Rede von
Dr.
Norbert
Lammert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
liegen nicht vor.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/86 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zum Themenbereich Umwelt.
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Es ist unfair, dass die weltweite Vernichtung des Na-
urkapitals zukünftige Generationen in riesige Schwie-
igkeiten bringen wird. Urwälder verschwinden, die
eere und die großen Süßwasserseen werden ausge-
aubt, Lebensräume werden zerstört und mit Nährstoffen
berfrachtet. Ohne intakte Ökosysteme ist eine nachhal-
ige Nutzung undenkbar. Gerade in den ärmsten der ar-
en Länder dieser Erde führt dies zu einem Teufelskreis
us Armut, Zerstörung und Hunger.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 193
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Bundesminister Sigmar Gabriel
Es ist übrigens auch unfair, unseren eigenen Kindern
und Enkelkindern, die in den Alpen oder an der Küste
Norddeutschlands leben wollen, ihre Heimat zu nehmen,
wenn sie in 50 oder 100 Jahren Schnee oder Gletscher
nicht mehr kennen und die Sturmfluten an den Deichen
immer gefährlicher werden.
Deshalb ist das zentrale Projekt der Umweltpolitik
dieser Bundesregierung der Klimaschutz. Das Umwelt-
kapitel des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD
umfasst weit mehr Themen, die auch von großer Bedeu-
tung sind. Wenn ich diese heute nicht im Einzelnen refe-
riere, hat das nichts damit zu tun, dass wir sie vernach-
lässigen wollen. Aber es gibt, wie ich glaube, wirklich
ein menschheitsbedrohendes Problem, das in den letzten
Jahren immer deutlicher geworden ist.
Wir knüpfen damit nicht nur an die Politik der Vor-
gängerregierung von SPD und Grünen an, sondern übri-
gens auch an die Erfolge der heutigen Bundeskanzlerin
in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin. Sie war es, die
das Berliner Mandat auf der Vertragsstaatenkonferenz
zum Kioto-Protokoll 1995 hier in Berlin durchsetzen
konnte.
Heute wissen wir: Klimaschutz ist zu einer Überle-
bensfrage der Menschheit geworden. Klimaschutz ist ein
Gebot der Fairness und der Gerechtigkeit. Klimaschutz
wahrt Zukunftschancen und sichert, ohne dass man dafür
viel Pathos aufwenden muss, in vielen Teilen der Welt
das Recht der Menschen auf Leben. Deshalb setzt sich
die neue Bundesregierung in Montreal für ein interna-
tionales Klimaschutzregime für die Zeit ab 2012 ein. Die
Europäische Union sollte sich multilateral verpflichten,
bis 2020 30 Prozent ihrer Treibhausemissionen zu redu-
zieren. Ich werbe dafür, dass sich Deutschland dann ver-
pflichten kann – auch das steht im Koalitionsvertrag –,
deutlich mehr einzusparen, als wir uns bereits heute vor-
genommen haben.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass viele
Länder der Welt in Gefahr sind, die Kioto-Ziele zur Sen-
kung der Treibhausgase zu verfehlen. Der frühere Bun-
desumweltminister Klaus Töpfer hat in diesen Tagen ge-
sagt: Die Weltgemeinschaft reagiert zu langsam. Wir
wissen, dass der Bremsweg im Klimaschutz sehr lang
ist. Was wir heute falsch machen oder unterlassen, wird
sich in 30 oder 40 Jahren bitter rächen.
Man muss aber auch sagen, dass man bei aller Kritik
an dem, was wir bisher trotz Kioto erreicht oder nicht er-
reicht haben, kein anderes Instrument so gut ausbauen
kann wie das Kioto-Protokoll. Wenn ein Baby noch
nicht richtig laufen, sondern nur krabbeln kann, dann ge-
ben wir es ja auch nicht zur Adoption frei, sondern dann
wollen wir ihm das Laufen beibringen.
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Zweitens. Die Modernisierung und auch die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erfordert natür-
lich den Einsatz moderner Technologien zur Reduktion
der Treibhausgase bei der Nutzung von fossilen Brenn-
stoffen. SPD und Grüne hatten sich vorgenommen, bis
zum Jahr 2020 20 Prozent der erneuerbaren Energien
zur Stromerzeugung zu nutzen. Es bleibt bei diesem
Ziel. Das ist ein bereits ambitioniertes Ziel, das wir sogar
übertreffen zu können hoffen. Aber am Ende bleiben
80 Prozent der Energieerzeugung bei fossilen Brennstof-
fen übrig.
