute genau
ugehört. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das Geheimnis,
ie Sie Arbeit für die vielen arbeitslosen Menschen in
iesem Lande schaffen wollen, haben Sie immer noch
icht gelüftet. Das Konzept gleicht jedenfalls eher einem
chweizer Käse
ls einem ganzheitlichen Ansatz. Ich will das an ver-
chiedenen Stellen aufzeigen.
Zunächst einmal haben Sie aus einem Ministerium
wei gemacht; das heißt, wir haben eine wundersame
ermehrung von Ministerien und Posten erlebt. Sie ha-
en sich dann – das ist relevant für die Wirtschafts- und
eschäftigungspolitik in diesem Lande – den Technolo-
iebereich aus dem Forschungsministerium herausge-
chnitten, also dort geplündert. Es geht um einen Be-
eich, dessen Unternehmen vor allem im CSU-Land
ayern angesiedelt sind. Sie haben uns aber nicht sagen
önnen, was Sie an Technologiepolitik machen wollen.
Ich finde, das hat durchaus einen Beigeschmack.
ber ich will gar nicht weiter darauf herumreiten. Ich
abe darauf gewartet, dass Sie sagen, was Sie denn nun
ezüglich der Herausforderungen in diesem Lande, vor
enen die Technologie- und Wirtschaftspolitik steht,
onzeptionell anzubieten haben. Eines der größten Pro-
leme der Unternehmen in unserem Lande ist die
bhängigkeit vom Öl. Tatsache ist, dass wir die Öl-
reisentwicklung als eine große, auch zukünftige Belas-
ung einrechnen müssen. Ich habe von Ihnen, Herr Glos,
186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Thea Dückert
der Sie doch zukünftig auch für Technologiepolitik zu-
ständig sein werden, nichts darüber gehört, wie Sie unser
Land und unsere Unternehmen aus der Abhängigkeit
vom Öl herausführen wollen. In der Verkehrs-, Chemie-
und Pharmaindustrie sowie im gesamten Energiebereich
bedeutet diese Abhängigkeit relevante Kostenbelastun-
gen für die Unternehmen. Es geht hier um Zukunftsbe-
reiche, die in Bezug auf die Beschäftigung eine große
Rolle spielen. Auf der Basis Ihrer Konzeptionslosigkeit
stolpern wir orientierungslos in diese Zukunftsaufgaben.
Ich erwarte von Ihnen, Herr Glos, dass Sie eine der
größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen in
diesem Lande annehmen und uns Konzepte dazu liefern,
wie die Entwicklung Deutschland zukunftsträchtig, vom
Öl nicht so stark abhängig und beschäftigungsintensiv
gestaltet werden kann.
Frau Merkel hat gesagt, wir wollen innerhalb von
zehn Jahren mindestens auf den dritten Platz in Europa
kommen. Das ist gut. Aber, Herr Glos, dann hätte ich
von Ihnen gerne einmal gehört, was Sie dazu zu sagen
haben, dass einer unserer größten Beschäftiger, die
Automobilindustrie, in technologischer Hinsicht hinten
herunterzukippen droht; diese Branche kann im interna-
tionalen Konkurrenzkampf keine Zukunftskonzepte
mehr aufweisen. Sie hätten uns als Wirtschafts- und
Technologieminister einmal sagen sollen, wie wir damit
umgehen sollen, dass in Deutschland fortschrittlichste
Technologie entwickelt wird, zum Beispiel auf dem Ge-
biet der Motoren, dass aber diese Technologie von unse-
ren Unternehmen nicht angewandt, sondern verschlafen
wird, sodass sie gegenüber den ausländischen Unterneh-
men in Rückstand geraten. Herr Glos, wenn Sie darauf
keine Antwort haben, dann werden Sie auch keine Ant-
wort darauf haben können, wie wir in den Charts in Eu-
ropa unter die ersten drei kommen sollen.
Interessant fand ich auch, was Sie nicht erwähnt
haben, beispielsweise – auch das ist eine Zukunftsbran-
che, auf der Sie bisher immer herumgehackt haben – die
boomende Branche der Solarindustrie. Ich habe von Ih-
nen, Herr Glos, nichts dazu gehört. Das macht mich
froh; denn immerhin hacken Sie jetzt auf diesem Zu-
kunftsbereich nicht mehr herum.
Möglicherweise haben Sie nach der Wahl tatsächlich be-
griffen, dass wir, Deutschland, die Wirtschaft, der Mit-
telstand, gerade im Bereich der alternativen Energien
eine große Chance haben.
Neben dem, was fehlt, bekommen wir einen Flicken-
teppich von vielen Maßnahmen angeboten: Dass das
KfW-Programm weitergefahren wird, finde ich richtig.
Die Abschreibungserleichterungen sind richtig. Die
Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Hand-
werksrechnungen ist vernünftig. Das kleine Investitions-
programm – 6 Milliarden Euro, ein bisschen durchwach-
sen – ist okay. Das ist sozusagen ein Teil der Politik der
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was Staatsverschuldung, Wirtschaftswachstum und Er-
werbstätigenzahlen betrifft. Aber wir schauen in der gro-
ßen Koalition nicht zurück, sondern nach vorne, wie wir
die Probleme lösen können. Angesichts der Vorgaben für
das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigtenzahlen
kann man sagen, dass ehrgeizige Ziele Grundlage für die
Haushaltskonsolidierung sind.
Die Koalitionsvereinbarung zeigt vor allen Dingen ei-
nes – ich glaube, das ist für uns und für viele in der Öf-
fentlichkeit ganz wichtig zu begreifen –: Es gibt nicht
den einen Schalter, den man umlegen muss, um zu neuen
Arbeitsplätzen und zu mehr Wirtschaftswachstum zu
kommen, sondern es handelt sich um eine Vielzahl von
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Wir sollten auch überlegen, wie wir unseren Vor-
chlag zu den Bündnissen für Arbeit – da hatte die
PD zunächst noch große Vorbehalte – mit den Kollegen
n den Betrieben umsetzen können. Wir müssen im Rah-
en der Tarifverträge mehr Beweglichkeit schaffen.
ieser Punkt ist sicherlich noch offen. Aber gerade für
ie mittelständischen Betriebe müssen wir mehr Beweg-
ichkeit schaffen.
Ein weiterer großer Schwerpunkt. Neu ist, welche
reite das Problem der Unternehmensfinanzierung in
er Koalitionsvereinbarung einnimmt. Dieses Problem
st gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen
188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Laurenz Meyer
entscheidend. Ich nenne in diesem Zusammenhang die
Stichworte: Beteiligungs-/Wagniskapital, Rolle der
KfW, Basel II, Verbesserung der Eigenkapitalsituation in
den Unternehmen.
Diese Fragen hängen nach meiner Meinung auch
– damit müssen wir uns intensiv auseinander setzen –
mit der Alterssicherung zusammen. Wenn es uns gelin-
gen würde, Ansätze zu finden, die Eigenkapitalbildung
in mittleren Unternehmen mit der betrieblichen Alters-
vorsorge von Mitarbeitern zu verbinden, ohne dass das
Arbeitsplatzrisiko und das Vermögensrisiko kumulie-
ren, dann hätten wir einen richtig großen Wurf geschafft.
Auch mit diesen Fragen sollten wir uns beschäftigen.
Der Wirtschaftsminister hat die Punkte Forschung
und Entwicklung, Bildung und Innovationen im Verbund
von Wirtschaft und Wissenschaft angesprochen. Dies ist
eine zentrale Frage. Ich kann dazu nur den Satz wieder-
geben, den die Bundeskanzlerin seit einiger Zeit fast wie
eine Fahne vor sich herträgt und der so einfach und rich-
tig ist wie nichts anderes. Sie sagt: Wir müssen so viel
besser sein, wie wir teurer sind. – Genau das ist die
Kernbotschaft, die wir umsetzen müssen.
Wir müssen endlich die Innovations- und Erneuerungs-
feindlichkeit in diesem Land beseitigen. Das geht bis
weit in die Bevölkerung hinein; das betrifft nicht nur alle
Mitglieder in diesem Parlament.
Herr Brüderle, Sie haben das Stichwort Steuererhö-
hungen angesprochen. Steuererhöhungen tun weh, und
zwar uns allen schon bei der Beschlussfassung. Die tun
sicherlich jedem weh. Aber Sie werden gewiss so redlich
sein, zuzugeben, dass auch jede Ausgabenkürzung, die
Sie vorschlagen, das Portemonnaie von Unternehmen
und Bürgern betrifft. Jede Ausgabenkürzung im Staats-
haushalt hat volkswirtschaftlich die gleiche Wirkung wie
Steuererhöhungen.
Die Frage ist nur: Wo kommen sie an und woher kom-
men sie? Wenn ich mir dazu die FDP-Programme an-
sehe, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass es die FDP
war, die die Umschichtung von direkten auf indirekte
Steuern besonders markig gefordert hat.
Der Unterschied ist – lassen Sie uns darüber wirklich
ernsthaft reden –, dass ein Teil dieser Steuererhöhungen
– leider Gottes ist es aufgrund der Haushaltssituation nur
ein Teil – dafür verwendet wird, die Sozialkosten zu sen-
ken. Richtiger als Ihr Konzept, von direkten auf indi-
rekte Steuern umzuschichten, ist es nämlich, Sozialversi-
cherungskosten über Steuern zu finanzieren. Wenn es
uns gelingt, die Haushaltssituation in den Griff zu be-
kommen, müssen wir auf diesem Weg weiter voran-
schreiten, damit wir eine sozial gerechtere Verteilung der
Sozialversicherungskosten hinbekommen.
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ir haben für 2006, 2007 und 2008 bestimmte Zeitpläne
ufgestellt, damit die Unternehmen wieder Vertrauen ge-
innen zu investieren, die Bürger keine Angst mehr ha-
en, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und die Konsum-
reudigkeit im Land insgesamt wieder steigt.
Wir als Wirtschaftspolitiker werden den Wirtschafts-
inister nach Kräften unterstützen, wenn er sich in an-
ere Gebiete einmischt. Wirtschaftspolitik ist eine Quer-
chnittsaufgabe und da hat Herr Glos unsere volle
nterstützung.
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Wend, SPD-
raktion.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 189
)
)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Auch ich möchte zunächst Ihnen, Herr Glos, ganz
herzlich zu der nicht zu jedem Zeitpunkt nach der Bun-
destagswahl erwarteten Ernennung zum Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie gratulieren. Gleichzeitig
möchte ich Ihnen auf Basis der Koalitionsvereinbarung
die loyale Unterstützung der SPD-Fraktion für die Zeit
der großen Koalition „androhen“.
Ich habe mich natürlich besonders darüber gefreut,
dass Sie die Manager, die Unternehmer in diesem Land
dazu aufgefordert haben, dieses Land nicht länger
schlecht zu reden. Noch mehr würde ich mich freuen,
wenn auch bei der parlamentarischen Basis von FDP und
PDS endlich ankommen würde, dass unser Land Opti-
mismus und Vertrauen braucht und dass sich die Investi-
tion in Vertrauen in dieses Land lohnen wird.
Zu FDP und PDS generell möchte ich sagen, dass ich
es durchaus genieße, wenn sie sich wechselseitig Beifall
zollen. Das ist eine ganz interessante Erfahrung. Herr
Brüderle, Sie sagen, dass die Koalitionsvereinbarung
eine Sozialdemokratisierung unseres Landes bedeute.
Die andere Seite sagt zur Koalitionsvereinbarung, sie
führe zu einer Neoliberalisierung unseres Landes. Wenn
die beiden Ränder des politischen Spektrums zu diesen
unterschiedlichen Bewertungen kommen, kann das, was
die große Koalition in ihren Koalitionsvertrag geschrie-
ben hat, nicht so ganz falsch sein, meine Damen und
Herren.
Herr Lafontaine, Sie haben gerade den Versuch einer
populärwissenschaftlichen Vorlesung, gemischt mit po-
pulistischen Verführungen, unternommen. Ich nenne ein
Beispiel: Sie sagen, wenn wir die Steuerquote in unse-
rem Land endlich so hoch setzen würden wie andere In-
dustrieländer, dann könnten wir die finanziellen Wohlta-
ten viel besser finanzieren.
Die Wahrheit ist aber, dass Länder, die eine höhere Steu-
erquote haben, geringere Lohnnebenkosten und gerin-
gere Abgaben haben, weil sie einen höheren Anteil der
Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme über die
Steuern finanzieren. Wenn Sie den Anteil der Steuern
und Abgaben zusammen betrachten würden, wüssten
Sie, dass in unserem Land an dieser Stelle Handlungsbe-
darf besteht.
Lassen Sie mich überhaupt etwas zum Thema „PDS
und Populismus“ sagen. Herr Lafontaine, wenn Sie in
dieser sich rasant verändernden Welt, in einer Welt, in
der ein Land, das vor 25 Jahren noch Entwicklungsland
war, uns heute auf den Weltmärkten Konkurrenz macht,
in der ein Land wie China die Rohstoffe unserer Welt
aufkauft – verbunden mit den entsprechenden Proble-
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Die Holländer haben allein aus diesen Maßnahmen
ein Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent ge-
schöpft.
Wir sollten die Chance ergreifen, wenn wir sehen, dass
andere Länder etwas gut machen, und es dann einfach
nachmachen. Vielleicht machen wir es sogar noch ein
bisschen besser. Das ist ein Erfolg versprechendes Mo-
dell von Bürokratieabbau, um das sich diese Koalition
kümmern wird.
Ich nenne als dritten Bereich Investitionen und
Unterstützung für Handwerk und Mittelstand. Ge-
nannt wurde bereits die deutliche Verbesserung der Ab-
schreibungsbedingungen bis zum 31. Dezember 2007.
Wir wollen bei der Umsatzsteuer die Grenze für den
Umsatz, ab der die Istbesteuerung und nicht die Sollbe-
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Wir wollen ermöglichen, dass private Aufwendungen
ür Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen im
aushalt von der zu zahlenden Einkommensteuer abge-
etzt werden können, um damit für das Handwerk bes-
ere Bedingungen zu schaffen.
ir machen, was den Haushalt angeht, übrigens noch et-
as – darüber bin ich persönlich sehr froh –: Wir wollen
afür sorgen, dass auch die Kosten für Haushaltskräfte
n Zukunft steuerlich absetzbar sind.
Warum ist das gut? Erstens ist das vor dem Hinter-
rund des Arbeitsmarktes gut, weil in dem Bereich der
eniger gut Qualifizierten etwas brachliegt; hier können
rbeitsplätze entstehen. Zweitens ist das aber auch aus
esellschaftspolitischen Gründen wichtig; denn es geht
arum, im Haushalt die Kindererziehung und in Zukunft
n zunehmendem Maße auch die Pflege älterer Men-
chen möglich zu machen. Wenn wir dieses gesell-
chaftspolitische Anliegen mit einem arbeitsmarktpoliti-
chen Effekt verbinden können, dann wären wir töricht,
enn wir das nicht tun würden.
Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Niebel?
Selbstverständlich, Herr Kollege Niebel, Herr Gene-
alsekretär, Entschuldigung.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Wend,
ürden Sie mir zustimmen, dass gerade Ihre Fraktion
en privaten Haushalt als Arbeitgeber unter dem Stich-
ort „Dienstmädchenprivileg“ in steuerrechtlicher und
atürlich auch in politischer Hinsicht immer diskrimi-
iert hat,
nd würden Sie mir auch zustimmen, dass die von Ihnen
enannten positiven Effekte der Schaffung zusätzlicher
rbeitsplätze auch mit Blick auf private Haushalte als
rbeitgeber bereits in der Vergangenheit hätten genutzt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 191
)
)
Dirk Niebel
werden können, wenn bestimmte ideologische Denk-
schemata früher hätten aufgebrochen werden können?
Herr Kollege Niebel, ich würde mich in ganz beson-
derer Weise darüber freuen, wenn Sie in den nächsten
Monaten die Kraft aufbringen würden, uns bei den Maß-
nahmen, die erforderlich sind, zu unterstützen. Wenn die
FDP-Fraktion in einer ähnlichen Geschwindigkeit wie
andere Fraktionen Lerneffekte erzielen könnte, dann
könnten wir gemeinsam in diesem Haus noch einiges zu-
stande bringen, Herr Kollege Niebel.
Einen letzten Punkt würde ich gerne noch erwähnen,
weil er besonders wichtig ist, auch wenn er wahrschein-
lich nicht kurzfristig wirkt. Dabei geht es um Investitio-
nen in Forschung und Wissenschaft. Wir alle wissen:
Das Grundproblem in unserem Land ist nicht so sehr die
Grundlagenforschung; hier sind wir verdammt gut. Das
Problem ist die Umsetzung der Forschung in die Produk-
tion. An dieser Stelle liegen die Schwierigkeiten.
Wie wollen wir dieses Problem anpacken? Wir wollen
die Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft ver-
bessern. Wir wollen Ausgründungen aus der Universität
durch die Zusammenarbeit von universitärer Forschung
und Wirtschaft verbessern und an dieser Stelle die Clus-
terbildung fördern. Wir wollen ferner insbesondere den
Mittelstand bei der Entwicklung neuer Technologien un-
terstützen. Als Stichwörter nenne ich die Nanotechnolo-
gie, die Luft- und Raumfahrt und den Anlagebau. Wie
Sie sehen, kümmern wir uns also nicht nur um Maßnah-
men, die kurzfristig wirken sollen, sondern wir wollen
die Strukturen in unserem Land auch mittel- und lang-
fristig verändern, um die Voraussetzungen für Wachstum
und Beschäftigung zu verbessern.
Meine Damen und Herren, die große Koalition hat
sich in den letzten Tagen nicht zugejubelt. Das muss bei
einem solchen Start auch nicht sein. Diese Koalition ist
eine Arbeitsbeziehung, die vielleicht noch nicht von sol-
chen Emotionen geprägt ist, wie es bei anderen Koalitio-
nen der Fall war. Aber so, wie unser Land derzeit aufge-
stellt ist, muss das nicht die schlechteste Voraussetzung
für erfolgreiche Politik sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzte Rednerin zu diesem Themenbereich ist die
Kollegin Annette Faße, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Regierung will mehr Wachstum und diese Regie-
rung will mehr Beschäftigung. In einem Sektor, der
heute noch gar nicht angesprochen worden ist, ist dies
bisher gut geleistet worden. In diesem Sektor, dem Tou-
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Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, auch die kri-
ischen Bereiche anzugehen. Auf diesen Arbeitsfeldern
um Beispiel haben wir es in großem Umfang mit
chwarzarbeit zu tun. Auch das ist ein Ziel der Koali-
ion: diese illegalen Arbeitsplätze in legale Arbeitsplätze
u verwandeln.
Mit über 104 000 Ausbildungsplätzen in zwölf Aus-
ildungsberufen stellt diese Branche 7 Prozent aller
usbildungsplätze in Deutschland. Um es auch an dieser
telle ganz klar zu sagen: Am Jugendarbeitsschutzgesetz
ird nicht gerüttelt werden; damit wissen die Verbände
leich, woran sie sind.
Auf zwei Dinge möchte ich besonders aufmerksam
achen: Erstens. Die Tourismuswirtschaft schafft Bin-
ennachfrage. Zweitens. Die Tourismuswirtschaft ist ein
eschäftigungsmotor – beides Dinge, denen in den
ächsten Jahren unser ganzes Handeln gelten muss.
004 war ein Rekordjahr: Es wurden über 42 000 neue
usbildungsverträge abgeschlossen; das ist eine Steige-
ung von 4,9 Prozent. Über 116 Millionen Gäste brach-
en den Beherbergungsbetrieben einen noch nie da ge-
esenen Höchststand; das ist gegenüber dem Vorjahr ein
lus von 3,4 Prozent. Mit über 338 Millionen Übernach-
ungen konnte dies auf dem hohen Niveau des Vorjahres
tabilisiert werden. Die Zahlen machen deutlich, dass es
it der Tourismuswirtschaft um einen Bereich geht, in
en zu investieren sich lohnt und in dem aktiv zu werden
ich für die neue Regierung ebenfalls lohnt.
Nach den Prognosen der Welttourismusorganisation
ird der europäische Markt bis 2020 jährlich um
Prozent wachsen. Unser Auftrag muss es sein, von die-
em Kuchen ein großes Stück für Deutschland herauszu-
chneiden. Um dieses zu erreichen, indem wir die Wer-
ung für Deutschland im Ausland und auch das
nlandsmarketing weiter stärken, steht in der Koalitions-
ereinbarung, dass wir die Deutsche Zentrale für Tou-
ismus weiter auf einem hohen Niveau fördern werden.
eder Euro, der für Marketing eingesetzt wird, kommt
rei- bis vierfach wieder zurück. Das ist eine lohnende
192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Annette Faße
Branche und darum begrüße ich diesen Part in unserer
Koalitionsvereinbarung sehr.
Wir müssen uns im Tourismusbereich sehr schnell an-
passen – und damit auch die gesamte Tourismuswirt-
schaft: Wir haben es mit neuen Trends zu tun, auf die wir
nicht erst mit einem halben oder einem Jahr Verzögerung
reagieren dürfen, sondern die wir vorbereiten müssen,
um dann auch das Angebot machen zu können, das die
Menschen in unserem Lande und das die ausländischen
Gäste von uns verlangen.
Die Menschen in diesem Lande werden in Zukunft
weiterhin sehr reisefreudig sein, aber wir werden gerade
bei den Senioren ein anderes Reiseverhalten haben. Ich
sage ganz deutlich: Die Auswirkungen des demographi-
schen Wandels auf den Tourismus werden in diesem Jahr
und in dieser Legislaturperiode ein Schwerpunkt für uns
sein. Denn wir haben nicht mehr die Senioren, die al-
leine mit dem Reisebus durch die Gegend fahren wollen,
sondern wir haben die, die im Reisen erfahren sind. Die
Senioren wollen auch nicht unbedingt ein Kurkonzert
besuchen, sondern vielleicht einen Jazzfrühschoppen.
Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, werden
auch wir sein: die reisen wollen in Deutschland und die
reiseerfahren sind. Darauf muss die Branche sich einstel-
len.
Wir haben 2006 besondere Ereignisse in Deutschland.
Ein besonderes Ereignis möchte ich ansprechen, weil es
für den Tourismus einfach eine Chance ist: Das ist die
Fußballweltmeisterschaft. Die Branche ist darauf ein-
gestellt, viele Gäste zu empfangen: Es wird damit ge-
rechnet, dass wir 3 Millionen zusätzliche Besucher in
Deutschland begrüßen können. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, das sind Multiplikatoren aus der ganzen Welt.
Diese Chance gilt es zu nutzen. Nicht nur die Fernseh-
übertragung sollte Deutschland als gastfreundliches
Land darstellen, sondern auch Deutschland sich selbst.
Dieser Aspekt ist für unser Land ein sehr wichtiger As-
pekt.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Tourismus-
wirtschaft in diesem Land weiter stärken können, zu-
sammen mit unserem Wirtschaftsminister, den ich hier-
mit ganz herzlich auch in den Ausschuss einladen
möchte. Denn die Tourismuswirtschaft ist ein boomen-
der Markt für Deutschland und ich hoffe, dass Sie alle
mitmachen, dass das auch so bleibt.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/86 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zum Themenbereich Umwelt.
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Es ist unfair, dass die weltweite Vernichtung des Na-
urkapitals zukünftige Generationen in riesige Schwie-
igkeiten bringen wird. Urwälder verschwinden, die
eere und die großen Süßwasserseen werden ausge-
aubt, Lebensräume werden zerstört und mit Nährstoffen
berfrachtet. Ohne intakte Ökosysteme ist eine nachhal-
ige Nutzung undenkbar. Gerade in den ärmsten der ar-
en Länder dieser Erde führt dies zu einem Teufelskreis
us Armut, Zerstörung und Hunger.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 193
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
Es ist übrigens auch unfair, unseren eigenen Kindern
und Enkelkindern, die in den Alpen oder an der Küste
Norddeutschlands leben wollen, ihre Heimat zu nehmen,
wenn sie in 50 oder 100 Jahren Schnee oder Gletscher
nicht mehr kennen und die Sturmfluten an den Deichen
immer gefährlicher werden.
Deshalb ist das zentrale Projekt der Umweltpolitik
dieser Bundesregierung der Klimaschutz. Das Umwelt-
kapitel des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD
umfasst weit mehr Themen, die auch von großer Bedeu-
tung sind. Wenn ich diese heute nicht im Einzelnen refe-
riere, hat das nichts damit zu tun, dass wir sie vernach-
lässigen wollen. Aber es gibt, wie ich glaube, wirklich
ein menschheitsbedrohendes Problem, das in den letzten
Jahren immer deutlicher geworden ist.
Wir knüpfen damit nicht nur an die Politik der Vor-
gängerregierung von SPD und Grünen an, sondern übri-
gens auch an die Erfolge der heutigen Bundeskanzlerin
in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin. Sie war es, die
das Berliner Mandat auf der Vertragsstaatenkonferenz
zum Kioto-Protokoll 1995 hier in Berlin durchsetzen
konnte.
Heute wissen wir: Klimaschutz ist zu einer Überle-
bensfrage der Menschheit geworden. Klimaschutz ist ein
Gebot der Fairness und der Gerechtigkeit. Klimaschutz
wahrt Zukunftschancen und sichert, ohne dass man dafür
viel Pathos aufwenden muss, in vielen Teilen der Welt
das Recht der Menschen auf Leben. Deshalb setzt sich
die neue Bundesregierung in Montreal für ein interna-
tionales Klimaschutzregime für die Zeit ab 2012 ein. Die
Europäische Union sollte sich multilateral verpflichten,
bis 2020 30 Prozent ihrer Treibhausemissionen zu redu-
zieren. Ich werbe dafür, dass sich Deutschland dann ver-
pflichten kann – auch das steht im Koalitionsvertrag –,
deutlich mehr einzusparen, als wir uns bereits heute vor-
genommen haben.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass viele
Länder der Welt in Gefahr sind, die Kioto-Ziele zur Sen-
kung der Treibhausgase zu verfehlen. Der frühere Bun-
desumweltminister Klaus Töpfer hat in diesen Tagen ge-
sagt: Die Weltgemeinschaft reagiert zu langsam. Wir
wissen, dass der Bremsweg im Klimaschutz sehr lang
ist. Was wir heute falsch machen oder unterlassen, wird
sich in 30 oder 40 Jahren bitter rächen.
Man muss aber auch sagen, dass man bei aller Kritik
an dem, was wir bisher trotz Kioto erreicht oder nicht er-
reicht haben, kein anderes Instrument so gut ausbauen
kann wie das Kioto-Protokoll. Wenn ein Baby noch
nicht richtig laufen, sondern nur krabbeln kann, dann ge-
ben wir es ja auch nicht zur Adoption frei, sondern dann
wollen wir ihm das Laufen beibringen.
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Zweitens. Die Modernisierung und auch die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erfordert natür-
lich den Einsatz moderner Technologien zur Reduktion
der Treibhausgase bei der Nutzung von fossilen Brenn-
stoffen. SPD und Grüne hatten sich vorgenommen, bis
zum Jahr 2020 20 Prozent der erneuerbaren Energien
zur Stromerzeugung zu nutzen. Es bleibt bei diesem
Ziel. Das ist ein bereits ambitioniertes Ziel, das wir sogar
übertreffen zu können hoffen. Aber am Ende bleiben
80 Prozent der Energieerzeugung bei fossilen Brennstof-
fen übrig.
Deswegen kann es keinen anderen Weg geben, als da-
für zu sorgen, durch den Einsatz moderner Technologien
deutlich zur Reduktion der Treibhausgase bei der Nut-
zung fossiler Brennstoffträger zur Energieerzeugung
beizutragen. Wir sehen in diesen Tagen zum Beispiel bei
Bion Petroleum, früher British Petroleum, BP, dass sol-
che neuen Technologien entwickelt werden, die uns hel-
fen können, auch dort zur Verringerung der Klimapro-
bleme beizutragen.
Drittens. Wir müssen mit Ressourcen effizienter um-
gehen. Die Nutzung der Umwelt hat ihren Preis. Es ist
ein guter und marktwirtschaftlicher Weg gewesen, dazu
beizutragen, dass die Nutzung von Umwelt, aber auch
die Verschmutzung von Umwelt ein Kostenfaktor in der
betriebswirtschaftlichen Rechnung wird. Das ist beim
Zertifikatshandel, besser „Cap and Trade“, gelungen.
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass marktwirt-
schaftliche Anreize und Systeme nicht nur in den Lehr-
büchern der Universitäten stehen, sondern sie dann,
wenn es gilt, sie anzuwenden, in der Praxis akzeptiert
werden. Ich staune manchmal, wie diejenigen Vertreter
von Wirtschaft und Wissenschaft, die ansonsten markt-
wirtschaftliche Positionen vertreten, ausgerechnet dann,
wenn es darum geht, die volkswirtschaftlichen Kosten
für Umweltverbrauch und die Nutzung von Umwelt in
die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung zu internali-
sieren, von marktwirtschaftlichen Anreizen nichts mehr
wissen wollen.
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ir glauben, dass das Ziel sein kann, am Ende Mega-
attstunden, nicht Menschen arbeitslos zu machen.
Wenn man dieses Ziel in der Industriepolitik verfol-
en will, heißt das auch, dass man den Wirtschafts- und
ettbewerbsstandort Deutschland nicht überfordern
arf. Auch das gehört zur Realität. Wenn wir sachbezo-
ene und erfolgreiche Umweltpolitik machen wollen,
ann das nicht bedeuten, eine Inselpolitik zu betreiben
der im Ergebnis bei uns exzellente Anforderungen zu
ormulieren, wenn dann der CO2-Ausstoß in anderen
ändern der Welt stattfindet und in Deutschland Arbeits-
lätze abgebaut werden. Auch das gehört zu einer reali-
ätsbezogenen Umweltpolitik. Um genau diese Balance
eht es. Wir brauchen die Partnerschaft mit der Wirt-
chaft; denn wir dürfen die Wirtschaft nicht aus der Ver-
ntwortung entlassen.
Man kann aus der Atomenergie aussteigen, aber eben
icht aus der Industriegesellschaft und dem globalen
ettbewerb. Aber mit Umwelt- und Klimaschutz kann
an Gott sei Dank inzwischen richtig Geld verdienen.
llein in diesem Jahr beträgt der Umsatz im Bereich der
rneuerbaren Energien über 11 Milliarden Euro mit steil
nsteigender Tendenz. Längst ist der Umweltschutz
icht nur in diesem Bereich Impulsgeber für Innovation
nd Wettbewerbsfähigkeit. Umweltverträgliche Techno-
ogien sind auf dem Weltmarkt ein echter Wettbewerbs-
orteil. Das Welthandelsvolumen für potenzielle Um-
eltgüter hat sich seit 1993 fast verdoppelt. Deutschland
st mit einem Marktanteil von knapp 19 Prozent weltweit
er größte Exporteur von Umweltschutzgütern.
Der Verknüpfung von wirksamem Klima- und Um-
eltschutz mit erfolgreicher wirtschaftlicher Entwick-
ung dient auch das, was wir im Koalitionsvertrag für
as Altbausanierungsprogramm festgeschrieben ha-
en. 1,5 Milliarden Euro zur energetischen Gebäude-
anierung hilft den Handwerksbetrieben, Bauaufträge zu
ekommen, der Dämmstoffindustrie und dem Klima.
as zeigt, wie praxisorientiert die große Koalition an die
ösung solcher Probleme herangegangen ist.
Ein weiteres Thema, das in der großen Koalition eine
ohe Bedeutung hatte, ist das so genannte Grüne Band.
ir wollen bis zu 125 000 Hektar gesamtstaatlich reprä-
entative Naturschutzfläche des Bundes unentgeltlich in
ine Bundesstiftung einbringen oder an die Länder oder
rivate übertragen.
Natürlich sind wir in der Debatte um die Umweltpoli-
ik – das gehört zur Redlichkeit in der Debatte über die
egierungspolitik der kommenden Jahre dazu – nicht in
llen Fragen übereingekommen. Das in der Öffentlich-
eit breit diskutierte Thema Atomenergie bzw. Nutzung
er Kernenergie zur Stromerzeugung ist zwischen den
oalitionspartnern nicht einvernehmlich zu regeln ge-
esen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 195
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
Ich bin froh, dass wir das im großen gegenseitigen Res-
pekt vor den unterschiedlichen Positionen debattiert und
nicht versucht haben, Formelkompromisse zu finden, die
verschleiern, dass es unterschiedliche Ausgangspositio-
nen gibt.
Vor diesem Hintergrund bleibt es aber dabei, dass die
geltende Atomgesetznovelle und auch die Ausstiegsver-
träge eine klare Ausstiegsposition und -option geschaf-
fen und eine Entwicklung in Gang gesetzt haben, durch
die die Kernenergie in Zukunft nicht mehr zu den zu-
kunftsträchtigen Energieträgern in Deutschland zählen
wird.
Beide Koalitionspartner widmen allerdings einer
Frage besondere Aufmerksamkeit, nämlich dem siche-
ren Betrieb der vorhandenen Atomkraftwerke. Auch die-
jenigen, die aus der Atomenergie aussteigen wollen und
auf den Verträgen und der Atomgesetznovelle beharren,
wissen, dass die Atomkraftwerke noch 20 Jahre in Be-
trieb sind und zum Energiemix in Deutschland beitra-
gen. Deswegen werden wir das Sicherheitsmanage-
ment in den Anlagen selbst überprüfen, aber auch die
staatliche Atomaufsicht den Erfordernissen anpassen.
Wir müssen das kooperativ mit den Ländern machen.
Aber wir wollen wirklich wissen, ob es stimmt, dass es
mit unserer Art des Umgangs mit der Atomaufsicht bzw.
dem Sicherheitsmanagement besser bestellt ist als in
anderen Ländern der Erde. Ich meine, das sind wir den
Menschen in Deutschland schuldig.
Die gleichen Bemühungen um höchstmögliche Si-
cherheit gelten bei der Endlagersuche. Ich bin der
Überzeugung, dass die Festlegung auf den Standort Gor-
leben ohne Standortvergleich nicht vertretbar ist. Es ist
übrigens auch unfair gegenüber den nachfolgenden Ge-
nerationen; denn sie müssen sich darauf verlassen kön-
nen, dass wir unterschiedliche Standorte verglichen ha-
ben, um dann den sinnvollsten Standort auszuwählen.
Aber eines ist auch klar: Gerade diejenigen, die sich
für den Ausstieg aus der Kernenergie entschieden haben,
sind verpflichtet, nach einem sicheren Endlager zu su-
chen. Das ist Bestandteil eines denkbaren Ausstiegs. In-
sofern bin ich auch darüber froh, dass wir uns darin einig
sind, diese Frage nicht unendlich vor uns herschieben zu
können.
– Bei dem Thema Atomenergie klatscht immer jeder so,
wie es ihm gerade in den Kram passt. Ich finde übrigens,
wir sollten die unterschiedlichen Auffassungen wirklich
nicht verschleiern. Ich bin dafür, dass wir das in großer
Offenheit miteinander bereden.
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Umweltschutz ist praktizierte Gerechtigkeit und
airness. Weltweit wird auch in der Politik viel zu sehr
ach dem Motto „Das Hemd ist mir näher als der Rock“
ehandelt. Der Rock wäre in unserer modernen Sprache
ohl der Mantel. Als Mantel sind die Erdatmosphäre,
ie Süßwasservorräte, der Boden, die Wälder und die
eere zu verstehen. Das Hemd ist die Art, wie wir hei-
en, welche Art von Mobilität wir pflegen und welche
rodukte wir kaufen.
Die Dresdner an der Elbe, die Münsterländer in die-
en Tagen und die Bewohner im chinesischen Harbin
issen, dass das Hemd nur noch ein dünner Fetzen ist,
obald der Rock einen kleinen Riss bekommt. Wir müs-
en den Rock, der allen gehört, instand halten und wie-
er instand setzen.
Dabei geht es übrigens auch darum, Schulden abzu-
ragen. Es gibt nicht nur Schulden im finanziellen Sinn.
ielmehr hat eine bestimmte Form der industriellen Ent-
icklung zu unseren gegenwärtigen Problemen beigetra-
en. Das ist nicht zu verhindern, weil Menschen immer
uf dem jeweiligen Stand der Technik arbeiten. Aber wir
üssen erkennen, dass es eine Schuld gibt, und zwar ge-
enüber unseren Enkeln, die wir ebenso abzutragen ha-
en wie die staatlichen Defizite in unseren Haushalten.
Herr Bundesminister, ich darf Sie darauf hinweisen,
ass Ihre Redezeit überschritten ist und Ihr Fraktionskol-
ege die Konsequenzen daraus zu tragen hat.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
chutz und Reaktorsicherheit:
Vielen Dank für den Hinweis. Ich muss mich erst ein-
ewöhnen. Aber ich bin gleich fertig. Ich hoffe, der Kol-
ege hat Verständnis dafür.
Ich finde, das sollten auch die Skeptiker erkennen:
mweltpolitik zu gestalten heißt, als Vertreter späterer
enerationen fairen Wirtschaftskreisläufen den Weg zu
ahnen und gerechtere Lebensstile zu stimulieren. Der
oalitionsvertrag, das Regierungsprogramm, stellt dafür
us meiner Sicht die richtigen Weichen.
Herzlichen Dank.
196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
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Ich erteile nun dem Kollegen Michael Kauch von der
FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Schutz der Umwelt ist Teil einer Politik für Generatio-
nengerechtigkeit. Er steht für einen verantwortlichen
Umgang mit den Ressourcen und dafür, die Lebens-
räume der Tiere und die Gesundheit der Menschen zu
bewahren. Umweltpolitik ist nicht zuletzt auch langfris-
tige Wirtschaftspolitik. Markt, Wettbewerb und Unter-
nehmertum, Bürokratieabbau und Innovation, das müs-
sen auch und gerade Kategorien ökologischer Politik
werden.
Das Ende der grünen Regierungsbeteiligung bietet die
Chance auf Abkehr von einer staatswirtschaftlichen,
überregulierenden und ökoromantischen Umweltpolitik.
Diese Chance müssen Sie, Herr Gabriel, nun ergreifen.
Es reicht nicht, sich zum Innovationsminister zu erklä-
ren. Vielmehr muss man das auch leben.
Wir, die FDP, erwarten von der neuen Bundesregie-
rung, dass sie insbesondere auf den Feldern aktiv wird,
die in der Vergangenheit vernachlässigt wurden. Die
Lärmbekämpfung gehört dazu. Umfragen zeigen:
Lärm ist für viele Menschen ein großes Umweltproblem.
Studien belegen: Dauerhafter Lärm ist eine ernsthafte
Gefahr für die Gesundheit. Sieben Jahre lang hat Rot-
Grün ein modernisiertes Fluglärmgesetz angekündigt.
Aber ein Ergebnis gibt es bis heute nicht.
Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, unverzüg-
lich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
Ich bitte Sie, die Pläne der Exminister Trittin und Stolpe
über Bord zu werfen, die Anwohner erster, zweiter und
dritter Klasse vorsahen. Wir, die FDP, sind der Meinung,
dass alle Anwohner, egal ob von neuen oder bestehenden
Flughäfen, von Verkehrs- oder Militärflughäfen, den
gleichen Schutz verdient haben.
Auch auf der Schiene muss mehr passieren. Wir müs-
sen vor allem den Lärm an der Quelle mindern. Aber das
werden wir mit öffentlichen Mitteln allein nicht schaf-
fen. Lärmschutz muss sich für die Bahnunternehmen
rechnen. Das wird durch lärmabhängige Trassenpreise
gelingen. Das blockiert die Deutsche Bahn Netz AG al-
lerdings bisher. Sie sind als Bundesregierung und Eigen-
tümer dieses Unternehmens gefordert, hier zu handeln.
Der Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft
kommt ebenfalls nicht voran. Das geht zulasten der Bür-
ger, die die Zeche zahlen müssen. Die Koalitionsverein-
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Wir begrüßen die Entscheidung der Koalition für ein
mweltgesetzbuch. Das haben wir lange gefordert.
ber es darf keine Mogelpackung werden. Das heißt, Sie
üssen die Schaffung des Umweltgesetzbuches tatsäch-
ich mit Bürokratieabbau verbinden, ohne dass wir mate-
ielle Schutzstandards aufgeben. Wenn das gelingt, sind
ir als FDP ganz bei Ihnen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 197
)
)
Michael Kauch
Derzeit findet die Klimakonferenz in Montreal statt.
Der Klimaschutz braucht globale Lösungen und multila-
terale Ziele. Die FDP tritt deshalb für die Fortsetzung
von Kioto ein. Weitere Länder wie die USA und China
müssen bewegt werden, sich dieser Gemeinschaft anzu-
nähern. Kanada hat in diesem Zusammenhang vorge-
schlagen, dass einzelne Regionen, beispielsweise US-
Bundesstaaten, am internationalen Emissionshandel teil-
nehmen können. Wir finden diese Idee ausgezeichnet
und bitten die Bundesregierung, in diese Richtung zu
verhandeln.
Beim Klimaschutz brauchen wir verbindliche und an-
spruchsvolle ökologische Vorgaben. Die FDP steht zum
Ziel, die CO2-Emission in der EU um 30 Prozent bis
zum Jahr 2020 zu verringern. Wir sagen aber auch: Wir
brauchen eine faire Lastenverteilung in der EU. Deshalb
finde ich es falsch, dass wir, bevor die Verhandlungen in
der EU überhaupt begonnen haben, nationale Ziele hin-
terherschieben. Die Franzosen und andere müssen sich
ebenso beteiligen wie wir.
Der Klimaschutz muss kostengünstiger werden. Pro
eingesetztem Euro müssen soviel Treibhausgase wie
möglich eingespart werden. Wir brauchen mehr Mög-
lichkeiten für Unternehmer, Klimaschutzinvestitionen in
anderen Ländern zu erbringen. Deutschland muss rasch
in Verhandlungen über zwischenstaatliche Übereinkom-
men zur gemeinsamen Durchführung von internationa-
len Klimaschutzprojekten eintreten. Der Emissions-
handel sollte alle klimarelevanten Gase einbeziehen und
er sollte auf Verkehr und Gebäude ausgeweitet werden.
Hier liegen die größten wirtschaftlich sinnvollen Ein-
sparpotenziale.
Die Koalition hat zwar nun ein Programm zur
Gebäudesanierung angekündigt; das kann aber nur der
Anfang und nicht die Lösung sein. Wir brauchen ein um-
fassendes Energiekonzept für den Gebäudesektor, das
Maßnahmen zur Energieeffizienz und zum Einsatz er-
neuerbarer Energien im Wärmebereich einschließt. Das
notwendige Kapital – machen wir uns nichts vor – kann
nur aus dem privaten Sektor kommen. Deshalb brauchen
wir den Emissionshandel, der privates Kapital aus der
Industrie auch für den Gebäudesektor mobilisieren kann.
Im Verkehrsbereich bieten alternative Kraftstoffe eine
gute Lösung für Alternativen jenseits vom Öl. Die Ant-
wort kann aber nicht allein Biokraftstoffe heißen. Die
Anbauflächen in Europa sind begrenzt, Monokulturen
nicht wünschenswert und der Import von Palmöl aus
Übersee fördert die Abholzung der Regenwälder. Bio-
kraftstoffe können allerdings ein erster Schritt sein. Aber
was macht die Koalition? Sie plant einen ordnungspoliti-
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Große, allerdings langfristige Perspektiven jenseits
om Öl bietet der Einstieg in die Wasserstoff- und
rennstoffzellentechnologie. Die Halbherzigkeit bei
er Förderung der Wasserstofftechnologie in den letzten
ahren muss beendet werden. Forschung und Entwick-
ung in diesem Sektor müssen zu einem Schwerpunkt
erden. Ich habe den Eindruck, dass hier vielleicht Be-
egung hineinkommt. Das würde Wind- und Sonnen-
nergie neue Perspektiven für einen wirtschaftlich sinn-
ollen Einsatz geben: gespeicherte Energie, wenn die
onne nicht scheint und wenn der Wind nicht weht.
CO2-Einsparoptionen dürfen generell nicht ideolo-
isch begrenzt werden. Die CO2-Abscheidung, effizien-
ere Kohlekraftwerke und Effizienztechnologien in
aushalt und Verkehr müssen vorangetrieben werden,
ber eben auch die Kernfusionsforschung; denn auch
ie bietet Potenziale für CO2-freie, sichere Energie.
Auch im Umweltsektor gilt: Wir brauchen mehr Frei-
eit für Unternehmertum und weniger staatliche Inter-
ention, mehr marktwirtschaftliche Anreize und weniger
rdnungsrecht. Nur so werden wir den Unternehmer-
eist für neue, innovative, wettbewerbsfähige Produkte
nd Technologien wecken.
Herr Minister Gabriel, Sie haben in einem Interview
n der „Zeit“ erklärt, dass Sie Innovationsminister sein
ollen und dass das Umweltministerium Innovationsmi-
isterium werden soll. Wir Liberale begrüßen das und
erden Sie beim Wort nehmen. In diesem Sinne bieten
ir Ihnen als liberale Opposition eine kritische, aber
onstruktive Zusammenarbeit an.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Katherina Reiche,
DU/CSU-Fraktion.
198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Umweltkatastrophen wie der Chemieunfall in
China führen uns immer wieder auf erschreckende Art
und Weise vor, dass weltweit noch ein erheblicher Nach-
holbedarf im Umweltschutz besteht; schließlich handelt
es sich dabei um keinen Einzelfall. Die Europäische
Umweltagentur hat in dieser Woche einen Bericht vorge-
legt, in dem sie darauf hinweist, dass Europa der
schlimmste Klimawandel seit 5 000 Jahren droht, sollte
sich die derzeitige Erderwärmung fortsetzen. Diese
Agentur schreibt, dass bis zum Jahr 2050 bei unverän-
derten Bedingungen drei Viertel der Schweizer Glet-
scher weggeschmolzen sind. Das ist wahrlich keine gute
Aussicht. Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrund-
lagen gehört in Deutschland inzwischen zum gesell-
schaftlichen Selbstverständnis. Wir haben seit vielen
Jahren ein sehr hohes Umweltschutzniveau und arbeiten
ständig auch an einem Umweltbewusstsein.
Die eben genannten Beispiele machen jedoch auch
deutlich, dass wir im Umweltschutz weltweit noch sehr
viel zu leisten haben. Es müssen neue Konzepte entwi-
ckelt werden, um wirtschaftliches Wachstum und den
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Einklang zu
bringen. Das ist eine große Aufgabe. Wir werden nur er-
folgreich sein, wenn uns der Ausgleich zwischen ökono-
mischen und ökologischen Interessen gelingt.
Es ist deshalb richtig, dass sich CDU, CSU und SPD in
ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet haben, dass
Deutschland seine führende Rolle im Klimaschutz auch
weiterhin wahrnimmt, dass Deutschland im Umwelt-
schutz auch weiterhin Vorbild ist.
Gerade beim Klimaschutz stehen wir vor großen He-
rausforderungen. So haben die Vereinten Nationen erst
in diesem Jahr einen Bericht vorgelegt, nach dem allein
die Industriestaaten im Jahr 2010 knapp 11 Prozent mehr
Treibhausgase ausstoßen werden als noch 1990. In den
Entwicklungs- und Schwellenländern wird dieser An-
stieg noch höher sein.
Es müssen weitere, neue Wege gefunden werden, den
Treibhausgasausstoß weiter zu reduzieren. Deshalb set-
zen wir uns dafür ein, dass bis zum Jahr 2009 ein inter-
nationales Klimaschutzabkommen für die Zeit nach
2012 geschaffen wird, dass auf dem Kioto-Protokoll auf-
baut. Dabei müssen auch andere Industriestaaten wie die
USA und die Entwicklungs- und Schwellenländer einge-
bunden werden. Insbesondere mit den USA muss es wie-
der zu einem konstruktiven Dialog kommen. Wir wollen
den Klimaschutz in einem partnerschaftlichen Verhältnis
mit den USA besprechen und aufbauen. Da wurde in den
vergangenen Jahren sicherlich einiges versäumt. Die
derzeitige Klimakonferenz in Montreal ist ein wichtiger
Schritt, um den Dialog wieder aufzunehmen.
Auch international wollen wir unserer Verantwortung
im Klimaschutz gerecht werden. Hierzu gehört bei-
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Einen Schwerpunkt bildet für uns die energetische
anierung von Altbauten. Hier wollen wir das große
otenzial zur Einsparung von Energie und CO2 angehen.
in beträchtliches Fördervolumen soll dafür aktiviert
erden. Das ist angesichts der schwierigen Haushalts-
age sicherlich ein Kraftakt. Dass ungefähr zwei Drittel
er Gebäude in Deutschland wärmetechnisch sanie-
ungsbedürftig sind, zeigt, dass wir hier auf dem richti-
en Weg sind.
Die Bundeskanzlerin hat gestern in ihrer Regierungs-
rklärung auf die großen Potenziale in der energetischen
ebäudesanierung Bezug genommen. Dieses Pro-
ramm ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, son-
ern auch zur Förderung von Arbeitsplätzen im Mittel-
tand.
Die Energie- und Rohstoffpreise sind in den vergan-
enen Monaten deutlich gestiegen. Diese Entwicklung
at unmittelbar Auswirkungen auf die Wettbewerbsfä-
igkeit unserer deutschen Unternehmen. Wir müssen uns
on dieser Entwicklung unabhängiger machen und die
nergieversorgung in Deutschland auf eine breite Basis
tellen. Wir brauchen einen breiten Energiemix, der
eine Energieform ausschließt. Wir müssen noch stärker
uf erneuerbare Energien setzen, insbesondere auf nach-
achsende Rohstoffe und Biomasse; wenn Sie so wol-
en: weg vom Öl.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang ein paar
ätze zur Weißen Biotechnologie, also Ersatz endlicher
ossiler Brennstoffe durch nachwachsende Rohstoffe
zw. Einsatz von biologischen Systemen wie Zellen oder
nzymen als Katalysatoren in industriellen Prozessen.
erade die technologischen Durchbrüche auf den For-
chungsgebieten der Enzymentwicklung, der Biokata-
yse und der genetischen Modifizierung von Mikroorga-
ismen stoßen in der chemischen Industrie auf ein
reites Interesse und auf eine große Nachfrage.
In der Weißen Biotechnologie sind wir zudem in einer
ituation, die wir leider nicht mehr in allen innovativen
orschungsbereichen haben; denn wir haben hier eine
osition, die der der USA mindestens gleichwertig,
enn nicht vorteilhafter ist. Diesen Vorteil dürfen wir
icht verspielen, sondern müssen ihn ausbauen.
Die erneuerbaren Energien haben sich in den ver-
angenen Jahren zu einer wichtigen Säule der Strom-
ersorgung entwickelt. Im Jahr 2004 betrug der Ge-
amtumsatz im Bereich der erneuerbaren Energien
1,5 Milliarden Euro, insgesamt wurden in diesem Be-
eich 6,5 Milliarden Euro investiert. Diese Branche hat
ittlerweile 100 000 Arbeitsplätze.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 199
)
)
Katherina Reiche
Die erneuerbaren Energien entwickeln sich damit zu
einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Allerdings müssen
wir bei ihrer Förderung auch immer die damit verbunde-
nen Kosten berücksichtigen. Die Förderung der erneuer-
baren Energien erfolgt nämlich vornehmlich durch eine
Umlage über die Strompreise. Nach Angaben des Ver-
bandes der Elektrizitätswirtschaft betrug die Gesamtbe-
lastung der Stromverbraucher im Jahr 2004 rund
2,3 Milliarden Euro. Wir müssen darauf achten, dass die
Förderung in einem ausgewogenen Verhältnis erfolgt.
Die Überprüfung der wirtschaftlichen Effizienz der För-
derung im Jahr 2007 ist hierfür eine wichtige Festlegung
im Koalitionsvertrag.
Für die energieintensiven Unternehmen brauchen
wir zudem bessere Rahmenbedingungen. Stilllegungen
wie die des Aluminiumwerks in Hamburg soll es nicht
mehr geben. Die Härtefallregelung im EEG werden wir
novellieren.
Bisher sind die erneuerbaren Energien noch nicht
wettbewerbsfähig. Hier bedarf es vermehrter Anstren-
gungen in Forschung und Entwicklung, nicht nur im
öffentlichen, sondern auch im unternehmerischen Be-
reich. Die Innovationsinitiative „Energie für Deutsch-
land“, die Union und SPD gemeinsam auf den Weg brin-
gen wollen, ist hierfür ein zentraler Baustein. Wir wollen
die Ausgaben für Energieforschung schrittweise erhö-
hen, damit die erneuerbaren Energien und die Biomasse
sowie ein nationales Investitionsprogramm für die Was-
serstofftechnologie gefördert werden können. Gleichzei-
tig wollen wir mit der Wirtschaft vereinbaren, dass sie
ebenfalls zusätzliche Mittel für Forschung und für Markt-
einführung von Energietechnologien investiert.
In den vergangenen Jahren wurde Umweltpolitik in
Deutschland oftmals als Wachstums- und Innovations-
hemmnis wahrgenommen. Wir müssen uns ernsthaft die
Frage stellen, welche Entwicklungen in der Umweltpoli-
tik falsch gelaufen sind. Wenn der Feldhamster das Sym-
bol für Investitionshemmnisse geworden ist und Um-
weltschutz als Wachstumsbremse erscheint, dann läuft
etwas falsch.
Leider waren die Vorwürfe nicht immer unbegründet;
das muss ich sagen, wenn ich an die EU-Chemikalienpo-
litik oder an die Energieforschung denke. Für viele Bür-
ger und Unternehmen ist die Umweltpolitik sehr kompli-
ziert; sie erscheint bürokratisch und ist auch teuer.
Deshalb muss die Umweltpolitik selbst einem Moder-
nisierungsprozess unterzogen werden. Umweltpolitik
selbst muss effektiver und bürgerfreundlicher werden.
Die Bewahrung der Schöpfung und qualitatives Wachs-
tum sind nicht zu trennen.
Deutschland verfügt über ein großes Wissen in der
Umwelttechnik, beispielsweise in der Wasserreinigung,
in der Abfallentsorgung, beim effizienten Einsatz von
Energie, bei Klimaschutz und auch bei erneuerbaren
Energien. Deutsche Unternehmen und Wissenschaftler
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Hinzu kommt, weil die Bahn in der Fläche platt ge-
acht wird – dazu würde ich gern von Ihnen Vorschläge
ören – und der ÖPNV ständig verteuert wird: Es muss
ohl das Auto benutzt werden. Auch Frau Merkel will ja
ie Zuschüsse für den Nahverkehr drastisch kürzen. Lei-
er ist sie jetzt nicht da.
Sind es nun wirklich solche Beschäftigten, die das
lima schädigen, oder sind es diejenigen, die die Men-
chen dazu zwingen,
der gar diejenigen, die von diesen unsozialen Rahmen-
edingungen profitieren, etwa die Unternehmen, die mit
hrer Hilfe die Löhne drücken und die Arbeitszeiten ver-
ängern können? Und das, obwohl Deutschland reicher
st denn je! Über Nachhaltigkeit lässt sich auch so herum
iskutieren, meine ich.
Nicht zu vergessen: Von den weltweit 100 umsatz-
tärksten Konzernen der Forbes-Liste verdienen 60 ihr
eld mit Öl, Ölverarbeitung oder Automobilen. Unter-
ehmen wie BMW, Daimler-Chrysler, Shell oder Exxon
eben damit vor, was produziert wird und welche Stoff-
tröme fließen.
ie haben dadurch auch die Macht, zu diktieren, welche
nfrastruktur für ihre Gewinnmaximierung vom Staat be-
eitgestellt wird.
Aus dem Autokanzler ist nun gerade eine Autokanz-
erin geworden. Schließlich nehmen die Koalitionsfrak-
ionen laut Koalitionsvertrag klaglos hin, dass der Güter-
erkehr bis 2015 gegenüber 1997 um gigantische 64 Pro-
ent steigen soll. Private Lösungen beim Autobahnbau
erden das flankieren. Und wir werden wohl in abseh-
arer Zukunft auf der Fahrt zur Allianz-Arena auf dem
oca-Cola-Ring im Stau stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist alles klima-
nd verkehrspolitischer Wahnsinn. Wie die Bundesrepu-
lik damit ihr Kioto-Ziel erreichen will, ist uns schleier-
aft. Die glücklicherweise beibehaltene Förderung der
rneuerbaren Energien wird das niemals rausreißen,
uch nicht die begrüßenswerte Initiative zur Wärmesa-
ierung. Dass dort etwas nicht stimmt, hat sogar Frau
erkel bemerkt. Im Papier ist bei der Selbstverpflich-
ung bis 2020 gegenüber 1990 dann folglich nur noch
on minus 30 Prozent bei den Klimagasen die Rede. Das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 201
)
)
Eva Bulling-Schröter
ursprüngliche Ziel war einmal bei minus 40 Prozent; das
sollten wir nicht vergessen.
Wahrscheinlich wird auch diese Light-Variante im
Klimaschutz ähnlich still und heimlich begraben werden
wie das einstmals von den Vorgängerregierungen Kohl
und Schröder bis zum Jahr 2005 vorgegebene 25-Pro-
zent-Reduktionsziel.
Apropos: Hat eigentlich jemand von Ihnen bemerkt,
dass hierzulande der Ausstoß des wichtigsten Klimaga-
ses Kohlendioxid in allen folgenden Jahren seit 2000 je-
weils höher war als im Jahr 1999, dem ersten vollen
Amtsjahr der abgewählten rot-grünen Regierung?
Bevor ich zur Klimakonferenz in Montreal komme,
noch ein Wort zur Chemikalienpolitik. Die Linke findet
es sehr bedauerlich, dass es der chemischen Industrie ge-
lungen ist, den längst überfälligen EU-Verordnungsvor-
schlag mittels Präsidentschaft und Parlament aufzuwei-
chen.
Wie man heute in der „taz“ lesen kann, hat der neue
Umweltminister, Herr Gabriel, nichts anderes zu tun, als
in Brüssel weiter Druck im Sinne der Chemiekonzerne
auszuüben. Die Registrierungsanforderungen für die
30 000 Altstoffe, über die den Behörden bislang kaum
Daten und Tests vorliegen, sind schon jetzt deutlich ge-
sunken. Soll der jahrzehntelange Menschenversuch
wirklich weitergehen?
Ein Rückschritt ist übrigens auch die Offensive der
Koalition für den Ausbau der hochriskanten Gentechnik.
Ich bin der Meinung, wir brauchen diese Technologie in
der Landwirtschaft eben nicht. Sie ist gefährlich und zer-
stört deutlich mehr Arbeitsplätze, als sie schafft.
Die USA haben in Montreal gerade die Ausweitung
von Klimaschutzvereinbarungen für die Zeit nach
2012 abgelehnt. Trotz New Orleans und einer Rekord-
hurrikansaison wollen sie für die Reduzierung der Treib-
hausgase weder konkrete Mengenziele noch einen Zeit-
plan. Wir halten das für einen Skandal.
Die Linke unterstützt den Antrag der Grünen zu
Kioto II, auch wenn darin fälschlicherweise von einer
gegenwärtigen Vorreiterrolle Deutschlands und Europas
die Rede ist. Aber geschenkt!
Wichtig ist, dass ein Nachfolgeabkommen für die Zeit
ab 2012 das Kioto-Protokoll als Vorbild haben muss,
und zwar mit Zielen, die weltweit eine Reduktion der
Treibhausgasemissionen um 50 Prozent bis 2050 ermög-
lichen. Das Kioto-Protokoll lässt genügend Raum für
unterschiedliche Typen von Verpflichtungen und Sank-
tionsverfahren. So können auch Entwicklungsländer ent-
sprechend ihren jeweiligen nationalen Besonderheiten
eingebunden werden. Dazu gehören auch so genannte
flexible Mechanismen mit ihren handelbaren Emissions-
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Minister, auch im Namen meiner Fraktion viel
lück für Ihre Arbeit. Wir werden Sie mit Herzblut, mit
achverstand, aber auch, wenn es nötig ist, mit der not-
endigen Angriffslust begleiten. Das verspreche ich Ih-
en.
Das Amt, das Sie jetzt innehaben, ist ein sehr wichti-
es Amt. Eigentlich ist es das Ministerium für existenzi-
lle Angelegenheiten: für sauberes Wasser, für saubere
uft, für die biologische Vielfalt, für die Bewahrung der
atur im weitesten Sinne, für den Schutz der Böden und
ür den Beitrag unseres Landes zum Schutz der globalen
mweltgüter wie der Meere, des Klimas und der Ozon-
chicht.
Das Umweltministerium ist, wenn man so will,
leichzeitig Verteidigungsministerium und Innovations-
inisterium. Es muss Natur und Umwelt verteidigen ge-
en machtvolle Interessengruppen, gegen Schadstoffe,
egen Übernutzung, gegen Rücksichtslosigkeit und ge-
en schlechte Gewohnheiten. Dieser Verteidigungsas-
ekt ist und bleibt wichtig. Man darf ihn nicht unter-
chätzen.
Aber dieses Ministerium ist auch – diese Auffassung
eilen wir; das sagen wir schon seit Jahren – ein Innova-
ionsministerium. Denn die Förderung von umweltent-
astenden Innovationen ist ein ganz zentraler Baustein
er Innovationspolitik. Dies betrifft Technologien aller
rt – einige wurden schon genannt –: von den erneuer-
aren Energien bis zur Weißen Biotechnologie, von effi-
ienter Kraftwerkstechnik bis zur Bionik oder von neuen
ntriebstechniken im Verkehr bis zu Biokraftstoffen und
rennstoffzellen. Es liegt ein weites Feld der unbegrenz-
en Möglichkeiten vor uns. Wir sollten uns dazu ent-
cheiden, es wirklich entdecken zu wollen. Da sollten
ir alle an einem Strang ziehen.
Wir sollten auch denjenigen die rote Karte zeigen, die
ie der BDI in seinem Positionspapier, über das heute
erichtet wird, immer noch so tun, als seien Ökologie,
mweltschutz und Nachhaltigkeit eines der zentralen
202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Reinhard Loske
Entwicklungshemmnisse. Nein, meine sehr verehrten
Damen und Herren vom BDI, das Gegenteil ist der Fall.
Bitte begreifen Sie das endlich! Es ist wirklich zwin-
gend.
Es ist genauso wichtig, darauf hinzuweisen, dass Um-
weltpolitik als Innovationspolitik eben nicht nur Techno-
logiepolitik ist. Es geht auch um intelligente Instru-
mente. Es geht zum Beispiel um das Erneuerbare-
Energien-Gesetz und um die Ökosteuer, also um gezielte
Anreize zur Einsparung von Energie. Es geht um neue
Instrumente wie das Contracting, also quasi um das
Geldverdienen mit Energieeinsparung, und um den Top-
Runner-Ansatz, den wir schon eingebracht haben. Die-
ser Ansatz beinhaltet, dass nicht mehr der Staat, sondern
der Beste den Standard setzt. Alle sollen vom Markt flie-
gen, die diesen guten Standard nicht innerhalb einer ge-
wissen Frist erreichen.
Ein ganz wichtiger Punkt ist auch die Nachhaltig-
keitsstrategie. Hier muss der Dialog gesucht werden.
