Rede von
Oskar
Lafontaine
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Wenn man dem zustimmt, ist die Frage aufzuwerfen,
b wir uns in diesem Parlament über die Erfolgskrite-
ien der Politik noch verständigen können. Es hat uns
chon überrascht, dass gestern mehrfach festgestellt
orden ist, und zwar von den Vertretern beider Fraktio-
en, die die große Koalition tragen, dass die letzten Jahre
ehr erfolgreich gewesen seien. Für meine Fraktion und
ahrscheinlich für die anderen Oppositionsfraktionen
ob das auch auf die Grünen zutrifft, da bin ich mir
icht ganz sicher – möchte ich aber feststellen, dass das
riterium der Arbeitslosigkeit nach wie vor darüber ent-
cheidet, ob eine Wirtschaftspolitik erfolgreich ist oder
icht.
ch bitte die Vertreter der großen Koalition sehr herzlich,
ei 5 Millionen Arbeitslosen nicht zu behaupten: Wir ha-
en eine sehr erfolgreiche Wirtschaftspolitik gemacht. –
as ist Zynismus und wird von den Betroffenen als Ver-
öhnung verstanden. Deshalb können wir solche Sätze
icht unwidersprochen stehen lassen.
Wenn wir darüber reden, was in den letzten Jahren
alsch gelaufen ist, möchte ich mit einem Papier begin-
en, das meiner Fraktion – genauso wie allen anderen –
us dem Bundeskanzleramt zugestellt worden ist und das
ich überrascht hat. In diesem Papier mit der Über-
chrift „Abstimmung zum nationalen Reformprogramm
eutschlands“, das noch von Herrn Mirow unterschrie-
en worden ist – er teilt gleichzeitig mit, dass er in seiner
unktion nicht weiterarbeiten wird –, wird festgestellt:
oraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist ein
spannungsfreies Zusammenwirken der makroökonomi-
chen Politikbereiche“. Das hat mich deshalb wirklich
berrascht, weil davon in den letzten Jahren in diesem
aus quer durch alle Fraktionen überhaupt nichts mehr
u hören war. Wir lesen dort weiter:
Günstige makroökonomische Rahmenbedingungen
sind eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachs-
tum und Beschäftigung und verbessern das Umfeld
für strukturelle Reformen.
Meine Fraktion stimmt diesem Satz ohne jede Ein-
chränkung zu. –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2005 183
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Oskar Lafontaine
Diese wiederum verstärken den Wirkungsgrad von
gesamtwirtschaftlichen Wachstumsimpulsen.
– Auch dieser Satz ist richtig. –
Dazu müssen Finanz-, Geld- und Lohnpolitik span-
nungsfrei zusammenwirken und mit Strukturrefor-
men verzahnt sein.
– Das ist ein wirklich grundsätzlich richtiger Ansatz.
Das Erstaunliche ist nur, dass dieses Papier aus dem
Bundeskanzleramt kommt und bisher in dieser Debatte
davon überhaupt nicht die Rede war. Nicht im Ansatz
konnte man erkennen, dass irgendjemand, bevor er hier
ans Podium trat, dieses Papier überhaupt gelesen hatte.
Nun beginne ich einmal, da es um die makroökono-
mischen Rahmenbedingungen geht, mit der Geldpolitik.
Auch wenn es richtig ist, dass die Geldpolitik von einer
Bundesregierung nicht direkt beeinflusst werden kann,
so hätte man doch erwarten können, dass, wenn nicht die
Bundeskanzlerin, dann zumindest der Wirtschaftsminis-
ter irgendetwas zur europäischen Geldpolitik und zu den
Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaftsentwick-
lung sagt. Ich möchte für meine Fraktion im Gegensatz
zu einem Nebensatz des Wirtschaftsministers angesichts
unserer ökonomischen Situation hier in Deutschland
feststellen: Bei fallenden Löhnen – ich komme darauf
zurück – und steigenden Energiepreisen ist es völlig
falsch, wenn die Europäische Zentralbank jetzt die Zin-
sen anheben will. Das wird die Wachstumskräfte in
Deutschland nicht stärken, sondern eher bremsen.
Ich hätte mir gewünscht, dass zumindest einer einen Ge-
danken an diese wichtige Rahmenbedingung der wirt-
schaftlichen Entwicklung in Deutschland verschwendet
hätte.
