Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-
en! Ich erlebe zurzeit, dass in jeder Bürgermeister-
unde, in jeder Bürgermeisterrede, auf jedem Arbeitge-
erempfang und auf jedem Neujahrsempfang die
orderung nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
n den Vordergrund gestellt wird.
ch sage Ihnen: Damit ist der ehemaligen Ministerin
enate Schmidt etwas gelungen, was niemand erwartet
at, nämlich dass die Familienpolitik inzwischen im
ittelpunkt der Politik, ja im Mittelpunkt unserer Ge-
ellschaft gelandet ist.
ieben Jahre hartnäckige Arbeit für Familien haben sich
n der Tat gelohnt. Ich glaube, dass die große Koalition
n diesen guten Vorarbeiten anknüpfen kann und dass
ir diese Politik gemeinsam fortsetzen können.
Wenn ich auf die siebenjährige Arbeit im Ausschuss
ür Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückblicke,
ann stelle ich fest, dass wir gerade in diesem Ausschuss
ehr häufig gemeinsame Ziele formuliert haben. Wir alle
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Christel Humme
wollten die Bedingungen für das Aufwachsen von
Kindern verbessern. Wir waren davon überzeugt, dass
Frauen bessere Chancen im Erwerbsleben brauchen.
Niemand von uns wollte leugnen, dass wir für Mütter
und Väter gute Rahmenbedingungen schaffen müssen,
damit Eltern Beruf und Familie miteinander vereinbaren
können. Aber zu einem gemeinsamen Handeln kam es
nur sehr selten. – Frau Lenke, Sie schütteln den Kopf.
Aber so ist es.
Bedauerlicherweise muss ich feststellen, dass wir uns
vom Ritual der ideologischen Grabenkämpfe nicht ganz
lösen konnten. Allerdings gab es ein Beispiel dafür, dass
wir dies geschafft haben. Daran möchte ich gern erin-
nern, weil es deutlich macht, dass in Zukunft vieles geht.
Ich erinnere an die Einführung der so genannten Unisex-
tarife bei der Riester-Rente. Alle Vertreter der Fraktio-
nen, die der damaligen rot-grünen Koalition und die der
damaligen Opposition aus CDU/CSU und FDP, haben
gleiche Tarife für Frauen und Männer gefordert.
– Sie haben sich damit zwar in Ihrer Partei nicht durch-
gesetzt, Frau Lenke, aber in unserem Ausschuss schon.
Damals ist es uns in eindrucksvoller Weise gelungen,
die ideologischen Grabenkämpfe zu überwinden, und
ich glaube, dass die Koalitionsverhandlungen gezeigt
haben, dass wir, Union und SPD, die Chance haben, dies
wieder zu schaffen und gemeinsame Lösungswege in
den Vordergrund zu stellen. Der Koalitionsvertrag ist ein
Erfolg, ein Erfolg für Familien, Senioren, Frauen, Kin-
der und Jugendliche. Dieser Vertrag kann sich meiner
Ansicht nach durchaus sehen lassen.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, für
die konstruktive Zusammenarbeit bei den Verhandlun-
gen recht herzlich danken.
Mit diesem Koalitionsvertrag bleiben die Familien im
Mittelpunkt unserer Politik. Es bleibt auch bei dem Ziel,
Deutschland zum kinderfreundlichsten Land Europas zu
machen. Es bleibt auch dabei, dass wir uns um das
Wichtigste zuerst kümmern, Frau Deligöz, nämlich um
den Ausbau der Kinderbetreuung.
Lesen Sie das bitte noch einmal nach! Das steht nach
wie vor an erster Stelle.
Wenn ich die Rede der Bundeskanzlerin noch einmal
Revue passieren lasse, freue ich mich über einen Satz
ganz besonders. Sie hat gesagt: Die soziale Herkunft ei-
nes Kindes darf nicht den Bildungsabschluss und damit
die Lebenschancen bestimmen.
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enn wir dieses Ziel verfolgen, muss der Ausbau der In-
rastruktur der wichtigste familienpolitische Schwer-
unkt bleiben.
Der Ausbau der Betreuungsplätze für unter Drei-
ährige – das gilt für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr,
rau Deligöz, also ab dem ersten Geburtstag – ist gut,
nd zwar gut für die Bildungschancen und für die Ver-
inbarkeit von Familie und Beruf. Er ist aber auch gut
ür die Bekämpfung von Familien- und Kinderarmut.
abei haben wir eine Gruppe ganz besonders im Blick,
ämlich die der Alleinerziehenden. Es ist nicht von der
and zu weisen, dass sie ein besonderes Armutsrisiko
ragen. Gerade für diese Gruppe möchten wir daher das
rziehungsgeld in ein Elterngeld umwandeln.
as bedeutet, dass wir dann zwei Komponenten haben:
uf der einen Seite die Betreuung und auf der anderen
eite das Elterngeld. Dieses Maßnahmenbündel wird
azu beitragen, Familien- und Kinderarmut zu bekämp-
en.