Man könnte sagen, dass Nachhaltigkeit im 21. Jahrhun-
dert ein anderes Wort für Generationengerechtigkeit, für
Nord-Süd-Gerechtigkeit und für Solidarität ist. So soll-
ten wir Nachhaltigkeit begreifen.
Das Umweltministerium – ich wiederhole es – ist
zwar ein wichtiges, aber auch ein sehr schwieriges
Ministerium, weil die meisten umwelt- und technologie-
politischen Entscheidungen natürlich in anderen Minis-
terien fallen: im Verkehrsministerium, im Bauministe-
rium, im Wirtschaftsministerium, im Agrarministerium
und im Forschungsministerium. Das heißt, der Umwelt-
minister muss sich qua Amt in andere Ressorts einmi-
schen. Das ist unbequem. Sein Erfolg hängt davon ab, ob
sich die gesamte Regierung an dem Ziel der Nachhaltig-
keit orientiert.
Ein Vorgehen nach dem Motto, macht ihr eures, ich
mache meines, wird definitiv zum Scheitern verurteilt
sein. Herr Gabriel, ich muss leider sagen – diese Kritik
meine ich durchaus ernst –, dass wir ein bisschen die Be-
fürchtung haben, dass Sie Ihre Arbeit so angehen wollen.
Sie müssten sich eigentlich in die Chemikalienpolitik,
die Agrogentechnik oder die Verkehrspolitik einmi-
schen.
Wenn jetzt zum Beispiel in der Zeitung zu lesen ist,
dass Sie sich dafür einsetzen, das EU-Chemikalien-
recht weiter zu entschärfen, dann muss ich dazu sagen:
Das ist ein starkes Stück. Sie wollen verhindern, dass der
Einsatz von besonders giftigen Chemikalien nur noch für
fünf Jahre genehmigt wird, was wir für richtig halten.
Sie wollen verhindern, dass besonders giftige Chemika-
lien einem Substitutionsgebot unterliegen, dass also
zwingend nach Alternativen gesucht werden muss, was
wir für richtig halten. Ich muss sagen: Es ist falsch und
ein ganz schlechtes Signal, wenn der Bundesumweltmi-
nister auf seiner ersten Sitzung im Ministerrat nicht für
die Interessen der Verbraucher und der Umwelt streitet,
sondern für vermeintliche Industrieinteressen. Das ist
auf der ganzen Linie falsch.
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Denn man muss ja wissen: Die Chemikalienrichtlinie
st bereits im Europaparlament deutlich verwässert wor-
en. Es ist völlig unakzeptabel, dass ausgerechnet die
eutsche Bundesregierung sie weiter verwässern will.
ch halte diesen Ansatz auch innovationspolitisch für
öllig falsch. Es kann doch nicht richtig sein, dass unge-
estete Altstoffe gegenüber Neustoffen, die einem lang-
ierigen Testverfahren unterzogen werden müssen, be-
orteilt werden. Das ist keine Innovationspolitik.
Wir fordern Sie deshalb auf, Ihre Blockadehaltung im
inisterrat aufzugeben. Das wollte ich Ihnen von hier
us sagen. Sie sollten dort nicht nur die Positionen des
CI und der IG BCE vortragen, sondern auch die Inte-
essen der deutschen Öffentlichkeit vertreten. Das ist in
iesem Fall wirklich wichtiger.
Wenn ich schon einmal beim Thema Ministerrat bin
auch das ist so eine Sache –: Sie haben sich laut Ihrem
oalitionsvertrag vorgenommen – das finde ich gut –,
ie Energieeffizienz in den Mittelpunkt zu stellen.
leichzeitig – noch gestern – hat das deutsche Wirt-
chaftsministerium versucht, die Energieeffizienzrichtli-
ie der Europäischen Union in den zuständigen Gremien
n Brüssel zu zerschießen. So geht das nicht. Wenn man
ffizienzpolitik wirklich betreiben will, dann sollte das
uf allen Ebenen erfolgen, also auch in Brüssel. Ande-
enfalls wird man unglaubwürdig.
Das Feld der Agrogentechnik wollen Sie anschei-
end der Union überlassen. Es ist ja bekannt, dass die
nion die Zwangsbeglückung der Bevölkerung mittels
enfood will. Wir haben das Gentechnikgesetz be-
chlossen, das Wahlfreiheit, Koexistenz und das Verur-
acherprinzip sicherstellt und das ökologisch sensible
ebiete in besonderer Weise schützt. Für Letzteres sind
ie zuständig. Denn eine der Hauptquellen der Kritik an
er Agrogentechnik ist, dass die ökologische Vielfalt
urch Auskreuzung gefährdet wird. Ich fordere Sie wirk-
ich auf, ganz genau hinzuschauen und nicht nach dem
otto zu verfahren: Na ja, das will die CDU/CSU, das
asse ich mal passieren. Das wäre grottenfalsch; das
öchte ich ganz klar sagen.
s kann nicht sein – wir haben ja die Haftungsregelung
ingeführt –, dass demnächst nach dem Motto verfahren
ird: Wer den Schaden hat, soll selbst herausfinden, wo
ie Ursache dafür liegt. Nein, wir brauchen auf diesem
ebiet ganz eindeutig die Verursacherhaftung.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 203
)
)
Dr. Reinhard Loske
Auch sollten Sie sich in den Bereich der Verkehrs-
politik stärker einmischen. Denn es kann nicht richtig
sein, einerseits Klimaschutz zu propagieren und anderer-
seits die Regionalisierungsmittel für die Bahn zusam-
menzustreichen. Das passt nicht zusammen. Es kann
auch nicht richtig sein, Klimaschutz zu propagieren und
in Zukunft wieder mehr Geld für den Straßenbau und
weniger für den Schienenbau auszugeben, obwohl wir
bereits eines der am dichtesten geflochtenen Straßen-
netze in Europa haben. Es kann auch nicht richtig sein,
Klagemöglichkeiten der Bürger und Naturschutzver-
bände zu beschneiden und Revisionsmöglichkeiten ein-
zuschränken. Das ist auch rechtspolitisch äußerst frag-
würdig.
Ich finde es gut, dass im Bereich der Atompolitik zu-
mindest einstweilen nicht am Atomausstieg gerüttelt
wird. Aber wir müssen höllisch aufpassen, dass die be-
stehende Übertragungsregelung nicht derart missbraucht
wird, dass Reststrommengen von neuen Kraftwerken auf
alte mit dem Ziel übertragen werden, dass es in dieser
Legislaturperiode bloß keine Abschaltungen gibt. Das
würde mehr Atommüll und weniger Sicherheit bedeuten.
Ich wünsche mir, dass Sie sich dafür einsetzen, dass das
nicht geschieht. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Die Äußerungen des Kollegen Michael Müller im
Hinblick auf die Endlagersuche haben bei uns einige
Zweifel hinterlassen. Sie sagen, Sie wollten diese Suche
nicht mehr so vertieft und so langwierig durchführen.
Langwierigkeit ist natürlich schlecht. Aber die Suche
muss gründlich und solide erfolgen. Wir verlangen
– dazu werden wir in Bälde einen Gesetzentwurf vorle-
gen –, dass Sie ein ergebnisoffenes Verfahren gestalten,
bei dem alle geologischen Formationen in einem Ver-
gleich daraufhin untersucht werden, ob und, wenn ja,
wie sie als atomares Endlager geeignet sind. Das erwar-
ten wir von Ihnen.
Ich will ausdrücklich anerkennen, dass es im Koali-
tionsvertrag durchaus Kontinuität gibt. Bei der Altbau-
sanierung haben Sie sogar noch eins draufgesetzt. Herr
Eichel hat uns dies immer verweigert. Bei ihm hieß es
immer: Streichen, streichen, streichen. Jetzt wird dies
gemacht. Ich kann nur sagen: Gut so.
Auch beim EEG und im Bereich Klimaschutz sind
richtige Ansätze vorhanden. Es gibt aber auch viele Fra-
gezeichen, Dinge, die man jetzt noch gar nicht beurteilen
kann. Sie sagen, das EEG werde weitergeführt. Gut so.
Gleichzeitig wollen Sie der Industrie weitere Sonder-
regelungen einräumen. Das muss man sich einmal genau
ansehen. Auch der Klimaschutz soll weiter forciert wer-
den. Gut so. Gleichzeitig streichen Sie das 40-Prozent-
Ziel für das Jahr 2020.
Das halte ich für falsch.
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Das Erste ist natürlich ein klares Bekenntnis zum
limaschutz. Was Reinhard Loske gerne vernachläs-
igt, wenn er sagt, dass das 40-Prozent-Ziel nicht im
oalitionsvertrag steht, ist, dass dort das Ziel der Euro-
äischen Union aufgenommen worden ist, den Anstieg
er Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Dadurch ist
anz klar definiert, wie wir mit Zwischenschritten zu ei-
er 80-prozentigen Reduktion der Treibhausgase bis
um Jahr 2050 kommen wollen.
In dem Koalitionsvertrag gibt es auch eine ganz klare
ussage zum massiven Ausbau der erneuerbaren Ener-
ien, zu neuen Instrumenten im Naturschutz und vor al-
en Dingen zur Umweltpolitik als Innovationspolitik und
nnovationsmotor. Es ist richtig, wenn der Bundesum-
eltminister sagt, dass er seinem Ministerium den Ruf
204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Ulrich Kelber
eines Innovationsministeriums verschaffen möchte. Wir
werden nämlich trotz der Haushaltsprobleme mehr Geld
für Forschung ausgeben. Denn wir wollen den Anreiz
für Investitionen in allen Bereichen der Umweltpolitik
setzen. Die erneuerbaren Energien sind ja nur ein Bei-
spiel. Auch Grenzwerte sind ein Anreiz für Investitio-
nen. Dafür gibt es in der deutschen Wirtschaft viele Bei-
spiele.
Die genannten Beispiele, Rußfilter und Hybridautos,
verdeutlichen ja gerade, dass solche Investitionen viel-
leicht durch etwas stärkere Vorgaben seitens der Politik
hätten angereizt werden können.
Ich glaube jedoch, dass eine Effizienzrevolution der
eigentliche Innovationsmotor sein wird. Welche Bedeu-
tung ein geringerer Verbrauch an Rohstoffen und Ener-
gie in ökologischer Hinsicht hat, ist jedem klar. Die öko-
nomische Bedeutung ist jedoch ebenso evident: Die
Kosten für Produktion und Konsum sinken. Das heißt, es
kann mehr nachgefragt werden und es kann mehr produ-
ziert werden mit geringerer Umweltbelastung. Es entste-
hen neue Jobs, weil wir heimische Wertschöpfung an die
Stelle des Imports von Energieträgern und Rohstoffen
setzen. Wir lösen Innovationen bei Produkten und
Dienstleistungen des Weltmarkts aus, werden also wett-
bewerbsfähiger. Außerdem senken wir dadurch die Ab-
hängigkeit von Öl-, Gas-, Kohle- und Uranimporten. Es
ist daher ein gutes Signal, dass wir vor zwei Wochen hö-
ren konnten, dass die Windenergie – ein Teilbereich der
erneuerbaren Energien, auf die wir setzen – bereits preis-
günstiger ist als der Strom an der Strombörse. Wir schla-
gen also mit der Wertschöpfung im eigenen Land den
richtigen Weg ein, um zu stabilen Preisen zu kommen.
Die Effizienz als Markenzeichen der Umweltpolitik
ist in der Koalitionsvereinbarung offensichtlich. Das
Programm zur energetischen Gebäudesanierung ist ein
Punkt in diesem Bereich. Dies dient dem Schutz der
Umwelt und auch dem Schutz der Geldbeutel derer, die
die Rechnung bezahlen müssen. Wir können nicht ver-
hindern, dass das Öl teurer wird. Aber wir können dafür
sorgen, dass die Menschen weniger Öl benötigen und
dadurch ihre Rechnungen nicht steigen. Dies tun wir an
dieser Stelle.
In der Bauindustrie entstehen natürlich neue Arbeits-
plätze. Ich habe mich vor einigen Wochen über ein Zitat
des Kollegen Loske gefreut. Während der Koalitionsver-
handlungen hat er gesagt: Die SPD wird sich daran mes-
sen lassen müssen, ob es gelingt, das Programm zur
energetischen Gebäudesanierung wirklich aufzustocken.
Die Grünen hätten sich immer eine Verdoppelung ge-
wünscht; daran müsse sich die SPD messen lassen. Herr
Loske, wir haben mehr als eine Vervierfachung erreicht.
Von daher erwarte ich Ihren Beifall für diese Koalitions-
vereinbarung.
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Die Kraft-Wärme-Kopplung und die Endenergieeffi-
ienz sind andere Bereiche, in denen wir vorangehen
ollen. Ich sage noch einmal: Auch ich schaue mir na-
ürlich die Beratungen zur EU-Effizienzrichtlinie in
rüssel ganz genau an. Ich weiß aber noch aus der alten
oalition, dass beide Parteien damals sehr kritisch zu
en Methoden, die in dieser Effizienzrichtlinie niederge-
egt worden sind, gestanden haben. Diese Methoden ha-
en wir nicht für richtig gehalten. Es ist moderner, den
nsatz zu wählen, den wir selber in der Spätphase ent-
ickelt haben und der in der Koalitionsvereinbarung
teht, nämlich den Top-Runner-Ansatz, der eine Ab-
ehr vom alten System ist, das sich beim Energiever-
rauch immer am Mittelmaß orientiert hat, und besagt:
as beste Produkt einer Art setzt den Standard und alle
üssen innerhalb von wenigen Jahren diesen Standard
rreichen. Das wird ein Innovationswettlauf. Damit wol-
en wir auf den Weltmarkt kommen und den Energiever-
rauch senken.
Im Koalitionsvertrag finden sich natürlich auch die
raditionellen Themen des Umwelt- und Naturschutzes
ieder. An dieser Stelle ist die Übertragung von über
00 000 Hektar der ökologisch wertvollsten Flächen an
ine Stiftung herausragend, durch die sie optimal bewirt-
chaftet werden können. Denn wir wissen alle: Heute
erden sie nicht in der Form gepflegt, wie es zum Erhalt
ieses Naturerbes, dieses Kulturlandes eigentlich sein
üsste.
Maßnahmen gegen Flächenversiegelung sind ange-
ündigt, aber sicherlich noch mit Inhalt zu füllen. Zum
rsten Mal wird aber versucht, sich dieses Themas inten-
iv anzunehmen.
Ein weiterer Punkt ist das Umweltgesetzbuch, das in
er Tat die Chance schafft, Abläufe unbürokratischer zu
estalten, Genehmigungsverfahren aus einer Hand zu
achen. Aber für mich gehört zu einem Umweltgesetz-
uch auch, Umweltstandards nicht nur zu halten, son-
ern die materielle Auswirkung noch zu verbessern. Da-
um geht es auch. Wir sind nämlich nicht nur die
erteidiger erreichter Standards, sondern wir müssen
eiter voranschreiten können.
Dazu gehört natürlich, dass man bei der Frage der
msetzung europäischen Rechts genau unterscheidet,
as deutsches Interesse ist. Deswegen ist eine automati-
che Umsetzung eins zu eins nicht zu haben. An be-
timmten Stellen wollen wir deswegen mehr machen,
eil wir daraus einen Wettbewerbsvorteil im Sinne von
nnovation machen wollen. Wir wollen nicht nur das tun,
as andere machen, und dann veraltete Produkte auf
em Markt anbieten.
Letzter Bereich ist die Energiepolitik. Natürlich war
uch ich am Ende der Koalitionsverhandlungen froh,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 205
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Ulrich Kelber
dass es ganz klar beim Atomausstieg bleibt. Biblis A
wird 2006 stillgelegt. Weitere drei Atomkraftwerke wer-
den stillgelegt, wenn die Betreiber die Produktion von
Strom in diesen Atomkraftwerken nur deshalb nicht
deutlich reduzieren, um sich damit über die Zeit zu ret-
ten. Es gibt also ganz eindeutig eine Abnahme des An-
teils von Atomenergie.
Beim Endlager gibt es einen einfachen Dreischritt:
Erstens. Wir haben die Verantwortung für ein nationa-
les Endlager für Atomabfälle.
Zweitens. Wir müssen eine gewissenhafte Untersu-
chung machen und zwar aufgrund der Verantwortung ge-
genüber zukünftigen Generationen und der Menschen,
die am Ende in der Nähe dieses Endlagers wohnen wer-
den. Jegliche vorherige Festlegung, Herr Kauch, wie Sie
sie immer wieder vornehmen, auch wenn Sie es anders
umschreiben, ist falsch. Sie müssen den Menschen nach-
weisen, dass es der geeignetste Standort ist.
Drittens. Ein wichtiger Unterschied ist – das betrifft
jetzt nicht die Abgeordneten, die vor mir sitzen, sondern
jemanden, der früher auf der Regierungsbank gesessen
hat –: Man muss zu einem Ergebnis kommen wollen und
das Verfahren nicht nur dafür verwenden, möglichst
nicht entscheiden zu müssen.
Zum Bereich der erneuerbaren Energien: Die volle
Förderung bleibt erhalten. Wir geben mehr Geld für For-
schung aus und wir werden ein Gesetz hinsichtlich der
regenerativen Wärme einfordern. Ich habe auch eine pri-
vate Ansicht dazu, wie das aussehen sollte. Ich glaube,
dass das ein ganz einfaches Gesetz sein sollte, das jeden
zwingt, einen bestimmten Anteil erneuerbarer Energien
bei Neubau zu nehmen und sich mit dem Thema zu be-
schäftigen. Viele werden sich dann freiwillig für die
100-Prozent-Lösung entscheiden, wenn sie sich erst ein-
mal damit beschäftigt haben. Das muss kein komplizier-
tes Gesetz werden.
Bei den Biokraftstoffen gibt es eine zusätzliche För-
derung. Diese ist in den letzten Tagen beschrieben wor-
den. Herr Kauch, das haben Sie bestimmt mitbekom-
men. Man muss die Wahrheit sagen, wenn man auf die
Steuerbelastung und Preise von Treibstoffen eingeht. Ich
habe das einmal nachgelesen: 80 Prozent der heutigen
Steuern auf Kraftstoffe sind unter Regierungsbeteiligung
der FDP beschlossen worden. Keine andere Fraktion
hier im Saal ist so sehr für die hohen Treibstoffpreise in
Deutschland verantwortlich wie die FDP. Das muss man
den Bürgerinnen und Bürgern einmal sagen.
Mein letzter Punkt betrifft eine gute Nachricht, die
uns letzte Woche erreicht hat: Der Verband der Netz-
betreiber erwartet, dass der Anteil der erneuerbaren
Energien bereits im Jahr 2011 bei 20 Prozent liegen
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as wird der rote Faden sein, der sich durch die Um-
eltpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zieht. Wir
ehen und berücksichtigen, was die Menschen heute be-
egt:
a ist der Wunsch nach einer intakten Natur, einem Le-
ensraum, der eine hohe Lebensqualität bietet. Da ist die
orge um die Gesundheit, die eigene und die der Fami-
ie.
nd da ist nicht zuletzt der Wunsch nach finanzieller
bsicherung durch einen Beruf und einen sicheren Ar-
eitsplatz.
In unserer Umweltpolitik werden wir die Beweg-
ründe der Menschen ernst nehmen und einen gemeinsa-
en Weg finden, der alle Belange gleichermaßen be-
ücksichtigt. Daher werden wir in der Umweltpolitik
eue und andere Akzente setzen. Einen ersten Schritt tun
ir beispielsweise auf dem Gebiet der europäischen
hemikalienpolitik, bei REACH. Im Laufe der lang-
ierigen Verhandlungen über den Kommissions-
orschlag ist das ursprüngliche Ziel, die Wettbewerbsfä-
igkeit Europas zu steigern, immer weiter in den
intergrund gerückt. Wir wollen diesen Aspekt wieder
erstärkt in die Diskussion auf europäischer Ebene ein-
ringen.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat bereits am
ontag dieser Woche im EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat
ie neue Position der Bundesregierung vertreten. In den
och ausstehenden Verhandlungen des Rates werden wir
ns dafür einsetzen, dass der Verordnungsentwurf
rundlegend verändert wird und sich an den Lissabon-
ielen der EU orientiert.
206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Marie-Luise Dött
Wichtig ist vor allen Dingen, dass die überbordende Bü-
rokratie auf ein vernünftiges Maß zurückgefahren wird,
damit REACH nicht zum Betonklotz am Bein der deut-
schen Wirtschaft und insbesondere des Mittelstandes
wird.
Dafür sind Veränderungen am Registrierungsverfah-
ren genauso notwendig wie eine unbefristete Zulassung
der Stoffe. Für den Bereich der Registrierung haben die
Abgeordneten von EVP und SPE im Europäischen Par-
lament einen hervorragenden Kompromiss gefunden und
verabschiedet. Er sieht Erleichterungen für kleine und
mittlere Unternehmen sowie für nachgeschaltete An-
wender vor. Durch eine einheitliche Vorregistrierung,
eine expositionsorientierte Datenanforderung und die
Anwendung von Verwendungs- und Expositionskatego-
rien zur Kommunikation in der Produktkette wird das
REACH-System effizienter und praktikabler. Das ist
auch für den Schutz der Menschen besonders wichtig.
Ich hoffe, dass der Kompromiss des Europäischen
Parlaments auch in die anstehenden Verhandlungen im
Rat Eingang finden wird. Die Ergebnisse, die unsere
Kollegen im Europäischen Parlament gefunden haben,
stellen einen guten Ausgleich zwischen dem Gesund-
heitsschutz, dem Umweltschutz und der ökonomischen
Belastung der betroffenen Branchen dar.
Über den Kompromiss im Bereich der Registrierung
hinaus sind im Bereich der Stoffe, die ein Zulassungs-
verfahren durchlaufen müssen, weitere Verbesserungen
des Kommissionsvorschlags notwendig. Die derzeit vor-
gesehene Befristung bedeutet einen wiederkehrenden
bürokratischen Aufwand, der in meinen Augen unver-
hältnismäßig ist.
Ein Schwerpunkt unseres Interesses liegt bei REACH
auf Forschung und Entwicklung; Katherina Reiche hat
dieses Thema bereits angesprochen. Hier sind die Frei-
räume zu schaffen, die für ein innovatives Klima notwen-
dig sind. Mit neuen Stoffen und neuen Verwendungen
von Stoffen, zum Beispiel im Bereich der Energieeffi-
zienz, kann aktiver Umwelt- und Klimaschutz betrieben
werden. Dieses Potenzial sollte nicht beschränkt, son-
dern vielmehr gefördert werden.
Der Klimaschutz bleibt eine zentrale Aufgabe der
Umweltpolitik der Bundesregierung; alle Redner haben
davon gesprochen. Es werden aber auch hier neue Ak-
zente sichtbar werden: Realistischer und verlässlicher
Klimaschutz braucht eine breite Basis. Er kann nur er-
folgreich sein, wenn er weltweit betrieben wird. In die-
sen Tagen findet in Montreal die erste Klimakonferenz
nach In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls statt – ein
schöner Erfolg der Staatengemeinschaft. Das darf jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir noch viele He-
rausforderungen zu bewältigen haben: Es ist kein Ge-
heimnis, dass viele Kioto-Staaten weit davon entfernt
sind, ihre Klimaschutzziele zu erfüllen. Trotz dieser
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iese auf Freiwilligkeit basierende Übereinkunft kann
as Kioto-Protokoll mit seinen verbindlichen Redukti-
nszielen nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass mit dem Kioto-
rotokoll nur ein Teil der weltweiten Treibhausgas-
missionen abgedeckt ist: weil wichtige Staaten nicht
eilnehmen. In den Schwellenländern muss das Wirt-
chaftswachstum von der Zunahme der Treibhausgas-
missionen entkoppelt werden. Darüber hinaus haben
ir uns nach Kräften zu bemühen, bisher abseits ste-
ende Industriestaaten in Zukunft einzubeziehen. Wich-
ige Emittenten wie die USA, China und Indien nehmen
och nicht an der Verpflichtung des Kioto-Protokolls
eil. Gegenüber diesen Ländern dürfen wir uns wirt-
chaftlich nicht isolieren. Denn eines möchten wir auf
einen Fall: unsere Minderungsziele dadurch erreichen,
ass in Deutschland weniger produziert wird.
anz im Gegenteil wollen wir Anreize setzen, dass
nvestitionsentscheidungen für Deutschland getroffen
erden und neue Anlagen gebaut werden. Deswegen
erden wir den Emissionshandel in Zukunft ökono-
isch effizienter gestalten.
ei der Fortschreibung des Zuteilungsgesetzes kommt es
ns darauf an, Mitnahmeeffekte zulasten des Stromprei-
es zu beseitigen.
urz- bis mittelfristige Liquidität im Emissionshandels-
arkt und damit eine stabilisierende Wirkung auf die
nergiepreise bringen auch die flexiblen Instrumente
oint Implementation und Clean Development Mecha-
ism. Wir wollen sie schneller und unbürokratischer
utzbar machen und damit den internationalen Klima-
chutz nach Deutschland holen.
Im Rahmen einer nachhaltigen Klima- und Energie-
olitik ist der Energieeffizienz stärkere Bedeutung bei-
umessen. Bis zum heutigen Tage spielen Energieeffi-
ienz und Energie sparendes Verhalten nur eine
ntergeordnete Rolle. Diskutiert wird vor allem über das
ngebot an Energie, also darüber, aus welchen Quellen
ir unsere Energie beziehen. Die Nachfrageseite, über
ie auch einiges beeinflusst werden kann, wird noch im-
er vernachlässigt.
erade hier liegen aber erhebliche Potenziale: Einem
urchschnittlichen Haushalt entstehen durch unnötigen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 207
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Marie-Luise Dött
Stand-by-Betrieb und andere Leerlaufformen jährlich
Stromkosten von etwa 70 Euro. Die rund 38 Millionen
Haushalte in Deutschland haben also ein großes Poten-
zial, einen Beitrag zum sparsamen Einsatz von Energie
und somit im Ergebnis zum Klimaschutz zu leisten.
Durch das Ausschalten der Geräte und die Verwendung
von Netzschaltern kann mit geringem Aufwand ein gro-
ßer Erfolg erzielt werden. Für den einzelnen Haushalt
führt dies zur Reduzierung der Kosten, für die gesamte
Bevölkerung zu einem nicht unerheblichen Beitrag zum
Klimaschutz.
Weitere Einsparpotenziale finden sich auch im Gebäu-
debereich, hier insbesondere bei der Altbausanierung. Um
die nationalen und internationalen Klimaschutzziele zu
erreichen, wollen wir das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm auf ein Fördervolumen von mindestens 1,5 Mil-
liarden Euro pro Jahr erhöhen – das freut besonders
Herrn Loske, der heute so krank ist – und einen Gebäu-
deenergiepass einführen. Jährlich sollen 5 Prozent des
Gebäudebestandes mit Baujahr vor 1978 energetisch sa-
niert werden. Alle passiven und aktiven energetischen
Sanierungsmaßnahmen sind zugleich ein Jobmotor für
die beteiligten Industriezweige, den Mittelstand und das
Bauhandwerk.
Durch die Erneuerung des Kraftwerksparks, vor-
wiegend von Stein- und Braunkohlekraftwerken, könn-
ten erhebliche CO2-Einsparungen bewerkstelligt wer-
den. Allein in Deutschland müssen in den kommenden
zehn bis 20 Jahren etwa die Hälfte aller Kraftwerke er-
setzt werden. Dies betrifft ein Investitionsvolumen von
vielen Milliarden Euro. Eine Verbesserung der Wir-
kungsgrade bedeutet zugleich eine Verbesserung der
CO2-Bilanz und damit aktiven Klimaschutz zu verträgli-
chen Vermeidungskosten.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion wird sich in der großen Koalition dafür ein-
setzen, die Schöpfung zu bewahren und die natürlichen
Lebensgrundlagen zu erhalten. Gleichzeitig wollen wir
der Umweltpolitik nicht ihre wirtschaftliche Grundlage
entziehen. Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU,
CSU und SPD bildet die Basis zur Erreichung dieser
Ziele. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Vertrag den
Beginn einer zukunftsorientierten, effizienten und er-
folgreichen Umweltpolitik der großen Koalition dar-
stellt.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/59 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderwei-
tige Vorschläge? – Wie ich sehe, ist das nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
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Um das zu erreichen, müssen wir aber auch bereit
ein, unsere Einstellungen, Klischees und schnellen Ur-
eile zu überprüfen. Die Botschaft, die heute aus allen
anälen und Chefetagen auf die jungen Menschen nie-
erprasselt, ist ziemlich eindeutig und verheerend: „Wer
eruflichen Erfolg im Leben nicht ausschließen will,
ollte Kinder und Familie, Sorge und Verpflichtung für
ndere meiden, weil sie auf dem Weg durch ein spannen-
es Leben nur behindern.“ – Ich weiß erstens aus Erfah-
ung: Das ist nicht wahr. Ich bin zweitens der Meinung:
ine Gesellschaft, die so programmiert ist, wird in dop-
elter Hinsicht scheitern;
ie wird dadurch sozial kälter und ökonomisch nicht er-
olgreicher werden.
Familien brauchen vor allem drei Dinge: Zeit, eine
nterstützende Infrastruktur und Einkommen. Aber da-
it Familien überhaupt erst entstehen, müssen wir die
ahmenbedingungen so verändern, dass junge Männer
nd Frauen Kindern, Familie und Beruf in ihrem Le-
enslauf besser als gegenwärtig Raum geben können,
aum verschaffen können. Somit ist es eine konserva-
ive, weil bewahrende Aufgabe, Familie auch und gerade
nter veränderten Bedingungen wieder leichter möglich
u machen.
Mögen sich manche noch so nostalgisch an die 50er-
ahre erinnern: Sie kommen nicht wieder zurück. Da-
über, ob Familienwerte heute, 2005, und in Zukunft ge-
ebt werden können, entscheiden unser Handeln und un-
ere politische Tat.
208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Es ist eine soziale Aufgabe, mit und durch Familien den
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken und
dafür zu sorgen, dass möglichst alle Kinder ihre Talente
und Fähigkeiten von Anfang an optimal entfalten kön-
nen.
So betrachtet rückt die Politik für Familien vom Rand
in die Mitte einer zukunftsorientierten Gesellschaftspoli-
tik. So oder so stellt sie die Weichen in viele Richtungen.
Ob wir in den Bildungsbilanzen – sprich: PISA – wieder
nach vorne kommen, ob wir Wohlfahrt und Wohlstand
nachhaltig sichern, ob wir ein lebendiges Land werden,
das lebenswert und attraktiv im globalen Wettbewerb ist:
Politik für die Familien ist eine Politik für die
Zukunft! Wer die Zukunft gewinnen will, der muss be-
reit sein, neue Wege zu gehen und starke Akzente zu set-
zen.
Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag entschei-
dende Meilensteine für eine ganzheitliche und nachhal-
tige Familienpolitik verankert: Im Jahre 2007 wird das
einkommensabhängige Elterngeld das derzeitige Erzie-
hungsgeld ablösen. Die Eltern erhalten dann 67 Prozent
des vorherigen Nettoerwerbseinkommens für ein volles
Jahr bis zu einer Höchstgrenze von 1 800 Euro. Dies er-
möglicht es den Familien, sich ihrem Kind gerade in sei-
nem ersten Lebensjahr ohne Geldsorgen intensiv zu wid-
men. Wir wissen, dass dies von entscheidender
Bedeutung für die meisten jungen Eltern ist. Das Signal
des Staates ist ganz eindeutig: Jedes Kind ist eine Berei-
cherung für uns alle als Gesellschaft.
Deshalb mildern wir Einkommenseinbrüche im ersten
Lebensjahr nach der Geburt eines Kindes ab. Das gilt für
Eltern, die sich zur Betreuung des Kindes entschließen,
und das gilt ebenso für Eltern, die weiter erwerbstätig
bleiben und damit hohe Kinderbetreuungskosten haben.
Außerdem wollen wir es Müttern und auch Vätern er-
leichtern, Elternzeit zu nehmen. Acht Monate lang ist es
den Eltern völlig freigestellt, wie sie die Elternzeit auf-
teilen und ob und in welchem Maße sie erwerbstätig
sind. Zwei Monate sind zusätzlich für den Vater und
zwei Monate sind zusätzlich für die Mutter reserviert.
Die Muttermonate sieht wohl jeder als selbstverständlich
an. Die Vatermonate sollten es eigentlich auch sein.
Meine Damen und Herren, Kinder brauchen Mütter,
Kinder brauchen aber auch Väter. Sowohl Väter als auch
Mütter wollen ihre Fähigkeiten im Arbeitsmarkt entfal-
ten können. Ich denke, die Vatermonate werden ein
wichtiger weiterer Schritt auf dem Weg zu einer verän-
derten Arbeitskultur sein, die hoch effizient und dennoch
familienverträglich sein wird.
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Das Elterngeld in Verbindung mit dem Ausbau der
inderbetreuung für unter 3-Jährige bedeutet auch,
ass in Zukunft die Möglichkeit einer spürbaren Sen-
ung von Familienarmut besteht. Wenn junge Frauen
auch aus einfachen Berufen – nach der Geburt eines
indes aufgrund des Elterngeldes zunächst ein Jahr in
hrem Berufsleben pausieren können und danach eine
esicherte und bezahlbare Kinderbetreuung vorfinden
nd nutzen, dann wird es viel weniger Familien geben,
ie nur von einem Einkommen oder nur von Transfer-
inkommen leben müssen. Nicht Kinder machen arm,
ondern Kinder leben in Armut, weil ihre Eltern keine
rbeit haben oder den Wiedereinstieg in den Beruf nicht
ehr finden.
Das Elterngeld fördert eine feste Berufsidentität von
rauen. Es verdeutlicht, dass sie in ihrem Beruf veran-
ert bleiben, setzt eben Familienzeit nicht länger in ei-
en Gegensatz zur Erwerbstätigkeit.
Wir müssen aber auch wieder entdecken, dass Fami-
ien, die sich nach dem Prinzip der Subsidiarität einset-
en, um ihre Kinder zu erziehen und ihr Einkommen zu
rwerben, Arbeitsplätze schaffen. Deshalb wird diese
undesregierung dafür sorgen, dass Eltern bei den Kin-
erbetreuungskosten und den haushaltsnahen Dienstleis-
ungen steuerlich entlastet werden, und wir werden den
inderzuschlag weiterentwickeln, um Kinder- und Fa-
ilienarmut zu verhindern.
Wir brauchen eine Politik, die Mut zu Kindern macht.
ir brauchen aber auch eine Politik, die sich mehr um
ie Kinder kümmert, die heute heranwachsen. Kein Kind
arf verloren gehen. Jedes Kind ist wichtig, um die wirt-
chaftliche, emotionale und soziale Zukunft unseres
andes zu sichern. Es gibt zunehmend in unserem Land
inder, die in einer Atmosphäre der Erziehungsohn-
acht aufwachsen. Sie erfahren und erleiden körperliche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 209
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
und seelische Verwahrlosung. Der zuverlässigste An-
sprechpartner ist vielleicht der Fernseher im Wechsel mit
dem Computer. Diese Kinder lassen wir an ihrem Le-
bensanfang verkümmern. Hier müssen wir mehr hin-
schauen.
Mit Modellprojekten zur Frühförderung gefährdeter
Kinder werden wir dafür sorgen, dass Hilfe in diese Fa-
milien und damit zu den Kindern kommt.
Die Familienstrukturen verändern sich. Die Großfa-
milie verschwindet. Das kann man beklagen, aber es ist
eine Tatsache. Damit schwindet auch der selbstverständ-
liche Zusammenhalt der Generationen. Erziehungswis-
sen und Alltagskompetenzen gehen verloren, aber auch
Erfahrung, Gelassenheit und Muße der älteren Genera-
tion bleiben oft ungenutzt. Stattdessen wird Einsamkeit
immer mehr zum Altersproblem.
Wir wollen den familienpolitischen Horizont auf die
Mehrgenerationenfamilie ausweiten. Die Öffnung des
Horizontes geschieht nicht nur aus menschlichen und
emotionalen Gründen, sondern auch deshalb, weil sich
nur mit diesem erweiterten Blick ganz handfeste Chan-
cen nutzen und Probleme lösen lassen. Wir wollen ein
Leitbild des „produktiven Alterns“. Die älteren Men-
schen sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft.
Das muss uns leiten.
Familie ist im wahrsten Sinne des Wortes der ur-
sprüngliche Ort, wo Alltagssolidaritäten gelebt werden.
Auch wenn Familien kleiner, bunter und mobiler wer-
den: Auf das Geben und Empfangen von Alltagssolidari-
täten können wir nicht verzichten. Wir müssen deshalb
neue moderne Netzwerke schaffen, gewissermaßen die
Vorteile der früheren Großfamilie in moderne Sozial-
strukturen übertragen. Wir werden deshalb Mehrgenera-
tionenhäuser als familienunterstützende Zentren schaf-
fen. Sie erschließen bürgerschaftliches Engagement. Sie
machen Zusammenhalt erfahrbar. Sie geben Alltags-
kompetenzen und Erziehungswissen weiter. Sie geben
Antworten darauf, wie sich die Generationen in einer
Gesellschaft des langen Lebens untereinander helfen
können.
Politik für die Familien ist alles andere als ein „wei-
ches“ Thema oder eine Unterabteilung der Sozial- und
Transferpolitik. Ganz im Gegenteil, sie ist ein Hand-
lungsfeld, das Weichen stellt und so darüber mitentschei-
det, wie in dieser Gesellschaft Bildung, Wachstum,
Wohlstand und Wohlfahrt sein werden. Das Ziel, mehr
Kinder in die Familien und mehr Familie in die Gesell-
schaft zu bringen, erfordert eine schöpferische Politik.
Es erfordert zum Teil auch andere Wege, als sie frühere
Regierungen gegangen sind.
Wir wollen erneuern, um zu bewahren. Der demogra-
phische Wandel kann nicht nur Krise, sondern auch
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Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke von der
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
on der Leyen, als niedersächsische Bundestagsabgeord-
ete möchte ich Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch
u Ihrem wichtigen Amt aussprechen. Von Ihnen und der
undeskanzlerin erwarten die Frauen in Deutschland
ine starke Interessenvertretung für mehr Beschäftigung
nd endlich bessere Rahmenbedingungen für Familien
nd Kinder.
Die FDP wird jede Maßnahme unterstützen, die Kin-
erarmut beseitigt und Frauen und besonders auch Män-
er ermutigt, sich für Kinder zu entscheiden. Denn Kin-
erlärm ist Zukunftsmusik.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb beantragt,
ass wieder eine Kinderkommission – eine Lobby für
inder – eingesetzt wird. Wir hoffen, dass wir uns auch
iesmal einigen und fraktionsübergreifend diesen wich-
igen Unterausschuss einrichten.
Alles, was die rot-grüne Bundesregierung nicht ge-
chafft hat, soll jetzt angepackt werden, zum Beispiel
as einjährige Elterngeld. Frau von der Leyen, als ich
hrer Rede zuhörte, habe ich mich immer wieder gefragt,
o die Kindergarten- oder Krippenplätze sind, wenn
rauen ab 2007 nach einem Jahr wieder arbeiten gehen,
ber erst ab dem dritten Lebensjahr des Kindes einen
echtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben.
ier gibt es eine Betreuungsfalle.
ch bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.
Die FDP wird aber Ihr Konzept unterstützen, Frau
on der Leyen, wenn es hinsichtlich des Elterngelds auf
iner soliden finanziellen Grundlage steht. Mit der Vor-
ängerregierung haben wir in diesem Zusammenhang
chlechte Erfahrungen gemacht. Das macht misstrau-
sch. Die SPD hatte 230 000 Betreuungsplätze für Kin-
er unter drei Jahren versprochen. Diese Maßnahme
ollte durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
ozialhilfe finanziert werden. Doch bisher ist bei den
tädten und Gemeinden nichts angekommen. Die Bun-
eskanzlerin hat trotzdem dieses Wahlversprechen er-
euert.
210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Ina Lenke
Herr Staatssekretär Gerd Hoofe, Sie haben noch aus
der niedersächsischen Landesregierung heraus im Okto-
ber kritisiert, dass die versprochene Entlastung der
Kommunen ausbleibt. Ich zitiere aus der Pressemittei-
lung vom 5. Oktober 2005: „Bundesminister Clement
plündert die Kassen der Kommunen“. Wir erwarten von
Ihnen als neuem Staatssekretär im Bundesfamilienminis-
terium, dass innerhalb von 100 Tagen das Finanzie-
rungskonzept für die Kommunen vorliegt.
Die angekündigten familienpolitischen Verbesserun-
gen, die bessere steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbe-
treuung, die Berücksichtigung von haushaltsnahen
Dienstleistungen und die Abschaffung der Lohnsteuer-
klasse 5, für die die FDP und ich jahrelang gekämpft ha-
ben, unterstützen wir, wenn es vernünftige Lösungen
gibt. Persönlich begrüße ich die Neuregelungen zur ano-
nymen Geburt, die Sie vornehmen wollen. Das derzei-
tige Recht – das wissen wir alle – stimmt nicht mit der
Realität überein. Wenn wir gemeinsam zu einer Neure-
gelung kämen, würde ich mich freuen.
Die FDP wird aufmerksam verfolgen, ob sich diese
Regierung tatsächlich für die Familien einsetzt. Denn die
Gesamtbilanz ist maßgebend. Wie verhalten sich Belas-
tungen und Entlastungen zueinander? Wenn die Pend-
lerpauschale drastisch gekürzt wird, die Eigenheimzu-
lage wegfällt und die Mehrwertsteuer erhöht wird, sind
das zunächst einmal Belastungen, die mit den angekün-
digten Entlastungen verrechnet werden, ehe für die Fa-
milien ein Mehrwert entsteht.
Eine zentrale Forderung der FDP ist die Vereinbar-
keit von Erwerbsarbeit und Familienarbeit. Für
Frauen bedeutet das mehr Berufstätigkeit und für Väter
mehr Familienarbeit.
Dabei bitte ich zu beachten, dass zwar die Zahl der be-
rufstätigen Frauen seit 1991 deutlich zugenommen hat,
nicht aber – das ist wichtig – das von ihnen geleistete
Arbeitsvolumen. Dieses verteilt sich lediglich auf mehr
Personen. Frau von der Leyen, das ist ein schlechtes Zei-
chen. Nur wenn es der Bundesregierung gelingt, die Ar-
beitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen, wird es Fami-
lien und Frauen in Deutschland besser gehen.
Frau von der Leyen, zum Schluss möchte ich noch
eine Bemerkung zum Zivildienst machen. Er fehlte mir
in Ihrer Rede. Wie Sie sicherlich wissen, müssen der Zi-
vildienst und die Wehrpflicht in dieser Legislaturperiode
besonders beachtet und – unserer Meinung nach – ausge-
setzt werden. Was unter der alten Regierung geschehen
ist, ist eine jugendpolitische Todsünde, vor der ich die
neue Regierung nur warnen kann. Der Verteidigungs-
minister hat sich jedenfalls mit seiner Ankündigung, ei-
nen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen einzufüh-
ren – dazu hätte ich gerne etwas von Ihnen gehört –, ein
schlechtes Entree verschafft. Das ist ein verheerendes
politisches Signal. Ich bitte Sie sehr herzlich, dem etwas
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Ich will einen letzten Bogen zu einem anderen Poli-
tikbereich spannen. Es ist nicht der letzte insgesamt, aber
ein letztes Blitzlicht, nämlich der Bereich Innenpolitik
und Integration. Ich habe vorhin angesprochen, dass
wir wissen, dass es Kinder gibt, die nicht mehr an dem,
was sie für ihre Entwicklung brauchen, teilhaben. Es
liegt in der Verantwortung der Integrations- und der In-
nenpolitik, aber auch – das sage ich ausdrücklich – der
ehemals im Familienministerium verankerten Integra-
tionsbeauftragten, zu überlegen, wie die Chancen von
Kindern von Migrantinnen und Migranten deutlich ver-
bessert werden können. Da müssen wir in den nächsten
Jahren noch weitere Schritte gehen.
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Gestatten Sie mir einen Gedanken zu der Frage, die
estern in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
ngedeutet worden ist, nämlich der Frage der Freiheit.
ir ist schon wichtig, im Bereich der Familienpolitik
it zu definieren, wo für uns Sozialdemokratinnen und
ozialdemokraten Freiheit wichtig ist. Wir sehen da eine
erbindung, nämlich dass auf der einen Seite Frauen und
änner individuelle Lebenschancen erhalten, während
ie auf der anderen Seite selbstständig und eigenständig
hre wirtschaftliche Grundlage autonom sichern können.
iese Verbindung gehört für uns zum Freiheitsbegriff.
Deshalb gibt es das Maßnahmenbündel, das auch Sie,
rau Ministerin, beschrieben haben: Wir wollen den
etreuungsausbau verstetigen; wir unterstützen den
usbau der Betreuung von unter Dreijährigen mit dem
agesbetreuungsausbaugesetz. Wenn es den Kommunen
icht gelingt, ihrer Verpflichtung zum Ausbau von Be-
reuungseinrichtungen nachzukommen, dann werden wir
inen Rechtsanspruch auf Betreuung von Kindern ab
em zweiten Lebensjahr einführen, um deutlich zu ma-
hen, dass Betreuungsausbau und Elterngeld, also der
weite Bereich des Maßnahmenbündels, ganz eng zu-
ammenhängen. Es ist selbstverständlich notwendig,
ass auch Eltern, die kürzere Zeit zu Hause bleiben, auf
ine gut ausgebaute Infrastruktur an Betreuungsangebo-
en zurückgreifen können.
Wir wollen – auch dies ist ganz wichtig – den Kinder-
uschlag deutlich erhöhen. Wir wollen das Ganze so ge-
talten, dass es einfacher und transparenter wird. Das ist
otwendig. Wir wollen, dass auch die Zahl der An-
pruchsberechtigten deutlich steigt. Das heißt, wir haben
ie ganz wichtige Aufgabe zu lösen, die Teilhabechan-
en und die materielle Absicherung von Familien mit
iedrigem Einkommen zu verbessern. Das ist ein ent-
cheidender Bestandteil dieses Maßnahmenbündels.
212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Nicolette Kressl
Vor uns liegt sehr viel Arbeit in diesem Bereich. Ich
kann Ihnen sagen, Frau Ministerin: Wir freuen uns da-
rauf, diese gemeinsam mit Ihnen zu schultern. Wir fin-
den nämlich, dass es sich für die Frauen, für die Kinder
und für die Familien lohnen wird, diese Arbeit zu tun.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Jörn Wunderlich von
der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wer die Regierungserklärung aufmerksam
verfolgt und den Koalitionsvertrag mit Interesse gelesen
hat, der kann doch nur feststellen, dass der Eindruck er-
weckt werden soll, Deutschland sei kinder- und fami-
lienfreundlich. Jeder kann seine Meinung sagen und je-
der kann Festlegungen treffen. Wie weit sie zutreffen,
das wird sich im Ergebnis zeigen. Die Regierung wird
nicht an den Worten, sondern an den Taten gemessen.
Ich kann gegenwärtig nur feststellen: Die Worte höre
ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Denn eine Gesellschaft, die sich im Wesentlichen dem
Diktat des Geldes und der Ökonomie unterwirft, eine
Gesellschaft, die nach dem Motto „Rechnet sich das
überhaupt?“ handelt, kann nicht familien- und kinder-
freundlich sein.
Ein weiterer Grund, der mich zweifeln lässt: Bundes-
kanzlerin Merkel hat gestern vom Elterngeld als Ein-
kommensersatz mit dem so genannten Vaterfaktor ge-
sprochen. In einem Entschließungsantrag der CDU/CSU
vom 19. April 2005 zur Regierungserklärung von
Gerhard Schröder am 18. April 2002 stand:
Gerade die geplante Einführung des Elterngeldes
widerspricht dem Prinzip einer bedarfsgerechten
Förderung und verstößt gegen den Grundsatz der
Wahlfreiheit … Das Elterngeld verstößt aber auch
gegen den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit.
Das bisherige Erziehungsgeld ist eine Anerkennung
der Erziehungsleistung der Eltern. … Das Eltern-
geld hingegen begünstigt höhere Einkommensgrup-
pen. Dies ist sozial ungerecht und widerspricht dem
Gleichheitsgrundsatz.
Da frage ich mich natürlich: Mit wie vielen Richtungs-
änderungen ist denn noch zu rechnen?
Ein weiteres Problem: Zu den notwendigen Rahmen-
bedingungen, die die Koalition bezüglich einer besseren
Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit schaffen
will, gehört auch eine familienfreundliche Arbeitswelt
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)
ie sagen zwar, für Sie sei erst einmal das Elterngeld
ichtig, über die Kinderbetreuung könne man in ein
aar Jahren noch einmal reden.
ber das ist viel zu spät. Sie verdrehen die Notwendig-
eiten. Sie müssen erst die Grundlagen für eine Kinder-
etreuung schaffen, damit die Vereinbarkeit von Beruf
nd Familie möglich wird, und in einem zweiten Schritt
önnen wir über das Elterngeld reden.
Weil die SPD so dazwischenschreit, noch ein Satz:
enn Sie jetzt so tun, als sei die Debatte über die Ab-
etzbarkeit von Kinderbetreuungskosten vom ersten
uro an eine ganz neue Erfindung, dann ist das doch
icht wahr, Frau Kressl. Ich kann mich sehr gut an Ver-
nstaltungen und Verhandlungen gerade mit Ihnen erin-
ern, bei denen Sie etliche Argumente hatten, warum das
lles nicht so gut ist, warum das unsinnig viel Geld ver-
chlingt, weshalb man das nicht machen kann. Wir ha-
en das immer wieder, in jeder Debatte von neuem ge-
ordert. Da verwechseln Sie die Tatsachen.
Noch eines zum TAG. Warum schaffen Sie einen
echtsanspruch auf Betreuung, wenn Sie ihn schon ein-
ühren, erst ab dem zweiten Lebensjahr? Warum sind Sie
icht mutig genug, diesen gleich ab dem ersten Jahr zu
rmöglichen?
enn nämlich das Elterngeld auf acht Monate gekürzt
erden soll, dann stehen die Eltern bereits im ersten Jahr
or der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
nd nicht erst ab dem zweiten Jahr.
214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Ekin Deligöz
Sie lassen die Frauen im Stich, indem Sie das Elterngeld
nach dem ersten Jahr abschaffen, aber den Rechtsan-
spruch auf Kinderbetreuung erst nach dem zweiten Jahr
ermöglichen. In der Zeit, die dazwischen liegt, überlas-
sen Sie die Frauen sich selbst.
– Ich lese diese Dokumente und dort lese ich vor allem
eines nicht, nämlich das, was die Union uns im Wahl-
kampf versprochen hat. Wir haben über die Erhöhung
des Kindergrundfreibetrages und des Kindergeldes ge-
sprochen. Wir haben gehört, dass es sehr wichtig ist,
dass es einen Kinderbonus in der Rente gibt. Von alldem
ist inzwischen nichts mehr übrig geblieben. Die gesam-
ten CDU/CSU-Konzepte sind in diesem Koalitionsver-
trag nicht vorhanden. Ich frage mich, wohin sie gekom-
men sind oder ob Sie inzwischen einsichtig geworden
sind und gemerkt haben, dass genau diese Maßnahmen
Unsummen verschlingen würden, ohne dass dem tat-
sächlichen Bedarf der Eltern, Kinder und Familien ent-
sprochen würde.
Ein Letztes. Frau von der Leyen, ich finde es richtig,
dass Sie den Teilbereich der vernachlässigten Kinder
ansprechen und entsprechende Modelle haben. Das finde
ich sehr wichtig und darin werden Sie auch unsere Un-
terstützung haben. Aber Sie dürfen nicht so tun, als
würde irgendeinem Kind allein dadurch etwas Gutes ge-
tan, dass man Selbstverständlichkeiten in der Gesell-
schaft propagiert. Vor allem geschieht den Kindern
nichts Gutes, wenn nur irgendwelche Projekte initiiert
werden, gleichzeitig aber, auch von den Ländern, wich-
tige Jugendhilfemaßnahmen gekürzt werden, im Bun-
desrat darüber gesprochen wird, Kürzungen im KJHG
durchzusetzen, und die Jugendhilfe schon heute nicht
mehr gewährleistet werden kann, weil die finanzielle
Basis fehlt. Es ist eine Lebenslüge, wenn man behauptet,
man könne die Jugendhilfe kürzen und gleichzeitig den
Präventionsgedanken stärken. Jugendhilfe ist Präven-
tion. Ich bitte Sie, Ihr Augenmerk darauf zu richten.
Die Mehrgenerationenhäuser sind ein wichtiges
Ziel. Auch ich halte sie als Grundidee für richtig; dage-
gen kann man nicht viel einwenden. Auch das ist ein Ini-
tialmodell. Was aber passiert, wenn die Modellfinanzie-
rung ausläuft?
Wir haben eine ganze Reihe von Modellen – das ist
mein letztes Argument, Frau Präsidentin – und Praxis-
beispielen bei den Eltern-Kind-Zentren durchgeführt.
Diese Zentren existieren und bekommen einen Preis
nach dem anderen. Jetzt aber starten Sie ein neues Pro-
jekt, anstatt darüber nachzudenken, wie man gut lau-
fende Projekte auf eine solide finanzielle Basis stellen
kann.
Liebe Ministerin, das Programm, das hier vorgelegt
worden ist, ist kleinteilig, es ist nicht konsistent, es ist
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Deutschland braucht ein weites Herz für seine Kinder
nd für seine Familien und eine große Koalition für
ehr Kinderfreundlichkeit und mehr Familienfreund-
ichkeit.
Als Schicksalszahlen der Nation gelten allgemein
ie hohen Arbeitslosenzahlen und die Zahlen über die
ohe Verschuldung des Staates. Aber wenn sich die Ge-
urtenzahlen seit vielen Jahren im freien Fall befinden
nd sich das Idealbild einer Bevölkerungspyramide in
inen bedrohlichen Pilz mit einem dünnen Stiel von
achwachsenden Generationen verengt, dann ist diese
erspektive für unser Land mindestens ebenso schicksal-
aft.
eshalb ist nicht nur die Zahl von Existenzgründungen
n der Wirtschaft, sondern auch die Zahl der Familien-
ründungen und der Kinder ein Indikator für Zuversicht
nd Vertrauen. Dabei wollen wir die Familienpolitik
icht auf eine Zahlenideologie von Geburtenziffern ver-
ngen. Für uns ist wichtig, dass sich immer mehr Kinder
uf der Sonnenseite des Lebens und immer weniger auf
er Schattenseite befinden.
Um das zu erreichen, werden wir ein Bündel von
aßnahmen verwirklichen. Zum Beispiel wollen wir
ehr finanzielle Gerechtigkeit für Familien und Kinder
urch ein Elterngeld mit Wahlrecht der Eltern, Frau
eligöz, erreichen. Das Wahlrecht bezieht sich darauf,
b sie den gleichen Gesamtbetrag für ein Jahr oder für
wei Jahre erhalten wollen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 215
)
)
Johannes Singhammer
– Das ist dann logischerweise auf zwei Jahre verteilt.
Mit einem Kinderzuschlag werden wir erreichen, dass
Eltern ohne Bezug von Arbeitslosengeld II für ihre Kin-
der besser sorgen können. Mit der Absetzbarkeit von
Kinderbetreuungskosten und haushaltsnahen Dienstleis-
tungen sollen Mütter und Väter künftig bis zu einem Ge-
samtvolumen von jährlich 5 Milliarden Euro gefördert
werden. Von diesen 5 Milliarden Euro werden rund
2 Milliarden Euro auf die Kinderbetreuungskosten kon-
zentriert. Beginnen soll das bereits im kommenden Jahr,
2006.
Künftig werden Mütter und Väter gefördert, wenn sie als
Privathaushalt Arbeitgeber sind – natürlich unter der
selbstverständlichen Voraussetzung, dass es sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind.
Damit erreichen wir mehreres. Wir schaffen damit ei-
nen Treibsatz für mehr sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung, für mehr Jobs; die Schwarzarbeit wird ein-
gedämmt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
in Schwung gebracht.
Das ist kein Dienstmädchenprivileg; vielmehr ist das ein
Gerechtigkeitsprivileg für die Familien.
Wir wissen: Finanzieller Ausgleich allein leitet in
Deutschland noch keinen Trend zu mehr Geburten ein.
Notwendig ist ein Klimawechsel in vielen Lebensberei-
chen: Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten,
sodass Kinder und Karriere zunehmend besser verein-
bart werden können. Dazu gehören aber auch Respekt
und gesellschaftliche Anerkennung für alle Lebensent-
würfe, insbesondere für Lebensentwürfe derjenigen
Frauen, die sich trotz Ausbildung für ihre Familie ent-
schieden haben. Auch das verdient Respekt und Aner-
kennung.
Kinder und Jugendliche müssen in einem geschützten
Umfeld heranwachsen können. Die Union hat im Koali-
tionsvertrag darauf gedrängt, dass nicht die Vertreiber
und Verkäufer von so genannten Killerspielen in ge-
schütztem Umfeld agieren können, während Kinder und
Jugendliche ungeschützt mit Gewalt konfrontiert wer-
den. Wir wollen nicht, dass virtuelles Töten und Verlet-
zen von Mitspielern und der Einsatz von Schusswaffen
zur Selbstverständlichkeit, andererseits Rücksicht und
Hilfsbereitschaft zur Ausnahmeerscheinung werden.
Wir wollen mehr Chancen für Jugendliche auf dem
Arbeitsmarkt; denn es gibt nichts Schlimmeres für junge
Menschen, als wenn ihnen bei ihrem ersten Schritt in die
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ir werden deshalb Schulverweigerer und Jugendliche
hne Schulabschluss besonders fördern, aber auch for-
ern.
Wir wollen das Leben in jeder Phase schützen. Des-
alb haben wir den unerträglichen Zustand von Spätab-
reibungen im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Das Bun-
esverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber im Jahr
992 in seinem Urteil eine Beobachtungs- und eventu-
lle Nachbesserungspflicht auferlegt. Wir nehmen die-
en Auftrag und diese Verpflichtung des höchsten deut-
chen Gerichtes ernst.
Wir fühlen uns verantwortlich für alle Menschen, die
ei uns leben. Wir wollen nicht, dass Frauen ohne deut-
che Staatsangehörigkeit herabgewürdigt oder instru-
entalisiert werden. Wenn Zehntausende junger türki-
cher Frauen mitten unter uns leben, die als Folge von
wangsheirat oder arrangierten Ehen das Wort Gleich-
erechtigung nicht sprechen, nicht schreiben oder nicht
esen können, dann hat das Wegschauen nichts mit Tole-
anz zu tun. Menschenwürde gilt für alle in unserem
and.
ir werden deshalb dafür sorgen – so steht es im Koali-
ionsvertrag geschrieben –, dass Zwangsverheiratun-
en als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufge-
ommen werden.
Deutschland ist seit einigen Jahren auf einem ab-
chüssigen Weg und in der Gefahr, ein kinderentwöhntes
and zu werden. Wir wollen gemeinsam Kinder wieder
ehr in den Mittelpunkt rücken. Mein Rat an uns Er-
achsene ist: Die Welt gelegentlich aus der Augenhöhe
ines Kindes, also aus 80 oder 90 Zentimeter Höhe, zu
etrachten muss nicht zu einer Verzwergung der Politik
ühren, sondern kann zu einer neuen Humanität führen,
ie wir brauchen.
Deutschland braucht einen neuen Schwung an
enschlichkeit, Mut und Zuversicht. Damit wollen wir
eu beginnen.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf die
ussage von Herrn Singhammer, dass es Frauen gibt,
ie sich für die Familie entscheiden, muss ich sagen:
eider können sich aus wirtschaftlichen Gründen immer
216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Sibylle Laurischk
weniger Frauen ausschließlich für ein Leben in der Fa-
milie entscheiden.
Frau Ministerin, bei Ihrer Rede hatte ich zunächst die
Sorge, dass Sie die älter werdende Gesellschaft außer
Acht lassen. Zum Schluss Ihrer Rede haben Sie das
Thema demographischer Wandel dann aber doch ange-
schnitten.
Was heißt eigentlich alt? Sind wir es mit Erreichen
des neuen Renteneintrittsalters von 67 Jahren oder
schon mit Ende 40, wenn es zunehmend schwierig wird,
einen Arbeitsplatz zu finden? 60 Prozent aller Unterneh-
men in Deutschland beschäftigen keine Mitarbeiter über
50 Jahre mehr. Die jüngste Entscheidung des Europäi-
schen Gerichtshofs, der die Regelung von Hartz IV über
die Befristungsmöglichkeit von Arbeitsverträgen mit Ar-
beitnehmern über 52 Jahre als altersdiskriminierend be-
wertet hat, erscheint mir kennzeichnend für die deutsche
Fehlentwicklung durch Einführung der Frühverrentung.
Hier möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Neu-
regelung, mit 45 Versicherungsjahren in Rente gehen zu
können, von Eltern, insbesondere von Müttern, kaum in
Anspruch genommen werden kann.
Denn bei ihnen werden die Kindererziehungszeiten nur
mit je drei Jahren angerechnet. Ich glaube, Frau Ministe-
rin, dass Sie hier etwas ganz wesentliches Familienpoli-
tisches übersehen haben.
Alt werden heißt heutzutage, nicht mehr am Rand ste-
hen zu müssen, sondern den dritten Lebensabschnitt ak-
tiv gestalten zu wollen, um möglichst lange ein selbst
bestimmtes Leben führen zu können. Hier geht es um ur-
eigenste Freiheitsrechte gerade auch alternder Men-
schen, die Entmündigung und Abgeschobenwerden in
Altenheime und Pflegeheime fürchten.
Wir brauchen deshalb verstärkt ein bürgerschaftliches
Engagement, an dem sich gerade auch Senioren gesell-
schaftlich beteiligen. Die Absicht der Bundesregierung,
mit einer Weiterentwicklung des Stiftungsrechts und
steuerlicher Anreize Möglichkeiten der Finanzierung
ehrenamtlicher Aufgaben zu schaffen, begrüßen wir.
Ich möchte in dieser gesellschaftspolitischen Debatte
aber auch darauf hinweisen, dass die Integrationspolitik
jetzt offenbar Chefsache ist; so hoffe ich zumindest. Die
Anbindung der Integrationsbeauftragten der Bundes-
regierung an das Kanzleramt möchte ich so deuten.
Die FDP hat sich lange dazu bekannt, dass Deutsch-
land ein Einwanderungsland ist. Für uns ist die Integra-
tionspolitik traditionell von hoher Bedeutung. Im sechs-
ten Ausländerbericht stellte die Beauftragte der
Bundesregierung fest, dass die FDP-Fraktion schon
2004 ein integrationspolitisches Gesamtkonzept vor-
legte, das über die Enge der integrationspolitischen De-
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ir wollen in Deutschland keine Parallelgesellschaften
nd müssen uns deshalb mit dem besonderen Problem
useinander setzen, wie wir eine nachholende Integra-
ion für bereits in Deutschland lebende Migranten ge-
talten.
