Sie müssen nun Ihre Finanzpolitik rechtfertigen, sa-
en, ob sie schlüssig ist und zu den erwähnten Zielen
ührt oder ob Sie diese Ziele verfehlen werden. Ich bin
benso wie viele Fachleute in diesem Land davon über-
eugt, dass diesem Programm die sinnstiftende Linie,
ie Professor Straubhaar festgestellt hat, fehlt.
Sie haben keine ökonomische Orientierung. Sie haben
inzelvorschläge vorgelegt, die nicht zusammengehören
nd sich widersprechen. Dabei ist kein finanzpolitisches
eitmotiv zu erkennen. Dem finanzpolitischen Pro-
ramm mangelt es an inhaltlicher Konsistenz und kon-
eptioneller Klarheit. Das will ich mit einigen Bemer-
ungen untermauern.
Zunächst einmal muss ich mich dagegen verwehren,
ass Sie uns falsche Vorwürfe machen. Wir haben die
bschaffung der Verlustzuweisungsfonds seit Jahren
auch schriftlich und im Deutschen Bundestag – gefor-
ert,
nd zwar unabhängig davon, wer davon betroffen ist.
ie Regierung, die damals von der SPD mit Ihrem Par-
eifreund Hans Eichel und den Grünen gebildet wurde,
ätte das längst vollzogen haben können. Richten Sie
eshalb keine Vorwürfe an die falsche Adresse!
Entscheidend ist aber, ob Ihre finanzpolitische Strate-
ie, die von einer Fülle von Steuererhöhungen und einer
leinen Zahl von Einsparungen geprägt ist, zum Ziel
ührt. Sie haben die großen Probleme der öffentlichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 225
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Haushalte in den Mittelpunkt Ihrer Strategie gestellt. Es
ist richtig: Sie sind riesig und ich glaube, dass Sie, die
Sie erst jetzt nach Berlin gekommen sind, nicht geahnt
haben, dass das strukturelle Defizit ein Volumen von
über 60 Milliarden Euro erreicht hat. Das haben auch
wir, die wir uns damit beschäftigt haben, nicht gedacht.
Wir sind von 50 Milliarden Euro ausgegangen; dass es
65 Milliarden Euro sind, haben wir nicht erkannt, Herr
Eichel. Sie haben uns das jedenfalls nicht vorgetragen.
Darauf muss ich an dieser Stelle hinweisen.
Sie haben in allen der letzten fünf Haushaltsberatun-
gen Haushaltsplanentwürfe vorgelegt, die offenkundig
schon zum Zeitpunkt der Beratung falsch waren.
Wenn Herr Steinbrück jetzt dazu übergeht, saubere Zah-
len vorzulegen, dann halte ich das für richtig und be-
danke mich dafür. Es ist aber noch nicht die Lösung des
Problems.
Immerhin ist ein Anfang in Ehrlichkeit besser, als wieder
zu falschen Zahlen zu greifen.
Was ist der Grund für die Löcher im Staatshaus-
halt? Es gibt viele Gründe, aber lassen Sie mich zwei
Hauptgründe nennen: zum einen ausufernde Staatsaus-
gaben und zum anderen eine immer schmalere Basis für
die Staatseinnahmen durch die hohe Arbeitslosigkeit.
Wenn Sie die Haushalte des Bundes, der Länder und
Gemeinden sanieren wollen, dann müssen Sie Ausga-
ben senken, Aufgaben des Staates zurücknehmen, Büro-
kratie abbauen und mehr Freiheit für die Bürger, Unter-
nehmen, Investoren und Sparer schaffen,
um auf diese Weise das Haushaltsdefizit zu reduzieren.
Eine weitere zentrale Aufgabe besteht darin, alles zu
tun, das dazu beiträgt, dass in Deutschland wieder Ar-
beitsplätze entstehen können. Denn nur dann, wenn es
Ihnen gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, wird es wie-
der mehr Steuer- und Beitragszahler geben.
Ich erinnere an die einfache Faustregel: Wenn 1 Mil-
lion Bürger, die heute von Sozialleistungen leben, wie-
der in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden könn-
ten, dann würde sich die finanzielle Bilanz des Staates
um etwa 20 Milliarden Euro verbessern. In diesem Zu-
sammenhang möchte ich an die 80er-Jahre erinnern, als
wir die gleichen Probleme – zwar nicht im selben Um-
fang, aber in struktureller Hinsicht waren sie vergleich-
bar – hatten. Damals wurde unter Finanzminister
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ie gesagt, Sie wollen ab 2007 rund 150 Milliarden
uro einschließlich Privatisierungs- und Einmalerlöse
bschöpfen und legen gleichzeitig ein Ausgabenpro-
ramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro bis
009 vor. Das kann nicht funktionieren. Ab 2007 wird
hnen die Rechnung präsentiert werden. Ich weise Sie
chon heute darauf hin, dass Sie scheitern werden, wenn
ie Ihre Strategie nicht ändern.
Wir wollen aber nicht, dass Sie scheitern, sondern,
ass Sie Erfolg haben und für mehr Beschäftigung in
eutschland sorgen.
226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005
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– Ich weiß nicht, ob Sie das richtig verstanden haben,
was Sie gelesen haben. Aber nicht die OECD, sondern
wir im Deutschen Bundestag sind für unsere Politik ver-
antwortlich.
Lesen Sie einmal die Gutachten des Sachverständigenra-
tes und der wirtschaftswissenschaftlichen Institute!
Überall wird die Meinung vertreten, dass Ihrer Politik
die ökonomische Linie fehlt.
Letztendlich wird sich herausstellen, ob Ihre Vorstel-
lungen helfen, Menschen in Lohn und Arbeit zu bringen.