Alle Familien werden von dem Elterngeld profitieren,
nd zwar schon dadurch, dass wir den Vätern die
hance geben, sich an der Erziehung zu beteiligen und
u beobachten, wie ihre Kinder aufwachsen. Ich habe
ich gestern und auch heute Morgen über die Presse
ehr gewundert. Das Argument, das immer wieder in den
ordergrund gestellt wurde, war, dass diese Regelung
erfassungsfeindlich sei. Darüber wundere ich mich
anz gewaltig. Seit wann ist in der Verfassung eine Rol-
enverteilung festgeschrieben? So habe ich die Verfas-
ung noch nie ausgelegt.
Ich habe mich darüber gefreut, dass Bundeskanzlerin
ngela Merkel gestern gesagt hat, dass wir einen sanften
ruck auf die Männer ausüben müssen, sich stärker an
er Familienarbeit zu beteiligen. Das tun wir mit der
inführung des Elterngelds. Vielleicht werden wir dann
ie Erfolge, die in Schweden zu verzeichnen sind, auch
ier verzeichnen können.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die Vereinbarkeit
on Familie und Beruf ist der Schlüssel zu einer zu-
unftsweisenden Frauen- und Gleichstellungspolitik.
n der Frauen- und Gleichstellungspolitik haben wir in
en letzten Jahren viel geschafft. Wir haben aber nicht
lles erreicht. Hier sind die Erwartungen der Frauen sehr
och.
Gerade im Bereich des Arbeitsmarktes ist aus frauen-
olitischer Sicht noch einiges zu erledigen. Nach wie vor
aben wir keinen gleichen Lohn für gleiche und gleich-
ertige Arbeit. Hier sind wir uns alle einig – das ist ganz
ichtig –, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
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Christel Humme
Die Koalition wird die Hartz-Gesetze auch in puncto Ge-
schlechtergerechtigkeit überprüfen müssen. Das hatten
wir uns schon vorher vorgenommen. Ich denke, das wer-
den wir umsetzen.
Wie wichtig dieses Thema ist, möchte ich an einem
Beispiel deutlich machen: Frauen, die ihren Anspruch
auf Arbeitslosengeld II verlieren, weil ihr Partner, mit
dem sie nicht verheiratet sind, zu viel verdient, verlieren
gleichzeitig ihren Kranken- und Pflegeversicherungs-
schutz. Das darf nicht sein. Das müssen und das werden
wir schnell ändern.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich möchte noch
einen Punkt ansprechen. Sie wissen, es gibt eine freiwil-
lige Vereinbarung zwischen der letzten Bundesregierung
und den Spitzenverbänden der privaten Wirtschaft zur
Gleichstellung am Arbeitsplatz. Diese Vereinbarung
ist ja, denke ich, mit der großen Koalition nicht außer
Kraft gesetzt. Wir sollten uns deren zweite Bilanz, die si-
cherlich kommen wird, kritisch ansehen. Die SPD war
immer der Auffassung, wenn Familienfreundlichkeit und
Chancengleichheit nicht freiwillig zum Thema Nummer
eins in den Betrieben werden, müssen wir uns über ent-
sprechende gesetzliche Regelungen Gedanken machen.
Auch das sind wir den Frauen schuldig.
Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie genauso wie Ihre
Vorgängerin die Bündnisse für Familie weiterführen, da-
mit an dieser Stelle endlich Bewegung in den Laden
kommt.
Das Antidiskriminierungsgesetz wäre für die Gleich-
stellung am Arbeitsmarkt ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung gewesen und hätte den Frauen gehol-
fen.
– Ja, Frau Schewe-Gerigk, so ist es. – Ich bin froh, dass
die Koalitionspartner – hören Sie gut zu! – im Koali-
tionsvertrag unterstrichen haben, dass die europäischen
Gleichbehandlungsrichtlinien umgesetzt werden müs-
sen.
In der letzten Legislaturperiode haben wir heftig über das
Antidiskriminierungsgesetz gestritten. Aber ich denke,
dass wir es jetzt schaffen werden, dieses Gesetz im Inte-
resse der Frauen und im Interesse einer diskriminierungs-
freien Gesellschaft endlich in die Tat umzusetzen.
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Ich freue mich auf die neue, spannende Herausforde-
ung, in einer großen Koalition die bestehenden gesell-
chaftspolitischen Aufgaben zu lösen, und zwar jenseits
ich hoffe, dass das gelingt – aller ideologischen Grä-
en. Das sage ich auch in Richtung Opposition.
Schönen Dank.