Im Koalitionsvertrag – damit komme ich zum
chluss – haben sich Union und SPD zur Migrations-
nd Integrationspolitik manches vorgenommen, was
ringend notwendig ist. Wenn sie Vorhaben wie das
rühe Deutschlernen von Kindern mit Migrationshinter-
rund, die Stärkung des interkulturellen und interreligiö-
en Dialogs und die Förderung der Gleichstellung von
ädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in gute
esetze und Programme gießen, wird die FDP gerne an
hrer Seite stehen.
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-
en! Ich erlebe zurzeit, dass in jeder Bürgermeister-
unde, in jeder Bürgermeisterrede, auf jedem Arbeitge-
erempfang und auf jedem Neujahrsempfang die
orderung nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
n den Vordergrund gestellt wird.
ch sage Ihnen: Damit ist der ehemaligen Ministerin
enate Schmidt etwas gelungen, was niemand erwartet
at, nämlich dass die Familienpolitik inzwischen im
ittelpunkt der Politik, ja im Mittelpunkt unserer Ge-
ellschaft gelandet ist.
ieben Jahre hartnäckige Arbeit für Familien haben sich
n der Tat gelohnt. Ich glaube, dass die große Koalition
n diesen guten Vorarbeiten anknüpfen kann und dass
ir diese Politik gemeinsam fortsetzen können.
Wenn ich auf die siebenjährige Arbeit im Ausschuss
ür Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückblicke,
ann stelle ich fest, dass wir gerade in diesem Ausschuss
ehr häufig gemeinsame Ziele formuliert haben. Wir alle
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 217
)
)
Christel Humme
wollten die Bedingungen für das Aufwachsen von
Kindern verbessern. Wir waren davon überzeugt, dass
Frauen bessere Chancen im Erwerbsleben brauchen.
Niemand von uns wollte leugnen, dass wir für Mütter
und Väter gute Rahmenbedingungen schaffen müssen,
damit Eltern Beruf und Familie miteinander vereinbaren
können. Aber zu einem gemeinsamen Handeln kam es
nur sehr selten. – Frau Lenke, Sie schütteln den Kopf.
Aber so ist es.
Bedauerlicherweise muss ich feststellen, dass wir uns
vom Ritual der ideologischen Grabenkämpfe nicht ganz
lösen konnten. Allerdings gab es ein Beispiel dafür, dass
wir dies geschafft haben. Daran möchte ich gern erin-
nern, weil es deutlich macht, dass in Zukunft vieles geht.
Ich erinnere an die Einführung der so genannten Unisex-
tarife bei der Riester-Rente. Alle Vertreter der Fraktio-
nen, die der damaligen rot-grünen Koalition und die der
damaligen Opposition aus CDU/CSU und FDP, haben
gleiche Tarife für Frauen und Männer gefordert.
– Sie haben sich damit zwar in Ihrer Partei nicht durch-
gesetzt, Frau Lenke, aber in unserem Ausschuss schon.
Damals ist es uns in eindrucksvoller Weise gelungen,
die ideologischen Grabenkämpfe zu überwinden, und
ich glaube, dass die Koalitionsverhandlungen gezeigt
haben, dass wir, Union und SPD, die Chance haben, dies
wieder zu schaffen und gemeinsame Lösungswege in
den Vordergrund zu stellen. Der Koalitionsvertrag ist ein
Erfolg, ein Erfolg für Familien, Senioren, Frauen, Kin-
der und Jugendliche. Dieser Vertrag kann sich meiner
Ansicht nach durchaus sehen lassen.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, für
die konstruktive Zusammenarbeit bei den Verhandlun-
gen recht herzlich danken.
Mit diesem Koalitionsvertrag bleiben die Familien im
Mittelpunkt unserer Politik. Es bleibt auch bei dem Ziel,
Deutschland zum kinderfreundlichsten Land Europas zu
machen. Es bleibt auch dabei, dass wir uns um das
Wichtigste zuerst kümmern, Frau Deligöz, nämlich um
den Ausbau der Kinderbetreuung.
Lesen Sie das bitte noch einmal nach! Das steht nach
wie vor an erster Stelle.
Wenn ich die Rede der Bundeskanzlerin noch einmal
Revue passieren lasse, freue ich mich über einen Satz
ganz besonders. Sie hat gesagt: Die soziale Herkunft ei-
nes Kindes darf nicht den Bildungsabschluss und damit
die Lebenschancen bestimmen.
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enn wir dieses Ziel verfolgen, muss der Ausbau der In-
rastruktur der wichtigste familienpolitische Schwer-
unkt bleiben.
Der Ausbau der Betreuungsplätze für unter Drei-
ährige – das gilt für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr,
rau Deligöz, also ab dem ersten Geburtstag – ist gut,
nd zwar gut für die Bildungschancen und für die Ver-
inbarkeit von Familie und Beruf. Er ist aber auch gut
ür die Bekämpfung von Familien- und Kinderarmut.
abei haben wir eine Gruppe ganz besonders im Blick,
ämlich die der Alleinerziehenden. Es ist nicht von der
and zu weisen, dass sie ein besonderes Armutsrisiko
ragen. Gerade für diese Gruppe möchten wir daher das
rziehungsgeld in ein Elterngeld umwandeln.
as bedeutet, dass wir dann zwei Komponenten haben:
uf der einen Seite die Betreuung und auf der anderen
eite das Elterngeld. Dieses Maßnahmenbündel wird
azu beitragen, Familien- und Kinderarmut zu bekämp-
en.
Alle Familien werden von dem Elterngeld profitieren,
nd zwar schon dadurch, dass wir den Vätern die
hance geben, sich an der Erziehung zu beteiligen und
u beobachten, wie ihre Kinder aufwachsen. Ich habe
ich gestern und auch heute Morgen über die Presse
ehr gewundert. Das Argument, das immer wieder in den
ordergrund gestellt wurde, war, dass diese Regelung
erfassungsfeindlich sei. Darüber wundere ich mich
anz gewaltig. Seit wann ist in der Verfassung eine Rol-
enverteilung festgeschrieben? So habe ich die Verfas-
ung noch nie ausgelegt.
Ich habe mich darüber gefreut, dass Bundeskanzlerin
ngela Merkel gestern gesagt hat, dass wir einen sanften
ruck auf die Männer ausüben müssen, sich stärker an
er Familienarbeit zu beteiligen. Das tun wir mit der
inführung des Elterngelds. Vielleicht werden wir dann
ie Erfolge, die in Schweden zu verzeichnen sind, auch
ier verzeichnen können.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die Vereinbarkeit
on Familie und Beruf ist der Schlüssel zu einer zu-
unftsweisenden Frauen- und Gleichstellungspolitik.
n der Frauen- und Gleichstellungspolitik haben wir in
en letzten Jahren viel geschafft. Wir haben aber nicht
lles erreicht. Hier sind die Erwartungen der Frauen sehr
och.
Gerade im Bereich des Arbeitsmarktes ist aus frauen-
olitischer Sicht noch einiges zu erledigen. Nach wie vor
aben wir keinen gleichen Lohn für gleiche und gleich-
ertige Arbeit. Hier sind wir uns alle einig – das ist ganz
ichtig –, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Christel Humme
Die Koalition wird die Hartz-Gesetze auch in puncto Ge-
schlechtergerechtigkeit überprüfen müssen. Das hatten
wir uns schon vorher vorgenommen. Ich denke, das wer-
den wir umsetzen.
Wie wichtig dieses Thema ist, möchte ich an einem
Beispiel deutlich machen: Frauen, die ihren Anspruch
auf Arbeitslosengeld II verlieren, weil ihr Partner, mit
dem sie nicht verheiratet sind, zu viel verdient, verlieren
gleichzeitig ihren Kranken- und Pflegeversicherungs-
schutz. Das darf nicht sein. Das müssen und das werden
wir schnell ändern.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich möchte noch
einen Punkt ansprechen. Sie wissen, es gibt eine freiwil-
lige Vereinbarung zwischen der letzten Bundesregierung
und den Spitzenverbänden der privaten Wirtschaft zur
Gleichstellung am Arbeitsplatz. Diese Vereinbarung
ist ja, denke ich, mit der großen Koalition nicht außer
Kraft gesetzt. Wir sollten uns deren zweite Bilanz, die si-
cherlich kommen wird, kritisch ansehen. Die SPD war
immer der Auffassung, wenn Familienfreundlichkeit und
Chancengleichheit nicht freiwillig zum Thema Nummer
eins in den Betrieben werden, müssen wir uns über ent-
sprechende gesetzliche Regelungen Gedanken machen.
Auch das sind wir den Frauen schuldig.
Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie genauso wie Ihre
Vorgängerin die Bündnisse für Familie weiterführen, da-
mit an dieser Stelle endlich Bewegung in den Laden
kommt.
Das Antidiskriminierungsgesetz wäre für die Gleich-
stellung am Arbeitsmarkt ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung gewesen und hätte den Frauen gehol-
fen.
– Ja, Frau Schewe-Gerigk, so ist es. – Ich bin froh, dass
die Koalitionspartner – hören Sie gut zu! – im Koali-
tionsvertrag unterstrichen haben, dass die europäischen
Gleichbehandlungsrichtlinien umgesetzt werden müs-
sen.
In der letzten Legislaturperiode haben wir heftig über das
Antidiskriminierungsgesetz gestritten. Aber ich denke,
dass wir es jetzt schaffen werden, dieses Gesetz im Inte-
resse der Frauen und im Interesse einer diskriminierungs-
freien Gesellschaft endlich in die Tat umzusetzen.
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Ich freue mich auf die neue, spannende Herausforde-
ung, in einer großen Koalition die bestehenden gesell-
chaftspolitischen Aufgaben zu lösen, und zwar jenseits
ich hoffe, dass das gelingt – aller ideologischen Grä-
en. Das sage ich auch in Richtung Opposition.
Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Diana Golze, Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ehr geehrte Damen und Herren! In ihrer Regierungser-
lärung hat die Bundeskanzlerin ausgeführt, dass sich
ie neue Bundesregierung viele Taten vorgenommen hat.
ch hoffe, dass diesen Worten auf dem Gebiet der Kin-
er- und Jugendpolitik wirklich Taten im Sinne der jun-
en Menschen unseres Landes folgen.
Unter anderem sollen junge Menschen ermutigt wer-
en, sich für ein Leben mit Kindern zu entscheiden. Da-
ür wurde im Koalitionsvertrag die Schaffung von
30 000 zusätzlichen Betreuungsplätzen für Kinder un-
er 3 Jahren bis zum Jahr 2010 festgeschrieben. Der
wölfte Kinder- und Jugendbericht der rot-grünen Bun-
esregierung vom Herbst 2005 geht jedoch weiter und
mpfiehlt einen Rechtsanspruch bis 2010 für alle Kinder
on Geburt an. Diese Empfehlung sollte die neue Bun-
esregierung in die Tat umsetzen.
Die Länder und Kommunen müssen damit verbunden
ber auch die Möglichkeit bekommen, diesen Rechtsan-
pruch zu erfüllen. Vermutungen, die Kommunen könn-
en dies durch Einsparungen im Zusammenhang mit der
usammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
ewährleisten, sind mehr als vage und derzeit nicht be-
egbar.
Zum Thema Rechtsansprüche von Kindern sollte
ei der Bundesregierung jedoch noch einiges mehr auf
er Tagesordnung stehen. Trotz Protesten hat die Bun-
esregierung die UN-Kinderrechtskonvention bislang
ur unter ausländerrechtlichen Vorbehalten unterschrie-
en, nach denen das deutsche Ausländerrecht Vorrang
or den Verpflichtungen der Konvention hat.
ieser Zustand muss schnellstens überwunden werden.
Eine wichtige Frage ist weder im Koalitionsvertrag
och in der Regierungserklärung ausreichend beantwor-
et worden: Wie will die Bundesregierung gegen die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 219
)
)
Diana Golze
wachsende Kinderarmut vorgehen? Kinderarmut hat in
der Bundesrepublik eine historisch neue Dimension er-
reicht. Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrts-
verbandes hat die Einführung von Hartz IV zum Jahres-
beginn die Zahl der von Armut betroffenen Kinder auf
ein Rekordhoch von 1,7 Millionen steigen lassen. Insge-
samt leben 14,2 Prozent der Kinder in Deutschland in
Armut; das ist jedes siebte Kind, in Ostdeutschland so-
gar jedes vierte.
Kinderarmut nimmt den jüngsten Mitgliedern unserer
Gesellschaft die Zukunftschancen; denn die Weichen für
die Entwicklung werden in den ersten Lebensjahren ge-
stellt. Ich zitiere aus der Regierungserklärung: „Die
Menschlichkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich da-
ran, wie wir mit ihnen umgehen.“ Gemeint waren damit
auch die Kinder.
Werte Kolleginnen und Kollegen, das Verständnis der
großen Koalition von Jugendlichen in unserem Land ist
äußerst widersprüchlich. Auf der einen Seite wird gerade
von Schulabgängern erwartet, dass sie sich auf die Suche
nach einem Ausbildungsplatz begeben und dabei flexi-
bel sind. Ebenso sollen sie dem Arbeitsmarkt nach ei-
nem erfolgreichen Abschluss, so sie denn überhaupt in
den Genuss eines solchen kommen, uneingeschränkt zur
Verfügung stehen. Andererseits sollen sie bis zum Alter
von 25 Jahren am elterlichen Rockzipfel hängen, um den
Staat nicht zu belasten. Von in der Verfassung festge-
schriebenen Bürgerrechten kann hier wohl keine Rede
sein, wenn wir sie den jungen Menschen nur dann ge-
währen, wenn es uns passt.
Wir müssen ihnen doch wenigstens die Chance auf ein
selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben bieten. Der
Pakt für Ausbildung bietet diese Chance nicht.
Die Kinder und Jugendlichen sind die Zukunft unse-
res Landes. Wir sollten es uns heute nicht mit ihnen ver-
scherzen. Wir selbst werden im Alter die Folgen dessen
zu tragen haben und uns den Fragen der nachkommen-
den Generation stellen müssen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede in diesem Ho-
hen Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und wün-
sche Ihnen persönlich und für Ihre Arbeit hier im Parla-
ment alles Gute.
Dies war die letzte Rednerin in dieser Debatte.
Wir kommen nun zu den Themenbereichen Finanzen
und Steuern.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und
5 b sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
5 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beschränkung der Verlustver-
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CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Abschaffung der Eigenheimzu-
lage
– Drucksache 16/108 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
P 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches So-
fortprogramm
– Drucksache 16/105 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
P 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oskar
Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost
und der Fraktion der LINKEN
Hedgefondszulassung zurücknehmen
– Drucksache 16/113 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer
teinbrück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Dies ist meine erste Rede hier im Bundestag,
eine Jungfernrede, die ich nicht mehr von der Bundes-
atsbank, sondern von der Regierungsbank kommend
alte.
Es gibt ja einen alten Aphorismus, der lautet: Hochver-
at ist eine Frage des Datums.
220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
Ich möchte mich sehr herzlich für die vielen Glück-
wünsche bedanken, die ich bekommen habe. Ich gebe
zu: Es ist auch das eine oder andere Kondolenzschreiben
dabei gewesen,
das ich gebührend beantworten werde. In wenigen Tagen
mache ich eine Erfahrung, die auch viele Privatleute in
Deutschland machen: die Erkenntnis, dass das schöne
Gefühl, Geld zu haben, weitaus weniger intensiv ist als
das klamme Gefühl, kein Geld zu haben.
Um ernsthaft zu werden, meine Damen und Herren,
sage ich: Wir haben unabweisbar erhebliche Haushalts-
probleme. An den Beginn meiner Ausführungen stelle
ich daher sehr gezielt die Feststellung, dass diese
Haushaltsprobleme nicht ausschließlich aus fiskalischer
Perspektive und nicht allein über fiskalische Anstren-
gungen zu lösen sind.
Ich halte das für aussichtslos. Diese unabweisbaren
Haushaltsprobleme sind nur in einem Gesamtzusam-
menhang zu lösen. Sie werfen uns sehr direkt zurück auf
Fragen, die alle Seiten dieses Hauses – in den unter-
schiedlichsten Ausschüssen, in den unterschiedlichsten
Ministerien – beschäftigen.
Diese Fragen lauten: Wird die Wachstumsdynamik in
Deutschland in den nächsten Jahren hinreichend sein,
um diese Probleme zu lösen? Wie können wir unsere So-
zialversicherungssysteme robuster machen
gegen konjunkturelle Ausschläge, aber auch gegenüber
den Folgen der Demographie, wenn – was eine Tatsache
ist – das Normalarbeitsverhältnis als Bezugsgröße für
die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge zuneh-
mend erodiert? Wir wissen, dass jede Entspannung auf
dem Arbeitsmarkt uns näher an eine solide Haushalts-
führung heranführt. Wir haben es über die Folgen der
Demographie hinaus, die ich bisher angesprochen habe,
auch mit weiteren Folgen dieser Entwicklung zu tun.
Ich stelle das an den Anfang, um die Notwendigkeit
aufzuzeigen, dass wir diese Haushalts- und Fiskalpolitik
mit den anderen politischen Aufgabenfeldern mehr denn
je vernetzen. Es kann keine Arbeitsteilung geben, dass
im Hohen Hause die Haushalts- und Finanzpolitiker auf
der einen Seite und die anderen Politiker auf der anderen
Seite stehen, dass der Finanzminister im Kabinett für die
kruden, für die schlechten Nachrichten zuständig ist und
die anderen sich populär, auch mit Blick auf ihr Ausga-
beverhalten, aufstellen können.
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ngesichts dieser Verkarstung – in Form dieser fünf
löcke – und mit Blick auf die hoch investiven Anteile
er drei Fs ist klar: Wenn jemand glaubt, er könnte aus
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 221
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
diesem Bundeshaushalt in einer Radikaloperation 10, 15,
20, 25 Milliarden Euro auf einmal herausschneiden,
dann irrt er! Das ist Voodoo-Fiskalpolitik!
Denn wenn Sie dies wollen, Herr Solms, dann müssen
Sie sich jetzt hierhin stellen und sagen, ob Sie den
80-Milliarden-Euro-Zuschuss an die Rentenversiche-
rung kürzen wollen! Sind Sie bereit, den Menschen zu
sagen, dass sie, wenn Sie zum Beispiel 8 Milliar-
den Euro herausholen wollen, um die Mehrwertsteuerer-
höhung zu vermeiden, es mit Rentenkürzungen von
4 Prozent zu tun haben werden? Ich habe von Kollegin
Schmidt gelernt, dass 50 Prozent der Rentner in
Deutschland ihre Rente alleine aus der gesetzlichen Ren-
tenversicherung beziehen. Sie müssten diesen Frauen
und Männern die Rente also um real 4 Prozent kürzen! –
Bei den Zinsen können Sie nicht sparen. Bei den Zuwen-
dungen sparen wir. Auch beim Personal sparen wir. Das
heißt, die Spielräume sind sehr gering. Wenn diese
Mehrwertsteuererhöhung so des Teufels ist, dann müss-
ten Sie, um sie zu vermeiden, mit Vorschlägen kommen,
wie ich sie von Ihnen nie gehört habe; ich komme darauf
zurück.
Das Problem bei diesem Haushalt ist nicht allein des-
sen Niveau. Wir haben vielmehr ein Strukturproblem:
Wir zahlen für die Vergangenheit zu viel und geben für
die Zukunft zu wenig aus.
Das ist die Realität. Ich könnte noch weitere Punkte auf-
zählen, wie zum Beispiel die Zinsquote, die zu geringe
Investitionsquote und dergleichen mehr. An diesen
Sachverhalten kommt niemand vorbei, weder die FDP
– auch nicht Sie, Herr Solms, wenn Sie bei einer anderen
Konstellation meine Funktion übernommen hätten –
noch die Linkspartei. Ich habe den Eindruck, dass es ein-
fache, gar populäre Antworten auf diese komplexen,
sehr ineinander verwobenen Probleme nicht gibt.
Die FDP tut so, als ob sie durch Steuersenkungen die
Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz einhalten
könnte. Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass sie
vornehmlich über Haushaltskürzungen den Konsolidie-
rungsbeitrag erbringen will. Wie Sie das machen wollen,
weiß ich nicht. Diese Zauberformel ist mir nicht geläu-
fig. Das ist die von mir schon angesprochene Voodoo-
Fiskalpolitik. Wo sollen denn die 35 Milliarden Euro
herkommen, Herr Solms? Wenn Sie weitere Steuersen-
kungen wollen und gleichzeitig die Regelgrenze des
Art. 115 Grundgesetz einhalten wollen, dann müssen Sie
dem Parlament und der Öffentlichkeit belegen, wie diese
Defizitlücke über Haushaltskürzungen gedeckt werden
soll.
Außerdem müssen Sie belegen, mit welchen Verwerfun-
gen und Kollateralschäden das verbunden ist. Übrigens
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Sie von der FDP sind auch an anderer Stelle Gefange-
er Ihrer Terminologie, nämlich dann, wenn Sie die Ab-
chaffung jeder Steuervergünstigung automatisch als
ine Steuererhöhung definieren. Dann kommen Sie
azu, solche Beiträge zu halten, wie Herr Brüderle das
eute getan hat. Wenn Sie mit mir darin einig wären,
ass wir viele Steuervergünstigungen haben, die eigent-
ich obsolet sind, und dass deren Abschaffung nicht au-
omatisch Steuererhöhungen sind, sondern Einsparun-
en, die man erbringen kann, dann kämen Sie zu ganz
nderen Zahlen.
Ich will Sie daran erinnern: In einem Jahr wie 2008,
n dem sich die volle Wirksamkeit vieler Maßnahmen,
ie sich diese Regierung vorgenommen hat, entfalten
ird, haben wir es zu tun mit Ausgabenkürzungen von
ngefähr 10 Milliarden Euro, mit der Abschaffung von
teuervergünstigungen in der Dimension von 6,3 Mil-
iarden Euro, mit Steuermehreinnahmen über höhere
ersicherungsteuer und Mehrwertsteuer von 9,8 Milliar-
en Euro und bei den Einmaleffekten und Privatisierun-
en etwa mit 9 Milliarden Euro. Das sind die Proportio-
en. Diese stehen im Widerspruch zu dem, was Herr
rüderle heute hier mit großer Emphase vorgetragen hat.
Niemand zahlt gerne Steuern. Aber die Steuerquote
n Deutschland ist – das betone ich – auch nicht das
222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
Hauptproblem. Ich stimme sogar Herrn Lafontaine be-
grenzt zu,
dass selbst die addierte Steuer- und Abgabenquote im in-
ternationalen Vergleich nicht das Hauptproblem ist. Was
er darüber zu sagen versäumt, ist, dass wir in Deutsch-
land zu hohe Lohnzusatzkosten haben, die sich aus ge-
setzlichen und tariflichen Regelungen zusammensetzen.
Was er in seiner Rede heute Morgen nicht beschrieben
hat, ist, dass die Lohnzusatzkosten inzwischen 100 Pro-
zent der Lohn- und Gehaltssumme ausmachen.
– Er verschweigt, dass wir in Deutschland im Bereich
des Arbeitsmarktes nach wie vor ein riesengroßes Pro-
blem haben. Ich möchte nicht polemisch werden, aber es
ist bildlich so zu beschreiben: Ein Malergeselle hat zu
Hause einen Wasserrohrbruch und lässt diesen von ei-
nem Installateurgesellen reparieren. Der Malergeselle
muss fünf Stunden arbeiten, um eine Arbeitsstunde des
Installateurgesellen bezahlen zu können. Das beschreibt
das Hauptproblem auf dem Arbeitsmarkt.
Was Sie von der Linkspartei dazu darstellen, hilft uns
definitiv nicht weiter.
Abgesehen davon sind an dieser Stelle auch die leich-
ten Hinweise erlaubt, dass die Steuersysteme in Europa
inzwischen miteinander konkurrieren und dass wir mit
unserem Steuersystem dafür sorgen müssen, dass es bei
der hohen Mobilität des Kapitals nicht zu Abwanderun-
gen kommt.
Ich will auf das Thema zurückkommen, das in der
Debatte heute Morgen, die Herr Brüderle mit entfacht
hat, schon eine Rolle spielte, nämlich auf die Mehrwert-
steuer. Ja – wir müssen uns doch nicht wechselseitig
naiver machen, als wir sind –, die Erhöhung der Mehr-
wertsteuer hat einen kontraproduktiven Effekt für die
Wirtschaft. Jeder, der das leugnet, macht sich etwas vor.
– Es ist so. – Die Frage ist nur, mit welchen anderen Ver-
werfungen und anderen Nachteilen für die Konjunktur
und die solide Haushaltsführung eine alternative Strate-
gie verbunden wäre. Darauf haben Sie keine Antwort.
– Wissen Sie: Gelegentlich hat die Politik auch einen Er-
kenntnisfortschritt zu verzeichnen.
Ach, entschuldigen Sie bitte. Sie haben vor der Wahl
teuersenkungen versprochen. Wenn Herr Solms an
einer Stelle wäre, dann müsste er heute hier die politi-
che Lebenslüge der FDP vertreten, da Steuersenkungen
ar nicht möglich sind. Das ist genau dieselbe Lebens-
üge.
ch bin mir ganz sicher: Wenn er in meinem Amt wäre
nd wenn er heute Ihre Aussagen im Bundestagswahl-
ampf verteidigen müsste, dann müsste er sich von ih-
en genauso verabschieden. Tun Sie also doch nicht so
nd spielen Sie sich doch nicht vollmundig auf.
Wenn Sie sagen, dass Sie diese Erhöhung der Mehr-
teuer nicht wollen – den einen Mehrwertsteuerpunkt,
urch den die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ge-
enkt werden sollen, lasse ich einmal weg –, dann müs-
en Sie diesem Hause erklären, wie die 10 Milliarden
uro – ich addiere immer die Versicherungsteuer und die
ehrwertsteuer – auf anderem Wege finanziert werden
ollen. Das können Sie nicht. Das ist Ihr Offenbarungs-
id. Da gibt es nichts,
s sei denn, Sie würden sagen: Wir senken die Renten
nd die Investitionen und wir setzen in den Zukunftsfel-
ern – was immer dabei in Rede steht – keine Akzente
ehr.
Ich sage sehr bewusst: Um seine Aufgaben erfüllen
u können, benötigt dieser Staat Ressourcen. Wir brau-
hen einen handlungsfähigen Staat. Die Menschen er-
arten, dass wir die Infrastruktur finanzieren, dass wir
aseinsvorsorge betreiben, dass wir die innere und äu-
ere Sicherheit finanzieren und dass wir in Bildung, For-
chung und Entwicklung investieren.
ir wollen aber keinen fetten Staat haben. Wir wollen
icht länger einen Vater und eine Mutter Staat haben.
ir brauchen auch keine Alimentationsveranstaltungen,
ie sich die Linken das gelegentlich vorstellen, sondern
ir brauchen einen leistungsfähigen Staat, der dafür
uch die entsprechenden finanziellen Ressourcen benö-
igt.
Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der auch
adurch Vertrauen und Sicherheit schafft, dass er die
roßen Lebensrisiken der Menschen absichert und ihnen
ehr Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildungs-
inrichtungen garantiert, damit sie ein selbst verantwor-
etes Leben führen können. Deshalb trete ich in einer
olchen Rede auch der verbreiteten und modischen Dis-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 223
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
kreditierung des Staates und seiner Institutionen entge-
gen.
Dies ist auch bei Ihnen mit ordnungspolitischen Vorstel-
lungen unterlegt, von denen ich sehr weit entfernt bin.
Nur die sehr Begüterten können sich einen schwachen
Staat leisten, die anderen nicht.
Abstrakt sind alle überall für Haushaltskonsolidie-
rung: bei den Verbänden, in den Medien und auch bei
uns. Wehe aber, es wird konkret! Abstrakt sind alle für
den Abbau von Steuervergünstigungen – aber bitte bei
den anderen. Diese Debatte haben wir schon jetzt. Mir
ist jede Kritik willkommen, die uns weiterhilft, gerade
auch dann, wenn sie in Sorge um das Gemeinwohl geäu-
ßert wird. Mir ist es aber vielleicht auch erlaubt, solche
Kritik zurückzuweisen, die klar von Gruppeninteressen
geprägt ist.
Ich will ein Beispiel aus der jüngsten Zeit nennen,
nämlich die geplante Verlustverrechnungsbeschrän-
kung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen.
Die Art und Weise, wie die FDP dort Klientelpolitik be-
trieben hat und glaubte, dort Klientelinteressen vertreten
zu müssen, hat mit einer Orientierung an den Interessen
des Gemeinwohls nichts zu tun.
Sie müssen wissen: Allein das Lavieren über diesen
Stichtag hätte den Steuerzahler 500 Millionen Euro kos-
ten können, nur weil man denjenigen, die diese Fonds
verwalten, vielleicht die Hand hat reichen müssen: Aus
verfassungsrechtlichen Gründen müsste das alles noch
verschoben werden und dergleichen mehr. Da ist nichts
dran.
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koali-
tionsfraktionen werden daran festhalten, weil wir wis-
sen, dass sehr viel Geld daran hängt.
In aller Deutlichkeit: Wenn wir Gruppeninteressen
bedienen, haben wir keine Chance, zu einem wirtschaft-
lichen Aufschwung zu kommen, schon gar nicht zu men-
talen Veränderungen, wobei ich glaube, dass uns diese
Mentalitäten gelegentlich sehr hemmen.
So ernüchternd das Bild der öffentlichen Finanzen
auch sein mag, so besteht doch in meinen Augen kein
Anlass zu Hoffnungslosigkeit oder Fatalismus. Wie in
vielem, können wir auch hier einiges von den Chinesen
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ie Experten weisen aus, dass wir durch eine Reihe von
esetzlichen Vorhaben, die im Vermittlungsausschuss
urchaus Zustimmung gefunden haben, diese Tragfähig-
eitslücke, das heißt die Differenz zwischen den lang-
ristigen Ausgaben und den Einnahmen des Staates, in
ur zwei Jahren um 20 Prozent verringern konnten. Es
ibt keinen Grund, warum eine große Koalition hierauf
icht aufbauen sollte. Wir werden es tun.
Die Bundesregierung hat ein ausgewogenes und auf-
inander abgestimmtes Maßnahmenpaket in der, wie
ch glaube, richtigen Schrittfolge vorgelegt. Wir wollen
006 Rückenwind organisieren. Wir wollen 2007 das
aastricht-Kriterium hinsichtlich der Verschuldung und
uch die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes
inhalten.
as wird uns erhebliche Anstrengungen abverlangen.
ch kündige hier noch einmal an, dass die Einhaltung des
aastricht-Kriteriums von 3 Prozent im Jahre 2007 auch
it Blick auf die europapolitische Aufstellung der
undesrepublik Deutschland von einer erheblichen Be-
eutung sein wird.
Wir befinden uns im Augenblick in einer Verfas-
ungskrise. Wir verfügen im Augenblick über keine
inanzielle Vorausschau. Ob dies die britische Präsident-
chaft bis Weihnachten noch liefern wird, ist nicht si-
her. Das heißt, es stehen möglicherweise noch offene
ragen zur Finanzierung der EU zur Behandlung an. Das
edeutet, dass wir uns eine dritte Krise, eine mögliche
ährungskrise bezüglich der Infragestellung des Stabili-
äts- und Wachstumspaktes, nicht werden leisten kön-
en. Das ist der Hintergrund.
Das Kabinett hat bereits erste Schritte eingeleitet, auf
ie ich aus Zeitgründen nicht zu sprechen kommen
öchte. Der zweite Schritt wird sein, dass wir bereits im
ächsten Jahr folgende Impulse setzen wollen: Fami-
ienförderung, Stärkung von Forschung und Entwick-
ung, Programm zur energetischen Gebäudesanierung
owie Förderung der gewerblichen Wirtschaft. Der dritte
224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück
Schritt wird sein, dass wir uns um die großen Reform-
vorhaben schon 2006 werden kümmern müssen. Heraus-
ragendes Beispiel ist dafür das Gesundheitssystem vor
dem Hintergrund sehr zielantinomischer Positionen, die
wir vorher eingenommen haben. Aber ich gehöre zu
denjenigen, die wissen, dass hier die Musik spielt, wenn
wir jemals von dem hohen Bundeszuschuss für die versi-
cherungsfremden Leistungen in der Krankenversiche-
rung wegkommen wollen.
Der nächste Schritt ist eine Erhöhung der Umsatz-
steuer und der Versicherungsteuer zum 1. Januar 2007.
Dazu habe ich das Notwendige gesagt. Wir bleiben auch
im Sinne einer sozialen Balance für die davon Betroffe-
nen bei dem halben Mehrwertsteuersatz.
– Ich meine den ermäßigten Satz von 7 Prozent. Danke
sehr, mathematisch haben Sie Recht, Frau Scheel.
Der fünfte Schritt wird eine große Unternehmen-
steuerreform zum 1. Januar 2008 sein, für die der
Grundsatz gilt: Solidität vor Schnelligkeit. Wir werden
unsere Zeit brauchen, um die vorliegenden Vorschläge
des Sachverständigenrates und der Stiftung Marktwirt-
schaft so auszuloten, dass dabei etwas Vernünftiges he-
rauskommt.
Ich will zum Schluss sagen: Es ist ein Ziel dieser gro-
ßen Koalition und vielleicht auch ihre Chance, Vertrauen
wiederzugewinnen. Wir wollen uns ernsthaft und inten-
siv um einen glaubwürdigen Politikstil bemühen, der
von den Wählerinnen und Wählern anerkannt wird. Die
Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen
ohne Umschweife die Realität so beschreiben, wie sie
ist, dass wir ihnen keine raschen Lösungen dort verspre-
chen, wo wir sie nicht haben, dass wir aber versuchen,
Wege aufzuzeigen. Die Menschen haben jedoch auch ei-
nen Anspruch darauf, dass nicht alles zerredet und zerfa-
sert wird, was in die politische Debatte gebracht wird.
Sie haben eine Bringschuld, die Informationsangebote
der Politik so abzurufen, dass sie sich ein eigenes, von
öffentlichen Aufgeregtheiten unabhängiges Bild machen
können. Diese Bringschuld mahne ich bei den Bürgerin-
nen und Bürgern an.
Die große Koalition hat die Chance, zu einem Politik-
stil zu finden, mit dem Vertrauen zurückgewonnen wer-
den kann. Wir müssen aus Überzeugung handeln und wir
wollen durch Handeln überzeugen.
Vielen Dank.
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Sie müssen nun Ihre Finanzpolitik rechtfertigen, sa-
en, ob sie schlüssig ist und zu den erwähnten Zielen
ührt oder ob Sie diese Ziele verfehlen werden. Ich bin
benso wie viele Fachleute in diesem Land davon über-
eugt, dass diesem Programm die sinnstiftende Linie,
ie Professor Straubhaar festgestellt hat, fehlt.
Sie haben keine ökonomische Orientierung. Sie haben
inzelvorschläge vorgelegt, die nicht zusammengehören
nd sich widersprechen. Dabei ist kein finanzpolitisches
eitmotiv zu erkennen. Dem finanzpolitischen Pro-
ramm mangelt es an inhaltlicher Konsistenz und kon-
eptioneller Klarheit. Das will ich mit einigen Bemer-
ungen untermauern.
Zunächst einmal muss ich mich dagegen verwehren,
ass Sie uns falsche Vorwürfe machen. Wir haben die
bschaffung der Verlustzuweisungsfonds seit Jahren
auch schriftlich und im Deutschen Bundestag – gefor-
ert,
nd zwar unabhängig davon, wer davon betroffen ist.
ie Regierung, die damals von der SPD mit Ihrem Par-
eifreund Hans Eichel und den Grünen gebildet wurde,
ätte das längst vollzogen haben können. Richten Sie
eshalb keine Vorwürfe an die falsche Adresse!
Entscheidend ist aber, ob Ihre finanzpolitische Strate-
ie, die von einer Fülle von Steuererhöhungen und einer
leinen Zahl von Einsparungen geprägt ist, zum Ziel
ührt. Sie haben die großen Probleme der öffentlichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 225
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
Haushalte in den Mittelpunkt Ihrer Strategie gestellt. Es
ist richtig: Sie sind riesig und ich glaube, dass Sie, die
Sie erst jetzt nach Berlin gekommen sind, nicht geahnt
haben, dass das strukturelle Defizit ein Volumen von
über 60 Milliarden Euro erreicht hat. Das haben auch
wir, die wir uns damit beschäftigt haben, nicht gedacht.
Wir sind von 50 Milliarden Euro ausgegangen; dass es
65 Milliarden Euro sind, haben wir nicht erkannt, Herr
Eichel. Sie haben uns das jedenfalls nicht vorgetragen.
Darauf muss ich an dieser Stelle hinweisen.
Sie haben in allen der letzten fünf Haushaltsberatun-
gen Haushaltsplanentwürfe vorgelegt, die offenkundig
schon zum Zeitpunkt der Beratung falsch waren.
Wenn Herr Steinbrück jetzt dazu übergeht, saubere Zah-
len vorzulegen, dann halte ich das für richtig und be-
danke mich dafür. Es ist aber noch nicht die Lösung des
Problems.
Immerhin ist ein Anfang in Ehrlichkeit besser, als wieder
zu falschen Zahlen zu greifen.
Was ist der Grund für die Löcher im Staatshaus-
halt? Es gibt viele Gründe, aber lassen Sie mich zwei
Hauptgründe nennen: zum einen ausufernde Staatsaus-
gaben und zum anderen eine immer schmalere Basis für
die Staatseinnahmen durch die hohe Arbeitslosigkeit.
Wenn Sie die Haushalte des Bundes, der Länder und
Gemeinden sanieren wollen, dann müssen Sie Ausga-
ben senken, Aufgaben des Staates zurücknehmen, Büro-
kratie abbauen und mehr Freiheit für die Bürger, Unter-
nehmen, Investoren und Sparer schaffen,
um auf diese Weise das Haushaltsdefizit zu reduzieren.
Eine weitere zentrale Aufgabe besteht darin, alles zu
tun, das dazu beiträgt, dass in Deutschland wieder Ar-
beitsplätze entstehen können. Denn nur dann, wenn es
Ihnen gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, wird es wie-
der mehr Steuer- und Beitragszahler geben.
Ich erinnere an die einfache Faustregel: Wenn 1 Mil-
lion Bürger, die heute von Sozialleistungen leben, wie-
der in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden könn-
ten, dann würde sich die finanzielle Bilanz des Staates
um etwa 20 Milliarden Euro verbessern. In diesem Zu-
sammenhang möchte ich an die 80er-Jahre erinnern, als
wir die gleichen Probleme – zwar nicht im selben Um-
fang, aber in struktureller Hinsicht waren sie vergleich-
bar – hatten. Damals wurde unter Finanzminister
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ie gesagt, Sie wollen ab 2007 rund 150 Milliarden
uro einschließlich Privatisierungs- und Einmalerlöse
bschöpfen und legen gleichzeitig ein Ausgabenpro-
ramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro bis
009 vor. Das kann nicht funktionieren. Ab 2007 wird
hnen die Rechnung präsentiert werden. Ich weise Sie
chon heute darauf hin, dass Sie scheitern werden, wenn
ie Ihre Strategie nicht ändern.
Wir wollen aber nicht, dass Sie scheitern, sondern,
ass Sie Erfolg haben und für mehr Beschäftigung in
eutschland sorgen.
226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
– Ich weiß nicht, ob Sie das richtig verstanden haben,
was Sie gelesen haben. Aber nicht die OECD, sondern
wir im Deutschen Bundestag sind für unsere Politik ver-
antwortlich.
Lesen Sie einmal die Gutachten des Sachverständigenra-
tes und der wirtschaftswissenschaftlichen Institute!
Überall wird die Meinung vertreten, dass Ihrer Politik
die ökonomische Linie fehlt.
Letztendlich wird sich herausstellen, ob Ihre Vorstel-
lungen helfen, Menschen in Lohn und Arbeit zu bringen.
Darauf müssen sich – jedenfalls nach unserer Meinung –
die Wirtschafts- und die Finanzpolitik konzentrieren.
Der neue Wirtschaftsminister Michael Glos, der die De-
batte heute Morgen eröffnet hat, hat gesagt: Unser zen-
trales Ziel ist, für mehr Wachstum und Beschäftigung zu
sorgen. – Der Mann hat Recht. Aber warum tun Sie
nichts dafür? Warum machen Sie eine falsche Politik?
Die Rechnung wird Ihnen präsentiert werden.
Das Interessante dabei ist: Uns wird gerade von so-
zialdemokratischer Seite oft vorgehalten, man dürfe
nicht alles ökonomisieren; der blanke Kapitalismus sei
völlig unsozial und ungerecht. Hier haben wir nun ein
typisches Beispiel dafür, dass eine ökonomische Strate-
gie auch eine soziale Gerechtigkeitsstrategie beinhaltet.
Das alles passt genau zusammen.
Die größte soziale Ungerechtigkeit ist die Arbeitslosig-
keit.
Das ist nicht nur eine Frage des Einkommens bzw. des
Einkommens- oder Beschäftigungsverlustes, sondern
auch eine Frage des menschlichen Status, des Selbstbe-
wusstseins. Hier werden ganze Familien einem traurigen
Schicksal überlassen. Daher müssen wir uns auf den Ab-
bau der Arbeitslosigkeit konzentrieren. Wenn Sie eine
vernünftige ökonomische Politik machen und für Steuer-
und Abgabenentlastung, Bürokratieabbau, also Abschaf-
fung von Vorschriften und Kontrollen, und für mehr
Freiraum sorgen, und zwar unter der Maßgabe, interna-
tionale Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, dann
werden Sie auch das soziale Problem lösen. Ich halte es
durchaus für möglich, in absehbarer Zeit 2 Millionen
Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrie-
ren. Nur müssen da mutige Entscheidungen getroffen
werden.
Eine Koalition mit einer Mehrheit von 70 Prozent hier
im Deutschen Bundestag hat doch alle Möglichkeiten.
Wir können unsere Kritik dagegenstellen, aber wir kön-
nen Sie am Handeln nicht hindern. Sie müssen aber auch
handeln, aber Sie handeln nicht richtig. Das ist mutlos.
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Alle Parteien haben erklärt, sie wollten eine grund-
ätzliche Steuerreform mit einer Steuervereinfachung:
iedrig, einfach und gerecht. Die CDU hat das sogar von
ns abgeschrieben. Wo ist das denn geblieben? Wo sind
enn die mutigen Vorschläge von Friedrich Merz geblie-
en, die Sie von der CDU auf Ihrem Parteitag beschlos-
en haben? Kein Wort ist mehr davon zu hören. Alles
erschoben auf 2008.
eit Jahren kennen wir die Probleme, seit Jahren hätten
ie Ihre Hausaufgaben machen können. Die Gesetze hät-
en schon längst eingebracht werden können.
ir haben das alles in einem Gesetzestext formuliert. Da
önnen Sie natürlich über jede Einzelheit streiten – das
eiß ich auch; es gibt für alles Alternativen –, aber Sie
üssen erst einmal ein neu konzipiertes Steuerrecht vor-
egen, damit man darüber streiten kann.
as verträgt keinen Verzug. Die Wirtschaft hat damit ge-
echnet, dass wir ein neues Unternehmensteuerrecht
m Jahr 2007 in Kraft setzen. Das hat übrigens, glaube
ch, im Wahlprogramm der CDU gestanden.
o ist es denn jetzt? Auch Sie, Herr Poß, werden doch
ugeben, dass es gut wäre, wenn wir ein Unternehmen-
teuerrecht hätten, das wenigstens europarechtskonform
äre und wenigstens Rechtsformneutralität bewirken
ürde –
das haben Sie nicht gemacht; Sie wollen es machen,
agen Sie, aber bis jetzt habe ich davon nichts gesehen. –
und das dazu führen würde, dass aus steuerlicher Sicht
nvestitionen in Deutschland so attraktiv sind wie in Ös-
erreich. Das ist doch der einfache Maßstab, den wir uns
etzen.
aran werden Sie gemessen werden, und zwar nicht von
ns, nicht einmal von der öffentlichen Meinung, sondern
ie Wirtschaft, die Unternehmen in Deutschland werden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 227
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
Ihre Politik beurteilen. Angesichts der heutigen globali-
sierten Wirtschaft können Sie niemanden in Deutsch-
land einschließen. Wem das nicht passt, der geht. Das
mag man mögen oder nicht mögen, aber so ist es.
Wenn Sie verhindern wollen, dass noch mehr Unter-
nehmen und sogar mittelständische Unternehmen ins
Ausland abwandern,
dann müssen Sie unverzüglich ein solches Programm
auflegen und durch das Parlament bringen. Wenn Sie das
nicht tun, versagen Sie. Jetzt, am Anfang der Legislatur-
periode, weise ich Sie darauf hin: Wenn Sie das machen,
werden wir Sie konstruktiv und kritisch unterstützen.
Wir halten das für zwingend notwendig, wenn wir in
Deutschland wieder Chancen für Arbeit und Brot be-
kommen wollen. Wenn Sie das mutwillig verzögern und
keine ausreichenden Reformen auf den Weg bringen,
dann werden wir scheitern. Wir werden dann alle schei-
tern, wir als Opposition auch, weil das verlorene Ver-
trauen der Bürger in die politischen Kräfte nicht mehr
zurückgewonnen werden kann.
Das trifft die Bundesregierung, das trifft die Parlamente.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Das trifft uns alle. Deswegen – das können Sie mir
glauben – ist uns daran gelegen, dass Sie eine erfolgrei-
chere Politik machen, jedenfalls erfolgreicher als das,
was sich in diesem Koalitionsprogramm ankündigt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland hat wieder eine handlungsfähige Bundesre-
gierung unter der Führung von Angela Merkel. Die Zeit
des Stillstands ist vorbei. Wir legen alleine heute im
Rahmen dieser Debatte drei Gesetzentwürfe vor, die in
den nächsten Wochen beraten und beschlossen werden
sollen.
Das zeigt, es geht zügig voran. Es wird nicht nur disku-
tiert, Frau Scheel, sondern es wird in Deutschland wie-
der gehandelt.
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Die jüngste Konjunkturumfrage des Instituts der deut-
chen Wirtschaft Köln oder die schon eben von Herrn
olms zitierte OECD-Prognose verkünden eine positive
ntwicklung. Wir sollten diese positive Perspektive nut-
en, ohne sie zu überschätzen; denn es reicht uns nicht,
enn sich allein die Konjunktur bessert. Wir müssen den
onjunkturellen Aufschwung nutzen, um notwendige
trukturelle Veränderungen in Deutschland voranzu-
ringen und die Lage unseres Landes damit dauerhaft zu
erbessern.
Hier wurde eben angemerkt, dass die Strukturrefor-
en dieser Bundesregierung nicht weit genug gehen. Ich
öchte deshalb aus dem Monatsbericht der Deutschen
undesbank vom November 2005 zitieren, in dem sich
ie Bundesbank mit dem Koalitionsvertrag auseinander
etzt:
In zentralen Bereichen werden im Koalitionsvertrag
für die Legislaturperiode grundlegende finanzpoli-
tische Reformen in Aussicht gestellt. … Hier beste-
hen Chancen, dass die finanzpolitischen Rahmen-
bedingungen deutlich verbessert werden.
s wird an uns allen liegen, in welcher Weise wir die
hancen, die in diesem Koalitionsvertrag stecken, tat-
ächlich nutzen. Ich rate uns dazu, diese Chancen nicht
u zerreden; vielmehr sollten wir gemeinschaftlich ver-
uchen, diese Chancen zu nutzen, um zu Ergebnissen zu
ommen. Vor dieser Aufgabe stehen wir gemeinschaft-
ich.
Die Ausgangslage, die wir vorfinden – Stichworte:
aushaltslage; Arbeitsmarkt; Strukturen, insbesondere
er Sozialsysteme –, ist ungeheuer schwierig. Hier
urde eben gefordert, dass die Staatsfinanzen saniert
erden. Auch wenn manch einer diesen Eindruck er-
eckt, ist es natürlich nicht so, dass die Koalitionsver-
andlungen der vergangenen Wochen zu dem Defizit ge-
ührt haben, das wir jetzt zu beseitigen haben; vielmehr
at diese Koalition dieses Defizit in Höhe von etwa
0 Milliarden Euro vorgefunden. Wir stellen uns der
ufgabe, diesen Haushalt wieder in Ordnung zu bringen.
228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Michael Meister
Ich finde es ausgesprochen gut, dass Herr Steinbrück
bei einem gemeinsamen Interview auf einer Pressekon-
ferenz gesagt hat: Diese Koalition startet, indem wir uns
zuerst einmal ehrlich machen und die Problemlage zu
Beginn der Arbeit klar und deutlich benennen. Ich
glaube, der einzig sinnvolle Weg ist, bei den Realitäten
zu beginnen und keine Wunschbilder zu malen.
Herr Kollege Solms hat eben erklärt, er vermisse ein
ökonomisches Leitmotiv. Ich glaube, dass wir in dieser
Koalition angesichts dieser schwierigen Ausgangslage
sehr wohl ein ökonomisches Leitmotiv gefunden haben:
Erstens wollen wir sanieren, Herr Solms. Das ist bei ei-
ner Unterdeckung des Bundeshaushalts in Höhe von
60 Milliarden Euro dringend geboten.
Zweitens wollen wir durch Sanieren nicht abwürgen –
da widerspreche ich Ihrem Kollegen Brüderle –, son-
dern, begleitend zum Sanieren, Investitionen anregen
und damit dazu beitragen, dass Wachstum und Beschäf-
tigung gefördert werden. Beides tun wir gemeinsam.
Drittens wollen wir durch die Reformen, die wir an-
packen – etwa im Unternehmensteuerbereich und im Be-
reich der Sozialsysteme –, Perspektiven langfristiger Art
eröffnen.
Ich glaube, dass dieser Dreiklang wichtig ist. Wenn
wir erfolgreich sein wollen, dann wird es wichtig sein,
diese drei Bereiche – Sanieren, Investieren und Refor-
mieren – gleichermaßen zu berücksichtigen und keine
dieser Aufgaben aufzugeben.
Wir bekennen uns klar und deutlich dazu, dass wir ab
dem Jahre 2007 den Vertrag von Maastricht einhalten
wollen, und zwar sowohl nach dem Wortlaut als auch
nach dem Geist dieses Vertrages. Wir wollen auch die in
Art. 115 des Grundgesetzes festgelegte Regelgrenze ab
2007 wieder einhalten. Damit schlagen wir finanzpoli-
tisch endlich wieder einmal Pflöcke ein, die deutlich ma-
chen, auf welcher Basis unser Land finanzpolitisch ge-
führt wird. Ich glaube, das ist eine riesige Anstrengung
und eine klare Ansage. Es wird sehr viel Kraft erfordern,
diese Ziele zu erreichen und über das Jahr 2007 hinaus
wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Wenn bei einer Lücke von 60 Milliarden Euro gesagt
wird: „Wir schaffen es allein über die Ausgabenseite,
diese Lücke zu schließen“, dann will ich betonen: Wir
reden über die Zielerreichung im Jahr 2007! Das bedeu-
tet, dass wir bis 2007 nicht nur jährliche Sparvolumina
in einer Größenordnung von mehr als 30 Milliarden
Euro brauchen, sondern dass wir diese Beträge kassen-
wirksam im Bundeshaushalt brauchen.
Das ist etwas ganz anderes, als wenn jahreswirksame
Veränderungen beschlossen werden, die zum Teil auch
Länder und Kommunen betreffen. Deshalb müssen wir
uns auch bei dieser Debatte ehrlich machen, indem wir
klar und deutlich sagen: Wer es anstrebt, in 14 Monaten
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Herr Steinbrück hat vorhin die Aufteilung genannt.
ir werden sparen. 10 Milliarden Euro in 14 Monaten
edeutet eine gewaltige Herausforderung. Indem wir in
ie steuerliche Bemessungsgrundlage eingreifen, wer-
en wir etwa 6 Milliarden Euro bewegen. Darüber hin-
us stehen wir vor der Notwendigkeit – dazu will ich
ich klar und deutlich bekennen –, in den Bereich der
msatzsteuer und der Versicherungsteuer hineinzuge-
en.
An der Stelle will ich eine Aufforderung aussprechen.
ll dies wird gesetzlich umgesetzt werden müssen. Wir
ind da offen; Herr Poß, das kann ich, glaube ich, auch in
hrem Namen sagen. Wenn der Kollege Solms uns in
en Haushaltsberatungen Einsparvorschläge im Volu-
en von 12 Milliarden Euro vorlegt,
ie belegt sind und im Jahr 2007 kassenwirksam sind,
ann bin ich durchaus bereit, darüber zu reden. Ich ver-
preche Ihnen: Wir schauen uns Ihre Einsparvorschläge
on 12 Milliarden Euro an. Wenn sie deckungsfähig
ind, werden wir offen über die Frage reden, ob wir uns
ort in anderer Weise aufstellen.
ber es muss klar sein, dass das Sparvolumen gehoben
ird. Herr Solms, Sie haben jetzt Zeit – wir beginnen
ur Jahreswende mit den Haushaltsberatungen –, Ihren
orschlag auf den Tisch zu legen – additiv zu dem, was
ie Koalition vorgelegt hat. Dann sind wir gern bereit,
ns mit Ihnen darüber auszutauschen.
Zur Mehrwertsteuer will ich Folgendes sagen: Wir
aben ausdrücklich darauf Wert gelegt, dass eine Sen-
ung der Lohnzusatzkosten zustande kommt.
ir wollen die Lohnzusatzkosten dauerhaft auf ein
iveau von unter 40 Prozent führen. Das ist für die Ar-
eitsplätze am Standort Deutschland und für die Inves-
itionstätigkeit am Standort Deutschland eine ganz zen-
rale Aussage. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir
inen Teil über Veränderungen in den Sozialsystemen
nd einen Teil über Refinanzierung über die Umsatz-
teuer realisieren.
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen. Herr
ichel, Sie können das, glaube ich, bestätigen; Sie haben
as mehrfach in Bezug auf die Rentenversicherung und
ie Krankenversicherung angesprochen. Die Dynamik,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 229
)
)
Dr. Michael Meister
die aus den Sozialsystemen kommt, erschlägt sozusagen
den Bundeshaushalt. Diese Koalition hat jetzt den Mut
gefunden, zu sagen: Wir schließen diese Schleuse und
werden dafür sorgen, dass diese Dynamik aus dem Bun-
deshalt herausgenommen wird. Als Strukturentschei-
dung ist das eine ganz zentrale Weichenstellung. Ich
weiß nicht, ob eine Koalition anderer Konstellation
überhaupt den Mut gehabt hätte, diese zentrale Weichen-
stellung vorzunehmen.
Das Impulsprogramm, das Thema Investieren also,
ist von Herrn Steinbrück schon dargestellt worden. Ich
will deshalb das Impulsprogramm nicht näher ausführen,
aber zwei Bemerkungen machen. Den Privathaushalt als
Arbeitgeber zu entdecken halte ich für extrem wichtig.
Von vielen Rednern ist in diesen beiden Tagen schon be-
tont worden, dass wir gerade im Niedriglohnsektor ein
Problem mit Arbeitskräften haben. Jetzt haben wir end-
lich die Offenheit, zu sagen: Dort, wo viel ohne Rech-
nung, unter der Hand, geht, wollen wir im legalen
Bereich, nämlich nur dann, wenn sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigung entsteht, zu einer steuerlichen
Anerkennung kommen. Damit verfolgen wir nicht
Schwarzarbeit, sondern setzen einen Anreiz, sozusagen
Arbeit aus der Schwarzarbeit herauszuholen. Ich glaube,
dass das ein richtiges Prinzip ist. Wir sollten diesen Weg
einschlagen, um mehr legale Arbeit in Deutschland zu
schaffen.
Hier wird die Behauptung aufgestellt, dieses 25-Mil-
liarden-Euro-Investitionsprogramm werde nur ein Stroh-
feuer bewirken. Da hat der eine oder andere die Konzep-
tion noch nicht ganz verstanden. Wir müssen massiv
sanieren. Die Erhöhung des regulären Satzes der Um-
satzsteuer um 3 Prozentpunkte hat natürlich Auswirkun-
gen auf die Binnenwirtschaft. Deshalb muss über den
1. Januar 2007 hinweg eine Brücke gebaut werden, mit
der wir dafür sorgen, dass die Wirtschaft weiter läuft.
Wenn wir jetzt das Signal setzen „Ihr könnt in den Jah-
ren 2006 und 2007 zu günstigen Rahmenbedingungen
investieren“, dann schaffen wir genau die Brücke, die
wir brauchen.
Wir werden in den Gesetzesberatungen darüber reden
müssen, wie belastbar diese Brücke ist. Sehr viel wird
daran liegen, wie wir das im Einzelnen ausgestalten. Ziel
ist, dass die erwarteten Investitionen tatsächlich zu-
stande kommen. Deshalb muss vom Investitionsanreiz
aus dem ersten Jahr bis zum Jahr 2008, in dem dann die
langfristigen Reformen greifen sollen, ein Weg entste-
hen, der kontinuierlich beschritten werden kann. Dann
haben wir ein ökonomisches Konzept, das auch in der
Zeitschiene ausgereift ist und trägt.
Jetzt zum nächsten Teil, den Reformen. Ich glaube,
dass wir das von Herrn Glos heute Morgen genannte
durchschnittliche reale Wachstum von 1 Prozent nicht
akzeptieren können. Das ist für unser Land viel zu we-
nig, weil so keine Arbeitsplätze entstehen. Wir brauchen
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ieser Zeitpunkt zeigt auch, dass das Ganze nicht auf
en Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben ist.
230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Michael Meister
Wir alle werden uns erheblich anstrengen müssen, die-
sen Termin einzuhalten.
Wir halten das ein, was wir den Unternehmen ver-
sprochen haben: Es wird eine Regelung zur Erbschaft-
steuer, eine Umstellung bei den Buchführungspflichten
sowie durch die verbesserte Istbesteuerung eine Verbes-
serung der Liquiditätssituation von kleinen Unterneh-
men geben. Dies wird relativ zügig noch im kommenden
Jahr angegangen werden.
Abschließend zu den drei vorliegenden Gesetzent-
würfen: Die Abschaffung der Eigenheimzulage haben
wir in Verbindung mit der Frage der Integration der Im-
mobilie in die private Altersvorsorge gesehen. Vor die-
sem Hintergrund sind wir bereit, zu sagen: Wenn die
Immobilie in geeigneter Weise in die private Altersvor-
sorge integriert ist, kann auf das Förderinstrument der
Eigenheimzulage verzichtet werden.
Zu den Steuersparfonds will ich nur sagen: Mir liegt
im Sinne der Vertrauensbildung daran, dass wir an dieser
Stelle versuchen, so weit als möglich auf rückwirkendes
In-Kraft-Treten zu verzichten
und den Menschen zu sagen, was wir in der Zukunft tun
werden. Deshalb werden diese drei Gesetzentwürfe bis
zum Jahresende im Bundestag und im Bundesrat ab-
schließend beraten werden, damit die Menschen zum
Jahreswechsel wissen, was in steuerlicher Hinsicht im
nächsten Jahr auf sie zukommt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue
mich auf die Debatten. Es ist jetzt viel leichter, hier zu
reden, weil man viel größeren Zuspruch hat.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit jedem Regierungswechsel mutiert der Bundeshaus-
halt zum Überraschungsei. Auch bei einem Über-
raschungsei weiß man eigentlich, was drin ist; trotzdem
schaut man hinein und tut dann sehr überrascht über das
vorhandene Spielzeug – jedes Mal das Gleiche. Genauso
ist es beim Haushalt: Die Regierung wechselt, alle
schauen ganz ernsthaft und ganz tief in den vorliegenden
Haushalt, analysieren ihn ehrlich und sind erschrocken,
wie schlecht die Lage ist und wie hoch die Defizite sind.
Herr Meister beziffert sie auf 64 Milliarden Euro, der
Finanzminister auf 50 Milliarden Euro und im Koali-
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ie Zahlen sind da und Sie sind entsetzt darüber, obwohl
ie hier in gemeinsamer neoliberaler Einheitsfront in
en letzten Jahren im Unternehmensteuerbereich die
örperschaftsteuersätze von 56 auf 25 Prozent gesenkt
aben.
ie haben den Spitzensteuersatz bei der Einkommen-
teuer von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Jährlich
ostet das die Haushalte der öffentlichen Hand 60 Mil-
iarden Euro. Ja, Herr Steinbrück, wir haben ein Problem
uf der Einnahmeseite, ein Problem, das Sie gemeinsam,
ber Bundestag und Bundesrat, zu verantworten haben.
Aus dieser schier katastrophalen Lage resultiert dann
in unwahrscheinlicher Handlungsdruck, den Haushalt
u konsolidieren. Das wollte Herr Kohl bereits 1982; er
at es nie geschafft. Jetzt sollen, natürlich, die Kleinen
ur Kasse gebeten werden. Dabei bieten Sie einen richti-
en Strauß von Maßnahmen an. Nehmen wir als erstes
ie Mehrwertsteuer. Herr Steinbrück, war denn Ihre
ede die Rechtfertigung der politischen Lebenslüge der
PD?
atürlich wird die Mehrwertsteuererhöhung um
Prozent – da langen Sie richtig kräftig zu; das hat sich
och keine Regierung in der bundesdeutschen Ge-
chichte getraut – die Nachfrage schwächen. Sie machen
as, obwohl Sie im Koalitionsvertrag richtigerweise for-
uliert haben, dass wir seit zehn Jahren in Deutschland
in Wachstumsproblem haben, das sich daraus ergeben
at, dass wir keine Binnennachfrage in ausreichender
öhe haben.
Sie verkünden hier großartig: Ein Teil des Geldes
ließt doch zurück. – Ja, laut Ihrer Planung fließen
Milliarden an die Arbeitgeber zurück. Wir wissen al-
erdings nicht genau, was sie damit machen werden.
Milliarden fließen an Arbeitnehmer und Arbeitnehme-
innen zurück. Aber 16 Milliarden werden im Nirwana
on Bundeshaushalt und Länderhaushalten verschwin-
en.
o werden Sie die Probleme nicht lösen.
ch bin schon erstaunt darüber, dass die Koalition genau
as macht, da Sie ja in den Koalitionsvertrag hineinge-
chrieben haben, dass es Ihnen um die Stärkung des Ver-
rauchervertrauens geht, um den privaten Konsum zu
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 231
)
)
Dr. Barbara Höll
beleben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen las-
sen. Mit solchen Maßnahmen wollen Sie eine Stärkung
des Vertrauens erreichen? Sie wissen genau, dass das
kontraproduktiv ist. Ob es nun Dummheit oder Zynis-
mus ist, wird sich zeigen.
Sie schaffen des Weiteren ab: die Eigenheimzulage,
die teilweise Steuerfreiheit von Abfindungen, und das in
einer Situation, in der uns fast täglich Nachrichten errei-
chen, dass insbesondere große Unternehmen mit Mas-
senentlassungen in der nächsten Zeit drohen.