Nun komme ich zu dem zweiten Punkt, der Lohn-
politik, die richtigerweise in dem Papier des Kanzler-
amts angesprochen worden ist. Hier gibt es natürlich
keine direkte Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesregie-
rung, aber indirekt wirkt sie in großem Umfang auf die
Lohnentwicklung in Deutschland hin. Ich werde darauf
noch eingehen. Es ist für mich unvorstellbar, wie diese
Koalition ökonomischen Erfolg haben will, wenn sie den
Sachverhalt zum ersten Mal fallender Bruttolöhne in
Deutschland hier noch nicht einmal erwähnt. Sie hat das
offenbar überhaupt noch nicht bemerkt.
Die Zahlen, die bei Tarifabschlüssen genannt werden,
sagen überhaupt nichts mehr aus, weil, wie das Konjunk-
turforschungsinstitut der deutschen Gewerkschaften
richtig festgestellt hat, die Tarifentwicklung den Tarif-
partnern völlig entglitten ist. Was ist damit gemeint? Es
nützt nichts mehr, wenn Tarifverträge mit Lohnerhöhun-
gen von 2 Prozent abgeschlossen werden, gleichzeitig
aber Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und andere Leistun-
gen zusammengestrichen werden.
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Merkel, hö-
ren Sie einmal zu! Es ist wirklich ein entscheidender
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Nun fragen Sie, verehrter Herr Kauder: Wo kommt das
eld her? Sehen Sie: Wenn man die Lage hier in
eutschland überhaupt analysieren will, dann muss man
u zwei Dingen bereit sein: zum Ersten, die Steuer- und
bgabenquote der Nachbarstaaten zur Kenntnis zu neh-
en – in der großen Koalition weigern sie sich perma-
ent, das zu tun –, und zum Zweiten, die Prozentrech-
ung zu beherrschen. Das ist ja bekanntermaßen
chwierig. Allerdings gibt es Sachverständige, die in der
age sind, die letzte Übung zu machen.
Verehrter Herr Wend, ich möchte Ihnen hier entgegen-
alten: Ihre ganze Reformpolitik beruht auf einer einzi-
en Lüge, nämlich auf der Lüge, dass der Sozialstaat in
er Bundesrepublik Deutschland nicht mehr finanzierbar
ei.
Nun können Sie folgenden Satz widerlegen: Mit der
teuer- und Abgabenquote unserer Nachbarstaaten – die
rankreichs würde schon ausreichen – wäre keine ein-
ige soziale Kürzungsmaßnahme der letzten Jahre nötig
ewesen; die ganze Reformpolitik war ein einziger
chwindel und hat Wachstum und Beschäftigung ge-
remst.
Sie, Herr Kauder, fragen: Woher kommt denn das
eld? Sie sind nicht verlegen, wenn es darum geht, wo-
er das Geld kommt. Sie kassieren es nur an der falschen
telle ein.
er in einer Situation, in der die Schere bei den Ein-
ommen in Deutschland immer weiter auseinander geht,
n der die Verteilung von Vermögen immer schiefer
ird, nichts anderes zu tun hat – für eine christlich-
oziale Partei ist das doch unglaublich! –, als rund
5 Milliarden Euro bei den kleinen Leuten einzukassie-
en, und zu feige ist, das Geld bei den großen Vermögen
inzusammeln, der sollte hier nicht die Frage stellen,
erehrter Herr Kauder: Woher kommt denn das Geld?
Wenn wir nur den Mut hätten – von Mut war doch so
iel die Rede –, die Wohlhabenden und die Reichen in
eutschland genauso zur Kasse zu bitten, wie sie in
roßbritannien oder in den USA zur Kasse gebeten wer-
en, dann hätten wir pro Jahr 50 Milliarden Euro Mehr-
innahmen in den öffentlichen Kassen. Das trifft viel-
eicht Ihre Vorurteile, aber es ist überprüfbar; jeder kann
ich das aus dem Internet herunterladen.
Ich schließe mit dem Wort eines Millionärs, des Ham-
urger Reeders Peter Krämer, der Ihre Politik wirklich
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Oskar Lafontaine
auf den Punkt gebracht hat. Er sagte: Sie sollten Politik
für das Volk machen. Sie machen aber nur Politik für die
oberen zehntausend. Das ist wirklich traurig.
Eine große Koalition gegen die kleinen Leute wird
bei Wachstum, Beschäftigung und Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit keinen Erfolg haben.