Rede von
Dr.
Martina
Bunge
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Gesundheit ist das höchste Gut“ – wie schnell und
eicht geht uns dieser Ausspruch oft über die Lippen.
och was tun wir in der Politik dafür? Wenn ich im Leit-
ild der Koalitionäre für die Gesundheitspolitik Worte
ie „qualitativ hoch stehende Versorgung“ und „solida-
ische Finanzierung“ finde, dann lässt das hoffen. Doch
m Konkreten sieht das anders aus. Nicht eine Maß-
ahme der sozialen Grausamkeiten wurde zurückgenom-
en, weder die unsägliche Praxisgebühr noch die hor-
enden Zuzahlungen. So wird der Zug weiterfahren: Je
rmer, desto kränker.
Obwohl die Belange der Versicherten in Bezug auf
rävention, Akutversorgung, Rehabilitation und Pflege
m Mittelpunkt des politischen Agierens stehen müssten,
iskutieren wir seit Jahren vor allem über den Knack-
unkt der Finanzierung. Ich bin gespannt, wie die un-
ereinbaren Vorschläge von Bürgerversicherung und
esundheitsprämie in ein Konzept für eine zukunftsfä-
ige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche-
ung gepresst werden sollen. Ich denke, das kommt einer
uadratur des Kreises gleich.
Als Linke sage ich jedoch: Nichts vereinbart zu haben
st besser als die Kopfpauschale, der völlige System-
ruch. Natürlich stellen uns die demographische Ent-
icklung und der medizinische Fortschritt vor riesige
erausforderungen. Ich denke, wir sind schon mitten-
rin. Wir müssen realistisch an die Probleme herangehen
nd zuallererst mit der Legende der angeblichen Kosten-
xplosion im Gesundheitssystem aufhören.
ie Relation zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts
elegt das genaue Gegenteil.
Natürlich gibt es auch Effektivitätsreserven im
esundheitssystem. Ich denke da an solche Aspekte
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Dr. Martina Bunge
wie den Stellenwert der Prävention, die Arzneimittelver-
ordnungspraxis, Reserven bei der integrierten Versor-
gung oder die Unterbelichtung der Geriatrie. Doch eines
muss klar sein: Für die demographischen und medizini-
schen Herausforderungen muss mehr Geld ins System.
Wir müssen endlich wegkommen von einer einnahme-
orientierten Ausgabenpolitik und hinkommen zu einer
aufgabenorientierten Ausgabepolitik.
Gemeinsam fixierte Gesundheitsziele müssen der Aus-
gangspunkt der Gesundheitspolitik werden.
Vollmundig versprechen Sie, bei der Klärung der Fi-
nanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversi-
cherung die Erfahrungen anderer Länder und wissen-
schaftliche Konzepte vorurteilsfrei zu prüfen. Die
Einhaltung dieses Versprechens wird die Fraktion Die
Linke testen. Wir sind gespannt, wie vorurteilsfrei die
Prüfung ausgeht, wenn wir unseren Vorschlag einer
Wertschöpfungsabgabe vorlegen. Wir meinen, dass die
Berechnung der Arbeitgeberanteile an den sozialen Si-
cherungssystemen aufgrund der Lohnsumme nicht mehr
den wirtschaftlichen Realitäten entspricht
und sich die Beiträge der Unternehmen vielmehr an der
Bruttowertschöpfung orientieren müssten. Das wäre
nicht nur mit Blick auf die Belastung der verschiedenen
Unternehmen gerechter, sondern böte auch finanzielle
Spielräume.
Einige hier im Haus, nicht nur aus meiner Fraktion,
wissen, dass ich eine glühende Verfechterin dieser Idee
bin. Immer wieder wird dieser Vorschlag abgelehnt, mit
der stupiden Begründung: nicht umsetzbar. Wenn Sie
– ich sage das in Richtung Regierung – einmal so viel
Energie, wie Sie in zig Kommissionen, die über immer
neue Leistungskürzungen nachdenken, stecken, für eine
Kommission zur Prüfung der Machbarkeit der Wert-
schöpfungsabgabe aufwenden würden, hätten wir end-
lich einmal etwas Fundiertes auf dem Tisch.
Ich bin mir sicher: Wir hätten auch eine auf die Verände-
rungen in der Arbeitswelt ausgerichtete Neuorientie-
rung der paritätischen Finanzierung der sozialen Si-
cherungssysteme.
Sie aber gehen einen anderen Weg: Der Bundesetat
soll zulasten der Versichertengemeinschaft schöngerech-
net werden. Allein durch die Mehrwertsteuererhöhung
werden den Versicherten Mehrkosten bei den Arzneimit-
teln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro zugemutet.
Hier müsste stattdessen zugunsten der Patientinnen und
Patienten und der Krankenkassen eine Absenkung der
Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf 7 Prozent her, wie
wir es fordern.
Die Einnahmen aus der erst mit dem Gesundheitsmo-
dernisierungsgesetz eingeführten Erhöhung der Tabak-
steuer, mit denen ein Teil der so genannten versiche-
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Ich hege die Hoffnung, dass wir unsere Gesetzge-
ungskompetenz so wahrnehmen, dass wir nicht häufig
om Bundesverfassungsgericht zu Korrekturen aufge-
ordert werden, wie es beim heute eingebrachten Gesetz-
ntwurf zum Mutterschaftsgeld erfolgen muss. Ich hoffe,
ass wir uns bei allen widerstreitenden Vorschlägen im-
er von dem Grundsatz leiten lassen, dass die Gesund-
eit das höchste Gut ist und sie nicht zur Ware verkom-
en darf.
Ich danke.
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