Sie wollen im Steuerrecht einiges ändern. Ich möchte
einen Punkt herausgreifen, der mich besonders interes-
siert. Sie begründen die Einführung des Anteilsverfah-
rens im Einkommensteuerrecht mit gleichstellungspoli-
tischen Ansätzen. Ich muss sagen: Ich begrüße die
psychologische Wirkung, die von einer Streichung der
Steuerklassen ausgeht. Das heißt, dass die Ehepartner je-
weils gemäß ihrem Einkommen veranlagt werden. Aber
warum machen Sie das? Das kann man im Koalitions-
vertrag eindeutig nachlesen: Es geht Ihnen um Liqui-
ditätsvorteile für die Haushalte des Bundes und der
Länder. Denn nach der neuen Regelung werden die Ehe-
gatten im Laufe des Jahres mehr Steuern zahlen als nach
der bisherigen Regelung. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie
beabsichtigen, diesen Liquiditätsvorteil auch noch zu
veredeln. Sie rechnen nämlich damit, dass eben nicht
alle Ehepaare am Jahresende ihre Steuererklärung abge-
ben werden, weil sie es einfach satt haben und nicht
durchblicken. Somit werden sie sich noch nicht einmal
die Vorteile, die ihnen aufgrund des Splittingverfahrens
zustehen, zurückholen. Sie gehen also in dieser Frage in
doppelter Hinsicht auf Kosten der Ehegatten vor.
Sie sind zu feige, das Ehegattensplitting selber anzu-
fassen. Aufgrund der Halbherzigkeit des eben von mir
beschriebenen Verfahrens werden Sie es nicht schaffen
– das hat Frau Merkel hier ja gestern großartig verkün-
det –, dass die Familien und das Zusammenleben mit
Kindern wichtig werden bzw. dass uns die Familien viel
wert sind. Vielmehr erreichen Sie es mit diesem Verfah-
ren, dass es eine große Gruppe gibt, die weiterhin ver-
liert; das sind die Alleinerziehenden, die Sie auf diese
Art und Weise tendenziell schlechter stellen.
Die große Frage ist natürlich: Was tun Sie mit dem
Geld? Wollen Sie damit tatsächlich Arbeitsplätze schaf-
fen? Sie haben im Koalitionsvertrag richtigerweise for-
muliert, dass die Senkungen der Unternehmensteuern in
den letzten Jahren nicht zu mehr Arbeitsplätzen und zu
Investitionen geführt haben. 5 bis 7 Millionen Arbeits-
plätze fehlen in Deutschland.
Als Ausweg bieten Sie eine kurzfristige Verbesserung
bei der Abschreibung an. Das ist gut. Dann stellen Sie
aber einen weiteren Einstieg in den Steuersenkungswett-
bewerb nach unten in Aussicht. Das ist keine Konsoli-
dierungspolitik. Das ist auch keine Politik, die auf die
Zukunft gerichtet ist, sondern einfach pure Abzocke, So-
zialabbau und eine weitere Umverteilung von unten nach
oben.
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3 Prozent aller Unternehmen sind einkommensteuer-
flichtig. Indem wir diese Unternehmen massiv entlastet
aben, haben wir Arbeitsplätze gesichert. Darauf bin ich
tolz.
Es ist richtig, Herr Steinbrück, dass die jetzige Situa-
ion nicht einfach ist. Insgesamt müssen wir aber doch
eststellen, dass der Auftakt der neuen großen politi-
chen Freundschaft sehr schlecht war. Denn Sie machen
m nächsten Jahr neue Schulden in Höhe von
1,5 Milliarden Euro. Das ist eine Größenordnung, wie
s sie in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gege-
en hat.
ür die kommenden Generationen ergibt sich das Pro-
lem, dass die dadurch entstehenden Zinsen dauerhaft
ezahlt werden müssen. Deswegen sind wir der Mei-
ung, man hätte sich hier mehr anstrengen können, als
ie das getan haben.
Herr Dr. Meister hat aus dem Monatsbericht Novem-
er 2005 der Deutschen Bundesbank zitiert. Er sagt, die
eutsche Bundesbank sei der Meinung, dass die neue
oalition alles sehr gut mache. Ich möchte Ihnen aus
232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Christine Scheel
diesem Bericht der Deutschen Bundesbank folgende
Stelle aus der Zusammenfassung vorlesen:
Insgesamt ist die im Koalitionsvertrag angelegte fi-
nanzpolitische Strategie allerdings auch mit deutli-
chen Vorbehalten zu versehen. So ist der Umfang
der Konsolidierung im kommenden Jahr unzurei-
chend.
Das ist das Ergebnis, zu dem die Deutsche Bundesbank
in ihrem neuesten Monatsbericht kommt. Ich möchte
einmal wissen, wie Sie zu dem Schluss kommen, dass in
diesem Bericht Ihre politische Linie massiv unterstützt
wird.
– Ich weiß, dass Sie gerne im Kleingedruckten herum-
stöbern, sich daraus irgendwelche Passagen heraussu-
chen, die Ihnen in den Kram passen, und den Rest ein-
fach unterschlagen.
Das kennen wir von Ihnen.
Aber ich bin dafür gerüstet und habe die entsprechenden
Unterlagen zur Verfügung, damit ich Ihre Einwände gut
kontern kann.
Ich halte es auch für sehr problematisch, dass mit
Blick auf den Haushalt gesagt wird: Wir brechen im
nächsten Jahr bewusst die Verfassung. – Gerade die Ver-
treter der Union haben in den Debatten der letzten Jahre
immer wieder betont, wie wichtig es sei, die Verfas-
sungsgrenze einzuhalten. Da ist es schon sehr verwun-
derlich, dass von den ehemaligen Verfassungspatrioten
jetzt zu hören ist: Ja, wir sind Verfassungsbrecher und
das ist in Ordnung. Sie sollten mir einmal erklären, wie
es möglich ist, dass über Nacht eine solche Wandlung
zustande kommt und Sie einen solchen Satz über die
Lippen bringen, ohne rote Ohren zu bekommen.
Ich habe auch gesagt, dass eine nachhaltige Finanz-
politik stärkere Anstrengungen nötig macht, um aus der
Schuldenfalle herauszukommen. Aber man muss die Fi-
nanzpolitik und die Haushaltskonsolidierung zeitlich mit
den notwendigen Strukturreformen verbinden. Das tun
Sie eben nicht. Sie haben kein Konzept für die Gesund-
heitspolitik. Die Rentenreform verschieben Sie in Wahr-
heit in die nächste Legislaturperiode. Auch bei der
Pflege haben Sie kein Konzept; auch dieses Thema wird
vertagt.
Wir üben Kritik daran, dass Ihre Politik nicht konsis-
tent ist, sondern nur Bruchstücke enthält, die aneinander
gereiht werden. Das schafft nicht das notwendige Ver-
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Entschuldigung, Frau Merkel. Gestern war er also da.
r hat Ihnen gestern sogar zugehört. Das freut mich für
ie.
Da er sich hier nicht mehr meldet,
ollte man sich einmal anschauen, was er den Zeitungen
agt. Er hat deutliche Worte an seine politischen Freunde
nd Freundinnen gerichtet. Dazu drei Beispiele. Er hat
rstens gesagt:
Aus der Steuersenkungspartei wird jetzt eine
Steuererhöhungspartei.
weitens hat er gesagt:
Aus der Partei, die den Arbeitsmarkt öffnen wollte,
wird die Partei der fortgesetzten Regulierung.
rittens hat er gesagt:
… die Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Pro-
zentpunkte ist eine Steuererhöhung, die die Unter-
nehmen im Wettbewerb zur Schattenwirtschaft
massiv benachteiligt.
azu kann ich nur feststellen: Wo Herr Merz Recht hat,
at er Recht. Auch das kann man einmal sagen.
Jetzt legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der sich
Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm“ nennt. Er
einhaltet viele, wichtige Einzelaspekte. Was vernünftig
st, das werden wir vonseiten der Grünen mittragen; das
age ich an dieser Stelle ganz eindeutig. Aber es ist ein
estückel und zeigt keine finanzpolitische Linie.
Im Jahr 2007 treten Sie dann – das haben wir heute
chon mehrmals und auch gestern gehört – die Flucht in
teuererhöhungen an. Es kommt, wenn man den Pla-
ungszeitraum im Ganzen übersieht, zu Steuererhöhun-
en von 150 Milliarden Euro. Das ist für die Bürger und
ie Bürgerinnen in diesem Land massiv.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 233
)
)
Christine Scheel
Wir hätten uns gewünscht, dass Sie bei den Subven-
tionskürzungen nicht so zaghaft sind.
Wir hätten uns gewünscht, dass nicht einfach aus Lobby-
interessen bestimmte Bereiche ausgeklammert, sondern
benannt werden.
Abbau der Kohlesubventionen – Fehlanzeige! Abbau
von ökologisch schädlichen Subventionen – Fehlan-
zeige! Streichung von Steuervergünstigungen und der
Verlagerung von Einnahmen ins Ausland – Fehlanzeige!
Voller Mehrwertsteuersatz für grenzüberschreitende
Flüge usw. – Fehlanzeige!
Frau Kollegin, Ihre Zeit ist zu Ende.
Sofort, Frau Präsidentin.
Es gäbe noch Spielräume. Sie haben sie nicht genutzt.
Sie haben die Unternehmensteuerreform auf 2008 ver-
schoben, was ich für hoch problematisch halte. Wir
brauchen mehr Dynamik und keine Verschleppung. Da-
für werden wir uns einsetzen.
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dass wir alle miteinander aufpassen müssen, dass
wir bei diesem Rollenwechsel, den wir in diesen Tagen
erleben, unsere Glaubwürdigkeit nicht verspielen, liebe
Kollegin Scheel.
Ihr uneingeschränktes Bekenntnis zu Friedrich Merz hat
mich gewundert; das muss ich schon sagen.
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Man muss hier über alles reden können, wohl wis-
end, dass wir unterschiedliche Rollen haben. Wir Sozial-
emokraten sind im Gegensatz zu Ihnen in der Regie-
ung geblieben. Sie sollten aber nicht nach wenigen
ochen so reden, als seien Sie schon seit fünf Jahren in
er Opposition. Das erhöht nämlich nicht Ihre Glaub-
ürdigkeit.
Dass wir einen verfassungsgemäßen Haushalt auf-
tellen, ist doch wohl selbstverständlich – was immer
uch dazu zu lesen war, Christine Scheel; man sollte nicht
rgendwelche Medienzitate zum Maßstab machen –, und
war in dem Sinne, wie es Herr Steinbrück, dem wir So-
ialdemokraten eine glückliche Hand wünschen, hier dar-
estellt hat.
Zum Zusammenspiel mit den Strukturreformen: Le-
en Sie den Koalitionsvertrag noch einmal genau durch!
n Sachen Rente sind darin bereits sehr weit gehende
estlegungen getroffen worden. Im Bereich Gesundheit
at Frau Bundeskanzlerin Merkel gestern den Dissens
estgestellt und gesagt, dass wir diesen im nächsten Jahr
usräumen müssen. Wir sollten doch nicht so tun, als
önnten große Probleme von heute auf morgen gelöst
erden.
Lieber Kollege Solms, Ihnen sei einiges nachzusehen,
eil Sie erst kürzlich 65 Jahre alt wurden.
n diesem freundlich gemeinten Geiste – ich glaube, Sie
aben auch gerade eine schöne Weihnachtsfeier hinter
ich – will ich Ihnen antworten. Der Koalitionsvertrag
nthält durchaus einen strategischen Ansatz. Herr Kol-
ege Meister hat das hier dargestellt. Ich will es einmal
it meinen Worten sagen: Der Koalitionsvertrag ist zu-
leich ein Wirtschafts- und Finanzpakt für ganz
eutschland und hat Bedeutung nicht nur für die Bun-
esebene, sondern auch für die Länder und Kommunen.
as ist die neue Qualität, die wir erreichen wollen: Wir
üssen gleichgerichtet handeln, was die staatlichen
ahmenbedingungen angeht. Das war lange Zeit nicht
er Fall.
Bei allem Recht zur Kritik der Opposition darf Hand-
ungsmaxime einer Opposition eines nicht sein, nämlich
äuschung und Selbsttäuschung. Das müsste auch für
ie gelten. Man kann die Mehrwertsteuererhöhung
ritisch bewerten; Herr Steinbrück hat dies ja ein-
eräumt. Die SPD hat sie nicht gewollt. Es ist jedoch
234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Joachim Poß
unrealistisch, zu glauben, es gäbe eine andere Möglich-
keit der Haushaltskonsolidierung mit einem ähnlichen
Volumen, die nicht zu noch schwereren ökonomischen
und sozialen Zumutungen führte oder die – das muss
man zugeben – in einer großen Koalition durchsetzbar
wäre. Gäbe es eine solche Alternative, hätten wir sie ge-
wählt. Wir tun ja bereits jetzt alles für eine Haushalts-
konsolidierung, wie die Steuergesetze, die wir heute mit-
beraten, zeigen. Die Streichung der Eigenheimzulage für
Neufälle, die Schließung noch verbliebener Steuermin-
derungsmöglichkeiten für Spitzenverdiener und die an-
deren Veränderungen sind erhebliche Eingriffe.
Herr Solms, Sie sollten ganz offen und ehrlich sein
und sagen, dass Sie zwar in Ihrem Konzept die Schlie-
ßung dieser Steuerschlupflöcher vorgesehen haben, aber
immer dann, wenn im Parlament oder im Finanzaus-
schuss darüber abgestimmt wurde, reine Klientelpolitik
betrieben haben.
Herr Westerwelle hat noch letzte Woche vor laufenden
Kameras erklärt, es sei eine Schweinerei, dass diese
Steuersparmöglichkeiten abgeschafft werden.
Schauen Sie sich das bitte einmal genau an!
Was PDS und FDP bisher zur Haushaltskonsolidie-
rung vorschlagen, ist keine Alternative mit Erfolgsaus-
sichten.
Das Einsparbuch der FDP ist zwar dick, enthält aber
bei näherer Betrachtung wenig Brauchbares. Wenn Sie
hier Österreich als Vorbild anführen, empfehle ich Ihnen
die Lektüre eines Untersuchungsberichts der Bayeri-
schen Staatsregierung.
Darin kommt man zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich
der individuellen Besteuerung, der Einkommensteuer,
Österreich kein Wunderland ist. Im Bereich der Unter-
nehmensbesteuerung kann man über einiges reden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Solms?
Aber gerne, immer.
Nur der Wahrheit halber, Herr Kollege Poß: Sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kollege Guido
Westerwelle die Abschaffung der Verlustzuweisungs-
fonds voll unterstützt und auch seit langem unterstützt
hat? Die kritische Diskussion bezog sich nur auf den
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens.
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Die PDS auf der anderen Seite ergeht sich in einer
teuererhöhungsorgie: Körperschaftsteuer, Wiederein-
ührung der Börsenumsatzsteuer, Wertschöpfungsteuer
nd anderes.
as führt uns ökonomisch nicht weiter und hat in dieser
assivität mit ausgleichender Gerechtigkeit nichts zu
n.
Sie werden mir doch gestatten, dass ich als Sozialde-
okrat Sie nicht für links halte. Das will ich deutlich
achen.
eswegen sind Sie für mich die PDS.
Wir leben doch nicht auf einer Insel, Herr Ramelow.
an kann über Einzelpunkte bei der Besteuerung sicher-
ich reden und das werden wir tun. Wir werden ein Urteil
es Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsbesteue-
ung bekommen. Wir als Sozialdemokraten haben auf
nserem Parteitag in Bochum eine klare Beschlusslage
erabschiedet.
Wenn von der FDP oder aus der Öffentlichkeit gefor-
ert wird, anstelle der Mehrwertsteuererhöhung müssten
ir nur bei den Ausgaben richtig rangehen, dann will ich
iederholen, was hier bereits von Herrn Steinbrück ge-
agt wurde. Sagen Sie bitte den Menschen: Das bedeutet
ntweder massive Kürzung der Renten oder des Arbeits-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 235
)
)
Joachim Poß
losengeldes II. Alles andere ist Augenwischerei, Herr
Solms, das muss man in dieser Deutlichkeit sagen.
Diese Alternative ist aber untauglich und unzumutbar.
Wenn etwas ideologische Traumtänzerei ist, dann ist
es diese neoliberale Welt der FDP. Wie verträgt sich das
denn mit Ihrer Forderung nach der nötigen Rückführung
der öffentlichen Verschuldung? Wie verträgt sich Ihre
ständige Forderung nach Steuersenkung mit der Not-
wendigkeit, die öffentliche Infrastruktur, die Daseinsvor-
sorge zu erhalten oder im Interesse von Chancengerech-
tigkeit an einigen Stellen noch auszubauen? Diese
Fragen müssen Sie doch einmal beantworten! Sie kön-
nen sich die Welt doch nicht so schnitzen, wie Sie sie
gerne haben möchten. Sie müssen sich endlich den Rea-
litäten stellen! Das tun Sie nicht. Sie verweigern sich der
wirtschaftlichen, der sozialen und der finanziellen Reali-
tät.
Die massiven Steuerentlastungen der letzten Jahre
– ich habe mich gefreut, Christine Scheel, dass Sie zu-
mindest nicht vergessen haben, diese hier zu erwähnen –,
von denen insbesondere Mittelstand, Niedrigverdiener,
Arbeitnehmer und Familien mit Kindern profitiert haben,
haben aber zu einem, was wir uns erhofft hatten, nicht
geführt. Diese Entlastungen haben zwar den weiteren
Rückgang der Ökonomie verhindert, der sonst hinsicht-
lich der Wachstumszahlen eingetreten wäre, sie haben
aber, gemessen an unseren Erwartungen bezüglich Wirt-
schaftswachstum und Beschäftigungswachstum, nicht
das gebracht, was wir uns von ihnen versprochen hatten.
Das muss man hier ehrlich sagen. Das gilt für die Ange-
bots- wie für die Nachfrageseite.
Ich habe deswegen in dieser Situation kein Verständ-
nis für Forderungen nach weiteren Steuersenkungen, die
unseriös sind, ob sie nun von der FDP, Herrn Merz oder
wem auch immer kommen. Ihr Entschließungsantrag,
den ich sorgfältig gelesen habe, bietet nur Lyrik wie im
Feuilleton, nichts anderes, keine harten Fakten, mit de-
nen man arbeiten könnte.
Ausgangspunkt für uns – das sage ich hier jedenfalls
für die SPD ganz klar – ist: Keine weitere Senkung der
Steuerbelastung, auch nicht für Unternehmen, für die das
Geld auch gar nicht vorhanden wäre. Allerdings dürfen
wir das nicht mit den Steuersätzen verwechseln. Diese
Differenzierung wird in der Öffentlichkeit nicht hinrei-
chend gemacht. Anders als der Koalitionspartner will ich
ganz offensiv vertreten, dass die volkswirtschaftliche
Steuerquote, die bei uns derzeit bei knapp unter
20 Prozent liegt, nicht ausreicht, um die nötigen öffentli-
chen Güter zur Verfügung zu stellen. Auch das soll nicht
verschwiegen werden.
Wenn wir über Unternehmensbesteuerung reden,
ann reden wir Sozialdemokraten in erster Linie über die
truktur der Unternehmensbesteuerung. Jeder, der die
omplizierten Fragen kennt, weiß auch, dass es richtig
st – das sage ich mit Blick auf Frau Scheel und Herrn
olms –, erst 2008 dieses große Unternehmen anzupa-
ken. Denn man braucht Planspiele und anderes vorweg.
007 können Sie dies nicht auf seriösem Weg erreichen.
ie beide müssten das besser wissen.
agen Sie das also auch in der Öffentlichkeit.
Wir haben auch noch andere Punkte zu klären, zum
eispiel die Frage der Besteuerung von Einkünften
us Kapitalvermögen vor dem Hintergrund der mittler-
eile weit geöffneten Grenzen. Auch die Kapitalflucht
us Deutschland mit der Absicht der Steuerminimierung
st immer noch ein großes Problem. Das darf – auch das
uss man deutlich sagen – aus Gerechtigkeitsgründen
icht so weitergehen. Hier brauchen wir tragfähige Ant-
orten, die wir aber nicht nur in der Bundesrepublik
eutschland finden. Vielmehr müssen wir sie auch
uropa- und sogar weltweit suchen. Eine Bewährungs-
robe für diese Koalition besteht darin, auf europäischer
bene Lösungen durchzusetzen, die in diesem Sinne
irklich tragfähig sind; denn der Blick durch die natio-
ale Brille reicht nicht aus, um diese Probleme zu lösen.
Der Einkommensteuerzuschlag für Spitzenverdie-
er, den SPD und CDU/CSU gemeinsam realisieren
ollen, wird zu keiner weiteren massiven Steuerflucht
ühren, wie uns vor allen Dingen so genannte Experten,
ie in der Beratung Vermögender und Betroffener tätig
ind, fast täglich in Zeitungsartikeln weismachen wollen.
inkommen ab 250 000 Euro bzw. bei Verheirateten ab
00 000 Euro werden auf einen Steuerstatus geführt, der
uch schon bis zum Beginn dieses Jahres für sie galt.
ich vor diesem Hintergrund, Herr Solms, an Panikma-
he zu beteiligen ist angesichts der Probleme, die wir in
iesem Lande haben und die wir auch lösen wollen, un-
erantwortlich.
Dass wir diesen Vorsatz haben, können Sie uns glau-
en; denn wir pflegen weder finanzpolitische Illusionen
och unreflektierten Populismus.
ir halten nichts von den Vorstellungen der PDS und ih-
er Westimporte, die den Eindruck erwecken, als sei die
taatsverschuldung letztlich kein Problem –
236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
– und als müsse man nur Geld in die Hand nehmen,
damit es wieder rund läuft in der Ökonomie. Simpler
geht es nicht. Ich empfehle Ihnen von der PDS: Nähern
Sie sich der Realität an, werden Sie realitätstüchtig! Das
sind Sie Ihren Wählerinnen und Wählern schuldig.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Koa-
litionsvertrag geht es im Bereich der Finanzpolitik insbe-
sondere um zwei Ziele: die Schaffung von Arbeitsplät-
zen und die Haushaltskonsolidierung. Ich sage Ihnen
schon jetzt: In beiden Fällen werden Sie erneut schei-
tern.
Der Kollege Solms hat, was die Ausgabenseite des
Haushalts angeht, erwähnt, hier könne man von einem
Strohfeuer reden. Heute Morgen war sogar von einem
Jahr Keynes die Rede. Ich denke aber, dieser Haushalt
reicht nicht einmal für ein Strohfeuerchen. Er wird der
Herausforderung der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
überhaupt nicht gerecht.
Wir brauchen in einem ganz anderen Ausmaße und
längerfristig ausgerichtete öffentliche Investitionen, um
den Binnenmarkt bzw. die Binnennachfrage zu stärken.
Wir müssen weg von der ausschließlichen Exportorien-
tierung; dieser Wachstumstyp hat die letzten 15 Jahre in
der Bundesrepublik beherrscht. Die Bundesrepublik ist
das einzige Land, das eine solche Ausrichtung vor-
nimmt, und das einzige Land, das, was Wachstum und
Beschäftigung angeht, in den letzten Jahren so schlecht
abgeschnitten hat.
Ich stimme Herrn Meister völlig zu, wenn er sagt,
dass wir einen anderen Wachstumstyp brauchen. Aber
wenn man von einem anderen Wachstumstyp spricht,
heißt das nicht Bürokratieabbau oder Beschleunigung
von Genehmigungsverfahren.
Ein anderer Wachstumstyp muss die Stärkung des Bin-
nenmarktes zum Ziel haben. Wenn uns das nicht gelingt,
werden wir auch die Arbeitslosigkeit nicht abbauen.
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den Dreiklang Reformieren, Investieren, Konsolidieren
in den Zusammenhang der Generationengerechtigkeit
gestellt. Sie hat damit deutlich gemacht, dass die große
Koalition sparen nicht um des Sparens willen beabsich-
tigt, sondern im Rahmen einer ganzheitlichen und nach-
haltigen Politik, auch im Hinblick auf die nachfolgenden
Generationen. Wir können nicht dauerhaft über unsere
Verhältnisse leben. Wir müssen deutlich machen, dass
Konsolidierung auch eine wesentliche Zukunftsinvesti-
tion, die Bewahrung der Chancen zukünftiger Generatio-
nen, ist. Konsolidierung muss man als Chance begreifen,
weil sie alternativlos ist im Vergleich zu allen Strategien,
die sowohl die wirtschaftliche, aber auch die sonstige
Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens einschränken
wollen.
Am Anfang einer solchen ganzheitlichen Finanzpoli-
tik muss die Erkenntnis stehen, in welcher finanziellen
Situation sich unser Gemeinwesen befindet: Das struktu-
relle Defizit in einer Größenordnung von rund 60 Mil-
liarden Euro ist hier bereits in der vergangenen Legisla-
turperiode von den Haushälterinnen und Haushältern der
Union wiederholt kritisiert worden. Es ist schon ein gro-
ßer Schritt, dass sich die große Koalition von dem Start-
punkt dieses enormen Defizits aus zu entschiedenen
Konsolidierungsmaßnahmen – auf der Ausgaben-, aber
auch auf der Einnahmeseite – entschlossen hat.
Dies ist ein ehrlicher Anfang und eine klare Strategie
zur Gesundung der Staatsfinanzen.
Ich möchte mich bei Bundesfinanzminister
Steinbrück für die Verhandlungsführung bei den Koali-
tionsverhandlungen bedanken. Es war sicherlich kein
einfacher Weg für die SPD, diesen Schritt mit uns ge-
meinsam zu gehen, weil wir auch unangenehme Wahr-
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s ist ein Stück Vertrauen gewachsen, auf dem wir auf-
auen können, um diese vier Jahre in der Finanzpolitik
emeinsam eine Konsolidierungsstrategie aus einem
uss umzusetzen. Sehr geehrter Minister Steinbrück, ich
age Ihnen zu, dass die Haushälter der Unionsfraktion
ie bei allen vernünftigen Vorschlägen aktiv unterstüt-
en werden.
Nicht durchgehen lassen möchte ich – das will ich in
iesem Zusammenhang sagen –, was die Kollegin
cheel gemacht hat.
achdem sie Sondierungsgespräche mit der Union rela-
iv rasch und frustriert abgebrochen hat, „schwampelt“
ie in ihren Reden in einer unerträglichen Art und Weise
erum. Dabei versucht sie, vergessen zu machen, dass
ie mit ihren Leistungen im Finanzausschuss an vielem,
o wir jetzt Aufräumarbeiten zu verrichten haben, im
esentlichen beteiligt war. Sie ist mit eine Verursacherin
er finanzpolitischen Krise. Sie können doch nicht so re-
en, als hätten Sie in den vergangenen Jahren keine Ver-
ntwortung dafür getragen!
Wir haben in den Koalitionsverhandlungen – das ist
n der Regierungserklärung deutlich geworden – die
rsachen dieses strukturellen Defizites schonungslos
ffen gelegt: Es sind die lang anhaltende Wachstums-
chwäche, die nicht erst seit der rot-grünen Koalition be-
teht, die kontinuierliche Zugrundelegung zu optimisti-
cher Annahmen für die mittel- und langfristige
inanzielle Entwicklungsplanung sowie die ebenfalls seit
angem vonstatten gehende Einbetonierung des Haushal-
es durch immer mehr gesetzliche und sonstige Rechts-
nsprüche. Wir als große Koalition haben festgelegt,
ass wir uns diesen drei Ursachen entschieden widmen
ollen. Wir wollen dauerhaft höheres Wachstum. Diesen
fad wollen wir beschreiten.
Herr Kollege Solms, Sie haben vorhin gesagt, wir
ürden keine Maßnahmen zur Unterstützung des
achstums ergreifen.
ch bitte Sie, selbstkritisch zu überprüfen, ob Sie sich am
nfang der Koalitionsgespräche hätten vorstellen kön-
en, dass wir als große Koalition es schaffen, diese Libe-
alisierungs- und Vorfahrtsmaßnahmen für den Arbeits-
arkt zu vereinbaren, und dass CDU, CSU und SPD
ereit sind, gemeinsam diesen Weg zu gehen.
238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Steffen Kampeter
Wir werden die Fehlsteuerungen bei Hartz IV beseiti-
gen. Wir werden wesentliche Einsparungen auch im
konsumtiven Bereich vornehmen. Wir wollen im Rah-
men der Tarifautonomie erste Schritte hin auf Bündnisse
für Arbeit gehen. Das ist ein großer Erfolg und ein we-
sentlicher Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung
in den nächsten Jahren.
Darüber hinaus hat diese Koalition vereinbart,
3 Prozent im Bereich der Forschung investieren zu wol-
len. Das ist langfristig ein Wachstumstreiber. In die
Köpfe zu investieren, in diejenigen, die zukünftig für
Wachstumsprodukte in diesem Land sorgen, das ist ein
entschiedenes Anliegen der großen Koalition. Wir wer-
den den Pfad zu mehr Wachstum – das ist der Partner der
Konsolidierung – gehen.
Wir von der Union haben gemeinsam mit der SPD be-
schlossen, dass wir zukünftig mit konservativen, das
heißt zurückhaltenderen Annahmen unsere Haushalts-
und Finanzplanungen durchführen. Es ist vorbei mit der
Trickserei, der Täuscherei und den zu optimistischen
Annahmen.
Wir wollen konsolidierte Haushalte auch auf Grundlage
zurückhaltender Wachstumsschätzungen erreichen.
Außerdem werden wir den Anteil der Rechtsansprüche
am Haushaltsvolumen zurückführen. Das bedeutet eine
höhere Flexibilisierung bei den Leistungsgesetzen. Dies
wird auch deutlich im Hinblick auf die Bereiche von
Bund und Ländern.
– Herr Kollege Poß, ich weiß nicht, warum Sie an dieser
Stelle aufstehen.
Wir wollen diese Konsolidierung nicht nur als Bun-
desaufgabe begreifen, sondern wollen gemeinsam mit
den Ländern dafür Sorge tragen, dass die Erfüllung
staatlicher Dienstleistungen bei Qualitätssicherung für
die Menschen gleichzeitig effizienter organisiert wird.
Wir werden Leistungsgesetze und Standards auf den
Prüfstand stellen und so zu einer strukturellen Entlastung
in unseren Haushalten kommen.
Es bestehen in den nächsten Jahren aber auch erhebli-
che Risiken. Ich erinnere beispielsweise an das Risiko
durch Zinsänderungen. Diese werden uns auf unserem
Weg begleiten. Wir wollen und wir werden diesen Risi-
ken gemeinsam entgegentreten, sollten sie uns zu zusätz-
lichen Anpassungen herausfordern. Aber wir werden im
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ie SPD müsste jetzt eigentlich vollzählig klatschen;
enn, wie Herr Poß sagt: Das ist die Wahrheit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 239
)
)
Anja Hajduk
Ich möchte deswegen ganz deutlich sagen: Ich will
Sie nicht dafür kritisieren, dass Herr Steinbrück stolz
darauf sein kann, dass bei der Union die Erkenntnis ein-
gezogen ist, dass der Abbau von Steuervergünstigungen
nichts anderes als eine sinnvolle Ausgabenkürzung im
Haushalt ist. Es ist notwendig, dass das diffamierende
Gerede in Ihren Reihen – „von der linken Tasche in die
rechte Tasche“ – aufhört. Ich will Sie nicht für die rich-
tige Einsicht heute kritisieren, aber ich muss sagen – das
trifft auch auf die Bundeskanzlerin Merkel zu –: Sie ha-
ben in der Vorwahlzeit und in der Wahlkampfzeit nicht
den Mut zur Wahrheit gehabt.
Sie haben angekündigt, 2006 einen nicht verfassungs-
konformen Haushalt aufzustellen.
Sie haben das nach erheblichen Streitereien, die auch die
Öffentlichkeit erreicht haben, korrigiert. Daraus kann
man zwei Punkte ableiten:
Erstens. Sie haben eine kurze Zeit überlegt, ob Sie
Skrupel haben müssen, Ihre Zweidrittelmehrheit auch
brutal gegen die Verfassung anzuwenden.
Sie sind dabei zu der Einsicht gekommen, dass das viel-
leicht nicht ganz klug wäre. Aus den Reihen der CDU ist
das aber gefordert worden.
Zweitens. Das zeigt, dass Sie bei den Privatisierungs-
erlösen für 2007 und 2008 eigentlich ein Polster benöti-
gen; denn der Satz, dass es unmöglich ist, nach der übli-
chen Regel einen verfassungskonformen Haushalt für
2006 aufzustellen, stimmt nicht. Den Schluck aus der
Pulle, den jetzt die rote Koalition
– Entschuldigung –, die große Koalition mit 40 Milliar-
den Neuverschuldung für 2006 nimmt, hätte sich Rot-
Grün nicht genehmigt und Finanzminister Eichel hätte
so etwas nie vorgeschlagen. Das ist die Wahrheit.
Ich will Ihnen sagen, dass ich es mir hier nicht leicht
machen möchte. Herr Steinbrück, auch wir hätten große
Probleme mit der Neuverschuldung in 2006 gehabt.
40 Milliarden Euro sind aber eine ganze Menge, dies ist
zu viel. Das könnten mehrere Milliarden weniger sein.
Ich sage das auch mit Blick auf die Zinsentwicklung, die
es in Zukunft geben wird.
Was Sie mit dieser Rekordverschuldung machen – es
sind von vornherein 40 Milliarden Euro –, ist der dop-
pelte Waigel. Ich will Ihnen dazu sagen: Dieser Haushalt
soll auffallend spät kommen. Es ist der doppelte Waigel,
weil er erst im Juli nächsten Jahres in Kraft treten soll.
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as ist der doppelte Waigel; denn der Haushalt, der 1991
ufgestellt wurde – damals war es eine große neue Leis-
ung, nach der Wiedervereinigung einen Haushalt aufzu-
tellen –, stand einen Monat früher im Gesetzblatt, als
ieser Haushalt 2006 der großen Koalition stehen soll.
Ich komme abschließend zu dem Punkt, der mir mit
lick auf die finanzpolitische Aufstellung der Koalition
m meisten Sorge bereitet. Haushaltskonsolidierung
unktioniert nur mit dem Abbau von Arbeitslosigkeit.
ch will es präziser sagen: Haushaltskonsolidierung
unktioniert nur mit der Zunahme von sozialversiche-
ungspflichtiger Beschäftigung. Ich habe die große
orge, dass Sie diesen Zusammenhang definitiv nicht
usreichend berücksichtigen. Sie entlasten den Haushalt
urchaus von versicherungsfremden Leistungen im Be-
eich Gesundheit. Da wollen Sie im Haushalt mehr als
Milliarden Euro einsparen.
ie legen aber keine Gesundheitsreform vor. Das macht
eutlich: Die Beiträge zur Krankenversicherung werden
teigen.
Sie haben schon ganz klar gesagt, dass Sie sich mit ei-
em Jahr Abstand nicht in der Lage sehen, den Beitrags-
atz zur Rentenversicherung stabil zu halten. Er wird um
indestens 0,4 Prozentpunkte steigen. Der Beitragssatz
ur Pflegeversicherung wird – das wissen Sie, Herr
hönnes – spätestens ab 2007 wahrscheinlich auch stei-
en, wenn Sie nicht mit einer Reform mehr als das errei-
hen, was Sie in den Koalitionsverhandlungen verein-
art haben.
Ich sage Ihnen voraus: Das, was Sie als Senkung der
rbeitslosenversicherung angekündigt haben – die
älfte von diesen 2 Prozentpunkten sind Auswirkungen
er rot-grünen Arbeitsmarktreform –, ist in Ihrem Re-
ormstau mit Blick auf die gesamten Lohnnebenkosten
chon längst aufgefressen. Bei den Lohnnebenkosten ist
iese Koalitionsvereinbarung trotz saftiger Erhöhung der
ehrwertsteuer ein Nullsummenspiel. Das ist mit Blick
uf Impulse zur Modernisierung der Haushalte und die
teuerfinanzierung von versicherungsfremden Leistun-
en ein Desaster. Das ist ein richtig schwaches Ergebnis
nd ein schlechter Start für die große Koalition.
240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Bartholomäus Kalb von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Koalitionsfraktionen haben sich zu Beginn
ihrer Verhandlungen mit der Ausgangslage sehr genau
befasst und eine gründliche Bestandsaufnahme vorge-
nommen.
Wir mussten leider feststellen, dass die Lage dramati-
scher ist, als bisher angenommen werden konnte. Wir
mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Konsolidie-
rungsbedarf weit höher als bisher angenommen ist, dass
es nicht möglich sein wird, schon für 2006 einen Haus-
halt vorzulegen, der die Regelgrenze des Art. 115 des
Grundgesetzes einhält, zumindest dann nicht, Frau
Hajduk, wenn man nicht in einer insgesamt unwirt-
schaftlichen Art und Weise Einmaleffekte erzielen
möchte, und dass es auch sehr schwierig sein würde, das
Maastricht-Kriterium von 3 Prozent 2007 wieder einzu-
halten.
Leider hat sich mehr als bestätigt, was Ihr Amtsvor-
gänger, Herr Bundesminister – das muss man zugeben –,
schon im Juni dieses Jahres gesagt hat:
Die Haushaltslage ist dramatisch …
Das hat Hans Eichel schon im Frühsommer dieses Jahres
erkannt. Leider wollte diese bittere Wahrheit niemand
hören. Sie ist im Wahlkampfgetöse untergegangen. Ins-
besondere die eine Seite dieses Hauses wollte sie gar
nicht hören.
Diese neue Koalition hat sich in den finanzpolitischen
Verhandlungen – professionell geführt von Herrn Minis-
ter Steinbrück und Ministerpräsident Roland Koch –
schonungslos mit den Fakten auseinander gesetzt und
die erforderlichen Schlussfolgerungen gezogen. Dazu
gehört die Erkenntnis, dass für irgendwelche wünschens-
werte Leistungsverbesserungen, außer den vereinbarten
Maßnahmen zur Stärkung von Wachstum, Beschäfti-
gung und Familie, kein Spielraum besteht, dass Leistun-
gen beschränkt werden müssen, dass für steuerliche Ent-
lastungen keine Möglichkeit besteht, sondern stattdessen
die Einnahmeseite des Staates verbessert werden muss.
Es ist schon erstaunlich, wie viele gute Vorschläge
hinsichtlich Einsparmöglichkeiten und Subventionsab-
bau gemacht werden und wurden und wie viel Mut zu
diesen Einschnitten angemahnt wird und wurde. Dies
geschah auch von solchen, die dies aus ordnungspoliti-
scher Überzeugung fordern, aber dann Einwände formu-
lieren, wenn sie bzw. ihre Interessengruppe selber davon
betroffen sein könnte. Wir, die großen Volksparteien, die
diese Koalition tragen, können nicht einfach in einer Art
Prinzipienreiterei über die Köpfe der Menschen hinweg
sparen, kürzen und streichen.
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ir müssen auch erkennen, wo die Belastungs- und
umutbarkeitsgrenzen der Bürger verlaufen, die ent-
eder auf Transferleistungen angewiesen sind oder die
teuer- und Beitragslast tragen müssen.
Deshalb müssen wir auch erklären, warum wir sparen
nd konsolidieren: eben nicht in erster Linie, weil wir
ie Verfassungsbestimmungen einhalten oder den
aastricht-Vertrag erfüllen müssen. Wir müssen erklä-
en, dass alle diese Regelungen ihren Sinn haben, näm-
ich sicherzustellen, dass es nicht zu einer Desinvestition
ei gleichzeitig überbordender Verschuldung, einem
ubstanzverlust und einem Wert- und Vermögens-
chwund kommt. Auch die Maastricht-Kriterien müs-
en eingehalten werden, wenn wir vermeiden wollen
heute ist schon darüber gesprochen worden –, dass ein
auerhafter Schaden für die Währung und für die ge-
amte wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum ent-
teht.
Aber es geht nicht nur aus diesen Gründen um die
inhaltung der Belastungsgrenzen. Wir müssen dem von
erschiedener Seite gern geschürten Eindruck entgegen-
reten, es würde zulasten der Menschen gespart. Nein,
as Gegenteil ist der Fall: Wir sparen im Interesse der
enschen. Wir sparen im Interesse der Zukunft der
enschen, weil sie sonst in einer nicht so fernen Zu-
unft nicht mehr in der Lage wären, die Lasten aus der
erschuldung zu tragen.
Wenn, wie so häufig, der Vorwurf erhoben wird, der
taat kürze hier, streiche dort und erhöhe die Belastung,
ann ist die Frage zu stellen: Wer ist der Staat? Woher
ommt das Geld des Staates? Dann müssen wir eine ba-
ale Grundwahrheit aussprechen: Der Staat bzw. die öf-
entlichen Hände haben kein anderes Geld als jenes, das
ie vorher über Steuern, Abgaben, Beiträge und Gebüh-
en dem Bürger aus der Tasche gezogen haben.
Eine zweite Grundwahrheit ist, dass in einer Volks-
irtschaft nicht mehr verteilt werden kann – weder über
esetzliche noch private Sicherungssysteme –, als vorher
emeinsam erwirtschaftet wird.
Wir handeln als Bundesgesetzgeber nicht nur im Inte-
esse des Bundes und des Bundeshaushaltes, sondern wir
ragen auch in hohem Maße Mitverantwortung für die
brigen Ebenen, die Länder und Kommunen. Deshalb
aben wir uns darauf verständigt, dass keine Lastenver-
chiebung auf andere Ebenen erfolgen darf. Im Gegen-
eil: Die bereits eingeleiteten Maßnahmen werden über
ie Steueranteile von Ländern und Kommunen ganz we-
entlich zu deren Entlastung und zu Einnahmeverbesse-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 241
)
)
Bartholomäus Kalb
rungen führen. Insofern kann ich die Kritik der letzten
Tage, die von mancher Seite geäußert wurde, nicht nach-
vollziehen.
Die Frau Bundeskanzlerin hat gestern unter anderem
ausgeführt:
Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird.
Sie führte weiter aus:
Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache ver-
kleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen.
Gleichzeitig war gestern in der Zeitung ein anderes
Zitat zu lesen:
Jeder wird den gesetzlichen Rahmen maximal aus-
nutzen. Da hat es keinen Zweck, den moralischen
Zeigefinger zu erheben. Das ist rechtmäßig und
muss akzeptiert werden.
Angesichts solcher Aussagen kommt man zum Nach-
denken darüber, was getan werden muss, um Gesetze
zielgenauer wirken zu lassen und möglichem Leistungs-
missbrauch besser vorzubeugen. Ich denke aber, dass es
uns selbst bei allerbestem Willen und gründlichster
Arbeit nicht gelingen wird, jeden Missbrauch zu verhin-
dern. Es wird auch nicht möglich sein, Gesetze zu ma-
chen, die für 80 Millionen Menschen Einzelfallgerech-
tigkeit gewährleisten.
Umso mehr wird es darauf ankommen, dass es uns
gelingt, wieder einen gesellschaftlichen Grundkonsens
über die Eigenverantwortung herzustellen.
Ich habe in meiner Kindheit und Jugend viele, insbe-
sondere ältere Menschen erlebt, die vermutlich auch da-
mals schon Anspruch auf gesetzliche Leistungen gehabt
hätten, aber nach dem Motto „Ich will mir selber helfen;
ich will nicht der Allgemeinheit zur Last fallen“ gelebt
haben. Für viele in dieser Generation galt der Grundsatz:
Das tut man nicht; das macht man nicht.
– Gerade diese Menschen haben das größte Verständnis
für die Allgemeinheit aufgebracht, Frau Kollegin
Scheel. – Es mag sehr altmodisch klingen, aber es war
vielleicht ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Be-
scheidenheit, Gemeinsinn und Solidarität.
Möglicherweise fehlt uns ein wesentlicher Teil davon.
Wie wichtig eine Trendumkehr in der Haushalts- und
Finanzpolitik ist, wird bei einem Blick auf die demogra-
phische Entwicklung unserer Bevölkerung, wie sie sich
schon in nächster Zeit ergeben wird, sehr deutlich.
Schon in wenigen Jahren, bis zum Jahr 2020, wird der
Anteil der unter 20-Jährigen von rund 21 Prozent auf
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afür brauchen wir Freiraum für junge Talente, für neue
deen sowie für unsere Hochschulen und Forschungsein-
ichtungen. Bildungs- und Forschungspolitik darf sich
icht im Management der Gegenwart erschöpfen. Wir
ichten den Blick nach vorne erstens auf den globalen
ettbewerb. Andere Länder holen auf. Zu oft werden
deen aus Deutschland anderswo in Wachstum und Ar-
eit umgesetzt. Zu wenige Spitzenwissenschaftler aus
em In- und Ausland sehen ihre Zukunft in unserem
and. Zweitens auf die demographische Entwicklung.
ie stellt dauerhaft unsere sozialen Sicherungssysteme
nd die Innovationskraft unserer Gesellschaft infrage,
enn wir nicht alle Begabungspotenziale nutzen.
chließlich muss der Blick auf eine neue Gerechtigkeit
242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
gerichtet werden. Ein wachsender Teil unserer Gesell-
schaft sieht sich bei Bildungschancen und damit bei Zu-
kunftschancen ausgegrenzt. Die soziale Herkunft darf
nicht über die persönliche Zukunft entscheiden.
Mehr Geld, mehr Freiheit und mehr Chancen für Bil-
dung und Forschung, das bedeutet konkret: Diese Bun-
desregierung wird mehr Geld in Forschung und Ent-
wicklung investieren als jede Bundesregierung zuvor.
6 Milliarden Euro sind in dieser Legislaturperiode zu-
sätzlich vorgesehen. Ich appelliere vor allem an die deut-
sche Wirtschaft, diesem Beispiel zu folgen,
damit gelingen kann, was wir uns vorgenommen haben,
nämlich bis zum Jahre 2010 den Anteil der Investitio-
nen in Forschung und Entwicklung am Bruttoinlands-
produkt auf 3 Prozent zu erhöhen.
Schließlich werden wir Hochschulen und For-
schungseinrichtungen in Deutschland mehr Freiraum
einräumen: Freiheit von unnötiger Bürokratie und über-
flüssiger Reglementierung, die Freiheit, eigene Wege zu
gehen. Dazu müssen wir uns mit einem längst überhol-
ten Arbeits- und Dienstrecht für die Wissenschaft be-
schäftigen und die Möglichkeiten eines Wissenschaftsta-
rifs prüfen.
Wir haben eine Föderalismusreform verabredet, die
Vielfalt und Wettbewerb zulässt.
– Sie können das Manuskript ja noch einmal korrigieren,
Frau Pieper. – Wir erwarten dann von den Ländern aber
auch, dass die gewonnenen Freiräume an die Hochschu-
len weitergegeben werden.
Der Bund wird in der Bildungspolitik auch nach der Fö-
deralismusreform kein Zuschauer sein. Wir werden uns
verstärkt um die Bildungsforschung kümmern und mit
den Ländern gemeinsam Impulse für die Standardsiche-
rung für Benachteiligten- und Begabtenförderung set-
zen.
Ein Land der neuen Möglichkeiten braucht bessere
Chancen für alle. Das bedeutet mehr Qualität und mehr
Teilhabe an Bildung. Wir geben keine Generation ver-
loren, die Jungen ebenso wenig wie die Älteren. Deshalb
werden wir den nationalen Pakt für Ausbildung und
Fachkräftenachwuchs weiterentwickeln, das Programm
für Ganztagsschulen umsetzen, die Reformen für Be-
rufsausbildung vorantreiben und die Bedingungen für
die Qualifizierung älterer Arbeitnehmer verbessern.
Kein Jugendlicher unter 25 Jahren – das steht fest ver-
ankert im Koalitionsvertrag – darf länger als drei Monate
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eshalb werden wir in den kommenden Jahren etwa in
en ethischen Fragen der Biowissenschaften vor schwie-
ige Abwägungen gestellt.
ier gilt als zentrales Kriterium, liebe Frau Flach, nicht
ettbewerbsfähigkeit, sondern die Achtung der Men-
chenwürde.
In unserer Forschungspolitik geht es nicht um Entwe-
er-oder. Es geht nicht um Staatssteuerung oder Staats-
bstinenz, um Grundlagenforschung oder Anwendung,
m universitäre oder außeruniversitäre Forschung. Un-
ere Forschungspolitik setzt auf drei Prinzipien: Erstens
uf Exzellenz. Wir messen uns national und internatio-
al an den Besten. Deshalb werden wir mit den Ländern
ie Exzellenzinitiative zum Erfolg führen.
eshalb werden wir die Förderung des Bundes auf he-
ausragende Vorhaben konzentrieren, wie die neue Ge-
eration der Großgeräte. Deshalb setzen wir auf den
ettbewerb in der Forschungsförderung und den Pakt
ür Forschung und Innovation. Wenn wir auf Exzellenz
etzen, sind wir attraktiv für die weltweit Besten aus
irtschaft, Wissenschaft und Forschung. Die Erfolge
on Bio-Regio und anderen Projekten zeigen, welche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 243
)
)
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Hebelwirkung Wettbewerb für den Fortschritt haben
kann.
Zweitens. Vorrang für Innovation. Das gilt für die
gesamte Innovationskette von der Idee bis zum Produkt
und zur eigenen Firma. Innovationsfreundlichkeit muss
das Kriterium staatlichen Handelns schlechthin sein.
Wir werden mit dem Aktionsplan „High-Tech-Strategie-
Deutschland“ Spitzentechnologien gezielt fördern und
Innovationshemmnisse beseitigen. Das gilt für Urheber-,
Patent- und Steuerrecht. Das gilt für die Gründung von
Hightechs, Start-ups und für neue Technologien wie
Nano- und Biotechnologie. Wir besitzen einen Wissens-
vorsprung in der Nanotechnologie, den wir nutzen müs-
sen, um Marktführer zu werden.
Dazu werden wir Nanotechnologie in deutschen Kern-
branchen wie der Automobilindustrie integrieren, neue
Anwendungsbereiche erschließen und interdisziplinäre
Ansätze ermöglichen.
Drittens. Wir werden Kräfte bündeln, und zwar in
Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, in universitärer
und außeruniversitärer Forschung, in den Geistes- und
Naturwissenschaften. An den Schnittstellen zwischen
Strukturen und Disziplinen entstehen Innovationen. Des-
halb setzen wir auf Innovations- und Wachstumspole,
die Anziehungskraft für Wissenschaftler und Investoren
über unsere nationalen Grenzen hinaus entwickeln. Die
Trennung von Hochschulen und außeruniversitärer For-
schung muss zugunsten von mehr Vernetzung, Arbeits-
teilung und Wettbewerb minimiert werden.
Die Einheit von Forschung und Lehre war der Kern
der humboldtschen Universitätsidee. Das heißt heute
auch: Wir müssen dafür sorgen, dass die universitäre
Forschung in der Struktur unserer Forschungsförderung
gestärkt wird. Sie ist in den vergangenen Jahren ge-
schwächt worden.
– Bitte?
– Nicht nur in den letzten sieben Jahren. Man kann auch
sagen: in den letzten Jahrzehnten. – Deshalb wollen wir
im Laufe dieser Legislaturperiode den Einstieg in eine
neue Forschungsförderungsstruktur durch Berücksichti-
gung von Overheadkosten schaffen.
Nachhaltige Wissenschafts- und Forschungspolitik
braucht schließlich einen besonderen Blick auf die
Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswis-
senschaftler. Wir brauchen verlässliche Karrierewege.
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Wir werden neben den genannten zentralen Zukunfts-
echnologien Forschungsschwerpunkte in der Sicher-
eitsforschung ebenso wie in der Gesundheits- und Al-
ernsforschung setzen.
Die Studierendenzahlen steigen in den kommenden
ahren ebenso wie die Zahl der Schulabsolventen, die
ich für eine berufliche Ausbildung bewerben. Schon
etzt wird deshalb von „Studentenbergen“ und „Bewer-
erüberhang“ gesprochen. Schon die Wortwahl offenbart
ltes Denken. Diese jungen Leute, die etwas lernen und
twas leisten wollen, sind keine Last für unser Land.
ie, ihre Talente, ihre Ideen, ihre Bereitschaft, etwas zu
eisten: Genau dahinter stecken die neuen Möglichkeiten
ür unser Land. Es ist deshalb unsere Verantwortung,
lso die Verantwortung des Bundes, der Länder, aller
eteiligten, damit sorgsam umzugehen; denn es wird der
ag kommen, an dem wir dort den Mangel beklagen
erden, wo heute der Ansturm befürchtet wird.
Eine international anerkannte Talentschmiede ist die
oraussetzung für die Innovationskraft unseres Landes.
as ist ein Fundament für Leistungsfähigkeit, Zusam-
enhalt und soziale Entwicklung. Das ist der Motor für
konomische Entwicklung und die Quelle unseres künf-
igen Wohlstandes. In diesem Sinne sollten wir gemein-
am Bildungs- und Forschungspolitik betreiben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Pieper von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Erstes
ie Gelegenheit nutzen, Frau Ministerin Schavan im Na-
en der FDP-Bundestagsfraktion zu ihrem neuen Amt
u gratulieren. Wir wünschen Ihnen Glück und auch Er-
olg im Interesse des Wohles unseres Landes. Frau Mi-
isterin, wir wissen natürlich, dass Sie an der Spitze ei-
es Ministeriums stehen, das für die Zukunftsfähigkeit
eutschlands eine Schlüsselstellung hat.
Uns ist natürlich auch bewusst, dass gerade Ihr Minis-
erium die richtigen und mutigen Weichenstellungen für
ie Zukunft vornehmen muss. Das heißt, Sie müssen
244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Cornelia Pieper
zukünftig mehr auf Freiheit für die Forschung, Autono-
mie der Hochschulen und auch mehr Wettbewerb der
Bildungseinrichtungen insgesamt setzen. Dann können
wir wieder an die Spitze in Europa kommen. Dafür ste-
hen auch wir als Liberale. Dafür haben wir bei der Föde-
ralismusreform mit Ihnen gestritten.
Wir können Ihnen auch zustimmen, wenn es um mehr
Investitionen in Bildung und Forschung geht. Wir alle
wissen, dass im OECD-Vergleich gerade diejenigen In-
dustrienationen ein höheres Wirtschaftswachstum haben,
die mehr in Bildung und Forschung investieren. Daraus
müssen wir lernen. Es ist gut, dass die Bundesregierung
jetzt sagt, sie wolle jährlich eine halbe Milliarde Euro in
Forschung und Entwicklung investieren. Es ist gut, dass
sie sagt: Die Mittel der großen Forschungsgesellschaften
sollen bis 2010 ebenso jährlich um 3 Prozent steigen.
Nur, den Worten müssen auch Taten folgen, Herr
Tauss, und darauf bin ich gespannt. Wir brauchen die
haushaltspolitische Untersetzung.
Ich vernehme, dass der Finanzminister und die Bil-
dungsministerin in dieser Frage zum Teil mit gespaltener
Zunge reden.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, dass die in
der Regierungserklärung in Aussicht gestellten Steige-
rungsraten nicht ausreichen werden, um schrittweise das
3-Prozent-Ziel zu erreichen. Sie müssen ein Finanzpaket
von rund 8,3 Milliarden Euro schnüren, um von heute
rund 9 auf 12 Milliarden Euro in 2010 zu kommen. Das
ist eine Kraftanstrengung ohnegleichen. Wir sind aber
bereit, das zu unterstützen. Dazu bedarf es mehr Subven-
tionsabbau. Dazu bedarf es mehr Ausgabenkürzungen,
als Sie sie nach dem geplanten Haushalt vornehmen wol-
len.
Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung
gestern zu Recht von Leuchtturmprojekten geredet. Wir
brauchen Leuchtturmprojekte. Da war auch von der
Transrapid-Referenzstrecke die Rede. Diesen Leucht-
turm gibt es bereits, meine Damen und Herren, allerdings
an der chinesischen Küste. Dort fährt der Transrapid seit
zwei Jahren störungsfrei mit einer 93-prozentigen Ver-
fügbarkeit. Es geht um die Umsetzung, um die Anwen-
dung von Forschungsergebnissen, von neuen Technolo-
gien und nicht nur um Referenz.
Was wir brauchen, ist eine in sich geschlossene Stra-
tegie für Forschung und Innovationen. Anstatt die
Forschung dadurch zu stärken, dass die Aktivitäten ge-
bündelt werden, schreitet der Ausverkauf des For-
schungsministeriums nach dem Koalitionsvertrag weiter
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Wir werden den wachsenden Bedarf an Energie nicht
ecken können, Herr Tauss, ohne einen ganzheitlichen
nergieforschungsansatz mit einer ambitionierten
rundlagenforschung – ich nenne nur das Stichwort:
usionsforschung –, mit einer Spitzenforschung für mo-
erne Kraftwerkstechnik und mit einer kerntechnischen
icherheitsforschung.
Wir wollen Nanokompetenznetzwerke stärken und in-
ernational ausrichten.
Die Informationstechnologie ist eine Querschnitts-
echnologie, die als Forschungs- und Wettbewerbsbe-
chleuniger wirkt.
Ich denke auch an die Forschung im Dienstleistungs-
ektor, der immerhin zu 70 Prozent der Bruttowert-
chöpfung beiträgt.
Die Frau Ministerin hat zu Recht gefordert, dass es
ehr Freiheit für Forschung in Deutschland geben muss.
rau Ministerin, wenn Sie das ernst meinen, dann ver-
indern Sie, dass deutsche Stammzellforscher, die im
usland arbeiten, in Deutschland durch deutsches Straf-
echt kriminalisiert werden! Schaffen Sie endlich Frei-
eit für die Forschung, auch bei der embryonalen
tammzellforschung,
inem der wichtigsten Forschungsbereiche der Zukunft,
eil schwerstkranke Menschen große Hoffnungen auf
ie medizinische Forschung und eben insbesondere auf
ie embryonale Stammzellforschung setzen!
Wir werden dazu unsere Gesetzentwürfe zum Stamm-
ellenimport, aber auch zur Novellierung des Embryo-
enschutzgesetzes wieder einbringen.
Meine Damen und Herren, es geht längst nicht mehr
llein um Deutschland. Es geht darum, den europäischen
ildungs- und Forschungsraum zu stärken. Globalisie-
ung bedeutet Wettbewerb um die besten Köpfe welt-
eit. Viel zu viele kluge Köpfe verlassen Deutschland.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 245
)
)
Cornelia Pieper
Deswegen müssen wir handeln. Wir brauchen mehr Au-
tonomie der Hochschulen und eine modernere Wissen-
schaftslandschaft, Frau Ministerin. Wir haben zu Recht
mehrmals darauf hingewiesen, dass wir Bürokratie ab-
bauen müssen. Aber wir wollen bei der Diskussion über
die Föderalismusreform vor allen Dingen mit der Auto-
nomie der Hochschulen weiterkommen. Wir wollen,
dass die Autonomie der Hochschulen im Grundgesetz
verankert wird. Das ist die beste Voraussetzung für inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit. Helfen Sie mit, dass das
gelingt!
Ich sage Ihnen aber auch: Wir sind als Bildungs- und
Forschungspolitiker der FDP-Fraktion nicht ganz zufrie-
den mit den Ergebnissen der Föderalismuskommission.
Ich sage das ganz bewusst mit Blick auf eine Tatsache,
die Sie zu Recht angesprochen haben: Wir wollen mehr
Studierende in unserem Land haben. Bis 2011, hat die
KMK ausgerechnet, wird die Zahl der Studierenden um
22 Prozent steigen. Das begrüßen wir. Wir brauchen
exzellente Studienbedingungen und exzellente Bedin-
gungen für die Lehre. Das setzt natürlich voraus, dass
sozialverträgliche Studienentgelte zugelassen werden.
Dazu bekennen wir uns. Das sollen die Hochschulen au-
tonom entscheiden können. Aber wir müssen die Bedin-
gungen in dem föderalistischen System in Deutschland
so gestalten, dass den jungen Menschen, die studieren
wollen, keine Hürden in den Weg gestellt werden. Wenn
der junge Mensch, der aus Baden-Württemberg kommt,
an einer Hochschule in Berlin nicht zugelassen wird,
weil die Hochschulzulassungen in den 16 Bundeslän-
dern unterschiedlich sind, dann wird das einem europäi-
schen Bildungsraum nicht mehr gerecht. Hier müssen
wir handeln.
Exzellente Bedingungen für die Hochschulen und
Anreize für die Spitzenwissenschaftler werden wir nur
bekommen, wenn das öffentliche Dienst- und Beamten-
recht an den Hochschulen fällt und durch einen Wissen-
schaftstarifvertrag ersetzt wird. Dazu haben wir in der
Vergangenheit mehrmals Anträge eingebracht. Dabei
werden wir Sie unterstützen.
Kluge Köpfe sind in der Tat die wichtigste Ressource
unseres Landes. Aber welche Verschwendung an
menschlichen Ressourcen, an Lebensarbeitszeit junger
Menschen haben wir in Deutschland! 80 000 Schüler
jährlich ohne Schulabschluss, 1,3 Millionen junge Men-
schen zwischen 20 und 30 Jahren ohne Berufsabschluss;
das sind die sozialen Härtefälle von morgen. Das ist ein
Thema, dem wir uns als Liberale ganz besonders stellen
wollen. Chancengleichheit ist ein wichtiges Credo unse-
rer Bildungspolitik. Deswegen begrüßen wir die Novelle
zum Berufsbildungsgesetz. Wir sind für eine gestufte
Ausbildung. Wir konnten uns schon immer vorstellen,
auch im Interesse von eher praktisch orientierten jungen
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as hat Benjamin Franklin gesagt. Daran werden wir ar-
eiten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss von der SPD-
raktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ieber Koalitionspartner!
ieber ehemaliger Koalitionspartner! Das mit dem künf-
igen Partner wird sich erweisen; aber ich sage an dieser
telle trotzdem noch einmal: Ich bekenne mich zu Letz-
erem ausdrücklich. Wir haben trotz vieler unterschiedli-
her Auffassungen mit Frau Kollegin Bettin und mit
errn Kollegen Fell gut zusammengearbeitet.
ir haben in der rot-grünen Koalition die geforderte
riorität für Bildung, Forschung und Innovation seit
998 in unserem Regierungshandeln umgesetzt. Darauf
ind wir stolz. Das bleibt ein Ergebnis unserer gemeinsa-
en Arbeit.
Ich will an dieser Stelle nochmals ausdrücklich
delgard Bulmahn für ihr großes Engagement für den
ildungs- und Forschungsstandort Deutschland danken.
Sie stand mit uns für wichtige Initiativen: für das
anztagsschulprogramm, für den Pakt für Forschung
nd Innovation – er ist angesprochen worden –, für die
xzellenzinitiative in der Spitzenforschung, für ein in
246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
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Jörg Tauss
unserer Regierungszeit wieder erstarktes BAföG, das
junge Menschen in die Lage versetzt, zu studieren.
Wir haben die umfassende Modernisierung der beruf-
lichen Bildung auf den Weg gebracht. Ich freue mich,
dass dies gemeinsam mit Ihnen möglich war. Es war ei-
nes der ganz wenigen Gesetze, das gemeinsam durchge-
bracht wurde, das nicht im Bundesrat blockiert wurde.
Auch dafür herzlichen Dank. Ich glaube, damit haben
wir einen jahrzehntelang währenden Reformstau auflö-
sen können.
Nichtsdestotrotz: Wir stehen auch in Zukunft im Be-
reich Bildung und Forschung vor großen Herausforde-
rungen. Ich spreche hier nicht nur für meine Fraktion.
Ich stimme der neuen Ministerin – –
– Das weiß ich. Wie könnte mir das entgehen? Ich kenne
Frau Dr. Schavan schon aus Baden-Württemberg, Herr
Meinhardt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist.