Deswegen kann es keinen anderen Weg geben, als da-
für zu sorgen, durch den Einsatz moderner Technologien
deutlich zur Reduktion der Treibhausgase bei der Nut-
zung fossiler Brennstoffträger zur Energieerzeugung
beizutragen. Wir sehen in diesen Tagen zum Beispiel bei
Bion Petroleum, früher British Petroleum, BP, dass sol-
che neuen Technologien entwickelt werden, die uns hel-
fen können, auch dort zur Verringerung der Klimapro-
bleme beizutragen.
Drittens. Wir müssen mit Ressourcen effizienter um-
gehen. Die Nutzung der Umwelt hat ihren Preis. Es ist
ein guter und marktwirtschaftlicher Weg gewesen, dazu
beizutragen, dass die Nutzung von Umwelt, aber auch
die Verschmutzung von Umwelt ein Kostenfaktor in der
betriebswirtschaftlichen Rechnung wird. Das ist beim
Zertifikatshandel, besser „Cap and Trade“, gelungen.
Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass marktwirt-
schaftliche Anreize und Systeme nicht nur in den Lehr-
büchern der Universitäten stehen, sondern sie dann,
wenn es gilt, sie anzuwenden, in der Praxis akzeptiert
werden. Ich staune manchmal, wie diejenigen Vertreter
von Wirtschaft und Wissenschaft, die ansonsten markt-
wirtschaftliche Positionen vertreten, ausgerechnet dann,
wenn es darum geht, die volkswirtschaftlichen Kosten
für Umweltverbrauch und die Nutzung von Umwelt in
die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung zu internali-
sieren, von marktwirtschaftlichen Anreizen nichts mehr
wissen wollen.
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ir glauben, dass das Ziel sein kann, am Ende Mega-
attstunden, nicht Menschen arbeitslos zu machen.
Wenn man dieses Ziel in der Industriepolitik verfol-
en will, heißt das auch, dass man den Wirtschafts- und
ettbewerbsstandort Deutschland nicht überfordern
arf. Auch das gehört zur Realität. Wenn wir sachbezo-
ene und erfolgreiche Umweltpolitik machen wollen,
ann das nicht bedeuten, eine Inselpolitik zu betreiben
der im Ergebnis bei uns exzellente Anforderungen zu
ormulieren, wenn dann der CO2-Ausstoß in anderen
ändern der Welt stattfindet und in Deutschland Arbeits-
lätze abgebaut werden. Auch das gehört zu einer reali-
ätsbezogenen Umweltpolitik. Um genau diese Balance
eht es. Wir brauchen die Partnerschaft mit der Wirt-
chaft; denn wir dürfen die Wirtschaft nicht aus der Ver-
ntwortung entlassen.
Man kann aus der Atomenergie aussteigen, aber eben
icht aus der Industriegesellschaft und dem globalen
ettbewerb. Aber mit Umwelt- und Klimaschutz kann
an Gott sei Dank inzwischen richtig Geld verdienen.
llein in diesem Jahr beträgt der Umsatz im Bereich der
rneuerbaren Energien über 11 Milliarden Euro mit steil
nsteigender Tendenz. Längst ist der Umweltschutz
icht nur in diesem Bereich Impulsgeber für Innovation
nd Wettbewerbsfähigkeit. Umweltverträgliche Techno-
ogien sind auf dem Weltmarkt ein echter Wettbewerbs-
orteil. Das Welthandelsvolumen für potenzielle Um-
eltgüter hat sich seit 1993 fast verdoppelt. Deutschland
st mit einem Marktanteil von knapp 19 Prozent weltweit
er größte Exporteur von Umweltschutzgütern.
Der Verknüpfung von wirksamem Klima- und Um-
eltschutz mit erfolgreicher wirtschaftlicher Entwick-
ung dient auch das, was wir im Koalitionsvertrag für
as Altbausanierungsprogramm festgeschrieben ha-
en. 1,5 Milliarden Euro zur energetischen Gebäude-
anierung hilft den Handwerksbetrieben, Bauaufträge zu
ekommen, der Dämmstoffindustrie und dem Klima.
as zeigt, wie praxisorientiert die große Koalition an die
ösung solcher Probleme herangegangen ist.
Ein weiteres Thema, das in der großen Koalition eine
ohe Bedeutung hatte, ist das so genannte Grüne Band.
ir wollen bis zu 125 000 Hektar gesamtstaatlich reprä-
entative Naturschutzfläche des Bundes unentgeltlich in
ine Bundesstiftung einbringen oder an die Länder oder
rivate übertragen.