Darauf müssen sich – jedenfalls nach unserer Meinung –
die Wirtschafts- und die Finanzpolitik konzentrieren.
Der neue Wirtschaftsminister Michael Glos, der die De-
batte heute Morgen eröffnet hat, hat gesagt: Unser zen-
trales Ziel ist, für mehr Wachstum und Beschäftigung zu
sorgen. – Der Mann hat Recht. Aber warum tun Sie
nichts dafür? Warum machen Sie eine falsche Politik?
Die Rechnung wird Ihnen präsentiert werden.
Das Interessante dabei ist: Uns wird gerade von so-
zialdemokratischer Seite oft vorgehalten, man dürfe
nicht alles ökonomisieren; der blanke Kapitalismus sei
völlig unsozial und ungerecht. Hier haben wir nun ein
typisches Beispiel dafür, dass eine ökonomische Strate-
gie auch eine soziale Gerechtigkeitsstrategie beinhaltet.
Das alles passt genau zusammen.
Die größte soziale Ungerechtigkeit ist die Arbeitslosig-
keit.
Das ist nicht nur eine Frage des Einkommens bzw. des
Einkommens- oder Beschäftigungsverlustes, sondern
auch eine Frage des menschlichen Status, des Selbstbe-
wusstseins. Hier werden ganze Familien einem traurigen
Schicksal überlassen. Daher müssen wir uns auf den Ab-
bau der Arbeitslosigkeit konzentrieren. Wenn Sie eine
vernünftige ökonomische Politik machen und für Steuer-
und Abgabenentlastung, Bürokratieabbau, also Abschaf-
fung von Vorschriften und Kontrollen, und für mehr
Freiraum sorgen, und zwar unter der Maßgabe, interna-
tionale Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, dann
werden Sie auch das soziale Problem lösen. Ich halte es
durchaus für möglich, in absehbarer Zeit 2 Millionen
Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrie-
ren. Nur müssen da mutige Entscheidungen getroffen
werden.
Eine Koalition mit einer Mehrheit von 70 Prozent hier
im Deutschen Bundestag hat doch alle Möglichkeiten.
Wir können unsere Kritik dagegenstellen, aber wir kön-
nen Sie am Handeln nicht hindern. Sie müssen aber auch
handeln, aber Sie handeln nicht richtig. Das ist mutlos.
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Alle Parteien haben erklärt, sie wollten eine grund-
ätzliche Steuerreform mit einer Steuervereinfachung:
iedrig, einfach und gerecht. Die CDU hat das sogar von
ns abgeschrieben. Wo ist das denn geblieben? Wo sind
enn die mutigen Vorschläge von Friedrich Merz geblie-
en, die Sie von der CDU auf Ihrem Parteitag beschlos-
en haben? Kein Wort ist mehr davon zu hören. Alles
erschoben auf 2008.
eit Jahren kennen wir die Probleme, seit Jahren hätten
ie Ihre Hausaufgaben machen können. Die Gesetze hät-
en schon längst eingebracht werden können.
ir haben das alles in einem Gesetzestext formuliert. Da
önnen Sie natürlich über jede Einzelheit streiten – das
eiß ich auch; es gibt für alles Alternativen –, aber Sie
üssen erst einmal ein neu konzipiertes Steuerrecht vor-
egen, damit man darüber streiten kann.
as verträgt keinen Verzug. Die Wirtschaft hat damit ge-
echnet, dass wir ein neues Unternehmensteuerrecht
m Jahr 2007 in Kraft setzen. Das hat übrigens, glaube
ch, im Wahlprogramm der CDU gestanden.
o ist es denn jetzt? Auch Sie, Herr Poß, werden doch
ugeben, dass es gut wäre, wenn wir ein Unternehmen-
teuerrecht hätten, das wenigstens europarechtskonform
äre und wenigstens Rechtsformneutralität bewirken
ürde –
das haben Sie nicht gemacht; Sie wollen es machen,
agen Sie, aber bis jetzt habe ich davon nichts gesehen. –
und das dazu führen würde, dass aus steuerlicher Sicht
nvestitionen in Deutschland so attraktiv sind wie in Ös-
erreich. Das ist doch der einfache Maßstab, den wir uns
etzen.
aran werden Sie gemessen werden, und zwar nicht von
ns, nicht einmal von der öffentlichen Meinung, sondern
ie Wirtschaft, die Unternehmen in Deutschland werden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 227
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Dr. Hermann Otto Solms
Ihre Politik beurteilen. Angesichts der heutigen globali-
sierten Wirtschaft können Sie niemanden in Deutsch-
land einschließen. Wem das nicht passt, der geht. Das
mag man mögen oder nicht mögen, aber so ist es.
Wenn Sie verhindern wollen, dass noch mehr Unter-
nehmen und sogar mittelständische Unternehmen ins
Ausland abwandern,
dann müssen Sie unverzüglich ein solches Programm
auflegen und durch das Parlament bringen. Wenn Sie das
nicht tun, versagen Sie. Jetzt, am Anfang der Legislatur-
periode, weise ich Sie darauf hin: Wenn Sie das machen,
werden wir Sie konstruktiv und kritisch unterstützen.
Wir halten das für zwingend notwendig, wenn wir in
Deutschland wieder Chancen für Arbeit und Brot be-
kommen wollen. Wenn Sie das mutwillig verzögern und
keine ausreichenden Reformen auf den Weg bringen,
dann werden wir scheitern. Wir werden dann alle schei-
tern, wir als Opposition auch, weil das verlorene Ver-
trauen der Bürger in die politischen Kräfte nicht mehr
zurückgewonnen werden kann.
Das trifft die Bundesregierung, das trifft die Parlamente.