Ich wünsche der neuen Ministerin alles Gute. Ich
freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich werde
darauf zurückkommen.
Nur Erfolge bei Bildung, Wissenschaft und Innova-
tionen werden darüber entscheiden, wie wir künftig un-
sere Probleme bewältigen. Das gilt in Zeiten der zuneh-
menden Globalisierung, des wachsenden internationalen
Wettbewerbs in allen Bereichen und insbesondere der
Europäisierung des Bildungs- und Forschungswesens.
Ich stimme der Kanzlerin ausdrücklich zu, die gestern
gesagt hat, wir müssten international um so viel besser
sein, wie wir teurer seien. Die Sicherung Deutschlands
als Exportnation Nummer eins, die Sicherung unserer
Sozialversicherungssysteme und unser gesamter künfti-
ger Wohlstand hängen – umso mehr, je besser die ande-
ren werden – davon ab, wie wir insbesondere mit diesen
Fragen von Bildung, Wissenschaft und Forschung umge-
hen, wie wir mit der Kompetenz der Menschen in die-
sem Lande – der Beschäftigten, der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer – und mit der Kompetenzerhaltung
umgehen.
Wir müssen alles tun, um die geburtenstarken Jahr-
gänge, die jetzt in die Schulen und aus den Schulen kom-
men – es sind für viele Jahre die letzten geburtenstarken
Jahrgänge –, gut auszubilden. Wir stimmen in all diesen
Punkten ausdrücklich zu, auch dem, was Sie, Frau Mi-
nisterin, in den Koalitionsverhandlungen unter der Über-
schrift „Kein Talent darf verloren gehen“ angesprochen
haben.
Wir können es uns in diesem Lande nicht leisten, dass
Talente verloren gehen und dass das gesamte Potenzial
von jungen Menschen nicht genutzt wird.
Wir konnten in der Vergangenheit viele Strukturre-
formen in der Wissenschafts- und Forschungsland-
schaft durchsetzen. Ich nenne den Bologna-Prozess, die
Juniorprofessur und die programmorientierte Förderung
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as, was im Moment in Baden-Württemberg passiert,
eispielsweise die Ankündigung des Abbaus von Aus-
ildungsplätzen durch Daimler-Chrysler, empfinde ich
ersönlich als Provokation, als eine ganz bewusste
ampfansage an den Geist des Paktes, den wir gemein-
am mit den Arbeitgeberverbänden geschlossen haben.
ch schließe mich der Forderung der Vorsitzenden mei-
es Landesverbandes Ute Vogt ausdrücklich an, diese
rovokation – als solche empfinde ich es – rückgängig
u machen.
Bei allen Problemen: Wir sind im Bereich Bildung
nd Forschung wieder etwas besser aufgestellt. Wir kön-
en noch viel besser werden, gerade auch mithilfe des
inanzministers. Wir hatten in der Vergangenheit die
nterstützung von Hans Eichel; wir rechnen fest mit der
nterstützung des neuen Finanzministers Steinbrück
nd mit Ihrer Unterstützung, Frau Bundeskanzlerin. Das
ird ein zentraler Punkt sein, um das 3-Prozent-Ziel zu
rreichen.
ch freue mich, dass Sie das gestern auch ausdrücklich in
hrer Regierungserklärung angesprochen haben. Dass
ns dies gelungen ist, halte ich für richtungsweisend.
Zur Erreichung des 3-Prozent-Zieles benötigen wir
twa 600 Millionen Euro aus dem Haushalt. Dieses Geld
rauchen wir für all die Punkte, die angesprochen wor-
en sind. Mein Kollege Röspel aus dem Forschungsbe-
eich und mein Kollege Rossmann aus dem Bildungsbe-
eich werden noch auf einige Punkte detaillierter
ingehen.
Die Hochschulen warten auf unsere konkreten Si-
nale. Frau Ministerin Schavan, wir sind Ihnen für Ihre
nitiative zu einem Sonderprogramm für die Hochschu-
en ausdrücklich dankbar.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 247
)
)
Jörg Tauss
In der Föderalismusdebatte muss es deswegen darum ge-
hen, entsprechende Instrumente zur Durchführung eines
solchen Programms zu schaffen.
Auf europäischer Ebene existieren viele Probleme,
von der Dienstleistungsrichtlinie bis zur Anerkennung
unserer beruflichen Abschlüsse. Wie geht es weiter mit
den Bachelor- und Masterstudiengängen, die in Deutsch-
land bzw. anderswo in Europa abgeschlossen werden?
Die Koalition muss sich solcher Fragen annehmen.
Wenn es uns nicht gelingt, darauf Antworten zu geben,
dann werden wir Probleme für den Bildungsstandort
Deutschland bekommen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich freue mich,
wie gesagt, auf die Zusammenarbeit. Frau Schavan, ich
bedanke mich sehr für Ihre Glückwünsche zu meiner
neuerlichen Wahl zum Sprecher der SPD-Bundestags-
fraktion in diesem Bereich. Ich gratuliere Ulla Burchardt
zu ihrer Wahl als unserer neuen Ausschussvorsitzenden
als Nachfolgerin von Frau Pieper, die Obfrau der FDP
wird.
Bei der Union freue ich mich auf die Zusammenarbeit
mit Frau Aigner, bei der Linken mit Frau Sitte und bei
den Grünen mit Frau Hinz.
Sie sehen, im Kreise der Obleute bin ich das einzig
verbliebene männliche Wesen. Ich bitte Sie, liebe Kolle-
ginnen, um freundliche Quotenrespektierung und freue
mich auf eine gute und angenehme Zusammenarbeit.
Ich hoffe, dass für diese große Koalition am Ende ge-
nau das gelten wird, was auch für die erste große Koali-
tion galt.
Sie war ein Aufbruch für Bildung, Wissenschaft und
Forschung in diesem Lande. Es gab viele Initiativen und
Grundgesetzänderungen. Ich hoffe, dass wir an diese
Tradition anknüpfen können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Petra Sitte von der
Fraktion der Linken.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit ei-
nem Zitat aus der Koalitionsvereinbarung beginnen:
Deutschlands Zukunft liegt in den Köpfen seiner
Menschen. Bildung ist ein zentrales Anliegen, das
eine große Kraftanstrengung von Bund, Ländern
und Kommunen erfordert. Bildung ist Vorausset-
zung zur gesellschaftlichen Teilhabe. Bildung ist
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248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Dr. Petra Sitte
Armut macht schwach. Armut macht krank. Armut
nimmt Mut, vor allem den Mut auf einen selbst be-
stimmten Lebensweg. Armut begrenzt Freiheit. Wenn
Sie vor diesem Hintergrund in diesem Haus davon spre-
chen, Freiheit wagen zu wollen, kann ich aus dieser kon-
kreten Erfahrung heraus nur feststellen: Da haben Sie ein
Problem mit der Verarbeitung der Realität.
Es zeigt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwi-
schen Armut in früher Kindheit, Armutsdauer und künf-
tiger Schullaufbahn. Auf dem Gymnasium hat nur jedes
elfte Kind Armutserfahrungen, auf der Realschule al-
lerdings schon jedes dritte. Auf der Hauptschule hat je-
des zweite Kind Armutserfahrungen. Die Agenda 2010
und Hartz IV, also das Umschwenken vom status- zum
höchstens noch existenzsichernden Sozialstaat, hat Kin-
derarmut in Ost und West in nie gekanntem Ausmaß mit
sich gebracht, und das in einem der reichsten Länder die-
ser Erde.
Deshalb, Frau Pieper, sage ich: Wer über das Bil-
dungssystem dieses Landes redet, muss auch über das
Sozialsystem dieses Landes sprechen. Beides ist nicht
mehr voneinander zu trennen.
Wenn die Kinder dieses Landes mehr Bildungserfolge
haben sollen, dann brauchen sie einen anderen, einen si-
chereren sozialen Hintergrund. Damit die Kinder eine er-
folgreiche soziale Perspektive vor sich haben, brauchen
sie einen anderen Bildungshintergrund; ansonsten – das
ist ganz klar – wird die Ursache wiederum zur Folge.
Das ist der entscheidende Zusammenhang, den ich in der
Koalitionsvereinbarung vermisse.
Ungelöste soziale Probleme können dann dazu füh-
ren, dass die positiven Maßnahmen, die sich in der Koa-
litionsvereinbarung in allen Bereichen des Bildungs-
wesens allemal wiederfinden, völlig konterkariert
werden. Das anzugehen, denke ich, ist Aufgabe genug.
Es geht also nicht nur um die Qualifizierung des Bil-
dungssystems im weitesten Sinne, eingeschlossen die
Forschung. Es geht nicht nur um eine schlüssige Refor-
mierung des gesamten Bildungswesens, um eine Reform
der Bildungsfinanzierung sozusagen. Es geht nicht nur
um die Anerkennung von Bildungsausgaben als das, was
sie nämlich wirklich sind: Investitionen in die sich im-
mer wieder erneuernde Ressource Wissen. Es geht
schlicht und ergreifend darum, dafür zu sorgen, dass die
Potenziale von Kindern, und zwar die von hoch begab-
ten Kindern genauso wie die von Kindern aus benachtei-
ligten Haushalten, erkannt und ihnen gemäß gefördert
werden.
Ich will an dieser Stelle eines hinzufügen: Es ist völ-
lig paradox, in dieser Situation über die Erhebung von
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elbst wenn die Kinder der Schwester über die gleiche
eistungsfähigkeit verfügen, ist die Chance des Arztsoh-
es – das belegt eine Studie des Wohlfahrtsverbandes –
echsmal höher, eine universitäre Bildung zu erhalten,
ls die der Kinder der Schwester.
Natürlich ist jede Verbesserung im Bildungswesen zu
egrüßen. Da werden Sie uns an Ihrer Seite haben, so
chrecklich Ihnen – insbesondere den Kollegen der
SU – das vielleicht erscheinen mag. Aber wenn wir
nsgesamt nicht nachhaltig sozial umsteuern, werden
iele Bemühungen vergeblich bleiben, werden wir zivili-
atorischen Rückschritt einleiten und werden uns Stück
ür Stück die Fundamente dieser Gesellschaft zerbröseln.
agegen muss man endlich Politik machen.
Danke schön.
Frau Kollegin Sitte, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-
en Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glück-
unsch!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Krista Sager vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
ind uns hier doch alle einig, dass wir wegen der zuneh-
enden Herausforderungen durch den internationalen
ettbewerb, der Herausforderungen aufgrund der demo-
raphischen Entwicklung, der Mängel, die in internatio-
alen Vergleichen deutlich werden, aber auch wegen der
entralen Frage, mit der wir es hier zu tun haben, näm-
ich mit der Gerechtigkeit in Bezug auf die Teilhabe-
hancen eines jeden, mehr für Bildung, Forschung und
nnovation tun müssen.
Wenn wir uns darin aber so einig sind, ist es natürlich
esonders interessant, sich einmal anzusehen, wie diese
roße Koalition startet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 249
)
)
Krista Sager
Sie startet damit, dass sie der Bildungsministerin Zustän-
digkeiten nimmt, ihre Kompetenzen beschneidet und ih-
ren Forschungsbereich zerstückelt. Das ist ein schlechter
Start.
Ich hätte mir in einer neuen Regierung lieber eine ge-
stärkte als eine geschwächte Bildungsministerin ge-
wünscht, auch wenn es eine schwarze ist.
Frau Merkel hat gestern gefordert, dass wir unsere
Schulen und Hochschulen wieder an die Spitze Europas
bringen müssen. Sie hat auch gesagt – das war mir be-
sonders wichtig –, Bildungschancen dürften nicht mehr
von der sozialen Herkunft abhängen. Richtig! Dann
stellt sich aber doch die Frage, wie wir das hinbekom-
men. Ich sage Ihnen: Wir schaffen das nur durch ver-
stärkte gesamtstaatliche – ich betone: gesamtstaatliche –
Anstrengungen.
Wir schaffen das nicht, wenn sich der Bund aus der Bil-
dungs- und Hochschulpolitik herausdrängen lässt und
sich auf schöne Worte beschränkt.
Frau Ministerin Schavan, Sie müssen aufpassen, dass
Sie nicht als Ministerin der warmen Worte in die Ge-
schichte der großen Koalition eingehen. Das wäre wirk-
lich zu wenig.
Wenn ich mir den Koalitionsvertrag anschaue, muss ich
feststellen, dass Sie hauptsächlich von der Vorarbeit Ih-
rer Vorgängerin leben wollen, und dies leider teilweise
auch noch schlecht. Das Ganztagsschulprogramm mit
einem Volumen von 4 Milliarden Euro muss natürlich
weiterlaufen; alles andere wäre verrückt. Erzählen Sie
doch einmal den Menschen im Lande, dass jetzt aber
eine Verfassungsänderung erfolgen soll, wodurch unter-
bunden wird, dass jemals etwas Ähnliches fortgeführt
oder auf den Weg gebracht wird. Das ist verrückt. Kein
Mensch in diesem Land begreift das.
Man fragt sich doch, was hier eigentlich passiert ist.
Offensichtlich haben sich die Bildungspolitiker zusam-
mengesetzt und über die Gestaltung der Wissensgesell-
schaft geredet und die Arbeitsgruppe zur Föderalismus-
reform hat daneben gesessen und den Bildungspolitikern
den Boden unter den Füßen weggezogen und das Licht
ausgemacht.
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Ich bin fest davon überzeugt, dass die Hochschulen das
Problem nicht alleine in den Griff bekommen werden.
Aber so, wie diese Verfassungsreform geplant ist, wird
es die Hochschulsonderprogramme der Vergangenheit
– von Möllemann bis Bulmahn – in der Zukunft nicht
mehr geben können. Auch das ist eine falsche Entschei-
dung.
Es geht hier nicht um den Widerspruch zwischen Zen-
tralisten und denen, die bürgernahe Entscheidungen wol-
len. Auch ich bin für bürgernah und ortsnah. Das heißt
aber mehr Autonomie, mehr Freiheit für die Bildungs-
einrichtungen und nicht ein Flickenteppich von staatli-
chen Länderregelungen, die die Mobilität von Schülerin-
nen und Schülern, von Familien, von Studierenden und
von wissenschaftlichem Personal erschweren. Das ist
nicht bürgernah.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass
wir uns einig sind, dass wir mehr gesamtstaatliche An-
strengungen brauchen, dass wir dafür auch eine gesamt-
staatliche Agenda brauchen, die alle Einrichtungen vom
Bund über die Länder bis zu den Gemeinden und Bil-
dungseinrichtungen jeweils in ihrem Kompetenzbereich
umsetzen müssen. Was wir aber nicht brauchen, ist ein
Kuhhandel hinsichtlich der Verfassung auf Kosten eines
zentralen Zukunftsbereichs wie Bildung und Wissen-
schaft.
Lassen Sie mich eines zum Schluss sagen. Herr
Struck betont immer, ein Gesetz geht aus dem Bundestag
nicht so heraus, wie es hineinkommt.
Das ist gestern noch einmal bekräftigt worden. Aber
dann dürfen wir uns erst recht keine Fehler bei einer Ver-
fassungsänderung leisten, weil man diese Fehler nicht
mal so eben korrigieren kann. So eine Änderung bindet
die Politik auf Jahrzehnte.
Auch die Ministerpräsidenten merken jetzt langsam,
dass ihre Interessen in den Händen Bayerns schlecht auf-
gehoben gewesen sind.
Wenn wir als Bildungspolitiker es schaffen, zu sagen,
bei dieser Verfassungsreform ist das letzte Wort noch
nicht gesprochen, dann können Sie mich davon überzeu-
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Das Wort hat jetzt der Kollege René Röspel von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Ich freue mich, wieder als Mitglied einer Regie-
ungsfraktion an dieses Rednerpult treten zu dürfen,
uch wenn es kein Geheimnis ist, dass ich mir durchaus
ine andere Konstellation hätte vorstellen können.
Ich freue mich auch deswegen, weil nicht nur die Um-
elt- und die Familien-, sondern gerade auch die Bil-
ungs- und Forschungspolitiker der Sozialdemokrati-
chen Partei dadurch in die Lage versetzt werden, nicht
ur die Früchte ihrer Arbeit, die sie in den letzten sieben
ahren gesät haben, wachsen zu sehen und vielleicht so-
ar zu ernten, sondern auch in den nächsten Jahren wei-
er zu säen. Das ist, glaube ich, mit dieser Koalition
urchaus möglich.
Wir haben in den letzten Jahren im Bereich Bildung
nd Forschung wirklich eine erfolgreiche Politik ge-
acht. Mein Dank geht ausdrücklich an unseren ehema-
igen Koalitionspartner, das Bündnis 90/Die Grünen, der
abei mitgeholfen und wirklich gute Sachen gemacht
at.
Aber nun schauen wir nach vorne. Wir haben in den
etzten sieben Jahren in der Tat so viel in Bildung und
orschung investiert wie keine andere Regierung zuvor,
rau Sitte. Die Ausgaben für Bildung und Forschung
aben wir von 1998 bis zum Jahr 2005 um 37 Prozent
rhöht; das war ein schwieriger Kraftakt. Während
eutschland bei den Ausgaben für Forschung und Ent-
icklung 1998, gemessen am Anteil des Bruttoinlands-
roduktes, noch im unteren Mittelfeld lag, haben wir es
eschafft, uns auf Platz drei in Europa hinter Finnland
nd Schweden vorzuarbeiten. Das ist der richtige Weg.
Wir haben – das ist wirklich von sozialer Bedeutung –
ie Zahl der Studienanfänger um 40 Prozent erhöht.
uch haben wir den Studierendenanteil der Kinder aus
rbeitnehmerfamilien und aus schwächeren, bildungs-
ernen Schichten, wie es so schön heißt, deutlich erhöht.
uch beim BAföG kam es zu deutlichen Erhöhungen:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 251
)
)
René Röspel
Der Kreis der Studierenden, der BAföG erhält, ist heute
um 45 Prozent größer als noch vor sieben Jahren. Bei al-
lem Konsens in vielen Fragen wird das allerdings einer
der strittigen Punkte bleiben; denn was Studiengebüh-
ren anbelangt, haben wir eine deutlich andere Position
als die Unionsfraktion.
Im Jahr 2004 haben wir den Pakt für Forschung und
Innovation auf den Weg gebracht. Diejenigen, die die
parlamentarischen Abende oder die Forschungseinrich-
tungen besuchen, wissen, wie wichtig er für die Deut-
sche Forschungsgemeinschaft oder die Max-Planck-Ge-
sellschaft ist. Gestern haben wir das auch vom
Fraunhofer-Institut gehört. Eine jährliche Erhöhung der
Mittel in Höhe von 3 Prozent für die nächsten Jahre ver-
lässlich zugesagt zu bekommen, das ist eine Art von For-
schungspolitik, die hin und wieder durchaus Applaus
verdient, auch von der Opposition. Was mich freut, ist,
dass wir diese Art von Forschungspolitik fortsetzen wer-
den.
Wir haben in Mikrosystemtechnologie, Nanotechno-
logie und Materialforschung investiert und die Investi-
tionen in die Biotechnologie um 82 Prozent erhöht, sie
also fast verdoppelt, Frau Flach.
Sie wissen das, versuchen es aber immer zu negieren.
Wir geben aber auch Geld aus für die Geisteswissen-
schaften, die Konflikt- und Friedensforschung, die Ar-
beitsforschung, die Gesundheitsforschung und die Frau-
enförderung. Ich sage Ihnen – auch das ist nicht zu
vernachlässigen –: Den Anteil der Frauen in der Profes-
sorenschaft haben wir von 9,5 Prozent auf 14 Prozent
gesteigert; das muss allerdings noch besser werden. Ich
glaube, dazu werden wir in den nächsten Jahren unseren
Beitrag leisten können.
Wir sehen nicht nur die forschungspolitischen Erfolge
unserer Politik, sondern auch ihre wirtschaftlichen Er-
folge. Auch hierzu möchte ich Ihnen einige Aspekte
nennen: Im Jahr 2002 betrug unser Exportüberschuss
allein bei Gütern der Hoch- und Spitzentechnologie
132 Milliarden Euro. Das heißt, Deutschland ist nach
wie vor das Land, das Spitzentechnologie exportiert.
Darauf können wir uns nicht ausruhen, sondern das müs-
sen wir weiter fördern.
Bei forschungsintensiven Gütern belegen wir mit
einem Weltmarktanteil von 15 Prozent Platz zwei hinter
den USA, bei den weltmarktrelevanten Patenten
Platz zwei hinter Japan. Wir werden diese Liste aus-
bauen können; denn mittlerweile ist Deutschland ein gu-
ter Forschungsstandort.
Das haben wir auch gestern von den Vertretern des
Fraunhofer-Instituts gehört.
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as heißt, wir haben es geschafft, Deutschland wieder
u einem guten Forschungs- und damit auch Wirt-
chaftsstandort zu machen, was uns in die Lage versetzt,
ine vernünftige Sozialpolitik zu betreiben.
Das ist keine alte Rede, sondern das sind immer wieder
ute Fakten.
Wir verzeichnen nicht nur wirtschaftlichen und for-
chungspolitischen Erfolg, sondern – das habe ich in den
etzten fünf, sechs Jahren gespürt und das ist anders als
or zehn Jahren – erleben auch einen Stimmungswan-
el bei den Menschen, auch bei den Studentinnen und
tudenten. Mein Eindruck ist, dass sie nicht mehr die
niversität mit Diplom verlassen – zum Beispiel als
hysiker, Elektroingenieur oder Maschinenbauer –, ohne
u wissen, was ihnen die Zukunft bringt. Mein Eindruck
st vielmehr, dass es ihnen wieder Spaß macht, in
eutschland zu studieren und zu forschen; das ist nicht
u unterschätzen. Dazu haben wir beigetragen und das
erden wir auch in Zukunft fortsetzen.
Ein großer, bedeutender deutscher Dichter des
1. Jahrhunderts hat einmal gesagt: Opposition ist
ist. – Da hat er zweifelsohne Recht. Ich freue mich
eswegen, in dieser Regierungsfraktion und auch in die-
er großen Koalition mitarbeiten zu können; denn wir
erden diese wichtige Bildungs- und Forschungspolitik
ortsetzen. Das steht im Koalitionsvertrag und das ist
ine gute Basis: im Sinne des Fortschritts in Deutsch-
and, im Sinne der Menschen und im Sinne unserer Ge-
ellschaft.
Meine Bitte und Aufforderung an Sie ist: Machen Sie
it! Es ist wirklich eine sinnvolle Sache, wenn wir zu-
ammen die Bildungs- und Forschungspolitik gestalten.
Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner von der CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Neue Koalitionspartner! Frühere
ppositionsmitstreiter! Sehr geehrte Frau Pieper, Sie ha-
en unserer Ministerin gratuliert und ihr Glück für ihre
eue Aufgabe gewünscht – auch für die künftigen Auf-
252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
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Ilse Aigner
gaben, dass alles gut geht – und damit auch der großen
Koalition. Ich finde es toll, dass Sie das mit Ihrer
schwarz-roten Kleidung heute sogar optisch unterstri-
chen haben; das ist ein sehr gutes Zeichen.
Das gilt ja auch für Herrn Winkler.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn
es aus den letzten Jahren eine gute Botschaft gibt, dann
ist es die Verankerung der Bedeutung von Bildung und
Wissenschaft und Innovation in den Köpfen der Men-
schen. Bildung und Forschung sind die Megathemen des
21. Jahrhunderts und Zukunft pur. Sie entscheiden über
unsere Innovationsfähigkeit, unsere Wettbewerbs-
fähigkeit in einer globalisierten Welt, über unseren Bei-
trag zur Lösung der großen Herausforderungen der
Menschheit. Spitzenforschung und die Anwendung von
Wissen sind im 21. Jahrhundert letztendlich die Wäh-
rung, in der sich der Wohlstand misst. Wir stehen jetzt an
dem Punkt, unsere Erkenntnisse in konkrete Politik und
letztlich in Erfolge umzusetzen. Wir müssen im Zusam-
menspiel mit Wissenschaft, Wirtschaft und Ländern die
Grundlage schaffen für einen neuen Aufbruch, für die
zweiten Gründerjahre Deutschlands.
Zum Sanieren und Reformieren gehört das Investie-
ren in die Zukunft. Schon das Signal aus den Sondie-
rungsgesprächen der großen Koalition war eindeutig:
Wir wollen bis zum Jahr 2010 das 3-Prozent-Ziel errei-
chen. Das ist ein starkes Zeichen für die Zukunft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir geben
diese Zusagen in einem extrem schwierigen Umfeld:
Wir haben eine mehr als dramatische Haushaltslage,
aber wir müssen eben diesen Kraftakt meistern;
Deutschland braucht diesen Aufbruch. Bildungs- und
Forschungspolitik ist Chancenpolitik.
Ich messe uns daran, welche Chancen wir der jungen
Generation eröffnen.
Es bedrückt mich wie schon eine Reihe von Vorrednern,
dass Ausbildungsplätze trotz aller Anstrengungen
knapp sind. 17 Prozent der unter 25-Jährigen in Deutsch-
land haben weder eine abgeschlossene Berufsausbildung
noch einen Schulabschluss der Sekundarstufe II. Theo-
rieschwächere Jugendliche finden schon gar keinen Ein-
stieg mehr in das Berufsleben, das heißt, sie starten ins
Leben mit Frustration und Ausgrenzung. Das darf nicht
so bleiben.
Um unser duales System werden wir überall in der Welt
beneidet. Es hat nach wie vor erhebliches Potenzial – wir
müssen es nur nutzen. Deshalb werden wir den Ausbil-
dungspakt mit Wirtschaft und Gewerkschaften erneuern
und weiterentwickeln. Unser Ziel ist nach wie vor, dass
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Ausbildung darf nicht mehr mit dem Berufsabschluss
der dem Universitätszeugnis enden. Wissen und Arbeit
ehören über die gesamte Strecke der beruflichen Tätig-
eit zusammen. Wir wollen eine Kultur des ständigen
ernens in unserer Gesellschaft verankern. Dazu gehört
uch die Sicherung des Meister-BAföGs. Auch ältere
rbeitnehmer, Quereinsteiger und bisher bildungsferne
chichten müssen zunehmend berücksichtigt werden.
ie Koalition wird das Vermögensbildungsgesetz novel-
ieren und so ein neues Finanzierungsinstrument für das
ildungssparen etablieren. Wir geben einen starken
nreiz und ein Signal an Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Im Hochschulbereich wagen wir mit der Föderalis-
usreform eine Entflechtung: Der Bund wird in Zu-
unft alleine über Hochschulzugang und -abschlüsse so-
ie deren Vergleichbarkeit bestimmen.
afür wird das Hochschulrahmengesetz mit seinen De-
ailregelungen entfallen; wir hoffen, dass das an die
ochschulen auch entsprechend weitergegeben wird.
Dem Bund bleibt trotzdem noch eine Menge zu tun:
eine Rolle wird gestärkt bei der Finanzierung von
roßgeräten und Investitionen von überregionaler Be-
eutung. Der Exzellenzwettbewerb zeigt bereits erheb-
iche Wirkungen: 319 Projektanträge haben die Hoch-
chulen gestellt und es herrscht Aufbruchstimmung.
Wenn sich einige unserer Hochschulen in Richtung
nternationaler Spitze entwickeln wollen, wenn sie
tarke Marken werden wollen mit internationaler Anzie-
ungskraft, brauchen sie ebenso selbstverständlich wie
hre Konkurrenten in anderen Ländern auch privates
eld. Hochschulen der Zukunft entscheiden nicht alleine
ber die Ausgabe ihrer Geldmittel, sondern werben ei-
en Teil auch selbst ein. Zurzeit fließen jährlich
00 Millionen Euro aus Stiftungen in die Wissenschaft.
Viel zu wenig, genau. – Aber das Potenzial dafür ist
ängst nicht ausgeschöpft. Uns als Bundespolitikern
tellt sich die Aufgabe, stifterisches Handeln im Bereich
er Wissenschaft zu erleichtern.
er Bund zieht sich mit der Föderalismusreform also
icht aus der Verantwortung zurück, sondern stellt an
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 253
)
)
Ilse Aigner
den entscheidenden Kreuzungen die Ampeln für die
Hochschulen auf Grün.
Es steht uns gut zu Gesicht, auch die Forschung wie-
der stärker zu betonen, im Ausschuss und in der Bundes-
regierung. Dabei kommt es auf folgende Punkte an:
Erstens. Wir brauchen Verlässlichkeit. Der Pakt für
Forschung wird umgesetzt. Forschung braucht Pla-
nungssicherheit und Stabilität.
Das hat auch der diesjährige Nobelpreisträger Professor
Hänsch als absolutes Plus des Wissenschaftsstandortes
Deutschland hervorgehoben. An ihn sende ich von hier
aus ausdrücklich meine Glückwünsche. Deutschland ist
stolz auf ihn. Seiner Ansicht nach fehlt es im Vergleich
zu den USA allerdings an dem freiheitlichen und stimu-
lierenden intellektuellen Reizklima und an der Begeiste-
rung für alles Neue. Wir werden den fehlenden Schuss
Wettbewerb und Freiheit in das deutsche Forschungssys-
tem hineinbringen.
Zweitens. Das Potenzial, das unsere Forschungsland-
schaft hat, gilt es vollständig auszunutzen. Wir sind auf
einem guten Weg. Forschungseinrichtungen und Hoch-
schulen haben verstanden, dass sie stark sind, wenn sie
ihre Kräfte bündeln. Sie beginnen, das Beste aus ihren
jeweiligen Welten zu kombinieren: den Enthusiasmus
des Nachwuchses aus den Hochschulen mit der guten
Ausstattung der außeruniversitären Forschung. Die
Helmholtz-Gemeinschaft stellte ihre diesjährige Jahres-
tagung unter das Motto „Helmholtz und die Hochschu-
len“, gründet virtuelle Institute und richtet Nachwuchs-
gruppen ein. Die Max-Planck-Gesellschaft ist in
derselben Richtung unterwegs, 70 der 78 Institute sind
bei den Anträgen zur Exzellenzinitiative beteiligt. Alle
Professoren der Leibniz-Gemeinschaft lehren gleichzei-
tig an Hochschulen.
Drittens. Wir machen eine Innovationspolitik aus ei-
nem Guss. Förderung von Grundlagenforschung, ange-
wandter Forschung und entsprechende Rahmenbedin-
gungen gehören zusammen. Die Koalition hat sich zu
innovationsfreundlichem Handeln in Gänze verpflich-
tet. Wenn sich in Zukunft nicht nur die Forschungsmi-
nisterin für Innovationen zuständig fühlt, sondern sich
auch Umwelt- und Wirtschaftsminister ausdrücklich die
Förderung der Technologie auf die Fahnen schreiben,
dann sind wir auf einem guten Weg.
Zu Bildung, Wissenschaft und Innovation gab es noch
von keiner Bundesregierung und keiner Koalition zuvor
ein so starkes und in allen Teilen untermauertes Be-
kenntnis. Wir wollen den Rahmen schaffen für das, was
wirklich zählt: Chancen für die junge Generation, he-
rausragende Wissenschaft und Innovationskraft für un-
ser Land.
Ich möchte schließen mit einem Zitat von Albert
Einstein:
Politik ist schwieriger als Physik.
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Wir als Bildungs- und Forschungspolitiker sind dann
tark – damit möchte ich aufgreifen, was Frau Dr. Sitte,
ber auch andere Redner gesagt haben –, wenn wir mit
nderen Politikbereichen und durch diese hindurch wir-
en können. Deshalb ist der Hinweis richtig, dass
eutschland in der Innovationspolitik gut ist, wenn
iese nicht nur aus dem Forschungsbereich heraus ver-
tanden wird, sondern auch aus dem Wirtschaftsbereich
nd dem sozialpolitischen Bereich.
Es ist auch richtig, dass wir bei uns nicht nur Wirt-
chaft auf höchstem Niveau haben, sondern auch sozia-
en Frieden möglich machen, wenn wir anerkennen
damit nehme ich die Einwände von Frau Dr. Sitte auf –,
ass mangelnde Bildung und Armut in einem Zusam-
enhang stehen. Das muss man aussprechen können.
as muss man mit im Blick haben.
Wir sind dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin
usdrücklich folgende Leitlinie dargestellt hat – ich
omme damit auf ihre Rede zurück –: Die Herkunft darf
icht über die Zukunft entscheiden. Ich denke, darin ist
ich das ganze Haus einig.
Wir müssen uns vorsichtig daran herantasten, was
iese neue Regierungskonstellation eigentlich in die Ge-
ellschaft hinein vermitteln kann. Diese Botschaft be-
ommt jedenfalls eine Tragfähigkeit durch alle Aufga-
254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Ernst Dieter Rossmann
ben und Felder der Bildungspolitik hindurch. Für uns
heißt das übersetzt: Es gibt für alle ein Recht auf Bil-
dung und optimale Förderung vor der Schule und in
der Schule. Für uns heißt das auch, dass es für alle ein
Recht auf Ausbildung, Studium und Durchlässigkeit in
der Bildung und ein Recht auf Weiterbildung gibt.
Dazu möchte ich einige Anmerkungen machen. Frau
Dr. Schavan, es geht mir zunächst um das Recht auf Bil-
dung vor der Schule und in der Schule. Bei diesem Punkt
haben Sie schon früh darauf hingewiesen, wie wichtig
das ist, was vor der Schule passiert, und zwar nicht nur
unter dem Gesichtspunkt der Betreuung, sondern auch
unter dem Gesichtspunkt der optimalen Förderung. Wir
müssen das in das einbinden, was mit dem Tagesbetreu-
ungsausbaugesetz als zusätzliche gemeinschaftliche
Chance einer frühen Förderung von Kindern gegeben ist.
Eines will ich hier ausdrücklich ansprechen: Viele
Kinder mit einem Migrationshintergrund kommen zu
uns und bringen vieles mit – eben auch Qualität. Sie
müssen aber auch die Chance bekommen, optimal geför-
dert zu werden. Das ist nicht nur ein Migrationsphäno-
men, sondern auch ein Phänomen des sozialen Zusam-
menhalts in anderen Milieus unserer Gesellschaft.
Dies müssen wir mit in den Mittelpunkt stellen; denn wir
halten es für wichtig, dass die Herkunft nicht über die
Zukunft entscheiden soll. Das soll weiterhin die Leitlinie
unserer Politik sein.
Frau Sager, ich will gar nicht anstehen, zu sagen: Die
größte Ehrung für die Grünen, die es jetzt geben kann,
ist, zu sagen, dass Sie eben viele gute Argumente ge-
nannt haben. Es geht nämlich darum, dass es auch eine
Gemeinschaftsverpflichtung ist. Vielleicht gibt es ja
noch mal ein Nachdenken darüber, ob modernes Regie-
ren wirklich heißen muss, dass man das Angebotsprinzip
ausschließt, wenn man die Subsidiarität akzeptieren be-
ziehungsweise das Subsidiaritätsprinzip anerkennen
will. Vielleicht gibt es ja noch die Möglichkeit, zumin-
dest über das Angebotsprinzip nachzudenken, sodass
sich der moderne Staat in Zukunft auch gegenüber ande-
ren Ebenen angebotsfähig halten kann, damit er in der
Lage ist, sie zu unterstützen.
Diese etwas außerhalb des Vertrages liegende, aber
nachdenkenswerte Bemerkung wollte ich mir erlauben.
In Bezug auf das Recht auf Ausbildung und Stu-
dium und die Durchlässigkeit in der Bildung haben
wir ein Bekenntnis zur dualen Ausbildung. Aber große
Koalitionen ermöglichen es ja auch, manches offener zu
sehen. Die duale Ausbildung ist gut, doch faktisch ha-
ben wir schon einen Dualismus in der Ausbildung. Es
gibt die duale Ausbildung und es gibt auch die schuli-
sche Ausbildung.
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Der nächste Punkt bezieht sich auf das lebenslange
ernen. Frau Aigner, dankenswerterweise haben Sie be-
eits die ganz konkreten Punkte positiv angesprochen.
ir haben auch früher schon darum gerungen und mit
em Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz zwischen-
urch bereits manches auf den Weg gebracht.
Das führt mich zu einem letzten Gedanken, nämlich
u der Frage, ob diese große Koalition – man darf es
icht übertreiben, wenn man am Anfang steht – nicht
urchaus eine Raison d’Etre hat, die speziell auch in Be-
ug auf die Weiterbildung eine Bedeutung bekommen
ann. Raison d’Etre kann sein, dass es eben nicht nur um
inen politischen Pakt geht, sondern man muss auch ei-
en gesellschaftlichen Pakt schließen, einen Pakt, durch
en wir Vertrauen gewinnen und in dem man die Interes-
en, die mehr in der Wirtschaft, und die, die in der Ar-
eitnehmerschaft begründet liegen, zusammenbringt.
enn genau dies gelingt, dann kann auch Weiterbildung
ine Vision für die Zukunft sein, die nicht nur den demo-
raphischen Faktor, nicht nur Menschen mit einem Ren-
eneintrittsalter von 67 Jahren – dafür benötigt man zur
eiterbildung qualifizierte Menschen –, einschließt,
ondern die Weiterbildung als ein Grundprinzip, das sich
n einer innovativen Gesellschaft wiederfindet, abbildet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 255
)
)
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ich habe mich über die heutige Ausgabe der „Zeit“
gefreut, weil auf der ersten Seite eine Polemik von Herrn
Greiner zu finden ist, worin er sich gegen diejenigen
wendet, die sich sehr stark als „blinde Eliten“ in Unter-
nehmen, Wissenschaftseinrichtungen und anderswo er-
weisen. Von ihnen fordert er ein, gesellschaftliche Ver-
antwortung zu übernehmen. Nach dieser Mahnung auf
der ersten Seite findet sich auf der zehnten Seite die In-
formation, dass sich der Zentralverband des Deutschen
Handwerkes und die Gewerkschaften gemeinsam über-
legen, zu einem nationalen Bildungspakt zusammen-
zukommen.
Dieser Unterschied zwischen der ersten und der zehn-
ten Seite beschreibt auch das, was für diese große Koali-
tion eine Chance sein kann, nämlich ein neuer Gesell-
schaftsvertrag, aus dem hervorgeht, dass Bildung eine
Grundessenz ist, die unsere Gesellschaft den Menschen,
egal wo sie stehen und wie sie sich entwickeln, anbieten
können muss.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.
Ich rufe nun den Themenbereich Gesundheit auf.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 6 a und
6 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen und
zur Änderung weiterer Gesetze
– Drucksache 16/39 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über den Arbeitgeber-
ausgleich bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts
im Fall von Krankheit und Mutterschaft
– Drucksache 16/46 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
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Dieses Konzept sieht – da kann ich so manchen beru-
igen, der sich schon Sorgen machte – keine Abschaf-
ung der privaten Krankenversicherung vor. Es wird
eine Einheitsversicherung geben. Ich darf hier viel-
eicht verraten: Das war auch gar nicht Teil des Konzepts
er Bürgerversicherung der SPD, sondern dieses Kon-
ept beruht darauf, dass wir einen wirklich fairen Wett-
ewerb im Gesundheitswesen organisieren wollen, in
em private und gesetzliche Krankenkassen nebeneinan-
er Bestand haben, dass aber auch den Bürgerinnen und
ürgern eine verlässliche Finanzierung gesichert wird.
Deshalb wäre es gut, wenn wir ab heute auf die De-
atte über dieses Thema verzichten. Darum geht es
icht.
s geht darum: Wie können wir ein hocheffizientes und
ettbewerbsorientiertes Gesamtsystem, das Leistung
nd Wettbewerb mit Gerechtigkeit verbindet, ein Ge-
undheitssystem, das weltweit als eines der besten gilt,
ber reformbedürftig ist, weiterentwickeln, und zwar mit
em Ziel, dass Menschen, die in Deutschland erkranken,
hne Ansehen ihres Einkommens, Alters oder Ge-
chlechts die bestmögliche Versorgung auf der Höhe des
edizinischen Fortschritts erhalten?
256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesministerin Ulla Schmidt
Das ist unser Ziel und ich bin davon überzeugt, dass wir
es gemeinsam erreichen werden.
Der Koalitionsvertrag bietet viele neue Aufgabenbe-
reiche und Arbeitsgrundlagen. Wir setzen dabei an, die
Strukturen zu verändern, und zwar so, dass langfristig je-
der Euro, der in dieses System fließt, zielgenau an der
Stelle eingesetzt wird, wo es für die Menschen den größ-
ten Nutzen bringt. Dies ist die Grundvoraussetzung da-
für, dass eine Reform der Finanzierung auf Dauer nach-
haltig wirken kann.
Im Koalitionsvertrag ist vieles enthalten, das den
Menschen direkt – im Vorgriff auf die große Reform, die
wir durchführen wollen – und spürbar Nutzen bringt. So
haben wir im Koalitionsvertrag beschlossen – das er-
wähne ich nicht nur deshalb, weil heute Weltaidstag
ist –, die Strategie der Bundesregierung zur Bekämp-
fung von HIV/Aids bundesweit wie auch auf inter-
nationaler Ebene weiter auszubauen. Wir wollen die Ver-
bindung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen
Organisationen, die Stärkung der Prävention und die
Forschungsinvestitionen fördern, um Heilungschancen
zu verbessern oder einen Impfstoff zu entwickeln. Das
wollen wir in Kooperation mit unseren europäischen
bzw. internationalen Partnern weiter fortsetzen.
Wir sind uns einig, dass wir auf europäischer Ebene
dafür sorgen wollen, dass das Thema Aids in Europa
– das beziehe ich auch auf Osteuropa – auf die Tagesord-
nung der Regierungschefs kommt, damit die in Afrika
begangenen Fehler nicht in Osteuropa oder Mittelasien
wiederholt werden.
Des Weiteren wollen wir die palliativmedizinische
Versorgung von schwerkranken oder todkranken Men-
schen, die starke Schmerzen erleiden, wohnortnah auf-
bauen. Wir wollen in diesem Bereich Investitionen vor-
nehmen, um mit den so genannten Palliativ-Care-Teams
sicherzustellen, dass an allen Orten, wo Menschen diese
Hilfe brauchen, entsprechende Kräfte zur Verfügung ste-
hen. Wir wollen damit eine humane Antwort auf die
Forderung nach Legalisierung der aktiven Sterbe-
hilfe geben. Wir wollen, dass schwerkranke Menschen
keine Angst haben müssen, nicht in Würde sterben zu
können, und dass alles getan wird, damit sie ihre letzten
Lebenstage so schmerzfrei wie möglich verbringen kön-
nen. Das ist unsere humane Antwort auf die Diskussion
um die aktive Sterbehilfe. Wir werden alles tun, um die-
ses Vorhaben so schnell wie möglich auf den Weg zu
bringen.
Wir wollen die Versorgung chronisch kranker
Menschen verbessern. Wir werden in die Versor-
gungsteams auch die Qualifikation und die Erfahrun-
gen der nichtärztlichen Berufe stärker einbeziehen. In
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eshalb werden wir dafür sorgen, dass dies in Zukunft
icht mehr vorkommt. Wir wollen den Menschen, die ih-
en Versicherungsschutz auf manchmal sehr tragische
eise verloren haben – sicherlich kennen auch Sie einen
olchen Fall –, ein Recht auf Rückkehr in ihre jeweilige
rankenkasse ermöglichen, damit sie wieder versichert
ind.
ir sind der Meinung, dass Krankenkassen zwar Inkas-
overfahren einleiten sollten, dass Menschen aber nicht
hne Versicherungsschutz bleiben dürfen. Auch dieses
roblem werden wir direkt angehen.
Darüber hinaus werden wir den Wettbewerb fördern
nd vieles von dem umsetzen, was wir vor zwei Jahren
och nicht machen konnten. Wir werden auf diesem
eg aber weitergehen. Wir werden die integrierte Ver-
orgung fördern und für mehr Möglichkeiten der
ertragsgestaltung im direkten Verhältnis zwischen
rankenkassen und Ärzten sorgen. Wir wollen kassenar-
enübergreifende Fusionen ermöglichen, ohne dass es zu
onopolstellungen kommt. Wir glauben, dort, wo es
innvoll ist, sollten sich unterschiedliche Krankenkassen
nd ihre Vorstände zusammentun und gemeinsam für die
rganisation einer guten medizinischen Versorgung sor-
en. Wir wollen nicht – das ist auch für die Menschen in
en neuen Bundesländern entscheidend –, dass es Regio-
en in Deutschland gibt, in denen eine ausreichende me-
izinische Versorgung nicht mehr gewährleistet ist.
Es nutzt nichts, wenn Sie schreien, Herr Kollege
eifert. Wir handeln. Das ist der Unterschied.
Wir wollen nicht, dass das so bleibt. Deshalb werden
ir das gesamte Vertragsarztrecht, das heute noch ein
emmschuh ist, liberalisieren. Wir wollen, dass Ärzte,
ie in Krankenhäusern tätig sind, zusätzlich eine Praxis
röffnen können.
ir wollen, dass Ärzte in ihrer Praxis andere Ärzte an-
tellen können. Beispielsweise könnten Ärzte aus Berlin
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 257
)
)
Bundesministerin Ulla Schmidt
eine Praxis in Brandenburg eröffnen und dort Kollegen
anstellen. Wir wollen hier für mehr Möglichkeiten sor-
gen, weil wir der Meinung sind, dass wir nur damit den
neuen Herausforderungen gerecht werden. Wir werden
außerdem den Bundesländern das Recht einräumen, von
dem ausgewogenen statistischen Verhältnis in den Zulas-
sungsgebieten abzuweichen, damit sie in medizinisch
gut versorgten Regionen entsprechende Maßnahmen
treffen können. Wir hoffen, dass dies ein Beitrag ist, um
nach vorne zu kommen.
Lassen Sie mich noch einen letzten Satz zu etwas, das
mir wichtig ist, sagen – ich weiß, dass meine Kollegin
bereit ist, mir noch eine Minute zu geben –, bevor meine
Zeit abgelaufen ist.
Wir werden das ärztliche Honorarsystem neu ordnen.
Darüber ist schon viel diskutiert worden. Niemand hat
behauptet, dass die Gebührenordnung der Ärzte auf das
Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung reduziert
werden soll. Aber das heutige Honorarsystem ist in viel-
facher Hinsicht ungerecht; denn ob ein Arzt bei der Ho-
norarverteilung gut oder schlecht dasteht, hängt davon
ab, zu welchem Fachbereich bzw. zu welcher KV er ge-
hört. Des Weiteren muss ein Arzt für die schlechte Ar-
beit seiner Kollegen mithaften, auch wenn er selber wirt-
schaftlich arbeitet und vernünftig agiert. Außerdem ist es
ungerecht, wenn ein Arzt eine Leistung erbringt und
nicht weiß, wie viel er dafür erhält. Damit wollen wir
Schluss machen; denn wir sind der Meinung, dass auch
ein Arzt Anspruch darauf hat, zu wissen, wie viel eine
medizinische Leistung wert ist. Nur so kann er seine Pra-
xis entsprechend organisieren.
Wir wollen mit der Neuordnung des Honorarsystems
ebenfalls verhindern – das ist entscheidend –, dass ein
gesetzlich Versicherter keinen Termin bekommt, weil
das Budget vorzeitig aufgebraucht ist, und im Vergleich
zu anderen Versicherten benachteiligt wird. Wir wollen
hier zu vernünftigen Regelungen kommen. Wir schätzen
es sehr, dass 90 Prozent der Menschen in die gesetzliche
Krankenversicherung einzahlen, und zwar oft hohe Bei-
träge. Wir verstehen daher die Empörung eines gesetz-
lich Krankenversicherten darüber, dass er, der – auch als
Gesunder – ständig hohe Beiträge in das System einge-
zahlt hat, größere Schwierigkeiten hat, einen Termin zu
bekommen, oder andere Untersuchungsmethoden akzep-
tieren muss, wenn er krank ist, als diejenigen, die sich
schon in jungen Jahren privat versichert haben, vielleicht
120 Euro Monatsbeitrag zahlen und bevorzugt behandelt
werden. Wir wollen das nicht. Wir werden gemeinsam
die Kraft haben, entsprechende Änderungen auf den
Weg zu bringen.
Eines ist klar: Wer denn sonst, wenn nicht eine große
Koalition, sollte die Kraft haben, das Gesundheitswesen
effizient und gerecht zu gestalten? Ich bin mir sicher,
dass wir diese Kraft haben.
Vielen Dank.
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rst dann lässt sich wirklich beurteilen, wie sie arbeitet.
n der Gesundheitspolitik fällt das aber ziemlich schwer;
enn da ist überhaupt noch keine Richtung zu erkennen.
ie Mannschaft ist in See gestochen, ohne zu wissen,
elchen Hafen sie erreichen will. Der Kurs soll nun auf
ffener See diskutiert werden. Es rächt sich für die
nion, dass wichtige Kursentscheidungen noch nicht ge-
roffen worden sind. Die Ministerin steht nämlich am
teuer und schon kleine Kursfestlegungen können über
ine unumkehrbare Richtung entscheiden.
s ist ein Fehler, erst im nächsten Jahr über eine Struk-
urreform zu debattieren. Um im Bild zu bleiben: Die
ee wird stürmisch sein, wenn Union und SPD über den
urs debattieren. 2006 wird der Druck auf den Beitrags-
atz enorm sein, sodass vermutlich wieder nur kurzfris-
ige Maßnahmen vereinbart werden. Die Gesundheits-
olitik ist die Sollbruchstelle für diese große Koalition.
Das Ziel der Koalitionsvereinbarung, die Lohnzusatz-
osten zu senken, unterstützt die FDP voll und ganz, wie
uch andere Ziele, die in der Koalitionsvereinbarung ste-
en. Daran werden wir die große Koalition messen. Es
st nicht so, dass wir zum ersten Mal eine große Koali-
ion in der Gesundheitspolitik haben. Es ist gerade ein-
al zwei Jahre her, dass eine große Koalition mit den
rünen eine Jahrhundertreform in der Gesundheitspoli-
ik beschlossen hat.
ir sehen heute, dass die ganzen hehren Beitragssatz-
ersprechen bei weitem nicht eingehalten worden sind.
In der Gesundheitspolitik hätte als erster Schritt der
rbeitgeberbeitrag festgeschrieben werden müssen. Da-
it hätten wir die Gesundheitskosten vom Lohn entkop-
elt. Leistungen wie Krankengeld und Zahnersatz hätten
258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Daniel Bahr
konsequent ausgegliedert werden müssen, um finanziel-
len Spielraum zu bekommen. Ich weiß, das sind unbe-
queme Botschaften. Das alles haben Sie nicht geschafft.
Sie haben die falschen Signale auf dem Arbeitsmarkt ge-
setzt.
Stattdessen, Frau Schmidt, haben Sie weitere Belastun-
gen für die gesetzliche Krankenversicherung beschlos-
sen. Der Wegfall des Bundeszuschusses entspricht übri-
gens fast einem halben Beitragssatzpunkt und die
Mehrwertsteuererhöhung, die auch für Arzneimittel gel-
ten soll, belastet die gesetzliche Krankenversicherung
mit 900 Millionen Euro. Ich erwarte vor diesem Hinter-
grund im nächsten Jahr eine ernsthafte Debatte über Bei-
tragserhöhungen. Ihre bisherigen Vorschläge erhöhen
den Krankenversicherungsbeitrag, statt ihn, was Ihr ei-
gentliches Ziel ist, zu senken. Sie werden Ihren eigenen
Zielen nicht gerecht.
Ich frage mich, warum wir eigentlich in den letzten
Jahren die grundlegenden Debatten über Kopfpauschale,
Bürgerversicherung und das liberale Versicherungsmo-
dell geführt haben. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und
die Altersentwicklung in Deutschland zwingen uns doch
zu nachhaltigem Handeln. Die FDP hat hierfür Vor-
schläge für einen Systemwechsel gemacht. Wir wollen
eine Pflicht zur Versicherung bei einem Versicherer
freier Wahl.
Wir brauchen den Aufbau von Altersrückstellungen, um
die Altersentwicklung zu bewältigen. Wir wollen Frei-
heit, Eigenverantwortung und Wettbewerb stärken.
Freie Therapie- und Arztwahl sind für uns hohe Güter.
Der mündige Patient ist unser Leitbild. Die Gesundheits-
ministerin hingegen geht stur den Weg in die Bürgerver-
sicherung. Die Angleichung von Honoraren
bei gesetzlich und privat Versicherten – das stand in dem
Interview; Frau Schmidt, lesen Sie doch noch einmal das
Interview in der „Berliner Zeitung“ – wird eine Mangel-
verwaltung fortsetzen. Ursache ist die Kostendämp-
fungspolitik und Budgetierung der letzten Jahre.
Da helfen auch keine weiteren Neidkampagnen. Frau
Schmidt, machen Sie doch nicht glauben, dass die ge-
setzlich Versicherten besser behandelt würden, wenn die
Privatpatienten weniger zahlen.
Es ist ein irriger Glaube, Qualität durch immer mehr
staatliche Vorgaben und staatlichen Einfluss quasi zu
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Wenn wir unser Handeln danach ausrichten, dann kön-
nen wir etwas Sinnvolles tun und etwas bewegen.
Diese Aussage zeigt auch, dass unser Sozialsystem
bisher wie ein chronisch Kranker war. Wir werden jetzt
handeln, damit diese chronische Krankheit behandelt
werden kann. Über die Tatsache, dass wir es seit vielen
Jahren mit einer Finanzierungskrise in der gesetz-
lichen Krankenversicherung zu tun haben, besteht
Konsens. Es besteht aber auch darüber Konsens, dass
eine nachhaltige Finanzierung nur dann möglich ist,
wenn wir die Gesundheitsleistungen nicht mehr allein
über die Arbeitskosten finanzieren.
Über die Diagnose sind wir uns jetzt eigentlich einig.
Das ist schon ein Wert an sich. Wir werden uns in den
nächsten Monaten über eine geeignete Therapie unter-
halten und eine gemeinsame Lösung finden. Ich bin da
sehr zuversichtlich. Eines ist klar: Wenn wir es als große
Koalition nicht schaffen, dieses Problem zu lösen, dann
wird unser Gesundheitssystem dauerhaft Schaden neh-
men.
Noch haben wir es in Deutschland nicht mit einer
Krise bei der Versorgung kranker Menschen zu tun.
Aber wir dürfen die Anzeichen des Ärztemangels in be-
stimmten Bereichen nicht unterschätzen. Dieses Pro-
blem tritt ganz besonders in den neuen Ländern zutage.
Ich glaube, wir haben gerade in der Koalitionsvereinba-
rung sinnvolle Vorschläge gemacht, wie dieses Problem
effektiv gelöst werden kann. Für die Menschen hat näm-
lich der Erhalt der Sicherheit der medizinischen Versor-
gung höchste Priorität. Diejenigen, die im Gesundheits-
bereich in verschiedenen Berufen, insbesondere als
Mediziner oder als Pflegekräfte, tagtäglich einen sehr
kompetenten und in vielen Bereichen auch sehr huma-
nen Dienst für kranke Menschen leisten, sind nicht die
Verursacher der Probleme im deutschen Gesundheitswe-
sen.
Sicher ist auch dort nicht alles perfekt. Überall dort,
wo Menschen arbeiten, sind auch Fehler nicht ganz zu
vermeiden. Aber hier liegt nicht das Kernproblem.
Ich halte es für einen großen Erfolg der Koalitions-
vereinbarungen, dass wir uns auch darauf verständigt ha-
ben, die freie Arztwahl, die freie Krankenhauswahl und
die freie Krankenkassenwahl der Bürger in Deutschland
zu erhalten. Die Stärkung der Wahlfreiheiten und die
Stärkung der Entscheidungsrechte der Bürger ist für uns
eine entscheidende Voraussetzung für mehr Qualität und
auch für mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
Denn Qualität und Effizienz kann man nicht mit Plan-
wirtschaft, sondern nur mit Wettbewerb und freier Arzt-
wahl erhalten.
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ies konnte man vor Jahren in der ehemaligen DDR
eidvoll erfahren und in Großbritannien ist man leider
uch in diese Richtung unterwegs.
Von der einen oder anderen Seite wird behauptet, dass
ir in Deutschland eine Zweiklassenmedizin und län-
ere Wartezeiten für gesetzlich Krankenversicherte ha-
en. Ich möchte doch darum bitten, dass wir an die Ursa-
he gehen. Die Ursache liegt nicht darin, dass privat
ersicherte überzogene Honorarforderungen bedienen
üssen; die Ursache liegt woanders, nämlich darin: So-
ange die Ärzte in Deutschland für die Versorgung ge-
etzlich Krankenversicherter ständig sinkende Honorare
rhalten und immer nur unter den Vorgaben des Budgets
gieren müssen, werden sie planbare medizinische Ein-
riffe von einem Quartal ins andere Quartal verschieben.
ies ist sicherlich nicht schön und nicht gewollt, aber es
st Konsequenz unseres Vergütungssystems.
Deshalb bin ich froh darüber, dass wir darangehen,
ie Budgets aufzuheben. Dann wird es wieder eine mehr
atientenorientierte Versorgung geben können.
Auch Folgendes gehört einmal in der Öffentlichkeit
esagt: Ich zumindest kenne keinen Arzt – Sie werden
hnliche Erfahrungen haben –, der eine notwendige
peration bei einem privat Versicherten anders durch-
ührt als bei einem gesetzlich Krankenversicherten.
Wir brauchen auch weiterhin den Wettbewerb zwi-
chen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.
ir sind zurzeit auf die zusätzlichen Honorarzahlungen
er privaten Versicherungen angewiesen – so ist unser
ystem angelegt –; ohne diese Gelder haben die Leis-
ungserbringer keine ausreichende Planungssicherheit.
an sieht das ganz besonders in den neuen Ländern. In-
estitionen in moderne Medizintechnik oder in qualifi-
iertes Personal würden mehr oder weniger unterblei-
en. Letztlich werden sich viele deutsche Ärzte dann
uch überlegen, ob sie sich noch in Deutschland nieder-
assen.
260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Wolfgang Zöller
Wer Ärzten für ihre schwierige und verantwortungsvolle
Arbeit die dafür angemessene Honorierung verweigert,
schadet letztlich der medizinischen Versorgung unserer
Bevölkerung.
Wir werden deshalb – auch darüber sind wir uns
einig – die ärztliche Honorierung leistungsgerechter ge-
stalten. Ärzte werden künftig für Qualität und nicht mehr
nur für Ausweitung der Menge honoriert. Das wird zu
einer wesentlich besseren medizinischen Versorgung
führen. Es wird also die Qualität und nicht die Menge fi-
nanziert.
Ärzte sollen sich wieder mehr auf die Versorgung ihrer
Patienten konzentrieren können und sich nicht ständig
mit Richtlinien und Bürokratie beschäftigen müssen.
Dies ist auch eine Voraussetzung für mehr Motivation
und Leistungsbereitschaft der Mediziner.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas zur
aktuellen Protestsituation an den Krankenhäusern sa-
gen. Es reicht schon, glaube ich, wenn wir die Über-
gangsfrist um ein Jahr verlängern und klar das Signal
setzen, dass es keine weitere Verlängerung der Über-
gangsfrist geben kann. Das sind wir den Ärzten in den
Krankenhäusern, aber auch den Patienten schuldig, die
wir vor einer Behandlung durch übermüdete und in ihrer
Leistung eingeschränkte Ärzte schützen wollen. Deshalb
ist diese Lösung, wie wir sie gefunden haben, zu vertre-
ten.
– Wenn Sie eine Frage stellen, würde ich die Zeit gerne
nutzen, um das für Sie weiter auszuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich wenigstens stichpunktartig noch einiges anspre-
chen, was im Koalitionsvertrag geregelt bzw. abgespro-
chen wurde. Wir werden die Prävention stärken. Da-
rüber sind sich in diesem Hause, glaube ich, alle einig.
Wir geben in Deutschland sehr viel Geld für die Be-
kämpfung von Krankheiten aus und nach wie vor zu we-
nig für die Verhütung von Krankheiten. Wenn es uns ge-
lingt, einen Entwurf zu formulieren, der sich an einer
lebensnahen Vorgehensweise orientiert und nicht mit
übermäßiger Bürokratie belastet, dann wird ein solches
Präventionsgesetz sehr sinnvoll und von Nutzen sein.
Wir wollen zudem den Trend der letzten Jahre been-
den, dass immer mehr für Bürokratie im Gesundheits-
wesen und immer weniger für die Medizin ausgegeben
wurde. Die Beitragsmittel sollten für die Versorgung
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Martina Bunge
on der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Gesundheit ist das höchste Gut“ – wie schnell und
eicht geht uns dieser Ausspruch oft über die Lippen.
och was tun wir in der Politik dafür? Wenn ich im Leit-
ild der Koalitionäre für die Gesundheitspolitik Worte
ie „qualitativ hoch stehende Versorgung“ und „solida-
ische Finanzierung“ finde, dann lässt das hoffen. Doch
m Konkreten sieht das anders aus. Nicht eine Maß-
ahme der sozialen Grausamkeiten wurde zurückgenom-
en, weder die unsägliche Praxisgebühr noch die hor-
enden Zuzahlungen. So wird der Zug weiterfahren: Je
rmer, desto kränker.
Obwohl die Belange der Versicherten in Bezug auf
rävention, Akutversorgung, Rehabilitation und Pflege
m Mittelpunkt des politischen Agierens stehen müssten,
iskutieren wir seit Jahren vor allem über den Knack-
unkt der Finanzierung. Ich bin gespannt, wie die un-
ereinbaren Vorschläge von Bürgerversicherung und
esundheitsprämie in ein Konzept für eine zukunftsfä-
ige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche-
ung gepresst werden sollen. Ich denke, das kommt einer
uadratur des Kreises gleich.
Als Linke sage ich jedoch: Nichts vereinbart zu haben
st besser als die Kopfpauschale, der völlige System-
ruch. Natürlich stellen uns die demographische Ent-
icklung und der medizinische Fortschritt vor riesige
erausforderungen. Ich denke, wir sind schon mitten-
rin. Wir müssen realistisch an die Probleme herangehen
nd zuallererst mit der Legende der angeblichen Kosten-
xplosion im Gesundheitssystem aufhören.
ie Relation zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts
elegt das genaue Gegenteil.
Natürlich gibt es auch Effektivitätsreserven im
esundheitssystem. Ich denke da an solche Aspekte
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 261
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)
Dr. Martina Bunge
wie den Stellenwert der Prävention, die Arzneimittelver-
ordnungspraxis, Reserven bei der integrierten Versor-
gung oder die Unterbelichtung der Geriatrie. Doch eines
muss klar sein: Für die demographischen und medizini-
schen Herausforderungen muss mehr Geld ins System.
Wir müssen endlich wegkommen von einer einnahme-
orientierten Ausgabenpolitik und hinkommen zu einer
aufgabenorientierten Ausgabepolitik.
Gemeinsam fixierte Gesundheitsziele müssen der Aus-
gangspunkt der Gesundheitspolitik werden.