Natürlich sind wir in der Debatte um die Umweltpoli-
ik – das gehört zur Redlichkeit in der Debatte über die
egierungspolitik der kommenden Jahre dazu – nicht in
llen Fragen übereingekommen. Das in der Öffentlich-
eit breit diskutierte Thema Atomenergie bzw. Nutzung
er Kernenergie zur Stromerzeugung ist zwischen den
oalitionspartnern nicht einvernehmlich zu regeln ge-
esen.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
Ich bin froh, dass wir das im großen gegenseitigen Res-
pekt vor den unterschiedlichen Positionen debattiert und
nicht versucht haben, Formelkompromisse zu finden, die
verschleiern, dass es unterschiedliche Ausgangspositio-
nen gibt.
Vor diesem Hintergrund bleibt es aber dabei, dass die
geltende Atomgesetznovelle und auch die Ausstiegsver-
träge eine klare Ausstiegsposition und -option geschaf-
fen und eine Entwicklung in Gang gesetzt haben, durch
die die Kernenergie in Zukunft nicht mehr zu den zu-
kunftsträchtigen Energieträgern in Deutschland zählen
wird.
Beide Koalitionspartner widmen allerdings einer
Frage besondere Aufmerksamkeit, nämlich dem siche-
ren Betrieb der vorhandenen Atomkraftwerke. Auch die-
jenigen, die aus der Atomenergie aussteigen wollen und
auf den Verträgen und der Atomgesetznovelle beharren,
wissen, dass die Atomkraftwerke noch 20 Jahre in Be-
trieb sind und zum Energiemix in Deutschland beitra-
gen. Deswegen werden wir das Sicherheitsmanage-
ment in den Anlagen selbst überprüfen, aber auch die
staatliche Atomaufsicht den Erfordernissen anpassen.
Wir müssen das kooperativ mit den Ländern machen.
Aber wir wollen wirklich wissen, ob es stimmt, dass es
mit unserer Art des Umgangs mit der Atomaufsicht bzw.
dem Sicherheitsmanagement besser bestellt ist als in
anderen Ländern der Erde. Ich meine, das sind wir den
Menschen in Deutschland schuldig.
Die gleichen Bemühungen um höchstmögliche Si-
cherheit gelten bei der Endlagersuche. Ich bin der
Überzeugung, dass die Festlegung auf den Standort Gor-
leben ohne Standortvergleich nicht vertretbar ist. Es ist
übrigens auch unfair gegenüber den nachfolgenden Ge-
nerationen; denn sie müssen sich darauf verlassen kön-
nen, dass wir unterschiedliche Standorte verglichen ha-
ben, um dann den sinnvollsten Standort auszuwählen.
Aber eines ist auch klar: Gerade diejenigen, die sich
für den Ausstieg aus der Kernenergie entschieden haben,
sind verpflichtet, nach einem sicheren Endlager zu su-
chen. Das ist Bestandteil eines denkbaren Ausstiegs. In-
sofern bin ich auch darüber froh, dass wir uns darin einig
sind, diese Frage nicht unendlich vor uns herschieben zu
können.
– Bei dem Thema Atomenergie klatscht immer jeder so,
wie es ihm gerade in den Kram passt. Ich finde übrigens,
wir sollten die unterschiedlichen Auffassungen wirklich
nicht verschleiern. Ich bin dafür, dass wir das in großer
Offenheit miteinander bereden.
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Umweltschutz ist praktizierte Gerechtigkeit und
airness. Weltweit wird auch in der Politik viel zu sehr
ach dem Motto „Das Hemd ist mir näher als der Rock“
ehandelt. Der Rock wäre in unserer modernen Sprache
ohl der Mantel. Als Mantel sind die Erdatmosphäre,
ie Süßwasservorräte, der Boden, die Wälder und die
eere zu verstehen. Das Hemd ist die Art, wie wir hei-
en, welche Art von Mobilität wir pflegen und welche
rodukte wir kaufen.
Die Dresdner an der Elbe, die Münsterländer in die-
en Tagen und die Bewohner im chinesischen Harbin
issen, dass das Hemd nur noch ein dünner Fetzen ist,
obald der Rock einen kleinen Riss bekommt. Wir müs-
en den Rock, der allen gehört, instand halten und wie-
er instand setzen.
Dabei geht es übrigens auch darum, Schulden abzu-
ragen. Es gibt nicht nur Schulden im finanziellen Sinn.
ielmehr hat eine bestimmte Form der industriellen Ent-
icklung zu unseren gegenwärtigen Problemen beigetra-
en. Das ist nicht zu verhindern, weil Menschen immer
uf dem jeweiligen Stand der Technik arbeiten. Aber wir
üssen erkennen, dass es eine Schuld gibt, und zwar ge-
enüber unseren Enkeln, die wir ebenso abzutragen ha-
en wie die staatlichen Defizite in unseren Haushalten.