Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit jedem Regierungswechsel mutiert der Bundeshaus-
halt zum Überraschungsei. Auch bei einem Über-
raschungsei weiß man eigentlich, was drin ist; trotzdem
schaut man hinein und tut dann sehr überrascht über das
vorhandene Spielzeug – jedes Mal das Gleiche. Genauso
ist es beim Haushalt: Die Regierung wechselt, alle
schauen ganz ernsthaft und ganz tief in den vorliegenden
Haushalt, analysieren ihn ehrlich und sind erschrocken,
wie schlecht die Lage ist und wie hoch die Defizite sind.
Herr Meister beziffert sie auf 64 Milliarden Euro, der
Finanzminister auf 50 Milliarden Euro und im Koali-
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ie Zahlen sind da und Sie sind entsetzt darüber, obwohl
ie hier in gemeinsamer neoliberaler Einheitsfront in
en letzten Jahren im Unternehmensteuerbereich die
örperschaftsteuersätze von 56 auf 25 Prozent gesenkt
aben.
ie haben den Spitzensteuersatz bei der Einkommen-
teuer von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Jährlich
ostet das die Haushalte der öffentlichen Hand 60 Mil-
iarden Euro. Ja, Herr Steinbrück, wir haben ein Problem
uf der Einnahmeseite, ein Problem, das Sie gemeinsam,
ber Bundestag und Bundesrat, zu verantworten haben.
Aus dieser schier katastrophalen Lage resultiert dann
in unwahrscheinlicher Handlungsdruck, den Haushalt
u konsolidieren. Das wollte Herr Kohl bereits 1982; er
at es nie geschafft. Jetzt sollen, natürlich, die Kleinen
ur Kasse gebeten werden. Dabei bieten Sie einen richti-
en Strauß von Maßnahmen an. Nehmen wir als erstes
ie Mehrwertsteuer. Herr Steinbrück, war denn Ihre
ede die Rechtfertigung der politischen Lebenslüge der
PD?
atürlich wird die Mehrwertsteuererhöhung um
Prozent – da langen Sie richtig kräftig zu; das hat sich
och keine Regierung in der bundesdeutschen Ge-
chichte getraut – die Nachfrage schwächen. Sie machen
as, obwohl Sie im Koalitionsvertrag richtigerweise for-
uliert haben, dass wir seit zehn Jahren in Deutschland
in Wachstumsproblem haben, das sich daraus ergeben
at, dass wir keine Binnennachfrage in ausreichender
öhe haben.
Sie verkünden hier großartig: Ein Teil des Geldes
ließt doch zurück. – Ja, laut Ihrer Planung fließen
Milliarden an die Arbeitgeber zurück. Wir wissen al-
erdings nicht genau, was sie damit machen werden.
Milliarden fließen an Arbeitnehmer und Arbeitnehme-
innen zurück. Aber 16 Milliarden werden im Nirwana
on Bundeshaushalt und Länderhaushalten verschwin-
en.
o werden Sie die Probleme nicht lösen.
ch bin schon erstaunt darüber, dass die Koalition genau
as macht, da Sie ja in den Koalitionsvertrag hineinge-
chrieben haben, dass es Ihnen um die Stärkung des Ver-
rauchervertrauens geht, um den privaten Konsum zu
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 231
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Dr. Barbara Höll
beleben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen las-
sen. Mit solchen Maßnahmen wollen Sie eine Stärkung
des Vertrauens erreichen? Sie wissen genau, dass das
kontraproduktiv ist. Ob es nun Dummheit oder Zynis-
mus ist, wird sich zeigen.
Sie schaffen des Weiteren ab: die Eigenheimzulage,
die teilweise Steuerfreiheit von Abfindungen, und das in
einer Situation, in der uns fast täglich Nachrichten errei-
chen, dass insbesondere große Unternehmen mit Mas-
senentlassungen in der nächsten Zeit drohen.
Sie wollen im Steuerrecht einiges ändern. Ich möchte
einen Punkt herausgreifen, der mich besonders interes-
siert. Sie begründen die Einführung des Anteilsverfah-
rens im Einkommensteuerrecht mit gleichstellungspoli-
tischen Ansätzen. Ich muss sagen: Ich begrüße die
psychologische Wirkung, die von einer Streichung der
Steuerklassen ausgeht. Das heißt, dass die Ehepartner je-
weils gemäß ihrem Einkommen veranlagt werden. Aber
warum machen Sie das? Das kann man im Koalitions-
vertrag eindeutig nachlesen: Es geht Ihnen um Liqui-
ditätsvorteile für die Haushalte des Bundes und der
Länder. Denn nach der neuen Regelung werden die Ehe-
gatten im Laufe des Jahres mehr Steuern zahlen als nach
der bisherigen Regelung. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie
beabsichtigen, diesen Liquiditätsvorteil auch noch zu
veredeln. Sie rechnen nämlich damit, dass eben nicht
alle Ehepaare am Jahresende ihre Steuererklärung abge-
ben werden, weil sie es einfach satt haben und nicht
durchblicken. Somit werden sie sich noch nicht einmal
die Vorteile, die ihnen aufgrund des Splittingverfahrens
zustehen, zurückholen. Sie gehen also in dieser Frage in
doppelter Hinsicht auf Kosten der Ehegatten vor.
Sie sind zu feige, das Ehegattensplitting selber anzu-
fassen. Aufgrund der Halbherzigkeit des eben von mir
beschriebenen Verfahrens werden Sie es nicht schaffen
– das hat Frau Merkel hier ja gestern großartig verkün-
det –, dass die Familien und das Zusammenleben mit
Kindern wichtig werden bzw. dass uns die Familien viel
wert sind. Vielmehr erreichen Sie es mit diesem Verfah-
ren, dass es eine große Gruppe gibt, die weiterhin ver-
liert; das sind die Alleinerziehenden, die Sie auf diese
Art und Weise tendenziell schlechter stellen.
Die große Frage ist natürlich: Was tun Sie mit dem
Geld? Wollen Sie damit tatsächlich Arbeitsplätze schaf-
fen? Sie haben im Koalitionsvertrag richtigerweise for-
muliert, dass die Senkungen der Unternehmensteuern in
den letzten Jahren nicht zu mehr Arbeitsplätzen und zu
Investitionen geführt haben. 5 bis 7 Millionen Arbeits-
plätze fehlen in Deutschland.
Als Ausweg bieten Sie eine kurzfristige Verbesserung
bei der Abschreibung an. Das ist gut. Dann stellen Sie
aber einen weiteren Einstieg in den Steuersenkungswett-
bewerb nach unten in Aussicht. Das ist keine Konsoli-
dierungspolitik. Das ist auch keine Politik, die auf die
Zukunft gerichtet ist, sondern einfach pure Abzocke, So-
zialabbau und eine weitere Umverteilung von unten nach
oben.
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