Vollmundig versprechen Sie, bei der Klärung der Fi-
nanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversi-
cherung die Erfahrungen anderer Länder und wissen-
schaftliche Konzepte vorurteilsfrei zu prüfen. Die
Einhaltung dieses Versprechens wird die Fraktion Die
Linke testen. Wir sind gespannt, wie vorurteilsfrei die
Prüfung ausgeht, wenn wir unseren Vorschlag einer
Wertschöpfungsabgabe vorlegen. Wir meinen, dass die
Berechnung der Arbeitgeberanteile an den sozialen Si-
cherungssystemen aufgrund der Lohnsumme nicht mehr
den wirtschaftlichen Realitäten entspricht
und sich die Beiträge der Unternehmen vielmehr an der
Bruttowertschöpfung orientieren müssten. Das wäre
nicht nur mit Blick auf die Belastung der verschiedenen
Unternehmen gerechter, sondern böte auch finanzielle
Spielräume.
Einige hier im Haus, nicht nur aus meiner Fraktion,
wissen, dass ich eine glühende Verfechterin dieser Idee
bin. Immer wieder wird dieser Vorschlag abgelehnt, mit
der stupiden Begründung: nicht umsetzbar. Wenn Sie
– ich sage das in Richtung Regierung – einmal so viel
Energie, wie Sie in zig Kommissionen, die über immer
neue Leistungskürzungen nachdenken, stecken, für eine
Kommission zur Prüfung der Machbarkeit der Wert-
schöpfungsabgabe aufwenden würden, hätten wir end-
lich einmal etwas Fundiertes auf dem Tisch.
Ich bin mir sicher: Wir hätten auch eine auf die Verände-
rungen in der Arbeitswelt ausgerichtete Neuorientie-
rung der paritätischen Finanzierung der sozialen Si-
cherungssysteme.
Sie aber gehen einen anderen Weg: Der Bundesetat
soll zulasten der Versichertengemeinschaft schöngerech-
net werden. Allein durch die Mehrwertsteuererhöhung
werden den Versicherten Mehrkosten bei den Arzneimit-
teln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro zugemutet.
Hier müsste stattdessen zugunsten der Patientinnen und
Patienten und der Krankenkassen eine Absenkung der
Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf 7 Prozent her, wie
wir es fordern.
Die Einnahmen aus der erst mit dem Gesundheitsmo-
dernisierungsgesetz eingeführten Erhöhung der Tabak-
steuer, mit denen ein Teil der so genannten versiche-
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Ich hege die Hoffnung, dass wir unsere Gesetzge-
ungskompetenz so wahrnehmen, dass wir nicht häufig
om Bundesverfassungsgericht zu Korrekturen aufge-
ordert werden, wie es beim heute eingebrachten Gesetz-
ntwurf zum Mutterschaftsgeld erfolgen muss. Ich hoffe,
ass wir uns bei allen widerstreitenden Vorschlägen im-
er von dem Grundsatz leiten lassen, dass die Gesund-
eit das höchste Gut ist und sie nicht zur Ware verkom-
en darf.
Ich danke.
262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Frau Kollegin Bunge, auch Ihnen gratuliere ich zu Ih-
rer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In man-
chem Leitartikel vor und insbesondere nach der Wahl
war zu lesen, eine große Koalition sei geeignet, große
Probleme zu lösen. Große Probleme gibt es wahrlich bei
den anstehenden Reformen im Bereich von Gesundheit
und Pflege. Doch was lesen wir im Koalitionsvertrag?
Da steht: Wir sind uns nicht einig. Wenn man einmal
nachfragt, dann heißt es hinter vorgehaltener Hand:
Nach den Landtagswahlen nächstes Frühjahr wird alles
anders; 2006 wird das Reformjahr. – Da kann ich nur sa-
gen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube.
Es fehlt in dieser Koalition ganz offensichtlich an ver-
handelbaren Leitideen ebenso wie an der Einigungsbe-
reitschaft. Als Leitidee ist bei der SPD immerhin die
Bürgerversicherung angesagt – richtigerweise. Wie sieht
es bei der Union aus? CDU und CSU haben zwei Jahre
lang die Republik damit beschäftigt, dass das Gesund-
heitssystem angeblich eine Kopfgeldprämie brauche und
dass dann Steuermittel den notwendigen sozialen Aus-
gleich herbeiführen würden.
Denn im Steuersystem – Herr Zöller, so haben wir es im-
mer gehört, jedenfalls von der CDU – sei der soziale
Ausgleich viel besser untergebracht. Sie brauchen für
die Finanzierung Ihres Modells nach konservativer Be-
rechnung 20 Milliarden Euro.
Was tun Sie aber jetzt? Sie ziehen zu Beginn Ihrer Re-
gierungszeit den Steuerzuschuss in Höhe von
4 Milliarden Euro aus der GKV heraus. Sie haben also
nicht nur die 20 Milliarden Euro nicht mitgebracht, Sie
handeln auch noch nach dem Prinzip: Die Union ver-
spricht erst viel mehr Steuermilliarden für das Gesund-
heitssystem; die Koalition, deren Teil Sie dann werden,
zieht die wenigen Steuermilliarden aus dem Gesund-
heitssystem heraus. So etwas nenne ich eine politische
Geisterfahrt.
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enn die Folgen hinsichtlich der Lohnnebenkosten
ind schlimm. Die Union hat im Wahlkampf verspro-
hen, die Lohnnebenkosten zu senken. Die SPD war bis-
er wenigstens für deren Stabilisierung. Jetzt sinken
ach der Mehrwertsteuererhöhung die Beiträge in der
rbeitslosenversicherung ein wenig, in der Rentenversi-
herung werden sie steigen. Was passiert im Gesund-
eitswesen? 4 Milliarden Euro entsprechen 0,4 Beitrags-
atzpunkten. Zusätzlich schlägt die Mehrwertsteuererhö-
ung bei den Medikamentenkosten zu Buche. Da ist man
ei 5 Milliarden Euro, mithin bei einem halben Beitrags-
atzpunkt, den Sie als Erhöhung der Lohnnebenkosten
iskieren. Gelegentlich höre ich von Ihrer Seite das Ar-
ument: Wenn das so kommt, wird der Reformdruck er-
öht. – Diese Art von Verelendungsstrategie gegenüber
em Gesundheitssystem ist politisch unverantwortlich.
Auch an der Einigungsbereitschaft in der Koalition
arf man so seine Zweifel haben. Wie war es denn bis-
er? Die Ministerin kommt mit einem provokativen Vor-
chlag und spricht von gleichen Arzthonoraren für Kas-
en- und Privatpatienten. Dieser isolierte Vorschlag ist
icht umsetzbar, weil er dem System nur Geld entziehen
ürde. Aber dieser Vorschlag hat das Verdienst, dass da-
it die Zweiklassenmedizin bei uns zum Thema wird.
Die Union muss daraufhin erst den Koalitionsvertrag
esen und feststellen, dass sie jedenfalls für bestimmte
ruppen von Privatversicherten in der Tat versprochen
at, die Arzthonorare abzusenken. Nun schweigt sie.
chließlich erklären Sie, Herr Kollege Zöller – Sie ha-
en das heute etwas moderater wiederholt –, dieses sei
ein Beitrag zur Vertrauensbildung. Sie versprechen im
brigen den Ärzten, dass sich nichts ändert, und der
KV, dass alles so wie gehabt weitergeht. Da kann ich
ur sagen: Provokation der einen und pawlowscher Re-
lex – wenn auch verzögert – der anderen – das dient
ielleicht der Profilbildung der Ministerin, der gemein-
amen Politikfähigkeit dient es ganz sicher nicht.
Wo Sie sich einmal einig geworden sind, nämlich da-
in, das In-Kraft-Treten des Arbeitszeitgesetzes für die
rankenhausärzte hinauszuschieben, da senden Sie das
ignal, dass überlastete und übermüdete Ärzte kein Pro-
lem für sich selber und für die Patienten sind. Dazu
ann ich nur sagen: Sie haben nicht nur ein Problem mit
em Vertrauen untereinander. So verspielen Sie auch
ertrauen in der Bevölkerung. Dieses ist aber für die Re-
ormbereitschaft notwendig.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 263
)
)
Birgitt Bender
In diesem Sinne kann ich Ihnen, meine Kollegen und
Kolleginnen von der SPD und der Union, nur sagen: Das
war ein ganz verkorkster Einstieg.
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle-
ginnen! Frau Bender, es ist schön, dass Sie jetzt über
einen öffentlich ausgetragenen Unterschied diskutieren.
Aber ich meine mich zu erinnern: So ganz ohne Streit ist
es in den letzten sieben Jahren auch zwischen uns nicht
gewesen.
Insofern würde ich das nicht überbewerten.
Lassen Sie mich zu Beginn etwas zu dem Kollegen
Bahr von der FDP sagen. Sie haben deutlich gemacht,
was Sie eigentlich möchten. Sie wollen die private Kran-
kenversicherung für alle.
Sie möchten die gesetzliche Krankenversicherung im
Prinzip zerschlagen.
Wenn Sie sagen, der Arbeitgeberbeitrag solle festge-
schrieben werden und es solle zur Ausgliederung weite-
rer Leistungen kommen, heißt das: Sie wollen die Pa-
tienten und Patientinnen mehr belasten. Das hat
sicherlich mit dem System, das wir im Moment haben
und das es zu erhalten gilt, mit der solidarischen Kran-
kenversicherung, überhaupt nichts zu tun.
Sie sind mit dieser Haltung hier im Haus und in der Be-
völkerung im Übrigen völlig isoliert.
Sie können diesen Gedanken gerne weiterverfolgen. Uns
kann das nur recht sein.
Das Prinzip, das wir in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung und in der sozialen Pflegeversicherung haben,
das Prinzip der Solidarität, wird und muss auch in Zu-
kunft tragen. Wie soll das anders funktionieren und fi-
nanziert werden, wenn nicht mehr die Jungen für die Al-
ten, die Gesunden für die Kranken und die finanziell
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Ich bin Ulla Schmidt sehr dankbar, dass sie die Unter-
chiede in der Behandlung – und nicht nur in der Thera-
ie – von Privatpatienten und Kassenpatienten bei den
rzten, aber auch in den Krankenhäusern thematisiert
at. Ich glaube, es ist höchste Zeit dafür gewesen. Wenn
ch es richtig verstanden habe, ging es auch nicht darum,
inheitshonorare und damit, wie Sie, Herr Zöller, eben
agten, die Einheitsmedizin einzuführen. Es ging viel-
ehr lediglich darum, auf einen seit langem bestehenden
issstand aufmerksam zu machen. Ich kann mich noch
n Zeiten erinnern, in denen AOK-Patienten anders be-
andelt worden sind als Patienten der Ersatzkassen und
rivatpatienten ohnehin anders als diejenigen, die in den
esetzlichen Kassen versichert gewesen sind.
Ich begreife nicht, warum dann, wenn jemand mit ei-
em Schnupfen, einer Gehirnerschütterung oder einer
nderen Krankheit zum Arzt kommt und behandelt wird,
ür den einen zumindest das 1,7- bis 3,5-Fache des
rzthonorares und für den anderen nur das einfache Ho-
orar abgerechnet werden kann. Die Vergütung der
rzte und Ärztinnen muss sich doch an der Leistung, die
ie erbringen, orientieren und nicht daran, welcher Ver-
icherung derjenige oder diejenige, den oder die sie be-
andeln, angehört. So kann doch nur ein Schuh daraus
erden. Das hat Ulla Schmidt gemeint.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Bahr?
Ja.
Frau Kollegin Ferner, Sie haben eben gesagt, dass Sie
rau Schmidt nicht so verstanden haben, dass es zu einer
ngleichung der Arzthonorare bei privat und gesetzlich
ersicherten kommen soll. Ich möchte deshalb aus dem
264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Daniel Bahr
Interview der Ministerin mit der „Berliner Zeitung“
zitieren. Darin sagt sie:
Unser Ziel ist, dass medizinische Leistungen gleich
honoriert werden, egal ob sie für einen privat oder
einen gesetzlich versicherten Patienten erbracht
werden.
Wie passt dieses Zitat von Frau Schmidt zu Ihrem Ver-
ständnis?
Bei der Angleichung der Honorare stellt sich zunächst
die Frage, auf welches Niveau angeglichen werden soll.
– Das ist von Frau Schmidt nicht anders gesagt worden.
Zudem gibt es aber, wie Sie wissen, durchaus Fälle
– zum Beispiel die Beamten und Beamtinnen wegen der
Beihilferegelung oder andere privat Versicherte, die sich
zum GKV-Tarif bei einer privaten Versicherung versi-
chert haben –, in denen die Ärztinnen und Ärzte einen
höheren Satz berechnen, der den Patienten und Patien-
tinnen von ihren Kassen nicht erstattet wird, sodass sie
auf den Mehrkosten sitzen bleiben, obwohl sie eigentlich
nur eine medizinisch notwendige Leistung erhalten woll-
ten. Ich muss sagen, dass ich das nicht in Ordnung finde.
Insofern sage ich noch einmal: Wichtig ist, dass die
Ärzte und Ärztinnen für die Qualität ihrer Leistungen
bezahlt werden, unabhängig davon, wie der Patient oder
die Patientin versichert ist. Das ist unsere Haltung dazu.
Eben ist bereits über Einnahmen und Ausgaben ge-
sprochen worden. Richtig ist, dass wir in den Koalitions-
verhandlungen keine Einigung haben erzielen können,
was die Systemfrage anbelangt. Es gibt zwei Modelle,
auf der einen Seite die solidarische Bürgerversicherung
und auf der anderen Seite – ich muss mir abgewöhnen,
Kopfprämie zu sagen – die solidarische Gesundheitsprä-
mie.
– Nur weil ich den Begriff jetzt in Ihrem Sinne benutze,
heißt das nicht, dass ich Ihr System gutheiße.
Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Bürger-
versicherung die richtige Antwort ist. Wir haben auf der
einen Seite ein Einnahmeproblem bei den gesetzlichen
Krankenversicherungen, bedingt durch die hohe Arbeits-
losigkeit, möglicherweise aber auch durch Maßnahmen,
die wir in der letzten Wahlperiode gemeinsam beschlos-
sen haben, zum Beispiel die Minijob-Regelung. Wir müs-
sen überprüfen, welche Auswirkungen diese Regelung
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ch weiß, dass die Finanzierung nicht leicht werden
ird.
ir haben uns beispielsweise auf einen Risikoausgleich
wischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung
erständigt und werden uns darüber hinaus darum küm-
ern müssen, wie wir in der gesetzlichen Pflegeversi-
herung auf der Beitragsseite weiter kommen.
Herr Lanfermann, Sie sind doch gleich an der Reihe.
ann können wir weiter diskutieren.
Ich glaube, dass wir in Zukunft noch viel miteinander
u diskutieren haben. Wenn zwei Koalitionspartner aus
elativ unterschiedlichen Lagern kommen, ist es nicht
infach, sie zusammenzuführen. Die Lösung kann aber
icht darin bestehen, dass die Patienten und Patientinnen
m Ende stärker belastet werden und im Übrigen alles
leibt wie gehabt. Das ist zumindest nicht der Lösungs-
eg, den wir anstreben. Ich bin aber sehr zuversichtlich,
ass wir in den kommenden vier Jahren hier noch zu ver-
ünftigen Ergebnissen kommen werden.
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Leider hat die Ministerin nichts zu den Protes-
en der Klinikärzte gesagt. Ich darf an dieser Stelle sa-
en, dass wir volles Verständnis haben, wenn Menschen
agegen protestieren, dass sie so lange Arbeitszeiten ha-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 265
)
)
Heinz Lanfermann
ben, dass sie zu einer Gefahr für ihre Patienten werden
können. Ich möchte auch daran erinnern, dass es sich
hier immerhin um ein rechtskräftiges Urteil handelt,
das wir umsetzen müssen. Man hat zwei Jahre Über-
gangszeit eingeräumt. Das ist bei einem rechtskräftigen
Urteil sehr viel.
Dann wird gesagt: Wir verlängern die Übergangsfrist
noch um ein weiteres Jahr, danach nicht noch einmal. –
Die Situation ist schwierig.
Ich möchte ferner darauf hinweisen: Es gibt zum Bei-
spiel in Brandenburg Proteste von Ärzten, die wirt-
schaftlich gar nicht mehr in der Lage sind, ihre Praxen
offen zu halten. Sie schaffen das nur noch durch die Ho-
norare der Privatpatienten. Aber das soll ja, wie wir er-
fahren haben, demnächst unterbunden werden. Auch
dazu hätte ich gern etwas von der Ministerin gehört.
Verehrte Kollegin Ferner, dass Sie sagen, die Vergü-
tung der Ärzte muss sich an der Leistung orientieren,
finde ich hervorragend. Sie sind aber eine derjenigen, die
kräftig daran mitgearbeitet haben, dass wir ein Vergü-
tungssystem haben, das niemand mehr versteht. Versu-
chen Sie einmal, jemanden zu finden, der dieses Punkte-
system versteht, bei dem man am Ende des Jahres
weniger als das erhält, von dem man am Anfang des Jah-
res ausgehen konnte.
Wir haben in diesem Lande eine private Versiche-
rung, die funktioniert. Sie geben sich alle Mühe, sie klei-
ner zu machen und abzuschaffen; wir haben für
90 Prozent der Bevölkerung eine Versicherung, die nicht
funktioniert.
Sie versuchen dauernd, durch Verträge zulasten Dritter,
durch Beiträge, die Sie zusätzlich einnehmen wollen,
dieses schwache System aufrechtzuerhalten.
Jetzt möchte ich etwas zur Pflegeversicherung sa-
gen. Das ist der zweite große schwierige Bereich, bei
dem Sie sich nicht geeinigt haben. Es gibt im Koalitions-
vertrag einige Formelkompromisse, die aber nichts tau-
gen. Man hat sich vor gut zehn Jahren für das falsche
System entschieden. Man wollte das kapitalgedeckte
System nicht und Union und SPD haben einvernehmlich
das Umlagesystem durchgesetzt. Heute stehen Sie vor
den Scherben der eigenen Politik und dürfen als Regie-
rungsfraktionen immerhin versuchen, sie gemeinsam zu-
sammenzukehren.
Die Pflegeversicherung ist in dieser Form Ihr Werk,
icht unseres.
823 Millionen Euro Defizit im letzten Jahr sprechen
ür sich. Die Rücklagen sind demnächst aufgebraucht.
ie Auswirkungen des demographischen Wandels wer-
en immer höhere Defizite erzeugen. Der Koalitionsver-
rag bietet erst einmal nichts Konkretes. Sie versprechen
eichlich zusätzliche Leistungen. Darüber kann man dis-
utieren. Sie sagen aber faktisch nichts Konkretes dazu,
ie das finanziert werden soll.
ie sagen wohl – das ist in der Tat interessant –, Sie wol-
en die Ergänzung des „Umlageverfahrens durch kapital-
edeckte Elemente als Demographiereserve“ einführen.
erständliche Sprache und klare Aussagen sind etwas
nderes.
Erstens. Sie wollen auf Dauer am Umlageverfahren
esthalten. Das ist falsch. Das führt in die Irre.
Zweitens. Was heißt schon kapitalgedeckte Ele-
ente? Das hätten wir gern genauer erläutert.
Drittens. Sie wissen, dass der Ansatz zu schwach ist,
enn Sie nicht auf die Kapitaldeckung umsteigen. Der
achverständigenrat sagt Ihnen übrigens dasselbe. Aber
ieses Gutachten nehmen Sie geflissentlich nicht zur
enntnis.
Man kann das System nicht mit einem Ruck wech-
eln. Die FDP tritt schon seit Jahren dafür ein, dass wir
etzt den Umstieg in einen Systemwechsel schaffen, um
ann einen gleitenden Übergang in ein kapitalgedecktes
inanzierungssystem zu erreichen.
as nimmt erstens Druck von den Arbeitskosten, weil
ir die Finanzierung von den Arbeitskosten abkoppeln
ollen. Zweitens macht es die Versicherung konjunktur-
nabhängig. Das war der Fehler, der in den letzten Jah-
en zu diesen Defiziten geführt hat.
Im Koalitionsvertrag ist von einem Finanzausgleich
wischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung
ie Rede. In Wirklichkeit ist die Einbeziehung der priva-
en Versicherung eine Belastung der privat Versicherten.
ie von der Union haben in den Verhandlungen den Zu-
riff auf den Kapitalstock verhindert – das wäre nackte
nteignung gewesen –, aber den Finanzausgleich haben
ie nicht verhindert.
ie wollen die Rücklagen, die in dem einen System ge-
ildet werden sollen, auf das andere System übertragen.
as heißt natürlich nicht: Mehr Freiheit wagen. Viel-
ehr bedeutet das mehr Unfreiheit. Im Grunde genom-
en ist das der Weg in die Bürgerversicherung.
266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Heinz Lanfermann
Da haben Sie von der Union bei den Koalitionsver-
handlungen leider nicht richtig aufgepasst. Ich denke,
Sie werden genug Arbeit damit haben, das wieder zu re-
vidieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Widmann-
Mauz, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Unser Land steht am Beginn einer Reformexpedi-
tion. Doch die Menschen werden nur mit uns gehen,
wenn sie unserem Kurs vertrauen und wir ihrem Ver-
trauen auch gerecht werden.
Vertrauen wächst nur dort, wo ein ehrlicher Umgang
miteinander herrscht. Das gilt im Übrigen nicht nur für
das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bevölke-
rung, sondern auch für das Verhältnis zwischen den Re-
gierungsfraktionen untereinander.
Liebe Frau Ministerin, wir sitzen jetzt im selben Boot.
Wir werden mit diesem Boot nur vorankommen, wenn
wir gemeinsam miteinander und nicht gegeneinander ru-
dern.
In der Gesundheitspolitik gehört zur Ehrlichkeit erst ein-
mal eine nüchterne Analyse der Lage. Überfüllte Warte-
zimmer, Wartezeiten, Praxisschließungen, struktur-
schwache Regionen, in denen sich kein Arzt mehr
niederlassen will, Ärztestreiks und vieles andere mehr
weisen ja auf die Probleme hin, die wir gemeinsam zu
lösen haben.
Es sei mir eine kleine Replik auf Frau Bender gestat-
tet, die von einer Verelendungsstrategie gesprochen hat.
Ich kann nur sagen: Im Jahr 2003 hatte die gesetzliche
Krankenkasse 8,3 Milliarden Euro Schulden, 1998, als
Rot-Grün die Regierung übernommen hat, hatte sie aber
noch Überschüsse. Deshalb würde ich mich an Ihrer
Stelle einmal mit meiner eigenen Vergangenheit aus-
einander setzen, bevor ich denjenigen, die die Probleme
aus dem Weg räumen, schon zu Beginn Vorwürfe ma-
che.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wäre ebenso
falsch – das werde ich auch nicht tun –, die Lage im Ge-
sundheitswesen schlechter zu reden, als sie tatsächlich ist.
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Wir werden sehen, ob das holländische Modell oder
inzelne seiner Elemente Anregungen für Deutschland
arstellen. In jedem Fall werden die Deutschen ein neues
inanzierungssystem daran messen, ob es in der Lage
st, eine hochwertige und wohnortnahe Versorgung zu
ewährleisten, Beitragsbelastungen zwischen starken
nd schwachen Schultern gerecht zu verteilen und nie-
anden finanziell zu überfordern oder gar ohne Versi-
herungsschutz dastehen zu lassen.
Für die Politik muss es darüber hinaus aber noch um
ehr gehen. Die Politik ist verantwortlich dafür, dass
ieses Versicherungssystem nachhaltig, demographiefest
nd somit zukunftsfest gestaltet wird. Zurzeit klafft die
chere zwischen Einnahmen und Ausgaben doch aus-
inander: Trotz der Finanzierungsüberschüsse im ersten
albjahr dieses Jahres lag die Einnahmenentwicklung
m 1,5 Milliarden Euro unterhalb der Ausgabenentwick-
ung. Ursächlich dafür ist ja zum einen die hohe Arbeits-
osigkeit, zum anderen aber auch – insbesondere mit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 267
)
)
Annette Widmann-Mauz
Blick auf die Zukunft – die zunehmende Alterung unse-
rer Gesellschaft. Wenn wir uns weiterhin medizinisch-
technischen Fortschritt für alle leisten wollen, ist es da-
her notwendig, die Finanzierungsseite nachhaltig zu ge-
stalten. Gesundheit ist ein hohes Gut, das seinen Preis
hat. Und der wird nicht auf dem Niveau von gestern ein-
gefroren werden können: Die Gesamtausgaben werden
steigen, wenn wir das individuelle Gesundheitsniveau
behalten und mit dem Fortschritt mitkommen wollen;
das gehört zur Wahrheit dazu. Es wird nicht gelingen,
die Dynamik dieses Sektors allein durch die Ausschöp-
fung von Wirtschaftlichkeitsreserven aufzufangen.
Nun weiß auch ich, dass unser neuer Kollege, der
Professor aus Köln, großen Wert auf die Qualitätssiche-
rung legt und dezidiert der Meinung ist, dass Über-, Un-
ter- und Fehlversorgung abgebaut werden können, wenn
die Qualitätssicherung verbessert wird. Ich persönlich
gehe davon aus, dass es im solidarischen System einen
zielgenaueren Mitteleinsatz nicht ohne einen stärkeren
Einsatz von Kosten-Nutzen-Bewertungen geben wird.
Qualitätssicherung darf aber nicht ständig einherge-
hen mit einer Bürokratie, die die Ärzte auf die Straße
treibt und den Pflegekräften die Zeit für die persönliche
Zuwendung und die Versorgung der Patienten raubt. Die
Arbeit am Patienten darf nicht zugunsten der Arbeit in
der Verwaltung immer weiter eingeschränkt werden. Die
Koalition will Bürger, Wirtschaft und Behörden von ei-
nem Übermaß an Vorschriften entlasten und diese auf
das unbedingt notwendige Maß beschränken.
Neben der Bürokratisierung der Medizin geht es aber
auch um überlange Arbeitszeiten und eine unzurei-
chende Honorierung. Nun kann man hoffen, dass die Ta-
rifvertragsparteien zumindest einen Teil dieser Probleme
lösen werden. Aber es wäre fatal, es dabei zu belassen.
Denn der Protest und die Unzufriedenheit haben ja wei-
tere Ursachen: Budgetierte Honorare und Medikamen-
tenbudgets führen dazu, dass bei planbaren Behandlun-
gen – nicht bei schweren Erkrankungen wie zum
Beispiel bei Krebs – Wartezeiten entstehen. Es ist des-
halb die Aufgabe der Koalition, vom Patienten her zu
denken. Wer krank ist, muss so schnell wie möglich be-
handelt werden können.
Wir müssen die Probleme dort lösen, wo sie entstan-
den sind – und das ist nun einmal nicht in der privaten
Krankenversicherung, sondern in der gesetzlichen. Der
Kassenpatientin, die gynäkologisch untersucht werden
muss, ist nicht geholfen, wenn die Privatpatientin in Zu-
kunft genau so lange auf einen Termin warten muss wie
sie. Nein, Gleichbehandlung, wie sie die Kassenpatientin
will, wird es nur dann geben, wenn die Budgetierung in
der gesetzlichen Krankenversicherung beendet und eine
leistungsgerechte Vergütung eingeführt wird.
Wir jedenfalls wollen, dass Ärzte eine angemessene Ver-
gütung für ihre Leistungen erhalten. Denn nur dann er-
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ir wollen eine Neuordnung der Honorare für Vertrags-
rzte im Sinne einer pauschalierten Vergütung, ähnlich
ie wir es aus dem stationären Sektor kennen, nicht zu-
etzt wegen der angestrebten besseren Verzahnung beider
ektoren über die Integrationsversorgung. Wir wollen
in neues gesetzliches Vergütungssystem, das Schluss
acht mit Punktwerten, die durch Budgetierung ständig
allen. Wir wollen feste, leistungsgerechte Preise für ver-
inbarte Mengen und Qualitäten.
Schließlich wollen wir, dass die Ärzte weiterhin auch
rivat behandeln und privat abrechnen können. Aber da-
ei muss ausgeschlossen werden, dass Menschen, die ei-
en Standardtarif in der privaten Krankenversicherung
aben oder die beihilfeberechtigt sind, obwohl sie jahre-
ang oder jahrzehntelang in das System eingezahlt ha-
en, nicht mehr ärztlich versorgt werden.
s muss doch auch Ihnen ein inneres Bedürfnis sein, die-
es Problem anzugehen. Denn viele Menschen sind aus
irtschaftlicher Not gezwungen, in den Standardtarif zu
echseln.
eshalb müssen wir für diese Gruppe eine Lösung fin-
en. Das steht im Koalitionsvertrag; das haben wir ent-
egen allen anders lautenden Meldungen vereinbart –
icht mehr, aber auch nicht weniger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dass
lte Menschen, sozial Schwache und Kranke sich auch
n Zukunft auf die sozialen Sicherungssysteme verlassen
önnen. Gerade als Christlich-Demokratische und als
hristlich-Soziale Union sehen wir uns in der Pflicht, al-
es zu tun, damit sich unsere solidarische Gesellschaft zu
iner Verantwortungsgesellschaft weiterentwickeln
ann, in der Eigenverantwortung und Verantwortung für
ndere wieder zusammenkommen.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
iegen uns nicht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 16/39 und 16/46 an die in der Tages-
rdnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
ie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
ie Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zum Themenbereich Ernährung,
andwirtschaft und Verbraucherschutz.
268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Außerdem rufe ich Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus den Fleischskandalen: Um-
fassende Verbraucherinformation und bessere
Kontrollen
– Drucksache 16/111 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die gesundheitliche Unbedenklichkeit aller Le-
bensmittel hat Priorität.
Dieser Satz aus dem Koalitionsvertrag hat schneller ak-
tuelle Bedeutung erhalten, als es einem lieb sein kann.
Deshalb möchte ich mit diesem Thema beginnen.
Im Namen der ganzen Koalition und der Bundes-
regierung möchte ich klar feststellen, dass die Miss-
stände im Fleischhandel in keiner Weise akzeptabel und
durch nichts zu rechtfertigen sind. Die Bundesregierung
und die Koalition werden diesen gewissenlosen Ge-
schäftemachern mit aller Entschiedenheit entgegentre-
ten.
Ich habe gestern dem zuständigen Ausschuss des
Deutschen Bundestages ein Maßnahmenpaket zur Be-
kämpfung der Missstände im Fleischhandel vorgestellt.
Dieses Maßnahmenpaket umfasst ein Zehnpunkte-
sofortprogramm, angefangen bei der Verbesserung des
Informationsflusses zwischen Bund und Ländern über
die Ausweitung von Meldepflichten bis hin zur Verbes-
serung bei den Kontrollen. Unabhängig von diesem
Zehnpunktesofortprogramm werden wir in den kom-
menden Wochen auf höchster politischer Ebene gemein-
sam mit den Bundesländern eine weitere Zehnpunkte-
liste abarbeiten, von der wir uns eine durchgreifende
Verbesserung der bestehenden Strukturen versprechen.
Für die Lebensmittelüberwachung in Deutschland
heißt das: Wir wollen einerseits die Vorteile des Födera-
lismus, nämlich die Nähe zur Produktion und zur Ver-
arbeitung, nutzen. Denn ich halte nichts davon, Kontrol-
len und Überwachungen zu zentralisieren und aus der
Zuständigkeit der Länder herauszunehmen.
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ndererseits wollen wir die Schwächen des Föderalis-
us, nämlich die mangelnde Koordination und Kommu-
ikation zwischen den zuständigen Behörden, beseiti-
en. Für mich war es nicht ganz erklärlich, um nur ein
leines Beispiel zu nennen, dass es bis zum Wochenende
ein automatisiertes Verfahren zwischen den Ländern
nd dem Bund gab, damit der Bund mit seinen zuständi-
en Behörden automatisch über solche Vorkommnisse
nterrichtet wird.
In diesen Tagen ist oft vom Verbraucherinforma-
ionsgesetz die Rede gewesen, und zwar nach dem
otto „Hätte man im Bundesrat zugestimmt, gäbe es
eute eine ausreichende Information der Öffentlichkeit“.
achdem ich Zeit hatte, zu recherchieren, muss ich fest-
alten: Die Dinge, die von den Behörden an die Öffent-
ichkeit gegeben worden sind, standen auf Betreiben und
it Zustimmung der Grünen im Gesetz, nämlich dass
ie Behörden bei gesundheitlichen Risiken sowie bei
chwer wiegenden Täuschungs- und Ekelfällen die Öf-
entlichkeit auch über den Namen der Firma unterrichten
önnen. Das ist in einem Fall, nämlich bei der Firma Do-
enz aus NRW, so geschehen. Es steht aber im gleichen
esetz, dass die Namensnennung von Firmen dann
icht mehr möglich ist, wenn die Erzeugnisse nicht mehr
m Markt vorhanden oder bereits verbraucht worden
ind.
Der Richtigkeit halber möchte ich hier erstens noch
inmal feststellen, dass diese gesetzlichen Regelungen
wie mir aufgeschrieben worden ist – insbesondere von
en Grünen mitgetragen worden sind.
ie Aussage, der schlimme Bundesrat habe das verhin-
ert, ist unsinnig. Sie haben das vor der Wahl in Nord-
hein-Westfalen im Vermittlungsausschuss nicht moniert
nd auch keinen entsprechenden Gesetzentwurf mehr
ingebracht.
Zweite Feststellung. Es gab in der zuständigen Ar-
eitsgruppe des Vermittlungsausschusses ein völliges
invernehmen bezüglich der so genannten passiven Be-
eiligung der Bürger, nämlich des Akteneinsichtsrechts.
s gab dort eine Einigung. Nach der Wahl in Nordrhein-
estfalen haben Sie das parlamentarisch nicht mehr
eiterverfolgt. Auch das ist Realität. Deshalb geht der
tändige Hinweis der Grünen, es sei an der Union ge-
cheitert, schlicht und einfach ins Leere.
Wir werden das Verbraucherinformationsgesetz wie-
er einbringen und dafür sorgen – dabei bitte ich um die
nterstützung des Parlaments –, dass es auf der einen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 269
)
)
Bundesminister Horst Seehofer
Seite vernünftige Informationsmöglichkeiten für die
Bürger hinsichtlich gesundheitsgefährdender Produkte
gibt und dass es bei solchen gewissenlosen kriminellen
Tätern auch zu Namensnennungen kommen kann. Auf
der anderen Seite müssen bürokratische Unsinnigkeiten
vermieden werden; denn wir können ja nicht einerseits
in der Koalitionsvereinbarung schreiben, dass wir für
Entbürokratisierung sind, und andererseits ein Ver-
braucherinformationsgesetz erlassen, welches ein büro-
kratisches Ungeheuer ist. Es geht also um einen wirksa-
men Verbraucherschutz verbunden mit der Vermeidung
von Überbürokratisierung in unserem Lande.
Ich möchte einen zweiten Punkt nennen, der in der
letzten Woche eine große Rolle gespielt hat und den ich
mit dem Stichwort „Perspektive für ein europäisches
Agrarmodell“ überschreiben will. Manche schmunzeln
ja bei den Worten „Vereinbarung über die Zucker-
marktordnung“. Im Grunde ging es bei dieser letzten
Reform einer Agrarmarktordnung in Europa darum, das
europäische Agrarmodell gewissermaßen zukunftsfähig
zu machen. Auf der einen Seite soll es den Anforderun-
gen des Weltmarktes und der Entwicklungsländer im
Hinblick auf die WTO gerecht werden, auf der anderen
Seite sollen aber auch die Interessen unserer Landwirte
und der Agrarwirtschaft in Deutschland berücksichtigt
werden.
Ich glaube, mit der Einigung über die Zuckermarkt-
ordnung ist es gelungen, die deutschen Interessen, die
Interessen unserer Landwirte und die Interessen der
Agrarwirtschaft, ebenso zu berücksichtigen wie die An-
forderungen, die sich aus dem Welthandel und den Inte-
ressen der Entwicklungsländer ergeben. Das ist das
europäische Agrarmodell der Zukunft: Beide Interessen-
lagen müssen so in einen Ausgleich gebracht werden,
wie dies bei der Zuckermarktordnung einvernehmlich
geschehen ist.
Ich möchte eine dritte Maßnahme aus dem Bereich
unseres Ressorts nennen: Uns geht es um eine Politik
der Verlässlichkeit. Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen, ich betrachte die drei Zuständigkeitsbereiche des
Ministeriums – Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz – als gleichgewichtige Bestandteile, die nicht
im Gegensatz zueinander stehen. Diese drei Bestandteile
werden von uns auch gleichgewichtig behandelt. Den al-
ten Gegensatz zwischen der Landwirtschaft und dem
Verbraucherschutz, den es in den letzten sieben Jahren
bei meiner Vorgängerin gab, sehen wir als nicht gegeben
an.
Es ist unsinnig, einen Gegensatz zwischen der Land-
wirtschaft und dem Verbraucherschutz herzustellen. Die
deutsche Landwirtschaft steht im Dienste des Verbrau-
cherschutzes. Deshalb werde ich alles in die Waagschale
werfen, um die Diskriminierung der Landwirtschaft
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Ich möchte einen neuen Gesellschaftsvertrag zwi-
chen der Politik und der Agrarwirtschaft in ihrer Ge-
amtheit. Dort gibt es immerhin 4 Millionen Beschäf-
igte. Der Anteil an der Wertschöpfung in unserem Land
eträgt etwa 7 Prozent. Ich möchte, dass die drei Funk-
ionen der deutschen Bauern auch im Rahmen der
oexistenz zwischen dem ökologischen Landbau und
er konventionellen Landbewirtschaftung so ausgestaltet
erden, dass unsere Landwirte in Deutschland wieder
ine Perspektive haben: die Funktion als Nahrungsmit-
elproduzent, die Funktion als Landschaftspfleger und
ie Funktion als Rohstoffproduzent, als Energiewirt, wie
ie Fachleute sagen. Ich finde, alle drei Funktionen zu-
ammen sind für uns volkswirtschaftlich unentbehrlich,
eshalb ich sehr für eine Achtung der Gesellschaft ge-
enüber den Leistungen der Landwirtschaft werbe. Es ist
ür die Entwicklung des ländlichen Raumes unerlässlich,
ass wir den Landwirten in Deutschland wieder eine
erspektive geben.
In der Koalition haben wir vereinbart, dass wir eine
trategie zur Entwicklung des ländlichen Raumes for-
ulieren. Ich werde in enger Abstimmung mit den Koa-
itionsfraktionen dazu Mitte des nächsten Jahres einen
roßen Kongress in Berlin veranstalten, auf dem wir
ber all diese Fragen, wie der Entwicklung des ländli-
hen Raumes und die Funktion der Landwirtschaft, ei-
en intensiven Dialog führen.
Ich werde darüber hinaus alle Anstrengungen unter-
ehmen, die Wachstums- und Entwicklungspotenziale
m Zusammenhang mit den nachwachsenden Rohstof-
en auszubauen. Ich bin seit jeher ein großer Verfechter
er Nutzung der Biomasse. Bevor wir Windkrafträder in
egionen aufstellen, in denen der Wind nie bläst, ist es
iel besser, die Biomasse stärker zu fördern.
as ist deshalb besser, weil die Biomasse als grundlast-
ähig geeignet und in der Lage ist, andere Energieträger,
um Beispiel fossile Energieträger, zu ersetzen und nicht
ur zu ergänzen. Gerade bei der Nutzung regenerativer
nergien sollten wir viel stärker darauf achten, welche
nergieträger grundlastfähig sind und damit herkömmli-
he Energieträger ersetzen und nicht nur ergänzen kön-
en.
Für die Landwirtschaft gilt ganz besonders das Ge-
amtziel der Koalition, nämlich der Bürokratieabbau.
ch habe die Mitarbeiter meines Hauses beauftragt, eine
270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Bundesminister Horst Seehofer
Aufstellung zu machen, in welchem Umfange in den
letzten Jahren bei der Umsetzung von EU-Richtlinien
oder internationalem Recht in Deutschland noch drauf-
gesattelt wurde, was zu einem großen Bürokratieauf-
wand geführt hat. Ich dachte immer, dass die Bürokratie
im Gesundheitswesen, mit der ich bisher, Wolfgang
Zöller, konfrontiert war, nicht mehr steigerungsfähig sei.
Aber ich höre jetzt aus Gesprächen mit den Bauern in
Deutschland, dass in den letzten sieben Jahren in der
Landwirtschaft eine gigantische Bürokratie installiert
worden ist. Deshalb müssen wir uns gemeinsam anstren-
gen, nicht nur in der Zukunft die Richtlinien eins zu eins
umzusetzen, sondern auch einen Blick in die Vergangen-
heit zu werfen, um festzustellen: Was können wir an bü-
rokratischen Ungeheuern aus der Vergangenheit beseiti-
gen?
Das Amt des Bundesministers für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz auszuüben macht un-
geheuer Freude und ist spannend. Es hat mit sehr interes-
santen Themen zu tun, wie Lebensmittel, Lebensraum,
Lebensgrundlagen und Lebensqualität. Es geht also um
die unmittelbare Lebenssituation der Menschen im länd-
lichen Raum. Das macht mir eine Menge Freude.
Deshalb möchte ich mit einem Satz von Erich Kästner
schließen, der einmal gesagt hat:
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Ich möchte Sie einladen: Tun wir etwas Gutes für unsere
Verbraucher und für die Landwirtschaft.
Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDP-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich schließe mich nahtlos an, Herr Minister.
Lassen Sie uns das Gute gemeinsam tun, damit wir in
diesem Bereich für die Menschen in Deutschland insge-
samt erfolgreich sind. Aber, Herr Minister, Sie müssen
es auch wirklich tun und nicht nur davon reden. Ich
glaube, ich werde den einen oder anderen Widerspruch
zwischen dem aufzeigen, was Sie gesagt haben, und
dem, was bis jetzt festgeschrieben wurde.
Die FDP wird ihre klare Linie des unternehmerischen
Landwirtes, der leistungsfähigen Ernährungswirtschaft
und eines klugen und intensiven Verbraucherschutzes
genau so fortsetzen, wie sie das in der letzten Legislatur-
periode getan und damit für die Agrarwirtschaft, die Er-
nährungswirtschaft in Deutschland, ja in der Welt die
richtigen Weichen gestellt hat.
Sehr geehrter Herr Minister, eine Anmerkung sei mir
erlaubt: Als ich vor einiger Zeit Ihren Erfolg im Zusam-
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Es war die Originalidee der FDP:
ine Preissenkung in Verbindung mit einem 60-prozenti-
en Ausgleich. Dass jetzt ein Ausgleich in Höhe von
4 Prozent beschlossen worden ist, begrüße ich. Der
ahrheit halber muss ich aber hinzufügen, dass Norbert
chindler mir damals – im übertragenen Sinn – fast an
en Kragen gegangen wäre.
Ich begrüße es sehr, dass Sie jetzt darangehen, das bü-
okratische Monstrum, das auf der Agrarwirtschaft las-
et, zu entflechten. Aber dann seien Sie bitte auch konse-
uent! Hampeln Sie bei der Altersgrenze für BSE-Tests
icht wieder herum!
ir waren auf dem Weg zu einer europäischen Lösung,
ie vorsah, das Testalter zu erhöhen. Sie wollen aber an
en 24 Monaten festhalten. Das schadet dem Unterneh-
ensstandort Deutschland und der Agrarwirtschaft. Da-
it sind Sie auf dem falschen Weg.
Wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag das Ziel formu-
ieren, Bürokratie abzubauen – es ist übrigens interes-
ant, dass Sie zu den Koalitionsvereinbarungen nicht
ehr viel gesagt haben –, dann wundere ich mich da-
über, dass Sie ein Prüf- und Genehmigungsverfahren
ür Stalleinrichtungen einführen wollen. Das ist doch
in klassischer Fall von Bürokratieaufbau.
Sie sprechen davon, dass Sie die Bauern entlasten
ollen. Da frage ich mich, wie diese Entlastung im Zu-
ammenhang mit der Mehrwertsteuer aussieht. Erstens
rifft sie die Bauern als Verbraucher und zweitens belas-
et sie diese in Millionenhöhe, und das bei den Defiziten,
ie sich jetzt durch die Pauschalierung ergeben.
Ich kann Sie nur auffordern, Herr Minister, den Wor-
en konkret und mit großem Mut die richtigen Schritte
in zu mehr Freiheit in diesem Bereich folgen zu lassen.
Lassen Sie mich noch ein wichtiges Thema anspre-
hen, zu dem sich auch die Kollegin Connemann heute
eäußert hat, und zwar den Wegfall der Mineralölsteu-
rbefreiung. Trägt Herr Steinbrück diese Regelung, die
ie jetzt offenbar auf den Weg gebracht haben, mit? In
en Koalitionsvereinbarungen steht etwas anderes. Aber
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 271
)
)
Hans-Michael Goldmann
der Kollege Schindler hat bereits darauf hingewiesen,
dass der Koalitionsvertrag in diesem Punkt nicht gilt.
Ist Herr Steinbrück bereit, auf 1,7 Milliarden Euro ab
2007 zu verzichten oder ist eine Lösung in Sicht, die
dazu führt, dass der Verbraucher über höhere Mineralöl-
preise eine Kostenlast auferlegt bekommt und es im
Kern nicht zu dem kommt, was sich die Bauern als Ener-
giewirte von diesem Bereich versprechen?
Es bleibt noch eine Menge zu tun und das werden wir
in den Fällen, in denen wir Gemeinsamkeit herstellen
können, angehen. Aber das, was im Koalitionsvertrag
dazu enthalten ist, ist eine glatte Enttäuschung für all
diejenigen, die die Weichen zugunsten eines starken un-
ternehmerischen Landwirts stellen wollen, wie Sie es an-
gesprochen haben.
Lassen Sie mich noch etwas zum Fleischskandal
ausführen. Ich habe sicherlich zu dieser Branche eine be-
sondere Beziehung. Aber ich wünschte mir, Herr Minis-
ter, dass Sie nicht von Missständen im Fleischhandel,
sondern von einigen Unternehmern im Fleischhandel
sprechen, deren Vorgehen völlig daneben ist. Es gibt
keine Mafia in dieser Branche, sondern es gibt dort zu
meinem sehr großen Bedauern Unternehmer, die die an-
deren in dieser Branche, die sich um höchste Qualität be-
mühen, auf unerträgliche Weise diskreditieren. Darin bin
ich mit Ihnen völlig einer Meinung.
Aber auch dazu kann ich Sie nur auffordern: Lassen
Sie Ihrem Zehnpunkteprogramm konkrete Schritte fol-
gen! Verzichten Sie auf Ankündigungen. Sonst sind in
der Presse wieder ähnliche Formulierungen zu lesen wie
heute: „Zukünftig wird“, „Es könnte sein“ oder „Wir
wollen das und das“.
Ich bin sehr für Zusammenarbeit in dieser Frage, aber
wir sollten dann auch die Schritte gehen, die jetzt schon
möglich sind. Im Bereich der Namensnennung von Un-
ternehmen haben Sie schon jetzt alle Chancen.
Wir wollen ein Verbraucherinformationsgesetz, das
dazu beiträgt, die Stellung des Verbrauchers zu stärken,
aber auch dazu, uns eine überbordende Bürokratie zu er-
sparen. In allen Fragen, bei denen es darum geht, die
deutsche Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft so-
wie den Verbraucherschutz besser zu stellen, finden Sie
uns an Ihrer Seite.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der Koalitionsvertrag steht. Ich möchte im Hin-
blick auf den Bereich Verbraucher und Agrar deutlich
sagen, dass wir nicht nur die Verhandlungen auf gleicher
Augenhöhe geführt haben, sondern auch ein Ergebnis er-
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Dass Herr Seehofer gleich zu seiner Amtseinführung
it einem Lebensmittelskandal konfrontiert wurde,
eigt, dass wir ständig mit Herausforderungen zu rech-
en haben und sehr schnell reagieren müssen. Die Ant-
ort kann in diesem Fall nur ein umfassendes Verbrau-
herinformationsgesetz sein. Mein Kollege Ulrich
elber wird darauf noch näher eingehen.
Der wirtschaftliche Verbraucherschutz wird als
uerschnittsaufgabe ebenfalls auf unserer Agenda ste-
en. Stichwort Telekommunikation: Ein Mehr an Preis-
ransparenz ist notwendig. Dabei müssen wir den Ju-
endschutz ganz gezielt unter die Lupe nehmen. Schon
o mancher Familie ist die Neugier ihres Sprösslings
euer zu stehen gekommen. Familien brauchen mehr
chutz.
chon in der letzten Legislaturperiode haben wir ein-
elne Vereinbarungen getroffen. Ein Beispiel ist die
elbstverpflichtung der Anbieter zu Jugendschutzklau-
eln in Handyverträgen. Aber der Jugendschutz und die
llgemeinen Regeln des Vertragsrechtes zum Schutz von
ugendlichen und Kindern müssen im Telekommunika-
ionsbereich uneingeschränkt gelten. Klingeltöne und
ogos dürfen nicht zur Schuldenfalle für Familien wer-
en.
Stichwort Fahrgastrechte: Mit der „Qualitätsoffen-
ive öffentlicher Personenverkehr“ haben wir bereits in
en vergangenen Jahren eine umfassende Bestandsauf-
ahme der Fahrgastrechte begonnen. Die Bahn hat sich
ereits in ihrer Kundencharta zu verbindlichen Kunden-
echten verpflichtet. Das ist gut und richtig. Öffentlicher
ersonenverkehr ist aber mehr als nur die Bahn. Ich
enne den Flugverkehr als Beispiel. Wir wissen, dass
uch hier die Passagiere auf umfassende und verlässliche
undenrechte warten.
Verbraucherrechte und Verbraucheraufklärung blei-
en uns wichtig. Deshalb werden wir weiterhin eine
nabhängige Verbraucherberatung ermöglichen. Dies
aben wir im Koalitionsvertrag festgehalten.
Energieversorgung und Energiepreise spielen für
erbraucherinnen und Verbraucher im täglichen Leben
272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Waltraud Wolff
eine entscheidende Rolle; das wissen wir alle. Gerade
bei den explodierenden Preisen für fossile Energieträger
ist es umso wichtiger, dass auch die neue Bundesregie-
rung auf regenerative Energien setzt. Die letzten sieben
Jahre haben gezeigt, dass die günstigen Rahmenbedin-
gungen für Biokraftstoffe die Grundlage für einen neuen
Markt bereitet haben. Wir alle kennen diesen Markt und
sind froh darüber, dass wir hier Arbeitsplätze nicht nur
im ländlichen Raum gesichert haben. Mit dem Ausbau
der erneuerbaren Energien haben wir einen neuen Wirt-
schaftszweig in Gang gesetzt. Wir haben ihn nun wieder
auf die Agenda gesetzt und werden ihn voranbringen.
Die Aussagen aller Fraktionen zur Besteuerung von
Biotreibstoffen sind – Herr Goldmann hat das eben an-
gesprochen – übereinstimmend und eindeutig.
Klar ist sicherlich, dass steuerlichen Überkompensatio-
nen begegnet werden muss. Das verlangt auch das EU-
Recht. Aber wir wollen Planungssicherheit vom Erzeu-
ger bis zum Vertreiber.
Außerdem gilt es die Klimaschutzziele einzuhalten. Das
geht natürlich nur, wenn wir die Position der erneuerba-
ren Energien im Energiemix weiterhin stärken.
Von daher ist es ganz besonders wichtig, dass wir nicht
zu einer Einheitsbesteuerung von reinem Biokraftstoff
und beigemischten Biokraftstoffen kommen. Wenn eine
sofortige Besteuerung von reinen Biokraftstoffen greifen
würde, würden wir einem im Aufschwung befindlichen
Wirtschaftszweig empfindlich schaden. Das wollen wir
alle nicht.
Für Landwirte wie auch für Verbraucherinnen und
Verbraucher werden in der landwirtschaftlichen Produk-
tion Tier- und Umweltschutz weiterhin groß geschrie-
ben bleiben. Bauern können durch ihr Engagement im
Bereich des Vertragsnaturschutzes Einkommensalterna-
tiven nutzen. An dieser Stelle ist es wichtig, dass sie
auch ihr Engagement zeigen, um die Akzeptanz in der
Bevölkerung zu erlangen.
Die Grüne Gentechnik bewegt nach wie vor alle Ge-
müter. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, die EU-Frei-
setzungsrichtlinie endlich und schnellstmöglich umzu-
setzen. Wir als SPD werden auch in Zukunft dafür
stehen, dass wir beim Erlangen dieser Ziele wichtige
Größen nicht aus den Augen verlieren.
Ich nenne da die Koexistenz zwischen dem Gentechnik-
anbau und dem gentechnikfreien Anbau. Wir wissen,
80 Prozent der Bevölkerung lehnen den Einsatz von
Gentechnik in der Lebensmittelwirtschaft ab. Wir haben
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Wir werden auch darauf bestehen, dass eine Reform
er agrarsozialen Sicherungssysteme sozial und gerecht
estaltet wird. Zusätzliche Beitragsbelastungen werden
iele nicht schultern können.
Zum Fleischskandal nur so viel: Verlässliche Infor-
ationen sind wichtig. Noch besser wäre allerdings ein
orsorglicher Handlungsansatz, zum Beispiel über Zerti-
izierungen von Erzeugerketten „vom Stall bis zur
heke“. Hier sind Industrie und Behörden gefragt.
Dass Infektionskrankheiten bei Nutztieren im Koali-
ionsvertrag gar keine Rolle spielen, ist angesichts der
ktuell sehr drastischen Maßnahmen gegen die Ein-
chleppungsgefahr der aviären Influenza sehr verwun-
erlich. Der globale Handel stellt eine permanent beste-
ende Gefahr für unsere Tierbestände dar. Es sollte
aher geprüft werden, ob ausreichende personelle und fi-
anzielle Ressourcen für diesbezügliche Risikobewer-
ungen und ein reaktionsfähiges Krisenmanagement ver-
ügbar sind.
Zur BSE hat Herr Goldmann bereits einiges gesagt.
uch darüber wird man sprechen müssen.
Am Ende ist uns vor allem eines wichtig: Wir müssen
uch im ländlichen Raum Politik für die Menschen und
it den Menschen machen.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Dr. Kirsten Tackmann
Frau Kollegin Tackmann, ich gratuliere Ihnen im Na-
men des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im deut-
schen Parlament und wünsche Ihnen persönlich und für
Ihre berufliche Laufbahn alles Gute.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister Seehofer, meine Herren Staats-
sekretäre Lindemann, Paziorek und Müller, erst einmal
möchte ich Ihnen zum neuen Amt gratulieren; so viel
Zeit muss sein.
Auch Erfolg wünsche ich Ihnen. Die Grünen kämpfen
seit vielen Jahren für
gute Lebensmittelproduktion, mehr Verbraucherschutz
und Arbeitsplätze in ländlichen Räumen. Dafür stand
auch unsere Ministerin Künast.
Für diese auch grünen Politikziele wünsche ich Ihnen
viel Erfolg.
Die erste Bewährungsprobe für Sie ist jetzt der
Fleischskandal. Frau Merkel hat gestern ausführlich for-
muliert, was sie will: „mehr Freiheit wagen“. Da wollen
wir doch mal sehen, wessen Freiheit gemeint ist, die der
Fleischpanscher oder die der Verbraucher.
Wir fordern Informationsfreiheit für die Verbraucher
und Herr Minister Seehofer, mit Geschichtsklitterung
kommen Sie bei uns nicht durch.
Zweimal hat der Bundesrat unser Verbraucherinforma-
tionsgesetz abgelehnt. Bei den Formulierungen, die Sie
eben zitiert haben, handelt es sich um die Ergebnisse der
Arbeitsgruppe. Für dieses Recht auf Information durch
die Behörden musste man die CDU – Herr Goldmann
nickt; daran können Sie sehen: ich habe Recht –
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Wir unterstützen Sie auch gern bei den Maßnahmen,
um Beispiel bei der Rückverfolgbarkeit. Ich nenne nur
inmal die Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Regelung.
chon bei der ersten Gelegenheit haben Sie dieses Prin-
ip verlassen. Dafür habe ich übrigens Verständnis. Na-
ürlich gibt es von uns auch Unterstützung bei den Sank-
ionsverschärfungen. Selbstverständlich tun wir das,
enn etwas Gutes gemacht wird. Dafür bringen wir
eute den Antrag ein; ein Gesetzentwurf wird folgen.
Den Glaubwürdigkeitsbeweis müssen Sie antreten.
as gilt übrigens für die gesamte Palette. Es heißt ja
etzt: Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
o ein Unsinn mit der Umbenennung! Dafür, dass die
rei Wörter umgestellt werden, müssen der Name des
usschusses, alle Briefköpfe, Stempel und Briefum-
chläge geändert werden. Das ist wahrscheinlich der
raxisbeweis für Entbürokratisierung und dann eben
uch für Haushaltskonsolidierung von Schwarz-Rot.
Das war ein qualitativer Unterschied. Ihr habt doch nur
ie gleichen Begriffe umgestellt. Das wollen wir mal se-
en!
Ansonsten kann ich zum Koalitionsvertrag nur sagen:
a droht eine Politik gegen die Landwirtschaft und ge-
en die Verbraucher.
Das Erste, was da nun massiv einschlägt, ist die Steu-
rerhöhung. Schon jetzt sind die Verbraucher und der
ittelstand hochgradig verunsichert. Dagegen war das,
as von Ihnen vorher angeklagt wurde, nur ein harmlo-
es Wehen. Die Verunsicherung sieht man übrigens sehr
eutlich an den Wirtschaftsdaten. Diese massive Steuer-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 275
)
)
Ulrike Höfken
erhöhung wird sich massiv auf den Lebensmittelmarkt
auswirken. Nehmen wir einmal die Berechnungen aus
der „Zeit“: über 4 000 Euro Mehrbelastung für eine Fa-
milie mit zwei Kindern. Das ist irre und vollkommen un-
sozial und es erhöht den Druck auf die Lebensmittel-
preise; denn damit werden die Discounter mit ihrer
Vermarktung nach dem Motto „Geiz ist geil“ gestärkt.
Das ist Ihre Politik.
Da nutzt das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis
gar nichts.
Und die pisseligen paar Euro, die durch die Lohnne-
benkostenentlastung hereinkommen, können Sie sich in
die Haare schmieren.
In Landwirtschaft und Handel kann dafür kein Mensch
zusätzlich eingestellt werden. Da wären Potenziale vor-
handen.
Der Ökolandbau und die regionale Qualitätsproduk-
tion werden wieder in die Nische gedrängt und als Spiel-
wiese diffamiert. Dabei haben sich gerade diese Berei-
che als Jobmotor entwickelt. Da war Innovation; dort
sind 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wor-
den.
„Freiheit wagen“; kommen wir darauf einmal zurück.
Darunter versteht Frau Merkel wohl die ungehemmte
Aktionsfreiheit für die Konzerne im Gentechnikbereich.
Wir wollen gentechnikfreie Lebensmittel; dafür brau-
chen wir die Freiheit. Wir versprechen Ihnen, dass wir
auf die Barrikaden gehen, wenn Sie diese Freiheit durch
eine Verschlechterung des Gentechnikgesetzes aufs
Spiel setzen.
Zu den Biokraftstoffen. Auch da haben Sie ein Meis-
terstück vollbracht. Mit dem Koalitionsvertrag nehmen
Sie den Bauern die unternehmerische Freiheit, sich de-
zentral einen Markt zu erarbeiten, wie sie es bisher
konnten. Stattdessen geben Sie den Mineralölkonzernen
die Macht über Preisgestaltung und Markt. Sie erhöhen
die Spritpreise aus Biokraftstoffen und behindern damit
eine umweltfreundliche Innovation. Das werden wir
nicht hinnehmen.
Wir verlangen von Ihnen, Herr Minister Seehofer, dass
Sie eine Änderung des Koalitionsvertrages durchsetzen
und die Steuerfreiheit für die Biokraftstoffe beibehalten.
Beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz – sowohl
im Telekommunikationsbereich als auch in Bezug auf
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– und dem Verbraucherschutz eine Chance! Unter-
tützen Sie die nachhaltige Landwirtschaftspolitik, statt
ie zu verspielen! Dann werden wir sicher Gemeinsam-
eiten finden.
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Auch von meiner Seite zunächst einmal herzli-
hen Glückwunsch an den Bundesminister zu seiner Er-
ennung. Herzlichen Glückwunsch auch an die Kollegin
öfken zur offensichtlichen Belegung eines Seminars in
ppositionsrhetorik!
Die Geschichte mit der zweimaligen Umbenennung
es Ministeriums erinnert mich ein bisschen an meine
eimatstadt: Als 1994 Rot-Grün die Kommunalwahlen
ewonnen hatte, musste unbedingt der Verkehrsaus-
chuss umbenannt werden. Als 1999 Schwarz-Gelb ge-
ann, musste er wieder umbenannt werden. In beiden
ällen war es übrigens die erste Maßnahme, einmal vor-
eschlagen von den Grünen, das andere Mal vorgeschla-
en von der CDU. 2004 musste der Ausschuss wieder
276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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Ulrich Kelber
umbenannt werden; es war wieder der erste Vorschlag
der Grünen. In dieser Frage geben sich CDU und Grüne
nicht so viel.
Entscheidend ist: Deutschland braucht endlich und
zügig ein Verbraucherinformationsgesetz. Dann kann
man auch nachlesen, wer was vorgeschlagen hat. Des-
wegen ist es zu Recht einer der Kernpunkte der Koali-
tionsvereinbarung im Bereich Ernährung, Landwirt-
schaft, Verbraucherschutz. Der Skandal um das so
genannte Gammelfleisch, den wir jetzt hatten, zeigt, dass
insbesondere die Möglichkeit zur Benennung schwarzer
Schafe der entscheidende Punkt ist, und zwar nicht nur
aus Sicht der Verbraucher, sondern auch aus Sicht der
Behörden und vor allem der betroffenen Wirtschaft. Ich
freue mich daher besonders über die klare Ankündigung
einer Mehrheit für die Einführung eines Verbraucher-
informationsgesetzes, nicht nur von Bundesminister
Seehofer, sondern zum Beispiel auch von Landesminis-
ter Schnappauf.
Die Einbringung kann und muss schnell erfolgen,
denn die Vorarbeiten sind längst erledigt. Es hat 2002
und 2005 die entsprechenden Initiativen gegeben. Der
Deutsche Bundestag hat eine solche Gesetzgebung vor-
genommen; sie ist nur nie in Kraft getreten.
Es war in der Tat der Bundesrat, der beide Initiativen
aufgehalten hat. Ich war gerade kurz unsicher und habe
deswegen den Koordinator der SPD-Seite im Vermitt-
lungsausschuss gefragt: Wie war denn das nach der
Landtagswahl in NRW? Er sagte mir noch einmal, Bay-
ern, Baden-Württemberg und die FDP – auch eine inte-
ressante Troika; nicht nur in der SPD gibt es Troikas –
hätten klar angekündigt: Wenn ihr das weiter verfolgt,
werden wir das im Bundesrat scheitern lassen.
Das heißt, wir hatten zweimal die Möglichkeit und ha-
ben sie zweimal nicht genutzt. Aber auch hier eröffnet,
um mit Frau Merkel zu sprechen, die große Koalition
neue Möglichkeiten. Jetzt gibt es eine klare Mehrheit.
