Rede von
Birgitt
Bender
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In man-
chem Leitartikel vor und insbesondere nach der Wahl
war zu lesen, eine große Koalition sei geeignet, große
Probleme zu lösen. Große Probleme gibt es wahrlich bei
den anstehenden Reformen im Bereich von Gesundheit
und Pflege. Doch was lesen wir im Koalitionsvertrag?
Da steht: Wir sind uns nicht einig. Wenn man einmal
nachfragt, dann heißt es hinter vorgehaltener Hand:
Nach den Landtagswahlen nächstes Frühjahr wird alles
anders; 2006 wird das Reformjahr. – Da kann ich nur sa-
gen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube.
Es fehlt in dieser Koalition ganz offensichtlich an ver-
handelbaren Leitideen ebenso wie an der Einigungsbe-
reitschaft. Als Leitidee ist bei der SPD immerhin die
Bürgerversicherung angesagt – richtigerweise. Wie sieht
es bei der Union aus? CDU und CSU haben zwei Jahre
lang die Republik damit beschäftigt, dass das Gesund-
heitssystem angeblich eine Kopfgeldprämie brauche und
dass dann Steuermittel den notwendigen sozialen Aus-
gleich herbeiführen würden.
Denn im Steuersystem – Herr Zöller, so haben wir es im-
mer gehört, jedenfalls von der CDU – sei der soziale
Ausgleich viel besser untergebracht. Sie brauchen für
die Finanzierung Ihres Modells nach konservativer Be-
rechnung 20 Milliarden Euro.
Was tun Sie aber jetzt? Sie ziehen zu Beginn Ihrer Re-
gierungszeit den Steuerzuschuss in Höhe von
4 Milliarden Euro aus der GKV heraus. Sie haben also
nicht nur die 20 Milliarden Euro nicht mitgebracht, Sie
handeln auch noch nach dem Prinzip: Die Union ver-
spricht erst viel mehr Steuermilliarden für das Gesund-
heitssystem; die Koalition, deren Teil Sie dann werden,
zieht die wenigen Steuermilliarden aus dem Gesund-
heitssystem heraus. So etwas nenne ich eine politische
Geisterfahrt.
a
d
D
s
c
h
n
A
c
h
s
h
b
s
r
g
h
d
d
h
s
s
n
w
m
l
G
h
S
b
k
Ü
P
n
f
v
s
r
K
S
b
k
d
V
f
enn die Folgen hinsichtlich der Lohnnebenkosten
ind schlimm. Die Union hat im Wahlkampf verspro-
hen, die Lohnnebenkosten zu senken. Die SPD war bis-
er wenigstens für deren Stabilisierung. Jetzt sinken
ach der Mehrwertsteuererhöhung die Beiträge in der
rbeitslosenversicherung ein wenig, in der Rentenversi-
herung werden sie steigen. Was passiert im Gesund-
eitswesen? 4 Milliarden Euro entsprechen 0,4 Beitrags-
atzpunkten. Zusätzlich schlägt die Mehrwertsteuererhö-
ung bei den Medikamentenkosten zu Buche. Da ist man
ei 5 Milliarden Euro, mithin bei einem halben Beitrags-
atzpunkt, den Sie als Erhöhung der Lohnnebenkosten
iskieren. Gelegentlich höre ich von Ihrer Seite das Ar-
ument: Wenn das so kommt, wird der Reformdruck er-
öht. – Diese Art von Verelendungsstrategie gegenüber
em Gesundheitssystem ist politisch unverantwortlich.
Auch an der Einigungsbereitschaft in der Koalition
arf man so seine Zweifel haben. Wie war es denn bis-
er? Die Ministerin kommt mit einem provokativen Vor-
chlag und spricht von gleichen Arzthonoraren für Kas-
en- und Privatpatienten. Dieser isolierte Vorschlag ist
icht umsetzbar, weil er dem System nur Geld entziehen
ürde. Aber dieser Vorschlag hat das Verdienst, dass da-
it die Zweiklassenmedizin bei uns zum Thema wird.
Die Union muss daraufhin erst den Koalitionsvertrag
esen und feststellen, dass sie jedenfalls für bestimmte
ruppen von Privatversicherten in der Tat versprochen
at, die Arzthonorare abzusenken. Nun schweigt sie.
chließlich erklären Sie, Herr Kollege Zöller – Sie ha-
en das heute etwas moderater wiederholt –, dieses sei
ein Beitrag zur Vertrauensbildung. Sie versprechen im
brigen den Ärzten, dass sich nichts ändert, und der
KV, dass alles so wie gehabt weitergeht. Da kann ich
ur sagen: Provokation der einen und pawlowscher Re-
lex – wenn auch verzögert – der anderen – das dient
ielleicht der Profilbildung der Ministerin, der gemein-
amen Politikfähigkeit dient es ganz sicher nicht.
Wo Sie sich einmal einig geworden sind, nämlich da-
in, das In-Kraft-Treten des Arbeitszeitgesetzes für die
rankenhausärzte hinauszuschieben, da senden Sie das
ignal, dass überlastete und übermüdete Ärzte kein Pro-
lem für sich selber und für die Patienten sind. Dazu
ann ich nur sagen: Sie haben nicht nur ein Problem mit
em Vertrauen untereinander. So verspielen Sie auch
ertrauen in der Bevölkerung. Dieses ist aber für die Re-
ormbereitschaft notwendig.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 263
)
)
Birgitt Bender
In diesem Sinne kann ich Ihnen, meine Kollegen und
Kolleginnen von der SPD und der Union, nur sagen: Das
war ein ganz verkorkster Einstieg.