Ich erwähne das nur deswegen, weil sich manche Bun-
desratsvertreter in der Zeit der Not – bei einem Skandal,
der zeigt, dass man eigentlich dieses Gesetz gebraucht
hätte – in der Geschichte etwas vertan haben und der
Bundesminister von diesen Irrungen einiger Bundesrats-
vertreter aus dem Süden unserer Republik nicht völlig
unbeeindruckt geblieben ist.
Neben den Verbrauchern – ich habe das gerade kurz
erwähnt – ist es natürlich die große Zahl der ehrlichen
und verantwortlich handelnden Unternehmen, die darauf
besteht, dass wir ein solches Gesetz schaffen. Wenn man
mit diesen Unternehmen – auf sie wird bei dem Skandal
in diesen Tagen wenig geachtet – spricht, dann erfährt
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Es muss aber eine sehr umfangreiche Benennung sein
nicht nur die, die wir heute haben –, und zwar aus ei-
em einfachen Grund: Es nützt nichts, nur zu sagen, man
ürfe im Augenblick das Produkt xy nicht kaufen oder
ie Dienstleistung xy – auch das gehört bei einem etwas
bergreifenden Verbraucherinformationsgesetz dazu –
icht in Anspruch nehmen. Vielmehr muss ein Druck
ntstehen, damit auch innerhalb der Wirtschaftskette
ehr auf Qualitätskontrolle, mehr auf Selbstkontrolle
ert gelegt wird. Das ist dann der Fall, wenn man mit
olch einer Sanktion rechnen muss, falls man diese Ware
eiterverarbeitet. Deswegen kann man, wenn ein Unter-
ehmen von Preisen profitiert, die eigentlich nicht real
ind, verlangen, dass eine Qualitätseingangskontrolle
urchgeführt wird, wie das bei vielen Unternehmen
ängst üblich ist. Das muss bei jedem einzelnen Unter-
ehmen in der Breite erreicht werden. Und die Branche
elbst muss natürlich ebenfalls solche Selbstkontrollen
inführen.
In den Medien wurde diese Koalition oft als Koalition
er gleichen Augenhöhe bezeichnet. Ich glaube, mit dem
erbraucherinformationsgesetz können wir dafür sorgen,
ass informierte Verbraucherinnen und Verbraucher auf
leiche Augenhöhe mit der Wirtschaft gelangen. Um es
n einer Anlehnung an Frau Merkel und Herrn Platzeck
u sagen: Lassen Sie uns mehr Transparenz wagen!
Das Wort hat der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vor-
ezogene Bundestagswahl hat für die Agrarwirtschaft
nd für die Verbraucher zweifellos entscheidende Vor-
eile gebracht. Es ist jetzt Schluss mit der grün durch-
ränkten Ideologie in der Agrarpolitik und mit sachfrem-
en Entscheidungen, die viele Arbeitsplätze in dieser
ranche gekostet haben. Es ist jetzt Schluss mit dem
onfrontationskurs von Frau Künast gegenüber dem Be-
ufsstand, der darin gipfelte, den Bauernverband als
mafiöses Gebilde“ zu bezeichnen.
s ist jetzt Schluss mit dem sinnlosen Verpulvern von
aushaltsmitteln für Propaganda, die für die Ökobauern
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 277
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)
Peter Bleser
nichts bewirkt hat und die nur der Verbreitung der grü-
nen Ideologie diente.
Ich könnte jetzt diese Liste der Fehlleistungen belie-
big fortsetzen.
Aber mit Rücksicht auf unseren neuen Koalitionspartner
und in Kenntnis der Schmerzen, die er in der Koalition
mit den Grünen erlebt hat, möchte ich jetzt darauf ver-
zichten.
Deshalb sage ich: Jetzt ist Schluss mit diesen Schmer-
zen. Sie werden sehen, dass wir eine gute Zusammen-
arbeit zum Nutzen der Menschen in diesem Bereich und
der Verbraucher haben werden.
Frau Höfken, ich will Ihnen gleich sagen, Ihre Argu-
mentation, dass die Mehrwertsteuererhöhung gerade in
den unteren Einkommensschichten zu erhöhten Belas-
tungen führen würde, ist völlig daneben. Sie wissen das
ganz genau. Wir haben mit der Beibehaltung des ermä-
ßigten Mehrwertsteuersatzes in Höhe von 7 Prozent sehr
darauf geachtet, insbesondere die Bedürfnisse dieser
Schichten zu berücksichtigen.
Das war unser Ziel und ist in der Koalitionsvereinbarung
so vorgesehen.
Wir richten jetzt den Blick nach vorne. Unsere Land-
wirte wissen ganz genau, dass aufgrund der katastropha-
len Haushaltslage keine finanziellen Wohltaten mehr
möglich sind. Sie erwarten diese auch gar nicht. Aber
was sie mit Recht fordern, ist, dass Land-, Fischerei-,
Forst- und Ernährungswirtschaft sowie Gartenbau mehr
Freiheit für Leistung bekommen. Die Bereiche brau-
chen verlässliche Rahmenbedingungen und verlässliche
Partner in der Politik.
Das ist unsere Aufgabe. Das sind wir dieser Branche
schuldig.
Minister Seehofer hat schon die Bedeutung der
Agrarwirtschaft geschildert. Ich will das um die Aussage
ergänzen, dass wir es bei der Landwirtschaft mit einem
der dynamischsten Wirtschaftssektoren unserer Volks-
wirtschaft zu tun haben. Es gibt hier Produktivitätsstei-
gerungen um fast 100 Prozent in den letzten zehn Jahren.
Das zeigt, wie leistungsbereit die Menschen in diesem
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Wir werden deshalb im BMELV eine Arbeitsgruppe
inrichten, die sich mit der Stärkung des Agrarstandortes
eutschland durch Investitionsförderung und Büro-
ratieabbau beschäftigt. Diese Arbeitsgruppe wird alles
ach überflüssiger Bürokratie und nach Investitions-
emmnissen durchforsten. Wir waren uns einig darin,
ass dies sehr zielstrebig auch mit Beteiligung des Parla-
entes geschehen soll.
Ein wichtiger Punkt wird sicher sein, dass wir – das
st längst überfällig – die Hennenhaltungsverordnung
it der Möglichkeit der Einführung von Kleinvolieren
msetzen.
n diesem Bereich gibt es einen Investitionsstau in Höhe
on fast 1 Milliarde Euro. Diesen Stau wollen wir auflö-
en, um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.
Wir werden auch die Agrarforschung stärker vernet-
en und die nachwachsenden Rohstoffe fördern.
ir werden neuen Technologien wie der Grünen Gen-
echnik zum Durchbruch verhelfen. Dabei ist klar, dass
ie Wahlfreiheit des Verbrauchers erhalten bleibt
nd dass die Koexistenz im Anbau möglich bleibt.
as alles werden wir angehen.
Frau Wolff hat diesen Punkt richtigerweise angespro-
hen: Über die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen
üssen wir noch einmal reden.
arüber müssen wir noch im Detail diskutieren, um hier
ine vernünftige, an die Praxis angepasste Regelung zu
inden.
Die wichtigsten Akteure am Markt sind natürlich die
erbraucher. Ohne sie ist jede Produktion sinnlos. Des-
egen sind wir darauf aus, dass die Verbraucher auf Au-
enhöhe – dieser Begriff ist mehrfach gefallen; ich
ehme da auch eine gewisse Urheberschaft in An-
pruch – am Markt teilnehmen können. Der Verbraucher
ill auch eine Politik, die zu einem Maximum an Le-
ensmittelsicherheit führt. Er will aber keine Bevormun-
ung. Er will, dass wir das Leitbild des mündigen Ver-
rauchers in unseren Zielen festhalten.
278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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)
Peter Bleser
Diese Ziele werden mit dem Koalitionsvertrag für die
Bereiche Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz sicher erreicht. Ich will auch hier gerne bestäti-
gen, dass diese Koalitionsverhandlungen in einem sehr
guten Geist stattgefunden haben, sehr konstruktiv und
von großer Sachlichkeit geprägt waren. Es ist wichtig,
dass die Menschen das wissen, damit sie Vertrauen in die
Verlässlichkeit unserer Aussagen haben.
Deswegen sage ich: Das Ergebnis ist ein Neuanfang
in der Verbraucher- und Agrarpolitik in Deutschland.
Dieser Handlungsrahmen ist ein Zeichen der Hoffnung,
der Zuversicht und der Befreiung von unnötiger Büro-
kratie, staatlicher Bevormundung und beruflicher Dis-
kriminierung. Das sollten die Menschen draußen wissen,
damit sie Mut fassen, die Ärmel hochkrempeln und in-
vestieren.
Neben diesen Koalitionsvereinbarungen ist es wich-
tig, welcher Mann an der Spitze des Ministeriums diese
Politik umsetzt. Ich bin in der Tat sehr froh, dass wir je-
manden haben, der sein Geschäft offensichtlich versteht.
Gleich zu Beginn hat Minister Seehofer zwei Bewäh-
rungsproben exzellent bestanden.
Während Frau Künast noch vollmundig der Reform
der Zuckermarktordnung zugestimmt hat, ist es ihm
quasi am zweiten Arbeitstag gelungen, die Vorgaben, die
für die deutschen Landwirte und die deutsche Zucker-
wirtschaft nachhaltig negativ waren, zum Besseren zu
wenden. Es wird geringere Preissenkungen, höhere Aus-
gleichszahlungen und einen Restrukturierungsfonds ge-
ben, der dabei hilft, Produktionspotenziale hier zu hal-
ten. Auch was die Importe aus den Geberländern angeht,
gibt es Grenzen, die hier nicht marktstörend wirken kön-
nen.
Es besteht natürlich kein Anlass, über die Neuordnung
im Bereich der Zuckerwirtschaft zu jubeln. Allerdings
muss man sehen, dass ein ganz wesentliches, entschei-
dendes Ziel erreicht worden ist: Die Produktionspoten-
ziale bleiben im Land und damit besteht die Chance, die
dort Beschäftigten – eine Größenordnung von 50 000 –
zu halten. Das ist die entscheidende Vorgabe, die ge-
macht worden war. Die ist erreicht worden.
Der zweite Bereich, der diese Regierung kurz nach
der Amtsübernahme beschäftigt hat, war der Fleisch-
skandal. Auch hier galt es, sehr schnell und zielgerichtet
zu handeln. Ich sage Ihnen ganz offen: Hier wird eine
ganze Branche verunglimpft, die das natürlich nicht ver-
dient hat. Aber es gibt einzelne schwarze Schafe, die wir
mit aller Entschiedenheit und aller Entschlossenheit fan-
gen und ausgrenzen müssen. Da muss die volle Härte
des Gesetzes greifen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einem
Verbraucherinformationsgesetz und dadurch mit der Na-
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m das, was hier geschehen ist, in Zukunft zu erschwe-
en.
Aber, Frau Höfken, dazu brauchen wir weder unser
ahlprogramm noch den Koalitionsvertrag umzuschrei-
en. Wir wollten schon immer ein Verbraucherinforma-
ionsgesetz, aber ein anderes als das, das Sie vorgelegt
aben. Ihres war nicht durchdacht; es war Murks und
icht zielführend.
ir möchten, dass diejenigen genannt werden, die gegen
esetze verstoßen haben. Das muss die entscheidende
ürde sein, damit hier kein Missbrauch geschieht. Ich
in der festen Überzeugung, dass wir das Ganze in der
etailberatung in entsprechender Weise hinbekommen.
Wir werden des Weiteren dazu beitragen, dass die Bü-
okratie nicht überhand nimmt, und ein Pilotprojekt ini-
iieren, mit dem überprüft wird, ob man in Verbindung
it staatlichen Kontrollmaßnahmen private Zertifizie-
ungs- und Qualitätssicherungssysteme nutzen kann, um
ie Bürokratie zu reduzieren und Kosten zu sparen.
Meine Damen und Herren, die Lampe hier am Red-
erpult blinkt; ich muss zusammenfassen.
Nein, Herr Kollege, Sie müssten eigentlich aufhören.
In Deutschland ist eine neue Epoche angebrochen,
rau Präsidentin. Ich bin sicher, dass wir dann, wenn wir
nsere Aufgaben, die wir uns selber gestellt haben, in
er Geschlossenheit angehen, wie es die Verhandlungen
m den Koalitionsvertrag gezeigt haben, eine gute Poli-
ik für die Menschen in diesem Land werden machen
önnen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-
asan, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Minister Seehofer, ich habe mich riesig gefreut,
ass Sie an den Anfang Ihrer Rede gestellt haben: Land-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 279
)
)
Dr. Christel Happach-Kasan
wirtschaft und Verbraucherschutz sind keine Gegen-
sätze. – Ich finde, Sie hätten für dieses Wort den Beifall
des ganzen Hauses verdient. Ich bedauere ein bisschen,
dass die schwarz-rote Koalition noch nicht dabei ange-
kommen ist, auch schwarz-rot Beifall zu klatschen. In
diesem Punkt hätten Sie ihm wirklich zustimmen kön-
nen, liebe Kollegin Wolff. Ich finde, das hätte er ver-
dient.
Das große Thema der Debatte lautet: Mehr Arbeit und
mehr versicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen.
Das muss auch für das Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz gelten. Im Koali-
tionsvertrag gibt es Licht und Schatten. Beides ist ange-
sprochen worden. Die Regierung will sich ihrer Pflicht
stellen und das Gentechnikgesetz grundlegend novellie-
ren. Das halten wir für gut. Sie folgen weitgehend den
FDP-Vorstellungen. Herr Minister, ich lade Sie ein, sich
auch weiterhin an unseren Vorstellungen zu orientieren.
Dann sind Sie immer auf dem richtigen Weg.
Im Mittelpunkt steht insbesondere die Haftungsrege-
lung. Für die FDP steht fest: Finanzielle Schäden müs-
sen ausgeglichen werden. Das kann durch Haftungsrege-
lungen, die nicht darauf abzielen, die Grüne Gentechnik
ganz zu verhindern, erreicht werden. Wir setzen darauf,
dass es eine solche Regelung geben wird. Wir sind nicht
der Meinung, dass ein Haftungsfonds die erste Wahl ist,
weil er ein Präjudiz für zukünftige Verfahren wäre. Übli-
cherweise werden finanzielle Risiken durch die Ver-
sicherungswirtschaft abgesichert. Das muss auch in die-
sem Fall so sein.
Herr Minister, für Ihr Vorhaben der Novellierung des
Gentechnikgesetzes erhalten Sie Rückenwind durch die
Volksabstimmung in der Schweiz. Bei einer Beteiligung
von knapp über 40 Prozent stimmten 55 Prozent der
Schweizer für das Moratorium. Das heißt, 77 Prozent
der Schweizerinnen und Schweizer stimmten gegen das
Moratorium oder betrachteten die Abstimmung als un-
wesentlich und gingen gar nicht zur Wahl.
Das heißt, die Grüne Gentechnik hat Marktchancen.
Man muss nur ein bisschen besser rechnen können als
Sie.
Für die Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe
gibt es dagegen nur Lippenbekenntnisse. Dabei ist dies
unser zentrales Zukunftsthema. Nachwachsende Roh-
stoffe dienen der Nachhaltigkeit und schaffen Wert-
schöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Die Aussage im Koalitionsvertrag, dass „die Mineral-
ölsteuerbefreiung für Biokraftstoffe durch eine Beimi-
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Er tut es nicht. Entschuldigung, das ist Künstlerpech.
Wir wollen eine Ausrichtung des Ministeriums für Er-
ährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf eine
olitik, die mehr Arbeitsplätze im ländlichen Raum
chafft. In diesem Bereich gibt es extrem viel zu tun. Pa-
ken wir es an.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier,
PD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
en und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
ehme für mich heute nicht in Anspruch, dass wir in
em Koalitionsvertrag die Agrarpolitik grundsätzlich
eu definiert haben. Das einzige Kontinuum zwischen
en zurückliegenden sieben Jahren und den uns bevor-
tehenden vier Jahren ist natürlich die SPD-Agrarpolitik.
Da die Diktion bei den einzelnen Redebeiträgen noch
icht so ganz passt, gestehe ich ein, dass das Ganze ge-
öhnungsbedürftig ist. Man sollte rückblickend aber
uch die Leistung des Koalitionspartners würdigen. Es
ag aus Sicht der damaligen Opposition – dort, wo Sie
amals als Oppositionsvertreter gesessen haben, sitzen
ie heute als Koalitionspartner – immer mal wieder Pro-
leme gegeben haben. Ich glaube aber, wir finden ganz
280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dr. Wilhelm Priesmeier
gut zusammen. Gemeinsam werden wir – das müssen
wir ja auch – dieses große Projekt angehen.
Es gibt keine revolutionären Brüche in der deutschen
Agrarpolitik; es hat sie nie gegeben. Es gab Positionsbe-
stimmungen und Neuorientierungen. In diesem Zusam-
menhang weise ich darauf hin, dass wir auch jetzt, mit
diesem Koalitionsvertrag, gehalten sind, eine Positions-
bestimmung vorzunehmen. Wir werden das tun. Wir
werden ein Grünbuch vorlegen und daraus Konsequen-
zen ziehen.
Die Gelegenheit haben wir und müssen wir nutzen,
um jetzt vorausschauend für eine mittelfristige und auch
längerfristige Perspektive die Pflöcke einzuschlagen, die
unsere Agrarwirtschaft braucht, damit sie in Zukunft
wettbewerbsfähig ist. Denn das ist, glaube ich, das erste
Essential aus dem Koalitionsvertrag: Wie erreiche ich
Wettbewerbsfähigkeit?
Ich ziehe mir den Schuh an; denn ich habe ein biss-
chen dazu beigetragen. Auch wenn Agrarpolitik von mir
nicht nur auf der Verstandesebene, sondern auch aus
dem Innern heraus und mit vielen Emotionen gestaltet
wird, glaube ich: Es wird uns gelingen – wenn wir die
Emotionen ein bisschen dämpfen –, das eine oder andere
in Zusammenarbeit – unter Umständen mit der Oppo-
sition – hier ganz vernünftig über die Bühne zu bekom-
men.
Ich weiß nicht, ob die Philippika, die Sie eben von
sich gegeben haben, Frau Kollegin Höfken, liebe Ulrike,
so ganz am Platz war. Ich habe schon fast Angst bekom-
men, dass ich bei alldem, was du uns aufgezählt hast, gar
nicht in den Himmel komme.
Da steht man hier als armer Sünder! Aber wenn man die
Rede auf das herunterbricht, was wirklich enthalten war,
dann ist das ungefähr so, als ob man sich mit einer öko-
logisch aufgezogenen Gans über Weihnachten unterhält.
Mehr war das nicht.
Verehrte Frau Kollegin Tackmann, die Linke soll ja
auch nicht ganz ungestraft bleiben. Sie müssen einmal
Ihre Perspektive bedenken. Es gibt nicht nur die Land-
wirtschaft und die ländlichen Räume in den neuen Bun-
desländern.
Es gibt auch die alten Bundesländer. Es gilt auch in die-
sem Bereich, unter Umständen einen Ausgleich zwi-
schen den spezifischen Interessen der neuen Bundeslän-
der und der alten Bundesländer zu finden. Das ist uns
bisher relativ gut gelungen.
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In Nordrhein-Westfalen kommt ein Lebensmittelkon-
trolleur auf 61 000 Einwohner, in Bayern kommt ein Le-
bensmittelkontrolleur auf 23 000 Einwohner; das zeigt
einen gewissen Unterschied. Vergleicht man die Anzahl
der Kontrolleure pro Lebensmittelbetrieb, finden wir in
Rheinland-Pfalz 700 Betriebe pro Lebensmittelkontrol-
leur und in Baden-Württemberg 650 Betriebe pro Le-
bensmittelkontrolleur. Durch die Kommunalisierung der
Lebensmittelkontrolle in Baden-Württemberg ist fast die
Hälfte der Planstellen weggefallen.
Das heißt, Schuldzuweisungen nützen uns in diesem
Zusammenhang recht wenig. Wir müssen diesen Bereich
konsequent fördern und dafür sorgen, dass die vorhande-
nen Strukturen unter Einbeziehung der untersten Ebene,
also der Veterinärämter und der Lebensmittelkontrol-
leure, weiterentwickelt werden. Bei ihnen müssen wir
nachforschen, um zu hören, wie es ihnen vor Ort geht.
Diesen Bereich müssen wir gestalten, damit wir in Zu-
kunft nicht wieder vor den gleichen Problemen stehen,
die wir im Augenblick zu bewältigen haben.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/111 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Themenbereichen Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung.
Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ver-
kehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes
– Drucksache 16/45 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.
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s bedarf einer neuen Kooperation. Es bedarf der Eigen-
nitiative und eines Unternehmergeistes; denn die Arbeit
er Regierung und des Parlaments allein werden nicht
enügen.
In diesem Kontext hat mein Haus und hat die Arbeit,
ie wir in den nächsten vier Jahren auf diesen Feldern
emeinsam zu leisten haben, eine besondere Bedeutung,
llein deshalb, weil das, was in unserem Haus entschie-
en und hier im Parlament auf den Weg gebracht wird,
uf eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche Einfluss
at. Deshalb stelle ich meine Arbeit in den Kontext der
esellschaftlichen Zusammenhänge in den Städten, in
en Regionen und in unserem Land und habe auch die
uropäische Ebene im Blick. Ebenso stelle ich sie in den
ontext des Aufbaus Ost und berücksichtige dabei auch
ie internationale Dimension.
Es geht im Wesentlichen um drei Felder, für die unser
aus eine nicht unbeträchtliche Verantwortung trägt:
rstens geht es um die Frage der Entwicklung der Wirt-
chaft und damit einhergehend um die Anforderung, zu-
ätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Zweitens. Wie gelingt es uns, über neue Technologien
nd Innovationsstrategien neue Akzente und Impulse zu
etzen, die wiederum Arbeitsplätze generieren, nämlich
ie, die auch Ausstrahlung auf die nächste Generation
aben? Denn es kommt darauf an, zukunftsfähig zu den-
en und nicht nur die nächste Zukunft sozusagen mit der
aschenlampe auszuleuchten.
Drittens. Neben der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpo-
itik und neben der Innovation wird die Frage sein, was
ieses Haus als Beitrag leisten kann, dass es in den Städ-
en und Gemeinden, in den kleinen und großen, ein Mehr
n sozialem Ausgleich gibt. Wie kann die Lebensquali-
ät, der Gemeinsinn dort neu entfacht werden?
282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Lassen Sie mich Ihnen das an ein paar Beispielen
ganz praktisch vor Augen führen. Zunächst ist die Frage:
Wie können wir in diesem Hause mit den Themen, mit
denen wir uns befassen, etwas für die Wirtschaft und den
Arbeitsmarkt tun? Zunächst einmal: Die Wirtschaft be-
trifft alles das, was wir an Anlagevermögen, an Infra-
struktur in unserem Lande vorhalten. Wenn man sich
allein vor Augen führt, über welchen Reichtum wir
durch unsere Straßenwege, durch die Schienen, durch
die Flughäfen, durch die Binnenschifffahrtswege, durch
die Häfen verfügen, aber auch durch die Rathäuser,
Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Pflegeheime,
Altenheime und dergleichen mehr, dann weiß man, dass
allein die Investition in den Erhalt dieser Substanz das
Rückgrat der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in
diesem Land darstellt.
In dem Maße, wie es gelingt, einer Entwertung entge-
genzutreten, in dem Maße, wie es gelingt, zu erhalten
und zu entwickeln, werden wir unseren Beitrag für Wirt-
schaftskraft und Arbeitsplätze leisten.
Darüber hinaus gibt es Wirtschaftszweige, die ganz
direkt davon betroffen sind; ich greife die Bauindustrie
heraus. Diese Bundesregierung wird in dieser Legisla-
turperiode einen Zukunftsfonds für zusätzliche Investi-
tionen in Höhe von 25 Milliarden Euro aufbieten. Die
schon hohen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur
steigen mit Mitteln aus diesen Fonds um rund 4,3 Mil-
liarden Euro. Wenn man sich die Potenz vorstellt, die da-
raus entstehen könnte, wenn das durch weitere, private
Gelder multipliziert wird, dann bekommt man eine Ah-
nung davon, was das für ein Impuls wird. Ich denke, es
ist ein ganz deutliches Zeichen, dass diese Regierung
eben nicht nur den Gürtel enger schnallt, dass sie nicht
nur mehr Steuern von den Bürgern verlangt, sondern
dass sie ganz bewusst auch Impulse für mehr Investitio-
nen setzt, damit wir vorankommen, jetzt und in Zukunft.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, das CO2-Ge-
bäudesanierungsprogramm auf ein Fördervolumen
von rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Diese
Mittel werden rund das Sechs- bis Siebenfache an zu-
sätzlichem Geld generieren. Man rechnet, dass an jeder
Milliarde Euro etwa 25 000 Arbeitsplätze hängen. Auch
aus diesem Grunde ist eine direkte Verbindung dieses
Hauses zum Arbeitsmarkt gegeben.
Ich möchte einen speziellen Bereich herausgreifen:
die Logistikbranche. Wir wissen, dass allein dort
2,7 Millionen Menschen beschäftigt sind. Die Logistik-
branche ist – anders als vor zehn oder 15 Jahren – mitt-
lerweile eine Querschnittsbranche. Es geht darum, sie zu
stärken, und zwar auf allen Verkehrsträgern. So wie wir
dieses Investitionsprogramm gerecht auf alle Verkehrs-
träger anwenden wollen, werden wir das insbesondere
auch im Bereich der Logistik tun. Wir wollen das mit ei-
nem Masterplan, der sich mit dem Güterverkehr und der
Logistik beschäftigt, untersuchen und langfristig auf die
Schiene setzen – im wahrsten Sinne des Wortes wie auch
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Darüber hinaus wollen wir in die Verkehrsträger
elbst investieren. Der Autobahnbau wird vorangetrie-
en, die Schienenwege werden ausgebaut und wir wer-
en dafür sorgen, dass die Seehäfen und die Flughäfen
hren Anteil an den Investitionen bekommen.
ir brauchen den Ausbau des Flughafens BBI. Das Lo-
istikzentrum in Leipzig – alte Erfahrung – sorgt dafür,
ass es wirtschaftliche Impulse gibt.
Im Norden unseres Landes, um Hamburg herum, wird
icherlich ein besonderer Logistikstandort entstehen.
Darüber hinaus wollen wir die Bahnreform vorantrei-
en. Wir sind uns sicher, dass dieses Mobilitäts- und
ogistikdienstleistungsunternehmen im internationalen
ontext, im internationalen Wettbewerb gestärkt wird.
us diesem Grunde werden wir gemeinsam mit Ihnen
ie nächsten Schritte der Bahnreform sehr zügig umset-
en, damit die Voraussetzungen dafür geschaffen wer-
en, dass dieser Wettbewerb gelingt.
Wir wollen über neue Finanzierungsinstrumente pri-
ates Kapital akquirieren; denn alleine, nur mit dem
eld der öffentlichen Hand, werden wir es nicht schaf-
en. Wir werden unsere Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
ungsgesellschaft neu ausrichten.
ir werden Modelle der Public Private Partnership auf
en Weg bringen. Wir wollen mit Straßenbenutzungsge-
ühren, der LKW-Maut, die Finanzierung unserer Infra-
truktur auf viele Schultern legen. – Das sind innovative
nstrumente, um privates Kapital und Unternehmergeist
n diesem Land mehr zum Zuge kommen zu lassen.
iese Ebene soll ihre Verantwortung auch in diesem Be-
eich suchen, damit die Verantwortung nicht nur der öf-
entlichen Hand zugeschoben wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem
eiteren Feld geht es um Technologie und Innovation.
ier haben wir in der Vergangenheit Impulse gesetzt, die
ir nun verstärken wollen. Mein Haus wird sich in den
ächsten vier Jahren intensiv darum bemühen, dass Eu-
opa mit einem solchen Zukunftsprojekt wie dem Satelli-
ennavigationssystem Galileo den Wettbewerb auf inter-
ationalen Märkten gewinnen kann. Über Galileo hinaus
erden wir in neue Strategien im Kraftstoffbereich in-
estieren müssen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 283
)
)
Bundesminister Wolfgang Tiefensee
Neben der Etablierung neuer Finanzierungsinstru-
mente müssen wir dafür sorgen, dass neue Produkte zur
Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger auf den
Weg gebracht werden, damit in der Zukunft jeder Ver-
kehrsträger noch besser seiner entsprechenden Aufgabe
gerecht werden kann. Dazu werden wir Initiativen star-
ten. Wir brauchen aber Ihre Unterstützung. Hier entsteht
nicht nur ein Impuls für die Gegenwart, hier werden die
Arbeitsplätze für unsere Kinder und Kindeskinder ge-
schaffen. Ein Schwerpunkt muss also auf Technologie
und Forschung in diesem Bereich liegen.
Die Förderung des Zusammenhaltes unserer Städte,
des sozialen Miteinanders und des Gemeinsinns ist eine
wesentliche Aufgabe auch dieses Hauses. Deshalb wird
die Stadtentwicklung in all ihren Facetten in der Zu-
kunft eine noch größere Bedeutung gewinnen. Nicht zu-
letzt die Ereignisse in Frankreich haben gezeigt, dass es
darauf ankommt, sich präventiv, also vorsorglich, mit
dieser Gesamtsicht städtischer Entwicklung zu beschäf-
tigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen
mit Programmen wie „Stadtumbau Ost“, „Stadtumbau
West“ oder „Soziale Stadt“ und mit der Umsetzung von
Ideen, wie wir den Wettbewerb zwischen den Innenstäd-
ten und der grünen Wiese gewinnen, dafür sorgen, dass
sich unsere Städte organisch entwickeln. Denn wir müs-
sen dafür sorgen, dass eine Spaltung in doppelter Hin-
sicht verhindert wird: zum einen eine Spaltung in Städte,
ob klein oder groß, die prosperieren, und jene, die auf
dem absteigenden Ast sind, und zum anderen eine Spal-
tung, die sich innerhalb der Städte abspielt, nämlich die
Spaltung in Stadtteile, denen es gut geht, und jenen, die
drohen, von der Entwicklung abgekoppelt zu werden.
Das spielt bis in die Lebensqualität, in die sozialen Be-
lange und in die Chancen von Menschen hinein. Stadt-
entwicklungspolitik muss als ein solch ganzheitlicher
Ansatz begriffen werden, um den Fehlentwicklungen
entgegenzutreten und positive Dinge auf den Weg zu
bringen.
Quer zu diesen Themen steht schließlich die Frage,
wie wir den östlichen Landstrich unseres Landes in der
nächsten Zeit mit neuen Akzenten und Impulsen voran-
bringen. Ich betone ausdrücklich, dass es darauf an-
kommt, einmal mehr deutlich zu machen: Von der Ent-
wicklung im Osten, von der wirtschaftlichen und
sozialen Entwicklung in diesem Landstrich, ist das Wohl
und Wehe des ganzen Landes und, wenn Sie so wollen,
auch Europas abhängig.
Wer meint, dass es sich hier um ein Randthema han-
delt, der irrt. Aus diesem Grund liegt diese Frage auch
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Darüber hinaus wollen wir Impulse in der Forschung
etzen. Wir glauben, dass besonders hier die Wachstums-
aten in Ostdeutschland noch größer werden können.
uch aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es wichtig,
ass der Forschungsetat der Bundesregierung im Laufe
er nächsten Zeit erheblich anwachsen wird. Es wird
ine Förderung des Aufbaus Ost par excellence sein,
enn es uns gelingt, diese Gelder auch für den Osten zu
kquirieren und damit Wirtschaftsimpulse zu erzeugen.
Solche ganz konkreten Schritte wie die Angleichung
es Arbeitslosengeldes II Ost an das Arbeitslosengeld II
est haben nicht nur eine finanzielle Seite, sondern sie
ienen auch dazu, die Eigeninitiative der Bürger, das
elbstwertgefühl der Bürger und die Gleichmäßigkeit
owie die Gleichheit in unserem Lande zu verstärken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
innen und Kollegen, in diesen Kontext stellen wir die
olitik der nächsten vier Jahre. Wir wollen Impulse für
en Wirtschafts- und den Arbeitsmarkt setzen. Wir wol-
en Impulse und Akzente für mehr Innovationen und
echnologien setzen. Schließlich wollen wir unseren
eitrag für eine erhöhte Lebensqualität in den Städten,
ür ein besseres soziales Miteinander und für die Stär-
ung von Unternehmertum und Eigeninitiative leisten.
ch rechne auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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)
Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich, FDP-Frak-
tion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, zunächst darf
ich Ihnen persönlich und auch im Namen meiner Frak-
tion viel Erfolg in Ihrem Amte wünschen. Sie sind mitt-
lerweile der siebte Verkehrsminister, den ich in meiner
Rolle als Verkehrspolitiker in diesem Hause erlebe.
Selbstverständlich haben Sie Anspruch darauf, dass
Sie an Ihren Taten gemessen werden. So viel Zeit sollte
sein. Ich verhehle nicht, dass das, was Sie jetzt gewisser-
maßen als Regierungsprogramm vorgestellt haben, ei-
nige Teile enthält, zu denen man uneingeschränkt Ja sa-
gen kann. Man wird sehen, was passiert, wenn es
konkret wird.
Zu einigen Teilen kann man „Na ja“ sagen und einige
Teile sind dabei, zu denen man sagen kann: Na ja, das
war wohl nichts.
Auch wenn es Ihre erste Rede hier war, glaube ich,
dass Sie über den Verkehrsbereich und über die Pro-
bleme, die uns als verantwortliche Politiker in diesem
Gesamtkontext angehen, zu wenig gesagt haben.
Ich habe von Ihnen kein einziges Wort über die Anglei-
chung der Wettbewerbsbedingungen des deutschen
Transportgewerbes in diesem Lande gehört.
Das steht zwar in Ihrer Koalitionsvereinbarung, aber Sie
hätten hier vielleicht einmal ein bisschen konkreter wer-
den können.
Was Sie ausgeführt haben, ist, dass sich der Staat jetzt
um Logistik kümmern will. Wenn ich eines in diesem
Land gelernt habe, dann dies: Logistik war schon immer
ein Querschnittsthema. All diejenigen, die hier erfolg-
reich sind, haben das geschafft, ohne dass sich der Staat
um dieses Thema gekümmert hat.
Der Einzige, der versucht, Logistik mit staatlicher
Hilfe umzusetzen, ist derselbe, der versucht, seinen Sitz
von Berlin nach Hamburg zu verlegen. Allerdings droht
dafür ein anderer, der es bisher geschafft hat, ohne diese
Hilfe Erfolg zu haben, nämlich Kühne + Nagel, damit,
Investitionen in Hamburg zu überprüfen. Deswegen
kann ich nur sagen: Lassen Sie doch die Wirtschaft da
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Da liege ich leider nicht falsch, sehr geehrter Herr Kol-
ege Fornahl. Wenn Sie sich einmal die Wirtschaftsdaten
nschauen, werden Sie das sehen.
Was wir nicht kritisieren, sondern was wir als Fach-
olitiker sehr begrüßen, ist Ihre Ankündigung und auch
ie der Frau Bundeskanzlerin von gestern, in diesem Be-
eich über die nächsten vier Jahre 4,3 Milliarden Euro
usätzlich zu investieren. Das ist hervorragend. Als
achpolitiker freue ich mich selbstverständlich darüber.
en Lackmustest werden Sie ablegen müssen, wenn der
aushalt vorgelegt wird. Dann können wir ernsthaft da-
über reden. Wir sind schon gespannt, wann er kommt
nd wer bis dahin das Geld in welcher Form ausgegeben
at.
Was ich allerdings nicht nachvollziehen kann, Herr
inister, ist Ihr Interview in der neuen Ausgabe der
Motorwelt“ vom ADAC. Sie haben zwar gefordert,
ehr privatwirtschaftliches Kapital in den Ausbau der
erkehrswege einzustellen. Aber dies begrenzen Sie
leichzeitig auf die Einnahmen aus der LKW-Maut.
ber diese sind eigentlich schon aufgeteilt. 25 Prozent
avon gehen ins System. Ein größerer Teil ist für die be-
eits geplanten A-Modelle vorgesehen; das ist alles
ichts Neues. Der Rest dient dazu, die Summe, die der
orgänger von Herrn Steinbrück, nämlich Herr Eichel,
us dem Plafond für Investitionen gekürzt hat, auszu-
leichen.
Wenn die Einnahmen aus der LKW-Maut nicht stei-
en, dann frage ich mich, wie Sie zusätzliche, neue Im-
ulse für einen privatwirtschaftlichen Anteil geben wol-
en; denn der private Träger, der bereit ist, ein Risiko
inzugehen, möchte natürlich aus seinem Engagement
utzen ziehen. Dabei wird er sehen, wo er das meiste
erdienen kann. Wenn Sie sich da nicht breiter aufstellen
nd wenn da nicht mehr Rückflüsse zu erwarten sind,
ann, fürchte ich, werden Sie zu kurz springen.
Spannend wird auch die Fortführung der Bahn-
eform sein; das haben Sie angesprochen. Dieser Auf-
abe stellen wir uns gerne. Die ordnungspolitische
rage, die Sie in dieser Legislaturperiode zu entscheiden
aben, ist, unter welchen Bedingungen der Börsengang
tattfinden wird. In der Koalitionsvereinbarung wurde
estgelegt, dass der Börsengang stattfindet; das ist mitt-
erweile geklärt. Die Frage ist: Gelingt es uns vorher
das Beispiel der Beteiligung der Bahn am Hamburger
afen, an der HHLA, und der Hochbahn ist aus meiner
icht prägend –, die klare ordnungspolitische Grundlage
u schaffen: Möchte ich einen Konzern, der bisher zu
00 Prozent im Eigentum des Staates war, privatisieren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 285
)
)
Horst Friedrich
und an die Börse bringen? Dafür bekommen Sie unsere
volle Unterstützung.
Transport ist und war nie eine staatliche Aufgabe und
muss es auch nicht sein. Niemand hat etwas dagegen,
dass sich die Deutsche Bahn auf dem Gebiet des Trans-
ports auf dem Markt gegenüber anderen Konkurrenten,
wie UPS, FedEx und wie sie alle heißen, behauptet.
Diese Unternehmen sind alle nicht staatlich und alle gut
aufgestellt.
Es muss aber vorher geklärt werden, in welcher Form
der Steuerzahler an diesem Geschäft beteiligt ist. Wenn
es um die Privatisierung dieses Bereiches geht, wobei
für zehn Jahre eine Summe von mindestens 4,5 oder
4,8 Milliarden Euro jährlich mit einem Ausbau der Fern-
verkehrswege garantiert wird, weitere 2,5 bis 3 Milliar-
den Euro über eine Leistungsfinanzierungsvereinbarung
für den Erhalt des Netzes zugesagt und das Ganze auf
Dauer abgesegnet wird, unter Umständen dann, wenn es
nicht funktioniert, mit einem Rückgaberecht für die
Bahn nach zehn Jahren ausgestattet wird, kann das aus
unserer Sicht nicht der Sinn der Übung sein. Eine solche
Bahnreform werden wir nicht mittragen.
Die gleiche Klarheit und das gleiche Problem werden
Sie bei der Umsetzung des Programms Luftfahrt-
konzept oder Masterplan Luftfahrt bekommen. Darin
steckt viel Sinnvolles. Es kommt jetzt darauf an, das in
dieser Legislaturperiode zu konkretisieren. Wie setze ich
um, dass der Flughafen BBI ausgebaut werden kann?
Wie erreiche ich eine Gesetzgebung, mit der sicherge-
stellt wird, dass am Flughafen Frankfurt für die dringend
notwendige weitere Landebahn die Zahl der Aktenord-
ner nicht länger als die eigentliche Landebahn wird, die
gebaut werden soll?
Warum schaffe ich es nicht, sicherzustellen, dass eine
Werft für einen neuen großen Flieger, den A380, auf
dem Gelände des Frankfurter Flughafens so zeitgerecht
gebaut werden kann, dass nicht erst mit einer Verlage-
rung nach München gedroht werden muss? Das muss
doch angegangen werden.
Ich hätte gewünscht, dass an dieser Stelle ein bisschen
mehr Fleisch gekommen wäre.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Wohnungs-
bau sagen. Mit dem, was Sie zu dem Programm „So-
ziale Stadt“ und anderen Punkten ausgeführt haben, bin
ich völlig d’accord. Das findet unsere volle Unterstüt-
zung und wird von uns mitgetragen. Ich sehe aber ein
Problem. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung fest-
gelegt:
Unser politisches Ziel bleibt die Wohneigentums-
bildung von Familien mit Kindern.
Wunderbar. Allerdings schaffen Sie jetzt die Eigenheim-
zulage ab, ohne die übrigen steuerlichen Rahmenbedin-
gungen zu verändern. Als Alternative und Ausgleich für
Familien mit Kindern kündigen Sie an:
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Wenn wir die vorhandene Effizienz nutzen und die
Effizienzreserven heben, dann wird es auch gelingen,
verstärkt neue Finanzierungsinstrumente wie die Public
Private Partnership, die bereits angesprochen wurde,
zu nutzen. Denn Anleger investieren nur in effiziente
Systeme. Ich denke, dass dies auch für die Gewinnung
privaten Kapitals für öffentliche Aufgaben notwendig
und wichtig ist. Denn es ist ein geeigneter Weg, die drin-
gend notwendigen Anlagemöglichkeiten für Kapital in
Deutschland zu vermehren und damit Anlagekapital im
Land zu halten bzw. ins Land zu holen.
Wir brauchen in Deutschland eine leistungsfähige
Schieneninfrastruktur und leistungsstarke Schienenver-
kehrsunternehmen. Die Bahnreform vor über zehn Jah-
ren war und ist ohne Alternative. Die Union hat deswe-
gen dafür gesorgt, dass die Fortsetzung der Bahnreform
im Koalitionsvertrag festgeschrieben wird.
Es war richtig, mit der Bahnreform betriebswirt-
schaftliche Entscheidungsabläufe des bundeseigenen
Bahnunternehmens von politischer Bevormundung zu
befreien. Aber es gibt auch einen Infrastrukturauftrag
des Staates und damit für uns, die Politik. Wir sind ver-
pflichtet, diesen Auftrag zum Wohle der Bürgerinnen
und Bürger sowie insbesondere aller Steuerzahler effi-
zient und bestmöglich zu erfüllen.
In einer Volkswirtschaft gibt es nachweislich einen er-
folgreichen Mechanismus zur Herstellung von Effizienz
und Wirtschaftlichkeit. Das ist der Wettbewerb.
Um es klar zu sagen: Wir wollen eine starke und leis-
tungsfähige Deutsche Bahn AG, erstens weil der Bun-
desfinanzminister und die Haushälter aller Fraktionen
gerne ein werthaltiges Bundesunternehmen DB AG se-
hen und zweitens weil wir Verantwortung für die bei der
Deutschen Bahn vorhandenen Arbeitsplätze haben. Wir
wissen, welchen großen Veränderungen und manchmal
auch Zumutungen die Beschäftigten der DB AG in den
letzten Jahren ausgesetzt waren und wie sie sich in be-
wundernswerter Weise dem Wandel gestellt haben. Ich
bin seit 15 Jahren beständiger und begeisterter Bahnfah-
rer und habe den Wandel, den die Beschäftigten der
DB AG bewältigt haben, durchaus am eigenen Leib mit-
erlebt. Ich habe sicherlich Verständnis für die Beschäf-
tigten. Aber wir sind uns auch darüber im Klaren, dass
wir mittel- und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der
Arbeitsplätze im gesamten Logistikbereich nur sichern
können, wenn wir Wettbewerb auf der Schiene zulassen.
Deswegen lautet die klare Aussage im Koalitionsvertrag:
Wir werden einen diskriminierungsfreien Netzzugang
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Liebe Kollegen von der Opposition, über die Zukunft
er DB AG werden wir in den nächsten Monaten noch
refflich streiten, aber erst dann, wenn alle Argumente
usgetauscht sind, alle Gutachten auf dem Tisch liegen
nd alles ausgewertet ist.
s gibt nur einen Maßstab, den wir in diesem Hohen
ause anzulegen haben, nämlich das Wohl der Allge-
einheit.
Wir werden den Wettbewerb zwischen den Ver-
ehrsträgern forcieren. Das gilt für die Weiterentwick-
ung des Luftverkehrsstandortes Deutschland und seiner
nfrastruktur ebenso wie für die Wettbewerbsfähigkeit
er deutschen Seeschifffahrt. Schließlich verdient auch
er umweltfreundliche Verkehrsträger Binnenschifffahrt
ine stärkere Beachtung.
as alles ist Programm und steht im Koalitionsvertrag.
Deutschland ist aufgrund seiner geographischen Lage
eeignet, Logistikdrehscheibe im europäischen Binnen-
arkt zu sein und davon auch im Hinblick auf die Schaf-
ung von Arbeitsplätzen zu profitieren. Wir haben in
eutschland ein mittelständisch geprägtes, gut funktio-
ierendes Transportgewerbe. Es ist Voraussetzung dafür,
ass ein rohstoffarmes Land wie Deutschland Produzent
nd erfolgreiche Exportnation sein kann. Ich wünsche
ir, dass alle in Deutschland begreifen, dass LKWs
icht zum Vergnügen auf den Straßen fahren, sondern
ass sie unsere Volkswirtschaft am Laufen halten.
ir wollen, dass dieses Land ein erfolgreicher Logistik-
tandort bleibt. Dafür sind verlässliche Rahmenbedin-
ungen erforderlich, keine Frage.
Ein Kollege hat bereits das Harmonisierungsvolu-
en angesprochen. Obwohl es vereinbart ist, steht es
ach wie vor in Rede. Notfalls muss man in Brüssel alle
echtlichen Möglichkeiten ausschöpfen; denn es ist legi-
im, dass wir als ein Mitgliedstaat der Europäischen
nion die Interessen unserer Wirtschaft wahrnehmen.
ann wird sich zeigen, ob unsere europäischen Nach-
arn, die sich so sehr eine starke deutsche Volkswirt-
chaft wünschen, uns tatsächlich unterstützen werden.
Genauso wie die Infrastrukturpolitik ein Baustein für
ie Qualität des Investitionsstandortes Deutschland ist,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 287
)
)
Dr. Hans-Peter Friedrich
ist es die Entwicklung unserer Städte als Lebens-, Ar-
beits- und Wirtschaftsräume. Mit der Festschreibung der
bewährten Programme haben wir dafür gesorgt, dass Ar-
beitsplätze geschaffen und gesichert werden. Der Bun-
desminister hat darauf hingewiesen, dass damit auch in-
direkt eine Vielzahl von privaten Investitionen ausgelöst
wird.
Ich möchte ausdrücklich auf das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm hinweisen. Dieses Programm,
das wir ausdrücklich in die Koalitionsvereinbarung auf-
genommen haben, zeigt, dass uns der Aspekt der Ener-
gieeinsparung und der Energieeffizienz sehr wichtig ist.
Man kann dies im Übrigen auch daran erkennen, dass
innovative Entwicklungen beispielsweise bei alternati-
ven Kraftstoffen und bei alternativen Antrieben aus-
drücklich befürwortet werden. Wir wünschen uns, dass
sich mehr deutsche Ingenieurkunst und mehr deutscher
Unternehmermut auch auf dem Feld der alternativen An-
triebstechnologien sehen lässt. Das ist jedenfalls etwas,
was wir durch diese Koalitionsvereinbarung ermutigen.
Mobilität ist auch ein Ausdruck von Lebensqualität
und von Teilhabe der Menschen im ländlichen Raum am
städtischen Leben wie auch umgekehrt die Teilhabe der
Stadtbevölkerung an der Qualität des ländlichen Rau-
mes. Wir wollen deswegen Mobilität nicht aus ideologi-
schen Gründen eindämmen oder einschränken, sondern
wir wollen Mobilität preiswert, effizient und umweltver-
träglich zur Verfügung stellen.
Meine Fraktion, Herr Minister, freut sich auf die Zu-
sammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Team. Die Opposi-
tionsfraktionen bitte ich um nicht nur kritische, sondern
auch konstruktive Begleitung.
Soweit mir die Damen und Herren schon persönlich be-
kannt sind, weiß ich, dass das gewährleistet sein wird.
Wir haben es bei der Frage der Infrastruktur und der
Stadtentwicklung mit Bereichen zu tun, in denen sich
visionäre Kraft auch in technologischer Hinsicht mit
dem Dienst am Menschen in seiner konkreten Situation,
in seinem Lebens-, Wohn- und Arbeitsumfeld verbindet.
Wir sollten gemeinsam alle Kraft darauf verwenden, den
richtigen und guten Weg in die Zukunft in dieser Frage
zu finden.
Vielen Dank.
Als nächste hat die Abgeordnete Dorothee Menzner
das Wort.
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Ziel der Linken in der Arbeiterbewegung und heute
st es, Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit zu-
inander zu führen.
ur so lässt sich unnötiger Verkehr vermeiden bzw. um-
eltfreundlich gestalten.
ur so können alle Bevölkerungsgruppen Angebote
ahrnehmen und am Leben teilhaben, nicht so wie
eute, wo sozial Schwache und Ältere oft ausgegrenzt
ind, Schwierigkeiten haben, von A nach B zu kommen
der, wie Herr Tiefensee sagte, Probleme haben, auf die
prichwörtliche grüne Wiese zu kommen. Dieser ökolo-
isch und sozial widersinnige Flächenverbrauch, den
ir erleben, bei gleichzeitiger Verödung gewachsener
trukturen muss beendet werden.
Wer schon die Pendlerpauschale kürzt, dabei ökolo-
ische Gründe anführt und vortäuscht, gegen lange
endlerstrecken zu sein, darf das nicht so sozial unge-
echt tun wie diese Regierung. Das ist irrational.
lartext: Wer zur Arbeit täglich bis zu 20 Kilometer un-
erwegs ist, würde, wenn die Pläne der Spitzen von SPD
nd CDU umgesetzt werden, künftig keinen Cent mehr
on der Steuer absetzen können. Wollen Sie ernsthaft,
iebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Masse der Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Fachverbände
prechen von circa 80 Prozent – künftig leer ausgeht?
ollen Sie, dass jene, die viel verdienen und dabei auch
och weite Wege zurücklegen, dagegen jährlich weiter-
in viel Geld, mitunter Tausende Euro, an Steuern spa-
en können? Wir finden, das ist sozial ungerecht. Das
erstößt gegen den Grundsatz der Gleichheit. Das hat
elbst schon der Bund der Steuerzahler moniert. Die
inke im Deutschen Bundestag wird Gegenvorschläge
nterbreiten.
Doch damit nicht genug: Die Spitzen von CDU und
PD haben, was die täglichen Wege von Arbeitnehmern
288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dorothee Menzner
betrifft, offenbar zum doppelten Doppelschlag angesetzt.
Einerseits wird von gleich zwei Transrapidstrecken ge-
sprochen, für die Gelder ausgegeben oder, so könnte
man auch sagen, rausgeworfen werden sollen; anderer-
seits beabsichtigt die Koalition bei den Regionalisie-
rungsgeldern für den öffentlichen Personennahverkehr
den Ländern und damit letztlich wieder den Pendlern in
die Kassen zu greifen. Ich verweise an dieser Stelle auf
das geltende Regionalisierungsgesetz. Wir Linken wol-
len, dass dieses Gesetz auch nach 2008 fortbesteht. Es ist
ein Eisenbahngesetz, das den Bundesländern die Gelder
sichert, die überwiegend dem Schienenpersonennahver-
kehr zur Verfügung zu stellen sind.
Gestern hat Frau Merkel den Eindruck erzeugt, Starke
und Leistungsträger in diesem Land, das seien die Kon-
zerne.
Nein! Wir Linken sagen: Die Leistungsträger in diesem
Land, das sind Menschen, die tagtäglich – oft gezwunge-
nermaßen – weite Wege zur Arbeit in Kauf nehmen.
Für diese Menschen sind wir da, wir stehen für sie ein
und werden für sie streiten.
Stark bedroht fühlen sich in diesem Land auch die
vielen von den Hartz-IV-Gesetzen Betroffenen. Diese
Menschen fürchten – oft nicht zu Unrecht –, dass sie
eine Aufforderung zum Umzug erhalten und aus ihren
vertrauten Wohngegenden, aus ihrem vertrauten sozialen
Umfeld herausgeworfen werden.
Arbeit weg, Wohnung weg? Wir finden, das darf nicht
sein. Das Gebot der Stunde sind bezahlbarer, barriere-
freier Wohnraum und eine soziale Durchmischung in
den Wohngebieten.
Verkauf und Privatisierung kommunalen Woh-
nungsvermögens sind radikale, aber falsche Wege. Um
kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen, würden die
finanziellen Nöte Hunderttausender nur weiter ver-
schärft. Die Spitzen von CDU und SPD wollen laut Koa-
litionsvertrag „… die Internationalisierung der Woh-
nungswirtschaft hinsichtlich der damit verbundenen
sozialen, städtebaulichen und bauwirtschaftlichen Aus-
wirkungen sorgfältig analysieren“. Analysieren Sie wei-
ter! Wir kämpfen dagegen.
Wir streiten an der Seite der Verlierer von Privatisie-
rung, gemeinsam mit den Mietern und mit den Einkom-
mensschwachen. Allein ein Lippenbekenntnis zum
Wohngeld reicht nicht.
Die Fraktion Die Linke fordert deshalb:
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it der Einführung der Kreditfähigkeit der Verkehrsin-
rastrukturgesellschaft können leicht Schattenhaushalte
ntstehen. Das führt dazu, dass die Berufspendler wieder
eschröpft werden.
Die Kreativität der Koalition beim Schröpfen der Ver-
ehrsteilnehmer ist groß. Aber es gibt keine Kreativität
m Hinblick auf ein soziales und ökologisches Wegekon-
ept. Zum Glück haben die Opfer uns: Wir stehen und
ämpfen mit den Menschen, die davon betroffen sein
erden. Wir werden vier Jahre auf diesem Gebiet tätig
ein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Abgeordnete, das war Ihre erste Rede im Bun-
estag. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich.
Als Nächstes hat der Abgeordnete Winfried Hermann
om Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Sehr geehrter Herr Minister, auch von unserer
raktion herzlichen Glückwunsch zum Amt! Wir wün-
chen Ihnen von Herzen, dass Sie dieses Amt mit
ngagement betreiben und dass Sie es nicht nur auf
urze Zeit repräsentieren, sondern dass Ihre Verweil-
auer länger ist als die durchschnittliche Verweildauer
hrer Vorgänger, dass Sie nicht aus dem Amt flüchten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 289
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)
Winfried Hermann
und nicht nur Projekte eröffnen, die andere beschlossen
haben, sondern dass Sie in diesem so wichtigen Ministe-
rium selbst Politik gestalten.
Herr Minister, Sie haben erstaunlich geredet. Wenn
bisher Verkehrsminister hier geredet haben, dann war
man verführt, zu denken: Das ist der neue Wirtschafts-,
Technologie- und Städtebauminister. Wo ist der Ver-
kehr? – Nun ist erfreulich, dass Sie nicht verkehrsbor-
niert gesprochen haben, aber wenn man Minister in ei-
nem Ministerium ist, in dem das zentrale Aufgabenfeld
die Verkehrs- und Mobilitätspolitik ist, dann muss man
auch darüber sprechen.
– Nein. Zentrale Fragen hat er nicht angesprochen, zen-
trale Fragen, die man stellen muss: Wie kann zukünftig
in Deutschland Mobilität sichergestellt werden? Wie
kann zukünftig Mobilität in Deutschland aussehen? Man
muss doch fragen: Wie können wir das in den letzten
Jahren zu beobachtende stetige Wachstum an CO2-Aus-
stoß, also an Treibhausgasen, im Verkehrssektor redu-
zieren? Dazu ist nichts gesagt worden.
Eine andere Frage ist: Wie schaffen wir es angesichts
der hohen Abhängigkeit vom Öl in diesem Sektor und
angesichts des Wissens, dass diese Ressource endlich ist,
vom Öl wegzukommen? Mit welcher Strategie kommen
wir zu anderen Treibstoffen und zu anderen Antriebs-
systemen? Auch dazu ist nichts gesagt worden; es ist
nur allgemein von Technologie gesprochen worden.
Obwohl Sie viel über den Bereich Stadt gesprochen
haben, haben Sie wenig zu den Fragen gesagt: Wie ge-
stalten wir den demographischen Wandel in den Städ-
ten, in der Infrastruktur? Welche können wir uns ange-
sichts einer sich stark verändernden und auch
vermindernden Gesellschaft zukünftig noch leisten? –
Ich hätte erwartet, dass Sie zu einigen dieser zentralen
Fragen etwas sagen. Leider ist dazu wenig gesagt wor-
den.
Im Koalitionsvertrag reden die Koalitionspartner von
einem Konzept für integrierte und nachhaltige Mobili-
tätspolitik. Man ist erfreut; denn schließlich haben wir
seit Jahren darum gekämpft, das in Gang zu setzen. Aber
wenn man den Koalitionsvertrag im Detail abklopft,
stellt man erstaunt fest, wie wenig von diesem Konzept
die Rede ist. Es ist ein altbekanntes klassisches Bekennt-
nis zum Ausbau von Infrastruktur – als könnte man die
Verkehrs- und Wirtschaftsprobleme vor allem durch In-
frastrukturmaßnahmen lösen! Die Geschichte hat doch
längst belegt, gerade im Osten, dass eine breite Straße
und unter Umständen auch eine unterirdische Eisenbahn
nicht weiterhelfen.
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leichzeitig sagen Sie aber: Eigentlich haben wir kein
eld. Wenn man alles gleichzeitig tun will und dabei
uch noch sparen muss, bleibt für alle Bereiche nur
iemlich viel Kleinklein übrig und man kommt nicht
ach vorn. Sie müssen in dieser Situation den Mut ha-
en, Prioritäten zu setzen,
nd auch Stellung nehmen zu den Fragen: Wo gibt es
enachteiligung? Wollen wir nicht auf Zeit einen Ver-
ehrsträger nach vorn schieben? Aber Sie können nicht
leichzeitig für den Flugverkehr und für die schnelle
ahn ausbauen. Dann geben Sie das Geld zweimal aus,
chaffen Konkurrenz und machen letztlich beide Infra-
trukturen unproduktiv.
Damit bin ich bei einem zentralen Feld der Verkehrs-
olitik, nämlich der Schienenpolitik. Auch hier vollmun-
ige Bekenntnisse: Wir wollen im Bereich Infrastruktur
chiene deutlich erhöhen. Darüber freut sich der Grüne
atürlich. Dann liest man nach. Man hat den Mund vom
taunen noch nicht ganz zu, schon kommt die Nachricht:
,1 Milliarden Euro sollen bei den Regionalisierungs-
itteln gespart werden. Das ist doch das Rückgrat des
chienenverkehrs, das Rückgrat des Nahverkehrs. Da
ollen Sie drastisch kürzen und abbauen. Das ist genau
as Gegenteil.
in Ausbau des Schienenverkehrs und der Schienenin-
rastruktur wird Ihnen nicht weiterhelfen, wenn Sie
leichzeitig beim Betrieb einsparen; denn damit machen
ie viel kaputt.
u Recht sagen viele Kenner der Bahn: Wer dort um
0 oder 15 Prozent kürzt, kürzt im Angebot letztlich um
0 bis 25 Prozent. Das ist fatal.
er in diesem Sektor kürzt, braucht sich auf jeden Fall
icht zu wundern, wenn sich der Verkehr wieder verla-
ert. Bei den Regionalisierungsmitteln zu kürzen heißt,
ie Leute wieder zurück ins Auto zu treiben.
Nun wird gesagt, die Regionalisierungsmittel würden
um Teil nicht richtig verwendet. Das ist wahr. Es ärgert
290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Winfried Hermann
auch uns, wenn in Bayern ÖPNV-Mittel für den Trans-
rapid eingesetzt werden.
Auch wenn in Baden-Württemberg das Projekt „Stutt-
gart 21“ oder in Berlin der Schülerverkehr aus Regiona-
lisierungsmitteln gefördert wird, ist das nicht richtig.
Aber das ist kein Argument gegen die Regionalisie-
rungsmittel insgesamt. Im Großen und Ganzen geben die
Länder diese Mittel verantwortungsvoll aus. Es ist un-
sere Aufgabe, ein klares Gesetz zu machen, das die Kri-
terien festlegt und für Transparenz sorgt, damit wir si-
cherstellen können, dass die Mittel zukünftig wirklich
angemessen verwendet werden. Das sollte geschehen.
Dafür werden wir uns einsetzen und dafür werden wir
streiten.
Ein Wort zur Bahn. Die letzten Tage haben wieder
einmal gezeigt, dass der Vorstandsvorsitzende der Bahn
der Politik gerne auf der Nase herumtanzt und so tut, als
gehöre das Unternehmen ihm und nicht dem Bund. Ich
bin Ihnen dankbar, Herr Minister, dass Sie rasch zu einer
Entscheidung gefunden haben und deutlich gemacht ha-
ben, dass über den Standort der Konzernzentrale nicht
vom Vorstand, sondern vom Eigentümer entschieden
wird. Das war eine politische Entscheidung, die so ge-
troffen werden musste.
– Das steht sogar im Gesetz.
Aber zusätzlich erwarte ich Folgendes von Ihnen. Bei
dem Geschäft mit der Hamburger Senatsverwaltung
wurde zugleich der Einstieg in den Hamburger Nahver-
kehr und in den Regionalverkehr von Schleswig-Hol-
stein und Brandenburg mitgeplant. Das ist ein unanstän-
diges Koppelgeschäft, weil man dort gewissermaßen den
letzten ernsthaften Konkurrenten der DB weggekauft
hätte. So schafft man keinen Wettbewerb auf der
Schiene, sondern schadet dem Wettbewerb und dem öf-
fentlichen Nahverkehr. Das ist falsch und das müssen
wir beenden.
Meine Damen und Herren, man müsste eigentlich
noch etwas zur Gleichheit der Verkehrsträger unter ord-
nungspolitischen Rahmenbedingungen sagen. Auch
dazu kein Wort. Es wäre doch endlich an der Zeit, die
steuerliche Benachteiligung etwa der Schiene im Ver-
gleich zum Luftverkehr anzugehen. Wir haben da schon
mehrere Anläufe unternommen. Jetzt sind Sie eine große
Koalition und können richtig viel stemmen. Tun Sie das
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Nachhaltig.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dirk Fischer von der
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Die große Koalition tut viel für die Verkehrsinfra-
truktur in Deutschland.
ie Koalitionsvereinbarung gibt deswegen Anlass zur
reude; denn sie ist ein Bekenntnis zu einer integrierten
nd nachhaltigen Verkehrspolitik.
Um die erforderliche Mobilität von Menschen und
ütern zu sichern, muss die Leistungsfähigkeit des ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 291
)
)
Dirk Fischer
samten Verkehrssystems durch Erhalt, Modernisierung
und bessere Nutzung gesteigert werden. Ausdrücklich
haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die
Infrastrukturinvestitionen – darauf wurde vom Herrn
Minister schon hingewiesen – in dieser Legislatur-
periode um insgesamt 4,3 Milliarden Euro deutlich er-
höht und verstetigt werden.
Dabei ist herauszustellen, dass wir ganz klar gesagt ha-
ben, dass Investitionen nicht als Subventionen gewertet
werden. Entscheidend ist dabei die Flexibilisierung im
Haushalt; denn alle Verkehrsträger gelten für die große
Koalition als gleichwertig. Herr Kollege Hermann, man
muss da in aller Leidenschaftslosigkeit feststellen:
Welch wohltuender Unterschied zwischen uns.
Damit wird der bedarfsgerechte Ausbau aller Netze mit
wachstums- und beschäftigungsfördernder Wirkung ge-
währleistet.
Aber auch eine zügige Planung und Realisierung
von Infrastrukturvorhaben ist von besonderer Bedeu-
tung. Wir haben hier die Erkenntnis, dass in den neuen
Bundesländern mit dem Verkehrswegeplanungsbe-
schleunigungsgesetz sehr gute Erfahrungen gemacht
worden sind. Durch die Beschränkung des Rechtswegs
auf die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bun-
desverwaltungsgerichts wurden die Verfahren um etwa
anderthalb Jahre verkürzt. Dies kann man dem Erfah-
rungsbericht der rot-grünen Bundesregierung entneh-
men. Ich danke auch den Kollegen von den Grünen, dass
sie sich an der Feststellung des Nutzens eines solchen
Gesetzes in dieser erfreulichen Weise beteiligt haben.
Durch die Beschränkung wurden die berechtigten Be-
lange der betroffenen Bürger und der Umwelt nicht ver-
nachlässigt.
Da der besondere Nachholbedarf der neuen Länder
beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auch weiterhin
besteht, werden wir die Geltungsdauer des Gesetzes in
einem Zwischenschritt bis zum 31. Dezember 2006 ver-
längern. Wir werden dann aber mit dem Planungsbe-
schleunigungsgesetz 2006 eine Folgeregelung in Kraft
setzen. Damit schaffen wir die Voraussetzung für eine
bundesweit einheitliche Straffung, Vereinfachung und
Verkürzung der Planungsprozesse.
Es muss zukünftig aber auch um eine effizientere
Nutzung der vorhandenen Infrastruktur gehen.
Um es deutlich zu sagen: Dabei geht es vor allem auch
darum, sich hinsichtlich der Nutzung der Schienenin-
frastruktur um mehr Wettbewerb im System zu bemü-
hen.
Ich glaube, dass die Worte des Kollegen Dr. Friedrich
hier sehr überzeugend gewesen sind.
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Ich bin sicher, dass von unserer neuen Anstrengung in
iesem Bereich ein ganz beachtlicher Beitrag zur Bele-
ung der Konjunktur ausgeht, der obendrein vor allem
ie mittelständische Bauwirtschaft stärken wird.
292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Dirk Fischer
Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, den von
uns eingeschlagenen Weg beschreiten, dann tragen wir
dazu bei, Deutschland hinsichtlich der Anforderungen
der Zukunft fit zu machen. Daran gemeinsam zu arbeiten
sowie in Rede und Widerrede zwischen Regierung und
Opposition um die beste Lösung zu ringen ist eine für
uns wichtige, notwendige und auch vom Bürger von uns
eingeforderte Anstrengung.
Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Hilsberg,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, auf-
grund Ihres guten Einstandes, den Sie hier gegeben ha-
ben und für den Sie zu Recht auch von Teilen der Oppo-
sition gelobt wurden, kann ich mich auf einige wenige
Punkte beschränken.
Ich will mit einem aktuellen Punkt beginnen – er ist
schon angedeutet worden –, der unter dem Stichwort
Bahn läuft. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur
Fortsetzung und zur Vollendung der Bahnreform. Sie
wird ihren Abschluss finden – wenn es gut geht, noch in
dieser Legislaturperiode – im Börsengang der Deut-
schen Bahn. Wir halten den Börsengang deshalb für un-
erlässlich, weil es erst dadurch möglich wird, den unter-
nehmerischen Wert der DB AG tatsächlich belastbar zu
ermitteln, und weil es erst unter diesen Bedingungen
möglich wird, den Konsolidierungsprozess und die Ein-
stellung auf Wettbewerb bei der Bahn tatsächlich zum
Abschluss zu bringen.
Aber damit dies erreicht werden kann, sind einige Vo-
raussetzungen zu erfüllen. Herr Fischer hat sie genannt.
Dazu gehört das Gutachten. Es geht in diesem Zusam-
menhang auch um das Verhältnis zwischen Netz und Be-
trieb. Es geht aber vor allem darum – dieser Punkt wird
uns hier sehr intensiv beschäftigen –, dass der Bund nach
dem erfolgten Börsengang nicht zum alleinigen Garan-
ten des Börsenwertes der DB AG wird. Wenn das ge-
lingt, können wir es schaffen, den Börsengang zu einem
guten Erfolg zu führen.
Ich will noch einen weiteren Punkt erwähnen. Die
DB AG ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Umstruktu-
rierung eines ehemaligen Staatsbetriebes mit einem gro-
ßen Korpsgeist und in sich verfestigten Strukturen. Die-
ser Betrieb musste erst einmal in privatwirtschaftlicher
Richtung umstrukturiert werden. Dass dieser Weg er-
folgreich beschritten wurde, können wir alle sehen. Ich
hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie benutzen
häufig Ihren Netzausweis. Denn eine Fahrt mit der Bahn
lohnt sich in der Tat. Das ist schon etwas anderes als vor
zehn Jahren.
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eigt, dass die Bahn ein Monopol hat. Herr Mehdorn,
er mit allen Wassern gewaschen ist, weiß dieses Mono-
ol gelegentlich gut einzusetzen.
ies verpflichtet uns umso mehr,
u registrieren – auch das wurde hier schon gesagt –,
ass unsere Bahnpolitik in puncto Wettbewerb der All-
emeinheit verpflichtet ist. Wir werden unsere Bahnpoli-
ik nicht von einem einzelnen Unternehmen abhängig
achen, sondern von dem guten Gedeihen des Systems
chiene allgemein. Die Schiene muss gegenüber ande-
en Verkehrsträgern im Wettbewerb bestehen. Aber auch
er Wettbewerb auf dem Verkehrsträger Schiene muss
ut organisiert werden. Erst das macht die ganze Sache
erfekt.
Gelegentlich gibt es Diskussionen, die man etwas kri-
isch beleuchten muss. In der Auseinandersetzung um
en Umzug der Bahn haben Sie sich, Herr Tiefensee, be-
ährt. Auch ich bin gegen eine Verlagerung des Kon-
ernsitzes nach Hamburg, aber nicht, weil es nicht ein
nteressantes Geschäftsgebiet wäre. In diesem Punkt
ollte man die Bahn auch nicht behindern. Aber ob der
reis die Verlagerung der gesamten Konzernspitze sein
ollte – es ist immerhin eine strategische und nicht nur
ine industriepolitische Frage –, wage ich sehr zu be-
weifeln.
Aber lassen wir die Bahn ihre neuen Geschäftsfelder
ut weiterentwickeln. Wir begleiten sie dabei und wer-
en in erster Linie dafür sorgen, dass die Bahn ihre
ernkompetenz erfüllt. Das ist der Schienenverkehr und
r wird es auch bleiben. Deswegen gehört der Sitz des
onzerns nach Berlin und nicht nach Hamburg.
Wir müssen in der anstehenden Legislaturperiode
uch einige Maßnahmen umsetzen, die von den Men-
chen nicht nur positiv kommuniziert werden. Dazu ge-
ört – es ist angesprochen worden – die Abschaffung
er Eigenheimzulage. Es gehört nun einmal zu einer
erantwortlichen Politik, dass man Anachronismen, Din-
en, die früher richtig waren und heute anachronistisch
eworden sind, Rechnung trägt. Die Eigenheimzulage ist
ine zunehmend sinnlose Subvention geworden. Sie hat
hren Beitrag zum Vermögensaufbau geleistet. Dies wer-
en wir fortsetzen. Aber es macht überhaupt keinen Sinn
in einigen Teilen Deutschlands ist das an der Tagesord-
ung –, öffentliches Geld für den Bau von Wohnraum
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 293
)
)
Stephan Hilsberg
und gleichzeitig für den Abbau von Wohnungen auszu-
geben.
Das gehört abgeschafft. Deswegen ist die Abschaffung
der Eigenheimzulage völlig richtig.
Beim Wohneigentum werden wir zu guten Lösungen
kommen. Auch dazu steht eine ganze Menge Interessan-
tes und Lesenswertes im Koalitionsvertrag.
Es gibt einige andere Punkte, die gerade mir als Ost-
deutschem wichtig sind. Es wird uns gelingen, einige in
Ostdeutschland gemachte Erfahrungen, die gut sind, bei-
spielsweise das schnellere Planungsrecht, das wir dort
entwickelt haben, auf Gesamtdeutschland zu übertragen.
Das hat nichts mit dem Abbau von Bürgerrechten zu tun,
sondern ist eine gesamtdeutsche Verwirklichung von gu-
ten Erfahrungen, die in Ostdeutschland gemacht wurden.
Dass ausgerechnet Sie von den Linken dagegen sind,
kann ich überhaupt nicht verstehen.
Ich könnte auf viele weitere Aspekte zu sprechen
kommen. Es ist ein Erfolgsschlager gewesen, dass wir
die „Soziale Stadt“ weiterentwickelt haben. Wir brau-
chen dieses Programm. Der Minister hat völlig zu Recht
auf die Bedeutung einer integrierten sozialen Stadtent-
wicklung verwiesen.
Dass der Name des Ministeriums in Zukunft auch den
Begriff Stadtentwicklung enthält, ist ein Programm.
Dass wir in Deutschland solche bedauernswerten Ent-
wicklungen wie die der letzten Monate in Frankreich
nicht haben, hängt auch damit zusammen, dass wir eine
andere, eine integriertere und sozialere Stadtentwicklung
haben, als das beispielsweise in Frankreich der Fall ist.
Daran gilt es anzuknüpfen. Man steht da oft vor neuen
Herausforderungen.
Es ist sinnvoll und richtig gewesen, so viel Geld, wie
wir das bisher getan haben, in den Stadtumbau, das
heißt in das Nach-innen-Wachsen der Städte, fließen zu
lassen. Auch dieses Programm werden wir übrigens auf
Westdeutschland ausdehnen. Ich bin davon überzeugt:
Wir werden dies nicht nur bis zum Jahr 2009, sondern
auch darüber hinaus tun.
– Der Wähler entscheidet überhaupt alles. Er hat ent-
schieden, dass wir – zu Ihrem Nachteil – eine große Ko-
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Herr Abgeordneter, ich kann verstehen, dass Sie, da
ie sich jetzt an die Opposition wenden, Ihre Redezeit
erlängern wollen. Aber ich bitte Sie trotzdem, zum
chluss zu kommen.
Es geht mir um einen zentralen Punkt: Es ist mir als
stdeutschem wichtig, dass wir uns als Sozialdemokra-
en und als diejenigen, die in Ostdeutschland, in der
ED-Diktatur, maßgeblich am Demokratisierungspro-
ess beteiligt waren, heute in der Pflicht befinden und
azu bekennen, die Versprechen von 1989/90 unter den
edingungen von Demokratie und sozialer Marktwirt-
chaft einzulösen. Das muss gerade vor dem Hinter-
rund gesagt werden, dass auf der äußersten Linken un-
eres Parlaments eine Partei Einzug gehalten hat, die
iese Demokratisierung auf das Entschiedenste be-
ämpft
nd sich bis heute nicht wirklich damit abgefunden hat.
ir haben in Ostdeutschland Probleme; das ist gar keine
rage. Darüber muss geredet werden. Sie müssen gelöst
erden. Die Frage der Rechtsangleichung –
Herr Abgeordneter, ich muss Sie bitten, zum Schluss
u kommen.
– in Verbindung mit dem Arbeitslosengeld II ist dabei
in wichtiger Schritt.
Aber das, was in Ostdeutschland geleistet wurde, las-
en wir uns von niemandem kleinreden. Wir werden das,
as wir dort erreicht haben, zu verteidigen wissen. Auf
iesem Weg bleiben wir. Gerade die Menschen in Ost-
eutschland werden sich auf das Wirken der großen
oalition verlassen können.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit, Herr Tiefensee!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Arnold Vaatz,
DU/CSU-Fraktion.
294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrter Herr Minister Tiefensee, als Erstes möchte ich Ih-
nen im Namen der ostdeutschen CDU-Abgeordneten zu
Ihrem Amt gratulieren und Ihnen das Beste wünschen.
Ich hoffe, dass Sie etwas daraus machen, was unserem
Gemeinwesen nützt und was Sie und uns alle am Ende
mit Zufriedenheit erfüllt. Sie haben dafür jede Unterstüt-
zung von uns.
Kollege Hermann hat Ihnen vorhin eine Kostprobe
gegeben, indem er gesagt hat, was die Verweilzeit der
Minister in diesem Amt betreffe, sei ihm schon so eini-
ges untergekommen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich
glaube nicht, dass der Kollege Hermann als Oppositions-
abgeordneter die gleichen Chancen hat, seinem Minister
die Freude am Amt zu verleiden, wie er dies als Koali-
tionsabgeordneter hatte.
Herr Tiefensee, Sie haben zunächst gesagt, Sie woll-
ten für ein neues Klima des Aufbruchs in Ostdeutschland
arbeiten. Ich halte das in der Tat für eines der allerwich-
tigsten Dinge, die von diesem Haus ausgehen müssen.
Mit Selbstblockaden erreichen wir überhaupt nichts. Wir
müssen unsere Kraft neu entdecken. Wir brauchen den
Willen, die Zukunft gestalten zu wollen, und den Opti-
mismus, sie auch selbst gestalten zu können. Ich glaube,
Ihre Einstandsrede war ein guter Anfang.
Meines Erachtens kann man es nicht oft genug beto-
nen – das ist eine Leistung dieser großen Koalition –,
dass sie sich im Angesicht der schwierigen Finanzlage
auf dem Gebiet der Bundesfinanzen klar dazu bekannt
hat, dass der Solidarpakt II für Ostdeutschland unange-
tastet bleibt. Das halte ich für außerordentlich wichtig;
denn bessere Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze
werden wir nur dann schaffen können, wenn wir mittel-
fristig eine solide Finanzplanung erreichen. Durch den
Erhalt des Solidarpakts II schaffen wir das. Das ist eine
gute Botschaft für ganz Deutschland.
Der Staat kann Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze
schaffen. Er selbst kann keine Arbeitsplätze schaffen.
Rahmenbedingungen sind zum Beispiel öffentliche In-
vestitionen. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass
wir uns zu unserer öffentlichen Investitionstätigkeit klar
bekennen. Wir müssen zum Beispiel registrieren, dass
durch die Erweiterung der Europäischen Union auch die
verkehrliche Beanspruchung Ostdeutschlands wesent-
lich dichter geworden ist. Es ist notwendig, darauf zu re-
agieren und die Anschlussbedingungen zu schaffen.
Wir haben uns dazu bekannt, den teilungsbedingten
Nachholbedarf im infrastrukturellen Bereich aufzuholen.
Frau Menzner, Sie engagieren sich dafür, dass die Men-
schen in diesem Land ihren Arbeitsplatz schnell errei-
chen können. Dazu muss ich sagen: Dafür brauchen wir
Straßen. Ohne Straßen geht das nicht. Es muss möglich
sein, diese Straßen möglichst schnell zu bauen. Deshalb
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Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir uns
m Bereich der Arbeitsmarktpolitik Gedanken darüber
achen, wie wir einfache Arbeiten, die für den deut-
chen Arbeitsmarkt augenblicklich fast überhaupt nicht
ehr erschlossen werden können, wieder erschließen.
ber solche Dinge wie Lohnkostenzuschüsse nachzu-
enken darf dabei kein Tabu sein. Den Prüfauftrag, den
ns der Koalitionsvertrag vorgibt, müssen wir wahrneh-
en.
Das alles muss in einem kooperativen Stil geschehen.
ch halte es für besonders wichtig, dass wir gleich am
nfang gemeinsam mit der Ministerpräsidentenkonfe-
enz Arbeitsgruppen gebildet haben. So können De-
ailfragen von Anfang an im Einvernehmen mit den Län-
ern geregelt werden.
Im Koalitionsvertrag – das möchte ich abschließend
agen, meine Damen und Herren – haben wir geschrie-
en, dass wir der Meinung sind, dass noch etwas für die
pfer der SED-Diktatur getan werden muss. Ich halte
s für außerordentlich wichtig, dass wir dieses Verspre-
hen trotz der schwierigen Haushaltslage tatsächlich ein-
ösen. Auf welchem Wege das geschehen soll, darüber
üssen wir uns möglichst schnell klar werden. Das ist
in Gebot des Respektes vor uns selbst, des Respektes
or der Demokratie und des Respektes vor unserer eige-
en Geschichte. Deshalb sollten wir auch diesen Passus
ußerordentlich ernst nehmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen
iegen zu diesem Bereich nicht vor.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 295
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 16/45 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzent-
wurf soll jedoch, anders als in der Tagesordnung festge-
halten, nicht an den Ausschuss für Tourismus überwie-
sen werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen – je schöner der Abend – zum Themen-
bereich Kultur. Dazu rufe ich auch die Zusatzpunkte 5
und 6 auf:
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Anna Lührmann, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Abrissmoratorium für den Palast der Republik
– Drucksache 16/60 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Pau, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Hakki Keskin,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Abriss des Palastes der Republik stoppen
– Drucksache 16/98 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Ich erteile Herrn Staatsminister Neumann das Wort.
Bevor Sie es ergreifen, will ich Ihnen gern von hier aus
zu Ihrem neuen Amt gratulieren.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin, Frau
Angela Merkel, ist in ihrer gestrigen Regierungserklä-
rung, die Anlass unserer jetzigen Debatte ist, ausführlich
auf die Bedeutung der Kultur eingegangen. Sie hat damit
der Kulturpolitik einen herausgehobenen Stellenwert ge-
geben.
Sie hat unter anderem gesagt – ich wiederhole dies –:
Unsere kulturelle Vielfalt ist einzigartig … Unsere
Kultur ist die Grundlage unseres Zusammenhaltes.
Deshalb ist Kulturförderung für diese Bundesregie-
rung keine Subvention … Sie ist eine Investition,
und zwar eine Investition in ein lebenswertes
Deutschland.
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ie Kanzlerin hat zudem betont, dass der Bund neben
en Ländern und Kommunen
auch in Zukunft eine Reihe ganz wichtiger Kultur-
aufgaben wahrnehmen wird. Deutschland – und
nicht nur die Summe der 16 Bundesländer – ist
schließlich eine europäische Kulturnation.
as ist wahr und in dieser Verantwortung stehen wird.
Kultur- und Medienpolitik sind deshalb selbstver-
tändliche, integrale Bestandteile unserer Regierungsar-
eit. Die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD ist
afür eine gute Grundlage. Ich weiß, Herr Kollege Otto,
as ist Ihnen immer noch zu wenig.
ber bis die FDP wieder in der Regierung ist, werden
ir mit diesen Aussagen ganz gut arbeiten können.
Im Übrigen hätte eine Koalitionsvereinbarung zwi-
chen CDU/CSU und FDP
m Bereich von Kultur und Medien – das müssen Sie zu-
eben – nicht viel anders ausgesehen.
eshalb gehe ich davon aus, lieber Kollege Otto, dass
ie uns tatkräftig unterstützen, insbesondere in Ihrer
euen Rolle als Ausschussvorsitzender, wozu wir Ihnen
ehr herzlich gratulieren.
Bevor ich zu einigen Sachpunkten komme, eine kurze
emerkung zum Amtsverständnis und zur Rolle des
undesbeauftragten für Kultur und Medien, worüber
n Verbindung mit der Personalentscheidung ja viel ge-
chrieben wurde. Die Aussage unter anderem vom Kul-
urrat, durch die geplante Föderalismusreform würde der
ulturstaatsminister geschwächt, ist nicht haltbar.
s wäre besser gewesen, die Kritiker – einschließlich
eines Freundes Otto – hätten sich den vorgesehenen
euen Artikel im Grundgesetz genau angesehen.
296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Staatsminister Bernd Neumann
Nur dann, wenn in Brüssel ein Thema ansteht, das im
Schwerpunkt der ausschließlichen Gesetzgebungsbefug-
nis der Länder unterliegt, ist ein Vertreter des Bundesra-
tes Verhandlungsführer.Er hat allerdings immer die Ver-
pflichtung, sich vorher mit dem Bund abzustimmen und
die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wah-
ren. So steht es dort. Mit dieser Feststellung – das ist
selbst für Juristen ganz interessant – bestätigen die Län-
der im Grundsatz die ungeschriebene Kompetenz des
Bundes für die Kultur. Das heißt, in allen Fragen, die
schwerpunktmäßig nicht unter die ausschließliche Ge-
setzgebungskompetenz der Länder fallen, wird wie bis-
her der Bund die Verhandlungsführung in Brüssel wahr-
nehmen, zum Beispiel beim europäischen Urheberrecht,
beim Folgerecht und bei der Umsetzung von EU-Richtli-
nien.
Im Übrigen ist für mich nicht so entscheidend, wer
gerade die Delegation leitet, sondern mehr, dass das Ver-
handlungsziel mit dem Bund abgestimmt sein muss. Sie
können deshalb davon ausgehen, dass ich meine Rolle in
Brüssel sehr selbstbewusst wahrnehmen werde.
Ich möchte an dieser Stelle meiner unmittelbaren Vor-
gängerin, Christina Weiss, die mit ihrer großen Sach-
kunde und ihrer sympathischen Gelassenheit einen
prima Job gemacht hat, sehr herzlich danken.
Nun, die heutige Redezeit ist kurz, die Legislaturpe-
riode dafür aber lang. Sie kennen die Koalitionsverein-
barung. Sie enthält einige grundsätzliche und eine ganze
Reihe konkreter Aussagen. Ich möchte mich deshalb auf
einige Anmerkungen beschränken.
Die wesentliche Aufgabe der Kulturpolitik des Bun-
des liegt in der Gestaltung und der möglichen Verbesse-
rung der Rahmenbedingungen für Kultur. Dazu gehö-
ren unter anderem die Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements, die Stabilisierung der Künstlersozialversi-
cherung, ein künstler- und autorenfreundliches Urheber-
recht, ein besonderes Engagement für die neuen Länder
sowie die Wahrnehmung der besonderen Verantwortung
für die Kultur in der Hauptstadt Berlin.
Auf europäischer Ebene und darüber hinaus wollen
wir Vereinbarungen, die unsere kulturelle Vielfalt
schützen, die es verhindern, dass Kultur zur bloßen Han-
delsware herabgesetzt wird, und die der nationalen Ver-
antwortung, zu der auch die Eigenverantwortung von
Kommunen und Bundesländern gehört, den Freiraum
und die Autonomie belassen, die überhaupt erst kultu-
relle Vielfalt ermöglichen.
Für den deutschen Film – mein bisheriges Engage-
ment ist ja bekannt –
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aben wir nicht nur in der Koalitionsvereinbarung, son-
ern bereits in der ersten Arbeitssitzung des Kabinetts
ine wichtige Weichenstellung im Hinblick auf die Mo-
ilisierung privaten Kapitals vorgenommen, bei deren
msetzung ich mit Ihrer tatkräftigen Mithilfe rechne.
eine Damen und Herren von der großen Koalition, wir
rauchen nur das umzusetzen, was wir im Koalitionsver-
rag vereinbart haben, und ich denke, das werden wir
uch tun.
Im Medienbereich wird die Deutsche Welle im Zen-
rum unserer Aufmerksamkeit stehen. Sie muss in der
ahrnehmung ihrer Aufgaben gestärkt werden – so
eißt es, wenn auch nicht im Kapitel „Medien“, im Kapi-
el „Außenpolitik“ –, damit Deutschland in seiner gan-
en Vielfalt als verantwortungsbewusster Partner in der
elt wahrgenommen wird. Wir wollen eine enge Ko-
peration mit ARD und ZDF, um die Aktualität und At-
raktivität des deutschen Auslandsfernsehens, Deutsche
elle TV, zu verbessern.
Meine Damen und Herren, es ist viel zu tun,
nd zwar viel mehr als das, was in der Koalitionsverein-
arung steht. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung
er Kulturpolitiker aller Fraktionen, um der Bedeutung
er Kultur und ihrer Förderung auch mit Blick auf den
aushalt Nachdruck zu verleihen. Bei dieser Anstren-
ung – das ist meine abschließende Bitte – hoffe ich
icht nur auf die Unterstützung der Kolleginnen und
ollegen der großen Koalition. Hier wäre eine Allpartei-
nkoalition für die Kultur das beste Signal.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Joachim Otto
on der FDP-Fraktion.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber
ernd Neumann, zunächst einmal möchte ich Ihnen
uch namens meiner Fraktion ganz herzlich zu Ihrem
euen Amt gratulieren. Wir wünschen Ihnen von Herzen
rfolg und nicht zuletzt auch den Rückhalt der Koalition
n allen Fragen der Medien- und Kulturpolitik und ihrer
msetzung.
ch verbinde dies, auch in meiner neuen Eigenschaft als
usschussvorsitzender, mit der Hoffnung auf eine kon-
truktive Zusammenarbeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 297
)
)
Hans-Joachim Otto
In der Tat stehen uns große Aufgaben bevor, die wir
nur bewältigen können, wenn alle Fraktionen zumindest
in Grundsatzfragen an einem Strang ziehen, und zwar in
derselben Richtung. Vor welch großen Aufgaben die
Kultur- und Medienpolitik steht, verdeutlichen die vor
einer Woche veröffentlichten Ergebnisse des achten Kul-
turbarometers: Rund zwei Drittel aller Befragten gaben
an, noch nie in ihrem Leben eine Oper, Operette, Thea-
teraufführung, Veranstaltung mit bildender Kunst oder
Literatur besucht zu haben. Das ist ein alarmierendes
Zeichen. Diese Umfrage der Deutschen Orchesterverei-
nigung zeigt exemplarisch, was uns erwartet, wenn wir
nicht in viel stärkerem Maße als bisher insbesondere
Kinder und Jugendliche an Kultur, die mehr ist als bloße
Unterhaltung, heranführen. Mehr kulturelle und ästhe-
tische Bildung heißt also die Schlüsselaufgabe.
Lassen Sie mich jetzt auf die Koalitionsvereinbarun-
gen zur Kultur- und Medienpolitik eingehen. Wir als Li-
berale haben uns sehr gefreut, dass sich zahlreiche Pas-
sagen aus dem FDP-Wahlprogramm, teilweise sogar in
gleichem Wortlaut, im Koalitionsvertrag wiederfinden.
Diese Art von Raubkopie kann ich nur begrüßen.
Lieber Herr Staatsminister Neumann, Sie haben zu
Recht angenommen, dass vieles – eigentlich fast alles –
von dem, was im Koalitionsvertrag steht, auch verein-
bart worden wäre, wenn ein Koalitionsvertrag zwischen
Union und FDP geschlossen worden wäre. Problema-
tisch an dem Koalitionsvertrag ist aber nicht das, was
drinsteht, sondern in erster Linie das, was nicht enthalten
ist oder im Anhang steht. Es ist kein gutes Zeichen, dass
sich die Kulturpolitiker von Union und SPD hinsichtlich
ihrer ursprünglichen Vereinbarungen zum Staatsziel
Kultur und zu dem klaren Bekenntnis zu einem ermäßig-
ten Mehrwertsteuersatz nicht haben durchsetzen können;
dies steht nicht ausdrücklich in der Koalitionsvereinba-
rung.
– Dann hättet ihr es aufnehmen sollen.
Der kritikwürdigste Punkt des Koalitionsvertrages
findet sich im Anhang. Ich meine die Außenvertretung
Deutschlands gegenüber der EU in Fragen der Kultur-
und Medienpolitik. Im Klartext: Wenn Art. 23 Abs. 6
des Grundgesetzes tatsächlich wie vorgesehen geändert
würde, bedeutete dies einen Schaden für die Kultur und
den Rundfunk in Deutschland. Jahrelange leidvolle Er-
fahrungen lehren uns doch, dass, wenn ausschließlich
die Ländervertreter für Deutschland verhandeln, es den
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ier müssen wir gemeinsam etwas ändern. Wir müssen
as neue Verbindungsbüro des Bundestages in Brüssel
utzen und dort als Parlamentarier direkte Informations-
anäle aufbauen.
Abschließend möchte ich noch kurz auf die beiden
nträge zum Abriss des Palastes der Republik einge-
en. Es gibt keinen tragfähigen neuen Gesichtspunkt
eit dem mit breiter Mehrheit verabschiedeten Abrissbe-
chluss dieses Hohen Hauses vom 4. Juli 2002.
s ist doch auch eine Frage der Selbstachtung unseres
auses, dass, wenn nach sorgfältiger Diskussion Be-
chlüsse mit breiter Mehrheit verabschiedet wurden, die
iskussion danach nicht erneut beginnt und wir zu
euen Beschlüssen kommen.
eswegen plädiere ich dafür, diese beiden Anträge zu-
ückzuweisen.
298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Hans-Joachim Otto
Gar nicht verstehen kann ich den Antrag der Grünen.
Antje Vollmer ist erst seit wenigen Wochen nicht mehr
Mitglied dieses Hauses und schon ändern Sie den Kurs.
Das sollten Sie noch einmal überdenken.
Ich komme zum Schluss. Lieber Bernd Neumann, der
Ausschuss für Kultur und Medien zeichnet sich seit sei-
ner Einrichtung vor sieben Jahren durch ein hohes Maß
an Sachorientierung und grundsätzlicher Übereinstim-
mung aus. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dies auch
in dieser Legislaturperiode leisten werden, auch wenn
wir, wie bei der Frage des Palastabrisses, kontrovers dis-
kutieren.
Ich weiß nicht, ob man von einer Allparteienkoalition
sprechen soll. Aber wir Liberale sagen Ihnen zu, dass
wir in einem sehr konstruktiven Sinne mit Ihnen und
selbstverständlich mit allen Kolleginnen und Kollegen in
dem Ausschuss zusammenarbeiten werden, zum Wohle
von Kunst, Kultur und Medien in Deutschland.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Monika Griefahn von
der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich möchte dem neuen Staatsminister für Kultur und Me-
dien aufs Herzlichste gratulieren. Wir haben in der ver-
gangenen Legislaturperiode auch deshalb so viel er-
reicht, weil wir im Kulturausschuss mit Ihnen als
Obmann der CDU/CSU-Fraktion oft gut zusammen-
statt gegeneinander gearbeitet haben. Deshalb glaube ich
hoffen zu dürfen, dass wir in der Koalition gemeinsam
einiges auf die Beine stellen werden. Ich freue mich auf
die gute Zusammenarbeit.
Ich möchte aber auch nicht versäumen, Dr. Christina
Weiss zu danken. Sie hat in ihrem Amt in den letzten
Jahren viel erreicht, vieles angeschoben und mit bewun-
dernswerter Energie und der nötigen Ausdauer die Vor-
haben auf den Weg gebracht.
Die Bundeskulturpolitik kann seit 1998 mit einem
vollkommen gewandelten Selbstverständnis aufwar-
ten. Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und
Christina Weiss haben ihr Stimme und Gesicht verlie-
hen.
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Die schon seit langer Zeit notwendige Fusion der
ulturstiftungen der Länder mit der Kulturstiftung
es Bundes wollen wir jetzt noch einmal angehen. Vor
rei Jahren war dieser Plan noch am Votum Bayerns ge-
cheitert. Ich hoffe, dass wir in den Verhandlungen errei-
hen werden, dass der Bund in einer neuen Stiftung an-
emessen vertreten ist; denn das ist der entscheidende
unkt. Es geht nicht, dass der Bund 75 Prozent des Gel-
es gibt, aber nur eine von 17 Stimmen hat. Hier müssen
ir zu einem anderen Agreement kommen, damit die
rbeit der Stiftung in der bewährten Form weitergeführt
erden kann.
Wir wollen weiter an der Erinnerungskultur in
eutschland arbeiten. Seit dem 1. Januar 2005 ist der
taatsminister für Kultur und Medien auch für die
irthler-Behörde und die Stiftung zur Aufarbeitung der
ED-Diktatur zuständig. Damit können wir jetzt eine
esamtkonzeption zur Auseinandersetzung mit der
ED-Diktatur erarbeiten, innerhalb derer auch die Erin-
erung an die Teilung Deutschlands zur Geltung kom-
en kann.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 299
)
)
Monika Griefahn
Herr Otto hat bereits erwähnt, dass uns heute wieder
einmal zwei Anträge zum Palast der Republik vorlie-
gen. Die Linke will den Abriss ganz stoppen und die
Grünen wollen ihn so lange herauszögern, bis die Finan-
zierung des Neubaus vollständig gesichert ist.
Ich finde es seltsam, dass dieses Thema den Bundestag
erneut beschäftigt, obwohl es klare Beschlüsse dazu gibt.
Am 13. November 2003 – das ist gerade einmal zwei
Jahre her – haben wir interfraktionell, also mit den Stim-
men des ganzen Hauses
– die PDS war keine Fraktion –, beschlossen – ich zitie-
re –:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, den Abriss des Palastes der Republik öf-
fentlich auszuschreiben, zu beauftragen und ge-
meinsam mit dem Land Berlin für eine gärtnerische
Übergangsgestaltung des gesamten Areals zu sor-
gen.
Ich finde nicht, dass wir hier unsere eigenen – und dazu
richtigen – Beschlüsse zurücknehmen sollten. Eine Ver-
zögerung schadet. Deshalb muss es bei dem Beschluss
bleiben. Wir müssen zusehen, dass wir das Weitere
schnell auf den Weg bringen.
Ich bin froh, dass wir für den Problembereich
Vertreibung eine Lösung gefunden haben, bei der das
„Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität“ und
die Arbeit von Staatsministerin Christina Weiss im Vor-
dergrund stehen. Das ist ein wichtiges außenpolitisches
Zeichen; denn das zeigt, dass das europäische Verständ-
nis einer von Unrecht geprägten Epoche gemeinsam mit
Polen, Tschechien und Ungarn in einem gleichberechtig-
ten Europa diskutiert werden muss. Das ist der richtige
Ansatz und ich bin sehr froh, dass wir in den Koalitions-
verhandlungen zu diesem Ergebnis gekommen sind.
Im Koalitionsvertrag haben wir auch deutlich ge-
macht, dass der Film einen hohen Stellenwert hat; Herr
Neumann hat es erwähnt. Ich erinnere daran, dass wir
das Filmförderungsgesetz in der letzten Legislatur-
periode novelliert und damit schon eine wichtige Grund-
lage auf den Weg gebracht haben. Jetzt müssen wir aber
eine Übergangsfinanzierung für die Medienfonds voran-
bringen.
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Wir werden auch dafür streiten – das ist ebenfalls ein
anz wichtiger Punkt –, dass die öffentlich-rechtlichen
edien nicht den Anschluss an die neuen Medien verlie-
en. In einer Zeit, in der gerade jüngere Menschen ganz
ndere Übertragungstechniken wie Handys oder das In-
ernet nutzen, wäre es ein fatales Zeichen, den öffent-
ich-rechtlichen Rundfunk von diesen Entwicklungen
bzuschneiden. Dafür haben wir gemeinsam in Brüssel
ekämpft und dafür werden wir hier im Land wie auch in
rüssel weiterhin gemeinsam kämpfen.
Sowohl bezogen auf den Rundfunk als auch bezogen
uf die Telemedien haben wir die Zuständigkeit für den
ugendschutz komplett in die Verantwortung der Länder
elegt. Dafür wollen wir den Datenschutz ganz dem
und überlassen und hier gemeinsam die besten Lösun-
en finden. Ich glaube, wir dürfen den Datenschutz nicht
d acta legen.
erade in Zeiten des Terrorismus könnte das leicht dazu
ühren, dass man etwas überreguliert und damit die Bür-
errechte einschränkt. Das müssen wir immer im Auge
aben.
Das ist mir sehr wichtig.
ass das Kartellamt und auch die Kommission zur Er-
ittlung der Konzentration im Medienbereich Bedenken
egen die Fusion des Axel-Springer-Verlages mit der
ro Sieben Sat.1 Media AG angemeldet haben, zeigt in
einen Augen, dass die Kontrolle der unabhängigen
remien, die wir in diesem Land eingerichtet haben, zu
unktionieren scheint. Wir müssen nur schauen, ob wir
eim Gesetz nachjustieren müssen, damit die Regelun-
en auch wirklich greifen und alles klar ist, sodass nicht
rgendwelche Leute kommen können und etwas anderes
eschließen.
300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Monika Griefahn
Wir brauchen aber einen einheitlichen Bewertungs-
rahmen für die Kultur-, die Medien- und die Wirtschafts-
politik. Hier sind wir ganz einer Meinung, Herr Otto; da
haben Sie Recht. Wir wollen das nicht machen. Ich
denke, dafür sind die Institutionen von uns eingerichtet
worden.
Der Herr Minister hat es schon gesagt: Wir wollen auf
EU-Ebene bei der Dienstleistungsrichtlinie und auf in-
ternationaler Ebene bei GATS gemeinsam dafür kämp-
fen, dass Kunst und Kultur in erster Linie als Träger von
Identitäten und Wertvorstellungen gesehen werden, und
nicht zulassen, dass sie ausschließlich als Ware definiert
werden. Nach Kanada sollten wir daher die UNESCO-
Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt ebenso
schnell ratifizieren wie das Kulturgüterabkommen von
1970. Das muss jetzt ganz schnell auf den Weg gebracht
werden.
Einmütig haben sich alle Fraktionen dazu bekannt,
die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als tra-
gende dritte Säule der deutschen Außenpolitik weiter zu
stärken. Eine sichere Finanzierung und starke Mittleror-
ganisationen wie das Goethe-Institut und die deutschen
Auslandsschulen sind hier ganz wichtig. Die traurige
Tatsache, dass es im Irak mit Susanne Osthoff gerade die
erste deutsche Geisel gibt, zeigt uns, dass die Verständi-
gung zwischen den Kulturen eine unserer vordringlichs-
ten Aufgaben ist. Das schaffen wir nur mit der Dialogpo-
litik, die wir seit dem Jahre 2000 verstärkt anwenden.
Ich denke, gerade der Dialog mit dem Islam ist uns ein
sehr wichtiges Anliegen.
Die Deutsche Welle spielt dabei eine zentrale Rolle.
Neben dem Hörfunk und dem Internetauftritt in
30 Sprachen brauchen wir ein attraktives Fernsehen. Da-
für muss die Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit
ARD und ZDF intensiviert werden. Ich denke, die Erfah-
rungen mit German TV eröffnen hier sehr gute Möglich-
keiten.
Sie sehen: Wir haben viel zu tun. Packen wir es an!
Als Erstes sollten wir in der nächsten Sitzungswoche die
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ einset-
zen.
Dann wollen wir zügig daran arbeiten, dass wir einen
Konsens für die Verankerung der Kultur als Staatsziel im
Grundgesetz erreichen. Lassen Sie uns das gemeinsam
angehen!
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llerdings tun Sie mir ein bisschen Leid, sind Sie doch
m Vergleich zu den bisherigen Staatsministern ziemlich
ntmachtet und heruntergestuft worden.
Wahrhaftig wohlklingende Worte zur Kultur haben
ir gehört: „Kulturstaat Deutschland“ und „europäische
ulturnation Deutschland“, all das klingt sehr gut. Es ist
uch zu begrüßen, dass die große Koalition die Förde-
ung von Kunst und Künstlern in den Mittelpunkt ihrer
ulturpolitik stellt, in der Kulturförderung keine Sub-
ention, sondern eine Investition sieht und die Förde-
ung der Hauptstadtkultur als zentrale Aufgabe ansieht.
Aber wie steht es um diesen Kulturstaat Deutschland
n Wirklichkeit? Wenn die Investitionen des Bundes mit
einem Euro mehr ausstaffiert werden, dann bedeutet
as, dass nur durch Umschichtung neue Projekte mög-
ich werden und sich bei gleichzeitigem Rückgang der
ittel der Kulturhaushalte in den Ländern und Kommu-
en die Möglichkeiten zur Teilhabe an Kultur verringern
nd so wiederum viele Künstlerinnen und Künstler, die
ich schon heute in prekärer sozialer Situation befinden,
eiter verarmen. So viel zum Mittelpunkt der Künstler
nd der Kunst in der Politik.
Es gibt kein Wort zum Staatsziel Kultur als Verfas-
ungsauftrag, kein Wort über die Wiedereinsetzung der
nquete-Kommission „Kultur in Deutschland“,
ie uns den Satz „Der Staat schützt und fördert die Kul-
ur“ als Verfassungsauftrag empfohlen hat.
ie Linke setzt sich dafür ein, dass diese Arbeit so
chnell wie möglich fortgesetzt wird. Wir können den
ulturstaat Deutschland hoch und runter beschwören.
enn es der Staat nicht als seine zentrale Aufgabe an-
ieht, die Kultur vor den globalen Markt- und Medien-
ächten zu schützen, welche die Kultur als Ware und die
ulturschaffenden als Dienstleister ansehen, dann setzt
ich die Erosion unserer Identität fort. Da nutzt dann
uch keine Diskussion über deutsche Leitkultur mehr.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 301
)
)
Dr. Lukrezia Jochimsen
Ohne Kultur gehen wir kaputt. Kultur ist die Nahrung
einer Nation, wie Shakespeare es gesagt und Erich Fried
es uns übersetzt hat.
Wie sieht die Kulturwirklichkeit aus? Der Staats-
minister für Kultur ist entmachtet. Die Kulturvertretung
gegenüber der Europäischen Union ist an die Länder ab-
getreten. Inhaltlich sind die Ein- und Auslassungen zur
Kulturpolitik äußerst mager, sowohl im Koalitionsver-
trag als auch in der Regierungserklärung. Dabei gibt es
allerdings interessante Ausnahmen.
Die Bundeskanzlerin hat intensiv und sehr wider-
sprüchlich für ein Vertriebenenzentrum in Berlin ge-
worben, als Geste der Versöhnung. Das ist eine seltsame
Geste. Wer soll sich da eigentlich mit wem versöhnen?
Bei so etwas machen wir jedenfalls nicht mit.
Des Weiteren wird im Koalitionsvertrag die Gedenk-
stättenförderung des Bundes unter „angemessener Be-
rücksichtigung der beiden Diktaturen in Deutschland“ in
Aussicht gestellt. Wir möchten sehr gerne wissen, was
unter „angemessen“ zu verstehen ist.
Schließlich wird gefordert, die weiteren Entscheidun-
gen für den Wiederaufbau des Stadtschlosses zügig
voranzutreiben.
Diesen Ruf nach dem Abrisskommando halten wir zu ei-
nem Zeitpunkt, zu dem immer deutlicher wird, dass die
wesentlichen Grundlagen für den Beschluss des Deut-
schen Bundestags im Jahr 2002 zum Wiederaufbau des
Berliner Stadtschlosses hinfällig geworden sind,
für unverantwortlich und zynisch. Im Übrigen leugnet er
die gemeinsame Geschichte und Kultur unseres Landes.
Glauben Sie bloß nicht, dass irgendjemand von uns
den alten DDR-Palast der Republik wiederhaben will!
Legen Sie diese Angst ab und denken Sie darüber nach,
warum Sie sie haben! Wir wollen aber ein Forum der
Kultur für die Zukunft und kein Luxushotel mit Mu-
seumsbeständen im Keller hinter einer Barockfassade.
Wir wollen das Humboldt-Forum so, wie es hier zur Dis-
kussion stand und beschlossen wurde.
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ir danken den Grünen übrigens ausdrücklich für ihre
päte Einsicht und politische Unterstützung.
Insgesamt waren wir in Sachen Kulturstaat schon
eiter. In der Koalitionsvereinbarung von 2002 hieß es:
Kultur ist elementare Voraussetzung einer offenen,
gerechten und zukunftsfähigen Gesellschaft. Sie
wird für das Zusammenleben in einer sozial und
ethnisch divergierenden Gesellschaft immer wichti-
ger. Dazu gehören auch die Förderung der kulturel-
len Bildung von Kindern und Jugendlichen und die
Öffnung für die Kulturen der Migranten und Mi-
grantinnen. Die kulturellen Güter sind öffentliche
Güter und müssen für alle zugänglich sein.
as war ein anderer Zugang zum Kulturstaat Deutsch-
and. Dass so wenig davon von der letzten Regierung
mgesetzt wurde, Kollegen von der SPD und auch von
en Grünen, bedeutet für uns heute mehr Arbeit, mehr
ngagement und mehr Verantwortung.
Ich danke Ihnen.
Frau Jochimsen, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer
rsten Rede. Dem schließen sich die Kolleginnen und
ollegen sicherlich an.
Das Wort hat die Abgeordnete Grietje Bettin vom
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
egen! Lassen Sie mich auch kurz Herrn Staatsminister
eumann zu seinem neuen Amt gratulieren. So viel Zeit
uss sein. Ich hoffe, dass wir die vertrauensvolle Zu-
ammenarbeit in der Vergangenheit auch mit neuen Rol-
en fortsetzen können.
Trotzdem möchte ich gleich zu Beginn meiner Rede
in umstrittenes Thema ansprechen, nämlich die Forde-
ung eines Abrissmoratoriums für den Palast der Repu-
lik im Antrag meiner Fraktion.
302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Grietje Bettin
Auslöser für diesen Antrag war die Machbarkeitsstudie
– vielleicht sollte man besser von der Nichtmachbar-
keitsstudie reden –, die im Sommer dem Bauministerium
vorgelegt wurde. Die Studie hat deutlich gemacht, dass
das vom Bundestag vor mehr als drei Jahren beschlos-
sene Nutzungskonzept kaum realisierbar ist. Denn selbst
wenn das Schloss in Public Private Partnership wieder
aufgebaut werden würde, ist für die öffentliche Hand mit
Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu rechnen.
Trotz dieser enormen Summe müsste das Programm des
Humboldt-Forums um die Hälfte reduziert werden. Da-
bei gibt es bereits sinnvolle Alternativen, die vorsehen,
das Rohgerüst des ehemaligen Palastes der Republik in
ein neues Gebäude kostensparend zu integrieren.
Mit unserem Antrag wollen wir also nicht die ideologi-
sche Auseinandersetzung über Schloss oder Palast wie-
der aufleben lassen. Unser Ziel ist vielmehr, dass keine
Steuergelder für einen Abriss verschwendet werden, be-
vor überhaupt klar ist, was in Zukunft auf dem Platz ste-
hen wird.
Denn diese Steuergelder brauchen wir dringend für an-
dere Aufgaben, auch im Bereich der Kulturpolitik.
Lassen Sie mich nun zur Medien- und Kulturpolitik in
den nächsten vier Jahren kommen. Uns geht es als Grüne
vor allem um das Oberthema Erhöhung der Teilhabe-
chancen in unserer Gesellschaft. Wir wollen, dass
mehr Menschen Zugang zur Kultur bekommen. Wir
wollen beispielsweise Kulturveranstaltungen für alle of-
fen halten, nicht nur für ein Publikum mit hohem Bil-
dungsniveau oder mit einem prall gefüllten Geldbeutel.
Wir wollen vielfältige Angebote für ganz verschiedene
Zielgruppen sicherstellen. Wir wollen des Weiteren die
kulturelle Bildung fördern und gerade das Interesse jun-
ger Menschen an Kultur wecken; denn wir müssen vor-
beugen. Wenn man sich die demographische Entwick-
lung anschaut, stellt man fest, dass das kulturelle Leben
in schrumpfenden Städten und Regionen durchaus in
Gefahr ist. Aber auch dort müssen wir ein kulturelles Le-
ben sicherstellen. Dazu sagen Sie im Koalitionsvertrag
gar nichts.
Nebenbei bemerkt: Das sind ganz wichtige Themen,
die wir in der Kultur-Enquete-Kommission, deren er-
neute Einsetzung demnächst beschlossen wird, behandelt
sehen wollen. Wir sind auf jeden Fall für eine Fortset-
zung der Arbeit dieser Enquete-Kommission, die sozusa-
gen auf halber Strecke gestoppt wurde.
Im Koalitionsvertrag fehlt mir grundsätzlich die
Orientierung beim Thema Kulturpolitik. Wohin soll es
gehen? Die große Koalition lässt keine klare Vision und
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 303
)
)
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen!
Kultur lebt nicht in den Büchern, nicht in den Partituren,
Kultur ist dann lebendig, wenn die Bücher gelesen, die
Theaterstücke aufgeführt und die Musik gespielt wird. –
Bundespräsident Horst Köhler.
Kultur gehört zur Identitätsfindung. Wer wissen
will, wer wir sind und woher wir kommen, muss sich für
Kultur engagieren.
Wir verarmen, wenn wir das kulturelle Erbe nicht nut-
zen, wir vereinsamen, wenn wir uns nicht mit kulturellen
Herausforderungen auseinander setzen. Wir verlieren an
Orientierung, wenn wir der Kultur ausweichen. Rosa
Luxemburg, die sonst nicht zu meinen Lichtgestalten ge-
hört,
hat diese Einschätzung so formuliert:
Entfremdet und entwürdigt ist nicht nur der, der
kein Brot hat, sondern auch der, der keinen Anteil
an den großen Gütern der Menschheit hat.
Kultur gibt dem Leben Erfüllung. Wer den unbestreitba-
ren Wert der Kultur propagiert – das haben wir bisher
alle getan –, muss die Förderung der kulturellen Bil-
dung wollen. Kulturelle Bildung hat in der Familie zu
beginnen, ist in der Schule zu verstärken und sollte das
tägliche Leben begleiten. Ich selber habe vor 30 Jahren
ein Museum gegründet und betreibe es heute noch, eine
Erfahrung, die ich nicht missen möchte.
Die junge Generation zur Neugierde, zum Selber- und
Mitmachen anzuleiten, ist das Gebot der Stunde. Das gilt
für die Werke der Moderne, genauso für die Klassik.
Ich erwarte, dass das nationale Projekt der Ganztags-
schule die musisch-kulturelle Bildung wieder zu einem
Schwerpunkt in der Schule macht.
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ir sind eine Kulturnation und die wollen wir auch
leiben. Kunst und Kultur sind untrennbar mit der Iden-
ität der Deutschen als Nation verbunden.
unst und Kultur erwachsen aus dem Gestaltungswillen
on Menschen, aus der Kreativität der Künstler. Die
rundvoraussetzung dafür ist die Freiheit der Kunst. Die
aben wir zu garantieren und das tun wir alle.
er Staat ist für die Bedingungen, unter denen sich Kul-
ur und Kunst entwickeln müssen, zuständig, nicht für
eren Inhalte. Reinhören ja, reinreden nein.
Wir von der Union bekennen uns zur Förderung von
unst und Kultur als öffentliche Aufgabe. Oder, wie es
in Theaterintendant formulierte: Der Staat muss die
ultur fördern, genauso wie er die Müllabfuhr finan-
iert. Das Theater ist die Müllabfuhr für die Seele.
ls Leiter einer Wanderbühne weiß ich, wovon ich
preche. Gut 20 Millionen unserer Mitbürger erfahren
ährlich als Theaterbesucher diese Art von Entlastung,
ntspannung, Auseinandersetzung, verlassen befreit,
erärgert, erbost oder überaus beglückt die 350 öffentli-
hen oder privaten Theater in unserem Land, 20 Millio-
en Besucher jährlich – die Fußballbundesliga kommt
uf 10 Millionen Zuschauer.
100 Millionen Menschen gehen bei uns Jahr für Jahr
n die Museen. 155 Millionen besuchen die Filmtheater.
och ein kritischer Blick hinter deren Kulissen lässt
esthalten: Über 85 Prozent aller Filme kommen aus
ollywood. Amerikanische Wertemuster werden expor-
iert, schaffen und beeinflussen Urteile und Vorurteile.
ach meiner Auffassung kommen die deutschen und die
uropäischen Komponenten im Kino zu kurz.
ir sollten mit Selbstbewusstsein unsere Sprache, un-
ere Filme und unsere Wertvorstellungen mehr fördern.
echnet man alle Kulturbesucher zusammen, kommen
ir in Deutschland auf 300 Millionen Besucher. Wie ge-
agt, die Bundesliga hat 10 Millionen. Deren Akteure
achen jedoch täglich Schlagzeilen. Die Kultur hält sich
is auf wenige Ausnahmen in zurückhaltender, unnöti-
er Bescheidenheit.
304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
)
)
Wolfgang Börnsen
Mehr Selbstbewusstsein, mehr kraftvolle Präsenz
durch die Kultur könnten schon sein.
Das gilt für die Hochkultur wie für die Regionalkul-
tur. Unser Land besitzt mehr professionelle Theater, Or-
chester und Opernhäuser als der Rest der Welt.
Bei uns sind über 7 Millionen Menschen aktiv an der
Regionalkultur beteiligt. Das ist eine der größten Bür-
gerbewegungen in Deutschland. Dabei ist unser Kultur-
begriff durchgehend nicht auf die Leuchttürme in diesem
Bereich in Berlin, München, Frankfurt, Stuttgart, Ham-
burg, Dresden zu verkürzen.
Beides muss sein: Förderung in der Spitze ohne Ver-
nachlässigung in der Breite.
Wer Kultur für alle erwartet, hat auch Kultur von allen
zu sichern.
Während die Kultur in der Provinz im Zeichen der
Globalisierung eine Art Renaissance erfährt, weil man
wieder Heimat spüren möchte, macht es besorgt, dass
der deutschen Hochkultur offensichtlich das Publikum
abhanden kommt. Mein Kollege Otto hat das schon sehr
aufmerksam beobachtet.
Vor 40 Jahren gingen noch 58 Prozent der Bevölkerung
mindestens einmal jährlich in die Oper oder in ein Kon-
zert. Heute sind es nur noch 26 Prozent.
Für die Union begrüße ich das einmütige Bekenntnis
unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Stellen-
wert der Kultur. So viel Kultur hat es zum Start einer
Bundesregierung noch nie gegeben.
Das ist ermutigend.
Ihre Aussage, dass Kulturförderung eine Investition
in ein lebenswertes Deutschland ist, ist zutreffend. Sie
muss auch durch Taten untermauert werden. Mit der Be-
rufung von Staatsminister Bernd Neumann ist es gelun-
gen, eine kompetente, politisch versierte Persönlichkeit
für die Kultur und die Medienpolitik zu gewinnen. Das
begrüßen wir ausdrücklich.
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Das Wort hat der Abgeordnete Siegmund Ehrmann
on der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Herr Otto, Sie sind ein fan-
astischer Stichwortgeber. Hätte ich geahnt, mit welchem
emperament Herr Börnsen hier vorträgt, hätte ich
eine Rede wahrscheinlich zur Gitarre vorgetragen. Das
äre dann vielleicht ein adäquater Beitrag gewesen.
Aber bevor diese Debatte entgleitet: Herr Neumann,
ch möchte Ihnen zu Ihrer neuen Aufgabe herzlich gratu-
ieren. Sie treten ein verantwortungsvolles Amt an. Ich
in davon überzeugt, dass Sie es ausfüllen werden. Ich
uss aber zu bedenken geben, dass jeder Ihrer Vorgän-
er, Herr Naumann – er war der erste Staatsminister für
ultur –, Herr Nida-Rümelin, Frau Dr. Weiss, dieses
mt individuell geprägt hat. Dadurch wurden auch ein
aar Duftmarken gesetzt.
Damit komme ich auf Herrn Börnsen zu sprechen.
err Börnsen, zugegebenermaßen hat auch mich gestern
efreut, was unsere Kanzlerin zur Kultur gesagt hat. Ich
rinnere mich an vergleichbare Inhalte in Regierungser-
lärungen zu Zeiten der rot-grünen Koalition.
Ich finde diese Erklärung sehr wichtig. Eine solche
rklärung bindet auch öffentlich. Wichtig ist auch, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 305
)
)
Siegmund Ehrmann
Strukturen geschaffen werden. Diese Strukturen sind
1998 geschaffen worden.
Der Ausschuss für Kultur und Medien und das Amt des
Staatsministers für Kultur, das sind Einrichtungen, die
die alte Koalition seinerzeit initiiert hat.
Ich lasse diesen Blick zurück, stelle für mich aber
fest, dass mit diesen Strukturen, auch den parlamentari-
schen Strukturen, der Blick konzentrierter auf Kultur-
und Medienpolitik gelenkt wurde. Das haben wir nicht
nur hier im Parlament erlebt, sondern das hat auch die
Öffentlichkeit wahrgenommen.
Das ermutigende Signal, das sicherlich gestern von
der Regierungserklärung, aber auch von Ihrem Beitrag
ausging, hat uns letztlich auch in die Pflicht genommen.
Die Pflicht ergibt sich aus der kritischen öffentlichen
Begleitung unserer Koalitionsverhandlungen. In den
Feuilletons war manch kritischer, manch mahnender
Kommentar zu lesen. Ich persönlich bin allerdings zu-
versichtlich, dass wir den hier bereits vorgetragenen in-
haltlichen Verabredungen, die wir getroffen haben, nach-
kommen und den Ansprüchen, die wir an unsere
parlamentarische Arbeit haben, aber auch den Ansprü-
chen, die die Öffentlichkeit zu Recht an uns richtet, in
vollem Umfang gerecht werden. Aus alledem, was wir
uns vorgenommen haben, werden sich neue Perspekti-
ven für Kunst und Kultur entwickeln.
Wir wissen – das bleibt auch unter den Bedingungen
der großen Koalition unstrittig –, dass die Förderung
von Kunst und Kultur primär Aufgabe von Ländern
und Kommunen ist. Dies betone ich, ohne das große En-
gagement der Bürgerschaft und der Wirtschaft gering zu
schätzen; im Gegenteil. Ebenso unstrittig ist, dass es eine
wichtige Aufgabe auch des Bundestages ist, Bedingun-
gen zu schaffen, unter denen sich Kunst und Kultur unter
veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ver-
hältnissen weiterentwickeln können. Ich wünsche mir
– dafür werbe ich –, dass gerade in Zeiten problemati-
scher öffentlicher Haushalte dieser Rahmen, den wir
schaffen, auch der finanzielle Rahmen, nicht in vorausei-
lendem Gehorsam beschnitten wird.
Vielmehr gilt es, diesen Rahmen neu zu nutzen, kreativ
und fantasievoll zu füllen. Dies setzt allerdings zwin-
gend voraus, dass wir über Eckdaten, über genaue
Kenntnisse der Situation von Kultur in Deutschland ver-
fügen.
– Danke. Insofern ist mein Redemanuskript logisch auf-
gebaut, Herr Otto.
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Wir haben in der letzten Legislaturperiode diese
nquete-Kommission gemeinsam eingerichtet. Sie ist
chon mehrfach erwähnt worden. Inhaltlich war der En-
uete-Kommission die Behandlung von drei Themen-
chwerpunkten auferlegt worden. Es ging um eine Ana-
yse der Situation der öffentlichen und privaten
ulturförderung. Zentral war auch das Thema der wirt-
chaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen
nd Künstler. Frau Bettin, ich empfehle den sozialpoliti-
chen Teil des Koalitionsvertrages Ihrer Aufmerksam-
eit. Dort werden Sie finden, dass Erkenntnisse aus der
rbeit der Enquete-Kommission schon eingeflossen
ind. Wir haben gemeinsam vereinbart, die Künstlersozi-
lkasse zu stabilisieren, aber auch – das ist ebenfalls sehr
ichtig – die Wirkungen der Arbeitsmarktreform im Be-
eich der Künstlerinnen und Künstler genau zu untersu-
hen. Bei Anhörungen in der Enquete-Kommission ha-
en wir insofern doch einige bedenkliche Situationen
ahrgenommen. Der Ombudsbericht wird uns in den
ächsten Monaten begleiten. Wir werden die Lebensbe-
ingungen der Künstlerinnen und Künstler im Blick be-
alten und da sehr umsichtig agieren müssen.
Beim letzten Punkt, nicht inhaltlich an letzter Stelle,
ber in der Systematik der Arbeit der Enquete-Kommis-
ion, ging es um den Kulturstandort Deutschland und
ier insbesondere um die Situation der kulturellen Bil-
ung. Herr Börnsen hat einen wichtigen Aspekt ange-
prochen, nämlich die Frage: Welche Chancen liegen im
onzept des erweiterten Ganztagsbetriebs, was die Ver-
nüpfung der kommunalen Kulturstrukturen mit den
ufgaben in der Schule angeht?
Die Enquete-Kommission hat, wie erwähnt, die Ar-
eit nicht abschließen können. Sie hat allerdings einen
mfassenden Tätigkeitsbericht vorgelegt. Ich möchte an
er Stelle herzlich danken der Kollegin Connemann, die
ie Enquete-Kommission verantwortlich geleitet hat,
ber auch allen anderen Mitgliedern
nd den Sachverständigen, die uns sehr qualifiziert be-
leitet haben, vor allem aber dem Sekretariat. Auf der
rundlage dieses Berichts wird es möglich sein, da wie-
er anzuknüpfen. Mir liegt sehr am Herzen, dass auch
ie neue Fraktion, die dem Hause jetzt angehört, eine
hance hat mitzuarbeiten. Es geht darum, dass wir ge-
einsam Grundlagen entwickeln und möglichst konzen-
riert die offenen Fragen angehen.
Wohlgemerkt, der eigentliche Arbeitsauftrag ist,
andlungsempfehlungen zu formulieren. Auf eine
andlungsempfehlung ist hier schon verwiesen worden,
ämlich Kultur als Staatsziel. Sie ist nicht in die Koali-
ionsvereinbarung eingeflossen. Es ist aber eine sehr
rnst gemeinte Handlungsempfehlung. Wir werden uns
306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
(C)
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Siegmund Ehrmann
als Parlament mit Sicherheit intensiv damit auseinander
setzen müssen. Wenn wir in die Landesverfassungen
schauen, finden wir bei verschiedenen Bundesländern
eine klare, deutliche Selbstverpflichtung. Da ich davon
ausgehe, dass die Bundesrepublik mehr ist als die Addi-
tion der Bundesländer, stünde es auch unserer Verfas-
sung gut an, wenn wir diese Handlungsempfehlung wie
vorgeschlagen im Parlament beraten und möglichst zu
einem gemeinsamen Beschluss kommen.
Letzter Punkt; ich sehe hier schon das mahnende
Signal.
Das leuchtet schon seit einiger Zeit.
Ich bedanke mich für Ihren Langmut.
Es geht um die Kulturwirtschaft. Wenige Meter von
hier entfernt findet eine große Tagung zur Situation der
Kulturwirtschaft statt. Das ist eine Branche, die ökono-
misch von enormer Bedeutung ist. Ich will die Daten
jetzt nicht alle referieren; aber auf dieser Tagung ist
heute kritisch angemerkt worden, dass uns Grunddaten
zur Situation der Kulturwirtschaft nicht in belastbarem
Maße zur Verfügung stehen. Wir haben uns auch mit
dem Thema Kulturstatistik beschäftigt. All dies wird
aufzunehmen sein. Ich hoffe, dass wir noch im Dezem-
ber gemeinsam zu der Entscheidung kommen, die Kul-
tur-Enquete-Kommission einzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Die Fraktionen haben verabredet, die beiden Vorlagen
auf den Drucksachen 16/60 und 16/98 in die Ausschüsse
zu verweisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. –
Ich sehe Ihnen an, dass Sie damit einverstanden sind.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Freitag,
den 2. Dezember 2005, 9 Uhr, ein. Nehmen Sie die ge-
wonnenen Einsichten mit und haben Sie einen schönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen