Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997
- Drucksache 13/5200 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 - Drucksache 13/5201-
Ich erinnere daran, daß wir am Dienstag für die heutige Aussprache insgesamt siebeneinhalb Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft, Einzelplan 09.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meinen ganz herzlichen Glückwunsch zum heutigen Geburtstag!
Alles Gute und vor allen Dingen weiterhin gute Gesundheit.
Bitte schön, Herr Dr. Rexrodt.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
Meine Damen und Herren, ich darf in medias res gehen und feststellen: Der Einzelplan 09 weist Finanzmittel aus, die einen Beitrag dazu leisten sollen, daß in unseren Betrieben Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue geschaffen werden, daß wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren, daß wir mit der Globalisierung zurechtkommen und daß wir ein führendes Industrieland bleiben.
Ich möchte die wichtigsten Posten und Positionen des Einzelplans 09 ansprechen. Da ist zuerst die Mittelstandsförderung zu nennen. Sie gibt Anstöße dafür, daß in kleinen und mittleren Unternehmen mehr investiert und geforscht wird, daß sich mehr Menschen selbständig machen und daß Mittel für Fort- und auch Ausbildung zur Verfügung stehen.
Neu in diesem Zusammenhang sind die Maßnahmen, die darauf zielen, in Deutschland eine Risikokapitalkultur entstehen zu lassen; dazu brauchen wir natürlich Geld. Ich nenne aber auch andere Maßnahmen, wie zum Beispiel die Reform des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungen und Maßnahmen zur Belebung des Emissionsmarktes. Insgesamt sind es mehr als zwei Dutzend Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben oder noch auf den Weg bringen werden.
Der zweite große Posten betrifft die Förderung der neuen Bundesländer. Dies erfolgt im wesentlichen über die Gemeinschaftsaufgabe, aber auch durch andere Etatposten. Es sollen Investitionen erleichtert und damit die Voraussetzungen für zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
Drittens haben wir die Außenwirtschaftsförderung, die unsere Unternehmen auf den Weltmärkten flankiert, auch mit Geld unterstützt. Aber ich sage ausdrücklich: Geld allein reicht nicht. Wir brauchen dazu auch Rat aus den verschiedensten Institutionen, und wir brauchen politische Begleitung.
Als letzten und größten Posten in unserem Etat muß ich die Kohlehilfen nennen. 9 Milliarden DM von insgesamt 17 Milliarden DM gehen in die Kohle. Das ist eine Zahl, die uns nachdenklich machen muß. Das ist ein Tatbestand, über den wir in den nächsten Wochen und Monaten sehr intensiv mit den Betroffenen, aber auch mit den Ländern diskutieren werden.
Man muß sich überlegen, was mit 9 Milliarden DM von 17 Milliarden DM alles gemacht werden könnte.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Mir liegt daran, darauf hinzuweisen, daß Mittelstandsförderung, Ostförderung und Außenwirtschaftsförderung nur Teilaspekte unserer Standortpolitik insgesamt sind. Ich stelle sie mit der Deregulierungspolitik, der Steuerpolitik, der Sozialpolitik und der Umsetzung unseres Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung insgesamt in einen Zusammenhang. Dieser Gesamtzusammenhang ist gestern ausführlich diskutiert worden. Ich kann aus zeitlichen Gründen nur sehr kursorisch darauf eingehen.
Ich möchte zur Deregulierung sagen, daß wir ein Gesetzespaket zur Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg gebracht haben, ein Verfahren, das maßgeschneiderte Entscheidungen und Beschleunigungsoptionen für unsere Unternehmen, die der individuellen Situation gerecht werden, ermöglicht.
Es muß auch gesagt werden, daß bei Bund, Ländern und Gemeinden, was die Verfahren angeht, manches wieder in Zeiträumen geht, wo früher Verweigerung an der Tagesordnung war. Aber da ist noch viel zu tun. Ich weise darauf hin, daß durch unsere komplizierte Regulierung in der Biotechnologie, in Teilen der Elektronik und bei wichtigen Verkehrsprojekten vieles verspielt worden ist.
Hier aufzuholen ist auch Ziel unserer Standortpolitik.
Ich werde in den nächsten Wochen im Kabinett einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts zur Entscheidung vorlegen. Auch in den letzten großen monopolistisch strukturierten Wirtschaftszweig in Deutschland muß Wettbewerb einziehen. Nur so kommen wir zu niedrigeren Energiekosten für unsere Unternehmen - wir liegen im Schnitt 15 Prozent über dem, was unsere Nachbarn zu zahlen haben -, und nur so kommen wir auch zu günstigeren Konditionen für die Haushalte.
Ich hoffe sehr auf die Einsicht der Kommunen, mit denen wir oft sprechen und an deren Finanzvolumen wir nicht heran wollen. Die Konzessionsabgabe steht nicht zur Diskussion.
- Ich habe gesagt, die stehen nicht zur Diskussion.
Aber ich füge hinzu: Strukturen in der Versorgungswirtschaft, bei Strom und Gas, die manchem lieb und uns allen teuer geworden sind, müssen wir aufbrechen, wenn wir bei Strom und Gas eine günstigere Situation für unsere Unternehmen, auch für den Mittelstand in Deutschland, haben wollen.
Lassen Sie mich nur wenige Sätze auf die konjunkturelle Situation verwenden. Dazu ist gestern eine Menge gesagt worden. Wir haben im zweiten Vierteljahr günstigere Zahlen. Die Konjunktur hat wieder Tritt gefaßt. Das Bruttoinlandsprodukt liegt 1,2 Prozent höher als im vorigen Jahr. Ich kann Ihnen sagen, daß die 0,75 Prozent Wachstum, die wir für dieses Jahr, zwar revidiert, prognostiziert haben, nach unten abgesichert sind. Weniger wird es nicht, eher mehr. Wir werden einen mittelfristigen Wachstumspfad betreten. Ich bin sehr hoffnungsvoll, und ich gehe davon aus, daß wir im nächsten Jahr 2 bis 2,5 Prozent, also den mittelfristigen Wachstumspfad, erreichen werden.
- Ich komme jetzt dazu.
Immer wieder muß gesagt werden: Das reicht nicht aus, um die Lage am Arbeitsmarkt durchgreifend zu verbessern. Hier sind alle gefordert, die Politik. die Tarifparteien und die gesellschaftlichen Organisationen. Aber ohne ein vernünftiges Verhalten der Tarifparteien, und zwar beider Seiten, wird manches fruchtlos und manche Beschäftigungschance ungenutzt bleiben.
- Die sind sehr unvernünftig. Ich erinnere an die Diskussion nach der Änderung der Ladenschlußzeiten. Da findet ein Gezerre statt, wie denn ausgeglichen und draufgelegt werden soll. Aber daß man sich einmal über die Chancen unterhält, die daraus resultieren, daß man den Arbeitsmarkt im Einzelhandel und anderswo flexibler organisiert das, sehe ich bei den Tarifparteien nicht. Vorrang für Beschäftigung heißt Nachrangigkeit von Zusatzforderungen der gegenwärtigen Arbeitsplatzbesitzer.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner. Dann hat sich noch der Kollege Urbaniak gemeldet.
Ich möchte zwei Zwischenfragen zulassen.
Herr Minister, macht es Sie angesichts der heute erneut bekanntgewordenen gestiegenen Zahl von Insolvenzen, die zur Jahresmitte bereits 15 458, davon fast 13 000 Unternehmen, beträgt und um über 11,7 Prozent und bei den Unternehmen um 17 Prozent gestiegen ist, nicht langsam nachdenklich, daß eine Politik, die immer mehr Kaufkraft bei denen abschöpft, die Nachfrage im Inland erzeugen könnten, eher mittelstands- und unternehmensfeindlich ist. Macht Sie das nicht nachdenklich?
Das macht mich mehr als nachdenklich. Das sind bedrohliche Zahlen; aber ich sage immer wieder: Wir befinden uns in einem Prozeß der Umstrukturierung unseres Landes, der Einstellung auf globalen Wettbewerb. Tatsache ist nun einmal, daß das, was Sie als nachfrageorientierte Politik bezeichnen, die Stärkung der Massenkaufkraft, dazu führt, daß unsere
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Unternehmen noch mehr mit Kosten belastet werden, noch mehr im Ausland investieren und daß noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen. Diese nachfrageorientierte Politik ist eine falsche Politik. Deshalb machen wir eine angebotsorientierte Politik, die darauf abzielt, die Bedingungen dafür zu verbessern, daß in Deutschland mehr investiert wird und sich mehr Leute selbständig machen. Dadurch bekommen wir die Arbeitsplätze, nicht aber, indem wir die Kaufkraft in einer Art und Weise stärken, die die Unternehmen belastet.
Herr Urbaniak.
Herr Minister, ich kann ja angesichts Ihrer Einlassung davon ausgehen, daß Sie bei der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes nicht an das Finanzvolumen der Konzessionsabgabe, aus der die Gemeinden gegenwärtig 6 Milliarden DM einnehmen, herangehen wollen. Das heißt, diese Einnahme wird den Gemeinden weiter möglich sein.
Nun aber meine Frage zu dem von Ihnen erwähnten Ladenschlußgesetz: Wie können Sie sich erklären, daß nach der neuesten Umfrage nur 8 Prozent der Einzelhändler überhaupt von diesen neuen Ladenschlußzeiten Gebrauch machen wollen? Daraus können Sie doch erkennen, daß es überhaupt keinen Schub für wirtschaftliche Belebung oder gar für neue Arbeitsplätze gibt.
Also, Herr Kollege, soweit ich informiert bin, sind es 15 Prozent. Aber auch das sind sehr wenig. Das ist eben die eingefahrene Denkweise, die es nicht nur auf der einen Seite der Tariffront gibt, sondern auch auf der anderen Seite. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn der Wettbewerb durch diese 15 Prozent da ist, dann werden am Ende mehr als 15 Prozent offenhalten oder offenhalten müssen, weil der Wettbewerb diesen Druck erzeugt. Das war unser Ziel. Wir wollten ja nicht, daß jeder bis 20 Uhr offenhält, wenn er das nicht verantworten kann. Aber derjenige, der fleißig und engagiert ist und seine Arbeit besser organisieren kann und will, soll die Chance bekommen. Die haben wir jetzt geschaffen, und darüber sind wir froh.
Meine Damen und Herren, ich möchte im Anschluß an Ihre Frage noch ein Wort zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme sagen. In Teilen der SPD werden ja Vorstellungen vertreten, die sich von den unseren überhaupt nicht unterscheiden. Andere Teile der SPD haben aber eine Art Weltmodell, eine Art „Superbündnis" für Arbeit, im Kopf, im übrigen ein Wunschbild, das an den Realitäten der Menschen und der internationalen Staatengemeinschaft vorbeigeht.
Kein Entwicklungsland und kein Schwellenland wird auf seine Kostenvorteile im globalen Wettbewerb verzichten, damit wir, die Industrieländer, ein hohes Beschäftigungsniveau halten können. Ich bin sehr für Abstimmungen und Absprachen auf internationaler Basis. In der Weise aber, wie sich das manche von Ihnen vorstellen - unter Einbindung der Zentralbanken, die in der Zinspolitik zu Wohlverhalten verpflichtet werden sollen -, ist dies eine weitere Utopie, die genausowenig aufgeht, wie andere Utopien aufgegangen sind.
Uns geht es - das ist der zweite wichtige Punkt - vor allem auch um Arbeitsplätze für die ostdeutsche Wirtschaft. Es geht dabei nicht darum, den Unternehmern ein Doping zu verpassen, sondern Aufbaunahrung, damit die Unternehmer dort Arbeitsplätze schaffen - in einer Wirtschaft, die vier Jahrzehnte unter der kommunistischen Planwirtschaft gelitten hat.
Ich habe - das möchte ich hier in der knappen Zeit, die mir zur Verfügung steht, noch einmal sagen - diese besondere Situation der neuen Länder immer wieder auch in Brüssel in Erinnerung gebracht, zuletzt - noch vor dem Fall VW - in sehr deutlicher Weise bei Überreichung eines Memorandums über die Lage in den neuen Ländern.
Wir haben diesen Fall VW jetzt soweit auf die Schiene gebracht, daß wir Zeit haben, sowohl über diesen Fall als auch über andere wichtige, anstehende große Fälle zur Förderung in den neuen Ländern zu sprechen.
Wir haben vor allem Zeit gewonnen, um das prinzipielle Problem zu lösen, daß darin besteht, daß wir auf der einen Seite in Brüssel die Einsicht fördern müssen, daß die Situation der neuen Länder nicht mit der in irgendeiner Region in Europa vergleichbar ist.
Das ist das eine.
Das andere aber ist, daß ich nachvollziehen kann und auch ein gewisses Verständnis dafür habe, daß die Europäische Kommission nicht ganz unbeteiligt an Beihilfefällen sein kann, daß sie in geeigneter Weise mitwirken kann und muß, damit in Europa keine Subventions-, keine Beihilfenanarchie entsteht. Diese beiden Aspekte unter einen Hut zu bringen wird eine schwierige Aufgabe für die nächsten drei, vier Monate sein.
Ich will noch ein Wort zu dem Bereich ABM in den neuen Ländern sagen. Wir werden das Thema ABM in Ostdeutschland konsequent angehen - auch mit Rückführungen -, so wie wir das angekündigt haben. Ich sage aber ausdrücklich: unter Würdigung der regionalen und lokalen Arbeitsmarktlage sowie einer stärkeren Differenzierung, als das heute der Fall ist.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Ich möchte abschließend sagen - ich habe nur eine sehr kurze Redezeit
- das sind leider die Geschäftsführer -:
Wirtschaftspolitik heißt vor allem, den richtigen Rahmen zu setzen. Ich habe das soeben schon angedeutet. Deshalb machen wir angebotsorientierte Politik - eine Politik, die darauf zielt, daß sich die Menschen selbständig machen und einen Anreiz darin finden, daß sie als Mittelständler existieren können, daß die Bedingungen für Investitionen verbessert werden. Dazu gehört unsere Deregulierungspolitik, der Umbau der Sozialsysteme, die Steuer- und die Förderpolitik, über die ich hier kurz gesprochen habe. Wir wollen den richtigen Rahmen setzen. Daß dies aber richtig ist, wird beispielsweise durch so renommierte Organisationen wie die OECD immer wieder unterstrichen.
Aber nicht nur Organisationen oder Institute - darauf kommt es am Ende gar nicht an -, sondern die Menschen in Deutschland haben erfaßt, daß wir auf Grund der Globalisierung vor Problemen stehen, wie wir sie bisher nicht hatten. Die Menschen in Deutschland sind bereit, ein Opfer zu erbringen - ein Opfer, das natürlich auch mit Gerechtigkeitsaspekten verbunden wird.
Ich sage immer wieder: Gerechtigkeit wird dann am besten herbeigeführt werden können, wenn die Menschen, wenn die Leistungsträger die Freiheit haben, sich zu entfalten. Das bringt für alle am meisten, auch für die sozial Schwachen, die in unserer Politik nach wie vor die ihnen gebührende Berücksichtigung finden werden.
Meine Damen und Herren, es gibt ein „Fenster", auch auf Grund der öffentlichen Bewußtseinslage, die Probleme in Deutschland zu lösen. Wir werden die Chance nutzen, damit die Zukunft unseres Landes gesichert bleibt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, zunächst einmal freue ich mich, Ihnen hier an dieser Stelle zum Geburtstag gratulieren zu können. Es ist schön, daß Sie wieder unter uns sind. - Das waren die Freundlichkeiten.
Nun hat man die Frage zu stellen, ob Haushalt auch immer Programm sein muß für die wirtschaftspolitische Zukunftsgestaltung. Oder anders ausgedrückt: Wenn Haushalt Programm sein muß, dann müssen Haushaltsauseinandersetzungen auch Streit um die wichtigen Zukunftskonzepte sein.
Da bleiben Fragen, die Sie, wie ich finde, allzu harmlos gestellt haben: Wie gelingt es, die Wirtschaft auf einen stärkeren Wachstumskurs zu bringen? Wie gelingt es, die Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum zu bekämpfen? Wie schaffen wir Arbeitsplätze? Genau diese Fragen werden in Ihrem Haushaltsentwurf nicht beantwortet. Sie haben noch nicht einmal eine Vorstellung davon, wie man sie beantworten könnte.
Wenn man Ihre Äußerungen auch von heute ernst nimmt, so bin ich gar nicht sicher, ob Sie diese Fragen überhaupt als solche erkannt haben.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik - nicht nur Ihrer, aber auch Ihrer Politik -, daß wir vier Millionen registrierte Arbeitslose haben und daß 6 bis 7 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz suchen.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß wir in den EU-Ländern zu denen mit dem niedrigsten Wirtschaftswachstum gehören. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß wir in den vergangenen Jahren die von Ihnen zu Recht beklagten Hemmnisse haben.
Das Wachstum von 0,75 Prozent, das Sie jetzt geschätzt haben, stützt sich ausschließlich auf Auslandsnachfrage. Sie wissen genau, daß wir in Europa Risiken haben, in Frankreich und in Italien. Binnennachfrage trägt noch nicht dazu bei. Es ist Ihnen nicht gelungen, die Bundesrepublik Deutschland in den europäischen Wachstumszug einzureihen.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß neue Technologien in der Bundesrepublik Deutschland keinen Platz finden, daß die letzten PhotovoltaikanlagenHersteller die Bundesrepublik Deutschland verlassen, weil Sie keine Markteinführungshilfen bereitgestellt haben.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß die Biotechnologie noch nicht zu uns zurückgefunden hat.
14 Jahre hätten Sie Chancen gehabt, die Voraussetzungen in Forschung, Technologie und Ansiedlung zu schaffen. Aber nichts ist geschehen, nichts ist zurückgekommen.
Ernst Schwanhold
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß wir als Deutsche auf den schnell wachsenden Märkten viel zuwenig zu Hause sind und daß der Mittelstand keinen Weg findet in die schnell wachsenden Märkte in Mittelamerika, in Südamerika und in Fernost.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß die Unternehmen zu Recht die ausufernde Bürokratie beklagen.
Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland trotz eines beispiellosen Kapitaltransfers noch immer nicht zu einem selbsttragenden Aufschwung gefunden hat und im Gegenteil in besonderem Maße in Ostdeutschland jetzt schon wieder aus öffentlichen Mitteln investiertes Kapital durch Insolvenzen vernichtet wird.
Wann endlich nehmen Sie Ihre politische Verantwortung wahr und hören auf damit, die Opposition dafür zu beschimpfen, daß Sie eine so mangelhafte Bilanz vorzulegen haben?
Nun sind Sie wahrlich nicht allein dafür verantwortlich. Im Kabinett insgesamt gibt es keine Sensibilität für diese Fragen. Anders ist es ja auch nicht zu erklären, daß das Wirtschaftsministerium zu einem Rumpfministerium geworden ist und daß in diesen Tagen zum zweitenmal in dieser kurzen Wahlperiode wieder Fragen um Ihre Person, aus Bayern auf geworfen, in der Öffentlichkeit gestellt werden. Das hat auch etwas damit zu tun, daß die Akzeptanz Ihrer Politik in diesem Kabinett verlorengegangen ist.
Sie können sich nicht einmal der Angriffe des Herrn Protzner erwehren.
Daraus resultiert, daß das Vertrauen in Ihre Politik und in die internationale Handlungsfähigkeit des Wirtschaftsministers verlorengegangen ist. Wie wollen Sie eigentlich international auftreten und Harmonisierung verlangen und Auswüchse, die uns schaden, bekämpfen, wenn das Signal intern ist: Dieser Minister ist im eigenen Land nicht einmal mehr im Kabinett unumstritten und wird dort nicht gestützt?
Dieses schwächt Ihre Position. Es schwächt Ihre Position in internationalen Verhandlungen. Sie haben kein Konzept für die Zukunft und verspielen damit auch die Zukunft. Sie belügen sich mit Ihren flotten Sprüchen selbst, Herr Minister, und - was noch viel schlimmer ist - auch Ihre Zuhörer; zumindest versuchen Sie es.
Wir haben Ihnen in den wirklich wichtigen Handlungsfeldern Konzepte und auch Instrumente angeboten und durch Anträge belegt, von denen Sie keinen einzigen mitgegangen sind. Wir haben Ihnen Anträge vorgelegt, gemeinsam über alle Fraktionsgrenzen hinweg die außenwirtschaftlichen Repräsentanzen zu stärken. Was ist das Ergebnis? Es gibt Kürzungen im Bereich der Außenwirtschaft, die insbesondere dem Mittelstand schaden. Es gibt Kürzungen in diesem Haushalt.
Wir haben Ihnen als Opposition angeboten, sofort dazu beizutragen, die Lohnzusatzkosten zu senken, indem wir durch ökologische Steuern zwei Prozentpunkte reduzieren können. Sie haben dies nicht aufgegriffen und können das nicht durchsetzen.
Wir haben Ihnen angeboten, die Energieproblematik und damit die CO2-Bilanz zu verbessern, indem wir Mittel bereitstellen, um ökologische Produkte für regenerative Energien bereitzustellen. Sie sind diesen Weg nicht mitgegangen. Das wäre wahrlich eine Zukunftstechnologie, in die sich zu investieren lohnen würde.
Wir haben Ihnen im März 1995 den ersten Antrag zur Bereitstellung von Risikokapital vorgelegt und danach einen präzisierten, der privates Risikokapital anreizen soll. Er wird von Ihnen verschleppt. Er wird von den Koalitionsfraktionen im Wirtschaftsausschuß schleppend beraten, bzw. es wird insgesamt verhindert, daß er auf die Tagesordnung kommt. Dabei ziehen Sie und der Bundeskanzler durch das Land und sagen: Wir wollen Risikokapital. Woher wollen Sie es eigentlich bekommen, wenn nicht aus den privaten Vermögen? Dann müssen Sie Abschreibungsbedingungen anbieten, die dieses anreizen. Ich erkenne nichts, aber auch gar nichts in Ihrem Haushalt.
- Nein, nein, ich habe das sehr wohl gelesen.
Sie haben die Vorschläge für eine aktive Außenwirtschaftspolitik, insbesondere was den Markt für die ostdeutschen Unternehmen angeht, und die Orientierung auf die osteuropäischen Märkte ausgeschlagen. Nun suchen wir in Ihrem Haushalt und in Ihrem Einzelplan vergeblich nach Maßnahmen, die diese Zielsetzung - die Orientierung auf den neuen Märkten, neue Technologien, Stärkung des Mittelstandes - auch wirklich durchsetzen könnten. Sie haben keinen einzigen Antrag zur Mobilisierung von privatem Risikokapital vorgelegt - ich will dieses noch einmal ausdrücklich festhalten -, obwohl Sie seit Monaten nur auf diesem Thema herumreiten.
Ihr Einzelplan wie auch andere Einzelpläne dieser Regierung sind zum Steinbruch für Kürzungen degradiert worden. Im Haushalt werden - das will ich nachgekartet noch zu Herrn Schäuble sagen - die Mittel für Existenzgründungen um 120 Millionen DM gekürzt, obwohl sie überzeichnet sind. Wie kann sich eigentlich Herr Schäuble hier herstellen und die Existenzgründungsinitiative loben, gleichzeitig aber werden Kürzungen im Haushalt vorgenommen?
Daß es im vergangenen Jahr zu einer Aufstockung der Mittel im Eigenkapitalhilfeprogramm gekommen ist, haben Sie übrigens den Anträgen der sozial-
Ernst Schwanhold
demokratischen Partei zu verdanken, die Sie dann mit mehrjähriger Verzögerung übernommen haben.
Wir haben Ihnen sogar bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr Ihre eigenen Anträge zum Eigenkapitalhilfeprogramm, die Sie am Morgen der Wirtschaftsausschußsitzung zurückgezogen haben, vorgehalten. Da haben Sie sich nicht einmal getraut, Ihren von Ihnen selbst verfaßten Anträgen zuzustimmen. Und dann stellt Herr Schäuble sich hierher und sagt, dies alles sei von Ihnen auf die Reise gebracht.
Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums müßte eigentlich Vorbildcharakter haben. Von ihm müßten wirtschaftliche Perspektiven ausgehen, er müßte den volkswirtschaftlichen Realitäten gerecht werden, und er müßte die wirtschaftspolitische Linie der Regierung widerspiegeln.
Realitätsbezug, Perspektive und Richtschnur für diese Politik - diese drei Anforderungen müßte der Haushalt des Wirtschaftsministers erfüllen. Alle drei Ziele werden verfehlt. Deutschland steckt in der schlimmsten Massenarbeitslosigkeit. Wir haben ein zu geringes Wachstum.
Noch nie hatten wir im August eines Jahres eine Massenarbeitslosigkeit von über 10 Prozent. Ein Beschäftigungsaufschwung ist nicht absehbar.
Unter allen Wirtschaftspolitikern, unter allen Volkswirten, unter allen Wirtschaftsforschungsinstituten und dem Sachverständigenrat besteht in einem Punkt Einigkeit: Aus der Massenarbeitslosigkeit führt nur ein Weg: Der Meilenstein heißt Investitionen. Investitionen aber benötigen Nachfrage. Sie steuern genau in die gegenteilige Richtung. Sie schwächen mit diesem Haushalt die Nachfrage und die Investitionstätigkeit.
Um dieses mit Zahlen zu belegen: Sie kürzen die Investitionsförderung um 10 Prozent; dort werden 350 Millionen DM fehlen. Sie kürzen die Mittelstandsförderung um 8 Prozent; dort werden 125 Millionen DM fehlen. Sie kürzen die Mittel für Forschung und Entwicklung um knapp 7 Prozent; dort werden 21 Millionen DM fehlen. Sie überlassen die Außenwirtschaftsförderung - ich habe eben schon darauf hingewiesen - doch lieber der Wirtschaft und den Landesbanken. Jedenfalls haben Sie es bei der kürzlichen Errichtung des deutschen Industrie- und Handelszentrums in Peking versäumt, für die deutsche Außenwirtschaft ein Signal zu setzen.
Bei den wirtschaftlichen Prognosen der letzten Jahre haben Sie sich verschätzt. Das ist in Ordnung. Wir wissen, daß dieses Geschäft schwierig ist. Auch gehört immer ein Schuß Schönfärberei dazu. Bei Ihnen lagen die Schätzungen für das Jahr 1993 allerdings völlig daneben. Für 1995 haben Sie sich um 50 Prozent verschätzt. Zweimal haben Sie sich 1996 revidiert. Ich glaube, Sie nehmen einen zu großen
Schluck aus der Pulle. Das ist es, was wir Ihnen vorwerfen: Sie wollen die Realitäten nicht wahrnehmen, Herr Minister.
Ich habe Sie gefragt, wo die Richtschnur für die Politik, für die Wirtschaft und für die übrigen Akteure des wirtschaftlichen Handelns ist, wo sie aus Ihrem Haushalt erkennbar werden soll, wohin Sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung wollen und wie der Strukturwandel zu lenken ist. Gesamtwirtschaftlich haben die Jahresprognosen des Jahreswirtschaftsberichts nämlich auch den Sinn, daß sie das angemessene Wirtschaftswachstum auf der Grundlage der realen Wirtschaftslage beschreiben sollen. Es sollen nämlich Projektionen im Sinne dessen sein, was man erreichen will. So steht es im Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz, das ich Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, einmal zur Lektüre empfehlen würde. Wir sind noch zu keiner Zeit so weit von den Zielen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes entfernt gewesen wie zur jetzigen Zeit. Das sollte Ihnen Richtschnur sein.
Mit Ihrem Aktionismus tragen Sie zur Verunsicherung bei. Sie haben zugelassen, daß die Kanzlergespräche für ein Beschäftigungsbündnis geplatzt sind. Sie haben ein für die Beschäftigung völlig kontraproduktives Aktionsprogramm vorgelegt, wie die Aktionsprogramme der Vergangenheit beweisen. Sie werden damit das Gegenteil von dem bewirken, was notwendig wäre, nämlich die Grundlagen für einen nachhaltigen Wachstumsprozeß und Beschäftigungsaufschwung zu legen; denn neben der Angebotsorientierung muß man wohl auch die Nachfrageseite im Auge behalten. Wo sind in Ihrem Haushalt eigentlich die Perspektiven dazu? Wo sind die Signale für den Standort Deutschland, für die Wirtschaft, für die jungen Menschen, für die, die Innovationen in diesem Land vorantreiben wollen, für die Abgänger von Fachhochschulen und von Universitäten? Sie verlassen doch nicht umsonst die Bundesrepublik Deutschland. Dieses hat auch etwas mit der Perspektivlosigkeit zu tun, die Sie ihnen als Politik bieten.
Mehr Gestaltungswillen, insbesondere aber auch mehr Stetigkeit in der Politik wäre das Gebot der Stunde. Es wird in Zeiten geringen Wirtschaftswachstums nicht gelingen, einen Haushalt zu konsolidieren und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu initiieren. Sie müssen heute die Grundsteine dafür legen, indem Sie zunächst einmal Wachstum anreizen und dann konsolidieren. Wir brauchen Konsolidierungskonzepte; das ist klar.
Aber wir brauchen auch Gestaltungskraft und nicht den Rasenmäher, der Reformen im Sinne von mehr Effizienz und Innovation verhindert, Das wären die Antworten, die den wirtschaftlichen Realitäten und
Ernst Schwanhold
den Erfordernissen entsprechen und zugleich den leeren Kassen Rechnung tragen würden.
Zu den Standortrisiken in der Bundesrepublik Deutschland zählen natürlich die Wechselkursverzerrungen - kein Wort dazu -, groteske Differenzen zwischen Wechselkursen und realen Kaufkraftparitäten. Die Wirklichkeit ist von Währungskonkurrenz und von Lohn-, Sozial- und Umweltdumping geprägt. Wir können doch täglich von den Umweltforschern, auch in den asiatischen Wachstumsländern, lesen, welche Probleme dort entstehen. Deshalb ist eine internationale Harmonisierung notwendig. Ich fordere Sie nachdrücklich auf, die Konferenz in Singapur unter das Motto zu stellen, den ruinösen Umwelt- und Sozialwettbewerb im Welthandel zu mindern, und Spielregeln zu verabreden, ohne Protektionismus vorzunehmen.
Es kann doch nicht sein, daß sich die Bundesrepublik Deutschland bei den Konferenzen der G 7 stets und ständig als Verhinderer von Spielregeln profilieren will. Wenn wir die Chancen der Globalisierung, des Welthandels und der Weltwirtschaft richtig verstehen wollen, müssen wir in unsere politischen Überlegungen auch diese Perspektive einbeziehen und versuchen, diese ohne Protektionismus umzusetzen.
Unsere Konjunktur- und Arbeitsmarktprobleme lassen sich nur durch eine neue Kultur der Innovation und der Unternehmensgründungen überwinden. Wir müssen den Boden schaffen, damit die neuen Technologien, die in der Zukunft bei uns Arbeitsplätze bringen, hier Platz finden; wir müssen den Forschungsstandort Deutschland ausbauen und die Verzahnung zwischen privater Forschung sowie Universitäten und Fachhochschulen vornehmen.
Chancen auf den Märkten und den Übergang zu nachhaltigem Wirtschaften schaffen wir nur dadurch, daß wir Umweltschutz in die Produkte hineinbringen und nicht End-of-pipe-Technologien fördern. Dieses schafft Arbeitsplätze.
Zukunft gewinnen wir dadurch, daß wir die positiven Seiten der Biotechnologie bei uns erkennen. Zukunft gewinnen wir dadurch, daß wir die Chancen der Informations- und Kommunikationstechnologien bei uns nutzen und die Risiken dabei nicht außer acht lassen.
Zukunft gewinnen wir dadurch, daß wir Verkehrsinfrastrukturen schaffen und erhalten und daß wir eine Verzahnung der verschiedenen Verkehrsträger bei uns herbeiführen, die die ökologische Bewältigung von Personen- und Güterverkehrsströmen ermöglicht.
Dies alles sind Bereiche, in denen Mittelständler wie Großindustrie Beschäftigungsfelder finden und in denen Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir, die
Sozialdemokraten, werden dafür sorgen, daß dieser Rahmen geschaffen wird.
Natürlich sind mittelständische Unternehmen innovativer und schneller in der Lage, wissenschaftliche Forschungsergebnisse umzusetzen. Warum eigentlich haben Sie es nicht geschafft, die 500 Förderprogramme wenigstens so zu straffen, daß auch ein Mittelständler ohne Förderungsberater, ohne Consulter in den Genuß dieser Fördertöpfe kommen kann?
Der unsägliche Spruch von der Wirtschaft, die in der Wirtschaft stattfindet, holt Sie jeden Tag wieder ein. Ihre ideologische Voreingenommenheit, daß die Arbeitslosen selbst an ihrem Schicksal schuld seien, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf ihren gerechten Anteil am Erwirtschafteten verzichten sollten, und Ihre Zurückhaltung bei der Gestaltung der Zukunft, die sich darin ausdrückt, daß Sie sich nicht trauen, das Wort „Industriepolitik" in den Mund zu nehmen, zeigen Ihre Unfähigkeit, mit den Problemen fertigzuwerden.
Herr Rexrodt, dieses ist die Realität in der Bundesrepublik Deutschland. Ich hätte mir gewünscht, Sie würden jungen Menschen Hoffnung geben, auch mit Impulsen, die aus diesem Haushalt kommen. Wir warten leider vergebens darauf. Wir werden Sie in den weiteren Haushaltsberatungen dazu zwingen, Farbe zu bekennen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der Kollege Kurt Rossmanith.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte der beiden letzten Tage und auch der Beitrag des Kollegen Schwanhold, den wir alle eben zur Kenntnis genommen haben, haben gezeigt, daß in der Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik leider kein Konzept der Opposition vorliegt
und wahrscheinlich auch nicht erwartet werden kann.
Immerhin haben Sie, Herr Kollege Schwanhold, zugegeben, daß ein Konsolidierungskonzept notwendig wäre; nur, ich habe wirklich Vorschläge von Ihnen vermißt. Sie haben lediglich bekrittelt, daß wir das eine oder andere Programm etwas zurücknähmen.
Kurt J. Rossmanith
- Dann hätten Sie das in den vergangenen beiden Tagen vortragen müssen. Das ist doch das Entscheidende.
- Nur so ein Papier vorzulegen, das ist doch nichts, liebe Kollegin Fuchs.
Ich will der Ehrlichkeit halber sagen, daß Sie zugegeben haben, daß wir uns in einer schwierigen Situation befinden und daß die Konsolidierung schon wesentlich weiter fortgeschritten wäre, wenn Sie im Bundesrat nicht Ihre Obstruktionspolitik betrieben hätten. Das ist immerhin ein ehrlicher Beitrag.
Angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, hätten wir uns alle auch von der Opposition eine konstruktivere Haltung gewünscht. Denn, wie Herr Bundesminister Rexrodt schon gesagt hat, es sind alle gefordert, und das besonders in Zeiten, in denen wieder Wirtschaftswachstum geschaffen werden muß und in denen die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden müssen. Es sollte immer unser Bestreben sein, daß Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften an einem Tisch sitzen und gemeinsam die Verantwortung für dieses unser Land tragen.
Denn nur das ist die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung.
Wir sind eine führende Wirtschaftsnation dieser Erde. Da kann man diskutieren, wie man will; wir lassen uns diesen Platz nicht kaputtreden. Aber wir müssen ganz massiv etwas tun, damit wir diese führende Wirtschaftsnation in Zukunft bleiben. Ein ganz wichtiger Meilenstein auf diesem Weg ist die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Hier hat der Wirtschaftsminister wirklich Verantwortung gezeigt, indem er nicht nur die Rahmenbedingungen schafft, sondern auch im Haushalt Zeichen setzt;
denn die Ausgaben in diesem Haushaltsentwurf, den wir jetzt noch in den Ausschüssen beraten müssen, weisen gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um mehr als 8 Prozent auf. Das sind in konkreten Zahlen 1,6 Milliarden DM.
- Herr Scharping, Sie lachen. Es freut mich, daß Sie damit zustimmen. Offensichtlich erfreut es Sie, daß wir diese Kürzungen vornehmen mußten. Wir sind darüber nicht froh.
Aber es ist einfach der Zwang zur Konsolidierung, der uns dies notwendig erscheinen läßt.
Davon sind im Endeffekt alle Bereiche mit betroffen, von der Kohle über die Werften bis hin zur Regionalförderung und auch zum mittelständischen Bereich.
Es gibt zweifellos für alle Beteiligten schmerzhafte Einschnitte bei Fördermaßnahmen, die ihnen in den vergangenen Jahren lieb und dem Steuerzahler teuer geworden sind. Aber ich glaube, daß wir einfach den Mut und die Kraft haben müssen, Subventionen auf den Prüfstand zu stellen; denn das ehrgeizige Ziel der Haushaltskonsolidierung muß erreicht werden. Ich bin überzeugt, daß wir es auch erreichen werden.
Ich stimme mit Ihnen, Kollege Schwanhold, überein, was die Förderprogramme anbelangt. Aber hier ist nicht nur der Bund gefordert, sondern auch die Länder. Es ist sicher richtig, daß gerade ein mittelständischer Unternehmer, ein kleinerer Unternehmer, angesichts der Vielzahl der Förderprogramme heute überhaupt nicht mehr durchblickt, so daß er einen Berater benötigt. Ich wäre sehr dankbar, Herr Bundesminister Rexrodt, wenn Sie zusammen mit Ihren Länderkollegen diese Förderprogramme wirklich einmal alle auf den Prüfstand stellen und konzentrieren würden, damit auch der Handwerksmeister, der sich soeben selbständig gemacht hat, noch einigermaßen durchblickt und weiß, was für ihn in Frage kommt und was nicht.
Was die Subventionen anbelangt, stehe ich dazu, daß wir bei der Steinkohle weiter zurückfahren müssen. Herr Bundesminister Rexrodt hat dazu ausführliche Darlegungen gemacht. Ich hoffe, daß über eine Abschmelzung der Kohlebeihilfen bis zum Jahr 2005 auch mit den Revierländern Nordrhein-Westfalen und Saarland Gespräche geführt werden können
und daß wir hier rasch zu einem Ergebnis kommen werden. Dabei ist mir völlig klar, daß eine Umstrukturierung in diesen Regionen natürlich nicht von heute auf morgen möglich ist.
Aber Nordrhein-Westfalen und das Saarland möchte ich immer wieder auf ihre regionalpolitische Verantwortung hinweisen.
Die Prognosen hinsichtlich des Wachstums, lieber Kollege Schwanhold, sind, auch wenn Sie die OECD-Aussagen einbeziehen, für uns nicht allzu negativ.
Kurt J. Rossmanith
- Das empfinden Sie so. Dann haben Sie es nicht gelesen.
- Dann - das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen - haben Sie diesen Bericht schlicht und einfach nicht gelesen, oder Sie haben vielleicht nur das gelesen, was Ihnen gefällt oder was für Sie, für Ihre Art, Politik zu machen, etwas günstiger ist.
Mir ist aber genauso klar, daß das Wachstum, das hier prognostiziert wird, nicht ausreichen wird und daß wir angesichts von vier Millionen Arbeitslosen unsere wichtigste Aufgabe natürlich darin sehen müssen, neue, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Aber Arbeitsplätze werden nur dort geschaffen werden können, wo Investoren auch entsprechend günstige Rahmenbedingungen vorfinden.
Wer hier die Rahmenbedingungen verschlechtern will, so wie Sie es vorhaben, oder nicht begreift, daß eben auch Einsparmaßnahmen nötig sind, damit wir konkurrenzfähig bleiben, der wird dieses Ziel weit verfehlen.
Ich will der Opposition deutlich sagen, daß sich die Weltwirtschaft und die Investoren wenig darum scheren, was man in Magdeburg oder in Saarbrücken für sozial ausgewogen hält.
Eine verantwortungsvolle Sozialpolitik muß dafür sorgen, daß die Sozialausgaben nicht Beschäftigungschancen zunichte machen. Deshalb werden wir morgen mit der entsprechenden Mehrheit das Sparpaket endgültig verabschieden. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie dem zustimmen könnten. Am Anfang dachte ich, Herr Schwanhold, Sie seien auf dem Wege dazu, denn der Beginn Ihrer Rede war ja durchaus in dieser Richtung zu sehen.
Auch die neuen Länder sind natürlich ein ganz wesentlicher Punkt. Trotz aller Konsolidierungsmaßnahmen müssen die Förderungen für die neuen Bundesländer weitergeführt werden. Aber auch hier bin ich der Meinung, daß eine gewisse Konzentration auf Schwerpunkte notwendig ist. Immerhin ist bei diesem Entwurf für das Jahr 1997 im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums noch etwa ein Drittel aller Mittel allein für Förderprogramme für die neuen Bundesländer vorgesehen.
In diesem Zusammenhang lassen Sie mich auch einen Satz zum Streit zwischen der Europäischen Kommission und dem Freistaat Sachsen über Beihilfen für die Investitionen von Volkswagen sagen. Hierzu hat ja auch Bundesminister Rexrodt Ausführungen gemacht. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Bundesminister, daß Sie sich hier massiv eingeschaltet haben, daß Sie das, wie ich meine, auf den richtigen Weg bringen.
Aber, eines will ich auch kritisch anmerken, nicht an Ihre Adresse, sondern an den Konzern. Sollte es stimmen, daß damit gedroht wurde, in der Tschechischen Republik zu investieren und nicht im Freistaat Sachsen, falls diese Beihilfen nicht so gewährt werden sollten, wie vorgesehen, dann ist das für mich ein eigenartiges Verständnis von Rechts- und Wirtschaftsordnung, insbesondere von seiten eines Konzerns, der den Namen Volkswagen trägt. Auch das will ich an dieser Stelle einmal sagen.
Ein weiterer Punkt, der die neuen Länder betrifft, ist die Wismut AG. Ich war vor vier Wochen wieder einmal vor Ort, bei den Mitarbeitern, bei den Arbeitern, die dort Hervorragendes leisten bei der Rekultivierung einer - man kann es wirklich so sagen - im Sozialismus miserabel behandelten Umwelt,
und bei den Menschen, die dort in dieser Region leben. Insgesamt haben wir hier 13 Milliarden DM vorgesehen. 4,6 Milliarden DM sind bisher dafür ausgegeben. Ich kann nur an die beiden Bundesländer, Thüringen und den Freistaat Sachsen, appellieren, alles dafür zu tun, daß auch die bergrechtlichen und umweltrechtlichen Genehmigungen erteilt werden. Ich weiß: Das ist sicherlich kein sehr einfaches Unterfangen. Aber daran darf es nicht scheitern. Der Bund stellt die Finanzmittel bereit. Die Finanzmittel können jedoch nicht abgerufen werden; die Arbeit kann nicht fortgesetzt werden, weil die eine oder andere Genehmigung fehlt. Ich möchte herzlich bitten, daß das in den beiden Bundesländern zur Chefsache gemacht wird.
Die Wirtschaftspolitik ist wichtig; auch die Konsolidierungspolitik ist wichtig. Wir können den Standort Deutschland nur dann weiterhin erfolgreich in die Zukunft führen, wenn wir beide offensiv gestalten. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Wege. Die Verläßlichkeit der Opposition, was Prognosen anlangt, ist ja in etwa so groß wie die des Wetterberichts für die übernächste Woche. Deshalb, lieber Herr Scharping, wird der Traum von einer rot-grünen Koalition für Sie sicherlich weiterhin ein Wunschtraum bleiben. Wir werden eine Wirtschafts-, eine Haushalts- und eine Sozialpolitik gestalten, die den Standort Bundesrepublik Deutschland im Weltmaßstab an führender Position erhält.
Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält jetzt die Kollegin Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen! Herr Rossmanith, Sie sind ein wahrhafter Träger des europäischen Geistes, wie wir gerade erfahren konnten. Wenn Sie
Margareta Wolf
„Volkswagen" sagen - so haben Sie sich gerade geoutet -, denkt man tatsächlich an völkisch.
Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen, Herr Rexrodt, ganz herzlich zum Geburtstag zu gratulieren. Ich möchte es weiterhin nicht versäumen, Ihnen dafür zu danken, daß Sie vorhin angekündigt haben, daß Sie am 25. November ein Energiewirtschaftsgesetz einbringen werden. Just am 25. November ist der erste Geburtstag unseres Energiewirtschaftsgesetzes. Wir haben es am 25. November letzten Jahres eingebracht. Soviel zu Konzepten, und soviel zur Entschlossenheit dieser Bundesregierung.
Zukunftsfähigkeit bedeutet, sich heute den Herausforderungen der Zukunft zu stellen und heute die notwendigen Investitionen für die nächsten Generationen zu tätigen. Das leistet der Einzelplan 09 nicht. Zukunftsfähigkeit bedeutet, eine verantwortliche Politik zu betreiben, das heißt, eine größtmögliche Planungssicherheit für die Menschen und auch für die Unternehmen zu gewährleisten. Das leistet der Einzelplan wiederum nicht. Ebenfalls leistet er nicht, Rahmenbedingungen für den dringend notwendigen Strukturwandel zu schaffen und damit Anreize für Innovationen und Investitionen zu geben. Das alles leistet dieser Einzelplan tatsächlich nicht.
Der Anforderung im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit wird der Einzelplan nicht gerecht. Er ist sogar teilweise unseriös. Er hat teilweise die Funktion eines Nebelwerfers; man ist im Begriff, damit Schattenhaushalte einzurichten. Der Einzelplan ist kurzatmig und macht deutlich, daß Sie im Referenzjahr 1997 alle Register der Haushaltskosmetik ziehen, um die Kriterien von Maastricht erfüllen zu können. Sie sagen nicht - das ist das Problem -, daß dem Steuerzahler diese kurzgedachten Rechentricks wieder auf die Füße fallen. Damit machen Sie den gleichen Fehler - Kollege Fischer hat gestern darauf hingewiesen - wie bei der deutschen Einheit. Sie nutzen den gesellschaftlichen Konsens nicht, sondern tragen zur Volksverblödung bei. Dies haben Europa und auch das Volk nicht verdient.
Herr Rexrodt, es wurde heute morgen wieder deutlich: Sie ignorieren die Herausforderungen der Zukunft. Ich nenne das Stichwort: Pleitewelle. Heute morgen kam es über den Ticker, daß die Insolvenzrate dramatisch steigt. Es kann doch nicht sein, daß Sie auf diese Entwicklung nach dem Motto reagieren: „Don't worry, be happy" .
Sie zeigen damit auschließlich, daß Sie Wirtschaftspolitik weiter mit eingezogenem Kopf machen und das Ruder nicht herumreißen wollen. Nein, Sie laufen auf den alten Trampelpfaden weiter.
Wie zukunftsfähig Sie sind, sagen Ihnen doch Ihre eigenen Leute: Otto Graf Lambsdorff prognostiziert, daß die vom Kanzler versprochene Halbierung der Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 nicht eintreten werde. Ja, er sagt sogar, daß er eher eine Marke von fünf Millionen erwartet.
- Ich nehme an, er wird heute noch sprechen und das näher erläutern.
Die Deutsche Bank Research schreibt in ihrem neuesten Bericht vom 4. September - das ist ja keine Publikation von uns -, daß Sie Substanzverzehr betreiben statt Zukunftsvorsorge.
Wir haben gestern Heiner Geißler gehört, der in
diesem Hause gesagt hat: Wir brauchen eine neue Mentalität, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Dieses leisten Sie nicht.
Ohrfeigen über Ohrfeigen, die tatsächlich einen Offenbarungseid für ihren fehlenden Mut zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Wirtschaft darstellen.
Lassen Sie mich das an drei einzelnen Punkten noch näher erläutern.
Erster Punkt. Ich finde, das beste Beispiel für eine unseriöse, nebelwerfende Haushaltspolitik ist in diesem Haushalt der Kohlebereich. Für die Abwicklung des Verstromungsfonds werden insgesamt 800 Millionen DM weniger bereitgestellt, als in der letztjährigen Finanzplanung vorgesehen. Die Kokskohlenbeihilfe sinkt in Ihrem Etat um 500 Millionen DM. Insgesamt macht das 85 Prozent der gesamten Kürzungen in Ihrem Einzelplan aus.
Herr Minister, Sie wissen doch genausogut wie wir, daß es sich bei Ihrem Haushalt um eine ungeheure Vernebelungsaktion handelt. Sie führen uns lediglich - das finde ich unverantwortlich - rechentechnische Luftnummern vor. Die Auszahlung der genannten Mittel wird nur verschoben. Bis zum Jahr 2000 gibt es im Kohlebereich keine Mark weniger Subventionen.
Aber Sie und Herr Waigel rennen herum und erzählen jedem, der es nicht hören will, Sie betrieben Subventionsabbau. Sie wissen, daß Sie, ohne gegen Gesetze zu verstoßen, einen Subventionsabbau im Steinkohlebereich überhaupt nicht vornehmen können.
Margareta Wolf
Auch wir wollen aus der Steinkohle aussteigen. Wir halten sie ökologisch und ökonomisch für unverantwortlich. Aber wir brauchen doch Vertrauensschutz für diese Region. Wir brauchen einen verläßlichen Rahmen für Umstrukturierungen in diesem Gebiet.
Zweiter Punkt. Herr Schwanhold hat das Eigenkapitalhilfeprogramm angesprochen. Dieses Programm ist ein zentraler Baustein der Mittelstandsförderung. Ich halte die Fokussierung der Mittelstandsförderung auf Eigenkapitalausstattung für konsequent; denn da liegt das zentrale Problem der KMUs.
Wir haben in den letzten Jahren beobachtet, daß die Eigenkapitalausstattung von 30 auf 18 Prozent, also dramatisch, gesunken ist. Die Pleitewelle macht aber deutlich, denke ich, daß es nicht reicht, so eingleisig zu fahren. Bei aller Sympathie für das Eigenkapitalhilfeprogramm darf man nicht vergessen, daß man langfristig endlich den Abbau der Hemmnisse zur Etablierung eines funktionierenden Risikokapitalmarkts fördern muß. Warum fahren Sie nicht endlich mehrgleisig? Warum nutzen Sie nicht die Chance der Krise? Die Chance der Krise liegt bei den KMUs unter anderem im Generationswechsel. Sie tun es nicht. Sie sind halbherzig. Sie machen eine rein additive Förderpolitik.
Ich muß in diesem Zusammenhang auch sagen: In Sachsen geben Sie der Großindustrie ganz schnell nach. Was ist eigentlich mit den kleinen und mittleren Betrieben? Warum fehlt Ihnen da die Entschiedenheit?
Neben der Schaffung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz Deutschland und der steuerrechtlichen Gleichstellung der Anlageformen ist eine langfristige Reform und Umorientierung der Mittelstandsförderung für unsere Begriffe unumgänglich. Das bedeutet, daß wir die Mittel aus der klassischen Förderung zur Finanzierung von Reformmaßnahmen langfristig umschichten müssen. Das bedeutet auch, daß wir zur Schaffung eines funktionsfähigen privaten Beteiligungskapitalmarkts, der die traditionelle Kreditförderung der KMUs auf lange Sicht ersetzt und öffentliche Mittel in erheblichem Umfang einsparen läßt, zielorientiert umschichten müssen.
Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird im Rahmen der Haushaltsberatungen einen Umschichtungsantrag für eine überregionale Informationsbörse stellen. Das Land Thüringen geht mit einer regionalen Informationsbörse voran. Wir werden einen Antrag für Reformmaßnahmen zur steuerlichen Gleichstellung von Anlagen in Produktivvermögen stellen und Ihnen somit die Möglichkeiten bieten, endlich - ich betone das - die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß Sie den lange angekündigten Risikokapitalmarkt in diesem Land etablieren können.
Warum hören Sie nicht endlich auf Herrn Biedenkopf, Ihren Kaiser aus Sachsen, auf den Sie immer so stolz sind? Warum hören Sie nicht auf das RKW? Der Bund finanziert das Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft. Sie beraten in erster Linie die kleinen und mittleren Unternehmen.
Warum hören Sie nicht auf die Mittelständler, gerade vor dem Hintergrund des Generationswechsels? Allesamt sagen sie seit Jahren, daß sich die Herausforderung der Zukunft, die Schaffung neuer, innovativer Arbeitsplätze, nicht ausschließlich mit klassischer Existenzförderung erreichen läßt. Die immer höher steigende Insolvenzrate und der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen sprechen eine deutliche Sprache. Ich finde diesen Zustand alarmierend.
Wir müssen in diesem Land risikobereiter werden. Wir brauchen den Mut zum Neuen in diesem Land, und ich sehe bei allem Westerwellischem Geplappere keine Konzepte, die den Herausforderungen der Zukunft tatsächlich gerecht werden.
- Aber Sie reden ja auch, wenn Sie nicht hier sind, oder?
Noch ein anderer Punkt. Herr Schwanhold hat bereits darauf hingewiesen: Herr Waigel hat am Dienstag angekündigt, daß er das Eigenkapitalhilfeprogramm in das ERP-Sonderprogramm überführen will. Meine Damen und Herren, damit etablieren Sie einen weiteren Schattenhaushalt; nichts anderes ist das.
Sie sagen, das EKH-Programm wird gut angenommen. Die vorgesehene Maßnahme ist nur ein weiterer Beitrag zur Verunsicherung in der Mittelstandsförderung aber kein Beitrag zu Transparenz und Klarheit.
Lassen Sie mich abschließend einen dritten Punkt ansprechen.
Sie präsentieren seit Jahren stolz eine Broschüre, die unter dem Titel „ 109 Maßnahmen für den Klimaschutz, Unterstützung und Beratung privater Verbraucher sowie KMU zur Optimierung der betrieblichen Energieversorgung" firmiert. In diesem Programm weisen Sie viermal auf Ihr Energieberatungsprogramm hin, das sich in zwei Haushaltstiteln im Einzelplan 09 findet.
Margareta Wolf
Ganz „zukunftsweisend" streichen Sie den einen Titel in Ihrem Haushalt 1997, die Streichung umfaßt 5 Millionen DM. Einen weiteren Titel kürzen Sie drastisch.
Ich denke, daß das nicht kommentiert werden muß. Es spricht eine absolut deutliche Sprache und macht wirklich deutlich, daß Ihnen der Mut und die Kraft für Innovation und Strukturwandel fehlen. Ich glaube, Zukunft braucht Mut und Kreativität und keinen bornierten Strukturkonservatismus, wie Sie ihn mit dem Einzelplan präsentieren.
Danke schön.
Eine Bitte, Frau Wolf. Ich habe das Protokoll nicht vorliegen und kann daher nicht wortwörtlich zitieren, aber bringen wir niemanden aus unserem Parlament in die Nähe des völkischen Denkens. Das sollten wir wirklich überwunden haben.
Das Wort hat jetzt Otto Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich weiß, wir sind in der Haushaltsdebatte, aber wenn man dieser Debatte folgt, gewinnt man manchmal den Eindruck, als bestünde Wirtschaftspolitik nur aus Geldausgeben oder nicht Geldausgeben. Ich bin dankbar, daß der Bundeswirtschaftsminister das nicht so gesehen hat. Auch das ist einer der Gründe, warum wir uns darüber freuen, daß er wieder hier ist. Wir brauchen ihn in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister. Gut, daß Sie wieder da sind, Herr Rexrodt.
Ich bedanke mich, Herr Schwanhold, für die Freundlichkeit, die Sie besessen haben. Ich widerspreche den Unfreundlichkeiten, die Sie anschließend hinzugefügt haben.
Ich bedanke mich vor allem im Namen der F.D.P.-Fraktion beim Koalitionspartner, bei der Opposition und bei den Medien für ihre durchgehend faire Haltung während der Krankheit des Bundeswirtschaftsministers. Ich fand, das war ein gutes Beispiel dafür, wie wir uns auch benehmen können.
Es treibt mich und wohl auch andere Monat für Monat um: eine Rekordmeldung über die positive Entwicklung des Arbeitsmarkts in den USA nach der anderen, aber jeden Monat eine schlechtere Meldung über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Die Zahl von 4 bis 5 Millionen, die gestern auch der Bundeskanzler aufgegriffen hat, habe ich schon vor Monaten an diesem Pult erwähnt. Es ist überhaupt nichts Neues, daß wir leider immer noch auf dem Weg zu 5 Millionen Arbeitslosen sind.
Der Bundeskanzler, der SPD-Vorsitzende und sogar der Sprecher der Grünen haben in unserer Debatte im Januar gemeint, wir sollten uns die USA in diesem Bereich etwas näher ansehen. Inzwischen können wir feststellen, daß auch in einem kleinen Land, in Neuseeland - lesen Sie den „Spiegel"-Bericht der letzten Woche -, Liberalisierung, Deregulierung und Steuersenkungen zur Halbierung der Arbeitslosenquote geführt haben, und das unter einer Labour-Regierung.
Verehrte Kollegen von der SPD, in Holland und Schweden gehen sozialdemokratische Regierungschefs entschlossen den Weg zu mehr Marktwirtschaft. Hat Deutschland es wirklich verdient, eine wirtschaftspolitisch weder lernfähige noch lernwillige Opposition zu haben?
Der Deutsche Gewerkschaftsbund streitet darum, ob er die Marktwirtschaft nicht völlig aus seinem Grundsatzprogramm streichen soll. Seine Demonstrationen, mit denen übrigens kein einziger Arbeitsplatz geschaffen wird, erschöpfen sich im Nein zu allen Vorschlägen der Koalition. Das ist ein Nein zu den Arbeitslosen, das ist ein Nein zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Das Tarifkartell von Arbeitgebern und Gewerkschaften hat zu dieser Arbeitslosigkeit beigetragen. Da brauchen wir gar keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Herrn Gerhardt und dem Bundeskanzler. Dieses Tarifkartell hat sich überlebt. Es geht dem Ende entgegen, da kann einer reden und wünschen, was er möchte.
Einige von Ihnen aus der Opposition versuchen, die Probleme einfach wegzureden. Standortwettbewerb könne nicht die Lösung sein, meinte Oskar Lafontaine in einem Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" . Gestern hat er dasselbe hier wiederholt. Ich frage mich: Wo lebt dieser Mann eigentlich?
- Im Saarland, das stimmt. Da fällt mir immer Goethe zu Lafontaine ein:
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der eine, kurz und schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag.
- Aber Goethe im Zettelkasten ist doch in Ordnung, Frau Fuchs. Was wollen Sie denn noch?
Glaubt er, Deutschland könne auf einen Knopf drücken und sich aus dem internationalen Wettbewerb abmelden? Er beklagt die Globalisierung, und er tut dabei so, als sei das eine Entscheidung der Bundesregierung. Die SPD und die Gewerkschaften versuchen, vor den Problemen davonzulaufen. Das endet wie im Märchen von Hase und Igel.
Und die Grünen? Da gab es in der Sommerpause Stimmen, die den Eindruck erweckten, der Abschied von grünen Voodoo-Economics komme näher. Herr Metzger forderte tiefere Haushaltseinschnitte, mehr Konsolidierung, Frau Scheel überraschte mit Steuerreformvorschlägen. Alles wieder vorbei! Links und radikal sind wir, so Joschka Fischer. Von seinem Freunde Trittin ganz zu schweigen. Eine Steuersenkung dürfe Spitzeneinkommen nicht entlasten, so Herr Fischer. Übrigens hat er gestern eine schlimme Rede gehalten.
- Nein, schlimm für Herrn Scharping.
Ein solches Steuermodell, wie Herr Fischer es vorschlagen wollte, gibt es denklogisch nicht. Hat er noch nie gehört, daß der Gesellschafter einer Personengesellschaft, der bekanntlich Einkommensteuer zahlt, genauso entlastet werden muß wie die Aktiengesellschaft oder die GmbH, wenn das Investieren und die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtert werden sollen?
Bundesregierung und Koalition setzen auf eine Politik für Wachstum und Beschäftigung. Sie ist schmerzhaft, das wissen wir. Aber nur ein Schelm gibt auf Dauer mehr aus, als er hat. Die größte Ansammlung von Schelmen im Lande sind übrigens die „alternaiven'' Wirtschaftswissenschaftler:
Steuern erhöhen und 150 Milliarden DM kreditfinanziertes Beschäftigungsprogramm!
Herr Schwanhold, Sie haben gesagt, das Wirtschaftsministerium sei ein Steinbruch für Kürzungen. Das ist der ganze Bundeshaushalt. Wenn Sie konsolidieren wollen und müssen, bleibt überhaupt nichts anderes übrig. Wenn Sie Vorschläge für zusätzliche Ausgaben machen, dann machen Sie wenigstens Deckungsvorschläge. Ich habe keinen gehört.
Meine Damen und Herren, die Diskussion bei uns ist unsäglich, nicht nur hier im Hause: Umverteilung nach oben, Umverteilung nach unten. Wer so denkt, kommt mir vor wie ein Mensch, der sein Hemd von oben falsch zuknöpft. Wenn er am letzten Knopf ankommt und das Versehen feststellt, dann bleibt nämlich nur, von ganz oben wieder neu anzufangen. So denken Sie bitte einmal neu nach. Ihre Analysen stimmen nicht, und wenn die Analysen nicht stimmen, taugen Ihre Therapievorschläge auch nichts. Herr Schwanhold, Sie sagen, Konsolidierung und Wachstum gingen nicht zusammen. Ging das nicht nach 1983 ganz vorbildlich zusammen?
Herrn Scharping und Herrn Schwanhold sage ich das nur am Rande, damit sie sich bitte besser informieren - sagen Sie das auch Ihrem Fraktionsvorsitzenden! -: Das Thema Sozial- und Arbeitsstandards in der WTO in der Singapur-Konferenz ist längst erledigt. Die ILO und die WTO haben sich längst darauf verständigt, daß das keinen Sinn macht und nicht stattfinden wird. Ihr Erkenntnisstand ist hinter der außenwirtschaftlichen Diskussion weit zurück.
Die Bundesrepublik Deutschland ist zu hoch besteuert, sie ist überreguliert, sie ist immobil, und sie ist inflexibel. Dem wollen und dem müssen wir mit einer mutigen Politik entgegenwirken.
Wir waren daran gewöhnt, jährlich Zuwächse zu verteilen. Das ist vorbei. Wir waren an die Devise gewöhnt: weniger arbeiten und mehr verdienen. Jetzt heißt es: mehr arbeiten und weniger verdienen. Das fällt uns schwer, versteht sich. Aber versinken wir denn in Armut und Elend - ich greife einmal ein Jahr heraus; darüber können Sie diskutieren -, wenn wir auf den Einkommens- und Lebensstandard von 1986 zurückgehen? Ist das wirklich zuviel verlangt, wenn wir damit die Arbeitslosigkeit abbauen können?
- Wir sind ja gerade dabei, es zu versuchen. Wir sind auf dem Wege dahin. Sie hindern und blockieren uns bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, und kommen mit keinem einzigen eigenen Vorschlag, wie es gemacht werden soll.
Meine Damen und Herren, es hieß, die F.D.P. vertrete Kapitalismus pur. Herr Kollege Eppelmann, wenn Sie Kapitalismus pur sehen wollen, dann gehen Sie zu Ihren konservativen Gesinnungsfreunden in der Tschechischen Republik. Da können Sie ihn finden, bei uns nicht.
Das Soziale in der Marktwirtschaft werde abgebaut. In einem Land, das fast ein Drittel seines Bruttosozialprodukts für soziale Zwecke ausgibt, ist es lächerlich, so etwas zu behaupten.
Überall regiere der Markt, so tönen einige. Überall regiert der Markt? Im Arbeitsmarkt? In der Landwirtschaft? In der Energiewirtschaft? Im Steinkohlenbergbau? Machen wir doch die Augen auf. Wir haben tief in marktwirtschaftliche Abläufe und Wirkungsweisen eingegriffen. Weit mehr als 50 Prozent unserer Volkswirtschaft sind inzwischen dem Markt
Dr. Otto Graf Lambsdorff
entzogen. Dann kommen die Löschtrupps, die vorher den Brand gelegt haben, und fordern weitere Staatseingriffe.
Die F.D.P. steht zur Sozialen Marktwirtschaft. Aber sie weiß, daß man nur verteilen kann, was vorher erwirtschaftet wurde.
Für Sozialdemokraten und Grüne war zwei plus zwei schon immer fünf. Herr Metzger, Sie wissen das.
Wir bleiben bei der Realität, und die heißt: Deutschland muß sich anstrengen. Deutschland muß sich auch einschränken. Deutschland muß wettbewerbsfähiger werden. Aber sie heißt eben auch: Deutschland kann es schaffen. Deutschland hat alle Voraussetzungen dafür. Deutschland hat nicht nur Standortschwächen, es hat auch bedeutende Standortvorteile. Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen und unsere Schwächen bekämpfen. Wenn wir das unter Führung dieser Regierung und dieser Koalition tun, dann geht es auch wieder nach oben.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Rexrodt, Sie haben wie der Herr Bundeskanzler und der Finanzminister behauptet, der Kurs der Bundesregierung fördere Investitionen, Innovationen und sichere Arbeitsplätze. Die OECD wird dabei sozusagen als Kronzeuge zitiert. Sie vergaßen dabei aber, zu erwähnen, daß auch die OECD 1997 in der Bundesrepublik mit weiterhin vier Millionen registrierten Arbeitslosen rechnet. Wirtschaftspolitisch gegengesteuert wird mit einem Etat des Wirtschaftsministeriums, der - trotz aller verbaler Bekundungen zur Wirtschaftsförderung - im kommenden Jahr um 9 Prozent sinken soll.
Wie aber soll sich die ostdeutsche Wirtschaft Märkte insbesondere in Osteuropa, die Anfang der 90er Jahre nicht zuletzt durch die Politik dieser Regierung leichtfertig verspielt wurden, erschließen, wenn die Absatzförderung um ein Viertel gekürzt wird?
Über die Notwendigkeit der engen Verzahnung von Forschung und Produktion in ostdeutschen Unternehmen bei der Schaffung weltmarktfähiger Erzeugnisse wird oft geredet. Der entsprechende Haushaltstitel soll aber um 40 Millionen DM „verschlankt" werden.
Über 6,5 Milliarden DM stecken Bund, Länder und EU in den Topf der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Nicht wenig Geld! Aber unter vielen Mühen und mit teilweise noch mehr Streit wurden in Westdeutschland die Fördergebiete neu abgesteckt. Wenn nach diesem Aufwand ganze 350 Millionen DM Bundesmittel im gesamten Altbundesgebiet eingesetzt werden, so ist das makaber.
In Arbeitsmarktregionen wie Wilhelmshaven, Helmstedt oder Pirmasens, demnächst wohl auch in Bremerhaven, ist die Situation mittlerweile dramatischer als in Leipzig oder Dresden. Mit den dafür bereitstehenden Fördermitteln kann man aber nur arbeiten wie mit einer Gießkanne in der Sahara, oder man betreibt als Minister oder als Abgeordneter Klientelpflege.
Die geplanten westdeutschen GA-Bundesmittel „erarbeitet" der Bundesfinanzminister 1997 im Osten: Um exakt jene 350 Millionen DM sollen sie für die neuen Bundesländer schrumpfen. Kritikern dieses Kurses wird entgegengehalten, daß schließlich im vergangenen Jahr 681 Millionen DM der eingeplanten Bundesmittel nicht genutzt wurden. Angesichts des faktischen Stillstands der Wirtschaftsentwicklung im Osten ganz sicher eine alarmierende Entwicklung!
Sie spricht aber nicht gegen das Volumen der GA-Förderung an sich, sondern erstens gegen die Wirtschafts- und Steuerpolitik dieser Regierung. Die Binnennachfrage wurde systematisch abgewürgt. Unternehmen vertagten geplante und beantragte Investitionen oder gingen mittlerweile gar pleite. Ihre GA-Anträge wurden damit hinfällig.
Zweitens zeugt diese Entwicklung von der Misere der öffentlichen Finanzen in Ländern und Kommunen, die nicht zuletzt der Bundesfinanzminister mit zu verantworten hat.
Denn abgesehen von der in Thüringen unter Verantwortung von Herrn Waigels Parteifreund Schuster verschleppten GA-Antragsbearbeitung fehlt es anderswo - so in Brandenburg und zahllosen Kommunen - schlicht an geforderten Komplementärmitteln.
Ich plädiere hier keinesfalls für die Erschließung weiterer Gewerbegebiete auf der grünen Wiese. Aber für notwendige Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere an innerörtlichen Einzelstandorten, muß weiter Geld vorhanden sein.
Bisher betrug die Förderhöhe zumeist 90 Prozent. Wie sich im letzten Jahr zeigte, sind aber immer weniger Kommunen in der Lage, selbst diese läppischen 10 Prozent Eigenmittel aufzubringen. So hat die Stadt Rheinsberg mittlerweile 13 Förderanträge mit einem Gesamtvolumen von 33 Millionen Mark zurückgezogen. Mit dem neuen, ab 1997 geltenden Rahmenplan wird nun der geforderte Eigenanteil gar noch auf 20 Prozent verdoppelt.
Viele Kommunen im Osten sind jedoch schon heute kaum noch kreditwürdig. Ähnlich dramatisch ist die Lage in den Ländern. So hat das Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg für 1997 sechs
Rolf Kutzmutz
Landesförderprogramme ersatzlos gestrichen, um die erforderlichen Komplementärmittel für die GA zusammenkratzen zu können. Auf diesem Weg kann man natürlich auch den kritisierten Fördermitteldschungel auslichten. Nur, es wird wirtschaftspolitisch fatal, wenn dabei Zuschüsse zur Reststoffverwertung auf der Strecke bleiben oder neben der Technologieförderung des Bundes nun auch die des Landes gekürzt wird.
Ich kann darin beim besten Willen keine innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen für den sogenannten Standort Deutschland sehen, von denen die Koalitionsvertreter hier pausenlos gesprochen haben.
Indem man die Einnahmen, insbesondere die der Kommunen, weiter beschneidet und zugleich deren Eigenanteil bei Investitionen erhöht, kann man natürlich die GA-Förderung für wirtschaftsnahe Infrastruktur gegen Null fahren und dabei noch die Hände in Unschuld waschen.
Der „außerplanmäßige" Rückgang der GA-Mittel ist gleichsam ein Wetterleuchten des sich abzeichnenden Zusammenbruchs der öffentlichen Finanzen in Ländern und Kommunen wie auch der traditionellen Wirtschaftsförderung. Die Gruppe der PDS wird in den nächsten Monaten diesem Haus konkrete Vorschläge zur grundlegenden Reform der kommunalen Finanzen und der Wirtschaftsförderung unterbreiten.
Eine Pleitewelle rollt durchs Land. Im Mai waren bundesweit 20 Prozent mehr Betriebe als im Vorjahr betroffen. Die Hermes Kreditversicherungs-AG rechnet auch für die nächsten Monate mit einem weiteren Anstieg - im Osten bis zu 40 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als erstaunlich, daß die Zinszuschüsse und vor allem die Erstattung von Darlehensausfällen beim Eigenkapitalhilfeprogramm um fast 123 Millionen DM gesenkt werden.
Wird hier vielleicht - wie schon in anderen Einzeletats nachgewiesen - der Grundsatz der Haushaltswahrheit von vornherein gebrochen?
Ich möchte an dieser Stelle auf ein weiteres Detail verweisen, wie im Wirtschaftsetat die Zukunftsfähigkeit dieses Landes verspielt wird. Mit Zukunftsfähigkeit meine ich nicht die platte Wachstumsideologie der Regierung - mehr Absatz, koste es, was es wolle -, sondern eine tatsächliche Verbesserung der Lebensqualität hier und anderswo.
Während die Absatzhilfen für Flugzeuge, nachgewiesenermaßen die am wenigsten umweltverträglichen Verkehrsträger, von 120 auf 160 Millionen DM erhöht werden, wird die Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien auf ganze 20 Millionen DM zusammengestrichen. Erst seit reichlich einem Jahr wird beispielsweise die Installation von Sonnenkollektoren gefördert. Vor einem halben Jahr - Herr Schwanhold wies bereits darauf hin - schloß die letzte Photovoltaikfertigungsstätte in diesem Land. Am Montag wurde bekannt, daß in Wedel bei Hamburg wieder ein kleiner Neuanfang gewagt wird. Aber statt den Übergang zur Großproduktion durch entsprechende Beihilfen zu unterstützen, kürzt man die dafür bereitstehenden Gelder um ein Drittel.
Natürlich kosten Veränderungen dieser Politik Geld. Wir stellen dabei aber keine ungedeckten Schecks aus, wie Herr Finanzminister Waigel behauptete. Einmal abgesehen von den Sparmöglichkeiten bei der Selbstdarstellung des Bundeswirtschaftsministeriums möchte ich nur auf unseren Vorschlag aus dem vergangenen Jahr verweisen, die Rohölreserve des Bundes im Salzstock Etzel aufzulösen. Die Wartung der offenbar mittlerweile altersschwachen Anlagen soll noch einmal eine halbe Million DM mehr als im laufenden Jahr verschlingen. Beim schrittweisen Verkauf des Öls ließe sich hingegen mindestens i Milliarde DM erlösen. Die Reserven der Bundesrepublik Deutschland lägen auch dann noch mit 104 Bedarfstagen über jenen unserer Nachbarn wie Frankreich mit 99 Tagen und der Niederlande mit 90 Tagen.
Vorschläge, die nicht von ihm selbst stammen, nimmt aber das Kabinett in selbstherrlicher Weise offenbar nicht mehr zur Kenntnis. Kollege Adolf Roth würdigte vorgestern, daß die Regierung Kohl bereits den 15., Herr Waigel persönlich den 8. Haushalt einbrachte. Mit dieser Art der Kontinuität habe ich meine Probleme; das liegt auch an meiner eigenen Vergangenheit. Schließlich bleibt so Erneuerung aus.
Dieser Entwurf, den Sie, meine Damen und Herren, vorgelegt haben, spricht dafür, daß man Herrn Kohl und Herrn Waigel nicht mehr allzuoft die Gelegenheit geben sollte, einen Haushaltsentwurf vorzulegen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Paul Krüger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Hauptgegenstand der Debatte in den letzten Tagen war das Reformpaket der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang will ich auch eine Frage, die von interessierter Seite in den letzten Wochen immer wieder hochgespielt worden ist, klipp und klar beantworten - damit gehe ich auch auf die Bemerkungen von der linken Seite ein -: Die ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten stimmen dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung zu.
Dr.-Ing. Paul Krüger
Wir stimmen diesem Reformpaket zu, weil dadurch die Weichen für die wirtschaftliche Zukunft in Ost- und Westdeutschland richtig gestellt werden.
Wir stimmen diesem Reformpaket zu, weil wir unserer Verantwortung für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Ost- und Westdeutschland nur dann gerecht werden, wenn wir die Entscheidungen nicht kurzfristig und populistisch anlegen, sondern so, daß sie auch für die Zukunft Geltung haben.
Meine Damen und Herren, unsere Unternehmen brauchen dringend eine Kostenentlastung
und einen Zuwachs an Flexibilität - das sollten auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD, zur Kenntnis nehmen -, -
Der Kollege hat das Recht, daß seine Argumentation, die er vorträgt, noch gehört werden kann.
- um im immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb erfolgreich sein zu können. Das ist in der Debatte auch unter Verweis auf das vorliegende OECD-Gutachten hinreichend deutlich gemacht worden.
Unsere Nachbarn schauen auf uns.
Unsere wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit und vor allem unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stehen auf dem Spiel,
dies insbesondere deshalb, weil wir in Ostdeutschland von dieser wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängen. Aus diesem Grund tragen wir dieses Reformpaket mit.
In den letzten Tagen haben uns Vertreter der SPD unter dem Deckmantel der sozialpolitischen Verantwortung dazu aufgefordert, gegen das Reformpaket zu stimmen.
Seit Ludwig Erhard wissen wir, daß die beste Voraussetzung für eine gute Sozialpolitik eine gute Wirtschaftspolitik ist.
Es ist eine marktwirtschaftliche Binsenweisheit, daß man das, was man für den sozialpolitischen Bereich ausgeben will, vorher erwirtschaften muß.
Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, fordere ich Sie auf, aus wirtschaftspolitischer, aber auch aus sozialpolitischer Verantwortung für die notwendigen Reformen zu stimmen.
Ich halte es nicht für verantwortbar, wenn Brandenburg als SPD-geführtes Land unter den neuen Bundesländern mit deutlichem Abstand Spitzenreiter beim Schuldenmachen ist. Es hat mich mit Befremden erfüllt, als ich hörte, daß Herr Höppner im Kabinett von Sachsen-Anhalt dieser Tage die Nettokreditaufnahme um 40 Prozent erhöht hat, um ebenfalls das Spitzenreiterniveau von Brandenburg zu erreichen.
Wenn ich also an Ihre Verantwortung appelliere, die in dieser Woche zu beratenden Gesetze ebenso wie die Weichenstellungen in der Steuerpolitik zu unterstützen, dann tue ich das auch in Verantwortung für die neuen Bundesländer.
Tragen Sie dazu bei, im Bundesrat die Blockade in der Steuerpolitik aufzuheben! Helfen Sie mit, daß ostdeutsche Unternehmen dauerhaft von der Einführung der anachronistischen Gewerbekapitalsteuer verschont bleiben!
Machen Sie auch den Weg dafür frei, daß die ostdeutschen Kommunen endlich über einen Anteil an den Erträgen aus der Mehrwertsteuer verfügen können!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur wenn wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Gesamtdeutschland verbessern, schaffen wir die notwendigen Voraussetzungen für einen Aufschwung in Ostdeutschland. Das Gelingen des wirtschaftlichen Aufschwungs in Ostdeutschland bleibt für die nächsten Jahre auf Gedeih und Verderb
ein innenpolitischer Schwerpunkt in Deutschland.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Bedingungen haben wir in Deutschland die Ergebnisse unseres Han-
Dr.-Ing. Paul Krüger
deins - dies richte ich insbesondere an Sie auf der linken Seite - gemeinsam zu verantworten und die Konsequenzen dieses Handelns gemeinsam zu tragen.
Wir sitzen gemeinsam in einem Boot und kommen nur gemeinsam voran.
Bei allen aus 40 Jahren Sozialismus übernommenen Defiziten in Ostdeutschland ist die ostdeutsche Wirtschaft keineswegs nur eine Belastung für den Westen. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten sechs Jahre ist auch dem vereinigungsbedingten Wirtschaftswachstum zu verdanken. Vor allem aber gilt es, dabei die spezifischen Stärken Ostdeutschlands für die Entwicklung in ganz Deutschland zu entschließen.
Insgesamt hat sich die westdeutsche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten nicht gerade durch ein überdurchschnittliches Maß an Risikobereitschaft, an Veränderungsbewußtsein und letztlich auch nicht an Innovationsfähigkeit ausgezeichnet. Die Menschen in Ostdeutschland dagegen mußten zwangsläufig enorme Veränderungen verarbeiten. Für kaum jemanden ist die Arbeit die gleiche geblieben wie vor der Wende. Auch im persönlichen Lebensumfeld hat sich Entscheidendes verändert. Für viele waren diese Veränderungen zweifellos mit großen persönlichen Belastungen verbunden.
Die Menschen haben in besonderer Weise Veränderungsbereitschaft bewiesen. Drei von vier Arbeitsplätzen in Ostdeutschland wurden in den letzten Jahren völlig umgestaltet. Fast jeder war von dieser Umstellung betroffen.
Die Risikobereitschaft in Ostdeutschland ist groß. Das haben insbesondere Hunderttausende von Unternehmensneugründungen bewiesen. Wir haben damit gezeigt, daß wir bereit sind, auf die Herausforderungen der Innovationsgesellschaft zu reagieren. Hinzu kommt, daß wir in Ostdeutschland insbesondere im Bereich der Naturwissenschaft und Technik über einen hohen Ausbildungsstand verfügen. Um so bedauernswerter ist es, daß diese Potentiale bisher nur unzureichend in Wirtschaftskraft und vor allem in Arbeitsplätze umgemünzt worden sind. Auch deshalb ist es von besonderer Bedeutung, das Problem der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland zu bekämpfen.
Neben der statistischen Arbeitslosigkeit ist die empfundene Arbeitslosigkeit ein besonderes Problem. Denn die Menschen, die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder auch in Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung sind, empfinden sich im Prinzip als Arbeitslose. ABM und auch Fortbildung und Umschulung sind im Empfinden der betroffenen Menschen eigentlich nur eine spezifische Form der Arbeitslosigkeit.
Deshalb ist das oberste Gebot die Schaffung und Erhaltung echter Arbeitsplätze in der Wirtschaft.
Nur durch konsequente Maßnahmen der Wirtschaftsförderung war es möglich, den Anteil an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen seit 1992 kontinuierlich zu reduzieren. Diese Reduzierung wird weitergeführt werden. Allerdings darf das Kriterium dieser Reduzierung nicht irgendein imaginäres oder gewünschtes Einsparpotential sein, sondern die Reduzierung muß sich an der Arbeitslosenzahl in Ostdeutschland orientieren.
Deshalb haben wir schon vor Monaten einen Fraktionsbeschluß gefaßt, im Rahmen des Pakets für mehr Wachstum und Beschäftigung die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nur entsprechend der Arbeitslosenentwicklung zurückzuführen.
Wer etwas anderes behauptet - das geht besonders an Sie in der linken Hälfte dieses Saales -, der macht ein Geschäft mit der Angst der Menschen in den neuen Bundesländern.
Herr Dr. Krüger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Ja, wenn sie nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Nein, sie wird Ihnen nicht angerechnet.
Bitte.
Herr Kollege Krüger, wie läßt sich Ihre Hoffnung, daß ein Teil der beabsichtigten Kürzungen für ABM Ost zurückgenommen werden könnte, mit dem Beschluß der Haushaltsarbeitsgruppe der Koalition vereinbaren, bei der Bundesanstalt für Arbeit noch mehr zu kürzen, als bisher im Haushaltsplanentwurf vorgesehen ist?
Wenn Sie die Zeitungen der letzten Tage aufmerksam gelesen hätten, dann wüßten Sie, daß wir darüber gerade diskutieren und daß wir hier nach Möglichkeiten suchen, wie wir beide Forderungen in Einklang bringen können. Wenn Sie meine Rede aufmerksam verfolgt haben, dann werden Sie wissen, daß es hier zwischen zwei Polen auszugleichen und eine Mitte zu finden gilt. Dabei sage ich noch einmal mit aller Deutlichkeit: Aus der Forderung, daß die Einsparung nicht das einzige Kriterium für die Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich sein kann, ergibt sich zwangsläu-
Dr.-Ing. Paul Krüger
fig, daß wir - möglicherweise auch mit Ihrer Zustimmung - andere Einsparpotentiale im Haushalt finden müssen.
Wir müssen konstatieren, daß ABM so, wie sie derzeit praktiziert werden, häufig kein Mittel sind, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern nur ein Mittel sind, um Arbeitslosigkeit erträglicher zu machen. Deshalb haben wir Sorge zu tragen, daß ABM verstärkt in den ersten Arbeitsmarkt münden. Das wollen wir durch eine stärkere Einbeziehung von Vergabe-ABM und durch Praktika in Unternehmen erreichen. Wir wollen auch Sorge tragen, daß ABM so ausgestaltet werden, daß die Motivation, in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, erhalten bleibt.
Es darf nicht sein, daß bei ABM höhere Löhne als in der freien Wirtschaft gezahlt werden. Das heißt, wir haben das Lohnabstandsgebot zu realisieren und gleichzeitig auch einen Mindestlohn zu sichern. Das gilt nicht nur für die alten, sondern auch für die neuen Länder. Entsprechende Einsparpotentiale sind selbstverständlich auch in den alten Ländern zu realisieren. Das kommt bei der Berichterstattung in den Medien gelegentlich nicht herüber.
Herr Dr. Krüger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Luft?
Ich hatte gesagt, ich gestatte nur eine Frage, und möchte jetzt langsam zum Schluß kommen.
Grundsatz bleibt, Einsparungen sind nur entsprechend der Arbeitslosenentwicklung zu realisieren. Das heißt, wir müssen regional differenzierter als bisher vorgehen. Auch deshalb ist es wichtig, die richtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen im Bundeshaushalt 1997 zu treffen. Die Schwerpunkte sind immer wieder genannt worden - ich will sie nur kurz andeuten -: Verbesserung der Bedingungen für Existenzgründungen und Ansiedlung in den neuen Ländern durch Ausbau der Infrastruktur, durch stärkere Investitionsförderung und durch zielgenauere Anwendung der steuerlichen Förderung, aber auch Fortführung der Maßnahmen zur Eigenkapitalstärkung der Unternehmen und nicht zuletzt Maßnahmen zur Sanierung der Bausubstanz in den neuen Bundesländern. Hier gibt es ein riesiges Potential an Arbeit. Ich denke, wir müssen dieses Arbeitspotential in Arbeitsplätze ummünzen.
Insgesamt sind für die genannten Maßnahmen im vorliegenden Bundeshaushalt trotz der notwendigen Sparzwänge die richtigen Weichenstellungen getroffen worden. Die wichtigste Voraussetzung für den Aufbau in den neuen Bundesländern ist jedoch die nachhaltige Stärkung der Innovationskraft der Wirtschaft. Hier wird im Rahmen der parlamentarischen
Beratung zu klären sein, ob die derzeitigen Haushaltsansätze für eine Innovationsoffensive Ost, wie wir sie gefordert haben, ausreichend sind. Darüber hinaus ist auch eine steuerliche Innovationsförderung zu prüfen.
Trotz des bestehenden Beratungsbedarfs haben wir mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf gute Chancen, den Wiederaufbau in Ostdeutschland kontinuierlich fortzusetzen. Die wichtigste Voraussetzung aber liegt darin, die notwendigen Veränderungen in Gesamtdeutschland schnell in Angriff zu nehmen. Es hat uns in Deutschland in der Vergangenheit nie an Kreativität und Leistungsbereitschaft gefehlt. Wenn es uns in der gegenwärtigen Situation gelingt, mehr Freiräume für Kreativität und mehr Anreize für Leistungen zu schaffen, dann braucht uns um die Zukunft Deutschlands in Ost und West nicht bange zu sein.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schwanitz.
Herr Krüger, Ihr Beitrag hält mich nicht auf dem Sitz, weil er mich wirklich erschüttert hat. Ich will das an dieser Stelle einmal ganz offen sagen. Ich weiß, daß wir als ostdeutsche Kollegen in allen Fraktionen ein schweres Geschäft haben - Sie genauso wie wir in unserer Fraktion. Das ist ein Teil unserer deutsch-deutschen Realität. Ich weiß, daß man manchmal auch schwierige Entscheidungen treffen und manch trübe Suppe schlucken muß. Aber es gehört eine ganze Menge dazu, das dann hier auch noch öffentlich zu tun und vorzugeben, sich dabei wohlzufühlen.
Sich hier hinzustellen und freudestrahlend den Kotau vor Ihrem eigenen Fraktionszwang zu machen, hat schon eine neue Qualität.
Wenigstens zwei inhaltliche Bemerkungen will ich Ihnen nicht ersparen. Sie haben hier über einen Einzelplan geredet. In diesem Einzelplan gibt es massive Einschnitte zu Lasten Ostdeutschlands. Kein Wort war von Ihnen zu diesem Thema zu hören. Herr Kollege Kuhlwein hat Ihnen durch eine Zwischenfrage eine Aussage zu dem Thema abgenötigt, das Sie seit mehreren Monaten in Ostdeutschland propagieren, nämlich die Feststellung, daß die von der Bundesregierung anvisierte Angleichung bei ABM und FuU - das heißt: Kürzung und damit Einsparung von 1,7 Milliarden DM - nur in Abhängigkeit von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit erfolgen werde.
Rolf Schwanitz
Herr Krüger, ich hätte eigentlich erwartet, daß Sie einmal öffentlich zugestehen, daß wir in Ostdeutschland in diesem Jahr von Monat zu Monat eine gegenüber dem letzten Jahr wachsende Arbeitslosigkeit haben. Das kann doch nur heißen - wenn Sie worttreu bleiben wollen -, daß diese Kürzung nicht stattfinden kann. Im Gegenteil, man müßte die Maßnahmen ausweiten. Dazu kam kein Wort von Ihnen. Das war eine riesige Enttäuschung.
Herr Dr. Krüger.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist durch die Einlassung von Herrn Schwanitz deutlich geworden, daß es in der SPD in erster Linie darum geht, auf die Vergangenheit zu setzen, und nicht darum, die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Ich habe mich bemüht, in meiner Rede deutlich zu machen, welche Voraussetzungen wir sehen, um die Defizite in den neuen Bundesländern zu beseitigen. Diese habe ich im übrigen sehr deutlich angesprochen. Ich erinnere nur an das Versäumnis bezüglich der Innovationsfähigkeit, wo wir Handlungsbedarf sehen.
Wir sollten deshalb meines Erachtens notwendige Veränderungen, die für Gesamtdeutschland wichtig sind, um die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland - insbesondere auch unter dem Aspekt von Ansiedlungen - positiv zu gestalten, mittragen. Ich begrüße sie sogar. Das haben wir, Herr Schwanitz, von Anfang an getan. Das können Sie feststellen, wenn Sie die Presse aufmerksam verfolgen.
Wir sehen nicht nur Handlungsbedarf, sondern durch das Gesetzespaket für Wachstum und Beschäftigung ergreifen wir auch Maßnahmen. Wir waren es, die Veränderungen durchgeführt haben - nicht Sie; Sie haben nur geschrieen -, indem wir dort eine Nachbesserung erreicht haben,
indem wir festgelegt haben, daß wir in Ostdeutschland in Abhängigkeit von der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen handeln werden.
Wir werden den Beweis antreten - Sie können das in der nächsten Zeit verfolgen -, daß wir diesen Beschluß der Fraktion, den wir übrigens gemeinsam mit dem Partner F.D.P. als gesamte Koalition tragen, umsetzen werden.
Wenn Sie die Debatte aufmerksam verfolgt haben, dann werden Sie festgestellt haben, daß Herr Rexrodt deutlich gesagt hat - das sage ich gerade in Richtung SPD -, daß wir auch an Einsparpotentiale denken müssen, wie sie vielleicht im Bereich der Kohleförderung in den alten Bundesländern liegen. Das tut Ihnen wahrscheinlich besonders weh. Es gibt böse Zungen, die behaupten, die Kohleförderung sei die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Deutschland. Sie können nicht einseitig über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland reden, ohne den wirtschafts- und sozialpolitischen Gesamtzusammenhang in Deutschland zu betrachten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich habe sehr deutlich gemacht, wo wir Handlungsbedarf sehen und daß wir im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch handeln werden. Ich möchte Ihnen noch einmal sagen: Wir vom rechten Flügel dieses Hauses unterscheiden uns von Ihnen - das trifft für den gesamten linken Flügel dieses Hauses zu -, daß wir handeln, während Sie nur krakeelen und die Menschen verängstigen. Das halte ich nicht für einen guten politischen Stil.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat Frau Dr. Luft.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Verehrter Kollege Krüger, wir beide kommen aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind dort gewählt worden; ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich verfolge das, was dort vorgeht, nach wie vor mit allergrößter Aufmerksamkeit. Ich stimme Ihnen zu: Die Aufgabe muß darin bestehen, in der Wirtschaft möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen. Da sind wir uns völlig einig. Nur: Für die vielen Menschen, die in Mecklenburg-Vorpommern gegenwärtig ohne Arbeit sind oder gerade ihre Arbeit verlieren, ist das nicht mehr als ein Glaubensbekenntnis.
Ich hätte Sie gerne gefragt, was Sie den derzeit Arbeitslosen und denen, die um ihre Arbeit zittern, auf deren Frage antworten, wo sie auf dem ersten Arbeitsmarkt in den folgenden Monaten und Jahren in Mecklenburg-Vorpommern eine echte Chance sehen können. In welchem Bereich können Sie diesen Menschen eine Hoffnung machen, die mehr ist als ein Glaubensbekenntnis?
Ich nenne Ihnen folgende Fakten: Die Situation der Werften in Mecklenburg-Vorpommern ist nach dem Skandal beim Bremer Vulkan nicht stabil.
Das wissen Sie auch. Ein Arbeitsplatzabbau findet dort weiter statt.
Wenn die vierte Novelle des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes durchgeht, wie es die Koalition
Dr. Christa Luft
vorhat, dann gehen auch in der Landwirtschaft weitere Arbeitsplätze verloren. Mecklenburg-Vorpommern ist ein landwirtschaftlich geprägtes Gebiet. Sie wissen genau: Wenn es dort zu Vermögensauseinandersetzungen kommt, dann werden die Nachfolgeeinrichtungen der LPGs keine Kredite mehr bei den Banken bekommen, und dann sind sie in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit lahmgelegt.
Mecklenburg-Vorpommern hat versucht, sich im Kurwesen und im Tourismus eine neue Chance aufzubauen. Morgen steht zur Abstimmung, ob die Mittel für Rehabilitationsmaßnahmen gekürzt werden. Ich war kürzlich in Ribnitz-Damgarten, wo man im Kurwesen eine Perspektive sah. Dort werden die Projekte, Kurkliniken zu bauen und neue Möglichkeiten für Kurangebote zu schaffen, zurückgenommen, weil man sich sagt, nach einer solchen Mittelkürzung kommen weniger Menschen. Also zittern wieder Leute um ihren Arbeitsplatz.
Die Zahl der Insolvenzen steigt. Ich sage nur „ Spanplattenwerk " ; Sie wissen, was ich meine.
Die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern erledigen heute - ebenso wie Kommunen in anderen Bundesländern - Regelaufgaben auf ABM-Basis. Wenn diese AB-Maßnahmen gekürzt werden, wie Sie sagen, dann werden dort auch Regelaufgaben nicht mehr erledigt werden können. Das müssen wir uns in Erinnerung rufen.
Ich finde, das Ballen der Faust in der Tasche im Sommerloch ist das eine, aber zu seinem Wort zu stehen, wenn es darauf ankommt, ist das andere. Es ist doch keine Lösung, wenn Sie sagen, wir werden die Zahl der ABM-Stellen vielleicht beibehalten, aber wir werden die Vergütung kürzen. Ich frage Sie: Welche prekären Arbeitsverhältnisse wollen Sie denn noch schaffen? Wollen Sie Menschen mit 1 200 oder 1 300 DM brutto beschäftigen?
Frau Luft, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Dann müssen Sie auch etwas tun, um die Steigerung der Lebenshaltungskosten zu drosseln, denn diese steigen in MecklenburgVorpommern genauso wie woanders.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Krüger.
Frau Luft, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie aus Mecklenburg-Vorpommern kommen. Ich habe das bisher nicht gewußt; jedenfalls war das in der Vergangenheit inhaltlich nicht besonders wahrzunehmen. Wenn Sie vor Ort wären, dann wäre Ihnen nicht entgangen, daß ich in Mecklenburg-Vorpommern dafür bekannt bin - da können Sie viele Menschen fragen -, daß ich mich massiv nicht nur dafür einsetze, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch dafür, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist für mich die Hauptaufgabe aus meiner politischen Mandatschaft.
Frau Luft, ich sagte es schon: Uns unterscheidet, daß ich mich um die Probleme der Menschen kümmere, und zwar auf eine sachliche Art und Weise, nicht immer im Einvernehmen, sondern auch nach Auseinandersetzungen und nach kritischer Debatte. Auch ich kann dabei etwas lernen. Genauso versuchen meine Kollegen, diese Probleme aus Verantwortung für das gesamte Deutschland, also auch für Ostdeutschland, einer Lösung zuzuführen. Die Kollegen werden Ihnen bestätigen, wenn Sie sie fragen, daß es dabei nicht immer fein zugeht und daß es harte Auseinandersetzungen gibt.
Im Gegensatz dazu versuchen Sie immer wieder, die Aufbauleistung, die in Ostdeutschland vollbracht wurde, zu schmälern. Ich habe sie heute nicht noch einmal besonders erwähnt, weil die Menschen mittlerweile wissen, was dort alles passiert ist, seit Sie die politische Verantwortung Gott sei Dank an uns übergeben haben.
Ich brauche nicht zu erwähnen, was dort alles passiert ist. Wir unterscheiden uns von Ihnen dadurch, daß wir die Situation nicht mies machen, sondern uns darum kümmern, daß sie besser wird.
Sie haben mich gefragt: Was sagen Sie den Arbeitslosen? Ich sage den Arbeitslosen genau das, was ich hier eben auch gesagt habe: Ich kümmere mich darum, daß möglichst viele Arbeitsplätze entstehen. Nur, ich bin nicht die Wirtschaft. Die Wirtschaft kann nur so gut sein, wie wir die Rahmenbedingungen für sie schaffen. Gerade über diese Rahmenbedingungen reden wir heute. Wir versuchen, Rahmenbedingungen zu gestalten, die dazu führen, daß Arbeitsplätze entstehen können, in West- und Ostdeutschland.
Ich sage den Arbeitslosen, was wir alles zur Förderung der Arbeitsplätze und zur Ansiedlung von Wirtschaft tun. Ich habe in meiner Rede auch die Schwerpunkte genannt. Ich will das gar nicht als Transfer bezeichnen. Wir untersuchen ja auch nicht die Transfers zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern; das will ich ein bißchen provokativ sagen. Da werden niemandem Gefälligkeiten erwiesen, sondern das ist ein Handeln im gesamtpolitischen, gesamtwirtschaftlichen und gesamtsozialen Interesse dieser Bundesrepublik Deutschland.
Ich sage den Arbeitslosen auch, daß sie sich in diesem freiheitlichen Staat im Rahmen dessen, was man ihnen zumuten kann, selbst engagieren müssen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind - so habe ich Soziale Marktwirtschaft immer verstanden -, dann haben wir ein soziales Netz, das ihnen hilft, Zeiten ohne Arbeit zu überbrücken, und das ihnen hilft, ihre materiellen Lebensgrundlagen zu sichern. Wie wir
Dr.-Ing. Paul Krüger
wissen, ist dieses soziale Netz nicht das schlechteste in der Welt, sondern es gehört mindestens zu den besten in der Welt.
Ihre Redezeit ist beendet, Herr Krüger.
Ich will diesen einen Gedanken nur zu Ende bringen, Frau Präsidentin. - Ihren Ansatz, daß Regelaufgaben nur über ABM bezahlbar sind, der zeigt, woher Sie kommen, nämlich vom Sozialismus, haben wir Gott sei Dank überwunden. Wir wollen eine Soziale Marktwirtschaft, und die wird erfolgreich sein.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anke Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krüger, es gibt einen lateinischen Spruch, der mit „si tacuisses" - „Oh hättest du doch geschwiegen" - anfängt.
Wir kennen doch alle politisch brisante Situationen. Wenn Sie gesagt hätten, ich muß morgen für die Kanzlermehrheit sorgen, dann hätten wir gesagt: Okay, so etwas gibt es. Sich aber hierhin zu stellen und die arbeitnehmerfeindlichen Gesetze auch noch zu begründen, die zum Anstieg von Arbeitslosigkeit führen werden, ist wirklich unglaublich, Herr Kollege Krüger.
Mir kommt es fast so vor, als hätten Sie den Kakao, durch den Sie gezogen werden, auch noch selbst getrunken. Anders ist nicht zu beschreiben, was Sie hier machen.
Wir wollen noch einmal daran erinnern, meine Damen und Herren, daß morgen neben den Haushaltsberatungen Entscheidungen anstehen. Können all jene aus Ihrer Fraktion, die in der Sommerpause den Mund gespitzt haben, morgen auch pfeifen? Wir entscheiden nämlich morgen über die Abschaffung des Kündigungsschutzes für mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer, insbesondere in Frauenbetrieben, meine Damen und Herren. Wenn Sie soziale Gerechtigkeit wollen, Herr Krüger, dann stimmen Sie morgen dagegen und sagen es all den Frauen, denen gegenüber Sie so getan haben, als ob Sie Widerstand leisten würden. In Wirklichkeit bricht alles zusammen, um die Kanzlermehrheit zu erhalten, und unser Staat nimmt Schaden durch das, was wir morgen beschließen sollen, meine Damen und Herren.
Graf Lambsdorff hat in seiner üblichen Art die Erfolge, die es geben mag, für sich verbucht, aber für die negativen Entwicklungen der Wirtschaftspolitik ist nie die F.D.P. verantwortlich. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daran erinnern, daß seit 1972 die Wirtschaftspolitik von der F.D.P. gestaltet wird, und zwar immer nach dem Motto: Uns geht es gut, wenn es schlecht geht, sind die anderen daran schuld. Das ist Ihre Art von Gesamtverantwortung, Graf Lambsdorff, und die ist unerträglich.
Wir hatten eine intelligente Sommerdebatte. Die hat uns Gott sei Dank ökonomisch wieder ein bißchen auf die Füße geholfen. Graf Lambsdorff gehört zu jenen, die sagen: Vermögensteuer zu hoch, Lohnstückkosten zu hoch, Löhne und Unternehmensteuern müssen gesenkt werden. Das war die Standortdebatte, geschürt von den Wirtschaftsverbänden. Es hat im Sommer eine verhängnisvolle Mischung aus Kapital und Kabinett gegeben, die der wirtschaftlichen Debatte nicht gut getan hat, meine Damen und Herren.
Allmählich merken alle, daß sie überzogen haben. Und deswegen heißt es jetzt: Die Vermögensteuer ist in Deutschland keineswegs so einmalig, wie es oft dargestellt wird, sie ist in anderen westlichen Industriestaaten sogar höher. Der Unterschied ist: Dort jammert keiner über eine angebliche Wettbewerbsverzerrung als Folge dieser Steuer, die Bonn nun unbedingt kippen will.
Was ist das eigentlich für eine Art von inhaltlichem Zusammenhalt, wenn Sie bei der Koppelung bleiben: Vermögensteuer senken und Kindergelderhöhung verschieben? Ich kann das nicht nachvollziehen, meine Damen und Herren. Ich finde es unerträglich, wie Sie diese Debatte führen.
Ich habe den Wirtschaftsminister - ich habe Ihnen schon zum Geburtstag gratuliert, herzlichen Glückwunsch! - heute morgen gefragt, ob er so fit ist, unsere Kritik anhören zu können.
Das kann er. Darüber freue ich mich. Also: auf weiteren Schlagabtausch in der Zukunft!
Sie sagen: Der Weg ist erfolgreich, wir gehen so weiter. Ich will Ihnen an einem kleinen Beispiel erläutern, wie verhängnisvoll dieser Weg ist; denn wir hatten schon mehrere solcher Spar- und Stützungsaktionen. Immer hieß es: Jetzt kommt die Wirtschaft in Gang, jetzt wird die Arbeitslosigkeit bekämpft, jetzt wird der Haushalt konsolidiert. Jedesmal ist genau das Gegenteil eingetreten; denn die Arbeitslo-
Anke Fuchs
sigkeit ist stetig gestiegen. Die Arbeitnehmer haben nicht mehr Chancen, sondern weniger Chancen bekommen. Die Massenkaufkraft hat gelitten. Lesen Sie heute die „Süddeutsche Zeitung", woran es liegt, daß die wirtschaftliche Entwicklung keine Dynamik entwickelt. Es liegt auch daran, daß die kleinen Leute geschröpft werden und sich keine Massenkaufkraft entfalten kann.
Am 1. Januar 1994 wurde das Standortsicherungsgesetz in Kraft gesetzt. Die Körperschaftsteuer sank von 50 Prozent auf 45 Prozent, der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkommen von 53 Prozent auf 47 Prozent. Auf die Anlageinvestitionen will ich nicht näher eingehen. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ging daraufhin um 445 000 zurück, die Zahl der Arbeitslosen stieg um 193 000. Jetzt machen wir dasselbe noch einmal, und auch zukünftig wird die Arbeitslosigkeit zunehmen.
Ich komme auf das zurück, was hier gestern schon eine Rolle gespielt hat. Wie wollen wir eigentlich mit der Tatsache umgehen, daß 100 000 Arbeitslose das Gemeinwesen mit 4 Milliarden DM belasten, also 4 Millionen Arbeitslose das Gemeinwesen mit 160 Milliarden DM belasten? Das ist so viel, wie wir in den Osten transferieren. Wenn es 5 Millionen Arbeitslose werden, werden es noch einmal 20 Milliarden DM mehr sein. Deshalb ist die Kernfrage: Wie bringen wir Arbeitslose wieder in Arbeit, so daß sie zu Beitragszahlern und Steuerzahlern werden?
Wir können uns alle weiteren Kürzungsaktionen abschminken. Durch Ihre Art der Politik produzieren wir Arbeitslosigkeit. Das müssen Sie doch endlich einsehen und eine andere Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sagen. Der Satz, daß alle auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sein sollen und wollen, ist richtig. Sie glauben doch selbst nicht mehr daran, daß bis zum Jahr 2000 die Zahl der Arbeitslosen auf zwei Millionen reduziert werden kann. Sie sind doch schon auf dem Weg, nunmehr zu sagen: Die Arbeitslosenzahlen steigen, eine weitere Kürzungsrunde ist nötig. Wohin soll das noch führen? Deswegen müssen die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik verstetigt und verläßlich werden. Wir müssen eher mehr als weniger tun, wenn wir verhindern wollen, daß Hoffnungslosigkeit auf der Tagesordnung steht.
Wenn Graf Lambsdorff sagt, die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen müsse reduziert werden, weil die privaten Landschaftsgärtner von den Kommunen sonst keine Aufträge mehr bekommen, dann ist das ein unerträglicher Zynismus. Sie sollten sich einmal in Ostdeutschland umschauen. In manchen Bereichen ist der sogenannte zweite Arbeitsmarkt der einzige Arbeitgeber.
Es gibt dort eine Vielfalt neuer Kreativität und Innovationen, die dazu geführt haben, daß dort über Beschäftigungs- und Innovationsgesellschaften gesellschaftlich notwendige Arbeit privatwirtschaftlich erledigt wird. Wir können doch nicht mit unseren lächerlichen Beispielen der 70er Jahre West die Arbeitsmarktprobleme Ost anpacken wollen. Da muß sehr viel mehr gemacht werden, als Sie heute vorgetragen haben.
Sie müssen es endlich begreifen, meine Damen und Herren von der F.D.P. Sie wollten bei der Wiedervereinigung erst überhaupt keine Arbeitsmarktpolitik. Sie machen es doch immer nur zögerlich und halbherzig.
Aber begreifen Sie doch endlich: Bei dieser dramatischen wirtschaftlichen Veränderung wird es keinem gelingen, zu einem drastischen Abbau von Arbeitslosigkeit beizutragen. Deswegen brauchen wir alle diese Förderinstrumente, wenn wir auch aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen verhindern wollen, daß immer mehr Menschen absacken, was wiederum Folgen für die Massenkaufkraft hat. Sie sind in einem Teufelskreis. Sie sollten wirklich überlegen, zu welchen Ergebnissen Ihre Politik geführt hat, meine Damen und Herren.
Im Sommer ist die Debatte also wieder auf die Füße gestellt worden. Wir alle haben vernommen, daß die Wirtschaftsinstitute sagen, eine Konsolidierung in der Rezession sei falsch, jetzt müsse Dynamik her, der Haushalt sei prozyklisch und bringe keine neuen Impulse für mehr Beschäftigung und Wachstum.
Das heißt, Sie betreiben nicht nur mit dem Paket, das Sie morgen beschließen wollen und das ein Sozialabbaupaket ist, sondern auch mit Ihren Sprüchen von Beschäftigung und Wachstum im Grunde Spiegelfechterei. Sie tun nämlich in Ihrer Politik genau das Gegenteil, weil Sie eine dynamische Entwicklung für die Wirtschaft unterdrücken; denn Sie kürzen in den Haushalten die Mittel, die morgen für Investitionen bereitstehen könnten.
Frau Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petzold?
Aber mit Freuden.
Frau Kollegin Fuchs, würden Sie eventuell zur Kenntnis nehmen, daß Ihre Landesregierung in Sachsen-Anhalt die Finanzzuweisungen an die Kommunen um 1,8 Milliarden DM kürzt, so daß die Kommunen in Zukunft weder ABM gegenfinanzieren noch ihre originären Aufgaben erfüllen können?
Herr Kollege, ich danke Ihnen für diese Frage. Woran liegt es denn, daß die ostdeutschen Kommunen keine Chance haben, die notwendigen Komplementärmittel aufzubringen?
Die Bundesregierung hat doch durch ihre Gesetze dazu beigetragen, daß sie sich selbst finanziell entlastet - Stichwort: Sozialhilfe, Stichwort: Flüchtlinge - und die Kommunen die Last der Veränderung tragen müssen und dann keine Chance mehr haben, für Wirtschaftsförderung zu sorgen.
Deswegen haben wir gestern immer wieder angemahnt - und wer etwas von der Sache versteht, weiß das auch -, daß wir eine Gemeindefinanzreform brauchen. Es kann doch nicht sein, daß durch Ihre Politik und auch durch Ihre jetzigen Maßnahmen - Sie tun so, als wenn Sie mit dem Arbeitsförderungsgesetz keine Leistungen abbauten - die Menschen plötzlich keine Leistungen mehr bekommen sollen oder können. Diese Menschen rutschen doch alle in die Sozialhilfe, und die steigenden Sozialhilfekosten machen es den Kommunen unmöglich, überhaupt noch investiv tätig zu sein. Das ist der zweite Teufelskreis, von dem wir hier immer wieder sprechen müssen.
Ihr Haushalt bietet keine Anreize für die Dynamisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Ich will das noch einmal sagen, ohne zu wiederholen, was mein Kollege Schwanhold bereits gesagt hat. Sie machen genau das Gegenteil dessen, was jetzt nötig wäre: Sie kürzen dort, wo die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung liegt, Sie kürzen dort, wo Jugendliche eine Chance hätten, Sie kürzen dort, wo Frauen eine Chance hätten.
Es geht nicht nur um die ökonomische Entwicklung, sondern auch um die Frage, mit welcher Einstellung, mit welcher Geisteshaltung wir demokratische Strukturen in unserem Lande gestalten wollen.
Herr Gerhardt hat gestern gesagt - ich fand das wirklich beachtenswert -, jeden Tag solle man in den Spiegel gucken und fragen, was man für sich selbst tut. Das ist Gefälligkeitsdemokratie für Egoisten.
Das ist das Markenzeichen der F.D.P. Da bleiben christliche Nächstenliebe, soziales Miteinander, Solidarität auf der Strecke. Sie sind ein Markenzeichen dafür, daß die Entsolidarisierung bei uns auf der Tagesordnung steht. Das ist wirtschaftspolitisch falsch, meine Damen und Herren, und es ist finanzpolitisch falsch.
Deswegen möchte ich mich mit Herrn Geißler gern über seine Aussage unterhalten, wir bräuchten eine neue Geisteshaltung. Wir müssen uns dazu bekennen, daß Profitmaximierung nicht die einzige Werteorientierung in unserer Gesellschaft sein kann,
daß es nicht die Wirtschaftsverbände sein dürfen, die vorgeben, wie Politik gemacht wird, sondern daß die Frage beantwortet werden muß, wie wir mit den Herausforderungen fertigwerden. Sie können doch nicht so tun, als sei die Globalisierung nur ein Schreckgespenst, sondern die Frage lautet, wie wir die globalisierte Wirtschaft gestalten, wie wir in den europäischen Binnenmarkt eintreten, der aber nicht nur aus Geld bestehen darf, sondern auch aus Arbeitsplätzen, aus kultureller Entwicklung und daraus, wie wir miteinander Europa gestalten, wie wir mit unserer Werteorientierung wettbewerbsfähig sind und bleiben gegenüber dem Dollarraum und gegenüber dem Yen. Das sind doch die Fragen, und deswegen ist Globalisierung eine Gestaltungsaufgabe. Sie, meine Damen und Herren, machen den Fehler, daß Sie angst vor der Globalisierung machen, statt sie als Gestaltungsaufgabe zu begreifen.
Frau Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geißler?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Fuchs, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich gestern den Egoismus und ausdrücklich auch den ökonomischen Egoismus als unmoralisch und unvereinbar mit der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet habe
und dies im übrigen auch auf den Begriff „Shareholder value" ausdrücklich übertragen habe, daß zu einem Unternehmen nicht nur die Dividende, sondern auch die Arbeitnehmerinnen und die Arbeitnehmer und die Kunden gehören,
daß ich allerdings auch gesagt habe, daß im Gegensatz zu früher durch die Globalisierung der Märkte der Staat als Ordnungsfaktor nicht mehr die Möglichkeit hat, die Wirtschaft so zu ordnen, wie es bisher der Fall gewesen ist, weil sich die Wirtschaft durch die Globalisierung dieser Ordnung entzieht, und daß wir durch die Verlagerung des Wachstums vor allem auf die Schwellenländer die Aufgabe haben, das im Sozialstaat, was wir bisher durch Wachstum finanzie-
Dr. Heiner Geißler
ren konnten, neu zu überlegen, weil wir unsere Standards nicht auf die gesamte Welt übertragen können, weil die Erde es nicht aushält und wir es außerdem gegenüber der jüngeren Generation nicht verantworten können?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das, was Sie uns vorwerfen, nicht unsere Meinung ist, sondern daß die Christlich-Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union dafür eintreten, daß die Soziale Marktwirtschaft und nicht Kapitalismus in der Zukunft substantiiert erhalten bleiben kann?
Ja, ich weiß, daß auch Sie, meine Damen und Herren, dieses Thema umtreibt. Wenn Sie alles ernst meinen, was Sie sagen, und wenn wir alle miteinander wissen, daß wir neue Gestaltungsideen und Kreativität für die Zukunft brauchen, dann heißt die Frage doch: Mit welchem Vertrauen nehme ich die Menschen mit in diese Zukunft? Sie können doch nicht die Globalisierung der Märkte und den Weg nach Europa zur Rechtfertigung dafür heranziehen, hier in Deutschland nicht erst einmal Ihre Hausaufgaben zu machen.
Wenn Sie ernst meinen, was Sie gesagt haben, Herr Geißler, dann müssen Sie morgen das Sparpaket ablehnen.
Das wäre die Konsequenz Ihrer Haltung; denn sowohl bei der Abschaffung des Kündigungsschutzes als auch bei der Kürzung der Lohnfortzahlung, wobei ich insbesondere darauf hinweisen möchte, daß Sie morgen beschließen, daß davon nicht einmal Schwangere ausgenommen sind,
muß sich die Christlich-Demokratische Union, wenn Sie alles ernst meinen, was Sie eben gesagt haben, für die morgige Abstimmung überlegen, ob sie diesen Weg des puren Kapitalismus weitergehen will oder nicht.
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Geißler?
Bitte sehr, Herr Präsident.
Ich darf einen letzten Versuch unternehmen. Frau Fuchs, halten Sie angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik
Deutschland trotz der enormen Probleme beim Aufbau der neuen Länder im Vergleich zu anderen Industrienationen das nach wie vor am besten ausgebaute Sozialsystem hat und daß dieses Sparpaket bei 1,2 Billionen DM Sozialleistungen ein Sparvolumen von 25 Milliarden DM vorsieht, im Ernst Ihre Behauptung aufrecht, wir verträten Kapitalismus pur? Dann würde ich Ihnen empfehlen: Gehen Sie in andere Länder, wo der Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland positiv zugunsten der Arbeitnehmer und der sozial Schwachen interpretiert wird!
Herr Kollege Geißler, Sie kommen mit dieser Argumentation nicht durch.
Ich sage Ihnen noch einmal: Hohe Ausgaben für Soziales sind kein Markenzeichen für einen Sozialstaat, wenn sie durch Arbeitslosigkeit begründet werden. Das ist doch ein Markenzeichen Ihrer Politik.
Wenn Sie sich im Ausland umschauen, dann stellen Sie fest, daß unsere Frage, mit welcher Philosophie wir in die Europäische Union gehen, welche Kriterien der sozial richtig verstandenen Marktwirtschaft, ökologisch gestaltet, wir dort einbringen, entscheidend ist. Deswegen ist doch nicht jede einzelne Maßnahme, die Sie morgen beschließen, so verhängnisvoll, sondern verhängnisvoll ist der gesamte Weg, der - wie immer in den letzten Jahren - heißt: Oben wird gegeben, und unten wird genommen. Unsicherheit wird verbreitet, Armut nimmt zu, und die christliche Nächstenliebe läßt grüßen, Herr Geißler. Das ist der Vorwurf, den wir erheben.
Sie kommen aus dieser Diskussion nicht heraus! Wir werden es nicht zulassen, daß Sie unter dem Druck der Koalition auch von Ihnen an sich nicht mitgemachte Gedankenketten akzeptieren und morgen diesem schrecklichen Paket zustimmen wollen.
- Ja, Sie werden es erleben. Nur keine Sorge!
Wir haben in diesen Tagen unsere Projekte vorgelegt. Ich kann Ihnen das Papier von Ingrid MatthäusMaier gern noch einmal erläutern. Sie haben wieder nicht zugehört. Ich habe in der Haushaltsberatung aller Ressorts gesessen und feststellen können, daß in keinem dieser Haushalte eine Zukunftsorientierung steckt, daß überall dort gestrichen wurde, wo man eigentlich Investitionen bräuchte. Deswegen können Sie mit Ihrer Haushaltspolitik auch gar nicht erwarten, daß Dynamik ausgelöst wird, die wir dringend brauchen, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen.
Mein letzter Gedanke, meine Damen und Herren. Sie mißbrauchen die Globalisierung, und Sie miß-
Anke Fuchs
brauchen die internationalen Verflechtungen, um sich vor den Hausaufgaben hier zu drücken.
Die Globalisierung rechtfertigt zum Beispiel nicht, daß Sie Frauen Teilzeitarbeitsplätze für 590 Mark anbieten und sie auf Dauer ihres Lebens ausbeuten, meine Damen und Herren.
Die Globalisierung rechtfertigt nicht, daß Sozialdumping stattfindet. Die Globalisierung rechtfertigt nicht, daß wir kein ordentliches Entsendegesetz haben, meine Damen und Herren, und das könnten wir
machen.
Die Globalisierung rechtfertigt nicht, daß wir im übrigen so tun, als ob Flexibilität in den Betrieben nur Arbeitnehmerrechteabbau bedeuten müßte. Sie wissen genau wie ich: In der Tarifpolitik tut sich sehr viel mehr, als die unternehmerische Wirtschaft wahrhaben will. Bei uns kann es gehen, daß wir nicht heuern und feuern wie in Amerika, sondern daß wir durch Flexibilität in den Betrieben, durch Flexibilität in den Tarifverträgen dafür sorgen, daß die Arbeitszeiten wirtschaftlich vernünftig verteilt werden.
Mit der Globalisierung hat es nichts zu tun, daß es nicht gelingt, die überproportionalen Überstunden abzubauen.
Deswegen sage ich: Wer sich auf den Weg macht, über Europa für eine beschäftigungsorientierte Politik zu sorgen - ich füge hinzu: auch für wirtschaftliche Dynamik und Haushaltskonsolidierung -, wer sich über Europa auf den Weg macht, die Globalisierung der Wirtschaft auch als ein Gestaltungsprojekt anzusehen, der muß zunächst einmal in seinem eigenen Haus Ordnung schaffen. Das tun Sie mit Ihrer Politik nicht. Ihr Haushalt ist kontraproduktiv, ihr Haushalt ist sozial ungerecht, und er wird, wie Sie ja selbst sagen, mehr Arbeitslosigkeit produzieren als zum Abbau von Arbeitslosigkeit beitragen.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Otto Graf Lambsdorff.
- Herr Kollege Graf Lambsdorff, Herr Struck hat recht. Die Kurzinterventionen werden normalerweise vom Platz aus gegeben.
Darf ich jetzt hierbleiben?
Bitte.
Herr Präsident! Frau Fuchs, Sie haben mich in mehreren Punkten angesprochen. Ich mache es ganz kurz.
Vermögensteuer sei zu hoch, hätte ich gesagt. - Nein, das ist nicht richtig. Die Vermögensteuer ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einer „Sandwichsteuer" geworden. Wir müssen dafür sorgen, daß die Gesamtbelastung, die über 50 Prozent erreichen kann, abgebaut wird. Dann kann man die Vermögensteuer beibehalten. Das setzt eine Senkung der Einkommensteuer voraus. Sonst zahlen nämlich nur die Bezieher mittlerer Einkommen; die Bezieher ganz kleiner und die Bezieher ganz großer Einkommen zahlen nichts. Das kann ja wohl nicht sinnvoll sein. Außerdem müssen Sie sich die Frage stellen, ob Sie eine private und vor allem eine betriebliche Vermögensteuer ab 1. Januar nächsten Jahres in den neuen Bundesländern wirklich einführen und den Betrieben auferlegen wollen.
Zweitens. Sie haben kritisiert, daß wir die Lohnstückkosten für zu hoch halten. Ja, meine Damen und Herren, wenn man den internationalen Vergleich betrachtet - das ist der Vergleich mit unseren Wettbewerbern -, dann wird man finden, daß überhaupt kein Weg an dieser Erkenntnis vorbeiführt. Ich könnte den Vergleich zwischen Mexiko und der Bundesrepublik Deutschland umdrehen, der hier gestern behandelt worden ist.
Daran können Sie es doch ablesen.
Ganz interessant ist das Produktivitätsgutachten des Ifo-Instituts. Die Produktivität in Deutschland ist gar nicht so schlecht, wenn man, wie es das Ifo-Institut leider tut, den Grund dafür, nämlich die wachsende Zahl der Entlassungen bei Unternehmen, nicht berücksichtigt. Man kann eine hohe Produktivität auch dadurch erreichen, daß man Arbeitskräfte abbaut. Keiner dürfte dieses Gutachten eigentlich bejubeln, weder die Opposition noch die Regierung, noch die Gewerkschaften. Sie haben es trotzdem getan; das zeugt nicht gerade von volkswirtschaftlicher und beschäftigungspolitischer Einsicht. - Ja, Herr Schwanhold, wenn Sie es nicht getan haben, nehme ich Sie gerne aus.
Drittens. Es wird berichtet, daß unsere Exporte steigen. Ich stelle fest: Unser Anteil am Welthandel sinkt.
Die Exporte steigen, weil auch in dieser Hinsicht unsere Wettbewerbsfähigkeit durch Entlassungen der großen, gerade der exportierenden Unternehmen verbessert worden ist. Ist das der richtige, der wünschenswerte Weg?
Sie erwähnen das Stichwort Massenkaufkraft. Kein Mensch bestreitet, daß das ein volkswirtschaftlich wesentlicher Faktor ist. Aber jedermann weiß, daß Massenkaufkraft, die auf Löhnen und Gehältern beruht, auch ein Kostenfaktor ist, der wiederum mit den Lohnstückkosten und unserer Wettbewerbs-
Dr. Otto Graf Lambsdorff
fähigkeit etwas zu tun hat. Massenkaufkraft - wie denn? Besser durch Lohnerhöhungen oder durch Steuersenkungen? Wenn Sie den zweiten Weg gehen wollten, würden Sie mich sofort an Ihrer Seite finden.
Als letztes ABM. Frau Fuchs, Sie unterstellen uns, wir hätten gesagt, AB-Maßnahmen sollten abgeschafft werden. Das ist nicht wahr. Aber eines steht doch fest: Sehen Sie sich doch die Klage der ostdeutschen Gartenbauverbände aus der letzten Woche an, die sagen: Mit den Mitteln aus ABM sind über den zweiten Arbeitsmarkt unsere Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt vernichtet worden. Wir mußten die Leute entlassen, weil die Kommunen mit ABM-Mitteln den Mittelständlern Konkurrenz machen und diese Arbeiten selber erledigen. Ich frage: Ist das denn vernünftig? Ich habe immer gesagt: Das ist unvernünftig.
Schließlich folgende Bemerkung. Die Diskussion, die Herr Geißler mit seiner Frage angestoßen hat - auf sie ist nach meiner Ansicht nicht sehr kompetent eingegangen worden -, was eigentlich nationale Regierungen in ihren Volkswirtschaften bei einer wachsenden Globalisierung noch ausrichten und zu sagen haben werden, sollten wir einmal führen. Das wäre interessanter als manches andere, was wir hier tun.
Frau Kollegin Fuchs, ich will Ihnen, wenn Sie das wünschen, aus Gründen der Parität die Möglichkeit geben, von hier vorne zu replizieren.
Graf Lambsdorff, was ich mit den Einzelpunkten sagen wollte, war, daß eine häßliche Debatte um den Wirtschaftsstandort stattgefunden hat, die, wie die Wissenschaftler heute sagen, interessenorientiert geführt wurde,
die die Fakten nicht aufnahm und deswegen verhängnisvoll war. Deswegen sage ich in bezug auf die Vermögensteuer: Sie benutzen doch das Verfassungsgerichtsurteil, um die Vermögensteuer abzuschaffen, was aus dem Verfassungsgerichtsurteil in der Form nicht hervorgeht.
Stichwort Massenkaufkraft. Sie ist ja nicht nur von Löhnen und Gehältern abhängig. Wenn Sie davon absehen, die Kindergelderhöhung und die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums zu verschieben, dann haben wir mehr Kaufkraft. Mit Ihren Plänen, die Sie heute vorgetragen haben, schädigen Sie die Massenkaufkraft.
- Herr Weng, die Erhöhung des Kindergeldes haben wir miteinander beschlossen, weil es verfassungsrechtlich geboten ist.
Deshalb können Sie hier nicht mit Argumenten der Haushaltskonsolidierung kommen, weil Ihr ganzes Paket ökonomisch unsinnig ist. Es entfaltet nicht die dynamischen Kräfte unserer Wirtschaft.
Graf Lambsdorff, wenn Sie meinen, ich hätte auf die Fragen von Herrn Geißler nicht angemessen geantwortet, so will ich am Schluß moderat noch mal sagen: Es geht für uns als Bundesrepublik Deutschland insbesondere darum, finde ich, zunächst einmal den Weg nach und mit Europa zu gestalten. Dafür müssen wir uns fit machen. Deswegen habe ich gesagt: Man muß die Hausaufgaben dafür hier machen.
Aber dann kommt doch die spannende Frage, Herr Geißler: Was für ein Europa wollen wir eigentlich? Wir haben um uns herum sozial verfaßte Staaten. Die werden nicht zulassen, daß auch dort mühsam erkämpfter Fortschritt einfach beiseite geschoben werden muß. Es wäre auch ökonomisch unsinnig.
Deswegen sind die Fragen Währungsunion, Sozial- und Steuerharmonisierung sowie wirtschaftspolitische Instrumentenharmonisierung - nicht auf Punkt und Komma - ein wichtiger Aspekt, den wir bei dieser Geschichte beachten müssen. Es macht aber keinen Sinn, wenn wir auf dem Weg nach Europa so tun, als ob wir mit dieser Kürzungspolitik, die die Grundlage unseres Systems kaputtmacht, fit wären für Europa.
Wenn der Bundeskanzler sagt, Beschäftigungspolitik finde nicht in Europa statt, sondern zu Hause, hier aber keine Beschäftigungspolitik macht, dann frage ich mich, was für ein Europa er eigentlich will. Ich möchte ein Europa der Menschen, der Bürger und nicht ein Europa, in dem Arbeitslosigkeit dominiert, weswegen wir gar keine Chance haben, uns weltweit sozial, ökologisch und wirtschaftlich zu engagieren.
Ich gebe nun das Wort dem Abgeordneten Friedhelm Ost.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Fuchs, als ich vor einigen Wochen das „Handelsblatt" las - darin war ein Gespräch mit Ihnen abgedruckt -, fand ich als Überschrift ein wörtliches Zitat von Ihnen. Sie lautete: „Die SPD redet ständig an den Problemen vorbei. " Ich habe mich dabei über Ihre Diagnosekraft gewundert. Heute haben Sie sie aber bestätigt, vor allem bei all den Reden, die Herr Scharping, Herr Lafontaine, aber auch der Kollege Schwanhold und Sie selbst gehalten haben.
Friedhelm Ost
- Ich habe Ihr Programm gelesen. Das werden Sie noch nicht mal am Ramschstand im Sommerschlußverkauf los. Das haben Sie beim DGB abgeschrieben.
- Natürlich! Ich habe die gleichen Papiere schon fünfmal per Fax bekommen; die könnten Porto sparen.
Verehrte Frau Kollegin Fuchs, lieber Herr Kollege Schwanhold, ich glaube, in diesem Punkt liegt der grundsätzliche Dissens: Sie wollen weiterhin mit mehr Staat lenken und leiten; Sie wollen noch mehr Förderprogramme und Kästchen und Formulare und Bürokratie und Lenkung.
Dies ist Ihr Ansatz. Unser Ansatz ist eben anders. Wir haben in Deutschland zuviel Bürokratie, zu hohe Lasten und auch zu hohe Kosten.
Der verehrte Kollege Graf Lambsdorff hat es Ihnen gesagt: Um 50 DM Nettokaufkraft wirklich auf den Markt zu bringen, wovon ein Großteil auch im Ausland wirksam wird, müssen Sie 130 DM bis 150 DM an Kosten verbuchen. Das müssen Sie sich mal ansehen; Sie sind doch auch in einigen Firmen aktiv.
Ich denke aber, wir haben gemeinsam die Pflicht, unsere Wirtschaft zu stärken, Betriebe und Beschäftigung zu sichern und neue Perspektiven für Unternehmer und Arbeitnehmer zu eröffnen, wobei wir die Staatsfinanzen auf allen Ebenen konsolidieren müssen, um die Steuerlasten für alle zu verringern; das ist richtig. Da helfen Aufmärsche und große Proteste nicht.
Ich sage mal ganz offen: Wenn Sie den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers schon so heftig kritisieren, hätten Sie auch einen Kommentar zu dem abgeben sollen, was unser Kollege Hans Berger in Dortmund gesagt hat; darüber hätte ich mich sehr gefreut. Zu seinem Aufmarsch sind weniger gekommen als zu meinem Fußballklub. Das habe ich mit Freude vermerkt: Wenn Borussia spielt, kommen Zehntausende mehr.
- Lieber Herr Kollege Struck, das nächste Mal gehen wir hin, dann ist das Stadion wieder ganz ausverkauft.
Was Hans Berger da zur Kohlepolitik gesagt hat, war gewiß nicht hilfreich - das sage ich mal ganz offen -, zumal wir alle wissen, welche Anstrengungen der Bundeskanzler, aber auch Bundesminister Blüm und Bundesminister Rexrodt gerade auch in finanziell schwierigsten Zeiten gemacht haben.
Wenn Sie sich den Haushalt für 1997 ansehen, stellen Sie fest: 9,2 Milliarden DM für den Steinkohlebergbau bei einem Gesamthaushalt von 17 Milliarden DM. Deswegen hätte ich mich gefreut, der Kollege
Berger hätte den Kumpels diese Zahlen richtig genannt.
Wer Schutzmacht der kleinen Leute sein will - Sie nehmen das für sich immer in Anspruch; auch wenn Sie nicht ganz so leben, propagieren Sie das immer -, der muß den Mut zur Wahrheit und Klarheit haben. Mit Polemik und Verbalradikalismus täuschen Sie und auch viele Gewerkschaftsführer bewußt die Öffentlichkeit. Mit Ihren Forderungen schützen Sie nicht die kleinen Leute, sondern Sie gefährden weitere Arbeitsplätze und Betriebe.
Auch mit mexikanischen Wochen, Kuren und Placebos kommen Sie nicht an das Problem heran. Wir müssen, so schmerzlich das hier und da auch sein mag, an Operationen heran. Davor drücken Sie sich dauernd.
Wenn in Niedersachsen, wo die Staatssekretäre der Landesregierung, lieber Kollege Schwanhold, schon lange bei den Finanzen des Ministerpräsidenten Schröder Land unter melden, die Ausgaben für Krankenhäuser, Sozialstationen, Wohnungsbau und andere sozialen Wohltaten rigoros zusammengestrichen werden, hören wir dazu keinen Kommentar, auch nicht von Ihnen, Frau Kollegin Fuchs, die Sie ein großes und vehementes Plädoyer gehalten haben.
- Nein, ich will Sie nur ermuntern, all Ihre Ideen in die Sozialistische Internationale einzubringen.
Lassen Sie sich einmal aufklären. Es gibt den Bundeskanzler Franz Vranitzky. Er ist ein sehr netter Mensch. Lassen Sie sich einmal darüber aufklären, was der in Österreich gemacht hat. Lassen Sie sich einmal von Herrn Persson aus Schweden aufklären. Früher sind Sie doch alle - ich weiß das noch aus meiner Zeit als Journalist, da habe ich Sie immer gesucht - zur Wallfahrt in Schweden unterwegs gewesen. Machen Sie doch jetzt eine Wall- oder Studienfahrt dorthin und gucken Sie sich das an!
Wissen Sie, Frau Kollegin Fuchs, der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau hat Ihnen zugerufen: Die Partei, die SPD, muß zurück zur wirklichen Wirklichkeit. Sie schweben im Wolkenkuckucksheim.
Herr Kollege Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
Nein, ich möchte meine Rede zu Ende führen.
Wir haben wirtschaftlich die Chance - und wir sollten positive Signale nach draußen geben -, daß die Konjunktur wieder Tritt faßt, daß wir in eine Wachstumsphase kommen. Sie ist nicht gesichert, und die OECD, die unumstritten weder der SPD noch der
Friedhelm Ost
CDU gehört, sondern neutral ist, hat gemahnt, daß wir Korrekturen in unserem Sozial- und Steuersystem sowie in der Tarifpolitik vornehmen.
Wir müssen das tun. Aber dieses Wort ist hier gar nicht gefallen. Die gesuchtesten Leute sind zur Zeit die Arbeitgeber. Sie machen diese mies, Sie diffamieren sie. Im Grunde wollen Sie noch mehr Bürokratie und Belastungen, Vermögenszuschläge und ähnliche Dinge,
anstatt zu sagen: Wir wollen die Substanzsteuern senken, wir wollen auch die Ertragsteuern senken. Sie können das in Ihrem Protokoll vom Mannheimer Parteitag nachlesen. Dort hat Ihnen Karl Schiller gesagt: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze und Einkommen von übermorgen.
Sie wollen das überhören. Gestern kannten Sie den Herrn von Dohnanyi nicht, wahrscheinlich wissen Sie auch gar nicht, wer Herr Schiller war. Vielleicht ist Ihnen wenigstens der Dichter geläufig.
Arbeit und Kapital sind nicht Erbfeinde, sondern Zwillingsschwestern. Wir brauchen eine bessere Behandlung des Eigen- und Risikokapitals und des Investitionskapitals. Dem bestqualifizierten Mechaniker oder Gesellen nützt seine Qualifikation nichts, wenn sich nicht ein Kapitalist, ein Kapitalgeber findet, der Maschinen und Anlagen aufstellt. Bei schlechter Behandlung des Kapitals wird dies im Ausland gemacht, das wissen Sie doch ganz genau.
Einige sind ganz vernünftig, aber Sie diffamieren nach wie vor das amerikanische Modell. Ich will das zwar nicht übernehmen, aber mir wäre es sehr lieb - -
- Nein, nicht reinrassig. Wir sind ja eine eigene Volkswirtschaft und machen Soziale Marktwirtschaft. Dazu wollen wir auch zurückkehren. Wir müssen auch zu Ludwig Erhard, der in diesem Jahr 100 Jahre alt würde, zurückkehren.
Wir müssen zu der Erkenntnis zurückkehren, daß nur das verteilt werden kann, was zuvor erarbeitet wurde, und zwar gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei günstigen Rahmenbedingungen.
Wenn wir nicht vieles verändern, wird nichts so bleiben, wie es jetzt ist. Wir müssen den Mut zu Veränderungen haben. Deshalb sollten Sie sich gut überlegen, unseren Vorschlägen und dem Haushalt des Wirtschaftsministers zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Ernst Schwanhold das Wort.
Herr Präsident! Ich möchte ganz kurz auf vier Bemerkungen von Herrn Ost eingehen.
Erstens. Herr Kollege Ost, wo ist eigentlich Ihr Steuermodell, welches all das umsetzt, was Sie hier eingefordert haben? Ich erkenne nur 15 unterschiedliche Aussagen, die von Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zur Senkung des Spitzensteuersatzes und zu dem Zurückrudern von Herrn Schäuble im letzten „Spiegel", man würde allenfalls 20 Milliarden schultern, reichen. Es ist traurig, nichts wird von Ihnen vorgelegt. Sie klagen dies an und fordern dies ein. Haben Sie endlich Mut, und legen Sie etwas vor, damit man sich damit auseinandersetzen kann!
Zweite Bemerkung. Was Sie als Bürokratie beklagen, will ich Ihnen aus der Sicht eines in einem mittelständischen Unternehmen tätig Gewesenen deutlich machen. In der Zeit, als ich dort Verantwortung getragen habe, habe ich von Ihnen vier Beauftragte aufgebürdet bekommen. Diese vier Beauftragten sind durch Ihre Gesetzgebung zustande gekommen, und sie haben wahrlich dazu beigetragen, daß die Bürokratie vermehrt worden ist. Die Genehmigungsverfahren sind komplexer geworden, nicht weil die Länder dies wollten, sondern weil Sie sie unübersichtlich gemacht haben. Das Steuerdickicht ist immer größer geworden. Auch da haben Sie Konsolidierungs- und Abspeckungsbedarf.
Eine dritte Bemerkung. Wer sagt Ihnen eigentlich und wo sind die Belege dafür, daß die erzielten Gewinne dann auch tatsächlich in Investitionen fließen? Eher das Gegenteil ist der Fall. Sie tun so, als ob Sie mit den Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben, auch nur eine Mark in Investitionen in Realkapital holen würden. Sie schaffen zunächst einmal die Voraussetzungen dafür, daß die internationalen Kapitalmärkte ausgeweitet werden. Damit ist noch nichts dafür getan, daß hier investiert wird. Da werden wir andere Wachstumspfade gehen müssen. Ich habe ein paar davon aufgezählt.
Die letzte Bemerkung zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen. Es ist wahrlich nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, sich mit Parteifreunden auseinandersetzen zu müssen; das will ich an den Anfang stellen. Das gilt in Ihren Reihen genauso wie bei uns. Aber der niedersächsische Ministerpräsident ist außergewöhnlich erfolgreich, was das Schaffen von Arbeitsplätzen angeht. Ich kann Ihnen an außerordentlich vielen Beispielen deutlich machen, wie es gelungen ist, von Stahlwerken in der Nähe meines eige-
Ernst Schwanhold
nen Wahlkreises bis hin zum Lebensmittelbereich und zur Absicherung von VW, daß wieder Gewinnzonen erreicht werden. Es ist eine Menge von Initiativen von diesem Ministerpräsidenten ausgegangen. Deshalb liegt er übrigens im Vergleich aller Bundesländer bei der Konsolidierung und Schaffung von Arbeitsplätzen auf Platz 2.
- Das ist so.
Herr Kollege Ost, Sie können darauf antworten, wenn Sie möchten. - Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege Schwanhold, ich denke, wir haben eine klare steuerpolitische Linie.
- Natürlich! - Sie reden alle immer durcheinander. Wir haben schon im vorigen Jahr vorgeschlagen - das haben Sie wahrscheinlich gar nicht zur Kenntnis genommen -, aber der Bundesrat hat es leider abgelehnt, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, die Gewerbeertragsteuer mittelstandsfreundlich zu senken und die Beteiligung der Gemeinden an der Mehrwertsteuer neu zu regeln. Wir haben jetzt ein Jahressteuergesetz zur Neuregelung der Vermögensteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer und zur Absenkung des Solidaritätszuschlags eingebracht. Der dritte Punkt ist angekündigt: Bis Ende dieses Jahres wird ein Modell zur Senkung der direkten Besteuerung, der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer, vorgelegt.
Von Ihrer Partei lese ich alles mögliche. Es gibt Uneinigkeit. Herr Dreßler fordert Erhöhung der Mehrwertsteuer, dann kommt irgendeiner bei Ihnen aus dem Busch und ist dagegen. Lassen Sie uns doch demokratisch darüber reden! Ende des Jahres bekommen Sie auch dieses Modell, das wir dann mit Wirkung zum 1. Januar 1999 verabschieden wollen.
Wenn es so ist, wie Sie sagen, daß Bürokratie aufgebaut worden ist, dann lassen Sie uns doch gemeinsam darangehen, sie wieder einzudämmen. Sie fordern immer neue Regulierungen und, auch heute morgen, immer neue Programme. Sie schaffen es in Niedersachsen nicht einmal, die Felder für biotechnologische Versuche zu schützen - das müssen wir Herrn Schröder sagen -, und Sie wollen da gleich in die Sonne gehen.
Zu den Gewinnen. Ich sage Ihnen: Ohne Gewinne werden Sie die Investitionen nicht stärken, und zwar sowohl die Investitionen für die Sicherung der Arbeitsplätze als auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Natürlich, der klügste Wirt sucht sich den besten Standort. Aber Sie wissen doch aus Ihrer eigenen Erfahrung: Mittelständische Betriebe sind zum großen Teil relativ ertragsschwach. Die meisten aus dem Mittelstand gehen - sie können das auch nicht - Gott sei Dank nicht nach Mexiko, wo der Stundenlohn 1,60 Dollar beträgt. Bei uns beträgt er - Sie haben gerade die Studie des amerikanischen Arbeitsministers gelesen - 31,5 Dollar. Der Mittelständler ist an Osnabrück, Paderborn oder an sonst einen Standort gebunden. Aber wir müssen ihm helfen, von der Ertragskraft her sein Eigenkapital, sein Risikokapital zu schaffen, und dürfen nicht immer neue Programme auflegen. Die ganze Wagniskapital- und Risikokapitalfrage ist vor allem eine Steuerfrage.
Nun nenne ich Ihnen zwei Daten - die kennen doch auch Sie -: Was die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Erreichen von Wachstum anbetrifft, liegt Niedersachsen ziemlich weit unten.
- Letzter Platz. - Aber: Niedersachsen hat eine Spitzenposition - das ist richtig -, und zwar, bezogen auf die Flächenstaaten, bei der Pro-Kopf-Verschuldung erreicht.
Vielen herzlichen Dank.
Den Kollegen, die sich noch gemeldet haben, möchte ich sagen, daß es keine Interventionen zu Interventionen gibt, sondern Interventionen nur zu der ursprünglich gehaltenen Rede.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft liegen nicht vor.
Wir kommen damit zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, dem Einzelplan 11.
Ich gebe dem Bundesminister Dr. Norbert Blüm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 122,1 Milliarden DM im Haushalt des Bundesarbeitsministers für 1997, das sind gegenüber dem Haushalt dieses Jahres 2,5 Milliarden DM weniger. Das ist ein Rückgang um 2 Prozent gegenüber einem allgemeinen Rückgang des Haushalts von 2,5 Prozent. Ohne unsere Sparanstrengungen im Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, gäbe es Mehrausgaben von 15 Milliarden DM. Das sind die Zahlen. Ich möchte diese Debatte allerdings nicht als eine Zahlenschlacht führen. Ich finde, hinter den Zahlen verschwinden die menschlichen Schicksale.
Antworten auf die anstehenden Fragen lassen sich auch nur ungenügend mit Zahlen geben. Manchmal habe ich bei den Sozialdemokraten den Eindruck, sie glauben - deshalb sind sie so zahlenfixiert -: je mehr Ausgaben, um so besser der Sozialstaat. Das halte ich für einen großen Irrtum. Wie verrückt das ist, können Sie an folgendem sehen: Wenn das stimmen würde - je mehr Geld für Soziales, um so besser der Sozialstaat -, dann wäre die Arbeitslosigkeit ein Beitrag zum Ausbau des Sozialstaates.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Denn mit der Arbeitslosigkeit steigen die Sozialausgaben. Mehr Geld heißt also nicht mehr Soziales.
- Doch! Sie führen dauernd die Schlacht, wieviel Soziales zurückgenommen wird. Sie führen dauernd eine Schlacht - nicht um Ideen, sondern eine Zahlenschlacht.
Die führt in die Irre, vor allen Dingen deshalb, weil Sie bei dieser Rechnung unterschlagen, wer das Ganze bezahlt. Das bezahlen Millionen von Beitragszahlern: von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Aus meiner Sicht ist deshalb die Hauptfrage, der wir uns stellen müssen - wir müssen in der Lage sein, Prioritäten zu setzen; die Kunst der Politik heißt, Prioritäten zu setzen -: Was ist wichtig? Was ist wichtiger? Was ist am wichtigsten? Ich sage: Das Wichtigste für den Sozialstaat 1996 ist Arbeit für alle. Das ist die Hauptaufgabe.
Laßt uns doch darum streiten, uns darauf konzentrieren: Wem dient Politik? - Den Menschen!
Deshalb: Keine Arbeitslosenunterstützung ist so gut wie Lohn. Arbeit ist auch mehr als nur Broterwerb; sie ist ein Stück Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aus der Arbeit wird der Sozialstaat bezahlt. Um der Arbeitslosen und des Sozialstaates willen Arbeit!
Was haben eigentlich Arbeitnehmer von mehr Sozialleistungen, die durch Schulden finanziert werden, wenn anschließend die Preise steigen?
Was hat ein Rentner davon, wenn Renten steigen, aber morgen keine Beitragszahler mehr da sind? Was haben die Kinder vom Kinderfreibetrag, wenn sie morgen; wenn sie erwachsen sind, keine Arbeit haben?
- Doch, doch! Sie verbrennen das Holz, mit dem unsere Kinder heizen sollen. Sie verhalten sich wie der Bauer, der das Saatgut verfüttert und nicht fragt, wie die Ernte des nächsten Jahres entstehen soll.
Wenn ich die ganze Diskussion - wir haben sie jetzt ausreichend bis ins Detail hinein geführt - auf Grundlinien zurückführe, dann wird mir klar: Es streiten sich bei dieser Frage zwei Denkschulen. Die eine Denkschule geht von der These aus: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus, und deshalb müssen wir sie besser verteilen. Die andere Denkschule geht von der These aus: Arbeit ist genug vorhanden, nur nicht
bezahlbar und schlecht organisiert. Die erste Denkschule ist die des Zukunftspessimismus.
- Doch! Sie sagen, der Gesellschaft geht die Arbeit aus. Halten Sie das für eine optimistische Perspektive?
- Doch! So haben Sie gestern argumentiert: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus. Ich sehe darin einen versteckten Zynismus angesichts des Elends in der Welt.
Der Gesellschaft kann die Arbeit nicht ausgehen. Nur, sie ist möglicherweise nicht bezahlbar und falsch organisiert.
Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Sie gestatten offenbar eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Ja.
Bitte schön.
Herr Minister Blüm, ich frage Sie, warum Sie solche ideologischen Gegenpositionen aufbauen, wo wir doch alle wissen, daß wir beides brauchen: Verkürzung der Arbeitszeit - zum Beispiel dadurch, daß nicht einige eine enorme Zahl von Überstunden fahren und andere arbeitslos werden - und gleichzeitig Investitionen in moderne Zukunftstechnologien. Warum bauen Sie hier ein Gegeneinander auf, was es überhaupt nicht gibt, weil wir doch beides brauchen?
Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil ich Ihnen jetzt klarmachen kann, daß der Hauptansatz Ihrer Vorschläge Verteilung ist.
- Doch! Wir haben heute morgen eine Debatte über ABM geführt. Damit es kein Vertun gibt, sage ich, daß ich ABM verteidige. Ich verstehe die Sorgen unserer Kollegen aus dem Osten sehr gut.
Aber wir können die Beschäftigungsfrage nicht auf eine Verteilungsfrage für ABM reduzieren. Genau darauf reduzieren Sie die Beschäftigungsfrage.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Es ist doch ein Nulisummenspiel: Das, was Sie dem zweiten Arbeitsmarkt geben - staatlich finanziert - fehlt dem ersten Arbeitsmarkt. Wer würde dadurch gewinnen?
Frau Matthäus-Maier, zur Beantwortung Ihrer Frage noch etwas zur Altersgrenze: Sie sagen, die Altersgrenze könne nicht angehoben werden; dadurch werde noch mehr Arbeitslosigkeit erzeugt. - Dieses Denken, logisch fortgesetzt, würde doch zu einer Senkung der Altersgrenze auf 50 Jahre führen. Nach diesem Verteilungsdenken müßten Sie die Arbeitslosen in ABM beschäftigen. Wenn sie dann nicht mehr in ABM beschäftigt werden können, senken wir einfach die Altersgrenze. Dieses Denken würde zu einer Mangelverwaltung führen. Sie haben eine geheime Sehnsucht nach der Planwirtschaft.
- Doch! Noch einmal zum Mitschreiben: Der Hauptpunkt Ihres sozialpolitischen Ansatzes ist: Wie können wir was verteilen?
Ich bin doch kein Dogmatiker; ich weiß, daß wir als Überbrückung ABM brauchen, aber nicht als Dauereinrichtung. Wenn in manchen Städten der ABM-Lohn im Durchschnitt 300 DM über dem Lohn auf dem ersten Arbeitsmarkt liegt, dann ist dies keine Brücke. Wer soll denn dann in den ersten Arbeitsmarkt wechseln?
Wenn 60 Prozent der Mittel für Altenhilfe in manchen Ländern über ABM finanziert werden: Meine Damen und Herren, das ist doch nicht Aufgabe der Beitragszahler, sondern Aufgabe der Steuerzahler. Sie reden doch immer von Fremdleistungen.
- Keine Zwischenfrage. Ich will das jetzt im Zusammenhang sagen.
Wenn gesagt wird, daß die Kommunen kein Geld haben, ist das bedauernswert. Es ist aber ebenfalls beklagenswert, wenn der Bund sagt, er habe kein Geld. Wer muß für Altenhilfe zuständig sein? Doch nicht Menschen in ABM und damit die Beitragszahler, sondern die Steuerzahler.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Metzger?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Minister Blüm, zum Thema Planwirtschaft, Planungssicherheit: Geben Sie mir recht, daß es Ihre Aufgabe als Bundesarbeitsminister gewesen wäre, beim Kabinettsbeschluß zum Entwurf des Haushaltes 1997 auf die arbeitsmarktpolitischen Risiken hinzuweisen und dem Finanzminister deutlich zu sagen, daß im Jahre 1996 seine für die Bundesanstalt für Arbeit eingestellten 4,3 Milliarden DM bei weitem nicht ausreichen?
Der Bundesanstalt für Arbeit müssen insgesamt Zuschüsse über 10 Milliarden DM zusätzlich gewährt werden. Bereits heute weisen Sie und Kollegen aus dem Haushalts- und Finanzbereich Ihrer Fraktion darauf hin, daß die Reduzierung der Zuschüsse auf Null im Jahre 1997 überhaupt nicht möglich ist. Das ist doch eine Frage der Planungssicherheit und Kalkulierbarkeit, für die Sie als Bundesarbeitsminister Verantwortung tragen.
Herr Minister, ehe Sie antworten: Es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Büttner.
Ich will meine Rede halten; ich bin doch kein Schullehrer des Parlaments.
Bitte schön.
Herr Metzger, ich möchte auf Ihre Beschwerde bzw. Ihr Informationsbedürfnis eingehen: Das Risiko ist noch größer, wenn Sie die Gesetze, über die wir morgen abstimmen, ablehnen.
Ich mache nicht nur das Kabinett, sondern den ganzen Bundestag darauf aufmerksam: Wenn Sie sich den Sparmaßnahmen verweigern, ist das Risiko unendlich größer; denn das Sparpaket ist ein Arbeitsplatzpaket.
Je mehr Bestandteile wir davon durchsetzen können, desto geringer ist das Risiko.
Das bin ich bei der SPD wirklich leid: Immer sagt sie, es muß gespart werden. Aber keiner macht einen Vorschlag.
Haben Sie einen Vorschlag zur Entlastung der Beitragszahler? Herr Lafontaine sagt immer, der öffentliche Dienst müsse entlastet werden. Das sage auch ich, meine Damen und Herren. Die Beitragszahler aber haben davon nichts. Preisfrage: Wo ist ein konkreter Vorschlag zur Entlastung der Beitragszahler in der Renten-, in der Arbeitslosen-, in der Krankenversicherung? Ich kenne keinen.
Verehrter Herr Kollege Metzger, Ihrem Fraktionsvorsitzenden gebührt für seine fulminante Rede ge-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
stern wirklich großer Respekt. Mir kam er wie in der Rolle eines Feuerwehrmannes vor, der auf den Brand aufmerksam macht, ihn beschreibt, aber auf die Frage, was zu tun sei, sagt: Das weiß ich auch nicht. Hauptsache, wir haben einmal darüber geredet.
- In der Tat! Er hat selber zugegeben, daß er keine Antworten hat. Ich halte das für sehr sympathisch. Aber in der Politik muß man handeln, und zwar auch unter dem Risiko, daß man möglicherweise falsch handelt. Das größte Risiko aber heißt:
nicht handeln. Das ist das größte Risiko!
Es bestreitet doch niemand, daß wir große Veränderungen haben und die alten Lösungen nicht mehr ausreichen. Das trifft auch für den Bereich der Arbeit zu. Wir sind gewohnt, Arbeit in Kolonne zu organisieren. Ich habe den Eindruck, daß Sie noch immer das Fließband im Kopf haben.
- Doch, den Einheitstakt und die Einheitslösung.
Differenzierung war und ist nicht Ihre Stärke. Das verstehe ich auch. Sie haben eine große kollektive Tradition, mit großen Verdiensten.
- Mein Gott, warum denn diese Aufregung? - Doch der neue Name des Fortschritts heißt Differenzierung. Sie aber haben die alten, kollektiven Bremsen im Kopf. Sie verlangen immer eine Patentlösung. In einer komplexen Gesellschaft gibt es aber keine Patentlösung mehr. Wandel ist eine Mischung von Erhalten und Verändern. Ich gehöre nicht zu denen, die Tabula rasa machen wollen; das gilt auch für die Sozialpolitik.
Ein ganz konkretes Beispiel zur Rentenversicherung: Wir wollen die Anerkennung der Ausbildungszeiten reduzieren. Meine Damen und Herren, wer bezahlt denn sieben Jahre beitragsfreie Ausbildungszeiten? Die bezahlt derjenige, der diese nicht vorzuweisen hat. Der Maurer bezahlt dem Bauingenieur sieben beitragsfreie Jahre. - Sie reden doch immer von Fremdleistungen. Dies ist ein klassischer Fall. Hier könnte das Solidaritätsprinzip gestärkt werden.
Zur Rehabilitation: Wir gehen auf den Stand des Jahres 1993 zurück. Sie werden doch nicht sagen wollen, daß 1993 ein rehabilitationsfreies Jahr gewesen sei. Sie suggerieren den Menschen, der Sozialstaat werde abgebaut. Dabei gehen wir im Bereich der Rehabilitation nur auf das Jahr 1993 - nicht auf das Jahr 1893 - zurück. Lassen Sie doch einmal die Kirche im Dorf! Sie machen ja die Leute verrückt.
Zur Altersgrenze: Sie, Herr Schreiner, haben die Veränderung doch mit beschlossen. Wir machen es nur früher.
- Frau Schmidt, Sie haben mit beschlossen, daß für Frauen und Männer die gleiche Altersgrenze gelten soll. Wenn Sie das verheimlichen wollen, muß ich es dem Publikum sagen.
Wir brauchen auch in der Rente Weiterentwicklungen. Ich verteidige die lohnbezogene Rente; sie zeugt von großer Klugheit.
- Das steht nicht zur Diskussion? Ihr großer Wirtschaftsexperte Gerhard Schröder hat vorgestern die beitragsfinanzierte Grundrente gefordert. - Er ist doch Mitglied der SPD, oder? - Die beitragsfinanzierte Grundrente ist ein Unikum, ein Fahrrad mit Propeller. Meine Damen und Herren, es können doch nicht alle Beitrag bezahlen. Also zahlen die einen Beitrag, die anderen nicht. Sie alle aber bekommen später die gleiche Leistung. Wenn das Modell auch noch einkommensproportionale Beiträge vorsieht, werden sogar unterschiedliche Beiträge für die gleiche Leistung gezahlt.
Das sind die originellen Vorschläge aus Ihren Reihen. Ich muß Herrn Schröder vor der Behauptung in Schutz nehmen, er habe bei Ihnen nichts zu sagen. Mein Gott, er ist einer Ihrer Hoffnungsträger! Solch ein Unikum wie die beitragsfinanzierte Grundrente - das sind Ihre Beiträge.
- Auf die Idee einer beitragsfinanzierten Grundrente ist auf unserer Seite noch niemand gekommen. Wenn überhaupt Grundrente, dann nur steuerfinanziert.
- Frau Mascher, ich würde Ihnen gerne das Wort geben, aber ich bin nicht Präsident.
Entschuldigen Sie, Herr Minister, ich war der Meinung, daß Sie keine Zwischenfragen mehr zulassen wollen. Wenn sich das geändert hat, bin ich sehr erfreut und gebe das Wort zur Zwischenfrage. Bitte schön.
Frau Mascher ist die verdienstvolle Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
ordnung. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht übers Herz bringen, die Zwischenfrage abzulehnen.
Herr Minister, dann gehe ich aber davon aus, daß Sie auch dem Kollegen Urbaniak, der sich schon lange gemeldet hat, eine Zwischenfrage gestatten.
Das ist ein guter Kollege. Lieber Hans, wir können uns nachher draußen unterhalten. Das muß nicht alles heute hier im Plenum geschehen.
Bitte, Frau Mascher, Sie haben das Wort zur Zwischenfrage.
Herr Minister Blüm, ist Ihnen bekannt, daß in den Niederlanden jeder 15 Prozent Beitrag für eine einheitliche Rente zahlt, die jeder Niederländer und jede Niederländerin mit 65 Jahren bekommt? Da gibt es eine einheitliche, beitragsfinanzierte Rente. Wir haben gestern mit Kollegen und Kolleginnen aus dem niederländischen Parlament darüber gesprochen, und wir fanden das sehr interessant. Ich glaube nicht, daß man das auf Deutschland übertragen kann. Aber wenn Sie sagen, das gebe es überhaupt nicht, das sei völlig absurd, dann muß ich Sie darauf hinweisen, daß die Niederlande, die einen sehr gut ausgebildeten Sozialstaat haben, eine beitragsfinanzierte Einheitsrente haben.
Jetzt verliere ich jede Zuversicht. Wenn selbst Frau Mascher für diesen Vorschlag Sympathie aufbringen kann - -
- Na gut, dann bin ich schon wieder beruhigt. - Beitragsfinanziert heißt in den Niederlanden: Für einen Sozialhilfeempfänger, der keinen Beitrag bezahlen kann, muß der Staat Beitrag zahlen. Nennen Sie mir einmal ein System, in dem jemand Beitrag zahlen kann, der kein Geld hat.
- Das ist eine Steuer. Sie heißt nur Beitrag. - Liebe Frau Mascher, bleiben Sie Ihren besten Prinzipien treu, gehen Sie nicht auf Schröders Linie. Das ist eine Schlangenlinie, um nicht etwas Schlimmeres zu sagen. Es ist eine Linie, die um alle Sachverhalte herumkurvt.
- Ja, wir brauchen eine Weiterentwicklung. Wir müssen Antwort geben auf demographische Veränderungen. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt haben sich geändert. Viele fliehen aus der Solidarität in die Scheinselbständigkeit. 35 Prozent der Jüngeren suchen einen Zweitjob. Das ist ein bequemer Fluchtweg. Das kann die Solidarkasse nicht tragen: Die Guten ins Kröpfchen und die Schlechten ins Töpfchen - so geht das nicht.
Ich stimme Ihnen zu, daß wir viel zu hohe Fremdleistungen haben, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, daß der Bund der Rentenversicherung 80 Mil-harden DM gibt.
Besteuerung der Rente wird gefordert.
- Ich möchte es doch nur klarstellen. - Besteuerung ginge doch nur, wenn die Beiträge steuerfrei wären. Zweimal besteuern geht doch nicht.
Da die Beiträge der Rentner aber nicht steuerfrei waren, geht das nicht.
- Ich will das doch nur klarstellen, liebe Frau Fischer. Ich gebe mir jetzt Mühe, in das Chaos der Debatte - das ist nämlich ein Chaos - etwas Linie zu bringen.
Ich gebe sogar zu, daß sich manche von uns daran beteiligt haben.
Ich bemühe mich, Schneisen in diesen Urwald von Vorschlägen zu schlagen. Liebe Leute, seid mal vernünftig: Es muß nicht alle 24 Stunden ein neuer Vorschlag gemacht werden. Das muß wirklich nicht sein.
Diese Art von Kreativität hat nur eins zur Folge: große Rentenunsicherheit. Ich bin dafür verantwortlich
- lassen Sie mich ausreden! -, daß die Rentner nicht von einer Chaosdiskussion in die Angst gestürzt werden. Dafür bin ich verantwortlich. Lachen Sie also nicht zu früh!
Deshalb bemühen wir uns, in den Regierungskommissionen und auch in den Fraktionen über die Weiterentwicklung des Systems zu sprechen. Ich lade alle ein - wir haben doch eine gute Tradition -: Laßt uns, wenn der Pulverdampf vorbei ist, versuchen, die Fäden wieder zusammenzubringen. Ich lade im Sinne der Vertrauensbildung ausdrücklich dazu ein. Wir streiten uns viel. Es ist auch gut, daß gestritten wird. Aber es lohnt jede Anstrengung, den Rentenkonsens nicht erlahmen zu lassen. Darum bitte ich Sie bei allem Streit.
Wenn wir das Rentenniveau jetzt bei einem Beitrag von 20 Prozent festschreiben würden, dann hätten wir im Jahre 2030 einen Mehrbedarf an Bundes-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
zuschuß von 350 Milliarden DM. Wenn wir den Beitrag festschreiben und den Bundeszuschuß einfrieren, hätten wir ein Rentenniveau von 45 Prozent. Würden wir den Bundeszuschuß und das Rentenniveau festschreiben, hätten wir einen Beitrag von 26 Prozent. - Sie sehen, die drei Varianten sind alle keine realistischen Varianten. Deshalb lade ich zu einer realistischen Weiterentwicklung unseres Systems ein.
Ich glaube, daß die Demokratie auf Streit angelegt ist - das ist ja auch das Schöne an der Demokratie. Aber wir müssen uns nicht über alles streiten. Laßt uns über die Weiterentwicklung der Rente diskutieren, aber laßt uns versuchen, im Sinne der Vertrauensbildung den Konsens neu anzugehen. Denn die Rentenversicherung lebt von der Lebensplanung. Sie lebt nicht von der Hand in den Mund. Sie muß ja auch Regierungswechsel überleben, selbst wenn der nächste noch in weiter Ferne ist -
- oder wäre, um Frieden zu stiften.
Ich will diese Stunde nutzen. Sparen ohne Einschränkungen geht nicht. Nennen Sie doch endlich einmal Ihre Sparvorschläge für das Sozialsystem. Ich muß kein Ökonom sein, es genügt mir der gesunde Menschenverstand, um festzustellen: Die Beiträge sind zu hoch. Wenn Sie beklagen, daß die Beiträge noch höher steigen, dann erwidere ich Ihnen: Je weniger wir sparen, um so höher steigen sie. Wenn Sie beispielsweise das Zustimmungsgesetz verhindern, in dem 1,4 Milliarden DM für die Rentenversicherung lockergemacht werden, dann steigt der Beitrag um mindestens einen Prozentpunkt. Wie hoch er letztlich wirklich steigt, das habe nicht ich in der Hand, sondern das hängt von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ab, und die Beiträge für das jeweils nächste Jahr setzen wir immer im Oktober fest.
Also, es gibt für den Sozialstaat nichts Besseres als Arbeit. 100 000 Arbeitslose kosten den Sozialstaat 3 Milliarden DM an Arbeitslosengeld. 100 000 Beschäftigte verdienen 4,5 Milliarden DM und zahlen noch 2 Milliarden DM an Beitrag. Was ist also besser als Arbeit? Hier muß folglich eine Kostenentlastung greifen. Ich sage ja nicht, daß Kostenentlastung das einzige wäre. Sie ist ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Initiative, Innovation, Entbürokratisierung und vernünftige Lohnpolitik gehören dazu. Aber einen Teil haben auch wir Sozialpolitiker zu verantworten.
Bevor ich anderen Vorwürfe mache, möchte ich gerne sagen können: Wir haben unsere Hausaufgaben erfüllt. Unsere Hausaufgabe im Hinblick auf diesen Haushalt - damit ist nicht alles erledigt - ist, einen Beitrag zur Entlastung der Beitragszahler und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu leisten - um der Arbeitslosen willen. Darum geht es.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ottmar Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Bundesarbeitsminister es nötig hat, solche Zerrbilder, Halbwahrheiten und Lügen über die SPD zu verbreiten, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, daß der Bundesarbeitsminister mit seiner Politik endgültig am Ende und gescheitert ist.
Sie sind politisch wirklich am Ende, Herr Blüm.
Ich lege nun mein Manuskript zur Seite, das ich mir gestern und heute in Stichwörtern zusammengeschrieben habe, und will versuchen, auf Ihre Hinweise auf die Positionen der SPD einzugehen.
Erster Punkt: Sie haben behauptet, die SPD sei auf Zahlen fixiert, wir würden ständig Zahlenschlachten führen und behaupten: Je mehr Ausgaben gemacht würden, um so besser sei es um den Sozialstaat bestellt. - Ich habe in den vergangenen Jahren fast keine Rede an diesem Podium gehalten, ohne immer wieder darauf hinzuweisen, daß die Höhe der Sozialleistungsquote, der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt, überhaupt nichts über die soziale Qualität einer Gesellschaft aussagt,
sondern nur eine Aussage über den Kostenanteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt zuläßt, weil von Ihnen immer wieder behauptet worden ist, die Sozialleistungen hätten uferlose Ausmaße erreicht. Die Sozialleistungsquote - das wissen Sie sehr wohl - ist in Westdeutschland von 1982 bis 1996 um mehrere Prozentpunkte zurückgeführt worden, obwohl die sozialen Probleme explosionsartig zugenommen haben. Zentrale Ursache sind der massenhafte Anstieg der Arbeitslosigkeit, der von Ihnen über viele Jahre hinweg so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen worden ist, und die damit verbundenen sozialen Folgeprobleme.
Also von einer Fixierung der Sozialdemokratie auf Zahlen kann überhaupt keine Rede sein. Man könnte sogar sagen: Je geringer die Kosten für den Sozialstaat sind, um so besser ist es um einen demokratischen Sozialstaat bestellt, weil die sozialen Probleme vergleichsweise gering sind.
Aber heute haben wir die größten sozialen Probleme seit 1949.
Zweiter Punkt: Sie haben soeben ausdrücklich mich in bezug auf die Anhebung der Altersgrenze bei der Lebensarbeitszeit angesprochen; das hätten die Sozialdemokraten mit beschlossen. - Das ist eine typische Halbwahrheit, und Halbwahrheiten können schlimmer als offene Lügen sein. Die Sozialdemokra-
Ottmar Schreiner
ten haben 1989 beim damaligen Rentenkonsens mit beschlossen, daß ab dem Jahr 2001 die Lebensarbeitszeit in sehr kleinen Schritten erhöht werden solle - aber unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß im Jahre 1997 die Arbeitsmarktlage geprüft werde -, daß aber, wenn eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit festgestellt werde, eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit auch im Jahre 2001 nicht in Frage kommen könne. Denn dies führt dazu, daß die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt und für die jungen Generationen der Zugang in das Erwerbsleben endgültig verbaut wird.
Diesen Hinweis auf die Prüfung des Arbeitsmarktes im Jahre 1997 haben Sie völlig unterschlagen. Sie verlängern die Lebensarbeitszeit unter eindeutigem Bruch der 1989 getroffenen Vereinbarungen. Damals, 1989, war die Arbeitslosigkeit weitaus geringer als heute, im Jahre 1996.
Dritter Punkt: Sie fragen die SPD-Fraktion immer wieder in anklagender Weise: Wo sind denn Ihre Vorschläge zur finanziellen Entlastung der Rentenversicherung oder etwa der Bundesanstalt für Arbeit? - Seit Monaten liegt diesem Parlament ein umfänglicher Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vor. Ich meine die ökologische Steuerreform. Wir sind auf einen der von Ihnen in den vergangenen Jahren - vällig ergebnislos - produzierten Vorschläge eingegangen und haben im Kern vorgesehen, daß die aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr - wie bisher - aus Beitragsleistungen finanziert werden soll, sondern aus steuerlichen Zahlungen. Also: Anhebung der Energiesteuer auf der einen Seite und auf der anderen Seite deutliche Entlastung der Beitragszahler zur Bundesanstalt für Arbeit bis hin zu drei Beitragspunkten.
Sie können hier also nicht so tun, als hätten wir keine Vorschläge gemacht. All diese Vorschläge, die auch in Teilen der Koalition Sympathie genießen, sind bislang von der Koalition gnadenlos abgelehnt worden.
Vierter Punkt: Sie haben behauptet, die Sozialdemokratie neige - Sie haben zwei Denkschulen dargestellt - zu einer reinen Verteilungspolitik, während Sie, die Koalition, davon ausgingen, es sei genug Arbeit vorhanden, die aber nicht bezahlbar sei. - Diese Denkschulen-Theorie, die Sie hier verbreiten, führt wiederum völlig in die Irre.
Denn wir sind davon ausgegangen - und gehen nach wie vor davon aus -, daß beides notwendig ist: sowohl eine deutliche Reduktion der Überstunden als auch ein wesentlich effektiveres Angebot von Teilzeitarbeit, als dies bisher der Fall ist. Entsprechende Anträge liegen dem Deutschen Bundestag vor. Es ist geradezu widersinnig, daß wir bei einem dramatischen Höchststand der Arbeitslosigkeit ebenfalls einen gemessen an der Zeit seit 1949 - dramatischen Höchststand an Überstunden haben.
Wir haben entsprechende Vorschläge gemacht, nämlich Teilzeitangebote effektiver zu gestalten, als das bisher der Fall ist. Dies alles ist von der Koalitionsmehrheit im Parlament bislang abgelehnt worden.
Herr Kollege Schreiner, ehe Sie sich einem neuen Thema zuwenden: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Babel?
Ja, wenn sie nicht in die Irre führt.
Die Frage soll Sie sozusagen ans Licht führen, Herr Kollege Schreiner.
Sie beklagen, daß die Unternehmer eher Überstunden leisten lassen, als daß sie Teilzeitarbeit anbieten. Auch mir wäre eine Ausdehnung der Teilzeitbeschäftigung lieber; da sind wir uns einig. Können Sie sich denn vorstellen, welche ökonomischen Überlegungen einen Unternehmer offensichtlich dazu bringen, die wirklich sehr teuren Überstunden - 25 Prozent höherer Lohn - eher zu akzeptieren als Arbeitskräfte einzustellen? Könnten Sie sich weiter vorstellen, daß dieses vordergründig widersinnige ökonomische Verhalten vielleicht den Grund hat, daß ein Unternehmer bei schlechterer Auftragslage Personal nur zu sehr hohen Kosten wieder entlassen kann und er deshalb daran gehindert ist, Leute einzustellen? Tun wir deswegen nicht recht daran, Beschäftigung über Wege zu sichern, die ihm diesen Anreiz, Überstunden anzubieten, nehmen würden?
Wenn das wirklich der Grund wäre, dann hätten die Arbeitgeber, die in der Sorge leben, bei nachlassender Auftragslage die Einstellungen nicht mehr rückgängig machen zu können, nach der bereits 1985 verabschiedeten Gesetzgebung jederzeit die Möglichkeit, erst einmal zeitlich befristete Einstellungen vorzunehmen. Das wäre jederzeit möglich. Wenn das der entscheidende Grund wäre, dann hätten die Arbeitgeber jederzeit die Möglichkeit, Überstunden in dem notwendigen Ausmaß abzubauen.
Ich gehe gar nicht davon aus, daß Überstunden komplett abgebaut werden können. Mir leuchtet auch ein, daß bestimmte Produktionsspitzen von Überstunden begleitet werden müssen. Aber dieser horrende Widerspruch - auf der einen Seite ein dramatischer Höchststand an Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite ein dramatischer Höchstand an Überstunden - ist so nicht hinnehmbar. Man muß darauf hinwirken - entweder über tarifliche Regelungen, über betriebliche Regelungen, oder über gesetzliche Regelungen -, daß dieser Mißstand endlich abgebaut wird.
Ottmar Schreiner
Aber das ist gar nicht einmal der entscheidende Punkt. Ich habe schon versucht, Herrn Blüm darzulegen, daß es überhaupt nicht darum geht: auf der einen Seite die Sozialdemokraten, die ihr Heil in reiner Verteilungspolitik suchen, und auf der anderen Seite die „phantasievolle" Regierung, die versucht, Arbeit bezahlbar zu machen nach dem Motto „Arbeit ist da, aber wir müssen sie auch finanzierbar machen" . Dieser Widerspruch existiert genau nicht. Es gibt eine Fülle von Beispielen, mit denen ich Ihnen deutlich machen könnte - leider verfliegt die Zeit hier -, daß wir dieses Parlament mit einer ganzen Reihe von Initiativen bedient haben, die gerade dahin führen sollen, daß reguläre Arbeit erweitert werden kann. Dazu komme ich gleich mit ein paar Beispielen.
Ich will Ihnen aber eines nicht ersparen, meine Damen und Herren von der Koalition: Sie hatten zu Anfang des Jahres eine geradezu einmalige Chance, ein wirkliches gesellschaftlich tragendes Bündnis für Arbeit hinzubekommen. Die Industriegewerkschaft Metall, die größte Gewerkschaft der Welt, ist über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat Lohnzurückhaltung in der nächsten Zeit angeboten, wenn dafür mehr Beschäftigung eingetauscht werden würde. Sie haben die IG Metall wie die deutschen Gewerkschaften insgesamt in der Wahlkampfphase vor den Landtagswahlen im März schamlos mißbraucht. Sie haben die in weiten Teilen der Bevölkerung positive Resonanz auf das Bündnis für Arbeit für Ihre Wahlkampfzwecke instrumentalisiert. Nach den Landtagswahlen am 24. März haben Sie die Gewerkschaften vom Tisch gejagt, und damit war das Bündnis für Arbeit tot.
Das war eine in Deutschland geradezu einmalige Chance, wirklich zu einer Verbreiterung von Beschäftigung zu kommen unter Inanspruchnahme aller Beteiligten: der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Politik.
Sie, Herr Geißler, - ausgerechnet Sie! -
haben gestern in Ihrem Beitrag, der ebenso kläglich wie mißlungen war - daraus spricht bestenfalls noch ein schlechtes Gewissen, weil Sie in den letzten Monaten in einem Maße umgefallen sind, wie ich das wirklich nicht für möglich gehalten hätte -, die katholische Soziallehre hier in diesem Haus für ein Linsengericht verkauft.
Sie haben sich gestern - das will ich in aller Deutlichkeit wiederholen - hier ans Podium gestellt, haben lange Reden gehalten über milliardenschwere Umsätze türkischer Kebabläden in Deutschland und haben dann anklagend gesagt: Was ich den deutschen Arbeitslosen vorwerfe, ist, daß sie sich dazu zu schade sind.
Meine Güte, welch ein Zynismus! Welch eine Offenbarung! 4 Millionen deutsche Arbeitslose sollen Kebabläden in Deutschland gründen, und dann haben wir die Arbeitsmarktkrise beseitigt. Es ist ein Jammer, es ist ein Elend, es ist zum Kotzen! Sie sind am Ende.
Jetzt will ich Ihnen sagen, was wir mit dem Bündnis für Arbeit gemacht hätten. Wir hätten als erstes die Europäische Kommission, den Europäischen Rat ermutigt, eine europäische Beschäftigungsinitiative zu starten. Sie sind die einzige Regierung neben der britischen Regierung, die in Europa eine Beschäftigungsinitiative blockiert. Was ist das für ein Europa mit 20 Millionen Arbeitslosen, wenn die Bundesregierung jede Initiative kategorisch ablehnt? Wie soll der europäische Einigungsgedanke weitergeführt werden, wenn 20 Millionen Arbeitslose das Gefühl haben, dies wird immer mehr ein Europa des Kapitals und unsere Interessen werden untergraben?
Zweites Beispiel. Ich habe gerade darauf hingewiesen, daß wir die Arbeit verbilligt hätten und die Energie verteuert hätten. Nach allen Prognosen, die ich kenne, hätte dies zu mehr Beschäftigung geführt, und es hätte zudem die Umwelt entlastet.
Drittes Beispiel. Wir hätten im Rahmen eines Bündnisses für Arbeit ein Entsendegesetz in Deutschland verabschiedet. Wir haben über 250 000 arbeitslose Bauarbeiter. Tausende von mittelständischen Bauunternehmungen sind in Konkurs gegangen, sind bankrott. Tausenden steht der Bankrott bevor, nur weil die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Bundesrepublik Deutschland vor einem massiven Lohndumping zu schützen.
Viertes Beispiel. Wir hätten Ihnen ein vernünftiges Arbeits- und Strukturfördergesetz vorgelegt und verabschiedet, und zwar nach dem alten Blümschen Motto: Arbeit fördern ist tausendmal besser als Arbeitslosigkeit finanzieren.
Wir hätten viele kommunale und regionale Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur finanzieren können, dort Arbeitslose einsetzen können. Das wäre tausendmal intelligenter gewesen, als Millionen von Menschen in der Arbeitslosigkeit verkommen zu lassen.
Fünftes Beispiel. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein massives Defizit an Tätigkeiten im Bereich der häuslichen und personalen Dienstleistungen. Gemessen an Japan fehlen hier 2,2 Millionen Arbeitsplätze. Gemessen an Schweden fehlen fast 3 Millionen Arbeitsplätze. Dem Deutschen Bundestag liegt ein Konzept der SPD-Bundestagsfraktion vor. Wir hätten Dienstleistungsagenturen geschaffen und gefördert, um die Dienstleistungsnachfrage von privaten Haushalten ernsthaft als Beschäftigungsfeld zu erschließen. Hier stehen nicht eine Handvoll Voll-
Ottmar Schreiner
zeitarbeitsplätze für Butler und Zofen in feudalen Strukturen einer Handvoll Millionärshaushalten im Blickfeld, sondern die millionenfache Nachfrage nach stunden-, tage- oder wochenweisen Betreuungszeiten und Tätigkeiten, die über die Nachfrage in Agenturen zu vollwertigen Arbeitsplätzen gebündelt werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen jetzt fünf Beispiele genannt. Sie können nicht so tun, als sei die SPD auf die reine Verteilungsfrage reduziert oder als sei die SPD auf den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt reduziert. Wir haben immer wieder versucht, auch auf die Defizite in den regulären Beschäftigungsfeldern hinzuweisen und das Parlament mit entsprechenden Initiativen zu befassen. Alles ist abgelehnt worden.
Vorletzte Bemerkung zur Rente. Minister Blüm hat gesagt, die Chaos-Diskussion über die Rente stürze die Rentnerinnen und Rentner in das Unglück. Wer führt diese Chaos-Diskussion in Deutschland?
Wer hat in den letzten Tagen die generelle Besteuerung der Renten gefordert? Es war Graf Lambsdorff, von dem nichts anderes zu erwarten ist. Daß er jemals auf die Idee käme, einen großen Immobilienbesitzer steuerlich heranzuziehen, ist ganz abwegig. Aber die kleinen Rentnerinnen und Rentner kommen ihm in den Sinn. Es war aber nicht nur Graf Lambsdorff, sondern es waren etliche Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, die ebenfalls die generelle Besteuerung der Rentnerinnen und Rentner gefordert haben. Ja, meine Güte, Sie müssen in Ihre eigene Fraktion gehen. Dort findet die ChaosDiskussion statt, und von dort wird sie in die Öffentlichkeit getragen, Herr Minister Blüm.
Jetzt noch einen Satz zur Rente. Der Kollege Louven guckt ganz erstaunt. Der beschäftigt sich mit den Arbeitslosen und fordert Karenztage beim Bezug von Lohnersatzleistungen. Nachdem alles drastisch zusammengekürzt worden ist, stellt sich der Herr Konditormeister in die Öffentlichkeit und fordert Karenztage beim Bezug von Lohnersatzleistungen. Es ist wirklich zum Kotzen. Herr Minister Blüm, da sitzen Ihre Spezies. Wirken Sie auf die ein und lassen Sie die SPD-Bundestagsfraktion weiter so erfolgreich arbeiten wie bisher!
Letzte Bemerkung. Herr Minister Blüm hat erneut Anstrengungen zu einem Rentenkonsens angemahnt. Richtig ist, daß seit 1949 alle großen Rentenreformen im Konsens der beiden Volksparteien erarbeitet und durchgesetzt worden sind. Sie, Herr Minister Blüm, haben entweder aus eigenem Antrieb oder
auf fremde Befehle hin das Tischtuch mit der SPD vor wenigen Monaten zerrissen und zerschnitten.
Sie haben auf unser ausdrückliches Befragen eingeräumt, daß Sie den Rentenkonsens vom November 1989 im Bundestag einseitig zur Disposition stellen und brechen. Was ist das für ein Umgang, wenn man auf der einen Seite mit der SPD getroffene Vereinbarungen völlig einseitig und ohne Not bricht
und auf der anderen Seite die selbe SPD-Fraktion einlädt, wieder auf dem Schoß des Herrn Ministers Platz zu nehmen. Herr Minister, dieser Platz ist nicht für uns.
Schönen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit dem ersten Knüller, den uns der Kollege Schreiner angeboten hat, gleich beschäftigen, nämlich mit der europäischen Beschäftigungsinitiative. Immer, wenn es im eigenen Hause nicht mehr weitergeht, dann sucht man eine andere Ebene. Vorher, als es hieß, man müsse Probleme in Niedersachsen lösen, war es der Bund. Wenn jetzt hier eine neue Ebene gesucht wird, dann muß man nach Europa schauen. Das können wir gerne tun.
Wenn wir einmal die Arbeitslosenquoten vergleichen, die wir um uns herum haben, dann werden wir feststellen: Italien 12,1 Prozent, Irland 12,4 Prozent, Frankreich 11,6 Prozent, Spanien 22,1 Prozent. Nun können wir gerne miteinander eine europäische Beschäftigungsinitative auf den Weg bringen. Aber ich frage einmal: Wer wird den Großteil der Kosten für diese Initiative tragen? Wird es Europa oder werden es wieder wir Deutsche sein, die weiß Gott schon einen guten Nettobeitrag nach Europa abführen?
Diese Frage, Herr Kollege Schreiner, müssen Sie beantworten. Es geht nicht ohne zusätzliche Milliarden. Dazu haben Sie uns jetzt kein Angebot gemacht.
Wenn ich Sie so höre, dann muß ich dem Bundesarbeitsminister schon recht geben.
Hans-Joachim Fuchtel
Er hat vorhin gesagt, bei Ihnen bewege sich die Diskussion mehr und mehr auf eine Verteilerdiskussion hin. Man muß sich fragen, was Sie für ein Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft haben. Den ganzen Morgen frage ich mich das schon und stelle vor allem nach dem, was die Kollegin Fuchs gesagt hat, fest, daß es immer mehr in Richtung Verteilen geht. Das Vorhandene soll einfach auf mehr Schultern geladen werden. Damit werden wir nicht zurechtkommen. Sie können mit Arbeitsmarktpolitik nicht alle Probleme des Arbeitsmarktes bewältigen.
Das müssen wir uns jetzt einfach verinnerlichen. Es hat keinen Wert, davon immer wieder neu anzufangen.
Ich nenne einmal ein Beispiel. Es sind nicht nur die Gartenbaubetriebe, die unter der Situation einer großen Zahl von AB-Maßnahmen in den neuen Bundesländern leiden. Sie können zu den Baumschulen gehen. Große traditionelle Baumschulen in Westdeutschland kommen unter Wettbewerbsdruck und können ihre Betriebe nicht mehr halten. Warum? Weil in den neuen Bundesländern in einem ganz hohen Maße auf diesem Sektor mit AB-Maßnahmen gearbeitet wird. Das kann einfach nicht die Linie sein. Damit schafft man keine steuerbringenden Betriebe, sondern damit macht man steuerzahlende Betriebe kaputt. Wenn diese kaputt sind, dann frage ich: Wer soll dann die Mittel für ABM aufbringen?
Ihnen fehlt generell die Fähigkeit zur Abgrenzung zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt. Das haben Sie, Frau Fuchs, deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie sind ja in Sachsen herumgekommen und haben dort ein Wahlergebnis erzielt, das wir alle kennen und über das wir nicht weiter reden möchten. Aber Sie müßten eigentlich wissen, daß mit diesen Verteilungsmechanismen auf gar keinen Fall die Zukunft gestaltet werden kann.
Sie sind auch nicht bereit zur Korrektur der Sozialausgaben. Das ist hier in aller Breite gesagt worden. Sie wollen zulassen, daß die Wirtschaft in den Kosten ertrinkt. Wir müssen Ihnen einmal sagen, daß der, der die Soziale Marktwirtschaft als Einbahnstraße begreift, ihr Wesen verkennt. Sie sind auf dem Weg zum - ich nenne es einmal so - „Softie-Sozialismus". Das ist die Richtung, in der Sie sich bewegen. Das ist die falsche Richtung. Es ist dringend notwendig, daß wir mit dem Konzept, das wir jetzt angeregt haben, nämlich einem Programm für Wachstum und Beschäftigung, mit einem Bundeshaushalt 1997, der bewußt auf Sparmaßnahmen angelegt ist, die Ressourcen erwirtschaften, damit es mit der Wirtschaft wirklich aufwärtsgehen kann und dadurch dann auch neue Arbeitsplätze entstehen.
Meine Damen und Herren, wir müssen 2 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen,
und dafür müssen die Rahmenbedingungen entsprechend ausgerichtet werden. Das und nichts anderes erwarten die Menschen von uns.
Den Arbeitslosen helfen keine Sparpakete. Wir können der nächsten Generation nicht noch mehr Schulden hinterlassen. Wenn das alles so ist, dann helfen auch neue Verschiebebahnhöfe nicht. Dann bleibt nichts anderes übrig, als die Ausgaben dort zu senken, wo sie entstehen. Deswegen sage ich als einen zentralen Satz: Sozialausgaben müssen im Sozialetat und bei den Sozialversicherungen eingespart werden. Das ist unsere konkrete Aufgabe.
Dem tragen wir mit unseren Programmen Rechnung.
Wenn die Arbeitsmarktlage im Jahr 1996 noch ungünstiger ist, als vorher eingeschätzt wurde, ist dies nur ein weiterer Grund, unsere Bemühungen besonders ernsthaft zu betreiben, aber kein Grund, sich auf den Weg in die Neuverschuldung zu machen.
- Meine Damen und Herren, „falschliegen" ist ein sehr gutes Wort. Über 60 Prozent der Bevölkerung sind der gleichen Meinung wie wir. Das sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen.
Deswegen sage ich Ihnen, vielleicht zum Trost, auch folgendes: Es gibt auch unter Ihren Genossen Leute, die da schon etwas weiter sind. Wenn ich zum Beispiel die „Berliner Zeitung" von gestern nehme, lese ich über Herrn Schröder: „Schröder für weniger Sozialstaat". Einmal ist Herr Schröder für Sie sehr viel wert, heute morgen ist er wieder gar nichts wert. Sie müssen sich einmal entscheiden, wer in Ihrer Partei wirklich etwas wert ist, meine Damen und Herren.
sowie der Abg.
Dr. Gisela Babel [F.D.P.] - Lachen bei der
SPD)
Herr Scharping verwechselt Mexiko mit Deutschland, Herr Lafontaine hat gestern wegen 0,4 Prozent Rückführung der Sozialleistungsquote von diesem Rednerpult aus auf Weltuntergangsstimmung gemacht, und Herr Schröder - darauf muß man noch einmal zu sprechen kommen - streicht im Landeshaushalt 1997 in Niedersachsen 7,8 Prozent sämtlicher Sozialausgaben. Ich frage mich nur, warum die Raus, die Eichels, die Simonis' keine „Sparpakete" bekommen. Offenbar trauen die Gewerkschaften denen nicht einmal eine geordnete Entsorgung zu. Das wird der Grund sein; denn sonst müßten dorthin „Sparpakete" im Übermaß geschickt werden, oder
Hans-Joachim Fuchtel
wir dürften auch keine erhalten. Irgendwo stimmt hier in Ihrer Strategie etwas nicht, meine Damen und Herren.
Durch Ihre Verzögerungsmaßnahmen wurde wertvolle Zeit für dieses Land verloren. Die Arbeitslosen haben dadurch weitere Probleme bekommen.
Das stört Sie alles nicht. Auf der einen Seite blockieren Sie alles, auf der anderen Seite kritisieren Sie, daß nichts geschieht. Wie kann man das nennen? Sie taktieren auf dem Rücken von 4 Millionen Arbeitslosen, und das muß aufhören, meine Damen und Herren
- Sie können so weitermachen. Wir werden am Freitag entscheiden.
Meine Damen und Herren, wir müssen sparen.
Die nächste Generation muß etwas mehr individuelle soziale Verantwortung übernehmen.
Das sagen wir den Menschen. In einer Zeit, wo Billionen vererbt werden, denke ich, daß es mit einer solchen Linie klappen müßte. Wenn eine solche Linie gefahren wird, dann schlittert Deutschland nicht in einen solchen Softie-Sozialismus hinein,
nein, dann wird es uns gelingen, den Standort auf sehr hohem Niveau für die Zukunft zu halten.
- Sie können darüber lachen, soviel Sie wollen.
- Wenn hier auf einmal von Kamelen die Rede ist, dann bekenne ich mich gerne als Ehrenpräsident des Deutschen Kamelvereins,
sage Ihnen aber auch, daß die Kamele wissen, was sich gehört, und sich einzuordnen wissen. Das fehlt Ihnen manchmal, meine Damen und Herren.
Einen Versorgungsstaat mit dem Niveau, das Sie sich vorstellen, hält selbst der stärkste Gaul nicht aus und schon gar nicht
unsere Gesellschaft mit ihrem demographischen Aufbau.
In den letzten Jahren ist in Deutschland viel geschehen.
Ich halte es in dieser Diskussion für besonders primitiv,
daß Sie immer wieder Helmut Kohl, Theo Waigel und vor allem auch Norbert Blüm wegen der Arbeitslosigkeit und der Verschuldung in den neuen Bundesländern anprangern.
Sie sollten sich wenigstens ganz leise noch daran erinnern, daß es hier darum ging, einen Sozialismus zu beseitigen, übrigens einen Sozialismus, den damals Leute bewirkt haben, mit denen Sie zuweilen ganz recht zu Streich gekommen sind.
Hören Sie auf, so zu tun, als ob Norbert Blüm für die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern verantwortlich wäre!
Verantwortlich ist ein System, das einen Trümmerhaufen hinterlassen hat. Wir sind jetzt dabei, aus diesem Trümmerhaufen wieder ein schönes Land zu machen, ein Land, in dem wieder genügend Arbeit vorhanden ist, ein Land, in dem es sich zu leben lohnt. Das ist der Weg, auf dem wir sind. Da ist es völlig ungerechtfertigt, wenn Sie so tun, als wäre Norbert Blüm für das Ganze verantwortlich.
- Ich warne Sie. Der Joseph Fischer ist da schon ein bißchen weiter. Der hat das gestern wenigstens anerkannt. Diese Anerkenntnis fehlt Ihnen, weil Ihre Fraktion auf das Negieren sämtlicher Wahrheiten festgelegt ist.
Ich verstehe es manchmal nicht. Ich denke manchmal, manche leben schon sehr weit weg von der Bevölkerung.
Machen Sie keine Sprechstunde? Erfahren Sie nicht,
was die Handwerksmeister Ihnen sagen, was Indu-
Hans-Joachim Fuchtel
striemanager Ihnen sagen? Das scheint Ihnen alles egal zu sein. Sie nehmen eine Blockadehaltung ein und bewegen sich kein Stückchen. Das hilft niemand weiter, überhaupt nicht denen, die besondere Hilfe bräuchten, nämlich den Arbeitslosen in Deutschland.
Meine Damen und Herren, Arbeitslosigkeit und Schuldenaufnahme, das sind Ergebnisse eines Staatssozialismus, die Norbert Blüm mit viel Engagement beiseite räumt. Wenn man sich einmal vor Augen führt, daß wir jetzt über 180 Milliarden DM an Transferleistungen allein in diesem Bereich erbracht haben und in diesem Jahr über 200 Milliarden DM erbracht haben werden, dann wird deutlich, wie stark die Kraft war,
mit der die Solidarität für unsere Landsleute in den neuen Bundesländern gewirkt hat.
- Das ist nicht unverschämt.
Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?
Gerne.
Herr Kollege Fuchtel, wir begehen erfreulicherweise in wenigen Wochen den sechsten Jahrestag der deutschen Einheit. Könnten Sie mir und sicherlich auch anderen interessierten Mitgliedern des Hauses sagen, auf wie viele Jahre wir uns einstellen sollen, in denen die deutsche Einheit noch zur Rechtfertigung der Versäumnisse und Fehler der Politik der Bundesregierung herbeigezogen wird?
Liebe Kollegin Fischer, Prognosen gehen oft in die Hosen.
Aus dem Grund werden Sie mich hier nicht dazu bringen, von meiner bisherigen Aussage abzuweichen.
Ich sage Ihnen: Die Aufgabe hieß, aus einem Staatssozialismus heraus andere Verhältnisse zu schaffen. Dies geht nur Stück für Stück, und das war mit größeren Problemen verbunden, als viele vorher dachten. Deswegen wird es auch noch eine ganze Zeit brauchen, bis wir ein Niveau, wie in den alten Bundesländern erreicht haben. Aber ich wage die Voraussage, daß der Tag kommen wird,
an dem die ostdeutsche Wirtschaft in vielen Bereichen moderner ausgerichtet sein wird als manche Wirtschaftsbereiche in Westdeutschland.
Dann, meine Damen und Herren, sprechen wir uns wieder.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Hendricks?
Noch eine - nein, wie viele sind es?
Wir können den ganzen Tag damit zubringen.
Wenn Sie alle heute abend um 20 Uhr noch hier sind, dann machen wir weiter.
Ich bitte jetzt darum, keine weiteren Zwischenfragen zuzulassen. Denn die Kolleginnen, die hier stehen, sind heute abend um 20 Uhr nicht mehr hier.
Ich nehme an, daß Sie die Zwischenfrage der Kollegin Hendricks zulassen?
Bitte.
Frau Hendricks, bitte.
Herr Kollege Fuchtel, kann es sein, daß Ihr bemerkenswerter Satz „Prognosen gehen oft in die Hosen" auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers von den „blühenden Landschaften" anzuwenden ist?
Wenn Sie die wertvolle Zeit für Polemik vergeuden wollen, dann können Sie das tun. Ich lasse mich darauf nicht ein.
Meine Damen und Herren, ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß alles getan werden muß, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hunderttausend Arbeitslose, Arbeitslosengeldempfänger, machen etwa 3 Milliarden DM Ausgaben.
- Sie sagen vier; für meine Rechnung um so besser. Wenn Sie nämlich all das unterstützen, was wir jetzt auf den Weg bringen wollen,
Hans-Joachim Fuchtel
dann werden wir damit Arbeitslose in Arbeit bringen. Wenn es uns gelingt, hunderttausend in Arbeit zu bringen, dann sind das 4 Milliarden DM, die wir als Beitragszahler, als Steuerzahler nicht erbringen müssen. Und wenn es uns gelingt, zweihunderttausend in Arbeit zu bringen, dann haben wir schon eine Zahl erreicht, die einen Bundeszuschuß unnötig macht.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir sind auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank.
Nun gebe ich zu einer Kurzintervention das Wort der Abgeordneten Dr. Höll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als erstes, Herr Fuchtel, möchte ich strikt von mir weisen, was Sie mir unterstellen: Ich sei am Abend um 20 Uhr nicht mehr im Plenum. Wenn wir vergleichen, wer von uns beiden öfter und länger im Plenum ist, schlage ich Sie meilenweit.
Ich möchte nur daran erinnern, daß Dienstag abend von Ihrer Fraktion ganze vier Abgeordnete den Haushalt Post diskutiert haben, von der F.D.P. zwei, vom Bündnis 90/Die Grünen zwei, von der SPD vier und von der PDS vier Abgeordnete. Wenn ich dann die Größe unserer Gruppe mit der Größe Ihrer Fraktion vergleiche, dann frage ich mich wirklich, wer das Recht hat, den Mund aufzumachen.
Als zweites möchte ich fragen, ob ich Sie richtig verstanden habe, daß Sie in bezug auf diesen Haushalt von Transferleistungen für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern reden. Soweit ich den Bundeshaushalt kenne, sind die Leistungen, die gezahlt werden, in der Mehrzahl Leistungen, die auf Leistungsgesetzen beruhen, und keine Gnadenbrote, die die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern erhalten. Heißt das etwa, wir sind Bürger zweiter Klasse? Anders kann ich das nicht interpretieren; denn ich habe von Ihnen in diesem Hohen Hause noch nie gehört, daß Sie Regelleistungen, Rechtsansprüche von Bürgern und Bürgerinnen in den alten Bundesländern als Transferleistungen diskreditiert haben.
Ich möchte dazu sagen, Frau Kollegin Höll: Ich finde es nicht in Ordnung, daß wir uns gegenseitig hier Präsenzen oder Nicht-Präsenzen vorhalten. Wenn dieses Haus eine ganze Woche lang von morgens bis spät abends debattiert - und zwar ohne Pause -, dann finde ich es bemerkenswert, daß die Präsenz doch immerhin sehr beachtlich ist und daß wir wirklich nach Kräften versuchen, unsere Arbeit zu leisten.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Annelie Buntenbach.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Halbwertszeit von sogenannten Sparprogrammen dieser Regierung wird immer kürzer. Wenn Sie, Herr Blüm, vorhin gesagt haben, daß hier Chaosdiskussionen entstünden und daß das sehr schädlich sei, dann haben Sie völlig recht. Nur, haben Sie diesen Vorwurf eindeutig an die falsche Adresse gerichtet. Denn dieser Vorwurf muß eindeutig an die Regierungsfraktionen gerichtet werden.
Kaum liegt der Haushaltsentwurf vor, überschlagen sich die Pressemeldungen welche zusätzlichen Einschnitte in bezug auf die soziale Sicherung und die Arbeitsförderung noch nachgereicht werden sollen. Da schwadronieren die Haushälter der Regierungsfraktionen über das Ende der Arbeitsmarktpolitik - denn nichts anderes heißt es ja, wenn der Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit ganz gestrichen wird -, über das Vorziehen des AFRG, über ganz neue Maßnahmen, die sofort verabschiedet werden sollen. Sie bezeugen damit mangelnden Respekt vor diesem Parlament und vor dem Bundesrat; denn schon der Haushaltsentwurf basiert auf Gesetzen, die noch gar nicht verabschiedet sind, geschweige denn, daß irgend jemand ernstlich ihre Wirkung beziffern könnte.
Wie sehr diese Logik einer Politik ohne gesetzliche Grundlage nach unten durchschlägt, das zeigt sich, wenn die Bundesanstalt für Arbeit schon einmal im Vorgriff auf eine beabsichtigte gesetzliche Regelung die Höhe der Anschlußarbeitslosenhilfe kürzt. Ihre Prognosen, die dem Haushalt zugrunde liegen, sind unseriös. Aber das ist ja keine Ausnahme; das hat der Kollege Fuchtel vorhin für andere Bereiche auch zugegeben. Gerade hat Herr Waigel 12,5 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit und für die Arbeitslosenhilfe nachbewilligen müssen. Das haben wir aus den Reihen der Opposition Ihnen übrigens schon letztes Jahr vorausgesagt. Mit Ihrer Politik, die draußen niemand mehr durchschauen kann, verunsichern Sie die Betroffenen und demonstrieren die Konzeptionslosigkeit dieser Regierung.
Als am Wochenende wieder 250 000 Menschen gegen diese Politik auf die Straße gegangen sind, hat Herr Bohl gesagt, Demonstrationen würden keine Arbeitsplätze schaffen.
Dieser Satz verrät zwar auch ein fehlendes Verständnis für politische Kultur und belegt - genau wie die Ausführungen von Kanzler Kohl gestern - die Arroganz der Macht. Aber es stimmt natürlich: Durch Protestaktionen werden keine Arbeitsplätze geschaffen. Das ist auch gar nicht ihre Aufgabe.
Es wäre allerdings die zentrale Aufgabe der Regierung und müßte Ziel dieses Haushaltes sein, bei ei-
Annelie Buntenbach
nem historischen Höchststand von Arbeitslosigkeit Arbeitsplätze zu schaffen. Statt dessen demonstrieren Sie Konzeptionslosigkeit bei der Bekämpfung von Erwerbslosigkeit. Sie vertrösten die Menschen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, wenn es um Arbeitsplätze und sozial erträgliche Lebensbedingungen geht. Sie vertrösten sie auf den Tag, an dem Ihre Geschenke an Unternehmer und Besserverdienende sich endlich in Wachstum und Arbeitsplätzen auszahlen. Daß diese Rechnung nicht aufgeht, haben die letzten 14 Jahre, in denen Sie genau diese Politik betrieben haben, deutlich gezeigt - immer ist der Aufschwung am Arbeitsmarkt völlig vorbeigegangen und hat die Menschen auf der Straße stehengelassen; Unternehmensgewinne steigen, während gleichzeitig Massenentlassungen stattfinden. Neuer Armut steht neuer Reichtum gegenüber. Politikverdrossenheit und soziale Konflikte sind die zwangsläufige Folge dieser Politik.
Nun sagen Sie: Die Opposition kümmert sich ausschließlich um die Verteilung und nicht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Sie wissen genau, daß dieser Vorwurf völlig aus der Luft gegriffen ist; denn wir sind uns darin einig, daß neue Arbeitsplätze dringend her müssen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, verpassen doch die notwendigen Strukturveränderungen und Innovationen, zum Beispiel den ökologisch-sozialen Umbau, zum Beispiel die dringend nötige Einführung der Ökosteuer. Aber Sie können sich auch nicht vor der Frage der Verteilung drücken. Denn das können Sie nicht allein der Planwirtschaft überlassen und sagen: Hier ist dafür kein Platz. Das ist eine Armutserklärung und ein Versagen vor einer ganz zentralen Aufgabe. Denn die Verteilung von Reichtum, von Arbeit und von Zugangsmöglichkeiten zu sozialer Sicherheit in der Bundesrepublik ist zutiefst ungerecht.
Aber genau da wollen Sie nicht ansetzen; gegen wirklich zukunftsfähige Vorschläge sperren Sie sich. Eine Arbeitszeitverkürzung, die wir in großem Umfang brauchen, können Sie sich nicht einmal als Abbau von Überstunden zum Zweck von Neueinstellungen vorstellen.
Statt eine bedarfsorientierte Grundsicherung als Schutz vor Armut einzuführen, lassen Sie immer mehr Leute durch die Lücken der Sozialversicherungen fallen, die Sie mit jedem neuen Gesetz noch vergrößern. Statt der Flucht aus den Sozialversicherungen einen Riegel vorzuschieben und die sozialen Sicherungen für die Menschen wieder kalkulierbar zu machen, fördern Sie diese Flucht schon seit Jahren durch Ihre Deregulierungspolitik.
Der ungedeckte Wechsel auf eine rosige Zukunft, mit dem Sie versuchen, Zustimmung in der Bevölkerung zu mobilisieren, wird jetzt und auf der Stelle bezahlt, und zwar von den Erwerbslosen und denjenigen, die Sozialhilfe beziehen, von den unteren Einkommensgruppen, kurz: vom unteren Drittel.
Wenn Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, zu jedem neuen Waigel-Abgrund, der sich im Haushalt auftut, nichts anderes einfällt, als aus diesem schon völlig ausgewrungenen Einzelplan 11 weitere Mittel zu streichen, dann sagen Sie aber auch klar, daß genau das Ihre politische Linie ist, und geben Sie das nicht noch als sogenannten Sachzwang aus.
Schließlich nehmen Sie sich leider auch die Freiheit, auf zusätzliche Einnahmen für den Haushalt zu verzichten, zum Beispiel durch Besteuerung der Veräußerungsgewinne, Vermögen- und Erbschaftsteuer, Besteuerung von Flugbenzin.
Die Kürzung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Ost, wie im AFRG vorgesehen und im Haushalt eingestellt, ist für die fünf neuen Länder eine schlichte Katastrophe. Allein in Sachsen-Anhalt sind 17,2 Prozent Erwerbslose im August 1996 registriert; und wir alle wissen, daß die wirklichen Erwerbslosenzahlen erheblich höher liegen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sind mit Ihrer Wirtschafts- und Strukturpolitik Ost offensichtlich gescheitert. Gießkannensubventionen, die oft genug bei den Westkonzernen hängenbleiben, sind keine Lösung.
Solange die Arbeitslosigkeit so dramatisch hoch ist, sind besondere Anstrengungen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik absolut zwingend. Statt dessen wollen Sie in einer solchen Situation in Ostdeutschland in den nächsten Jahren noch zirka 300 000 Menschen zusätzlich in die Arbeitslosigkeit entlassen. Das ist absolut unverantwortlich.
Ich will die Probleme der Arbeitsmarktpolitik gerade im Osten gar nicht schönreden - neben vielen sinnreichen und interessanten Projekten läuft zweifellos einiges schief. Aber die entscheidende Frage ist doch, welche Konsequenzen man daraus zieht. Wir wollen, daß die Konzepte in der Arbeitsmarktpolitik verbessert werden. Sie wollen sie alternativlos streichen.
Sie behaupten, der zweite Arbeitsmarkt im Osten sei schuld daran, daß der erste nicht funktioniert. Sie wissen genau, daß das eine Umkehrung der Fakten ist. Im Bereich der sozialen Infrastruktur beispielsweise gibt es zur Zeit kaum einen ersten Arbeitsmarkt. Dauerhafte Aufgaben der öffentlichen Hand werden von den Kommunen, die viel zuwenig Geld haben, über Arbeitsmarktmittel finanziert, zum Beispiel in der Jugendarbeit und in der Altenbetreuung.
Wenn Sie die AB Ost so wie derzeit geplant zusammenstreichen, dann wird die soziale Infrastruktur in den Kommunen einbrechen. Das hat der DPWV ein-
Annelie Buntenbach
drucksvoll belegt. Er hat auch einen interessanten Vorschlag zur Abhilfe mitgeliefert, mit dem wir uns in den Ausschußberatungen gründlich auseinandersetzen sollten, nämlich weg von der schrägen Finanzierung über Arbeitsmarktmittel, die dann für andere Projekte der Arbeitsförderung frei würden, hin zu einer Finanzierung dieser dauerhaft erforderlichen Stellen über Steuermittel.
Wenn Sie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Ost so zusammenstreichen, wie Sie das zur Zeit vorhaben: Was meinen Sie damit eigentlich wirklich zu sparen? Die Menschen werden nicht im ersten Arbeitsmarkt unterkommen. Sie werden auch nicht nur ihrer Regierung zuliebe aufhören zu essen. Irgendwovon müssen Sie leben: Arbeitslosengeld? Arbeitslosenhilfe? Sozialhilfe?
Das, was Sie in diesem unsoliden Haushalt alles an Einsparungen kalkulieren, ist doch eine einzelbetriebliche Milchbubenrechnung. Was aus dem Bundeshaushalt nicht mehr bezahlt werden muß, muß entweder die Bundesanstalt für Arbeit bezahlen oder die Kommunen, die schon jetzt finanziell am Ende sind.
Ihre ganze sogenannte Arbeitslosenhilfereform ist ein glänzendes Beispiel für den Verschiebebahnhof von Kosten, den Sie veranstalten, weil Sie nicht willens und imstande sind, statt bornierter Kurzfristkalkulationen eine gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung in den Blick zu nehmen und daraus die vernünftigen Problemlösungen zu entwickeln.
Was Sie bei dieser Kostenschieberei kurzfristig allerdings einsparen, ist das, was Sie den Betroffenen durch die Kürzung der Leistungen direkt aus der Tasche ziehen. Zusätzlich überziehen Sie die Leute mit einer andauernden Mißbrauchsdebatte, mit ständig schärferen Kontrollen und Weiterdrehen an der Zumutbarkeitsschraube. Unter dem politischen Kampfbegriff „Mißbrauchsbekämpfung" haben Sie sogar Minderausgaben in Milliardenhöhe im Haushalt eingestellt, die komplett spekulativ sind und jeder sachlichen Grundlage entbehren.
Mit solchem Vorgehen bauen Sie Pappkameraden für die Stammtischdiskussionen auf.
Leider haben Sie wohl aus der Asyldebatte wenig gelernt. Bei zirka 7 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen ist doch nicht der Mißbrauch von Leistungen das Problem, sondern daß so viele gezwungen sind, sie zu gebrauchen.
Einen Etatposten habe ich bei der Durchsicht des Haushalts gefunden, der höher angesetzt ist. Das ist die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesarbeitsministeriums, deren Etat um 11 Millionen DM auf 34 Millionen DM erhöht worden ist.
Wenn Sie den Vandalismus, den die Regierung hier veranstaltet, Herr Minister Blüm, der Öffentlichkeit verkaufen wollen, werden Sie mit diesem Betrag kaum auskommen.
Ich gebe der Abgeordneten Dr. Gisela Babel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generaldebatte über den Haushalt 1997 hat das Thema Arbeitslosigkeit nach ganz vorn geschoben, als Wurzel für die Finanzprobleme des Bundeshaushalts und weil es ein bedrükkendes gesellschaftliches Problem darstellt.
Die Tatsache, daß beim Einzelplan 11 nach wie vor ein Drittel aller Ausgaben angesiedelt ist, wird oft als Zeichen dafür herangezogen, daß wir einen wohlausgestatteten Sozialstaat haben. Meine Damen und Herren, diesen haben wir auch. Aber in meinen Augen weist viel Geld im Sozialetat auch auf große Probleme hin. Ein plötzliches Absacken der zur Verfügung stehenden Mittel in diesem Bereich würde vielleicht zeigen, daß wir die Probleme gelöst hätten. Davon sind wir in der Tat noch weit entfernt.
Weit entfernt sind Regierung und Opposition von einer Übereinstimmung, wenn es gilt, Fragen zu beantworten: Woher kommt die hohe Arbeitslosigkeit? Wem ist sie anzulasten? Was ist zu tun? Darin, daß es mehrere, ineinandergreifende Ursachen für den Verlust von Arbeitsplätzen gibt, stimmen wir vielleicht überein. Aber die Opposition widerspricht hartnäckig - egal, ob es sich um die ehrwürdige alte SPD oder um die neue dynamische Fraktion Bündnis 90/Die Grünen handelt -, daß es die Kosten für die Arbeit sind. Sie sagen nicht, daß sie zu hoch sind, eher sind es Währungsprobleme oder unfähige Unternehmer. Ihr Lieblingsargument ist die falsche Finanzierung der Wiedervereinigung, die nämlich über Steuern statt über Beiträge hätte finanziert werden sollen.
Sie sagen aber nie, wie hoch die Steuerlast Ihrer Meinung nach sein müßte. Davor flüchten Sie.
In Deutschland gehen Arbeitsplätze nicht allein wegen der Arbeitskosten verloren, sie gehen zum Beispiel auch wegen der Dauer von Genehmigungsverfahren verloren. Wenn in Deutschland das Einholen einer Baugenehmigung für industrielle Produktionsstätten Jahre dauert und in den USA nach drei
Dr. Gisela Babel
Monaten erteilt wird, dann ist doch die Standortentscheidung klar.
- Versuchen Sie, solche Regelungen mit der SPD zu vereinfachen.
Sicher gehen Firmen auch ins Ausland, weil sie dort neue Märkte erobern können und weil sie die Währungsrisiken kleinhalten. Aber die hohen Arbeitskosten in Deutschland sind zumindest auch ein Grund für die Arbeitslosigkeit. Sie können doch einem Patienten, der an Grippe erkrankt ist, die Medikamente nicht mit der Begründung verweigern, er liege ja im Bett, weil er sich das Bein gebrochen hat.
Es sind die Arbeitskosten - Löhne und Lohnnebenkosten -, die wir senken müssen. Nur auf diese Weise lassen sich die Chancen im Wettbewerb verbessern. Dazu dienen nun einmal die Maßnahmen, die wir uns im Paket für Wachstum und Beschäftigung vorgenommen haben.
Diese Politik, die übrigens in anderen Ländern ähnlich, früher und effektiver durchgesetzt wurde, findet auch bei unseren Bürgern zumindest Verständnis. Ich will ja nicht erwarten, daß sie jubeln. Aber unsere Politik findet Verständnis.
Die SPD gaukelt den Leuten immer noch vor, es sei alles nicht nötig. Sie will zum Beispiel versicherungsfremde Leistungen, das Hoffnungsgebilde vieler Sozialpolitiker, aus der Arbeitslosenversicherung herausnehmen, in die Steuerfinanzierung hineinnehmen, natürlich durch den Bund, und die Steuern heraufsetzen. Sie will ein 150-Milliarden-DM-Beschäftigungsprogramm auflegen. Sie will alle Probleme mit Wohltaten lösen, nie den schmerzlichen Kaufpreis erörtern. Das ist eine Art politischer Zechprellerei.
Ohne Sparen und ohne Einschnitte ist das Ziel „Senkung der Arbeitskosten" nicht zu erreichen.
Den schlichtesten aller Vorschläge habe ich auf einem Transparent gelesen, das bei der Gewerkschaftsdemonstration im Sommer relativ lange über der Autobahn angebracht war - es ist wirklich von bewunderswerter Kürze -: „Reiche raus! "
Das ist wirklich wunderbar. Reiche raus, dann sind die Armen unter sich, und keiner stört. Das ist vielleicht der soziale Friede, der Ihnen vorschwebt. Ich dagegen würde sagen: Reiche rein! Das sind nämlich Investoren, die in Deutschland Arbeitsplätze schaffen können. Das sollten wir versuchen.
Ich würde mich mit dem Ruf anschließen: Reiche
hierbleiben!, damit sie nicht woanders hingehen und
unsere Arbeitsplätze verlorengehen. Ich habe kaum
die Hoffnung, daß Sie eine solche Forderung einmal auf Gewerkschaftstagungen vorbringen können.
Die Opposition hat zu dem erklärten Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, die hämische Bemerkung gemacht, das Gegenteil träfe doch derzeit zu. Ich gebe zu, Lohnnebenkosten steigen.
Aber wir wissen doch alle genau, die Pflegeversicherung mit ihren 0,7 Beitragspunkten für dieses Jahr ist dafür verantwortlich, daß wir diesen Anstieg haben. Ich habe von Sozialdemokraten noch nie gehört, daß sie bereit gewesen wären, die Pflegeversicherung zu verschieben, um diesen Anstieg zu verhindern.
Zweiter Punkt sind die Rentenversicherungen. Wir wissen, daß der finanzielle Druck in der Rentenversicherung durch das gigantische Maß der Frühverrentung hervorgerufen worden ist.
Das ist einer der wichtigsten Zahler der Arbeitslosenversicherung. Hätten wir also früher die Reform bei der Rentenversicherung einleiten müssen? Ich meine, ja. Aber die Opposition ist am wenigsten berechtigt, sich hier die Hände zu reiben. Die Kehrtwende ist jetzt beschlossen.
Die Frühverrentung wird gestoppt, die Altersgrenzen werden heraufgesetzt, die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten werden reformiert - alles Maßnahmen, die im Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung stehen. Diese Maßnahmen werden erst nach einer bestimmten Zeit wirken. Deswegen entsteht der Eindruck - gegen ihn möchte ich hier noch einmal ganz klar angehen -, wir würden permanent Sparmaßnahmen beschließen, die alle nicht wirken. Nein, meine Damen und Herren, die Maßnahmen, die wirken, sind erst am Freitag beschlossen und werden dann wirken. Das muß man hier ganz deutlich sagen, damit nicht von Ihnen ein Nebel ausgebreitet wird.
Ein Wort noch zur Besteuerung der Renten. Die F.D.P. möchte, daß Steuern gesenkt werden. Sie schließt sich dem Vorschlag und der Einschätzung der Bareis-Kommission an, daß das eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage voraussetzt. Dazu gehören auch Renten. Aber eines muß klar sein: Der Staat darf nicht zweimal zugreifen.
Dr. Gisela Babel
Wenn Beiträge aus versteuertem Einkommen gezahlt werden, darf der Staat nicht bei Renten noch einmal versteuern. Das verschmälert also den Zugriffsraum, der bei den Renten überhaupt vorhanden ist. Beiträge werden heute noch größtenteils aus versteuertem Geld bezahlt. Eine Reform, die das berücksichtigt, muß den Grundsatz des Vertrauensschutzes natürlich wahren, das will ich hier noch einmal sagen.
Zu den Einsparungen bei ABM. Ich bin der Meinung, daß wir weniger daran denken sollten, die Zahl derer, deren Beschäftigung im Osten heute über eine ABM abgesichert ist, zu verringern. In der Tat sehe ich, daß wir dies, solange wir nicht reelle Chancen für Beschäftigung geschaffen haben, nicht können. Aber bei der Frage der Bezahlung der AB-Maßnahmen bin ich in der Tat der Meinung, daß wir uns umorientieren sollten. Heute sind die AB-Maßnahmen an Tariflöhne geknüpft. Tariflöhne haben mit der Realität im Osten nichts mehr zu tun. Auch das wissen Sie. Die meisten Beschäftigten haben einen unter Tarif gezahlten Lohn. Es ist nicht einsehbar, daß dieser unter Tarif gezahlte Lohn den Anreiz, in einer ABM zu verharren, verstärkt. Es muß hier eine Umkehr dahin gehend stattfinden, daß eine AB-Maßnahme einen Abstand zu dem gezahlten Lohn hat, der heute in den neuen Bundesländern Realität wird.
Meine Damen und Herren, mir ist klar, daß wir damit das Thema des Flächentarifvertrags mit aufwerfen. Die Tarifpartner müssen begreifen, daß sie einen Flächentarif nur dann retten können, wenn sie ihn flexibel ausgestalten, wenn sie den Betrieben gewisse Möglichkeiten geben.
- Ich habe diesen wunderbaren Prozeß gegen Vissmann im eigenen Wahlkreis miterlebt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es so ist, daß rechtswidrig handelt, wer für eine Belegschaft die Arbeitsplätze sichert, haben wir ein sehr seltsames Verständnis von solchen Bindungen.
Jeder Arbeitsplatzbesitzende ist ein potentieller Arbeitsloser. Ich glaube, das wird mittlerweile begriffen. Wir wollen in den Verträgen Arbeitsplätze sichern, aber sie nicht gefährden.
Ich darf resümieren: Die SPD hat sich als eine Partei dargestellt, die dem Volk vorgaukelt, es müsse nicht sparen, es brauchte keine Einschnitte zu geben.
Man müsse nur über Steuern, die irgendwelche Reichen zahlen, entsprechende Finanzierung bereitstellen, um Beschäftigungsprogramme zu finanzieren.
Bei den Grünen, die sich zumindest vom Alter her dynamischer geben, sehe ich überhaupt keinen Ansatz, daß sie sich den Reformanforderungen unserer Gesellschaft stellen.
Sie sehen das ja bei der Ladenschlußdebatte - für mich ein Zeichen, daß sich die Grünen geradezu als Ladenhüter der verkrusteten Gesellschaft gerieren, anstatt daß sie sich für neue Forderungen öffnen.
Wenn ich für die Regierung und die Koalition vielleicht nicht behaupten kann, daß wir die Probleme alle gelöst haben; aber ich bin tief durchdrungen davon, daß nur wir die richtigen Wege weisen.
Ich bedanke mich.
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.
Frau Kollegin Babel, nur weil Sie die uneingeschränkte Konsumfreiheit für modern erklären, muß das ja noch nicht heißen, daß dies der einzige Weg in die Zukunft ist.
Ich habe diese Kurzintervention angemeldet, um folgendes zum Ausdruck zu bringen: Sie haben gerade angesprochen, daß in diese Debatte um die Besteuerung der Renten Klarheit gehört. Da folge ich Ihnen. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß es unter keinen Umständen eine Doppelbesteuerung geben darf. Sie haben allerdings auch gesagt, das Ziel der F.D.P. sei es, die Steuern zu senken.
Ich finde, wir sollten endlich alle anfangen, klar darüber zu reden, wie kompliziert das mit der Steuerreform wird. Wenn man eine Idee wie die der BareisKommission verwirklichen möchte, nämlich die Vorsorgeaufwendungen, also die Beiträge sowohl für die gesetzliche als auch für die private Rentenversicherung, in stärkerem Maß steuerlich freizustellen, als das heute der Fall ist, dann kostet das mehr Geld in der Form von Steuereinnahmeausfällen. Das heißt, das Problem der Steuerreform wird damit zunächst einmal größer. Denn gerade dann, wenn man keine Doppelbesteuerung will, braucht man einen sehr langen Übergangszeitraum, bis man die Erträge aus den steuerfreien Vorsorgeaufwendungen besteuern darf.
Weder die Bareis-Kommission noch der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums, der vor zehn Jahren diese Idee entwickelt hat, haben eine präzise Darstellung darüber gegeben, wie dieser Übergangszeitraum aussehen kann, wie lange er beschaffen sein muß usw. Das würde vermutlich über ein langsames Ansteigen des Ertragsanteils der
Andrea Fischer
Renten, der zu besteuern ist, funktionieren. Über den Zeitraum herrscht meiner Kenntnis nach unter allen Fachleuten völlige Unklarheit.
Ich weise jetzt noch einmal darauf hin, weil mich das Ganze wirklich ärgert. Ich halte Ihren Vorschlag, wie er gemacht worden ist, steuersystematisch für sinnvoll und richtig. Aber er hat in der Umsetzung unglaublich viele Tücken. Das sollte man in aller Klarheit sagen. So wie das Thema der Rentenbesteuerung in den letzten Tagen durch die Presse gejagt wurde, werden wir nie dazu kommen, das Ganze vernünftig zu debattieren und zu überlegen: Wie könnte man das machen? Wie taugt es etwas? Wie ist es zukunftsweisend? Aus diesem Grund wollte ich noch einmal darauf hinweisen, wo meines Erachtens der Teufel im Detail steckt und worüber es sich lohnen würde zu reden.
Frau Dr. Babel, Sie können darauf antworten.
Frau Kollegin Fischer, ich stimme Ihnen zu, daß die Debatte mehr laut als fachlich geführt wurde. Wir Sozialpolitiker stöhnen manchmal über die Frische, welche die der Sozialpolitik etwas ferne stehenden Politiker mit ihren Vorschlägen in die Debatte einbringen.
Zur Aufklärung möchte ich folgendes sagen: Auf der einen Seite muß man den auf Vertrauensschutz und auf steuerlichen Voraussetzungen beruhenden Tatbestand berücksichtigen, daß man Rentenbeiträge nicht voll von der Steuer absetzen konnte. Auf der anderen Seite wissen Sie auch, daß zumindest der Ertragsanteil nicht alles abdeckt. In diesem Bereich besteht aber schon heute ein gewisser Spielraum, und damit ist die Möglichkeit gegeben - nehmen Sie einmal den Beitrag, den die Arbeitgeber zur Rentenversicherung zahlen -, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern.
Obwohl wir eine Rentenkommission haben - ich hoffe, daß die Grünen und die SPD bald ihre Vertreter dorthin entsenden werden -, die ja auch arbeiten soll, will ich die Grundsätze noch einmal bekräftigen. Wir sollten an dem Grundsatz festhalten, daß die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage richtig und geboten ist. Der Gesetzgeber kann aber nicht von jetzt auf gleich daran etwas ändern. Es muß bei dem Grundsatz bleiben: Der Staat darf nicht zweimal zulangen. Wenn wir uns darin einig sind, dann haben wir durch diese Gemeinsamkeit den Grundstock für dieses große Werk gelegt.
Ich bedanke mich.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Blüm, wenn Sie als Sozialminister dieses Landes das Sparpaket hier und heute als Arbeitsplatzpaket bezeichnen, dann frage ich mich in der Tat, ob Sie in den vergangenen Wochen und Monaten mit geschlossenen Augen durch das Land gezogen sind. Ich jedenfalls empfehle Ihnen, ebenso den Kolleginnen und Kollegen in der Koalition, bis zur morgigen Abstimmung noch einmal die Lektüre der Titelgeschichte des Magazins der „Süddeutschen Zeitung" vom 6. September 1996 mit dem Titel „Die Sparschweine". Dieser Leitartikel bringt es auf den Punkt: Ausgerechnet diejenigen, die arm dran sind, sollen Opfer bringen. Frau Kollegin Babel, die darin exemplarisch aufgeführten 35 Schicksale haben eben nicht mehr viel mit einem „wohlausgestalteten Sozialstaat" zu tun, den Sie vorhin zitiert haben.
Der Haushalt für den Bereich Arbeit und Sozialordnung ist in der Tat ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Es gibt keinen, aber auch wirklich keinen vernünftigen Grund anzunehmen, daß die Bundesanstalt für Arbeit 1997 keinen Zuschuß benötigt. Bei der Rentenversicherung wird der zwar große Brokken an Zuschuß das Loch in den Rentenkassen nicht stopfen helfen. Das Verhältnis von Arbeitsförderung und Zuschuß an die Rentenversicherung ist von einem ständigen Verschieben zwischen den Kassen geprägt. Schließlich wird auf weitere Sparmaßnahmen gebaut, für die es noch nicht einmal Gesetzentwürfe gibt. Wer die letzten Tage die Nachrichten verfolgt hat, der konnte erfahren, daß es Ankündigungen weiterer Sparmaßnahmen in Hülle und Fülle gab.
Mit untauglichen Mitteln versuchen Sie der Probleme Herr zu werden und treiben tatsächlich nur mit unlauteren Prinzipien die Polarisierung von Arm und Reich weiter voran. Wir werden das nicht widerspruchslos und alternativlos hinnehmen.
Unübersehbar steigt die Arbeitslosigkeit; die Massenarbeitslosigkeit verfestigt sich. Aber allein in den letzten beiden Jahren reduzierten Sie die Zuschüsse für die Arbeitsförderung um fast 40 Prozent. Das ist doch völlig unrealistisch. Schon 1995 reichte der Ansatz hier nicht aus. Vorgestern wurde verkündet, daß der Ansatz für 1996 um 12,5 Milliarden DM zusätzlich aufgestockt werden muß.
Wenn Sie jetzt im Plan für 1997 den Bundeszuschuß auf Null reduzieren und das auch durchhalten wollen, können Sie nur weitere Eingriffe in den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit planen. Die sind - ohne gesetzliche Neuregelungen - nicht bei den Muß-Leistungen sondern nur bei den Kann-Leistungen möglich, zu denen vorrangig die Arbeitsmarktförderung gehört.
Ihr Vorhaben, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Ost auf Westniveau zu senken, sind bekanntlich seit Wochen in aller Munde. Kommunen, Länder, Gewerkschaften, Verbände und Kirchen weisen besorgt darauf hin, welcher Kahlschlag in der ostdeutschen -
Petra Bläss
vor allem in der sozialen - Infrastruktur erfolgen
würde, wenn die Mittel hier zurückgefahren würden.
Der DGB Sachsen-Anhalts - bekanntlich das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote, trotz 66 geförderter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen pro hundert Arbeitslose - spricht zu Recht davon, daß damit eine arbeitsmarktpolitische Katastrophe vorprogrammiert ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann sind wir in einer ziemlich katastrophalen Lage. Dann werden in einigen Regionen auch statistisch die Arbeitslosenzahlen bei 30 Prozent sein. Und was genauso schlimm ist, daß dann eine ganze Reihe von wichtigen Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden - von den Sanierungen angefangen bis in den sozialen Bereich.
Sie wissen es doch aus Ihren eigenen Wahlkreisen: Kommunale Gleichstellungsbeauftragte verweisen allerorten darauf, daß der zweite Arbeitsmarkt für viele Frauen tatsächlich die letzte Hoffnung ist.
Meine Damen und Herren, die Ostdeutschen aufzufordern, ihre Ansprüche zu verringern, wie es BDI-
Präsident Henkel gestern getan hat, halte ich angesichts dieser Situation für skandalös. Aus eigenen Mitteln konnten und können die ostdeutschen Kommunen soziokulturelle Regelaufgaben nicht finanzieren. Das geht bereits auf das Versäumnis im Einigungsvertrag zurück, hier keine Starthilfe und keine Sonderregelungen vorgesehen zu haben.
Das indirekt eingestehend, erging 1991 seitens der Bundesregierung die ausdrückliche Aufforderung, die Infrastruktur über ABM abzusichern. An der Finanzsituation der Kommunen in den neuen Bundesländern hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Die vorgesehene Kürzung der Arbeitsmarktförderung Ost um 1,7 Milliarden DM würde daher verheerend wirken.
Deshalb wird die PDS bei den Haushaltsberatungen die Einrichtung eines Bundesfonds zur Bezuschussung von soziokulturellen Regelaufgaben in ostdeutschen Kommunen vorschlagen, der mit den 3,6 Milliarden DM gespeist werden soll, auf die die Bundesregierung im Jahressteuergesetz 1997 durch den Abbau des Solidaritätszuschlages verzichten will. Damit greifen wir einen Vorschlag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes auf.
Mit Hilfe dieses Fonds könnte die Regelfinanzierung von bis zu 80 000 Personalstellen bis zu einer durchgreifenden Reform der Gemeindefinanzen gesichert werden. Die Regelfinanzierung ist unabdingbar für eine Verstetigung der soziokulturellen Dienste.
Ein großes Manko ist doch der derzeit auf Grund der Zuweisungsbedingungen notwendige ständige Personalwechsel. Mit großer Mühe haben sich ABM-Kräfte fachlich und sozial qualifiziert und haben Betreute und Beratene gerade Vertrauen gefaßt - und nach einem Jahr ist wieder alles vorbei.
Wir halten den Vorschlag der Einrichtung eines Bundesfonds für eine brauchbare Alternative. Ich sage nur: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Unseriös im Haushaltsentwurf ist das Herangehen an die Arbeitslosenhilfe. Es wird von unrealistischen Prognosen des Leistungsbezugs ausgegangen. Es werden Maßnahmen einkalkuliert, für die es noch keine gesetzlichen Grundlagen gibt. Geht man von der zum Zeitpunkt der Beschlußfassung geltenden Rechtslage und von den verfügbaren Angaben über die Entwicklung der Zahl der Bezieherinnen und Bezieher aus, müßten sage und schreibe 6,3 Milliarden DM mehr eingestellt werden, als es im Entwurf von Herrn Waigel vorgesehen ist.
Betrachtet man die Kürzungen im durchschnittlichen Auszahlbetrag der Arbeitslosenhilfe, so ist im Osten das Abschieben auf eine ergänzende Sozialhilfe - und das sind wieder Kosten für die Kommunen - deutlich sichtbar. Auf 793 DM soll er gesenkt werden, und das bei steigenden Preisen, Mieten und Tarifen. Herr Minister Blüm, das genau sind die „menschlichen Schicksale", von denen Sie sprachen.
Die mißliche Lage in der Rentenversicherung ist vor allem durch den Zustand des Arbeitsmarktes und die Beschäftigungspolitik bestimmt. Der Bundeszuschuß für die gesetzliche Rentenversicherung ist zwar mit 67,8 Milliarden DM der größte Brocken dieses Bereichs und erfährt fast als einziger eine Steigerung gegenüber 1996. Das Milliardenloch in den Rentenkassen aber wird damit nicht zu stopfen sein. Ursache dafür ist, daß der Zuschuß von den Arbeitsmarktbedingungen völlig abgekoppelt ist. Er folgt allein der Entwicklung der Nettolöhne und -gehäiter.
Wir meinen, Herr Blüm sollte in seiner Rentenkommission nicht über weitere Kürzungen der Leistungen nachdenken, sondern neue Finanzierungsquellen für die Kassen suchen. Wir könnten uns vorstellen, die lohnsummenbezogenen Arbeitgeberbeiträge durch eine Bruttowertschöpfung zu ergänzen und jedes Einkommen beitragspflichtig zu machen.
Auch die Beitragsbemessungsgrenze könnte bei degressiv wachsenden Leistungsansprüchen angehoben werden. Das ermöglichte eine wirkliche Reform der Altersbezüge, sozial gerecht und existenzsichernd.
Meine Damen und Herren, um ganze 100 Millionen DM zu sparen - ein Klacks im Bundeshaushalt -, wollen Sie Tausende von Rentnerinnen in den neuen Bundesländern in eine verzweifelte Situation stürzen. Obwohl die Bundesregierung ihren Part, das Frauenrentenrecht ab 1997 zu verbessern, nicht erfüllt hat, stellt sie planmäßig die Zahlung der Sozialzuschläge per 31. Dezember 1996 ein. Es handelt sich wohlgemerkt um Renten, die auf ganze 674 DM aufgestockt wurden.
Petra Bläss
Es muß unbedingt verhindert werden, daß im Dezember über 80 000 Rentnerinnen Mitteilungen über Rentenkürzungen von bis zu mehreren hundert Mark erhalten.
Deshalb fordern wir die Beibehaltung des Sozialzuschlages, besser noch seine Anwendung in Ost und West. Denn auch in den alten Bundesländern sind die Hoffnungen Tausender auf ein neues, verbessertes Frauenrentenrecht enttäuscht worden.
Ich komme zum Schluß. Insgesamt wird deutlich, daß der Bundeshaushalt zu Lasten von abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentnern sowie Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern saniert werden soll. Im übrigen straft der Haushaltsentwurf all diejenigen Lügen, die behauptet haben, daß das Sparpaket der Höhepunkt notwendiger sozialer Einschnitte sei. Der Haushaltsentwurf beweist, daß der Sozialraubbau hierzulande weitergeht.
Wir meinen, das Maß an sozialer Kälte ist voll. Eine menschliche Zukunft - Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nehmen diesen Begriff ja immer für sich in Anspruch - wird es nur geben, wenn endlich begonnen wird, den vorhandenen Reichtum von oben nach unten umzuverteilen. Beginnen Sie damit mit dem Jahressteuergesetz 1997. Lassen Sie morgen von den Spargesetzen ab, und legen Sie so schnell wie möglich einen seriösen und vor allem sozial gerechten Bundeshaushaltsentwurf für das Jahr 1997 vor.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Konstanze Wegner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den sozialpolitischen Informationen, die die Bundesregierung herausgibt, hat sich der Bundesarbeitsminister selbst gelobt und sich bescheinigt, er habe einen Haushalt der Konsolidierung und der zukunftsorientierten Arbeitsplätze vorgelegt.
In Wahrheit gleicht dieser Haushalt einem Schweizer Käse: Er ist groß, er ist schwer verdaulich, und er hat lauter Löcher.
Es ist ein Haushalt des Sozialabbaus und der ungedeckten Haushaltsrisiken.
Ich will mich bei meiner kurzen Rede auf diesen zweiten Aspekt der Risiken beschränken. Zu den sozialpolitischen Auswirkungen hat mein Kollege Ottmar Schreiner bereits das Notwendige gesagt.
Die Einsparvorgaben der diversen sozialpolitischen Kürzungsgesetze haben in diesem Haushaltsentwurf eine tiefe Spur hinterlassen. Es geht um das Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz, um das sogenannte Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung und schließlich um das sogenannte ArbeitsförderungsReformgesetz. Man muß sagen: In der Semantik ist diese Koalition wirklich Spitze. Es gilt eigentlich die Faustregel: Je mieser der Inhalt eines Gesetzes ist, desto wohlklingender ist der Titel.
Viele der in diesen Gesetzen vorgesehenen Einsparungen sind jedoch in sozialpolitischer Hinsicht hochproblematisch, weil sie denen, die in unserer Gesellschaft ohnehin nur wenig haben, weitere Kürzungen abverlangen. Viele der vorgesehenen Einsparungen sind haushaltspolitisch unsolide, weil sie sich nämlich in der vorgesehenen Form gar nicht realisieren lassen werden. Viele dieser sogenannten Einsparungen sind in Wahrheit gar keine echten Einsparungen, sondern es sind lediglich Verschiebungen von Lasten von einer Ebene auf die andere, im wesentlichen vom Bund auf die Länder und vor allem auf die Kommunen.
Ich möchte meine These vom Schweizer-KäseHaushalt an einigen Beispielen erläutern. Bei der Arbeitslosenhilfe geht die Regierung für 1997 von einem realen Bedarf von 21,8 Milliarden DM aus. Das ist mit Sicherheit noch zu niedrig geschätzt. Sie hat jedoch lediglich 16,5 Milliarden DM veranschlagt. 5,3 Milliarden DM sollen durch diverse Einsparungen erbracht werden. Darunter befinden sich aber auch Luftbuchungen, wie zum Beispiel 0,9 Milliarden DM durch verschärfte Vermögensprüfungen und 0,9 Milliarden DM Sonstiges an Einsparungen beim Arbeitsförderungs-Reformgesetz.
Wenn man nun berücksichtigt, daß die Arbeitslosigkeit nach den eigenen Schätzungen der Regierung 1997 leider auf dem gleichen Niveau wie 1996 verharren wird, wenn man bedenkt, daß der geplante Kahlschlag der ABM-Maßnahmen im Osten letztlich nur zu vermehrten Ausgaben auch wieder bei der Arbeitslosenhilfe und schließlich durch ergänzende Sozialhilfe bei den Kommunen führen wird, und wenn man schließlich berücksichtigt, daß der Finanzminister gerade bei dem Ansatz für 1996 5,5 Milliarden DM zum Nachbessern über den Tisch schieben mußte, dann wird deutlich, daß hier ein Haushaltsloch von mindestens 3 Milliarden DM klafft.
Noch größer ist das Haushaltsrisiko bei der Bundesanstalt für Arbeit. Dort hat die Regierung unverdrossen einen Zuschuß von 0 DM veranschlagt, wegen - ich zitiere - „geringeren Bedarfs",
wie es in den Erläuterungen so schön heißt. Ich glaube, angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt ist das der Gipfel des Zynismus.
Die Bundesanstalt für Arbeit soll im Jahre 1997 nun 7,5 bis 8 Milliarden DM einsparen. Täglich hört man vor allem aus den Reihen der F.D.P., daß neue Einsparungswünsche und Forderungen nachgeschoben werden.
Dr. Konstanze Wegner
Ich habe allmählich den Eindruck, daß in der Koalition eine Abneigung oder eine Art Haß auf die Bundesanstalt für Arbeit herrscht.
Sie haben ganz vergessen, daß Ihr Kollege Jagoda, den ich sehr schätze, dort an der Spitze steht. Ich erinnere nur einmal an die unqualifizierten Attacken, die in der Sommerpause von Herrn Glos gegen die Bundesanstalt erhoben worden sind. Damit sollten Sie sich vielleicht einmal beschäftigen.
Unter den nun von der Bundesanstalt für Arbeit verlangten Einsparungen finden sich wiederum reine Luftbuchungen, z. B. 0,7 Milliarden DM durch die Frühverrentung und 0,5 Milliarden DM durch verstärktes Eintreiben von Rückständen. Für 1996 hat der Finanzminister bereits 7 Milliarden DM zu den veranschlagten 4,3 Milliarden DM nachschieben müssen. Das Gesamtdefizit der Bundesanstalt für Arbeit wird in diesem Jahr bei 12 bis 13 Milliarden DM liegen.
Auch hier liegt wieder die gleiche Situation wie bei der Arbeitslosenhilfe vor: Die Zahl der Arbeitslosen wird nicht sinken. Deshalb kann ich nur sagen: Der Versuch, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu setzen, ist entweder bewußte Täuschung oder reine politische Gesundbeterei.
Das dritte dicke Haushaltsloch im Schweizer Käse droht bei der Rentenversicherung. Die Bundesregierung erzählt uns unverdrossen, sich selbst und der Öffentlichkeit, sie würde in diesem Jahr mit einem Rentenbeitrag von 19,9 Prozent auskommen.
- Ja, 20 ist die magische Zahl, die der F.D.P. wegen nicht überschritten werden darf.
- Also, Frau Babel, ich habe noch genau im Ohr, wie Sie gesagt haben, das ist die magische Grenze.
Der Verband der Rentenversicherer hat nun wiederholt dazu Stellung genommen und hat davor gewarnt, einen aus politischen Gründen zu niedrig angesetzten Rentenbeitrag zu erheben. Er hält 20,1 oder 20,2 Prozent für notwendig. Es werden auch höhere Zahlen von bis zu 20,5 Prozent genannt.
Haushaltspolitisch muß man aber darauf hinweisen: Steigt der Beitragssatz, dann muß nach der Rentenformel auch der Bundeszuschuß steigen. Das heißt, ein Beitrag von 20,2 Prozent würde bereits eine knappe Milliarde DM an Bundeszuschuß erfordern.
Der Blüm-Haushalt hat jedoch noch weitere Löcher. Im Bereich der Kriegsopferversorgung und der Kriegsopferfürsorge wurden in Ostdeutschland weit mehr Anträge gestellt als erwartet. Ob die veranschlagten Mittel jetzt ausreichen werden, um das zu decken, bleibt abzuwarten.
So kommt man zu dem Fazit, daß überall in diesem Haushalt mit überzogenem Einsparvolumen und mit Luftbuchungen gerechnet wird.
Nur in einem Bereich hat das Haus Blüm nicht gespart, sondern sich kräftig weitere Ausgaben bewilligt: Das ist der beliebte Etat für Öffentlichkeitsarbeit.
11 Millionen stehen gegenüber 1996 mehr im Haushalt. Insgesamt hat er nun für seine teilweise durchaus nützlichen, teilweise völlig überflüssigen Aufklärungsschriften und Bildchen 44 Millionen DM zur Verfügung.
- 44 Millionen DM insgesamt, man muß ja noch die anderen Titel dazuaddieren.
In den Erläuterungen dazu heißt es ganz treuherzig, angesichts der zahlreichen gesetzespolitischen Änderungen im Sozialbereich sei die Regierung doch zu „aktueller Aufklärungsarbeit" verpflichtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushaltsentwurf des Bundesarbeitsministeriums spricht dem Prinzip der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit Hohn.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundesarbeitsminister selbst mit Überzeugung hinter seinem Entwurf steht. Er trägt die Handschrift des Finanzministers - der natürlich nicht da ist; ich sehe auch seine Staatssekretärin nicht.
- Ist sie da? Also gut.
Wer die haushaltspolitische Wahrheit in dieser Weise verkleistert, kann nicht erwarten, daß die Menschen in diesem Land den Ernst der haushaltspolitischen Lage erkennen.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns heute am vorletzten Tag der Haushaltsdebatte und jetzt am Ende der sozialpolitischen Debatte einmal überlegen, worüber hier im Plenum gesprochen worden ist, dann sollten wir uns fragen, ob wir überhaupt noch im Rahmen der Realitäten diskutieren. Uns wird von
Karl-Josef Laumann
der Opposition vorgeworfen, wir seien dabei, eine sozialpolitische Steinzeit einzuläuten. Es ist die Rede davon, der Sozialstaat werde von uns zertrümmert.
Während in diesem Sommer die Diskussion auch über diese Fragen - von Ihnen geführt, was ich parteipolitisch durchaus verstehen kann - in vollem Gange war, wurde in diesem Land die zweite Stufe der Pflegeversicherung in Kraft gesetzt, was bedeutet, daß alle Menschen, die sich in stationärer Pflege befinden, zum Beispiel in der Pflegestufe 3 2 800 DM bekommen.
Ist das eigentlich nichts? Warum reden wir den Sozialstaat eigentlich so herunter?
Ein weiteres Problem ist der Kündigungsschutz, der jetzt auch in der Auseinandersetzung über das Sparpaket eine Rolle spielt. In diesem Sparpaket gibt es sicherlich den ein oder anderen Punkt, über den man politisch streiten und verschiedener Meinung sein kann. Ich sage ganz klar: Wenn wir den Kündigungsschutz verändern, dann tun wir das, weil wir hoffen, daß das zu mehr Einstellungen führt. Jetzt sind auch die Arbeitgeber an der Reihe, zu beweisen -- ich sage das ganz deutlich -, daß sie diese neuen Instrumente nutzen. Ansonsten können wir uns das sparen.
Bei anderen Problemen - etwa den Veränderungen beim Vorruhestand und der Verlängerung der Lebensarbeitszeit in der Rentenversicherung - wissen wir alle, die etwas rechnen gelernt und sich hier in diesem Hause einen gesunden Menschenverstand bewahrt haben,
sehr wohl, daß überhaupt kein Weg daran vorbeiführt. Wir wissen doch, daß die Rentenversicherung alleine durch die Vorruhestandsregelungen des Jahres 1995 mit 300 000 Fällen in der Zeitachse 60 bis 63 Jahre in einer Höhe von 14 Milliarden DM belastet wird. Das heißt, daß die Arbeitsplätze allein für den Vorruhestand des Jahres 1995 mit einem Prozent belastet werden.
Einige Mitglieder der SPD haben deshalb im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in dieser Frage nicht gegen uns gestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. Denn das sind vernünftige Leute. Sie haben eingesehen, daß es hierzu keine Alternative gibt.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Ja.
Herr Kollege Laumann, ist Ihnen bekannt, daß die eben von Ihnen zitierten Zahlen über den Vorruhestand in der Vergangenheit zu über zwei Drittel in Ostdeutschland festzustellen waren und daß dies von der Bundesregierung und auch von uns ausdrücklich so gewollt war, um auf dieser Ebene den Arbeitsmarkt in Ostdeutschland zu entlasten?
Herr Kollege Schreiner, für die Rentenversicherung ist es ziemlich egal, ob der Vorruhestand in Dresden oder im Ruhrgebiet stattfindet. Wir müssen es zahlen. Ich glaube, wir wissen beide sehr genau, daß es sich die Rentenversicherung nicht leisten kann und sie nicht dadurch finanzierbar ist, daß die Menschen immer später zu Beitragszahlern werden - zum Beispiel wegen der Verlängerung der Schul- und Ausbildungszeiten - und auf der anderen Seite eher in den Ruhestand gehen. Wir wissen doch alle, daß das nicht gutgeht.
Alle vernünftigen Leute in der Sozialpolitik wissen deswegen, daß wir Schritt für Schritt zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit kommen müssen.
Natürlich ist in Ostdeutschland das Instrument des Vorruhestandes bei der Umstrukturierung genutzt worden - ohne Frage -, wie es auch im Westen genutzt worden ist.
- Herr Schreiner, ich rede gar nicht von Mißbrauch. Wenn die Gesetze es zulassen, so etwas zu machen, wie es beim Vorruhestand bis jetzt möglich ist, dann ist das kein Mißbrauch. Dann werden Gesetze angewandt, die wir hier beschlossen haben. Sie werden gebraucht.
Aber der Gesetzgeber - Sie haben sich als SPD im Ausschuß in dieser Frage teilweise enthalten, darum können wir nicht ganz unrecht haben - hat hier zu korrigieren, weil wir sonst zu Rentenversicherungsbeiträgen kommen, die von den Leuten nicht mehr zu bezahlen sind.
Ich will ein anderes Beispiel nennen, das ich mir gestern für meine Rede heute besorgt habe: Wenn ein lediger Arbeitnehmer 3 800 DM brutto verdient, dann bekommt er noch ganze 2 150 DM ausgezahlt.
Das ist die Wahrheit. Und dann höre ich hier in der ganzen Haushaltsdebatte von der Opposition nur: Hier müssen Leistungen ausgedehnt werden, dort müssen Leistungen ausgedehnt werden. Sie erzählen zwar draußen den Leuten, das würden irgendwelche anonymen Leute zahlen, aber die Wahrheit ist: Das Geld ist immer von der breiten Masse zu brin-
Karl-Josef Laumann
gen gewesen, und das wird sich weder bei Ihnen noch bei uns ändern. Das ist einfach die Realität.
Ich bin es leid, daß wir den normalen Arbeitnehmer weiterhin so über Gebühr belasten.
Deswegen bin ich der Meinung, daß das, was wir morgen hier beschließen werden - es macht auch mir keinen Spaß -, alles in allem schlicht und ergreifend eine Notwendigkeit ist.
Herr Laumann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Laumann, wenn wir hier ehrlich miteinander umgehen, wollen Sie dann nicht zugeben - über die Größenordnung können wir streiten -, daß die Lohnnebenkosten gerade deswegen so enorm gestiegen sind, weil Sie Dinge, die eigentlich über allgemeine Steuermittel finanziert werden müßten, in Ostdeutschland in die Sozialversicherung hineingeschoben haben?
Zweitens, unabhängig von der Frage der Kausalität: Wenn hier mehrere Redner - ich am Dienstag, meine Kollegen gestern - vorgeschlagen haben, laßt uns die Lohnnebenkosten senken und dafür, weil wir ja nicht in höhere Schulden hineingehen können, die Kosten der Energie maßvoll verteuern - Stichwort: ökologische Steuerreform -, sind Sie dann nicht mit mir der Ansicht, daß Sie vielleicht dagegen sein können, daß Sie aber nicht immer behaupten können, wir hätten keine Vorschläge gemacht?
Frau Matthäus-Maier, es ist nach meiner Überzeugung völlig klar, daß wir mit den Sozialversicherungen, insbesondere mit der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung, beitragsfinanziert eine gesamtstaatliche Aufgabe zu erfüllen haben. Man kann jetzt darüber streiten, was gesamtstaatliche Aufgaben sind. Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Darüber, wie man das überhaupt definiert, sollten wir uns auch einmal in den Fraktionen unterhalten. Dann wären wir schon einen Schritt weiter.
Wenn jemand sagt, die beitragsfreie Mitversicherung der Mutter, die zu Hause bei den Kindern ist, in der Krankenkasse sei eine beitragsfremde Leistung, dann bin ich da anderer Meinung. Es gibt Leute, die das durchaus auch als gesamtstaatliche Aufgabe sehen. Das müssen wir also erst einmal klar ordnen.
Natürlich gehört zu dieser Diskussion auch, daß wir - Gott sei Dank - bei der Rentenreform 1992 vereinbart haben, daß 20 Prozent der Rentenzahlungen aus dem Bundeshaushalt kommen. Es sind rund 76 Milliarden DM, die aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse transferiert werden. Diese Zahl gehört ebenfalls mit zur Wahrheit dazu.
Ich bin schon der Meinung, daß es auch Dinge gibt, die wir Schritt für Schritt in einer staatlichen Finanzierung ausbauen müssen und die wir nicht dem Beitragszahler auferlegen können, weil dadurch menschliche Arbeit immer teurer wird.
Das müssen wir Schritt für Schritt tun.
Wir stehen in dieser Frage ja nicht im luftleeren Raum. Unser Bundeshaushalt - wie überhaupt alle öffentlichen Haushalte - ist allein schon durch eine riesige Veränderung in der Weltwirtschaft, die uns trifft, sehr angespannt. Natürlich belastet uns auch die Wiedervereinigung finanzpolitisch. Das wissen wir alle, darüber kann man nicht hinwegreden. Das ist eine riesige finanzielle Aufgabe, die wir dort gern leisten und leisten müssen. Dadurch ist natürlich der Spielraum für den Bundeshaushalt, selbst wenn wir das jetzt Schritt für Schritt machen, äußerst begrenzt.
Von Ihrem Vorschlag, das über eine Energiesteuer zu regeln - das sage ich Ihnen ganz offen -, halte ich überhaupt nichts,
weil der Preis für Energie genauso wie menschliche Arbeit ein Produktionsfaktor ist. In meinem Wahlkreis spielt die Textilindustrie eine große Rolle. Da stellen für manche Webereien und Spinnereien die Stromkosten einen größeren Kostenfaktor dar als die Lohnkosten. Wenn dann 30 Kilometer weiter in Holland der Strompreis wesentlich niedriger ist als bei uns im Münsterland, so müssen wir gut bedenken, wohin das führt.
Ich werbe dafür, daß wir im Bundestag eine Politik der Vorfahrt für menschliche Arbeit in allen Bereichen machen. Dazu brauchen wir eine Entrümpelung im Planungsrecht. Ich behaupte auch, wir können die Umweltauflagen nicht immer weiter erhöhen. Ich denke manchmal, daß es doch eine verrückte Welt ist, wenn eine Tonne Müll mehr kostet als eine Tonne Weizen. So weit sind wir in einigen Bereichen in Deutschland. Das ist doch eine verrückte Welt. Dann müssen wir einmal überlegen: Darf das denn so teuer sein? Die Tonne Weizen bekommen Sie heute schon für 300 DM. Dafür werden Sie nicht einmal eine Tonne Müll los. Da paßt doch etwas in unserem Land nicht.
Herr Kollege Laumann, Sie sind gut in Form, aber ich muß Sie
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
trotzdem fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage Ihres Kollegen Kauder zulassen.
Ja, das mache ich gleich. Ich wollte noch einen Satz antworten.
Sind Sie immer noch bei der Antwort?
Ja.
Deswegen sollten wir uns nicht gegenseitig die Schuld zuweisen, sondern eine Politik der Vorfahrt für Arbeitsplätze machen. Dazu gehört auch, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen, daß wir das Gesamtvolumen des Staates, auch das Ausgabenvolumen, zurückdrängen müssen.
- Ja, das nützt alles nichts; denn immer wenn man umfinanziert, nimmt man den Leuten das Geld irgendwo anders weg.
Die Ausgaben sind bei uns einfach zu hoch geworden. - Jetzt kann der Kollege Kauder eine Frage stellen.
Herr Kollege Laumann, ich habe eine wirklich wichtige Zwischenfrage.
Was halten Sie davon, daß uns während Ihrer Rede der Kollege Schreiner den Vogel gezeigt hat?
Lieber Volker Kauder, wir kennen uns schon lange, und wir kennen auch Ottmar Schreiner lange. Ich finde, er ist ein netter Mensch. Er ist so, wie er ist. Ich kann gut damit leben.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Herr Kollege Laumann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es mich zweimal an der Schläfe gejuckt hat und ich insoweit zweimal den Vogel gezeigt habe?
Es gibt ein Sprichwort. Es gibt Dinge, die interessieren mich so viel, als wenn in China ein Sack Reis umfällt. Wenn es Sie juckt, interessiert es mich auch wenig.
Meine Damen und Herren, jetzt zurück zu unserem Thema. Ich glaube, daß wir uns in diesem Haus einen großen Gefallen für die Arbeit der nächsten Zeit tun, wenn wir trotz allem versuchen, die Veränderungen, die in der Rentenpolitik notwendig sind, mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit zu verabschieden. Ich halte sehr viel davon, die Rente nicht in den parteipolitischen Streit zu ziehen.
Es ist doch vernünftig, daß Norbert Blüm eine Expertenkommission zusammengerufen hat, um zu überlegen, wie wir die Renten für die jetzt 40jährigen, wenn sie alt werden, sicher machen können.
Ich möchte auch im Interesse des Vertrauens unserer Bevölkerung in ein Sozialversicherungssystem - ich möchte ein Sozialversicherungssystem in diesem Bereich unbedingt erhalten - an die SPD appellieren, daß wir, wenn wir die Vorschläge der Sachverständigen haben, versuchen sollten, auch im Interesse der Stabilität der Rentenversicherung in dieser Frage wieder einen Konsens hinzubekommen.
Für mich ist klar: Wir müssen in Deutschland an der leistungsbezogenen Rente festhalten. Ich halte nichts von Grundsicherungsmodellen.
Ich sage auch ganz deutlich: Ich finde es manchmal etwas schade, daß wir im Bundestag die Rentendebatte zur Zeit immer unter dem Aspekt des Lebensalters führen, das heißt 60, 61, 63 und 65 Jahre. Ich kann als jemand, der mit 15 Jahren in die Lehre gekommen ist, nur sagen: Vielleicht sollten wir auch einmal darüber reden, wann Leute unsere Mitglieder geworden sind. Vielleicht sollten wir denjenigen - ich sage nur einmal, bedenken Sie es bitte -, der mit 15 Jahren Beitragszahler in der Rentenversicherung geworden ist und unter Umständen 45 Jahre treu und brav gezahlt hat,
wenn er 60 oder 61 geworden ist, etwas anders behandeln als denjenigen, der erst mit 30 Jahren unser Beitragszahler geworden ist.
Wir sollten uns das einmal überlegen; denn wir müssen daran denken, was wir hier machen und welche praktischen Auswirkungen das hat. Wollen wir wirklich denjenigen, der mit 15 Jahren Maurer geworden ist, unter Umständen noch mit 65 Jahren auf das Dach schicken? Das müssen wir uns bei diesem Beruf doch überlegen. Das ist etwas anderes als eine Bürotätigkeit. Wir müssen auch sehen, wie früh die Leute
Karl-Josef Laumann
angefangen haben, damit wir vielleicht zu Lösungen kommen, die eine breite Akzeptanz finden.
Ich will ein weiteres Problem ansprechen, was wir uns einmal vernünftig vornehmen sollten. Wir haben im letzten Jahr 192 766 Saisonarbeiter in unser Land geholt. Das sind die Menschen aus Osteuropa, die in den Baumschulen oder in der Weinernte - Sie wissen, was ich meine - arbeiten. In diesem Jahr haben wir bis August bereits 193 190 Menschen hier gehabt, also schon mehr als 1995 im ganzen Jahr. Jeder, der sich ein bißchen in der Landwirtschaft auskennt, weiß, daß die Apfelernte, die Weinernte und die Kohlernte noch bevorstehen. Ich will niemandem zu nahe treten. Aber wir haben 4 Millionen Arbeitslose, eine Million Leute in der Arbeitslosenhilfe und müssen auf der anderen Seite immer mehr Leute aus Osteuropa holen,
um bestimmte Arbeiten geregelt zu bekommen.
Die Bereiche, in denen sie eingesetzt werden, weiten sich übrigens immer mehr aus. Irgend etwas kann da doch nicht stimmen. Machen Sie es sich nicht so einfach und sagen, der Laumann will jetzt die Arbeitslosen aufs Feld schicken. Aber ich sage ganz deutlich: Ich kenne keine Arbeit in der Landwirtschaft, die menschenunwürdig wäre.
In einer Gesellschaft ist etwas nicht in Ordnung, wenn bestimmte Arbeiten nicht mehr gemacht werden.
Wir sollten uns einmal zusammen darüber unterhalten, wie wir dieses Problem lösen.
Ich bin froh, daß wir mit der Regelung bei der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfereform das mit den 25 DM hinbekommen haben. Es ist vielleicht ein Anreiz. Es sind immerhin im Monat rund 700 DM, die von der staatlichen Unterstützung bleiben.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Selbstverständlich, eine noch.
Herr Kollege Laumann, darf ich Sie auf den Sachverhalt aufmerksam machen, daß ein landwirtschaftlicher Arbeitgeber, der Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa beschäftigt und formal alles korrekt erledigt, das heißt über das Arbeitsamt anmeldet - ich rede gar nicht von den schwarzen Arbeitsverhältnissen, die es auch gibt - -
Eine Frage, bitte.
- „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen" waren meine ersten Worte, Herr Präsident. Entschuldigen Sie bitte. - 8 DM Stundenlohn bezahlen muß und daß sich dies für einen polnischen Saisonarbeiter schon deswegen lohnt, weil der Währungsvorteil beim Umtausch zustande kommt?
Können Sie mit mir einig gehen, daß ein deutscher Arbeitnehmer von 8 DM Stundenlohn einfach nicht leben kann?
Wir sind uns völlig einig, daß ein deutscher Arbeitnehmer von 8 DM Stundenlohn nicht leben kann. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich persönlich bin sogar bereit, zu akzeptieren, daß dann der Spargel oder die Erdbeeren etwas mehr kosten, damit die Leute etwas besser bezahlt werden können.
Das ist die Kehrseite der Medaille. Auch das muß man einmal sehen.
Es gibt aber nun einmal diese Arbeiten. Vergessen Sie nicht, daß wir das Instrument haben, daß die Leute am Tag 25 DM Arbeitslosenhilfe behalten können. Wenn Sie dann diese Löhne dazurechnen, kommen Sie immerhin auf Monatslöhne zwischen 1 700 DM und 2 000 DM. Das ist für eine Saisonbeschäftigung durchaus Geld, das etwas wert ist. Auch ist es zumutbar, daß Deutsche solche Arbeiten machen. Wir müssen einfach darüber reden, daß wir das in verstärktem Maße erreichen.
Ich sehe überhaupt nicht ein, diese hohe Arbeitslosigkeit zu akzeptieren und die Arbeit auf der anderen Seite von Osteuropäern erledigen zu lassen. Im übrigen: Wenn 8 DM Stundenlohn für einen Polen unwürdig sind, dann sind sie auch für einen Deutschen unwürdig und umgekehrt. Dann müssen wir uns ohnehin um diese Frage kümmern.
Wenn es keine Zwischenfrage mehr gibt, komme ich zum Schluß meiner Rede. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich eines: Sie beschimpfen die CDU/CSU und die F.D.P. immer wegen unserer Sozialpolitik. Wir haben in den letzten Jahren
riesige Einsparungen durchgesetzt: in der Rentenversicherung 41 Milliarden DM, in der Arbeitslosenversicherung 30 Milliarden DM und bei den Krankenkassen 35 Milliarden DM. Hätten wir diese Einsparungen in all den Jahren seit 1983 nicht gemacht, dann wäre die Sozialquote, also die Beitragsbela-
Karl-Josef Laumann
stung der Menschen, um 7,1 Prozent höher. Was sind wir in all den Jahren von der Opposition beschimpft worden, weil alle Maßnahmen, die zu diesen Einsparungen geführt haben, umstritten waren, weil das Einkassieren von Leistungen immer unangenehmer ist als das Verteilen von Leistungen! Das ist eine ganz natürliche Sache. Aber stellen Sie sich vor, wo wir wären, wenn wir das nicht gemacht hätten und heute diese 7 Prozent noch zu den Lohnkosten addieren müßten.
Wenn man sich das überlegt, muß jeder vernünftige Mensch zugeben: Es ist gut, daß es diese Koalition gibt, die auch unpopuläre Dinge entscheiden kann, und es ist gut, daß es einen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm gibt, der diese Dinge letzten Endes auch durchsetzt. Deswegen müssen wir weiter regieren; denn Sie würden die sozialen Sicherungssysteme überfordern, weil Sie sich nie dafür entscheiden können, eine Leistung einzukassieren, und am Ende stünde, daß Sie die soziale Sicherung für die wirklich Bedürftigen auch noch vor die Wand fahren würden. Das wollen wir nicht zulassen. Deswegen müssen wir politisch gestalten, und das werden wir auch morgen tun.
Ich sage es noch einmal: All diese Maßnahmen machen uns nicht Spaß, aber sie sind notwendig, um unser Land in eine vernünftige Zukunft zu bringen. - Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Leyla Onur, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 7. September 1995 hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herr Dr. Norbert Blüm, vor diesem Hause erklärt:
Ich habe weder heute noch in Zukunft Lust und Spaß an einer großen sozialpolitischen Hackerei. Wir sollten nämlich bei all unseren Diskussionen nicht vergessen, daß von unseren sozialpolitischen Entscheidungen Millionen von Menschen betroffen sind.
Ich habe vor einem Jahr und fünf Tagen geglaubt, daß der Bundesminister für Arbeit und Soziales ehrlich meint, was er sagt, obwohl er schon seit Jahren für Sozialabbau und dramatisch steigende Arbeitslosigkeit mitverantwortlich war.
Spätestens seit dem 24. März weiß ich, daß das Wort eines Bundesministers nichts gilt.
Denn diese Bundesregierung und Herr Blüm als zuständiger Minister sind die Erfinder der größten sozialpolitischen Hackerei, die es je in der Bundesrepublik gegeben hat.
Ich bin mir nicht mehr sicher, meine Damen und Herren, ob Sie, Herr Bundesminister, vielleicht auch Sie, Herr Laumann, und Sie, die Kolleginnen und Kollegen von der sogenannten Kanzlermehrheit,
nicht doch Lust und Spaß dabei empfinden, wenn Sie morgen einem Teil Ihres Horrorpaketes zustimmen werden.
Nur wer Lust und Spaß an sozialpolitischen Grausamkeiten empfindet, kann zustimmen, daß ab Dezember 2004 alle Frauen bis zum 65. Lebensjahr arbeiten müssen. Heute 52jährige Frauen stehen, falls sie nicht schon arbeitslos sind, vor der bitteren Entscheidung, bis zum 65. Lebensjahr weiter zu arbeiten, während ihre Enkelkinder auf der Straße stehen, oder 18 Prozent Rentenabzug für die gesamte Rentenlaufzeit in Kauf zu nehmen. Die Mehrzahl der Frauen wird sich nicht für ihre Enkelkinder entscheiden können, auch wenn sie es wollten, weil ihre Rente, um 18 Prozent gekürzt, nicht mehr ausreicht. Die Frauen müßten, um leben zu können, zum Sozialamt gehen.
Schon heute leben unzählige Frauen, die ihr Leben lang schwer geschuftet haben, von Minirenten. Sie schämen und scheuen sich, Sozialhilfe zu beantragen, weil sie ihren Kindern nicht zur Last fallen wollen.
Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P.: Wollen Sie mit Ihrer Entscheidung noch mehr Frauen in Gewissenskonflikte und Armut treiben? Noch haben Sie die Möglichkeit, einen anderen Weg zu gehen, indem Sie zum Beispiel unserem Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung zustimmen.
Unser Vorschlag bringt Geld in die Sozialversicherungskassen und trägt dazu bei, die Altersarmut von Frauen zu mildern.
- Aber natürlich, Frau Babel.
Sagen Sie nein zur Anhebung der Altersgrenze und sagen Sie ja zu unserem Gesetz! Dann tun Sie etwas Gutes.
Meine Damen und Herren, gestern hat der Bundeskanzler die Verschlechterung des Kündigungsschutzes verteidigt. Er hat natürlich nicht gesagt, daß die Verschlechterung des Kündigungsschutzes dazu
Leyla Onur
führen wird, daß Millionen von Menschen problemlos betriebsbedingt gekündigt werden können.
Sekretärinnen, Verkäuferinnen, Arzthelferinnen etc. werden zum Heuern und Feuern freigegeben.
Diese Fakten hat uns der Bundeskanzler gestern verschwiegen. Er hat diesem Hause vorgegaukelt, daß durch die Erleichterung, wie er sagt, des Kündigungsschutzes sofort 80 000 zusätzliche Arbeitsplätze im Handwerk geschaffen würden.
Diese Zahl sollen ihm Handwerksmeister zugesagt haben.
Ich frage mich: Ist der Bundeskanzler so realitätsfern,
oder tut er nur so? Weiß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wirklich nicht, daß die kleinen und mittleren Betriebe zu einem Großteil von öffentlichen Aufträgen leben?
Zwei Drittel der öffentlichen Investitionen werden von den Kommunen getätigt.
Diese Investitionen sind ein wichtiger Beitrag zum Erhalt und zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Die Kommunen können aber nicht mehr investieren, weil sie durch diese Bundesregierung und Ihre Mitentscheidung in diesem Hause systematisch in den Ruin getrieben werden.
Meine Damen und Herren, gleichzeitig stehen die Kommunen vor der größten Aufgabe der Nachkriegszeit. Sie müssen die schlechte Wirtschaftslage verkraften, für einen Teil der deutschen Einheit bezahlen und die wirtschaftlich und sozial unsinnigen, aber dafür kostentreibenden Gesetze dieser Bundesregierung ausführen. Städte, Gemeinden und Landkreise stehen deshalb vor dem Finanzkollaps.
Damit Sie begreifen, um was es geht, will ich Ihnen kurz die finanzielle Situation meiner Heimatstadt Braunschweig schildern. 1996 haben wir rund 968 Millionen DM Einnahmen und 1,07 Milliarden DM Ausgaben, das heißt eine Finanzlücke von 100 Millionen DM. Da haben aber nicht Stadtväter und Stadtmütter unwirtschaftlich gehandelt. Sie haben nicht die guten Gaben per Füllhorn ausgeschüttet. Nein, 188 Millionen DM wurden seit 1991 für die deutsche Einheit ausgegeben. Gern haben wir diese Leistung erbracht. 30 Millionen DM weniger Steuern wurden wegen der schlechten Wirtschaftslage eingenommen. Die Sozialhilfekosten sind dramatisch auf über 100 Millionen DM angestiegen. Zum Vergleich: 1980 waren es 28 Millionen DM.
In Braunschweig sind infolge Ihrer Politik inzwischen 13,6 Prozent der Menschen arbeitslos. Immer mehr Arbeitslose und ihre Familien werden zu Sozialhilfeempfängern. Im Haushalt 1996 betragen die Sozialhilfeausgaben wegen Arbeitslosigkeit - ich wiederhole: wegen Arbeitslosigkeit - über 40 Millionen DM, Tendenz: steigend. Allein durch Ihr Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz - da geht es um 3 Prozent weniger Arbeitslosenhilfe pro Jahr für die Arbeitslosenhilfeempfänger - muß allein Braunschweig 1996 810 000 DM mehr aufbringen. 1997 sind es 3 Millionen DM, und 1998 werden es 6,2 Millionen DM sein, die wir mehr an Sozialhilfeleistungen erbringen müssen.
Aber das ist nach Ihren Vorstellungen längst nicht genug. Sie wollen auch noch die originäre Arbeitslosenhilfe abschaffen und Tausende von jüngeren Menschen direkt zum Sozialamt schicken.
Das ist nicht nur ökonomisch unsinnig, sondern auch zutiefst unanständig.
Meine Damen und Herren, wenn Sie so weitermachen, treiben Sie noch mehr kleine und mittlere Betriebe in den Konkurs, und noch mehr Menschen werden arbeitslos.
Begreifen Sie doch endlich: Wer die kommunale Selbstverwaltung ruiniert, wer die Kommunen an den Bettelstab bringt,
der gefährdet tatsächlich den Standort Deutschland.
Deshalb sage ich Ihnen: Schluß mit der sozialpolitischen Hackerei! Schluß mit der Aufgabenverteilung auf die kommunale Ebene ohne finanziellen Ersatz!
Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, daß die Sozialhilfe von systemfremden Umlagen entlastet wird, daß Arbeit statt Arbeitslosigkeit gefördert wird, daß auch die Möglichkeiten für eine kommunale Arbeitsmarktpolitik erweitert werden,
daß es keine Streichungen und Kürzungen bei Gemeindesteuern ohne volle, auf Dauer gesicherte Kompensation gibt -
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit!
- ich komme zum Schluß - und daß eine schnelle und umfassende Gemeindefinanzreform verwirklicht wird, die den Kommunen wieder den notwendigen Handlungsspielraum gibt.
Wenn wir dies gemeinsam angehen, dann werden wir für die notwendigen Arbeitsplätze in unserem Land sorgen.
Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, Einzelplan 30.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man wie ich jetzt drei Tage dieser Haushaltsdebatte zugehört hat, stellt man sich natürlich die Frage: Was war jetzt eigentlich spannend, was war interessant, was war wichtig für die Zukunft?
Und es gab - neben der Tatsache natürlich, daß wir gelernt haben, daß unser neuer Maßstab jetzt in Mexiko liegt - immerhin Beiträge, über die es sich nachzudenken lohnt.
Einer der interessantesten Beiträge war der des Kollegen Joseph Fischer. Er hat sich gestern in seiner Rede zum Thema Globalisierung geäußert und die Befürchtung deutlich gemacht, daß dieser Trend zur Globalisierung dazu führen könnte, daß unsere traditionelle Arbeitsgesellschaft in eine Krise gerät und daß ein Teil unserer Bevölkerung im Anschluß daran zu den Globalisierungsgewinnern und ein anderer Teil zu den Globalisierungsverlierern gehört.
Ich bin mit ihm der Auffassung, daß es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zwei große Megatrends gibt. Der eine ist die Globalisierung, der andere ist der Trend zur Wissensgesellschaft.
Deshalb ist es ja auch richtig und wichtig, daß wir in dieser Woche darüber reden, wie wir Deutschland für das nächste Jahrhundert wettbewerbsfähig halten. Und deshalb ist es richtig und wichtig, daß wir darüber diskutieren, wie wir mit den Kostenfragen, mit den Überregulierungsfragen, mit der zu hohen Steuerlast fertig werden.
Dennoch will ich sagen: Ich glaube nicht, daß wir diese Herausforderung allein über die Kosten werden bewältigen können;
ich glaube nicht, daß wir so viel sparen können, daß wir internationale Wettbewerbsfähigkeit allein über die Kosten erreichen werden. Wir können gar nicht soviel sparen, um mit Malaysia, mit Taiwan, mit Korea oder anderen allein über die Kosten konkurrieren zu können.
Wenn dies richtig ist, meine Damen und Herren - und bevor Sie schreien, denken Sie immer daran: Vorher Gehirn einschalten und vielleicht vorher auch ein Stück weit die Ohren aufmachen -, wenn dies richtig ist, dann werden wir uns im internationalen Wettbewerb nur behaupten können, wenn wir die besten Produkte liefern. Denn nur für die besten Produkte kann man auch hohe Preise nehmen. Das heißt im Klartext, wir müssen neben dem Versuch, die Kosten im Griff zu halten, konsequent auf Innovation und damit auf Bildung, Ausbildung, Forschung und. Technologie setzen.
Auch die zweite große Herausforderung, der Trend zur Wissensgesellschaft, führt zu derselben Erkenntnis.
Wer weiß, daß in den nächsten vier Jahren bis zur Jahrhundertwende genauso viele Forscher auf der Welt arbeiten werden wie in den gesamten 2 500 Jahren Menschheitsgeschichte zuvor, wer weiß, daß jeden Tag 20 000 wissenschaftliche Aufsätze erscheinen, wer weiß, daß sich das Wissen der Menschheit alle fünf Jahre verdoppelt, der weiß, daß man in einer solchen Situation nur klarkommen kann, daß man nur gewinnen kann, daß man das, was wir jetzt in Deutschland haben, nur erhalten kann, wenn es uns gelingt, auf Bildung, Wissen und Innovation zu setzen.
Nun war ich insofern froh - das war etwas Neues im Vergleich zu früheren Haushaltsberatungen -, daß auch andere Kolleginnen und Kollegen, auch in der Generaldebatte, das Thema Forschungs- und Bildungspolitik angesprochen haben. Das ist wirklich etwas Neues. Dafür bin ich - wahrscheinlich genauso wie Sie, werte Kolleginnen und Kollegen - dankbar.
Ich habe natürlich auch die eine oder andere kritische Bemerkung gehört. Aber interessant war, daß niemand, weder Frau Matthäus-Maier noch Herr Scharping, noch Herr Lafontaine oder wer es denn
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
war, irgendein kritisches Wort zu meiner Forschungs- und Bildungspolitik gesagt hat.
Sie haben sich ausschließlich zu Zahlen geäußert, ausschließlich dazu, daß der Forschungshaushalt, der Einzelplan 30, niedriger ist als im vergangenen Jahr.
Das ist wahr. Aber kein einziges kritisches Wort zu den strategischen Zielsetzungen! Ich stelle das mit Befriedigung fest.
Ich frage mich dann allerdings auch - zu den Zahlen werde ich gleich noch etwas sagen -, mit welcher Berechtigung und welcher inneren Konsistenz Sie das machen. Es paßt nämlich nicht zusammen, wenn Sie sich auf der einen Seite hier hinstellen und über die zu hohe Staatsverschuldung klagen und wenn Sie auf der anderen Seite den Vorwurf machen, daß die Bundesregierung versucht, zu sparen und den Haushalt im Griff zu behalten.
Es paßt überhaupt nicht, Frau Bulmahn, wenn man sich hier hinstellt und das große Klagelied anstimmt und wenn man da, wo man selber Verantwortung trägt, nämlich in den Ländern, viel stärker und viel undifferenzierter spart, als wir das mit diesem Haushaltsplanentwurf machen.
Nehmen wir einmal das Beispiel des Großen Vorsitzenden Oskar aus dem Saarland. Vor vier Jahren wurden der Universität Saarbrücken 170 Stellen gestrichen; jetzt sollen erneut 137 Millionen DM eingespart werden. Die Universität des Saarlands weiß nicht mehr, wohin und woher. Nehmen wir das Beispiel Schröder, Niedersachsen. 1 300 Stellen sollen an den niedersächsischen Hochschulen gestrichen werden. Das mag aus Haushaltsgründen notwendig sein. Das mag schwierig sein. Ich kritisiere es nicht.
Was ich kritisiere, ist, daß Sie sich hier hinstellen, uns angreifen und zu Hause dasselbe tun. Das ist unglaubwürdig, und das weise ich zurück.
Herr Kollege Dr. Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?
Aber ja, natürlich.
Herr Minister Rüttgers, halten Sie es nicht für selbstgerecht, wenn Sie auf der einen Seite eine drastische Kürzung in Ihrem Haushalt des nächsten Jahres planen, nämlich um 4,5 Prozent, und wenn Sie auf der anderen Seite die Länder anprangern? Ich halte nicht jede Maßnahme der Länder für richtig, aber ich muß trotzdem anerkennen, daß die Länder in dem Zeitraum von 1981 bis heute wesentlich mehr Mittel für Bildung und Wissenschaft aufgewandt haben. Ein Zahlenvergleich ergibt folgendes: Die Länder haben in dem Zeitraum von 1981 bis heute ihre Wissenschafts- und Bildungsausgaben um 118,3 Prozent erhöht, die Wirtschaft hat ihre Ausgaben um 121,4 Prozent gesteigert, und der Bund ist mit 62,3 Prozent weit abgeschlagen das Schlußlicht. Halten Sie es nicht für etwas selbstgerecht, wenn Sie vor dem Plenum in dieser Debatte die Schuld in dieser Art und Weise den Ländern zuschieben?
Das ist weder selbstgerecht, noch habe ich hier irgend etwas zurückzunehmen, Frau Bulmahn. Ich habe mich schlichtweg gegen Vorwürfe verteidigt, die von Ihrer Seite in dieser Debatte erhoben worden sind, die Sie selber im Vorfeld geäußert haben. Ich weise nur darauf hin, daß man versuchen muß, Wort und Tat in Übereinstimmung zu bringen. Man darf nicht auf der einen Seite in Bonn etwas sagen und auf der anderen Seite zu Hause etwas anderes tun; man darf nicht das, was man in Bonn dem einen vorwirft, in bezug auf einen anderen als lichtvolle Tat hinstellen. Man muß darüber diskutieren, wie in Zeiten knapper Kassen eine richtige Bildungs- und Technologiepolitik aussehen kann. Das wollen wir ja auch jetzt gemeinsam tun. Nur, Sie haben einen Einstieg gewählt, der Sie unglaubwürdig macht. Diesen Spagat werden Sie nicht durchhalten.
Ich glaube auch, daß Ihre Zahlen genau interpretiert werden müssen. Auf welche Weise Sie die zusammengerechnet haben, muß man bei Ihnen immer kontrollieren.
- Entschuldigen Sie einmal; nein, nein, nein.
- Sie haben jetzt nicht das Wort, Frau Bulmahn! Nicht wer schreit, hat recht.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Der entscheidende Punkt ist folgender - das ist klar -: Daß die Haushalte bei den Ländern nominal gestiegen sind, hat damit zu tun, daß darin die Personalkosten enthalten sind. Dort schlagen sich die Steigerungen bei den Personalkosten, die durch die Lohnsteigerungen hervorgerufen worden sind, nieder. Der Anstieg rührt jedenfalls nicht daher, daß mehr investiert worden wäre. Diese Mittel sind abgebaut worden.
Wir haben da - trotz knapper Kassen - versucht, das zu tun, was wir tun können; Stichwort HSP III. Das hat viel Kraft gekostet - gegen Ihren Widerstand. 3,6 Milliarden DM für die Hochschulen können sich aber sehen lassen.
Leider verhält es sich nicht nur im Zusammenhang mit den Hochschulen so, sondern auch bei der Lehrstellenfrage, Herr Scharping.
Ich weiß nicht, ob Herr Scharping Oppositionsführer ist. Zumindest hat Herr Lafontaine daran gestern in der Formulierung einige Zweifel aufkommen lassen. Herr Scharping hat gerade angekündigt, die SPD werde zur Jahreswende - man höre und staune: zur Jahreswende - einen Gesetzentwurf zur Lehrlingsfrage einbringen. Mein Ziel ist, daß bis dahin jeder Lehrling eine Stelle angeboten bekommen hat.
Natürlich soll dieser Gesetzentwurf die Ausbildungsplatzabgabe vorsehen. Auch da haben wir wieder totale Konfusion. Einigen Sie sich zuerst mal mit Herrn Schröder; der hat nämlich gerade bei dpa erklärt, daß er gegen eine Ausbildungsplatzabgabe ist. Wenn Sie das geklärt haben, können wir über die Frage weiter diskutieren.
Man fragt sich: In welchem Zustand ist die SPD eigentlich? Man höre und staune: 1995 wurden im Saarland, dem Land des SPD-Vorsitzenden, in allen Landesministerien zusammen nur fünf Verwaltungslehrlinge eingestellt.
1996 gibt es nach den Auskünften des saarländischen Innenministeriums noch immer keine Zahlen, wie viele man jetzt einstellen wird. Alle Kommunen und Landkreise im Saarland werden 1996 nur 20 Lehrlinge einstellen. Ich sage: Pfui; wer sich so verhält, der hat das Recht verloren, sich zu Lehrlingsfragen zu äußern.
Das gleiche Chaos haben wir übrigens beim Meister-BAföG; wir haben es gegen den Widerstand der SPD-Länder durchgesetzt. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich in der „Welt am Sonntag" plötzlich lesen mußte, daß Herr Lafontaine erklärt, das Meister-BAföG sei ein Erfolg der SPD.
Nun ja, wer es notwendig hat, schmückt sich mit fremden Federn.
Ich habe festgestellt, daß bei den Ländern inzwischen 30 000 Anträge vorliegen, bis Ende August aber nur 2 500 bewilligt wurden, und in Brandenburg noch nicht einmal das Ministerium festgelegt worden ist, das für Meister-BAföG zuständig sein wird.
Dazu kann ich nur sagen: Wer heute Lehrling ist, wer heute Geselle ist und sich auf die SPD verläßt, der ist verlassen.
Dasselbe Chaos haben wir im Bereich der Technologiepolitik - nur Widersprüche. Gestern hat Herr Scharping gesagt, er habe Sorge, Deutschland werde zur technologischen Provinz verkommen.
Herr Scharping war vor wenigen Tagen in der Provinz, nämlich im Emsland, und hat eine Fahrt mit dem Transrapid gemacht. Er war nach dieser Fahrt offensichtlich beeindruckt; denn er hat laut „FAZ" gesagt, er sei für den Transrapid. Er hat aber hinzugefügt, er sei gegen die Strecke. Da sage ich nur: Heilige Einfalt. Für den Transrapid, aber gegen die Strecke - das ist so ähnlich wie: für die Kartoffel, aber gegen das Kartoffelfeld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Biotechnologie haben wir dieselbe Konfusion: SPD-regierte Länder nehmen am BioRegio-Wettbewerb teil; im Anschluß daran kämpft die SPD in Schleswig-Holstein gegen die Gentechnik.
Das gibt zusammengefaßt folgendes Bild der SPD in der Bildungs- und Technologiepolitik: für die Hochschulen, aber gegen Stellen für Hochschullehrer; für Lehrlinge, aber keine Stellen im eigenen Land schaffen; für Meister-BAföG, aber gegen die Auszahlung der Mittel; für Transrapid, aber gegen die Strecke; für Gentechnik, aber gegen Freilandversuche; für mehr Geld, aber gegen konkrete Projekte - das verstehe, wer will.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1997 des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie beträgt, wie jeder weiß, genau 15 Milliarden DM. Das sind 390 Millionen DM weniger als das verfügbare Soll des letzten Jahres. Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln, aber auch kein Grund zum Weinen; denn wer weniger Geld hat
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
- das ist eine alte Lebenserfahrung -, der muß mehr aus seinem Geld machen.
Deshalb ist es im Jahre 1997 mein wichtigstes Ziel, drei große Reformvorhaben mit Energie durchzuführen. Das erste ist die Reform der deutschen Hochschulen. Das zweite ist die grundlegende Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft. Das dritte ist die Fortentwicklung der Technologiepolitik zu einer modernen Innovationspolitik durch Leitprojekte.
Heute ist sicherlich nicht die Zeit, zu all diesen großen zentralen Reformprojekten im einzelnen Stellung zu nehmen. Dennoch will ich einige wenige Bemerkungen machen.
Wir werden den Herausforderungen für das nächste Jahrhundert nicht dadurch gerecht, daß wir die Anzahl der Technologieförderprojekte erhöhen. Wir werden ihnen nicht dadurch gerecht, daß wir nur Zuschüsse gewähren. Wir werden ihnen nicht dadurch gerecht, daß wir Themen, über die wir zum Teil seit 20 Jahren und länger diskutieren, wie etwa die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, weiterhin in unseren Reden vor uns hertragen und sie damit füllen.
Wir werden ihnen nur gerecht, wenn wir die Kraft und den Mut haben, Strukturen zu verändern. Das ist bei der Hochschulreform nicht einfach. Da gibt es eine notwendige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Da gibt es unterschiedlichste Vorstellungen. Was mich freut, ist, daß es inzwischen in allen Ländern eine Bereitschaft gibt, über diese Strukturen nachzudenken.
Deshalb wird es ganz wichtig sein, daß nicht nur in jedem Land sehr unterschiedliche Vorstellungen entwickelt werden, sondern daß auch wir hier in Bonn intensiv über dieses Thema diskutieren.
Wir werden die Frage beantworten müssen - das wird wahrscheinlich die Einstiegsfrage sein -, wie wir das, was wir alle erklären, und das, was wir alle wollen, nämlich mehr Wettbewerb im Hochschulsystem, gemeinsam erreichen können. Dann wird zwangsläufig als erste Frage auftauchen, ob es ein Wettbewerb der Hochschulen oder ein Wettbewerb der Länder sein soll. Diese zentrale Frage wird sich schon direkt zu Beginn stellen.
Ich glaube, das ist eine der großen Herausforderungen; denn unsere Hochschulen sind in den vergangenen Jahren leider zu Regionalhochschulen geworden. Eine Konsequenz des ZVS-Systems ist, daß Studenten in der Regel der wohnortnahen Universität zugewiesen werden. Es nimmt den Wohnort als wichtigeres Kriterium als Neigung und Leistung.
Es wird sich an dieser Stelle entscheiden, ob wir die Frage der Hochschulen nur aus Ländersicht, aus nationaler Sicht oder auch aus internationaler Sicht betrachten. Das Ziel muß sein, daß unsere Hochschulen international leistungsfähig werden; das sind sie zur Zeit nur noch eingeschränkt.
Wenn das, was über Globalisierung und Wissensgesellschaft gesagt wurde, richtig ist, dann müssen wir den genannten Maßstab an unsere Hochschulen anlegen. Aus Zeitgründen kann ich nichts zu den einzelnen Schritten sagen. Ich bin aber ganz sicher, daß es eine Vielzahl von Ansatzpunkten gibt, bei denen Bund und Länder zu Ergebnissen kommen können.
Das gleiche gilt für das Thema Forschungslandschaft. Die Bundesregierung hat zusammen mit dem Haushalt ein sehr ambitioniertes Reformpaket für die deutsche Forschungslandschaft vorgelegt, das viele alte Zöpfe abschneidet. Wir sind bereit, die gleiche Evaluation, die wir in den neuen Bundesländern angewandt haben - eines der Themen im Zusammenhang mit dem Hochschulsonderprogramm ist das Thema WIP, das eines der Ergebnisse der Evaluation ist -, jetzt in den alten Bundesländern anzuwenden.
Die Forschungsinstitute in den alten Bundesländern müssen sich denselben Kriterien stellen wie die Institute in den neuen Bundesländern in den vergangenen fünf Jahren.
Das bedeutet, daß wir auch die Kraft finden müssen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Institute, die nicht wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, zu schließen.
Ich erkläre für die Bundesregierung, daß wir die Finanzierung einstellen wollen, wenn der Wissenschaftsrat erklärt, daß die wissenschaftlichen Kriterien nicht gegeben sind. Das bedeutet weiterhin, daß wir auch die Kraft haben müssen, wissenschaftliche Institute zu privatisieren. Das hat es in Deutschland auch noch nicht gegeben. Wenn sich die Institute am Markt behaupten können, müssen wir sie wirklich privatisieren und dem Markt überlassen.
Es ist schön zu wissen, daß es beispielsweise Fraunhofer-Institute gibt, die das nicht nur können, sondern das auch wollen. Dazu gehört auch, daß wir uns um den Nachwuchs in den Forschungszentren kümmern und Nachwuchsprogramme auflegen. Das reicht bis hin zu der wahrscheinlich schwierigsten Frage, ob es uns gelingen wird - das ist ein Punkt, bei dem ich noch ein Fragezeichen mache, weil ich weiß, daß es nicht eine Sisyphusarbeit, wie es gestern gesagt wurde, sondern eine Herkulesarbeit ist -, unsere Forschungszentren aus den Fesseln des öffentlichen Dienstrechts und der Kameralistik zu befreien.
Der dritte Punkt umfaßt die Leitprojekte. Wir alle wissen - jeder von uns sagt es -, daß aus einer Vielzahl von Gründen die Forscher und die Wirtschaft Schwierigkeiten mit der Zusammenarbeit haben. Wir alle wissen, daß Innovation nur möglich ist, wenn vom ersten Tag an, von der Grundlagenforschung an, auch über das Produkt nachgedacht wird, das herauskommen soll. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, daß die Zusammenarbeit auch in den Förderprojekten institutionalisiert wird. Das wird im
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ergebnis zu einer völligen Veränderung auch der Technologieförderung führen. Der BioRegio-Wettbewerb, das Humangenom-Forschungsprogramm, das Mobilitätsforschungsprogramm sind drei erste Beispiele, die ich vorgelegt habe, bei denen wir versuchen, solche Kriterien zu entwickeln und mit Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam zu erarbeiten.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen. Im Vorfeld ist natürlich auch über den Beschluß der Bundesregierung zum Einzelplan 30 diskutiert worden. Natürlich kann man, wenn Kürzungen vorgenommen werden - Kollege Kampeter wird dazu im einzelnen noch Stellung nehmen -, immer wieder diskutieren, ob die Kürzungen an der richtigen Stelle vorgenommen werden. Das wird eine Aufgabe auch der Debatte jetzt im Parlament sein. Aber eines wird man uns nicht vorwerfen können: daß wir mit dem Rasenmäher an diese Aufgabe herangegangen sind. Wir haben vielmehr die Kraft und den Mut gehabt, an bestimmten Stellen, wo wir es innovationspolitisch für notwendig empfunden haben, Geld dazuzulegen, bei der Max-Planck-Gesellschaft, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei Fraunhofer-Instituten, bei der Biotechnologie, bei Multimedia und in einigen anderen Bereichen. Wir haben die Kraft gehabt, in anderen Bereichen dann auch zum Teil erhebliche Einschnitte vorzunehmen, etwa im Bereich des Denkmalschutzes, beim Kontinentalen Tiefbohrprogramm, beim Studentenwohnheimbau, beim Strato 2C, bei der Bahnforschung - inzwischen ist die Deutsche Bundesbahn ein Privatunternehmen und braucht nicht mehr eine begleitende staatliche Forschung. Das sind Punkte, über die man diskutieren kann.
In Zeiten knapper Kassen finde ich wichtig: Wenn man von anderen Innovation, wenn man von anderen Mut verlangt, dann muß man auch selber Mut aufbringen. Ich glaube, wir haben dies mit dieser Vorlage bewiesen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft sicherstellen will, muß verstärkt in Bildung und Forschung investieren. Angesichts der zunehmenden Globalisierung der Märkte und der sich verschärfenden Konkurrenzsituation werden neue Arbeitsplätze nur dann geschaffen und vorhandene nur dann gesichert werden können, wenn wir konsequent auf innovative Produkte und intelligente Dienstleistungen setzen. Die Qualität von Bildung, Ausbildung, Qualifikation und Wissenschaft wird somit zum entscheidenden Standortfaktor. Sie bestimmen im wachsenden Umfang über die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und die ökologische und soziale Erneuerung der Industriegesellschaft. Nur im Dreiklang von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer
Modernisierung wird sich die Zukunft unseres Landes sichern lassen.
Wir müssen deshalb, meine Herren und Damen, die Struktur der staatlichen Ausgaben ändern, weg von konsumtiven Ausgaben und Erhaltungssubventionen hin zu Zukunftsinvestitionen. Der Haushaltsentwurf 1997 und der Entwurf der mittelfristigen Finanzplanung lassen jedoch keinerlei positive Ansätze in diese Richtung erkennen. Der Entwurf des Bildungs- und Forschungsministers ist vielmehr eine Bankrotterklärung.
Herr Rüttgers, ich hätte Ihre Eingangsbemerkungen viel ernster genommen und für glaubwürdiger gehalten, wenn Sie am Schluß Ihres Beitrags gesagt hätten: Weil das so ist, habe ich mich beim Bundesfinanzminister und im Kabinett durchgesetzt und 1 Milliarde DM mehr für meinen Haushalt erhalten. - Da das aber nicht so ist, muß ich leider feststellen, Ihre Rede, Ihre Worte entsprechen nicht Ihren Taten.
Mit 15 Milliarden DM sollen im kommenden Jahr 700 Millionen DM oder 4,5 Prozent weniger für die Sicherung der Zukunft unseres Landes zur Verfügung stehen als im laufenden Haushaltsjahr. Das auch noch als die in der Koalition vereinbarte überproportionale Steigerung des Bildungs- und Forschungshaushalts zu verkaufen ist nicht nur unseriös, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schon dreist.
Mit dem Entwurf des Bildungs- und Forschungshaushaltes 1997 setzt die Bundesregierung ihren beispiellosen Kurs, den Bundeshaushalt auf Kosten von Bildung und Forschung und damit zu Lasten der nachwachsenden Generation zu sanieren, fort. Seit 1982 ist der Anteil dieses Einzelplans am Bundeshaushalt von 4,7 Prozent auf nunmehr 3,4 Prozent gesunken. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, kann man nicht mit der allgemeinen Haushaltslage erklären.
Das ist ein Bedeutungsverlust dieses Politikfeldes, der auf Ihre Entscheidung zurückgeht und im krassen Widerspruch zu dem steht, was Sie ansonsten verbal immer erklären. Es kommt noch schlimmer. Im symbolträchtigen Jahr 2000 sollen es nur noch 2,3 Prozent sein. Selbst nominal erreichen die ProKopf-Ausgaben im kommenden Jahr nicht einmal mehr den Wert von 1982. In konstanten Preisen von 1991 gerechnet werden die Pro-Kopf-Ausgaben im kommenden Jahr mit 150 DM sogar um 35,6 Prozent unter dem Niveau von 1982 liegen.
Edelgard Bulmahn
Wer so handelt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der ruiniert den Standort Deutschland, der fördert ihn nicht.
Wer seit Jahren - wirklich seit Jahren - die Förderung von Bildung und Forschung zur Nebensache erklärt, der gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und bereichert sich auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder.
Aber statt am Kabinettstisch für die Belange von Bildung und Forschung zu streiten, profiliert sich Minister Rüttgers lieber als Laienspieler im Sommertheater. Was konnten wir nicht alles in den Zeitungen lesen? Da fordert der Minister die Verkürzung der Schulzeit, die Bezahlung der Professoren nach Leistung oder den Eingriff in ausgehandelte Tarifverträge.
Forderungen aufzustellen, die andere einlösen müssen, ist allerdings nicht die vorrangige Aufgabe eines Fachministers, Herr Rüttgers. Dem Bildungs- und Forschungsminister stünde es vielmehr gut an, endlich seinem Amt gerecht zu werden und sich auf die Probleme zu konzentrieren, für die er Verantwortung trägt.
Aber klare Prioritäten zu setzen, Innovationen anzustoßen und Reformen voranzubringen ist eben nicht die Sache des Ministers. Da er kein Geld für Forschung und Bildung hat, redet er gern von Effizienz, Exzellenz, schlankeren Strukturen und Wettbewerb. Das ist an sich nichts Schlechtes.
Aber wenn man sich ansieht, wie das umgesetzt wird, wird eine erschreckende Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit deutlich.
Wenn nämlich alle Forschungseinrichtungen der sogenannten Blauen Liste oder alle Großforschungseinrichtungen in einen Topf geworfen werden, wie das in Rüttgers „Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" vom Juli 1996 geschieht, dann kann ich nur sagen: Das macht keinen Sinn.
Herr Lenzer, welchen Sinn sollte es denn machen, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron, DESY, in Hamburg 5 Prozent aus der Grundfinanzierung zu streichen und dann im Wettbewerb neu zu vergeben? Mit wem soll DESY in der Bundesrepublik denn in Wettbewerb treten? Die hier betriebene Elementarteilchenphysik steht im Wettbewerb mit Grenoble, mit Stanford oder mit Tokio. In Deutschland gibt es keine vergleichbare Forschungseinrichtung. Das gleiche trifft für einige Institute der Blauen Liste zu.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns auch in einer angespannten Haushaltslage davor hüten, kurzsichtig zu sein und Schnellschüsse abzugeben.
Grundlagenforschung hat als kulturelle Leistung immer auch einen Wert an sich, und sie ist oft, sehr oft, die Voraussetzung für eine erfolgreiche angewandte Forschung. Das darf nicht vergessen werden.
Die Vielzahl der Einzelprojekte müsse gebündelt werden, hat Herr Rüttgers gesagt. Herr Rüttgers, ich frage Sie: Unter wessen Verantwortung hat sich die Projektanzahl seit 1982 mehr als verdoppelt? 1982 gab es in der Zuständigkeit des Forschungsministers rund 5 000 Fördervorhaben. Heute sind es je nach statistischer Zuordnung 12 000 bis 16 000 Forschungsprojekte.
Es ist gut, wenn der Forschungsminister heute das als notwendig feststellt, was die SPD-Fraktion schon seit Jahren fordert, nämlich den Innovationsprozeß von der Forschung bis zum Marketing zu betrachten und die Bündelung der Förderung zu Leitprojekten vorzusehen, die visionäre Lösungen für zentrale wirtschaftliche, ökologische und soziale Probleme aufzeigen. Nur, ich frage mich: Wo sind diese Visionen? Wo sind die identifizierten Zukunftsthemen, die der Bundesminister angehen will?
Ein Zukunftsminister muß den Mut haben, forschungspolitische Visionen zu formulieren, die sich an den zukünftigen Bedürfnissen der Gesellschaft und an den sich abzeichnenden Zukunftsmärkten orientieren.
Entscheidend dabei ist, daß Gesamtlösungen gesucht werden, nicht nur Beiträge zur Verbesserung einzelner Komponenten. Leitprojekte wären die mobile Gesellschaft, verknüpft mit der effizienten Gesellschaft, der zum Baden geeignete Fluß, die abfallfreie Fabrik und die energieeffiziente Siedlung. Es gibt vieles mehr. Aber weder auf diesen noch auf anderen Gebieten gibt es eine mobilisierende Kampagne, statt dessen viele leere Worte und bloßen Etikettenschwindel.
„Der Bund will seine Förderung durch neue Schwerpunkte wirkungsvoller machen", so der Minister. Richtig! Aber ich stelle fest: Im Rahmen der IuK-Technologien, sagt der Minister, werde der neue Förderbereich Multimedia auf 130 Millionen DM hochgefahren. Sieht man jedoch genauer hin, kommt man - kunstvoll im Regierungsentwurf verschleiert - gerade einmal auf einen Ansatz von 97 Millionen DM. Jede Mark auch dieser Millionen ist aus lauf enden Programmen zusammengestückelt - einmal Deutsches Forschungsnetz, einmal Fachinformation, alles laufende Programme, deren Mittel für 1997 längst festgelegt sind.
Edelgard Bulmahn
Auch die 50 Millionen DM für die überfällige Maßnahme „Schulen ans Netz" lassen sich im Haushaltsentwurf nirgends finden. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um dieselben 52 Millionen DM aus dem Titelansatz Deutsches Forschungsnetz handelt, die auch schon für den Multimedia-Bereich herhalten mußten.
Statt klarer Prioritätensetzung im Haushalt, die notwendig wäre, werden die Mittel für wichtige Technologiefelder zusammengestrichen: Informationstechnik minus 9 Prozent, Produktions- und Qualitätssicherung minus 11 Prozent, Lasertechnik minus 11 Prozent, neue Materialien minus 11 Prozent, Mikrosystemtechnik minus 15 Prozent, erneuerbare Energien minus 18 Prozent.
Auch im Bereich der Vorsorge- und Umweltforschung sieht es nicht besser aus: Ökologie- und Klimaforschung minus 11 Prozent, Meeres- und Polarforschung minus 11 Prozent, Gesundheitsforschung minus 8 Prozent.
Sind das eigentlich Bereiche, die für unsere Gesellschaft nicht wichtig sind?
Während die Globalisierung der Märkte und der sich beschleunigende und intensivierende internationale Wettbewerb einen riesigen Bedarf an innovativen Lösungen schaffen, hat ausgerechnet die Technologie- und Innovationsförderung der Bundesregierung erheblich an Stellenwert eingebüßt.
Aber nur mit neuen Produkten und mit Prozeßinnovationen kann der Wettbewerb auf Dauer gesichert werden. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Für neue Arbeitsplätze brauchen wir neue HighTech-Produkte - Produkte, die auf den Gebieten der Verbundwerkstoffe, der umweltfreundlichen Materialien, der Photovoltaik, der Avionik, der Hochleistungskeramik, der Lasertechnologien, der Optoelektronik und der Mikrochirurgie entwickelt werden, um nur einiges zu nennen.
Wir brauchen dafür eine adäquate finanzielle Ausstattung.
Es ist eine verhängnisvolle Fehleinschätzung der Bundesregierung, sich im Glauben, die Wirtschaft werde schon einspringen, aus der Forschungsförderung zurückzuziehen. Wo die staatlichen Gelder versiegen, zieht sich auch die Wirtschaft zurück.
Ein Bericht des Weißen Hauses vom November 1995, der sich kritisch mit den rückläufigen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in den USA auseinandersetzt, findet in einer Analyse über die letzten 30 Jahre keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, daß die Industrie mehr für Forschung und Entwicklung ausgibt, wenn der Staat sich zurückhält. Das Gegenteil ist der Fall: Ein Rückgang der öffentlichen Fördermittel geht regelmäßig mit einem Rückgang der privaten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen einher. Statt die Forschungsförderung abzuwürgen - wie das jetzt mit diesem Haushalt wieder einmal geschieht -, muß der Staat vielmehr antizyklisch investieren.
Die Förderung von FuE in der gewerblichen Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren nicht nur gesunken, sondern sie ist auch in eine instrumentelle Schieflage geraten, von der vor allem die kleinen und mittleren Betriebe betroffen sind. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sind aber für die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.
Sie erhalten nur noch 7,12 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Bundes. Ich halte das für unakzeptabel.
Der Bundesminister sagt zwar, der Finanzierungsprozeß von kleinen und mittleren Technologieunternehmen und deren Vorhaben funktioniere in Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße, aber er ändert nichts. Die Analyse stimmt, Herr Rüttgers. Sie müssen aber gleichzeitig zugeben, daß diese richtige Analyse der Offenbarungseid einer verfehlten 14jährigen Innovationspolitik dieser Bundesregierung ist.
Wir hatten im Jahre 1982 noch eine ganze Reihe von innovativen Rahmensetzungen. Heute ist die indirekte Forschungsförderung, die gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen sehr wichtig ist, fast vollständig abgebaut worden. In den alten Bundesländern wurde das FuE-Personalkostenzuschußprogramm eingestellt; die FuE-Personalzuwachsförderung wurde eingestellt; ganz ausgelaufen sind die FuE-Sonderabschreibung, die steuerliche Erfinderförderung und die FuE-Investitionszulage. Innovation findet aber in den Köpfen statt. Ich verstehe daher nicht, wie man solche Programme abschaffen kann.
Deutschland ist mittlerweile das einzige G 7-Land ohne steuerliche FuE-Anreize.
Edelgard Bulmahn
Es ist fatal, wenn die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Beteiligung an Containerschiffen günstiger sind als für die Beteiligung an jungen Hochtechnologieunternehmen. Darum, Herr Rüttgers, sollten Sie sich kümmern.
Mit dieser Politik, meine Herren und Damen, ist kein Staat zu machen. Wir brauchen deshalb einen konsequenten Kurswechsel in der Bildungs- und Forschungspolitik, eine zielgerichtete und angemessen ausgestattete Innovations- und Qualifikationsoffensive. Eine Kürzung des Haushaltsansatzes für den Einzelplan 30, wie Sie sie jetzt vorsehen, kommt für die SPD-Bundestagsfraktion nicht in Frage.
Vielmehr müssen die Forschungs- und Bildungsausgaben wieder deutlich angehoben werden. Wir müssen einerseits klare inhaltliche Schwerpunkte in den Bereichen Ausbildung, Qualifikation, Schlüsseltechnologien und Vorsorgeforschung setzen. Wir müssen aber andererseits auch die Effizienz unseres Bildungs- und Forschungssystems deutlich steigern.
Um dies zu erreichen, müssen wir die Bildungs- und Forschungspolitik in ein umfassendes gesellschaftspolitisches Gesamtkonzept einbetten, das die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die ökologische Erneuerung der Volkswirtschaft miteinander verbindet.
Wir müssen den gesellschaftlichen Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über Zielsetzungen, inhaltliche Schwerpunkte und Strategien der Bildungs- und Forschungspolitik ausbauen und verstärken.
Wir müssen in der Forschungs- und Technologiepolitik die Dominanz angebotsorientierter Steuerungsmechanismen, die wir noch immer haben - ich nenne zum Beispiel die institutionelle Förderung und die Projektförderung -, durch eine intelligente Mischung von angebots- und nachfrageorientierten Maßnahmen ergänzen; denn Innovationen - das ist klar - sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie eng an Nachfrage und Bedarf gekoppelt werden.
Wir müssen die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen stärken und mehr Gewicht auf die Vernetzung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung sowie von Grundlagenforschung und Beiträgen zur Lösung gesellschaftlicher Bedarfe wie des Umweltschutzes legen.
Wir müssen Anreize schaffen, um die Mobilität des Personals zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie zwischen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stimulieren; denn Technologietransfer läuft auch und gerade über Köpfe. Er läuft über die handelnden Personen. Deshalb ist der Brain-drain, den wir zur Zeit in der Bundesrepublik haben, so katastrophal für unsere Zukunft.
Wir müssen den indirekten Fördermaßnahmen zur Stärkung des FuE-Potentials der Wirtschaft mehr Gewicht geben. Dazu zählt insbesondere die Wiederherstellung der steuerlichen FuE-Förderung und der potentialorientierten Maßnahmen im KMU-Bereich. Wir müssen endlich die Bedingungen für Existenzgründer und den Zugang zu Risikokapital erleichtern, anstatt nur immer darüber zu reden.
Wir müssen ernsthaft über eine wirksame Kostenverteilung zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben reden; mein Kollege Günter Rixe wird darauf noch näher eingehen.
Wir müssen die Hochschulreform und die Reform der Ausbildungsförderung voranbringen; da stimme ich Ihnen zu. Wir müssen aber auch das zur Kenntnis nehmen, was die Bundesländer in diesem Bereich bereits auf den Weg gebracht haben.
Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf ist all dies nicht zu machen. Er ist ein Abschied von der Zukunft. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir nicht mit.
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie für das Jahr 1997 steht unter dem Motto „Klare Prioritäten und mehr Effizienz".
Als Haushaltspolitiker halte ich es in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen für wichtig, daß wir offen und ehrlich eine solche doppelte Zielsetzung haben. Wir können schließlich nicht die Behauptung auf stellen, daß ein Haushalt, dessen Plafond sinkt, wächst. Das wären Zahlenspielereien und Taschenspielertricks. Minister Rüttgers hat deutlich gesagt, worum es ihm bei seinem Haushaltsentwurf für das Jahr 1997 geht: um klare Prioritäten und mehr Effizienz.
Wir alle wissen: Von den Universitäten bis hin zu den High-Tech-Schmieden wird Klage geführt und gejammert über die zur Zeit angeblich versiegenden Quellen, die Forschungsgelder über viele Jahre hinweg haben fließen lassen.
Ich bin mir aber sicher, daß sich, als die Gelder noch reichlicher flossen und Haushaltsprobleme noch nicht in der öffentlichen Diskussion waren, die Forschungstätigkeit gelegentlich mehr an der Förderungsfähigkeit als an dem innovativen Gehalt orientierte und deswegen mancher Tropfen in wissenschaftlich wenig produktiven Feldern versunken ist.
Konzentration im Sinne von Minister Rüttgers bedeutet auch die Beseitigung unproduktiver Felder. Dies wird Kernaufgabe einer Forschungspolitik sein,
Steffen Kampeter
die uns finanziell und technologisch ins nächste Jahrtausend führen muß.
Ich habe sehr begrüßt, daß Jürgen Rüttgers hier in aller Klarheit gesagt hat: Wenn dies die Schließung von Instituten bedeutet, die wissenschaftlich keine Höchstleistungen mehr erbringen, so wird dies politisch voll unterstützt. Dies muß die Botschaft an die wissenschaftliche Community sein. Aufgabe der Haushaltspolitik wird es sein, diese politischen Zielsetzungen, diesen notwendigen Anpassungsprozeß finanziell abzusichern.
15 Milliarden DM sind angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Haushalts und des insgesamt schrumpfenden Etats, den wir seit zwei Tagen diskutieren, kein Pappenstiel. Dieser Einzelplan ist vielmehr einer der größten Einzeletats im Haushalt des Jahres 1997.
Daß wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu unserer finanziellen Verantwortung stehen, lassen Sie mich an einem Beispiel erläutern, nämlich am Beispiel des Hochschulsonderprogramms III, welches in der vergangenen Woche vom Bundeskanzler unterzeichnet worden ist. Dieses Hochschulsonderprogramm bedeutet allein 2 Milliarden DM Bundesanteil zusätzlich für die Hochschulen. Das gesamte Programmvolumen beträgt 3,6 Milliarden DM. Ich halte dies vor dem Hintergrund der gesamten Haushaltsdiskussion - denn wir haben die Vorgaben der mittelfristigen Finanzplanung deutlich überschritten - für einen finanziellen Kraftakt.
Dieser finanzielle Kraftakt ist uns nicht leichtgefallen, aber er war für die Hochschullandschaft notwendig. So wurden beispielsweise die Bedingungen für die Graduiertenkollegs verbessert, 120 Millionen DM werden in den nächsten Jahren für die Verbesserung der Studienbedingungen ausgegeben, und mit einem Betrag von 240 Millionen DM werden aus dem Hochschulsonderprogramm III Multimediaprojekte unterstützt. Auch hier gilt im Bereich der Bildungspolitik: mehr Effizienz bei klaren Prioritäten.
Ich halte es von daher für verantwortbar, wenn wir andere Bereiche wie beispielsweise die Wohnraumförderung im Studentenbereich zurückfahren, wenn die politischen Prioritäten und die Notwendigkeiten nicht mehr gegeben sind.
Warum dürfen wir nicht die Mittel für Eisenbahntechnik reduzieren, wenn kein politischer oder forschungstechnischer Bedarf mehr vorliegt? Ich vertrete nachdrücklich die Auffassung, daß wir die Mittel für die Geowissenschaft um 38 Prozent und für die Modellversuche für die berufliche Bildung um 20 Prozent reduzieren sollten. Ich werde sehr sorgfältig prüfen, ob die Absenkung im Bereich von Arbeit und Technik mit 28 Prozent nicht noch zu gering ausgefallen ist. Auch dieses politische Projekt muß deutlich hinterfragt werden.
Wir sollten auch sehr sorgsam hören, was uns die Kollegen der Opposition in diesen Zeiten hier vortragen.
Herr Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thönnes?
Nein, ich wollte eigentlich erst einmal vortragen, was ich von dem Beitrag der Kollegin Bulmahn halte.
Der Beitrag der Kollegin Bulmahn ist ein Beispiel für die sozialdemokratische Doppelzüngigkeit. Die Kollegin Bulmahn hat am Anfang ihrer Rede mehr Geld für Bildung und Forschung gefordert und viele allgemeine Programmsätze formuliert, die auch in den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Zustimmung gestoßen sind, weil sie sehr schön allgemein formuliert sind und auch unseren Zielsetzungen entsprechen.
Die Kollegin Bulmahn hat ihren Wahlkreis mitten in Hannover und ist von daher offensichtlich eine führende niedersächsische Sozialdemokratin. Wer hier aber gleichzeitig in seiner Rede so große Klage führt, daß wir im großen und ganzen versagt hätten und daß Bildung und Forschung keinen Stellenwert habe, der muß in Hannover als führende Sozialdemokratin so richtig aufgeräumt haben. Das würde zumindest jeder erwarten.
Ich habe dann aber in Hannover angerufen und festgestellt, daß an den niedersächsischen Hochschulen so drastische Personaleinsparungen wie in keinem anderen Land erfolgen.
1 300 Stellen in Wissenschaft und Forschung sind in Niedersachsen gestrichen worden. Jedes Jahr drückt die Niedersächsische Landesregierung - die von Frau Bulmahn, Wahlkreis mitten in Hannover, unterstützt wird - den Universitäten eine globale Minderausgabe zwischen 30 und 50 Millionen DM auf. Frau Bulmahn, wenn Sie Ihre Rede im Niedersächsischen Landtag gehalten hätten, wären Sie wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SPD-Landtagsfraktion ausgeschlossen worden.
Das sind doch Doppelzüngigkeiten. Man kann doch nicht hier anders reden, als in Niedersachsen handeln.
Die Ergebnisse Ihrer Wissenschaftspolitik faßt die Landeshochschulrektorenkonferenz wie folgt zusammen:
Forschung, Lehre und Nachwuchsförderung an
den niedersächsischen Universitäten werden irreparabel geschädigt. Die beabsichtigten Stellen-
Steffen Kampeter
streichungen gefährden den Bestand ganzer Fächer, die Studienzeiten werden sich entsprechend verlängern, und die Qualität der Ausbildung wird sinken. Vermehrt lehnen die Professoren den an sie ergangenen Ruf ab und ziehen die Angebote von Hochschulen anderer Bundesländer vor, weil eine ausreichende Ausstattung ihrer Arbeitsbereiche nicht mehr gewährleistet werden kann.
- O-Ton der niedersächsischen Hochschulrektoren.
Wer die „Welt am Sonntag" am 1. September gelesen hat, der wird das Urteil des Präsidenten der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, des Münsteraner Rechtsprofessors Hans Uwe Erichsen, kennen. Er hat Beispiele für gute Hochschulausstattungen gegeben, zum Beispiel Bayern, das sein Tafelbesteck versilbere, um an den Hochschulen exzellente Forschung zu betreiben. Als schlechtes Beispiel hat er Niedersachsen angeführt, das weit hinterherhinke.
Frau Bulmahn, Sie haben gesagt, Minister Rüttgers sei dreist. Dies weise ich empört zurück. Aber ich muß Ihnen sagen: Wer so argumentiert wie Sie und zu Hause keine Ordnung hält, führt eine dreiste politische Argumentation.
Als Haushaltspolitiker verkenne ich gleichwohl nicht, daß der Staat auch notwendige rechtliche Rahmenbedingungen für Bildung und Forschung zu setzen hat. Klare Prioritäten und mehr Effizienz sind auch eine Anforderung an die rechtliche Effizienz. Deswegen gilt die Unterstützung der gesamten Fraktion den Aktivitäten von Bundesminister Rüttgers bei der Steigerung der rechtlichen Effizienz der Hochschulen. Wir können es uns nicht mehr leisten, daß durch hohe Bürokratiekosten viele Forschungs- und Wissenschaftsgelder versickern. Hier brauchen wir größere rechtliche Freiräume. Wir brauchen mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Dieser ist nicht nur hochschulpolitisch wichtig, sondern auch haushaltspolitisch notwendig, denn Wettbewerb senkt Kosten. Das ist es doch, worum wir derzeit gemeinsam ringen.
Die Haushaltspolitiker der Union werden in den Beratungen die von Bundesminister Rüttgers im Haushalt neu gesetzten Schwerpunkte überprüfen. An erster Stelle steht die finanzielle Absicherung der von ihm eingeleiteten Neuordnung der Forschungsförderung. Diese grundlegende Neuorientierung der Forschungslandschaft wird eine zentrale Veränderung bewirken. Mit ihr geht einher, daß die finanzielle Ausstattung der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft von jener der Fraunhofer-Gesellschaft, der Großforschungseinrichtungen und der Blaue-Liste-Institute entkoppelt wird. Es gab im übrigen von Ihnen, Frau Bulmahn, kein Wort zu dieser zentralen Frage. Sie haben offensichtlich auch hier kein Konzept.
Für die Max-Planck-Gesellschaft und die DFG ist ein Zuwachs von 5 Prozent vorgesehen, der von den übrigen Einrichtungen überwälzt wird. Das ist ungewöhnlich. Das ist eine Zielsetzung, die nicht jedem anderen Haushalt gleicht. Wir werden das sehr sorgfältig prüfen. Das ist eine Zielsetzung mit starken Argumenten. Sie muß aber während der Beratungen noch einmal diskutiert werden. Bei den übrigen Einrichtungen wird das zur Anpassung führen. Sie ist notwendig, und wir werden sie einfordern, denn in Zeiten knapper Mittel kann man manches nicht so wie in der Vergangenheit weitergehen.
Ich begrüße nachdrücklich die Ankündigung, daß man mit Großforschungseinrichtungen beispielsweise mehr über Programmbudgets als über Wirtschaftspläne reden will. Wer sich einmal ernsthaft in einer Großforschungseinrichtung umgeschaut hat - das wäre eine Anregung für die Kollegin Bulmahn, die auch zu diesem Thema wenig Sachkundiges vorgetragen hat -,
wird wissen, welche Kosten die Bürokratisierung dieser Wirtschaftspläne in den Großforschungseinrichtungen hervorgerufen hat.
Im übrigen glaube ich, daß die Ausstattung der Großforschung in Deutschland mit derzeit 2,55 Milliarden DM aus einem Plafond von insgesamt 15 Milliarden DM nicht allzu schlecht dasteht. Ich füge hinzu: In den Großforschungseinrichtungen in Deutschland wird hervorragende Arbeit geleistet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen weiteren Beratungsschwerpunkt werden wir bei der Luft- und Raumfahrt setzen. Mit den Entscheidungen der Ministerratskonferenz von Toulouse ist die Zukunft der europäischen Raumfahrt vorgezeichnet. Wir werden uns an der internationalen Raumstation beteiligen. Frau Bulmahn hat hier viele Forderungen dazu aufgestellt. Dies ist ein technologisches Spitzenprojekt, für das ich auch Ihre Unterstützung erwarte. Wir haben in der Vergangenheit in diesem Bereich zumindest im Haushaltsausschuß immer einen breiten Konsens erzielen können. Ich hoffe, daß das auch in Zukunft so sein wird.
Dabei verkenne ich nicht, daß gerade diese Branche unter einem großen Anpassungsdruck steht. Die Kosten müssen auch in diesem Bereich gesenkt werden. Es steht die Frage nach internationaler Kooperation und Kostensenkung im Raum. In diesem Zusammenhang begrüße ich, daß nicht nur die Luft- und Raumfahrtindustrie schlanker wird, sondern auch die aktuelle Forschungsförderung in diesem Bereich.
Die Zusammenlegung von DLR und DARA - auch zu diesem Thema kein Wort von Frau Bulmahn - wird von uns als ein Beitrag zu mehr Effizienz in der Organisation der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie begrüßt. Ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, auch zusätzliche Systemkapazitäten in Deutschland aufzubauen, muß sehr sorgfältig geprüft werden. Die Gefahr, die ich hierin sehe, ist, daß vor dem Hintergrund der noch nicht ausreichend erfolgten Kommerzialisierung der Raumfahrt neue
Steffen Kampeter
Systemkapazitäten lediglich zu Lasten der öffentlichen Haushalte gehen werden. Hierfür sehe ich derzeit keine finanziellen Möglichkeiten.
Weiterhin sollten wir das Verhältnis der nationalen Programme zu den europäischen Programmen sorgfältig prüfen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß wir auch zukünftig in Deutschland technologische Spitzenleistungen vollbringen werden.
Ein dritter Bereich, der in den Haushaltsberatungen eine Rolle spielen wird, ist unter die Überschrift - -
- Nein, die Meerestechnologie wirst du sicherlich besonders hervorheben, ich wollte mehr über die Datenautobahnen sprechen. Die Kollegin Bulmahn hat es angesprochen: In diesen Tagen werden viele Schulen im Rahmen unseres Modellprojekts an das Internet angeschlossen. Das ist eine ganz hervorragende Sache, weil wir die frühzeitige Heranführung an diese Zukunftstechnologie zu einem Kernanliegen unserer Politik gemacht haben. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Technologie wurden in der Vergangenheit oftmals unterschätzt. Bei manchen werden sie auch noch heute unterschätzt. In den nächsten Jahren werden Mittel in Höhe von 23 Millionen DM für die Initiative „Schulen ans Netz" bereitgestellt. Das ist ein erklecklicher Betrag.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Altmann?
Selbstverständlich, sofort.
Ich will nur noch hinzufügen: Die Deutsche Telekom unterstützt diese Initiative mit 36 Millionen DM. Dies ist ein positives Beispiel für die Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen.
Bitte, Frau Kollegin Altmann.
Herr Kollege Kampeter, Sie nannten gerade die Initiative „Schulen ans Netz". Mittel in Höhe von rund 60 Millionen DM sind dafür vorgesehen. 10 000 Schulen sind Ziel der Initiative. Pro Schule würde das eine Förderung von 6 000 DM bedeuten. Meinen Sie nicht, daß bei einer Klasse von 20 bis 30 Schülern dieser eine Multimediacomputer, den man damit erstehen kann, irgendwann einmal in der Ecke stehen wird? Ich frage Sie, ob dieser Computer auf diese Art und Weise produktiv genutzt wird. Wer soll nach Auslaufen des Programms - das Förderprogramm erstreckt sich nur über drei Jahre - die Initiative „Schulen ans Netz" weiterbezahlen?
Frau Kollegin, ich muß zunächst sagen, daß diese Initiative ein voller Erfolg ist. Viele Schulen in meinem Wahlkreis haben mich gebeten, ihnen die Förderbedingungen zur Verfügung zu stellen. Eine ganze Reihe Schulen auch aus meiner Region - allein in Bielefeld zwei Schulen - sind als Modellprojekte ausgesucht worden. Das heißt, bei den Schulen besteht offensichtlich Nachfrage für das Projekt. Das bedeutet, daß wir ein gutes Angebot gemacht haben; denn ein gutes Angebot schafft sich seine Nachfrage.
Der zweite Teil meiner Antwort bezieht sich darauf, daß das Modellprojekt auf drei Jahre befristet ist. Das finde ich gut und richtig. Denn wir wollen einen Anstoß liefern, sich mit dem Thema Internet in den Schulen auseinanderzusetzen. Es kann nicht angehen, daß wir Aufgaben der Schulen, die der örtliche Schulträger und die Länder zu erledigen haben, auf Dauer finanzieren. Wir wollen lediglich einen Anstoß liefern. Dieser auf drei Jahre befristete Anstoß soll das Projekt „Schulen ans Netz" sein.
Die Resonanz - ich sage das noch einmal - ist bei allen Schulformen riesengroß. Die Schulen konnten gar nicht schnell genug die Antragsunterlagen erhalten. Deswegen, glaube ich, ist dieses Projekt eine gute Sache.
Herr Kollege Kampeter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Thönnes?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Kampeter, Sie haben damit zwar nicht die Frage meiner Vorrednerin beantwortet, vielleicht gelingt Ihnen das aber bei mir.
Ich teile die Auffassung, daß die Initiative im Kern ein positiver Anstoß ist. Angesichts der Dynamik des gesamten Prozesses wird dies aber hinten und vorne nicht ausreichen. Glauben Sie nicht, daß es vor dem Hintergrund der von Ihnen genannten Mittel in Höhe von weit über 60 Millionen DM und der Mittel in Höhe von 240 Millionen DM, die im Hochschulsonderprogramm III für den Bereich Multimedia, wie Sie eben ausgeführt haben, integriert sind, gegenüber der beruflichen Ausbildung, insbesondere der Lehrerfortbildung und auch der Befähigung der Ausbilderinnen und Ausbilder gerade in kleinen und mittleren Betrieben, ein Mißverhältnis ist, wenn in dem entsprechenden Haushalt die Ansätze für Modellprojekte um 1,5 Millionen DM zurückgefahren werden bzw. bei Maßnahmen zur Weiterentwicklung von IuK-Technologien in kleinen und mittleren Unternehmen gerade einmal um 650 000 DM steigen? Mei-
Franz Thönnes
nen Sie nicht auch, daß hier noch weiterer Beratungsbedarf im Ausschuß besteht?
Herr Kollege, ich möchte Ihnen erstens darauf antworten, daß bei diesem Etat selbstverständlich Beratungsbedarf im Ausschuß besteht. Wir befinden uns hier in der ersten Lesung. Es ist selbstverständlich, daß im Rahmen der Haushaltsberatungen auch kritische Fragen zu diesem Etat gestellt und beantwortet werden.
Zum zweiten Teil meiner Antwort: Ich glaube, daß es falsch ist, den Bereich der schulischen Informationsbildung gegen den Bereich der beruflichen Bildung auszuspielen. Wenn Sie den Etat betrachten, werden Sie feststellen, daß es eine Vielzahl von Maßnahmen gibt, die die berufliche Bildung betreffen. Ich nenne beispielsweise unsere Bemühungen für das Sonderprogramm Ost im Ausbildungsbereich. Daß wir das eine oder andere Modellprojekt zukünftig nicht mehr weiterführen wollen, halte ich für einen Ausdruck unserer Politik: klare Prioritäten, mehr Effizienz. Ich kann dort keinerlei Benachteiligung der beruflichen Bildung erkennen.
Trotzdem werden wir selbstverständlich Ihre Anregung insbesondere im Bereich der Modellversuche in der beruflichen Bildung daraufhin prüfen, ob es hier Möglichkeiten und vor allem Notwendigkeiten - das ist ja viel wichtiger - der Aufstockung gibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere wichtige zentrale Aspekte - ich will sie hier nur kurz anführen -, mit denen wir uns auf die MultimediaGesellschaft vorbereiten, sind die Unterstützung von Bibliotheken und Verlagen im Bereich Electronic publishing, Maßnahmen, um Multimedia im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu erschließen und anzuwenden, und die Gewährleistung von Mobilität durch neue Konzepte der Verkehrstelematik. Das Konzept Mobilitätsforschung ist im Haushalt 1997 enthalten.
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu einem anderen Etat. In einem Bereich sehe ich einen dringenden Nachholbedarf, nämlich beim Umgang des Deutschen Bundestages mit den neuen Kommunikationstechnologien. Wir haben strikte Begrenzungen durch die Auflagen des Abgeordnetengesetzes. Sie wissen, aus welchen Gründen eine Änderung des Abgeordnetengesetzes nicht möglich war. Aber es kann uns durchaus passieren, daß wir den Schulen, die wir am Multimedia-Projekt beteiligen, bessere Kommunikationsmöglichkeiten in diesem Bereich zubilligen als uns selbst. Der Deutsche Bundestag darf nicht die Auffahrt zur Datenautobahn verpassen. Ich bitte die zuständigen Kollegen, in den Beratungen hierauf noch einmal zu achten.
Abschließend will ich noch einiges zum grundsätzlichen Zusammenhang der Entscheidungen dieser Woche mit ihren Auswirkungen auf den Bereich Forschung und Technologie sagen. Wenn wir morgen über das Programm für Wachstum und Beschäftigung abstimmen, wird es im Kern darum gehen, die
Investitionsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Investitionen sind heute immer hochtechnologische Veranstaltungen. Das heißt, eine Blockade des Programms für Wachstum und Beschäftigung in diesem Bereich hat auch Auswirkungen auf unseren Bereich. Deswegen: Wer Verantwortung für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in Deutschland übernehmen möchte, der wird morgen auch für dieses Programm stimmen.
In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Simone Probst, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzminister hat Herrn Rüttgers wirklich sehr tief in die Tasche gegriffen, denn der BMBF-Haushalt ist nicht proportional zu den anderen Haushalten gekürzt worden, was man vielleicht noch hätte verstehen können. Ich weiß überhaupt nicht, wie Herr Rüttgers eine doppelt so starke Kürzung hat hinnehmen können.
Dies paßt einfach nicht zu Ihrem Lippenbekenntnis für mehr Forschung, für mehr Wissen, für mehr Bildung. Ich denke, gerade hier hätten Sie im Kabinett kämpfen müssen. Mir wurde gesagt, ich darf nicht „Memme" oder „Lusche" sagen, und ich möchte das auch nicht. Aber wenn Sie sich dort stärker eingesetzt hätten, dann wäre es Ihnen womöglich gelungen.
Ich höre von Herrn Kampeter: klare Prioritäten setzen, Innovationspolitik ist notwendig, mutig soll man sein.
- Gucken Sie sich mal Ihren Haushalt an; es rächt sich wirklich bitter, wider besseres Wissen - wenn man hier Ihre Bekenntnisse hört - an den milliardenschweren Großprojekten mit zweifelhaftem Ausgang festgehalten zu haben. Die Liste dieser milliardenschweren Großprojekte ist lang: der Transrapid, der Fusionsreaktor Wendelstein 7 X, der Forschungsreaktor Garching und nicht zuletzt die Raumstation Alpha.
Herr Kollege Kampeter, da Sie nun schon etwas zur Raumstation Alpha gesagt haben, möchte ich gerade an diesem Beispiel deutlich machen, wie groß der Unsinn, den Sie da betreiben, wirklich ist. Im vergangenen Herbst - Sie haben es angedeutet - haben Deutschland, Frankreich und Italien vereinbart, sich an dieser internationalen Raumstation zu beteiligen, - einem reinen Statussymbol, von dem noch nicht einmal das Forschungsministerium behauptet, daß es irgendeinen wissenschaftlichen Nutzen stiftet.
Die Kosten für Deutschland belaufen sich nach den bisherigen Schätzungen inzwischen auf über 1 Milliarde DM, so daß es für die übrigen Raumfahrtan-
Simone Probst
wendungen bereits jetzt sehr, sehr eng geworden ist: Kürzungen beim nationalen Raumfahrtprogramm, Kürzungen bei der Erforschung des Weltalls, bei den Schwerelosigkeitsexperimenten und vor allem Kürzungen bei der Erdbeobachtung. Genau hier würden sehr viele Chancen für die unbemannte Raumfahrt liegen. Ich denke, Sie haben es verpaßt, dort vernünftige Schwerpunkte zu setzen.
Die Weichen sind falsch gestellt. Die Koalition hat auch in den vergangenen zwei Tagen immer wieder von nachhaltiger Entwicklung geredet, aber von einem Schwerpunkt oder wenigstens von einer minimalen Akzentsetzung zugunsten der Nachhaltigkeit ist in diesem Haushalt nichts, aber auch gar nichts zu spüren.
In unseren Nachbarländern ist es anders. Sie können sich einmal umschauen: In Österreich ist beispielsweise die Verzehnfachung der Ressourceneffizienz zum Staatsziel erklärt worden, das heißt, eine Veränderung um den Faktor 10 unter anderem beim Energie-, beim Material- und beim Flächenverbrauch. Ich frage einfach: Warum geht diese Bundesregierung nicht in die gleiche Richtung, indem sie dieses Ziel umsetzt? Sich auf dieses Ziel zu verständigen wäre wirklich ein Zeichen für eine zukunftsfähige Forschungs- und Technologiepolitik.
- Anscheinend.
Selbst die Industrie - das habe ich mit relativer Verwunderung zur Kenntnis genommen, habe mich aber sehr darüber gefreut - ist schneller als das schwerfällige Forschungsministerium. Beispielsweise läßt sich die Firma Hoechst inzwischen vom Öko-Institut beraten, um zu einer nachhaltigen Chemieproduktion zu kommen. Beim Bund hingegen gibt es kaum sozialökologische Forschungsinstitutionen. Sie, Herr Rüttgers, haben zwar angekündigt, die Forschungsinstitute zu evaluieren. Wir meinen, daß moderne interdisziplinäre Forschungsinstitute wie beispielsweise das Öko-Institut oder das IOW in die Förderung mit einbezogen werden sollten; denn diese Institute werden, wird es zu einer Evaluation durch den Wissenschaftsrat kommen, sicherlich sehr viel besser abschneiden als so manches etablierte Schmalspurinstitut.
Ein besonderer Skandal - Frau Bulmahn hat es schon angesprochen - in diesem Haushaltsentwurf ist die Kürzung der Fördermittel für Solarthermie und Photovoltaik um zirka 20 Prozent. Damit haben Sie Ihre gerade einmal drei Monate alte Planung aus dem Energieforschungsprogramm über den Haufen geschmissen und ad absurdum geführt. Ich frage mich, ob Sie es für besonders innovativ halten, alle drei Monate die Strategie zu ändern. Ich halte es auf jeden Fall für absolut konzeptionslos.
Dies ist mehr als nur ein Beispiel, wie man die Zukunftstechnologie kaputtmachen kann, die im nächsten Jahrhundert von strategischer Bedeutung sein wird.
Herr Kollege Kampeter, Sie waren eben besonders stolz auf die Bereiche, in denen gespart worden ist. Es sind die Bereiche: Umwelt, Gesundheit, Arbeit und Technik. Die Forschung, die unter das Kapitel Daseinsvorsorge fällt, die übrigens eine der wesentlichen zentralen Aufgaben staatlicher Forschungsförderung ist, ist der am härtesten gekürzte Bereich. Es geht bei Ihnen anscheinend nach dem Motto: Was ich über Umweltprobleme nicht weiß, macht mich nicht heiß. Herr Rüttgers, vielleicht denken Sie wehmütig daran, daß das Sonnenbaden sehr viel mehr Spaß gemacht hat, als man über das Ozonloch noch nichts wußte.
Mit einer solchen Strategie werden Sie nicht weit kommen. Wir wollen die Integration des Nachhaltigkeitsgedankens in alle Forschungsbereiche. In der Umwelttechnik werden beispielsweise Kriterien für Verbundwerkstoffe entwickelt, und dies muß sich auch im Förderprogramm für neue Materialien widerspiegeln.
Ökosystemforschung, Friedensforschung, Konsum- bzw. Bedürfnisforschung, Gesundheitsforschung und auch die Frauenforschung müssen einen höheren Stellenwert bekommen. Sie reden immer von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, Sie reden immer über die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es ist notwendig, daß durch Produkt- und Dienstleistungsinnovation neue Märkte erschlossen werden. Dieses wird nur gelingen, wenn man gleichermaßen die Gesellschafts- wie die Naturwissenschaften einbezieht.
Dieser Haushalt zeigt die mangelnde Zukunftsorientierung des Forschungsministers. Wir hoffen, daß dieses Kapitel in der Forschungspolitik bald ein Ende haben wird.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Freien Demokraten hätten uns sehr gut vorstellen können, daß es gerade im Haushalt des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie weitere Steigerungen gegeben hätte. Leider ist dem nicht so.
Man muß allerdings sagen, daß es in diesem Bereich nicht allein mit staatlichen Finanzmitteln getan ist. Ich komme nachher in meinen Ausführungen
Jürgen Koppelin
darauf noch zurück. Aber ich will schon ankündigen, Herr Minister, daß wir als F.D.P. die Haushaltsberatungen nutzen werden, um noch Verbesserungen in dem einen oder anderen Bereich zu erreichen. Auch dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Deutschland verfügt über ein hervorragendes vielfältiges Forschungssystem. Nun kommt es darauf an, daß alle Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz der Forschung in Deutschland trotz der geringeren zur Verfügung stehenden Mittel genutzt werden. Daher ist es Aufgabe gerade der Politik, Prioritäten zu nennen. Ich denke, Minister Rüttgers hat es heute in seiner Rede - so finden wir es jedenfalls - sehr deutlich gemacht. Wir begrüßen es, daß Sie solche Prioritäten gesetzt haben.
Allerdings, Herr Minister, bei den knapper werdenden finanziellen Mitteln und bei der nicht vorhandenen Bereitschaft der Wirtschaft - das muß man leider so sehen -, weiter in Forschung zu investieren, sehen wir Freien Demokraten mit Sorge, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland in der Forschung zurückfallen könnte. Wir unterstützen daher die Aussage von Minister Günter Rexrodt und auch von Minister Jürgen Rüttgers: Wir benötigen in Deutschland mehr Leitprojekte.
Wir meinen, daß beide Minister auch recht haben, wenn sie in diesen Tagen erklärten, daß wir den Standort Deutschland nicht schlechtreden dürfen. Bei den Sozialdemokraten klingt das aber immer wieder so an. Was uns wichtig ist: Die Wissenschaft selber wäre gut beraten, wenn sie stärker über ihre Erfolge reden würde.
Die F.D.P. begrüßt die vorgesehene Erhöhung der Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ihre Finanzausstattung konnte ein weiteres Mal verbessert werden. Ihre bewährten Instrumente spielen eine neue wichtige Rolle bei der Verstärkung des Wettbewerbs in der außeruniversitären Forschung. Wichtig erscheint uns, für die Zukunft sicherzustellen, daß die DFG die letzte von staatlichen Lenkungsversuchen verschonte Forschungsförderungsorganisation bleiben kann. Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon zu viele Beamte, die glauben, bessere Forscher und Unternehmer zu sein. Die Erfahrung hat gezeigt, daß in diesen schwierigen Feldern nur mit kollegialer Selbstkontrolle der Wissenschaftler Fehlentwicklungen zu vermeiden sind.
Für die Grundausstattung der Hochschulen sind andere in diesem Staat zuständig. Es ist jedoch festzustellen: Je schlechter die Grundausstattung der Hochschulen, desto größer die Gefahr, daß Spitzenforschung gar nicht mehr möglich ist bzw. Mittel der Spitzenforschung für die Grundausstattung zweckentfremdet werden.
Auf dem Gebiet der Spitzenforschung außerhalb der Universitäten hat sich die Max-Planck-Gesellschaft national wie international große Anerkennung erworben. Die F.D.P. begrüßt daher, daß im Haushaltsentwurf dort weitere Mittelzuwächse vorgesehen sind.
Die Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft, die Minister Rüttgers gemeinsam mit seinem Etatentwurf vorgestellt hat, entsprechen mit ihrer starken Unterstützung der Grundlagenforschung und der verstärkten Einführung von Wettbewerbselementen den Vorstellungen liberaler Zukunftspolitik.
Dazu zähle ich auch die privatwirtschaftlichen Ergänzungen des Fraunhofer-Modells und die Reduzierung des allgemeinen Verwaltungsaufwandes durch eine Reduzierung der Mischfinanzierung bei den Instituten der Blauen Liste.
Die Schwerpunkte dieses Haushaltes liegen sicher bei den Technologien für die Informationsgesellschaft und bei der Förderung der Biotechnologie. Wenn Deutschland in der Biotechnologie bis zum Jahr 2000 wieder einen Spitzenplatz einnehmen soll, dann müssen wir auch dafür sorgen, daß beispielsweise die Europäische Konferenz und das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie so ausgestattet werden, daß auch im Jahr 2000 der Standort dieser Konferenz Heidelberg sein kann.
Erstmals in diesem Haushalt wurden die in den vergangenen Jahren von Kürzungen weitgehend verschonten Beiträge für die europäischen Forschungsorganisationen reduziert. Wir haben hier in den vergangenen Jahren Beachtliches geleistet und damit Deutschlands Position im internationalen Forschungswettbewerb gestärkt. Trotz vorgenommener Kürzungen muß sichergestellt werden, daß die mit viel Aufwand getätigten Investitionen in entsprechendem Umfang genutzt werden können.
Angesichts der von vielen - wie ich meine: zu Recht - beklagten mangelnden Attraktivität Deutschlands für ausländische Studierende begrüßt die F.D.P. die vorgesehene Verdreifachung der Zuwendungen an Wissenschafts- und Mittlerorganisationen zur Förderung der internationalen Kooperation und des Wissenschaftleraustauschs mit dem Ausland.
Sie merken schon, ich habe einige positive Punkte aufgezählt. Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn die Sozialdemokraten in ihrem Beitrag bei aller Kritik gerade diese positiven Dinge mit herausgestellt hätten.
Ich erwähne das Meister-BAföG und die Tatsache, daß wir zusätzliche Ausbildungsplätze in den neuen Bundesländern durch ein neues Sonderprogramm in Höhe von mehr als 230 Millionen DM geschaffen haben. Das Hochschulsonderprogramm III mit einem Gesamtvolumen - der Kollege Kampeter hat eben bereits darauf hingewiesen - von 3,6 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 wurde neu aufgelegt. Das zeigt doch, daß die Bundesregierung trotz aller finanziel-
Jürgen Koppelin
len Schwierigkeiten in der Lage ist, die drängendsten bildungs- und forschungspolitischen Aufgaben zuverlässig zu erfüllen.
Ich will hier gern eine Anregung meines Kollegen Guttmacher aufgreifen: Herr Minister, es wäre gut, wenn hier zusätzlich Mittel freigestellt werden könnten, damit gerade in den neuen Bundesländern die Integration von Wissenschaftlern stattfinden kann.
Noch ein Wort zum Meister-BAföG. Wir Freien Demokraten haben kein Verständnis dafür, daß jetzt einzelne Bundesländer die Bewilligung des Meister-BAföG sehr bürokratisch handhaben und teilweise ihre Mittel sehr spät zur Verfügung stellen. Es kann nicht angehen, daß der Bund Finanzmittel bereitstellt, es dann aber in den Ländern zu einem Stau bei der Bearbeitung der Anträge kommt.
- Ich vermute, daß diejenigen, die jetzt rufen, gerade aus den Ländern kommen, in denen - -
- Wir haben uns doch geeinigt und gemeinsam eine Lösung gefunden. Der Bund hat sogar noch mehr Mittel übernommen. Ich verstehe nicht, daß Sie da noch krakeelen. Da wir gemeinsam der Auffassung waren, daß das Meister-BAföG eine wichtige Sache ist, sollten Sie bei Ihren Landesregierungen - egal, wer sie stellt - darauf drängen, daß es hier endlich vorangeht.
Ich will diese Debatte auch nutzen, um positiv zu vermerken, daß für den neuen Förderbereich Multimedia und Informationsdienstleistungen der Haushaltsansatz hochgefahren wird. Es kommt allerdings nach unserer Auffassung in diesem Bereich nicht allein darauf an, entsprechende Fördergelder zur Verfügung zu stellen, sondern wir sind der Meinung, Herr Minister, daß das von Ihnen angekündigte Multimedia-Gesetz nur zum Inhalt haben kann, daß die Zuständigkeit der Länder in diesem Bereich ausschließlich auf den Rundfunk zu begrenzen ist. Das ist jedenfalls unsere Auffassung. Sollte das Teleshopping im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, dann werden die innovativen Dienstleistungen durch Multimedia in Deutschland auch zukünftig den Steinzeitservice von Btx wohl kaum übertreffen.
Herr Minister Rüttgers, wir unterstützen Sie auch in Ihren Aussagen zur Hochschulfinanzierung. Die Hochschulförderung muß sich unmittelbar auf die Belange der Hochschulen und der Studierenden konzentrieren. Die Hochschulfinanzierung muß leistungsorientiert erfolgen. Hier gibt es zwischen Ihnen und unserer Fraktion völlige Übereinstimmung.
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, an dieser Stelle noch einmal darauf zu verweisen, daß wir
Freien Demokraten dafür eintreten, daß die Schulzeit in Deutschland verkürzt wird. Das Abitur sollte man nach zwölf Jahren erreichen. Das ist unerläßlich, meinen wir.
- Ich trage das hier vor. Sie können sich dann zu unseren Vorschlägen äußern. Wir sind der Meinung, daß wir das machen sollten. Das kann man bei Gelegenheit einer solcher Debatte auch einmal sagen. Aber Sie werden sicherlich nachher noch reden.
Erlauben Sie mir, speziell auf den vorliegenden Haushaltsentwurf einzugehen. Sie, Herr Minister, haben richtigerweise gesagt, daß man bei diesem Haushalt nicht mit dem Rasenmäher Kürzungen vorgenommen hat. Allerdings - und das hat mich etwas gewundert - sind die Sozialdemokraten überhaupt nicht darauf eingegangen. Mein Eindruck war, daß sie den Haushaltsplanentwurf gar nicht gelesen haben.
Es gibt allerdings einen Punkt, den wir Freien Demokraten kritisch sehen: Es besteht nämlich die Gefahr, daß im Laufe des Jahres 1997 bei diesem Haushalt, wenn er zur Wirkung kommt, vielleicht doch noch der Rasenmäher angesetzt wird. Ich spreche von der globalen Minderausgabe von 200 Millionen DM. Wir Freien Demokraten befürchten, daß dann, wenn diese globale Minderausgabe so stehenbleibt, die durch das Ministerium vorzunehmenden Kurzungen eher willkürlich ausfallen werden. Das können und werden wir nicht zulassen. Ich kündige hiermit schon an, daß bei den Beratungen zum Haushalt des Forschungsministers diese globale Minderausgabe in Höhe von 200 Millionen DM nicht stehenbleiben kann. Vielleicht werden wir mit einer globalen Minderausgabe arbeiten müssen, jedoch nicht in dieser Höhe.
Sie haben im Haushaltsplanentwurf auch beim Programm Mikrosystemtechnik eine Kürzung vorgenommen. Bei der Mikrosystemtechnik sind hoffnungsvolle Ansätze auch für den Verbund von Forschungsinstituten, Großunternehmen, kleinen und mittleren Unternehmen entstanden, die durch eine stärkere Kürzung der Mittel in diesem Bereich gefährdet werden. Ich denke, auch hierüber müssen wir noch einmal sprechen.
Der Kollege Kampeter hat vorhin in seiner Rede richtigerweise darauf aufmerksam gemacht: Ich werde mich garantiert dafür einsetzen, daß über die Mittel im Bereich der Meerestechnik und der Meeresforschung, die Sie erheblich gekürzt haben - viel stärker, als die Kollegin von den Sozialdemokraten es genannt hat; auch da hat sie den Haushaltsplan nicht richtig gelesen -, noch einmal gesprochen wird. Ich melde hier bereits erhebliche Bedenken an, was diese Senkung angeht. Ich meine, Meeresforschung und Meerestechnik müssen ihren richtigen Stellenwert haben. Hier sind die Kürzungen überdurchschnittlich. Wir werden darüber noch einmal reden müssen.
Jürgen Koppeln
Jedoch bleibt insgesamt festzustellen, Herr Minister: Die Richtung des Haushalts stimmt, die Zielvorgaben sind klar. Deswegen werden wir gern mit Ihnen und Ihrem Haus in eine sicherlich sehr interessante Haushaltsberatung eintreten.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Kollege Ludwig Elm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine solide Berufsausbildung ist das größte Kapital unserer Jugend. In der Politik der Bundesregierung und in der aktuellen Lehrstellensituation ist diese gelegentlich vom Bundeskanzler geäußerte und durchaus zustimmungsfähige Einsicht kaum wiederzuerkennen.
Wer die Meldungen in den vergangenen Monaten aufmerksam verfolgt hat, konnte feststellen, daß sich die Lage der Jugendlichen auf Lehrstellensuche im Vergleich zum Vorjahr noch dramatischer gestaltet hat. Aus diesem Grund wurde sie in den vergangenen beiden Tagen bereits wiederholt angesprochen.
Nach der Schnellauswertung der Bundesanstalt für Arbeit vom 1. September ist noch von 117 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle die Rede. Der Zukunftsminister rechnete dieses Defizit in der Kanzlerrunde auf 20 000 herunter. Der Finanzminister sagte vor zwei Tagen, das Problem sei gelöst. Das sei ein „Gütesiegel" für den Standort Deutschland. Tatsächlich reduzierte sich die Zahl der den Arbeitsämtern gemeldeten Lehrstellen gegenüber dem Vorjahr um 4,7 Prozent.
Die dramatische Situation auf dem Lehrstellenmarkt hat sich nicht über Nacht, sondern seit Jahren ergeben. Sie kann durch noch so eifrigen Aktionismus von Arbeitsämtern, durch Anstrengungen des Handwerks, durch engagierte Drohgebärden des Kanzlers, durch Appelle an die Wirtschaft und kurzatmige Notprogramme nicht kompensiert werden.
Hier sind Neuansätze in der Politik notwendig, wie beispielsweise die vom DGB vorgeschlagene Umlagefinanzierung oder das von uns seit Jahren geforderte mittelfristige Gemeinschaftsprogramm zur Schaffung von 100 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland.
Es gehen uns viele Schreiben von Jugendlichen zu, die auf der Suche nach einer Lehrstelle eine Enttäuschung erleben. Ich nehme einen Brief von einem, der glaubte, Erfolg zu haben. Er erhielt eine neue Absage im Zusammenhang mit aktuellen Haushaltsstreichungen. Wörtlich schreibt dieser junge Mann:
Wie glaubwürdig ist die Politik dieses Landes, wenn man uns jungen Menschen sagt, daß in den neuen Bundesländern bis Ende September allen ein Ausbildungsplatz zur Verfügung stehen wird? Sollen wir denn wirklich mit unseren 20 Jahren für den Rest unseres Lebens in die Sozialhilfe gedrückt werden? Welche Zukunft gibt es in diesem Land überhaupt? Sind wir der Abfall der Einigungsgeschichte? Was sollen wir eigentlich noch hier?
Das sind Fragen an uns und unsere Beschlüsse, an die Regierung, den Kanzler und den Zukunftsminister.
Die Studierenden haben Anlaß, ähnliche Fragen zu stellen. Zu den haarsträubendsten Begebenheiten der letzten Wochen und Monate gehört die rückwirkende Anrechnung von Auslandsstudienaufenthalten auf die Förderhöchstdauer des BAföG. Es gibt inzwischen eine Reihe von Studentinnen und Studenten, die zur Kenntnis nehmen mußten, daß die Förderhöchstdauer abgelaufen ist und daß sie auf Grund ihres Auslandsstudienaufenthaltes keinen Anspruch auf eine weitere Förderung haben, daß sie nunmehr bestenfalls über ein verzinsliches Bankdarlehen ihre weiteren Semester zu finanzieren haben. Die notwendigen Voraussetzungen selbst dafür sind noch nicht einmal geschaffen. Für manchen Studenten, für manche Studentin ist das eine katastrophale Situation inmitten eines intensiven Arbeits- und Studienprozesses, vielfach in einer fortgeschrittenen Phase.
Nicht minder kontraproduktiv ist die Beseitigung der Rentenversicherungsfreiheit von Studierenden, die auf einen Zusatzverdienst angewiesen sind. Das trifft ausländische Studierende besonders hart. Ich verweise darauf, daß der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz uns in einem Schreiben sehr nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, daß diese Regelung ganz entschieden allen Versicherungen der Politiker widerspricht, wonach endlich die Bedingungen, die Atmosphäre, die Regelungen für Auslandsstudenten in Deutschland verbessert werden sollten. Er hat geschrieben, daß das ein Hohn sei, der dazu beitragen werde, die Abnahme der Attraktivität für Ausländerinnen und Ausländer fortzusetzen.
Das sind einige Beispiele, bei denen den schönen Worten von der zukunftsbestimmenden und dementsprechend zu fördernden Wissensgesellschaft, von Internationalisierung und Globalisierung, von strategischer Orientierung, von großen Reformprojekten und Innovationen schlicht unsoziale und altem Denken verhaftete bildungspolitische Taten der Regierung und der Koalition auf dem Fuße folgen.
Verallgemeinernd läßt sich als ein Charakteristikum der Bildungs-, Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung und auch dieses Haushaltsentwurfes der Widerspruch zwischen Worten und Taten, zwischen Absichtserklärungen und praktischer Umsetzung feststellen.
Alle im Bundestag vertretenen Parteien halten die Zeit für grundlegende Reformen in Bildung, Wissenschaft und Forschung für gekommen. Der Regierung bzw. der Koalition bleibt es jedoch vorbehalten, Kürzungen im Haushalt, besonders bei der Projektförderung und hier besonders drastisch in der Umweltforschung, oder das grundgesetzwidrige Abdriften vom
Dr. Ludwig Elm
Sozialstaatsprinzip bei der Studienfinanzierung als weitsichtige Reformprojekte verkaufen zu wollen.
Auch für die Forschungspolitik der Kaolition ist der Widerspruch zwischen qualitativen Zielstellungen und Absichtserklärungen der Bundesregierung, wie sie etwa in den „Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" vom Juli dieses Jahres enthalten sind, und der nochmaligen deutlichen Kürzung des Haushalts dieses Ministeriums um nunmehr 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr charakteristisch. Besonders alarmierend erscheint uns auch, daß die für den notwendigen ökologischen Umbau wichtigen Förderbereiche wie Ökologie und Umwelttechnologie, erneuerbare Energien oder das Programm „Beschäftigung durch Innovation" überproportional gekürzt werden, während gleichzeitig an teuren und gefährlichen Projekten wie am Atomreaktor FRM II, am Transrapid und überhaupt an fragwürdigen Prestigegroßprojekten festgehalten wird.
Die allgemeine mittelstandsbezogene Innovationsförderung stagniert. Und obwohl inzwischen von der Industrieforschung Ost im Vergleich zu 1990 nur weniger als ein Sechstel übriggeblieben ist, laufen wichtige Förderprogramme des Ministeriums aus oder werden um 50 und mehr Prozent zusammengestrichen, darunter die indirekte Förderung des FuE-Personals in der Wirtschaft und in der Auftragsforschung, beim Auf- und Ausbau von Technologie- und Gründerzentren in den neuen Bundesländern.
aber er ist ziemlich unparlamentarisch.
Es ist schon erstaunlich, wie selbst der Kanzler den Versprechungen der Wirtschaft wieder auf den Leim geht und die falschen Zahlen glaubt, die man ihm vorlegt.
Vielleicht sollte der Kanzler zu seinen Kanzlerrunden auch einmal die Gewerkschaften einladen - wenn sie überhaupt noch kommen wollen -, damit er auch deren Worte hören kann.
Ich habe in diesem Hause bereits mehrfach erklärt, daß der jährliche Streit um die Ausbildungsplatz- und Berufsberatungsstatistik müßig ist. Dieser Streit wird auf dem Rücken der betroffenen Jugendlichen ausgetragen, genauso wie das bei der aktuellen Diskussion über die Höhe der Ausbildungsvergütungen der Fall ist. Es ist beschämend und diffamierend, wenn man über die Ausbildungsvergütung diskutiert und sich Vertreter der Industrie hinstellen und sagen: Die müssen wir senken, sonst bilden wir nicht aus.
900 DM, 800 DM, 1 000 DM Ausbildungsvergütung - davon muß man Steuern und Sozialversicherungsabgaben bezahlen.
Wenn ich mir aber noch einmal die aktuellen Zahlen vornehme, dann ist mir völlig schleierhaft, Herr
Minister, wo Sie den Optimismus hernehmen, wenn Sie sagen: Alles nicht so schlimm; wir brauchen ja nur noch 20 000 betriebliche Ausbildungsplätze bis zum Ende des Jahres. Allein das Wort „nur" bezeichnet ja schon eine Katastrophe für diejenigen, die noch keinen Ausbildungsplatz haben. Sie wissen selbst, daß die Zahlen nicht stimmen, daß sie höher sind als 20 000.
Wir haben 117 064 Jugendliche und 69 600 offene Plätze. Daraus ergibt sich eine Differenz von 47 464. Sie sprechen von 20 000 fehlenden Plätzen. Ich frage Sie: Wo haben Sie denn die 20 000 gelassen? Gibt es denn dieses Jahr noch ein Sonderprogramm, zusätzlich zu dem, das Sie schon aufgelegt haben und das 14 000 Plätze schuf? Fragen Sie einmal Vertreter der neuen Länder! Dort kann man das nächste Sonderprogramm doch gar nicht mehr finanzieren. Der Bundeshaushalt kann ja auf EU-Mittel zurückgreifen, die auch eigentlich für andere Zwecke und nicht für die Ausbildung vorgesehen sind. Im letzten und im vorletzten Jahr haben Sie das gemacht.
So, wie Sie das machen, kann man aber mit einer Statistik nicht umgehen. Es geht hier doch um Menschen. Die Schönrechnerei der Bundesregierung ist unverantwortlich den Jugendlichen gegenüber. Was nützt einem Mädchen in Oldenburg, das Elektronikerin werden will, ein freier Ausbildungsplatz als Bäckerin in Passau?
Herr Kollege Rixe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rüttgers?
Ja, sicher.
Herr Kollege Rixe, wir wissen aus einer Vielzahl von Diskussionen, daß wir beide bedauern, daß die Frage der Zahlen immer im Mittelpunkt steht und es jedes Jahr dieselbe Debatte gibt. Ist Ihnen bewußt, und haben Sie zur Kenntnis genommen, daß die Zahl von gut 20 000 vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit so errechnet und dann vorgelegt worden ist? Das ist dieselbe Statistik, auf die Sie sich mit ihren höheren Zahlen beziehen. Insofern weiß ich nicht, warum Sie diese Frage hier überhaupt noch diskutieren.
Herr Minister, ich habe im Urlaub, vor ein paar Tagen, genau nachvollzogen, wie Sie auf die Zahl von 20 000 gekommen sind. Diese Zahl hat ja Herr Jagoda gemeinsam mit Ihnen und Herrn Blüm, der ja für die Bundesanstalt für Arbeit zuständig ist, errechnet. Das akzeptiere ich. Ich habe es ebenfalls begrüßt, daß Sie auch in diesem Jahr ehrlicherweise der Bevölkerung gesagt haben: 20 000 Ausbildungsplätze fehlen bis zum heutigen Tag. Wir beide sollten uns jetzt nicht darüber streiten, ob es 24 000 oder 25 000 sind. Die Zahlen hängen von der jeweiligen Statistik ab. Ich finde, das Schlimmste ist, daß es überhaupt so viele sind: mehr als 20 000.
Günter Rixe
Wenn Sie zu den Haushaltsberatungen in den Ausschuß kommen, sollten Sie folgende Frage beantworten: Wie wollen Sie diese 20 000 Stellen besetzen? Bitte kommen Sie nicht wieder mit der Antwort: Die Wirtschaft wird es richten. Der Appell der Wirtschaft wird nicht ausreichen; das wurde im letzten Jahr bewiesen.
Herr Kollege Rixe, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, immer mal zu. Ich habe ja Zeit.
Bitte.
Herr Präsident, ich will nur feststellen, daß es leider nicht zulässig ist, daß der Redner einen zuhörenden Abgeordneten fragt. Daher kann ich die Frage des Kollegen Rixe jetzt nicht beantworten.
. Ich habe gesagt, Sie sollen sie in der nächsten Ausschußsitzung beantworten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja. Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
Unabhängig von der Welt der Zahlen, über die wir jetzt nicht im Detail diskutieren wollen, weil es uns um das Anliegen geht, wie wir den jungen Menschen Arbeit ermöglichen, können wir uns doch darauf verständigen -
Frage!
- vielen Dank, Herr Vizepräsident -, daß man das regional zunächst einmal sehr differenziert betrachten muß.
Können wir uns bitte auch darauf verständigen, daß es ganze Handwerkerkreise gibt, die sehr froh wären, wenn sie überhaupt einen Ausbildungsplatz besetzt bekämen?
Können wir uns schließlich auch vorstellen, daß das zur Zeit Vorgänge sind, die unabhängig von der Wirtschaft, von der Politik zu sehen und vielmehr in dem Erwartungshorizont der jungen Leute begründet sind, die nur auf ganz bestimmte, meistens recht edle Berufe ausgerichtet sind?
Herr Kollege, darauf können wir uns allemal verständigen. Ich habe bereits gefragt: Was nützt es einem Mädchen in Oldenburg, das Elektronikerin werden will, daß ihr ein Ausbildungsplatz als Bäckerin in Passau angeboten wird? Davon hat das Mädchen nämlich gar nichts. Es wird wegen einer Bäckerlehre nicht nach Passau gehen; denn sie will in ihrem Heimatort oder in dessen näherer Umgebung einen Ausbildungsplatz haben. Natürlich ist das so. Sie werden doch nicht ein Mädchen, das Elektronikerin werden, später auf die Fachhochschule gehen und eine ordentliche Ausbildung machen will, nach Passau schicken. Das heißt nicht, daß die Bäckerausbildung keine ordentliche ist. Wir haben gerade am letzten Sonntagabend im Fernsehen einen Bäckermeister erleben können und gehört, was er zu der beruflichen Bildung gesagt hat. Darauf komme ich gleich noch.
Wir müssen hier und heute auch nicht lange über Zahlen diskutieren. Diese werden in den nächsten zwei oder drei Monaten konkret. Herr Lensing, Sie wissen es ganz genau: Trotz einer Zusage der Wirtschaft in Höhe von 10 Prozent, trotz 560 Ausbildungsverträgen, trotz 10 000 DM Sonderprogramm Ost sind am 30. Dezember letzten Jahres ein paar tausend Jugendliche nicht vermittelt worden.
Sie als Lehrer wissen auch, wieviel Jugendliche in den letzten fünf Jahren keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und in Warteschleifen gegangen sind. Diese Warteschleifen, die es seit Jahren gibt, werden nicht in die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit aufgenommen. Sie fallen hinten raus; das ist das Problem. Deswegen stimmen alle diese Statistiken nicht.
Ich weiß nur: Ich kann diese Statistiken nicht besser aufstellen als die Bundesanstalt für Arbeit. Ich kann sie auch nicht verändern. Das ist so. Ich kann auch nicht den, der sich nicht meldet, in die Statistik aufnehmen. Ich weiß aber, daß es in den letzten Jahren Tausende von Jugendlichen gegeben hat, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und heute ohne Ausbildung sind.
Herr Lensing, der letzte Satz zu Ihrer Frage: Nicht umsonst sind so viele jugendliche Arbeitslose in dieser Republik unausgebildete jugendliche Arbeitslose. Allein diese Begründung ist es wert, das hier zu sagen.
All dies, was die Bundesregierung macht, ist mit Art. 12 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit wird von dieser Bundesregierung sträflich vernachlässigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte bereits erwähnt, daß die Kosten als Begründung für den Arbeitsplatzabbau ins Feld geführt werden. Ich will dieses Argument gern ernst nehmen - trotz des Einwandes, daß Auszubildende bereits während der Ausbildung Erträge erwirtschaften, die die Kosten manchmal gewiß übersteigen. Ich kann dazu etwas sagen; denn ich bin Handwerksmeister und habe selber 30 Jahre ausgebildet. Ich weiß, wie das aussieht.
Günter Rixe
Deswegen muß ich hier nicht über Ausbildungsvergütungen diskutieren. Da sind wir einer Meinung.
Ich fordere Sie auf, mit uns ernsthaft über eine wirksame Kostenentlastung ausbildender Betriebe zu reden. Wir sollten gemeinsam klären, wie der Staat die ausbildenden Betriebe und die berufliche Bildung insgesamt wirksam unterstützen kann. Wir, die Sozialdemokraten, sind für das duale Ausbildungssystem. Jedem, der etwas anderes behauptet, sage ich: Wir waren immer - es gab einmal Irritationen - und wir sind für das duale Ausbildungssystem.
Weil wir für den Erhalt und die Modernisierung des dualen Ausbildungssystems sind, wollen wir kein weiteres Sonderprogramm in den nächsten Jahren, sondern eine solidarische Finanzierung der Ausbildung. Wir wollen die, die für diesen Staat über Bedarf ausbilden, entlasten.
Denjenigen, die die Ausbildung nicht ernst nehmen und sie nicht wahrnehmen und sich gegen die Verfassung stellen, muß per Gesetz deutlich gesagt werden, was sie zu tun und zu lassen haben.
Von 1991 bis heute haben die Sonderprogramme, die Bund und Länder aufgelegt haben, 6 Milliarden DM gekostet. Wir mußten das Geld für die Sonderprogramme aufbringen, weil sie notwendig waren. Doch die Wirtschaft lächelt. Ich habe die Verfassung bereits erwähnt. Viele Unternehmen sollten einmal ihren verfassungsmäßigen Auftrag wahrnehmen.
Was hätten wir mit den 6 Milliarden DM im Bildungshaushalt in den letzten Jahren noch alles machen können, wenn die Wirtschaft jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz gegeben hätte? Das wollen wir demnächst per Gesetz regeln.
Ich nenne ganz kurz unser 5-Punkte-Programm:
Erstens die solidarische Finanzierung der Berufsausbildung. Dazu werden wir bis zum Jahresende, das hat der Minister richtig gesehen, einen Gesetzentwurf einbringen. Die Kammern könnten bereits jetzt, also ohne Gesetzesänderung, die ausbildenden Betriebe erheblich entlasten, wenn sie auf Gebühren, die sie für Prüfungen, Ausbildungsverträge und für die Teilnahme an überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen kassieren, verzichten oder diese zumindest senken würden. Dies wäre ein erster Schritt zu einem gerechten Leistungsausgleich.
Ich nenne Ihnen die Zahlen: 2 Milliarden DM nehmen die Kammern für die Eintragung von Ausbildungsverträgen und die überbetriebliche Ausbildung. Schauen wir einmal in die überbetrieblichen Ausbildungszentren hinein; sie betreiben nicht zu 100 Prozent die Erstausbildung - dafür werden sie aus Ihrem Ministerium, Herr Minister, finanziert -, sondern 60 Prozent betreiben Weiterbildung. Ich habe nichts gegen die Weiterbildung, aber darüber müssen wir einmal reden.
Zweitens Bereitstellung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze durch den Einsatz zusätzlicher Ausbildungsberater - hier bin ich mit dem Minister einig, hier wurde zwar etwas im Haushalt weggestrichen, was man wieder erhöhen könnte -, Durchführung von örtlichen Ausbildungskonferenzen und eine Kampagne zur Schaffung vieler Ausbildungsverbünde. Das könnte uns weiterhelfen.
Drittens Bereitstellung zusätzlicher schulischer Ausbildungsplätze, vor allem in zukunftsträchtigen Berufsfeldern wie Gesundheit, Pflege, Erziehung, Tourismus, Assistentenberufe und im Fremdsprachenbereich.
Viertens Modernisierung des dualen Systems durch Neugestaltung des berufsbezogenen und berufsübergreifenden Unterrichts und die bessere Abstimmung der Ausbildung in der Berufsschule mit der betrieblichen Ausbildung.
Fünftens. Zur Zeit wird über die zwei Berufsschultage pro Woche diskutiert. Das muß man vor Ort mit den Berufsschulen organisieren. Wir Sozialdemokraten sind dagegen, die Berufsschulzeit von 480 Stunden zu senken. Man muß das so organisieren, daß der Lehrling vier und nicht nur drei Tage im Handwerksbetrieb anwesend ist.
Wir fordern statt dessen eine Modernisierung der Berufsschulen in den fünf neuen Ländern. Das muß ich hier nicht wiederholen, das fordern wir jedesmal. Hier sollten wir ein gemeinsames Programm auflegen.
Zum Schluß möchte ich noch drei Punkte zur öffentlichen Verantwortung nennen:
Erstens. Die Parlamente in Bund und Ländern und die Stadträte und Aufsichtsorgane von kommunalen Betrieben müssen verbindlich beschließen, das Ausbildungsangebot zumindest bedarfsgerecht zu erhöhen.
Zweitens. Wir fordern von allen staatlichen Ebenen - Bund, Ländern wie Gemeinden -, daß sie bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausbildende Betriebe bevorzugen. Das ist im Moment in der Diskussion.
Drittens. Wir fordern, daß die berufliche Bildung bei der Industrieförderung und der Projektförderung nicht nur im Forschungsbereich angemessen berücksichtigt wird.
Da meine Redezeit gleich zu Ende ist, sage ich nur noch: Wir müssen das alles im Interesse der jungen Generation dieses Landes tun. Wir benötigen die jungen Menschen dringend im Beruf und in der Wirtschaft. Wenn wir weiterhin nicht dafür sorgen, daß jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz in diesem Land bekommt, dann haben wir verschlafen.
Herr Kollege, die Redezeit!
Ich mache Schluß. - Wir haben dann Schuld daran, daß die Generation dann so ist, wie sie im Moment ist.
Danke schön.
Das Wort hat Kollege Dr. Gerhard Friedrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schlagen zur Zeit sehr viele Maßnahmen vor, um zu helfen, Produktionskosten zu senken. Ich möchte wiederholen, was Minister Rüttgers gesagt hat. Wir werden in vielen Branchen keine Chance haben, auf dem Weltmarkt allein mit Kostensenkungen zu bestehen. Wir haben in einigen Branchen eine Chance nur mit innovativen Produkten. Deshalb war es ernst, als wir in die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben, daß es ganz wichtig ist, die Mittel für Forschung und Innovation zu erhöhen.
- Moment! Ich wollte ausdrücklich bestätigen, damit nicht wieder der Vorwurf der Täuschung kommt, daß es in diesem Jahr leider nicht möglich war, diese Absichtserklärung umzusetzen.
Wir müssen darüber nicht streiten. Kollege Lenzer hat bei der Bekanntgabe der Zahlen des Haushalts in der Arbeitsgruppe keineswegs Sektkorken knallen lassen. Es ist nicht erfreulich. Die Frage ist nur, Frau Kollegin Bulmahn, ob es notwendig und vermeidbar ist. Wir meinen, in diesem Jahr - das muß man ehrlich sagen - hat Haushaltskonsolidierung Vorrang. Dazu muß leider jeder, auch jeder Minister, einen Beitrag leisten.
Frau Kollegin Bulmahn, Sie haben eigentlich etwas Richtiges gesagt, und das will ich aufgreifen. Ich weiß nur nicht, ob Sie sich bewußt waren, was es bedeutet. Sie haben sinngemäß gesagt, man darf nicht bei Zukunftsinvestitionen sparen, sondern muß bei den konsumtiven Ausgaben sparen. Aber sind Sie sich bewußt, was im Bundeshaushalt „konsumtive Ausgaben" sind? Das sind Ausgaben im Bereich der Familien, das sind Sozialleistungen. Lesen Sie einmal nach, wie dieser Begriff definiert ist! Ich glaube nicht, daß Sie, falls Sie irgendwann nach dem Jahr 2000 als SPD wieder einen Haushalt aufstellen sollten, in der Lage wären, sich gegen Ihre Sozialpolitiker durchzusetzen und konsumtive Ausgaben zu kürzen. Wir scheitern bei solchen Versuchen doch im Bundesrat an der SPD. Theoretisch ist es also richtig. Aber wenn überhaupt, dann machen wir diesen Versuch. Wie mühsam das ist, sehen wir am Verhalten der SPD und des Bundesrates.
Herr Kollege Friedrich, die Kollegin Bulmahn würde Ihnen gern eine Frage stellen.
Ja. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege Friedrich, Sie stimmen mir doch sicherlich zu, daß mit dem Bund als Auftraggeber aus dem Bundeshaushalt eine ganze Reihe anderer konsumtiver Ausgaben getätigt werden und nicht nur die konsumtiven Ausgaben in der Sozialpolitik, die ich persönlich viel stärker als investive Ausgaben, nämlich investive Ausgaben auch in Familie und damit in Jugend und Zukunft definieren würde. Ich halte es persönlich für einen gravierenden Fehler, daß wir diese Ausgaben als konsumtive Ausgaben betrachten.
Ich frage Sie auch, ob Sie mit mir nicht übereinstimmen, daß es zum Beispiel wesentlich sinnvoller wäre, statt die Vermögensteuer abzuschaffen, so wie es Ihre Bundesregierung vorschlägt, diese Mittel wirklich zu der notwendigen Aufstockung im Bereich Bildung und Forschung zu nutzen.
Wir müssen im Ausschuß einmal darüber reden, was konkret Sie unter konsumtiven Ausgaben verstehen. Wenn ich den Bundeshaushalt richtig in Erinnerung habe, gibt es den großen Block des Sozialetats. Es gibt den großen Verkehrshaushalt; das sind Investitionsausgaben. Auch im Verteidigungshaushalt gibt es überwiegend Investitionsausgaben. Dies gilt auch für den Bereich des Personals. Ich weiß wirklich nicht, was Sie momentan unter „konsumtiv" verstehen.
Was die steuerliche Problematik betrifft: Wir sind der Meinung, Frau Kollegin Bulmahn, daß es keinen Sinn hat, den Unternehmen Mittel als Forschungsförderung zur Verfügung zu stellen, wenn man ihnen den eigenen Handlungs- und Bewegungsspielraum vorher über zu hohe Steuern genommen hat.
Wir bleiben dabei: Eine Steigerung der Forschungsausgaben mit der Konsequenz einer weiteren Steuererhöhung ist für uns nicht akzeptabel.
Meine Damen und Herren, einige erwarten in dieser sicher nicht ganz erfreulichen Situation, daß Herr Bundesminister Rüttgers über den finanziellen Rahmen seines Haushalts überwiegend jammert, vielleicht auch möglichst oft den Bundesfinanzminister beschimpft. Ich habe nicht den Eindruck, daß man mit solchen Methoden vom Bundesfinanzminister Wohlwollen erwarten könnte.
Ich habe eine richtige Einschätzung des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft gelesen. Er hat gesagt: Es ist zwar nicht erfreulich, was sich hier von den Beträgen her im Forschungsetat bewegt, aber ein anderer Bundesforschungsminister hätte sicher nicht besser, sondern höchstwahrscheinlich schlechter abgeschnitten.
Dr. Gerhard Friedrich
Wir sind froh, daß Minister Rüttgers nicht jammert, sondern seinen noch vorhandenen Gestaltungsspielraum voll ausschöpft, daß er also bei der Verwaltung auch des Mangels - das muß man ehrlich sagen - jede Chance zum Gestalten nutzt.
Über einige Dinge ist in diesem Zusammenhang hier schon gesprochen worden. Ich erwähne nochmals die Konzentration auf klare Leitziele, auf Spitzentechnologien. Sie haben, Frau Kollegin Bulmahn, einige Beispiele wie erneuerbare Energien genannt, wobei man glauben könnte, daß die Schwerpunkte, die wir immer wieder nennen - Informationsgesellschaft, Biotechnologie, Umwelttechnik, Energietechnik und Mobilität -, im Detail nicht richtig bedacht sind. Darüber muß man nochmals reden.
Bei einem Punkt habe ich einmal nachgefragt. Es stellt sich dann schnell heraus, was passiert ist. Bei den erneuerbaren Energien gibt es im Vergleich zum Soll tatsächlich eine ganz beachtliche Kürzung. Meine Rückfrage hat ergeben, daß - die 96er Zahlen sind noch nicht bekannt - im Jahr 1995 erhebliche Mittel - ich glaube, in der Größenordnung von über 40 Millionen DM - schlicht nicht ausgegeben wurden, daß man bei der Windenergie keinen so großen Forschungsbedarf mehr hat, daß man deshalb in diesem Bereich reduziert, und daß das 1 000-DächerProgramm ausgelaufen ist. Ich weiß, Sie fordern hier eine Fortsetzung, ein 100 000-Dächer-Programm für die Photovoltaik.
Ich sage Ihnen hier offen und ehrlich: Wir befassen uns immer wieder, Herr Kollege Lenzer, mit den erneuerbaren Energien. Wenn man mit einem maximalen finanziellen Aufwand den geringsten Nutzen in Sachen CO2-Minderung erreichen will, dann muß man zur Zeit in großem Stil für die Photovoltaik - nicht in die Forschung, sondern in die Anwendung - Geld geben.
Da besteht zur Zeit noch kein vernünftiges KostenNutzen-Verhältnis. Deshalb forschen wir weiter. Aber es ist Absicht, daß wir jetzt nicht ein 100 000-
Dächer-Programm auflegen; das ist keine Panne.
So werden sich die Dinge im Ausschuß aufklären. Der Minister ist glaubwürdig und konsequent, wenn er diese einzelnen Schwerpunkte im Bereich der Spitzentechnologien und der Umwelttechnologien immer mehr mit Mitteln ausstattet und anderes bewußt zurückdrängt.
Meine Damen und Herren, der Minister hat uns ein Konzept zugesandt, in dem er zum Ausdruck gebracht hat, daß er künftig schon bei der Entscheidung über Förderanträge stärker darauf achtet, ob denkbare Forschungsergebnisse in Produkte umsetzbar sind. So etwas erwarten die Menschen in diesem Land. Das halten wir für richtig. Er will - auch das ist schon von Kollegen angesprochen worden - im Bereich der Fördersysteme etwas ändern, für mehr Wettbewerb sorgen.
An sich sind wir uns einig, daß sich das Nebeneinander von institutioneller Förderung und Projektförderung bei uns bewährt hat. Ich habe viel Kontakt mit dem früheren Präsidenten meiner Hochschule, der in der bayerischen Forschungspolitik eine große Rolle gespielt hat. Er hat immer gefordert - das ist vielleicht übertrieben; aber ein bißchen davon ist wahr -: Eine Forschungsinstitution, die ihren Zweck erfüllt hat oder deren Aufgabe an Bedeutung verloren hat, muß reduziert werden; er sagt sogar: rückstandslos beseitigt werden. Das ist übertrieben.
Aber natürlich ist es im institutionellen Bereich so, daß man - wenn die Aufgaben zurückgegangen sind -, um die Planstellen sinnvoll zu begründen und auszulasten, sich neue Aufgaben an Land zieht. Das Argument „Es ist schon eine Planstelle vorhanden" ist kein wirklich akzeptables Kriterium für die Verteilung von Forschungsmitteln. Deshalb unterstütze ich Herrn Minister Rüttgers voll und ganz, wenn er sagt: Nehmen wir doch etwas von der Grundfinanzierung weg, und geben wir das in das wettbewerbliche Gutachterverfahren der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Das sind Beispiele, an denen man zeigen kann: Es wird gestaltet und nicht nur über die ungünstigen finanziellen Rahmenbedingungen gejammert.
Weil keiner der Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern in dieser Debatte redet, möchte ich die folgende Bemerkung machen: Wir treffen uns regelmäßig, da wir nach wie vor über den Zustand der Industrieforschung in den neuen Bundesländern besorgt sind.
- Ja. Das berührt nicht nur den Haushalt des Forschungsministers, sondern auch den des Wirtschaftsministers. - Weil keiner der Kollegen aus den neuen Bundesländern hier reden kann, möchte ich das Anliegen unserer Freunde aus den neuen Bundesländern aufgreifen. Wir müssen an weiteren Maßnahmen arbeiten, so wie wir letztes Jahr im letzten Augenblick verhindern konnten, daß die Forschungsmittel gestrichen wurden. Den Kollegen Schmidt und York haben wir versprochen, daß wir uns mit den WIPianern noch einmal befassen. Heute abend findet das erste Gespräch über den Forschungshaushalt unter der Leitung des Kollegen Lenzer statt.
Jetzt habe ich nur noch ganz wenige Minuten für die Bildungspolitik; ich muß deshalb meinen Beitrag stark verkürzen. - Wir müssen uns - auch wenn ich heute keine BAföG-Debatte auslösen möchte - bald wieder mit diesem Thema beschäftigen. Die Zwi-
Dr. Gerhard Friedrich
schenlösung ist erträglich, aber auf Dauer wirklich nicht befriedigend.
Es gibt Vorschläge des bayerischen Kultusministers, auch solche der SPD, die voraussetzen, daß man das Steuerrecht ganz erheblich ändert - in einigen Fällen auch das Unterhaltsrecht. Wenn wir da nicht rechtzeitig Vorschläge im Rahmen der Steuerreform machen, werden wir hinten runterfallen. Wir können uns also nicht ausruhen. Mehr kann ich momentan dazu nicht sagen.
Wir haben eine Einigung aus dem Jahre 1993 über die Ziele der Hochschulreform. Es gibt einen Bericht des Sekretariats der Kultusministerkonferenz, wie diese Eckpunkte in den Ländern umgesetzt sind. Das Ergebnis - jetzt drücke ich mich vorsichtig aus - ist ziemlich frustrierend und in manchen Ländern völlig unbefriedigend. Deshalb unterstütze ich es, wenn der Bundesbildungsminister das Thema Hochschulreform jetzt wieder auf die Tagesordnung setzt.
Meine Kontakte zu den eigenen CSU-Kollegen in Bayern haben ergeben, daß es bei uns inhaltlich keine Differenzen über diese Ziele der Hochschulreform gibt. Ich habe jetzt keine Zeit, dies im Detail vorzutragen.
Ein Problem - das ist auch für mich als CSU-Mitglied ein schwieriges Thema - wird es allerdings geben. Es gibt unterschiedliche Meinungen in Bund und Ländern darüber, wessen Aufgabe es ist, diese Ziele gesetzgeberisch umzusetzen. Wir von der Fraktion - also nicht nur der Minister - werden deshalb intensive Kontakte mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern pflegen müssen, weil, was die Kompetenz betrifft, noch kein Einvernehmen besteht und wir als Bund auch gar nicht in der Lage sind, unsere Vorstellungen sozusagen mit der Brechstange durchzusetzen.
Auf meiner Anzeigentafel steht 0 Minuten. Herr Präsident, ich bedanke mich für diesen Hinweis. Ich habe ohnehin keine Schlußbemerkung in meinem Konzept und hätte auch keine Zeit mehr, eine vorzutragen.
Vielen Dank.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Handwerkskammer Köln hat ungarische Gäste eingeladen. Unter ihnen befinden sich der Präsident der Handwerkskammer Budapest und der stellvertretende Fraktionsführer der Sozialistischen Partei im ungarischen Parlament. Sie haben auf der Besuchertribüne Platz genommen. Ich begrüße sie herzlich im Namen des Hauses.
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Altmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rüttgers, für den Weg in die Wissensgesellschaft, den Sie hier eben prognostizierten, sind die Weichen denkbar fehlgestellt und führen auf das Abstellgleis.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, Herr Dr. Friedrich, es ist keine erfreuliche Nachricht: Der Regierung sind Bildung und Forschung zunehmend weniger wert. Der Gesamtetat sinkt - und das bei ganz wesentlichen Aufgaben.
Herr Rüttgers, wenn Sie schon anderen absprechen, sich in Fragen Lehrlinge zu engagieren, dann wäre es jetzt Ihre Aufgabe, wirksam zu handeln. Am 1. Oktober beginnt das neue Lehrstellenjahr. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit stellt sich die Situation deutlich schlechter dar als vor einem Jahr. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen aus der „Sozialpolitischen Umschau" anführen, die ich gestern vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bekommen habe. Dies will ich nur hinzufügen, damit keine Fragen über Statistiken auftauchen.
Anfang September suchten noch rund 117 000 Jugendliche verzweifelt einen Ausbildungsplatz;
das waren 11 Prozent mehr als im letzten Jahr. Ihnen standen zu diesem Zeitpunkt 70 000 Ausbildungsplätze gegenüber; das waren 23 Prozent mehr als im letzten Jahr. Das heißt also: Die Schere geht deutlich auseinander.
Wieder ein Jahr „Zukunftsminister", wieder ein Jahr liberal-christliche Koalition, wieder ein Jahr voller leerer Versprechungen!
Am 2. September ließen Sie, Herr Rüttgers, verlautbaren: „Die Zitterpartie um das Lehrstellenangebot darf sich nicht Jahr für Jahr wiederholen. " Dem stimmen wir zu. Es ist aber ein Trugschluß, zu meinen, nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft sei nun Planlosigkeit die genialste Form der Wirtschaftspolitik. Die Hoffnung vieler junger Menschen liegt in diesem Bereich; ihre Zukunft wird zerstört. Der Zukunftsminister wäre gefragt, allerdings in der Gegenwart. Doch im Bundeshaushalt findet sich lediglich ein „Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Bundesländern" . Das ist völlig unzureichend und zudem völlig unterfinanziert!
Andere Bereiche in der Bildungspolitik schneiden noch schlechter ab, zum Beispiel die überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsstätten: minus 11 Prozent. Dann ist es zynisch, wenn man ratlosen
Elisabeth Altmann
Jugendlichen geringe Mobilität vorwirft und gleichzeitig die Ausbildungsvergütung herabsetzen will.
Ausbildung fern vom Elternhaus ist ohne angemessenes Einkommen gerade in Ballungszentren unmöglich.
Es ist natürlich wichtig, mit Vertretern von Handwerk und Wirtschaft zu reden. Plauschrunden allein bringen es aber nicht. Man darf es nicht bei vagen Versprechungen belassen, sondern muß einen Anreiz setzen, damit Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Zusätzlich muß eine Ausbildungsplatzabgabe her. Wer nicht ausbildet, soll entsprechend der Leistungsfähigkeit zahlen. In diesem Bereich arbeiten wir, Bündnis 90/Die Grünen, zusammen mit den Gewerkschaften an neuen Konzepten.
Es sind Reformen der Ausbildung notwendig. Zukunftsorientierte, breitgefächerte Grundausbildungen müssen angeboten werden. Schlüsselqualifikationen führen zu mehr Flexibilität bei der Berufswahl. Es sind Vorgaben in die Ausbildungsordnungen aufzunehmen.
Beim Meister-BAföG weist der Haushalt ein deutliches Plus auf; das wurde hier schon einige Male erwähnt, auch Herr Koppelin sprach davon. Jedoch können viele Bedürftige wegen der formalisierten Vergabekriterien das ihnen zustehende Geld nicht erhalten. Dies liegt auch an der Lösung, die Sie in diesem Bundestag verabschiedet haben. Wir haben gesagt: Die Arbeitsamtlösung trägt; wir wollten sie in dieser Form beibehalten. - Es wurde aber anders entschieden, weil in der Regierung die großen Meister sitzen. Herr Rüttgers backt immer kleinere Brötchen, damit er Herrn Waigel helfen kann, seine immer größeren Finanzlöcher im Haushalt zu stopfen.
Herr Rüttgers, ich will Ihre Erfolge einmal an Ihren eigenen Worten messen. Beim Haushalt 1996 sagten Sie: „Jetzt geht mir die Luft aus, weil ich es einfach nicht mehr vortragen kann. " - Wie hintersinnig! Sie wollten durch den Vorschlag zur Reform der Ausbildungsförderung eine 10prozentige Erhöhung ermöglichen. Das habe ich einmal auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft. Es kam keine 10prozentige, sondern nur eine 4prozentige Erhöhung des Bedarfssatzes heraus. Gleichzeitig wurden 140 Millionen DM weniger ausgegeben. Das ist ein Taschenspielertrick.
Wie sieht es für 1997 aus? Das BAföG wird weiter zusammengestrichen: von 2 Milliarden über 1,7 Milliarden auf jetzt nur noch 1,5 Milliarden DM. Das heißt: Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Bund eines Viertels seiner gesetzlichen BAföG-Leistungen entledigt. Dies ist eine Umverteilung, die insbesondere die Schwächeren in der Gesellschaft trifft. Die Regierung setzt hier bewußt darauf, daß die BAföG-
Politik abschreckt. Die Zahl der BAföG-Empfänger ist im gleichen Zeitraum um 10 Prozent gesunken. Weil Sie immer von internationaler Leistungsfähigkeit sprechen: Auch das Auslandsstudium wird mit dieser neuen BAföG-Regelung erschwert.
Sie sprachen vom großen Reformprojekt Hochschule. Sie wollten „Deutschland für das 21. Jahrhundert fit machen". Aber so rasant, wie Ihr Haushalt schmilzt, sieht das eher nach einem Fitneßprogramm vom Suppenkasper aus, Herr Rüttgers.
Der fällige Ausbau der Hochschulen kann mit Ihnen so nicht stattfinden.
Ich möchte zum Schluß folgendes deutlich machen.
Frau Kollegin, Sie haben die Redezeit schon ein gutes Stück überschritten.
Die Alternative im Bereich Bildung und Wissenschaft muß sein: erstens Erhalt und Ausbau von Bildung und Wissenschaft - das ist ganz wichtig -, aber zweitens Entwicklung und Durchsetzung innovativer Konzepte: beim BAföG, in der Personalstruktur, beim Hochschulbau -
Frau Kollegin, das geht nicht! Noch ein Satz.
- ein Satz -, bei der Reform der Berufsausbildung. Daran arbeiten wir, Bündnis 90/Die Grünen, und damit stellen wir die Weichen in Richtung auf ein zukunftsfähiges 21. Jahrhundert.
Der Kollege Jörg Tauss hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat sich gefreut, daß bisher von seiten der Opposition nichts Kritisches zu seiner Forschungspolitik gesagt worden sei.
Ich habe mir daraufhin einmal das Protokoll der Rede des Oppositionsführers vorgenommen und darf Rudolf Scharping zitieren:
Ein weitsichtiger Kanzler würde neue Technologien, Forschung und Entwicklung voranbringen
und nicht einfach zusehen, wie sein Zukunftsmi-
Jörg Tauss
nister ... und ... sein Finanzminister alles reduziert, was für die Zukunft Deutschlands auf innovatorischem Gebiet notwendig ist.
Soweit das wörtliche Zitat. An dieser Stelle rief Peter Struck, SPD: „Schaumschläger!" Wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, und Sie Herr Minister, es bereits für Zustimmung halten, wenn er Sie als „Schaumschläger" bezeichnet, dann kann für Ihre Politik offensichtlich nicht mehr viel wirkliche Zustimmung in diesem Lande vorhanden sein.
Herr Koppelin, Sie haben zum Thema Rundfunkbegriff etwas ausgeführt. Ich empfehle, daß Herr Stadler, Ihr Parteikollege, etwas öfter in die EnqueteKommission „Neue Medien" kommt; dann erfahren Sie - fragen Sie Ihren Sachverständigen -, daß das, was Sie hier vorgetragen haben, schlichtweg falsch ist. Auch dies muß an dieser Stelle bemerkt werden.
Herr Kollege Tauss, gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber selbstverständlich. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Koppelin.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Stadler - ich bin sein Stellvertreter in der Enquete-Kommission - nach meinem Eindruck mehr Ahnung von der Sache hat, als Sie es haben?
Herr Kollege Koppelin, da der F.D.P.-Sachverständige mich kürzlich zu einem Fachvortrag eingeladen hat, bei dem parallel zu mir der Wirtschaftsminister Rexrodt referiert hat und nicht Herr Stadler, habe ich den Eindruck, daß die Kompetenzen offenbar durchaus unterschiedlich beurteilt werden.
Im übrigen teile ich Ihre Einschätzung nicht; das ist doch klar.
Während der gesamten Haushaltsberatung haben wir der Bundesregierung nachgewiesen, daß zwischen Sonntagsreden und der Haushaltsrealität, zwischen Ankündigung und Verwirklichung Welten liegen. Diese Differenz wiederholt sich in beunruhigender Selbstverständlichkeit auch beim Etat des sogenannten Zukunftsministers. Edelgard Bulmahn und Günter Rixe haben auf die schlimmsten Versäumnisse bereits hingewiesen. Die Zukunftschancen der jungen Generation werden durch diese Bundesregierung und durch diesen Minister verspielt. Das sind die Ausgangspunkte, von denen wir heute ausgehen müssen.
Der „Spiegel" schrieb in dieser Woche: „Die besten Köpfe verlassen das Land". Das gilt übrigens genau für die Bereiche, in denen Sie nicht eine vermeintliche Technikfeindlichkeit der Bevölkerung als Ursache dafür anführen können, wo Sie doch immer nach Schuldigen suchen für das, was in diesem Lande passiert. Sie sind nie schuldig. Ich kann nur sagen: Wenn die besten Köpfe Deutschland verlassen, hat das mehr mit Ihrer Technologiepolitik zu tun als mit der vermeintlichen Technikfeindlichkeit, die Sie an dieser Stelle immer beschwören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ministerium veröffentlicht viele Pressemitteilungen, zum Teil im Internet. Bei einer geniert man sich. Die hatte die Überschrift „Klare Prioritäten und mehr Effizienz". Für begnadete Überschriften ohne jeglichen Inhalt müßten Sie Preise bekommen. Ihre Politik gleicht einem Heißluftballon. Da wird geräuschvoll mit viel heißer Luft eine Hülle gefüllt und als zukunftsweisender Haushaltsentwurf gefeiert. Dem staunenden Publikum wird dann mitgeteilt, daß diese aufgeblasene Hülle auf Grund der Notwendigkeit des Sparens nicht ganz so groß sei wie eigentlich erwünscht, aber immerhin sei der Ballon viel größer, als es alle Beteiligten nach der undifferenzierten Kahlschlagpolitik des Finanzministers erwartet hätten.
Auf 130 Millionen DM, lassen Sie mich dieses Beispiel bringen, wird - auch der Minister hat es heute wiederholt - der Bereich Multimedia und Informationsdienstleistungen hochgefahren. Soweit der prachtvolle Heißluftballon. Wenn man dann die leere Hülle dieses Ballons in der Landschaft findet, wirkt er ohne heiße Luft ganz und gar nicht mehr beeindruckend.
Was hat Herr Rüttgers denn getan? Er hat zunächst einmal im Zeichen des schlanken Staates ein neues Referat mit wohlklingendem Namen in seinem Hause eingerichtet. Eigentlich haben wir an Referaten keinen Mangel. Aber auf der anderen Seite kommt es auf dieses eine auch nicht an. Nach diesem bedeutenden Beitrag der Schaffung eines neuen Referates hat dann der Herr Minister die Finanzen aus vier bereits vorhandenen alten Bereichen dem neuen Referat zugeschoben. Nur so kommt er auf seine Steigerungen. Allerdings - Kollegin Bulmahn hat bereits darauf hingewiesen -, statt auf 130 Millionen DM kommt man dann nur auf knapp 97 Millionen. Diese gut 30 Millionen DM Differenz waren wohl der Pressezuschlag beim Ballonstart.
Aber es kommt noch schlimmer: Diese nur noch 100 Millionen DM - 97 ganz genau - sind zu 90 Prozent in langfristigen Projekten gebunden. Im Anhang zur Pressemitteilung heißt es dann nur noch
Jörg Tauss
ganz klein, daß ein anderer Haushaltstitel, nämlich der Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie
- der damit nichts zu tun hat -, um sage und schreibe 123 Millionen DM gekürzt wurde. Das ist in der Tat, Herr Minister, wenn Sie sagen, es gebe keinen Grund zum Weinen, Grund zum Weinen.
Fakt in diesem Lande sind nämlich nicht Ihre 130 Millionen DM - alt -, sondern die 123 Millionen weniger, die jetzt bei der Zukunftsgestaltung der Informationsgesellschaft fehlen. Außer Hochglanzbroschüren bleibt nichts übrig.
Anderswo, wo Kohl nicht regiert, läuft es so: Letzte Woche wurden in den USA allein 100 Millionen Risikokapital für neue Softwareentwicklungen für das Internet bereitgestellt - 100 Millionen Dollar, Herr Rüttgers! Deshalb verlieren wir die besten Köpfe ans Ausland. Dort gibt es 100 Millionen Dollar, dort haben sie Geld, und hier haben sie Rüttgers und seine Pressekonferenzen. Mehr haben sie in diesem Lande nicht an Zukunft. Deswegen geht der Nachwuchs in die USA.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir noch einmal andere zu Wort kommen. Der Erfinder des World-Wide-Web hat kürzlich gesagt:
Bei der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik droht Europa den Anschluß zu verlieren.
- Den Anschluß verliert es auch infolge Ihrer Politik, obwohl Sie an vorderster Front stehen könnten. - Weiter führte er aus: Als ich Unterstutzer gesucht habe, habe ich keine gefunden. In den USA wurde dann das World-Wide-Web mit zweistelligen Millionenbeträgen entwickelt. Ganz nebenbei entstand ein milliardenschweres Unternehmen. Ich frage mich wirklich, was passieren würde, wenn sich heute ein junger Bill Gates oder ein junger Softwarefreak beim BMBF oder bei seiner Bank melden würde. Beim BMBF bekäme er eine Hochglanzbroschüre, aber kein Geld, und bei der Bank bekäme er allenfalls Kredit für ein Eigenheim, wenn seine Schwiegermutter ihm noch eine entsprechende Unterstützung geben würde. Das ist unser Standortnachteil. Sie investieren in Beton, in sinnlose Projekte, Abschreibungsprojekte. Sie investieren nicht in die Zukunft junger Menschen. Deswegen gehen sie ins Ausland. Das ist der Punkt.
Ein weiteres Zitat vom Petersberg, vom Bertelsmann-Vorstand Herrn Middelhoff, der sagte: „Wir verspielen unsere Zukunft. " Ich will dem Herrn Middelhoff an dieser Stelle ein bißchen widersprechen, weil ich dafür bin, Verantwortliche klar zu benennen. Nicht wir verspielen unsere Zukunft. Die da verspielen unsere Zukunft. Das ist der Punkt, auf den wir ein wenig stärker hinweisen müssen.
Man könnte weitermachen: Dem Bundeskanzleramt fällt zur Informations- und Kommunikationstechnologie nichts anderes ein, als daß man sich jetzt einem Projekt von Länderkunde anschließt. Das freut die Außenpolitiker, wenn jetzt Länderkunde begonnen wird. Nein, Lähmung und Mehltau, wohin man sieht.
Herr Friedrich, Sie haben hier gerade den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zitiert.
- Ja. - Ich habe die Bitte an Sie, ihn einmal korrekt zu zitieren. Sie haben ihn nämlich nur teilweise zitiert. Er hat gesagt:
... wenn Rüttgers sein Ministerium ein Zukunftsministerium nennt; wenn der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben von 2,58 Prozent am Bruttosozialprodukt gleichzeitig auf 2,35 Prozent absinkt . . ., dann sind dies nicht die leichthin behaupteten Unterschiede zwischen Sonntagsreden und Realpolitik. Dann sind dies quälende Belege der fortschreitenden Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, die sich nicht erlaubt, Opfer für die Daseinsvorsorge ihrer Kinder zu erbringen.
Mit den Worten „quälende Belege der fortschreitenden Entsolidarisierung" ist Ihr Haushalt richtig bezeichnet. Besser hätte diese Opposition, Herr Rüttgers, es auch nicht sagen können. Legen Sie zu, sonst haben Sie Ihr Amt, wie leider bisher bewiesen, verfehlt.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zum Einzelplan 17.
Ich erteile der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, unserer Kollegin Claudia Nolte, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich auf die Debatte der vergangenen Tage zurückkommen. Sie hat
Bundesministerin Claudia Nolte
deutlich gezeigt, daß wir uns in einem Punkt einig sind: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist unser primäres Ziel. Weil es um neue und sichere Arbeitsplätze für Väter und Mütter geht und damit um die Grundlage der Versorgung ihrer Familien, weil es um den jungen Menschen geht, der erfahren muß, daß er gebraucht wird, und weil es um die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, deren Lebens- und Berufserfahrungen wichtig sind und die spüren sollen, daß wir sie nicht einfach abschieben, brauchen wir eine Politik, die die Grundlagen für mehr Wachstum und Beschäftigung schafft.
Zur Wahrheit gehört, daß dazu auch unpopuläre Entscheidungen nötig sind. Sparen fällt nie leicht, schon gar nicht in einem Bereich, in dem es um familien- und frauenpolitische und um senioren- und jugendpolitische Aufgaben geht. Deshalb kann es auch keine Kürzung nach dem Rasenmäherprinzip geben.
Der größte Teil der Kürzungen meines Haushaltsansatzes ist darauf zurückzuführen, daß wir künftig weniger Anspruchsberechtigte beim Erziehungsgeld haben werden und daß die Übergangsregelung des Familienleistungsausgleichs wegfällt. Das allein macht 797 Millionen DM aus.
Mir war wichtig, mit meinem Haushalt auch weiterhin Kontinuität in den Schwerpunktbereichen sicherzustellen. Dies wird zum Beispiel deutlich bei der Förderung von Jugendverbandsstrukturen, weil ich dem eine besondere Bedeutung zumesse. Wir werden obendrein sogar einzelne Schwerpunkte verstärken. Ich erinnere nur an die Erhöhung der Mittel für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch von 0,5 Millionen DM auf 2 Millionen DM.
Positiv ist ebenso, daß die freien Träger des Zivildienstes in den neuen Bundesländern auch im nächsten Jahr Aufwandszuschüsse bekommen werden, so daß weitere Zivildienstplätze eingerichtet werden können.
Junge Menschen brauchen Perspektiven. Deshalb ist es so wichtig, daß sie eine qualifizierte Berufsausbildung haben. Darum haben wir uns in diesem Bereich so engagiert. Ich erwarte, daß auch die Wirtschaft weiterhin ihre Verantwortung wahrnimmt und ihre Bemühungen fortsetzt.
Der Umbruch unserer Wirtschaft von der Industriehin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft wirkt sich schon heute auf den Arbeitsmarkt aus. Hier stecken Risiken, aber auch Chancen. Dafür müssen wir unsere jungen Leute ausrüsten. Das verlangt die Bereitschaft zur Modernisierung im Ausbildungssystem. Wir sind aber auch gefordert, benachteiligte Jugendliche zu fördern, so wie wir das im Rahmen der Projekte arbeitsweltbezogener Jugendsozialarbeit tun.
Die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft bietet auch Chancen für Frauen. Frauen waren in Westdeutschland die Beschäftigungsgewinnerinnen. Wenn wir die neuen Bundesländer betrachten und dort die Entwicklung der Arbeitslosigkeit von Frauen verfolgen, dann sehen wir allerdings, daß wir dort noch vor einer großen Aufgabe stehen und auch weiterhin arbeitsmarktpolitische Instrumente speziell mit Frauenförderung verbinden müssen. Das haben wir mit der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes getan, das heißt, wir haben die frauenfördernden Maßnahmen verstärkt.
Eine Herausforderung bleibt nach wie vor die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zumal sich eine familienfreundliche Arbeitswelt und Wettbewerbsfähigkeit nicht ausschließen. Im Gegenteil, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit sich im reinen sind, die Familie und Beruf miteinander verbinden können, sind in der Regel auch zufriedenere und damit leistungsfähigere Beschäftigte.
Flexible Arbeitszeitmodelle, Mobilzeit - das sind Stichworte, die heute ein modernes Unternehmen auszeichnen. Daß dies funktioniert, konnte ich mir selber ansehen. Ich war vor kurzem in einem Thüringer Unternehmen, das im Rahmen unseres Modellprogramms „Mobilzeitberatung" mit uns zusammengearbeitet hat. Da war es möglich, innerhalb kurzer Zeit 67 Prozent der Beschäftigten im Bereich Mobilzeit zu beschäftigen. Ich wünsche mir, daß wir noch mehr solche Beispiele haben, daß wir Nachahmer haben, damit gute Konzepte, die es gibt, umgesetzt werden und Eingang in die Praxis finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die notwendigen aktuellen Reformen und Maßnahmen in unserem gemeinsamen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit dürfen uns aber nicht vergessen lassen, daß der demographische Wandel die Entwicklung unserer Gesellschaft und auch unserer Wirtschaft langfristig nachhaltiger beeinflussen wird. Diese Entwicklungen werden uns vor große Herausforderungen stellen, materiell wie immateriell. Ich warne davor, den demographischen Wandel ausschließlich in seiner Finanzauswirkung zu betrachten.
Die Verschiebung in der Altersstruktur unserer Gesellschaft ist vor allem auch eine Anfrage an unsere Bereitschaft zum solidarischen Handeln. Viele Erhebungen dokumentieren sehr wohl, daß es viel mehr Solidarität in unserer Gesellschaft gibt, als allgemein angenommen wird. Aber sie passiert eben nicht im Scheinwerferlicht der Medien, sondern oft im verborgenen. Paradebeispiel hierfür ist das ehrenamtliche Engagement von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Diese Menschen, die ehrenamtlich Enormes leisten, verdienen unsere volle Anerkennung und Unterstützung.
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Frau Ministerin Nolte, ich danke Ihnen, daß Sie mir die Zwischenfrage gestatten.
Wie darf ich denn Ihre letzte Äußerung verstehen, daß wir den demographischen Wandel nicht nur materiell sondern auch im generativen Verständnis betrachten müssen - aber doch voll in Haushaltszahlen -, wenn im Haushalt die Mittel für die Förderung gesellschaftlicher Maßnahmen für die ältere Generation gekürzt werden und wenn auch die Mittel für die Forschung in diesem Bereich um 2 Millionen DM gekürzt werden? Da sehe ich eine sehr große Diskrepanz zwischen Ihrer jetzigen Äußerung und der Zahl im Haushalt.
Ich habe deutlich gemacht, daß am Sparen kein Weg vorbei führt, wenn wir die Zukunft sichern wollen. Wir haben gerade im Bereich Seniorenpolitik und Forschung in der Vergangenheit wichtige Schwerpunkte gesetzt, die wir auch mit dem jetzigen Ansatz weiterführen können. Wir müssen andere Forschungsprojekte zeitlich sicherlich schieben. Aber das klassische Förderinstrument für den seniorenpolitischen Bereich - ich denke an den Bundesaltenplan - orientiert sich an der Ist-Zahl in diesem Jahr und garantiert damit eine Kontinuität im nächsten Jahr. Ich denke, daß wir von daher diesem Anliegen gerecht werden.
Im Gegenteil, wir haben sowohl im Kinder- und Jugendplan als auch im Bundesaltenplan dafür Sorge getragen, daß wir den Dialog der Generationen möglich machen, obwohl früher gar nicht daran gedacht war, Querverbindungen in diesem Sinne herzustellen.
Ich finde es beachtlich in puncto freiwilliger Dienst und ehrenamtliches Engagement, daß sich Tausende junge Menschen dem besonderen Dienst des Freiwilligen Sozialen und Freiwilligen Ökologischen Jahres zur Verfügung stellen. Hier sind die Bewerberzahlen höher, als wir Plätze zur Verfügung stellen können. Deshalb bleibt die Förderung dieser Dienste auch für mich im nächsten Jahr ein Schwerpunkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Gemeinsinn zu fördern, die Solidarität zwischen den Generationen zu festigen - das ist mein politisches Programm. Ich habe deutlich gemacht, daß wir hier auch eine Umstrukturierung innerhalb der bestehenden Förderprogramme vorgenommen haben, denn ein Separieren, ein Ausgrenzen, ein Auseinanderdividieren können wir uns nicht leisten. Deswegen brauchen wir den Dialog der Generationen.
Natürlich ist die Politik auch bei der Sicherung der materiellen Seite des Generationenvertrages gefragt. Die ältere wie die jüngere Generation muß sich auf ihn weiterhin verlassen können. Wenn wir über Anpassungen im Rentenrecht diskutieren, dann ist es mir wichtig, daß die Familienkomponente im Rentenrecht stärker berücksichtigt wird. Das verlangt nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht; denn wer Kinder erzieht, garantiert genauso den Bestand des Generationenvertrages wie der, der durch seinen Beitrag direkt in die Sozialkassen zahlt.
Aber auch insgesamt müssen Erziehungsleistungen stärker anerkannt werden. Sie wissen, wie wichtig mir die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs war. Deshalb bin ich froh, daß wir mit dem neuen Familienleistungsausgleich bereits in diesem Jahr die Familien um zusätzliche 7 Milliarden DM entlasten konnten, und das in diesem engen Haushaltsjahr.
Ich verschweige nicht, daß die Verschiebung der Kindergelderhöhung für mich schmerzlich ist. Aber ich sage auch ganz klar: Eine Verschiebung von 20 DM für das erste und zweite Kind um ein Jahr ist mir immer noch lieber als Kürzungen in diesem Bereich oder gar Steuererhöhungen;
denn die sind in der Tat Gift, gerade auch für Familien.
Tatsache ist: Keine Familie wird 1997 weniger familienpolitische Leistungen erhalten als 1996.
Wir sind uns doch über Parteigrenzen hinweg einig - auch Sie von der Opposition -, daß Familien noch stärker entlastet werden müssen. Ich denke dabei besonders an kinderreiche Familien. Aber es muß doch auch seriös finanziert sein.
Ich halte überhaupt nichts davon, daß wir den Familien mit der einen Hand Geld aus der Tasche ziehen, um es mit der anderen Hand zu geben. Wichtig ist, daß die Familien unter dem Strich entlastet werden. Da sind auch gerade Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gefordert. Ich würde mich sehr freuen, wenn dort, wo Sie Verantwortung tragen, nämlich in den Ländern, familienpolitische Leistungen nicht gekürzt werden würden.
Wir dürfen doch die Familienpolitik nicht auf das Kindergeld reduzieren.
Noch nicht eine SPD-Landesregierung hat es je fertiggebracht, zum Beispiel ein Landeserziehungsgeld einzuführen. Dabei haben wir inzwischen sechs Länder, die eine solche Leistung den Familien zukommen lassen.
Gleiches gilt für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz. Ich komme jetzt viel herum und sehe, wie der Zustand ist. Gerade wo es SPD-Landesregierungen gibt, mangelt es an dieser Umsetzung des Rechtsanspruchs. Und hier hören wir große Töne.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Das Auseinanderklaffen von Taten und Worten in den Berei-
Bundesministerin Claudia Nolte
chen, in denen Sie Verantwortung tragen, kann nirgendwo so groß sein wie
in der Familienpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen - jetzt können Sie sich wieder beruhigen -, ich denke, Sie haben in den Ländern viel zu tun, um zu zeigen, daß Sie es dort besser könnten.
Solidarisches Verhalten zeigt sich, wenn wir es ernst mit den Familien meinen, und zwar auf allen Ebenen. Da muß man sich auch selber prüfen lassen. Solidarisches Verhalten zeigt sich, wenn wir es ernst meinen mit der Partnerschaft zwischen Jung und Alt. Und solidarisches Verhalten zeigt sich in der Partnerschaft der Geschlechter.
Die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking hat nochmals ganz klar das Recht eingefordert, Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu sichern. Wir sind verpflichtet, dafür nationale Strategien zu entwickeln, um die Gleichberechtigung hier in Deutschland weiter voranzutreiben. So wie wir in der Bundesregierung derzeit daran arbeiten, habe ich die Länder, Tarifpartner und Verbände auf gerufen, ihre Vorstellungen zu entwickeln, was sie dafür in ihrem Bereich tun wollen.
- Ich habe gesagt: Wir arbeiten gleichermaßen daran.
Ich werde 1997 mit einer Kampagne für „Gleichberechtigung, Teilhabe, Partnerschaft" die Umsetzung der nationalen Strategien unterstützen.
Ich denke, sie macht Sinn, denn wir brauchen eine veränderte Einstellung, ein verändertes Verhalten.
Das kann man mit Diskussionen, mit Kampagnen, natürlich fördern.
Die Weltfrauenkonferenz hatte natürlich noch eine andere, eine zentrale Botschaft: Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Achtung vor dem Leben und der Würde des Menschen gehört zu den unverzichtbaren Grundsätzen unserer Politik. Deswegen hat für mich der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Gewalt gegen Frauen national wie international Priorität. Mein Ziel ist eine bessere Prävention, die Erprobung neuer Wege der Kooperation von Polizei, Justiz, Beratungsstellen sowie besserer Opferschutz.
Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns drastisch vor Augen geführt, daß auch mehr unsere Kinder gefährdet sind, daß wir sie rechtlich, aber noch viel mehr durch unser Handeln schützen müssen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik für das Jahr 1995 gab es mehr als 16 000 Fälle von sexuellem Mißbrauch, von körperlicher und seelischer Zerstörung von Kindern in Deutschland. Das dokumentiert, wie notwendig umfassender Schutz ist.
Die Konferenz in Stockholm hat die Öffentlichkeit in der ganzen Welt wachgerüttelt und die Menschen gegenüber den Verbrechen - ich sage: gegenüber dem Mord an Kinderseelen - sensibilisiert. Lassen Sie uns gemeinsam solchen verabscheuungswürdigen Taten entschieden entgegentreten.
Lassen Sie uns im Kampf gegen Kindesmißbrauch, Kinderpornographie und Kinderprostitution nicht nachlassen.
Kinder sind kleine Menschen, die große Rechte, aber auch große Verbündete brauchen. Kein Erwachsener kann sich aus der Verantwortung stehlen.
„Kinder sind der kostbarste Reichtum eines Landes" - so die Charta der Vereinten Nationen. Schützen wir diesen Reichtum! Er ist unsere Zukunft.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christel Hanewinckel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Haushalt, den Sie, Frau Nolte, vorlegen, wird 1997 um insgesamt 6,4 Prozent niedriger sein als in diesem Jahr. Er wird am stärksten von allen Geschäftsbereichen gekürzt, wenn wir die Nichterhöhung des Kindergeldes dazurechnen.
Vor Journalisten haben Sie gestern versichert, Leistungsverschlechterungen werde es nächstes Jahr weder beim Erziehungsgeld noch beim Kindergeld geben. Liebe Frau Kollegin, das ist Schlichtweg falsch.
Wie Sie selbst ganz genau wissen, haben immer weniger junge Familien Anspruch auf Erziehungsgeld. Schuld sind die Einkommensgrenzen, die Sie nicht bereit sind zu erhöhen.
Im nächsten Jahr werden nur noch vier von zehn Familien das volle Erziehungsgeld von 600 DM erhalten. Vor zehn Jahren waren es noch neun von zehn Familien. Ist das keine Leistungsverschlechterung? Wo, bitte, ist hier Wachstum? Es geht nicht darum, daß es den Familien allen so viel besser geht, daß sie unendlich mehr verdienen, sondern weil die Leistungsgrenzen einfach nicht angehoben werden.
In der Koalitionsvereinbarung steht, daß die Einkommensgrenze erhöht werden soll. Wann denn? Nächstes Jahr offenbar nicht, sonst könnte der Haushaltstitel für das Erziehungsgeld nicht um 400 Millionen DM gekürzt werden. Wie wollen Sie
Christel Hanewinckel
eigentlich den Familien glaubhaft machen, daß Sie irgendwann einmal die Milliarden für die Anhebung der Einkommensgrenzen von Herrn Waigel zurückbekommen werden, wenn Sie nicht einmal bewirken können, daß wenigstens der 1996er-Stand erhalten bleibt? Die Familien können sich von Ihren Ankündigungen, daß die Einkommensgrenzen angehoben werden müßten, nichts kaufen. Nichtstun ist hier Rückschritt.
Sie wollen den Familien die bereits im Gesetz stehende Erhöhung des Kindergeldes wieder streichen. Ist es denn keine Leistungsverschlechterung, wenn eine Familie mit zwei Kindern Monat für Monat 40 DM weniger bekommt, als ihr versprochen wurde? Dies ist ein Vertrauensbruch an den Familien und an der Demokratie.
Sie wollen 3,8 Milliarden DM aus den Haushaltskassen der Familien streichen. Aber ich sage Ihnen: Es wird bei der Erhöhung des Kindergeldes bleiben. Wir werden dafür sorgen.
Die zunehmende Kinderarmut ist eine Schande für unser Land. Kinder sind von der Sozialhilfebedürftigkeit doppelt so stark betroffen wie der Rest der Bevölkerung. Die Kinder der Alleinerziehenden trifft es besonders hart. Das liegt nicht an dieser Familienform, sondern das hat ganz klar andere, identifizierbare Gründe.
Einer davon ist der viel zu gering angesetzte Kindesunterhalt. Jede Mutter weiß, daß die 250 DM Unterhalt, die sie vom Vater für das Kind bekommt, nicht ausreichen, um das Kind durch den Monat zu bringen: Die Miete, die Kleidung, das Essen und die Schulhefte müssen bezahlt werden. Das Existenzminimum eines Kindes liegt mehr als doppelt so hoch. Ich fordere Sie auf, Frau Nolte: Machen Sie mit dem ,,Väter-Schonprogramm" Schluß! Setzen Sie endlich den Kindesunterhalt so an, daß die einfache Lebenshaltung des Kindes gedeckt ist!
Dies wäre eine Maßnahme, um die Kinder aus der Sozialhilfe herauszuholen. Es würde die öffentlichen Kassen nicht einmal etwas kosten.
Liebe Kollegin Nolte, Ihnen fehlt die politische Gestaltungskraft. Sie kommen über Forderungen in alle möglichen Himmelsrichtungen nicht hinaus. Sie fordern das Land auf, es solle endlich kinderfreundlich werden; Sie fordern die Wirtschaft auf, endlich Ausbildungsplätze für Jugendliche zu schaffen;
Sie fordern die Gesellschaft insgesamt auf, nicht ganz so gewalttätig zu sein; Sie fordern die Väter auf, Erziehungsurlaub zu nehmen und, und, und. Ihr Forderungskatalog ist unendlich.
Frau Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singhammer?
Ja, bitte, Herr Kollege Singhammer.
Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, daß bei der Zahl der Sozialhilfe empfangenden Kinder und Jugendlichen von derzeit 900 000 mindestens ein Drittel dieser Kinder ausländischer Herkunft sind, nämlich beispielsweise Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten,
die logischerweise kein anderes Einkommen haben können als von der Sozialhilfe, so daß die Zahlen, die Sie hier nennen, jedenfalls mit dieser Differenzierung betrachtet werden müssen?
Herr Kollege Singhammer, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß ich hier keine Zahl genannt habe, wie Sie es jetzt darstellen. Aber ich denke, es bleibt eine Schande, daß immer noch über eine halbe Million Kinder - es gibt Statistiken, die etwas anderes aussagen - von Sozialhilfe leben müssen. Sie wissen genauso gut wie ich, daß das, was Sie morgen verabschieden wollen, noch mehr Familien, noch mehr Kinder und noch mehr Alleinerziehende in die Sozialhilfe treiben wird.
Ich finde es nicht gut, daß immer wieder darauf verwiesen wird, auf Sozialhilfe gebe es schließlich einen Rechtsanspruch. Ich betrachte es nach wie vor als eine Schande, daß in diesem reichen Lande so viele Kinder von Sozialhilfe leben müssen.
Frau Kollegin Nolte, Ihr Forderungskatalog an alle anderen ist unendlich. Machen Sie doch nicht immer andere verantwortlich, übernehmen Sie selbst endlich Verantwortung, und gestalten Sie, was Sie gestalten können! Aber Sie nehmen unwidersprochen hin, daß Ihr Kabinettskollege Waigel Ihren Etat auf diese Art und Weise zusammenkürzt. Wir haben von Ihnen kein einziges Wort vernommen, mit dem Sie sich dagegen zur Wehr gesetzt hätten. Nein, Sie stellen sich hin und verteidigen ihn auch noch.
Der Kinder- und Jugendhilfeplan wird um 10 Prozent zusammengestrichen. Aber die Bundesregierung sollte sich vielleicht besser die Worte des Bundespräsidenten zu Herzen nehmen, wenn sie schon nicht auf die Opposition und auf die Betroffenen selbst hört. Er warnte vor Einsparungen im jugendpolitischen Bereich angesichts der Tatsache, daß viele Kinder in einer Familie leben, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, und daß junge Menschen vor den negativen Einflüssen von Gewalt und Dro-
Christel Hanewinckel
gen geschützt werden müssen. Jugendarbeit braucht Kontinuität und Prävention.
Die Jugendministerin erkennt dies durchaus an. Sie sagt nämlich:
Wir dürfen nicht erst dann aktiv werden, wenn es zu Vorfällen gekommen ist. Die Prävention ist das erfolgversprechendste Instrument gegen Jugendkriminalität. Der Erziehung in der Familie kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Wir dürfen die Familien bei ihren Aufgaben jedoch nicht allein lassen.
Das sind tolle Worte. Allerdings läßt Frau Nolte ihren Worten keine Taten folgen. Der Jugend werden Chancen und Perspektiven verweigert, und die Familien sind zum Lastesel der Nation geworden. Der Haushalt beweist, daß Sie die Familien und die Jugend im Stich lassen.
Die Caritas hat zur Zeit eine Anzeige geschaltet, vielleicht kennen Sie sie:
Jung - und schon am Ende? Die Caritas hilft. Helfen Sie mit.
Eine solche Anzeige, Frau Ministerin, kommt doch nicht von ungefähr. Sie macht doch darauf aufmerksam, daß das, was Sie zu tun haben, einfach nicht getan wird. Sicherlich ist es richtig, daß alle in der Gesellschaft, alle Gruppen und Kräfte, dafür mitverantwortlich sind, wie es in unserem Land steht, vor allem um die Jugend. Aber das, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird, wird vor allen Dingen zu Lasten der Jugend gehen.
Meine Damen und Herren in den Koalitionsfraktionen, sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, daß die von Ihnen gewollten Kürzungen bei den ABM und bei den Maßnahmen nach § 249h AFG die soziale Infrastruktur in der Bundesrepublik, vor allen Dingen in den östlichen Bundesländern bedrohen? In Sachsen-Anhalt werden auf Grund Ihrer Kürzungen, denen Sie morgen zustimmen wollen, rund 9 000 Stellen wegfallen, davon jede zwölfte bei den sozialen Diensten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Sachsen-Anhalt hat ganz eindeutig festgestellt, daß ganze Teile seiner Arbeit, insbesondere in der Jugendarbeit, aber auch in der Alten- und Behindertenhilfe schlicht nicht mehr vorhanden sein werden. Wir haben von Ihnen, Frau Ministerin Nolte, keinen Protest gegen die Kürzungen gehört. Wo, bitte, hat das etwas mit Wachstum und Beschäftigung zu tun?
Letzte Woche fand das erste deutsch-tschechische Jugendtreffen nach der Wende statt. Auch die Jugendministerin war da. Sie haben dort angekündigt, für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch in Zukunft 2 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Das ist richtig und falsch zugleich. Sie haben der Öffentlichkeit nämlich nicht mitgeteilt, daß dafür Gelder von den anderen Initiativen des internationalen Jugendaustausches weggenommen werden. Sie haben auch nicht mitgeteilt, daß der Titel insgesamt um ungefähr 1,4 Millionen DM gekürzt wird. Was Sie hier tun, ist für Jugendliche unfaßbar.
Verständigung und Aussöhnung sind notwendig und wichtig. Wir wissen alle, daß dafür Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Diese Mittel sind Investitionen in den Frieden und den europäischen Einigungsprozeß. Wenn Sie aber den jungen Leuten nur die halbe Wahrheit erzählen, Frau Ministerin Nolte, dann zerstört das Vertrauen. Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie sich an die DDR-Zeiten erinnern, wo wir immer wieder die Erfahrung machen mußten, daß wir belogen und mit Phrasen hingehalten wurden. Was Sie jetzt tun oder getan haben, geht für mich in eine ähnliche Richtung.
Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt davon ah, wie wir mit unseren Kindern umgehen. Eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, Kinder vor sexueller Ausbeutung und Vermarktung zu schützen, hat keine Zukunft. An welcher Stelle, Frau Nolte, sind in Ihrem Haushalt in Zahlen die Konsequenzen aus der Konferenz in Stockholm und der Weltfrauenkonferenz in Peking vermerkt? An keiner Stelle. Auch hier erheben Sie Forderungen, stellen im Ausland fest, was notwendig ist. Wie eigentlich wollen Sie im nächsten Jahr das, was Sie in der Frauenpolitik und in der Kinderpolitik versprochen und gefordert haben, umsetzen? Ihr Haushalt enthält dazu nichts.
Kurz nach Ihrem Amtsantritt haben Sie, Frau Nolte, Ihre Schwerpunkte verkündet:
Insgesamt sehe ich meine Aufgabe als Ministerin darin, Lobbyistin und Verfechterin für die Interessen der Familien, der Senioren, der Frauen und der Jugendlichen zu sein.
Wenn ich mir ansehe, was von dem, was Sie damals verkündet, versprochen und gefordert haben, tatsächlich in Politik umgesetzt worden ist, dann muß ich heute, zwei Jahre danach, feststellen: nichts von alledem.
Im Gegenteil: Sie wollen bei der Steuer so eingreifen, daß die, die vom Existenzminimum leben, eine höhere Belastung tragen müssen. Sie wollen dafür sorgen, daß durch die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters die Frauen ihre Rente später beziehen. Sie wollen bei der Krankenversicherung dafür sorgen, daß die Kürzung des Krankengeldes auch erwerbstätige Mütter und Väter trifft, die zur Betreuung ihrer kranken Kinder zu Hause bleiben. Bei der Arbeitslosenversicherung halte ich es für einen Skandal, daß jungen Müttern die Zeit ihres Mutterschutzes nicht mehr als Vorversicherungszeit bei der Arbeitslosenversicherung anerkannt wird; damit verkürzt sich die Dauer ihres Bezuges von Arbeitslosengeld, falls sie arbeitslos werden.
Meine Damen und Herren, die Gemeinheiten stekken wie immer im Detail, und es gibt viele davon. Ich kann sie hier nicht alle aufzählen. Eine Ministerin für
Christel Hanewinckel
Familie, Senioren, Frauen und Jugend muß darauf achten, daß es nicht zu einseitigen Belastungen dieser Gruppen kommt.
Ihr „Haus der Generationen", Frau Nolte, ist baufällig. Fangen Sie an, Ihr Amt als Ministerin ernst zu nehmen, und tun Sie etwas für die Gruppen, deren Lobbyistin Sie sein wollten, zum Beispiel morgen, indem Sie gegen das Kürzungspaket stimmen. Setzen Sie Ihre Stimme ein für die Familien, die Frauen, die jungen und die alten Menschen. Machen Sie endlich etwas aus Ihrer Macht!
Das Wort hat der Kollege Peter Jacoby.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil wir uns in einer Haushaltsdebatte befinden, möchte ich zunächst einmal darauf hinweisen, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem, was gesellschaftspolitisch wünschenswert ist, und dein, was finanzpolitisch in einer ganz speziellen, haushaltspolitisch brisanten Zeit machbar ist.
Deshalb möchte ich sagen, daß die 11,7 Milliarden DM, die im Einzelplan 17 veranschlagt werden, aus Sicht der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition den Versuch darstellen, das, was gesellschaftspolitisch im Jahr 1997 zu bewältigen ist, finanziell seriös zu bestreiten und zu begleiten.
Wir machen den Versuch, die Antworten mit den Maßnahmen zu geben, deren Finanzierung wir sichergestellt zu haben glauben. Auf diesen Punkt möchte ich hinweisen.
Ich möchte gleichzeitig auf den Widerspruch bei Ihnen hinweisen, sich am Dienstag hierherzustellen und die Staatsverschuldung zu beklagen, zu formulieren, die Staatsschulden würden auf Kosten der jungen Generation angehäuft, um dann am Donnerstag hierherzukommen und Mehrausgaben in Millionen-, ja Milliardenhöhe zu fordern. Das ist widersprüchlich und unglaubwürdig zugleich.
Ein dritter Punkt. Ich möchte fragen, was denn der Ministerpräsident von Niedersachsen meint, wenn er gestern in einem Interview erklärt, es sei ein Irrtum, den Sozialstaat immer nur beliebig ausbauen zu wollen.
Angesichts eines dramatischen Umbruchs der Gesellschaft müsse ständig neu bestimmt werden, wieviel Sozialstaat sich der Staat unter den neuen Bedingungen der Globalisierung erlauben könne.
Wenn in Ihrer eigenen Partei darüber diskutiert wird, man müsse auch da und dort neue Richtungsentscheidungen treffen, dann können Sie doch anderen, die diese Richtungsentscheidungen verantworten, nicht in der platten Weise begegnen, wie das eben geschehen ist.
Meine Damen und Herren, ich greife das auf, was Sie im Blick auf das Erziehungsgeld gesagt haben. Natürlich kann man darüber diskutieren, und man muß es dann insbesondere finanzieren, wenn man den Kreis der Adressaten beim Erziehungsgeld erweitern will.
- Den Kreis erweitern, nachdem die Fallzahlen zurückgegangen sind; darüber kann man diskutieren. Gleichzeitig lege ich allerdings Wert auf die Feststellung, daß wir nicht Hand an die gesetzlichen Grundlagen legen und daß es keinem Leistungsempfänger des Jahres 1996 im Jahre 1997 schlechtergeht. Vielmehr verteidigen wir in dieser schwierigen Situation den Status quo.
Das machen alle Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland, egal, ob sie CDU- oder SPD-regiert sind. Nur, Sie verdrängen den einen Teil der Wirklichkeit und sind deshalb unglaubwürdig und doppelbödig zugleich.
Ich will etwas zum Argument des Verschiebens der Kindergelderhöhung um 20 DM um ein Jahr sagen. Man kann darüber klagen, und niemand von uns ist darüber froh. Nur, ich will Ihnen jetzt einmal erzählen, was in dem Land geschieht, aus dem ich komme. Ich komme aus dem Saarland.
Dort hat man jetzt die Schülerbeförderungskosten zum nächsten Schuljahr für alle Schüler ab der Sekundarstufe ersatzlos gestrichen, mit der Folge, daß alle Familien - ob kinderreich, ob kinderarm, ob bedürftig oder nicht bedürftig - pro Kind durchschnittlich 40 DM im Monat mehr zu zahlen haben als bisher.
Deshalb meine ich: Wenn sich die Länder ihrerseits gehalten sehen, solche Sparnotwendigkeiten zu verantworten, dann können Sie doch umgekehrt nicht hierhergehen und angesichts dessen, daß in diesem Jahr ein Familienleistungsausgleich mit 7 Milliarden DM mehr in Kraft gesetzt worden ist, aus einer Verschiebung der Kindergelderhöhung eine solche Argumentation herleiten, wie das soeben geschehen ist. Auch das ist widersprüchlich, doppelbödig. Sie
Peter Jacoby
verdrängen die Handlungsnotwendigkeit, die doch in Ihrer eigenen Verantwortung auf der Ebene der Bundesländer längst gesehen wird. Man verhält sich ja auch entsprechend.
Ich möchte daher etwas im Blick auf den Haushalt sagen. Die Relationen zwischen den freiwilligen und den gesetzlichen Leistungen sind etwa die zwischen 7 Prozent im operativen und 93 Prozent im gesetzlichen Bereich. Was geändert wird, betrifft insbesondere den gesetzlichen Bereich beim Erziehungsgeld. Es gibt aber auch Mehrausgaben etwa hinsichtlich der Zivildienstleistenden, wo wir mehr Fallzahlen haben, oder beim Unterhaltsvorschuß, so daß es, was den freiwilligen Bereich anlangt, gelungen ist, einen Kern auch für die Zukunft zu bewahren, zum Beispiel im Bereich der frauenpolitischen Maßnahmen, im Bereich des Garantiefonds, beim Kinder- und Jugendplan des Bundes, in der Seniorenpolitik und bei den Zuschüssen an die Wohlfahrtsverbände, sowohl was ihre Tätigkeiten anlangt wie auch, was ihre institutionelle Förderung betrifft.
Wenn man sich in dieser Zeit mit Vertretern der Verbände unterhält, dann sagen sie durchaus: Wir stellen in Rechnung, in welcher finanziellen Situation sich das Land befindet. Kümmert euch darum, daß nicht mit der Heckenschere gekürzt wird, daß eine globale Minderausgabe vermieden werden kann. Nur, wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir dazu in diesen Wochen, in denen wir den Haushaltsplan im Ausschuß beraten, auch die Mithilfe der Opposition. Ansonsten droht eben das, was die Verbände und diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind, nicht haben wollen, nämlich eine pauschale, eine lineare Kürzung, die bis jetzt Gott sei Dank vermieden worden ist.
Ich will ein Letztes sagen. Wenn wir die Diskussion im Bereich der Sozialpolitik und der Sozialstaatlichkeit überhaupt nur auf finanzielle Kategorien verkürzen, dann tragen wir doch einem Problem, von dem Sie, Frau Hanewinckel, am Schluß gesprochen haben, überhaupt nicht Rechnung. Wenn wir, die wir in den letzten Tagen und Wochen mit den schrecklichen Berichten über Brutalität an Kindern, jungen Mädchen und jungen Frauen konfrontiert worden sind, die Frage der Gewalt und vieles andere mehr diskutieren, dann sind es nicht finanzielle Kategorien, die wir zu bemühen haben. Vielmehr muß das Bewußtsein entsprechend gebildet werden.
Deshalb möchte ich sagen, Frau Ministerin Nolte: Wir stehen hinter den finanzpolitischen Schwerpunktsetzungen im Einzeletat 17; wir stehen aber insbesondere dann hinter Ihnen, wenn Sie alle Gelegenheiten wahrnehmen - wie das in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist -, sich in der Öffentlichkeit für die Bildung eines entsprechenden Bewußtseins und die Setzung entsprechender Maßstäbe einzusetzen, weil nur dadurch viele neue Probleme bewältigt werden können. Dieser Zusammenhang ist mir auch in einer Debatte wichtig, die eigentlich dem Haushalt gewidmet sein soll. Aber wir müssen beides miteinander verknüpfen, Strukturveränderung, Bewußtseinsbildung und eine entsprechende haushaltspolitische Begleitung all dessen, was wir uns für das kommende Jahr vorgenommen haben.
Ich erteile das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Nolte, hätten Sie eigentlich dieses Ergebnis erwartet? Rund zwei Drittel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind unzufrieden mit dem Stand der Gleichberechtigung. Was machen Sie nun, Frau Nolte, die Sie dieses Ergebnis zur Kenntnis genommen und die Sie diese Studie selbst vor einigen Tagen veröffentlicht haben? Sie wollen tatsächlich für Maßnahmen der Gleichberechtigung und für die Frauen im Haushalt 1997 ganze zwei Promille Ihres gesamten Haushalts einsetzen. In Ihrem „Haus der Generationen" ist offensichtlich für die Frauen kein Platz.
Auch die Familienpolitik, die in Ihrem Hause stattfindet, richtet sich insbesondere gegen die Frauen. Frau Hanewinckel hat gerade schon darauf hingewiesen: Seit zehn Jahren haben Sie die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld nicht angepaßt. Das führt dazu, daß Mütter immer weniger Erziehungsgeld bekommen. So sparen Sie in jedem Jahr mehrere hundert Millionen DM; in diesem Jahr sind es 400 Millionen DM.
Herr Jacoby, ich habe den Eindruck, Sie haben dieses System nicht verstanden. Diese 400 Millionen DM werden weniger ausgegeben; Sie sparen sie zu Lasten der Frauen ein.
Bei den Männern sind Sie allerdings weniger knauserig, im Gegenteil: Da wird sogar subventioniert. 830 Millionen DM strecken Sie im nächsten Jahr für Väter vor, die den Kindesunterhalt nicht zahlen wollen oder ihn nicht zahlen können. Das sind 50 Millionen DM mehr als im Vorjahr. Und bemerkenswert großzügig zeigen Sie sich trotz leerer Kassen, wenn es um die Rückzahlung dieser Forderungen geht. Nahezu ein Drittel der zahlungsfähigen Väter kann sich erfolgreich vor dem Zahlen drücken. Das macht weit über 200 Millionen DM aus, die Sie den Vätern einfach erlassen. Ich finde, das ist ein gigantisches Männersubventionsprogramm, dem wir ganz schnell ein Ende setzen sollten.
Es ist doch nicht zu fassen, daß jedes Parkvergehen verfolgt wird, während sich Väter durch einen einfachen Umzug ihrer Unterhaltspflichten entledigen können.
Es ist ein Trauerspiel, was „Vater" Staat für die Kinder übrig hat. Ihr Vorhaben, die beschlossene
Irmingard Schewe-Gerigk
Kindergelderhöhung 1997 nicht durchzuführen, ist ein offener Verfassungsbruch.
Was ist von einer Regierung zu halten, die Familienpolitik als Schönwetterpolitik betreibt und den Familien und Kindern noch nicht einmal das Existenzminimum sichert?
Was ist von einer Regierung zu halten, die in Kauf nimmt, daß für viele Familien - wie die Wohlfahrtsverbände es unlängst belegt haben - bereits mit dem zweiten Kind der soziale Abstieg beginnt?
Was ist von einer Regierung zu halten, die ihre Politik auf Kosten der nächsten Generation macht? Im Jahre 1996 kommt jedes Neugeborene mit einem öffentlichen Schuldenberg von bereits 25 000 DM auf die Welt.
Der Kanzler bezeichnet die Familienpolitik gern als eine der wichtigsten Aufgaben. Daß er und sein Kabinett dieser Aufgabe nicht gerecht werden, kritisiert nicht nur die Opposition, zu deren Aufgaben das gehört, sondern auch alle Familienverbände. Das gipfelt darin, daß einige CDU-Parlamentarier sogar erwägen, eine eigene Familienpolizei
- Entschuldigung, eine eigene „Familienpartei" zu gründen, weil sie unzufrieden sind mit dem, was Sie machen.
Zurück zu den Frauen. Frau Nolte, die Frauen der Republik sind maßlos enttäuscht von Ihnen. Sie verschweigen beharrlich, wie sehr das Sparpaket vor allen Dingen Frauen belastet. In Ihrer Rede haben Sie gerade noch mal darauf hingewiesen: Sie verteidigen dieses Sparpaket.
Wissen Sie nicht, daß Frauen meist in kleineren und mittleren Unternehmen arbeiten, daß die Lockerung des Kündigungsschutzes für 4,8 Millionen Frauen bedeutet, daß sie ohne Kündigungsschutz dastehen, daß sie jederzeit gefeuert werden können?
Wissen Sie nicht, daß bei der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall die Krankheit für Frauen zu einem Luxusgut wird, das sie sich nicht mehr leisten können? Denn fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen hatte 1994 ein Nettoeinkommen, das unterhalb des Existenzminimums lag. Wenn Sie das noch um 20 Prozent kürzen wollen, ist das eine soziale Ungeheuerlichkeit.
Minister Blüm schlägt vor, man könne sich dafür doch die Urlaubstage anrechnen lassen. Frau Nolte, warum sagen Sie Ihrem Kollegen eigentlich nicht, wie viele Frauen ihren Urlaub opfern, um die Ferienzeit der Kindergärten zu überbrücken? Sind Ihnen die Probleme, insbesondere der Alleinerziehenden, wirklich nicht bekannt?
Wissen Sie auch nicht, daß Frauen besonders von der Kürzung des Krankengeldes auf jetzt 70 Prozent betroffen sind, weil es nicht nur um Ihre eigene Krankheit geht, sondern auch um die der Kinder? Die Frauen sind es, die zu Hause bleiben, wenn die Kinder krank sind.
Welchen Sinn es für Frauen macht, das Renteneintrittsalter vorzeitig auf 65 Jahre anzuheben, bleibt Ihr Geheimnis. Die Arbeitsmarktsituation rechtfertigt es keineswegs, daß ältere Frauen fünf Jahre länger arbeiten und junge Menschen überhaupt nicht in den Erwerbsprozeß hineinkommen.
Die Anhebung des Renteneintrittsalters um fünf Jahre bedeutet für die Frauen eine faktische Rentenkürzung um 18 Prozent. Bei einer Durchschnittsrente von weniger als 800 DM - und das nach 45 Jahren Erwerbstätigkeit -
reduziert sich die Rente damit auf 656 DM. Das ist wohlgemerkt eine Durchschnittsrente. Das ist zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben.
Eine besonders schmerzliche Erfahrung, Frau Nolte, machen derzeit die Frauen im Osten, mit deren Problemen die Bundesregierung offensichtlich nichts zu tun haben will. Die Kürzung der ABM-Stellen, die zu 65 Prozent von Frauen besetzt sind, stellt die materielle Existenz vieler Frauen in Frage.
An wen sollen sich diese Frauen wenden, wenn noch nicht mal an eine Frauenministerin, die aus dem Osten kommt und ihre Probleme kennt? Nicht nur, daß die ohnehin schon hohe Arbeitslosigkeit zusätzlich verstärkt wird - auch werden Einrichtungen wie Frauenhäuser, Altenclubs, Jugendzentren ohne diese Stellen künftig nicht mehr existieren können. Sie werden von Schließung bedroht sein.
Frau Nolte, ich frage Sie allen Ernstes: Wo waren Sie, als diese Maßnahmen im Kabinett beschlossen wurden? Warum haben Sie sich versteckt? Ich will es einfach nicht glauben, daß Sie sich als Ministerin darauf reduzieren lassen, wissenschaftliche Studien zu vergeben, deren Ergebnisse Sie dann doch nicht umsetzen. Ich nenne da beispielhaft den Familienbericht oder auch den Jugendbericht, die Untersuchung zur Gewalt gegen ältere Menschen oder die Studie zur sozialen und rechtlichen Diskriminierung von Prostituierten.
All diesen Studien ist eines gemein: Sie beschreiben treffend die Situation, zeigen Wege zur Lösung des Problems auf und verschwinden dann als Hochglanzbroschüre in den Schubladen der Ministerien. Frau Nolte, diese Politik haben die Frauen nicht verdient. Nehmen Sie Ihre Verantwortung, die Sie über-
Irmingard Schewe-Gerigk
nommen haben, endlich ernst! Handeln Sie, und kämpfen Sie gegen frauenfeindliche Beschlüsse!
Ich erteile der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! In der heutigen Debatte ist schon mehrfach darüber geredet und beklagt worden, daß auch der Haushalt des Bundesfamilienministeriums von unabweisbar notwendigen Kürzungen und Einsparmaßnahmen betroffen ist und nicht verschont werden konnte. Man sollte aber auch hervorheben, daß 11,7 Milliarden DM bei einer Kürzung von 800 Millionen DM für Familien-, Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitik zur Verfügung stehen.
- Ja, meine sehr verehrte Kollegin von der Opposition, ich glaube, daß es wohl richtig ist, daß wir die gesetzlichen Leistungen und Ansprüche auch mit dem Haushalt erfüllen. Ich rechne nichts schön, sondern ich glaube, daß ich diejenige bin, die einen Blick für die Realität hat, und das ist in dieser Debatte ganz wichtig.
Ich bin froh, daß es einen Mittelansatz für Unterhaltssicherungsleistungen gibt; denn das sind Leistungen für Frauen und Mütter. Wir beklagen doch alle gemeinsam, daß der Staat einspringen muß, aber ich finde es gut und richtig, daß wir diese Leistungen haben und dafür Mittel im Haushalt angesetzt worden sind.
Ich habe bei einer sachlich richtigen Darstellung vermißt, daß erwähnt wurde, daß schließlich zu Beginn dieses Jahres zur Entlastung der Familien mit zirka 7 Milliarden DM ein ganz erheblicher familienpolitischer Beitrag von der Koalition geleistet worden ist.
Ich möchte nicht alle Argumente für und wider, die wir seit Dienstag zu den Sparmaßnahmen austauschen, wiederholen. Ich möchte einen Punkt kritisch anmerken. Man kann natürlich darüber streiten, ob die Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein angemessener Beitrag zur Lösung der schwierigen Arbeitsmarktsituation ist. Wenn man aber zu der Auffassung kommt - wie die Bayerische Staatsregierung -, daß die damit verbundene finanzielle Entlastung der Arbeitgeber zu zusätzlichen Arbeitsplätzen führen kann, dann riecht die Forderung, wenn sie aus Bayern kommt, schwangere Frauen von der Lohnabsenkung auszunehmen, doch etwas stark nach Populismus.
Genau das ist es, wenn zur Begründung dieser Forderung angeführt wird, daß die rechtliche Sonderbehandlung schwangerer Frauen ein Gebot des besonderen Schutzes des Grundgesetzes für das ungeborene Leben sei. Hier wird den Schwangeren offensichtlich unterstellt, sie würden die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes für ein paar Urlaubstage aufs Spiel setzen. Das finde ich nicht richtig.
- Nein, genau das ist es. Sehen Sie sich den Antrag, der heute im Bundesrat behandelt wurde, an und lesen Sie die Begründung.
Wenn man sich für die Absenkung der Lohnfortzahlung ausspricht und diesen Weg beschreitet, dann kann man hier in der Form nicht Politik aus Bayern machen, das ist wirklich etwas für den Stammtisch.
Eine Haushaltsdebatte verleitet dazu, Familienpolitik auf Transferleistungen des Staates zu reduzieren. Das, meine Damen und Herren, ist nicht gut;
denn es gibt in der Familienpolitik, die heute besser Lebensgemeinschaftspolitik genannt werden sollte und in der Kinder eine überragende Rolle spielen, deutlichen Reformbedarf, dem wir noch in dieser Legislaturperiode nachkommen müssen.
Mit einer stark steigenden Tendenz leben derzeit über 3,2 Millionen Menschen in Gemeinschaften, die dem traditionellen Bild von Ehe und Familie nicht mehr entsprechen. Dort wachsen eine halbe Million Kinder auf. Von jeder geschiedenen Ehe - 170 000 Ehen werden pro Jahr geschieden - ist durchschnittlich ein Kind betroffen. Kurzum: Die traditionelle Familie verschwindet nicht - das sagt auch niemand -, aber anscheinend verliert sie das Monopol, das sie lange besaß.
Egal, wie man diese Entwicklung sieht, ob als den Beleg für den Verfall konventioneller Wert- und Moralvorstellungen oder als Ausdruck zunehmender Pluralisierung und Selbstbestimmung individueller Lebensentwürfe, man muß dennoch die Verantwortung, die gerade die Politiker haben, übernehmen und ihr gerecht werden.
Denn das Leben ist bunter und vielfältiger als die Gesetzeslage.
Deshalb möchte ich nur ganz kurz erwähnen, wo außerhalb der materiellen Sicherung meiner Meinung nach Handlungsbedarf in der Familienpolitik besteht: Erstens bei dem Reformvorhaben zum Kindschaftsrecht, weil nämlich die rechtlichen Benachteiligungen gerade für nichteheliche Kinder beseitigt werden. Es ist Zeit, daß wir mit der Beratung dieses Vorhabens in den Ausschüssen und auch mit den
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Anhörungen in diesem Jahr beginnen und diese Reform in dieser Legislaturperiode abschließen.
Zweitens müssen wir Kinder in Zivil- und Strafprozessen mit dem Anwalt des Kindes in ihrer Stellung stärken, sie schützen und eine schonende Vernehmungspraxis haben. Wir müssen die Strafverfolgung wegen Kindesmißbrauchs im Ausland intensivieren. Sie alle haben recht, die hier konkretes Handeln einfordern. Da werden wir Sie, Frau Ministerin Nolte, bei Ihrem Wort nehmen und Sie in einiger Zeit auffordern, im Ausschuß zu berichten, wieweit Sie den jetzigen Ankündigungen zusammen mit Ihrem Kabinettskollegen Kanther Taten haben folgen lassen können.
Wir haben einen weiteren Punkt, der uns vor große Herausforderungen stellt: Wir müssen uns mit dem vom Bundesverfassungsgericht aufgegebenen Problem beschäftigen, wie die rentenrechtliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten so gestaltet werden kann, daß sie dem Gebot der Gleichbehandlung aller Versicherten gerecht wird, unabhängig davon, ob während der Kindererziehungszeit Versicherungsbeiträge entrichtet worden sind oder nicht. Da, Frau Ministerin, werden wir bestimmt auch den Vorschlag von Professor Ruland ausführlich diskutieren, daß wir diesen Ausgleich - das ist auch meine Auffassung - nicht in erster Linie über Rentenversicherungsbeiträge regeln können, sondern gesamtgesellschaftlich regeln und dann natürlich auch finanzieren müssen.
Wir sehen, daß es neben dem, was in Umsetzung des Haushalts getan werden muß, in der Gesetzgebung großen Handlungsbedarf gibt. Insofern, Frau Nolte, haben Sie mit Sicherheit die Unterstützung der F.D.P.-Fraktion. Haben Sie Mut, und packen Sie das an!
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Rita Grießhaber das Wort.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Deswegen möchte ich darauf noch einmal eingehen. Sie haben Bayern wegen der Initiative im Bundesrat kritisiert, für Schwangere die Einschränkung der Lohnfortzahlung aus dem Sparpaket herauszunehmen. Daß Sie das Sparpaket nicht aufbrechen wollen, ist klar und liegt auf der Hand. Aber daß Sie jetzt hingehen und in Ihrer Argumentation aufgreifen, daß Bayern damit unterstellen würde, daß die Schwangeren für ein paar Urlaubstage die Gesundheit des Kindes aufs Spiel setzen würden und den Urlaub dafür nicht opfern wollten, ist eine unglaublich zynische Geschichte.
Es geht doch gar nicht darum, daß man den Schwangeren unterstellt, sie würden Urlaubstage nicht opfern wollen. Es geht um die Situation, daß viele Schwangere während der Schwangerschaft sehr viel häufiger krank werden, zu Hause bleiben müssen und sich schonen müssen und wir davon ausgehen, diesen Frauen nicht zumuten zu können, dafür große finanzielle Einbußen in Kauf nehmen zu müssen. Damit wird Familienbildung in diesem Lande für zunehmend mehr Familien unmöglich und teuer und nicht mehr bezahlbar. In einer solchen Situation so zynisch darauf einzugehen und zu sagen, man unterstellt den Schwangeren, sie wollten den Urlaub dafür nicht opfern, ist für mich unerträglich.
Zur Replik Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Grießhaber, ich unterstelle nichts, ich lese einfach Texte. In dem Text zur Begründung des heutigen Antrags heißt es - auch ich bin diejenige, die das Sparpaket vertritt, das wir morgen verabschieden werden -, daß eine Ausnahme, eine andere Regelung beantragt wird, weil wegen finanzieller Einbußen der Druck auf die Schwangere entsteht, trotz Erkrankung am Arbeitsplatz erscheinen zu müssen. Genau das ist der Punkt. Sie können das nach der vorgeschlagenen Regelung durch einen Urlaubstag, den Sie für fünf Krankheitstage nehmen können, versuchen abzuwenden. Sie sagen, Sie wollen generell keine Lohnabsenkung im Krankheitsfall haben. Das ist eine andere Position. Aber wenn man diesen Weg beschreitet, dann ist es meiner Meinung nach nicht richtig, von seiten Bayerns gegen das Sparpaket in diesem Punkt vorzugehen, weil es zeigt, daß man in vielen anderen Fällen genauso argumentieren kann.
Frau Kollegin Rosel Neuhäuser, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß nicht Zukunftsforscherin sein, um absehen zu können, daß der Sparschuß der Koalition nach hinten losgehen wird. Folgsam beteiligen Sie sich, Frau Ministerin Nolte, am Spargebaren der Bundesregierung. Sicher gab es dafür herrschaftliches Lob vom Kanzler oder auch vom Finanzminister. Nicht nur, daß Sie sich im Einzelplan 17 auf den durchschnittlichen Ausgabenrückgang von 2,5 Prozent einstellen, wie es der Bundeshaushalt vorsieht. Nein, Sie kürzen gleich um 6,4 Prozent, im Jugendplan sogar gleich um 11,7 Prozent. Ich hatte geglaubt, Planerfüllung sei kein Maßstab für Erfolg mehr.
Wir sprechen also im Familienetat von 70 Millionen DM, die weniger zur Verfügung stehen sollen. Betroffen sind vor allem jene Bereiche, wo schon jetzt Bedarf und Mittelausstattung weit auseinanderklaffen: gravierende Kürzungen im Kinder- und Jugendplan, in der Frauenförderung, bei Maßnahmen zur
Rosel Neuhäuser
Förderung der Selbsthilfe, bei Zuschüssen für Einrichtungen für Behinderte, bei Maßnahmen der Familienpolitik.
Frau Ministerin, können Sie sich noch an Ihr Statement zur Kinderfreundlichkeit erinnern? Sie haben es im wesentlichen ja wiederholt. Ich zitiere:
Kinderfreundlichkeit hat nichts mit Lobbyismus zu tun, sondern ist vor allem ein Synonym für die Menschlichkeit einer Gesellschaft. Die Zukunft der Kinder muß Maßstab unserer Politik sein.
Ich frage mich nur, an welchen Stellen diese Ihre Überzeugungen politisch zum Tragen kommen sollen. Im Haushalt Ihres Ministeriums, der Ihren Handlungsspielraum definiert, offensichtlich nicht.
Mit der durch Ludwig Erhard, der in den letzten Tagen sehr oft strapaziert wurde, damals begründeten Wirtschaftspolitik lebten viele Menschen in der Bundesrepublik in dem Bewußtsein, daß es stetig vorangeht und daß es ihnen immer besser gehen wird. Nun müssen sie täglich die Erfahrung machen, daß das so nicht funktioniert, daß die Gesellschaft insgesamt zwar immer reicher wird, aber immer weniger Menschen dafür gebraucht werden und auch immer weniger Menschen an diesem Reichtum teilhaben.
Sind die Folgen für Erwachsene schon schlimm genug, so sind sie für Kinder und Jugendliche noch eklatanter. Das zeigen die Zahlen, die heute in der Presse nachzulesen sind und die auf einer Tagung des Kinderschutzzentrums in Köln genannt wurden: 2,2 Millionen Kinder gelten als arm.
An der Schwelle des neuen Ausbildungsjahrs fehlen Tausende von Lehrstellen. Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, haben nach wie vor kein schlüssiges Konzept. Sie begnügen sich mit allgemeinen Appellen an die Wirtschaft und mit diversen Feuerwehrprogrammen und mißbrauchen diese Misere, um Ihre Forderungen nach kürzeren Ausbildungszeiten und geringeren Lehrlingsentgelten zu begründen. Das ist Ihre Jugendpolitik,
Ihre Versprechungen und viele leere Worte erschüttern zunehmend das Vertrauen vieler Menschen, besonders junger Menschen, in das politische System. Immer häufiger werden Politik und Demokratie in Zweifel gestellt, wird ihre Glaubwürdigkeit mit allem Nachdruck hinterfragt. Gerade am Beispiel der Kinder- und Jugendpolitik wird deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit Sie sich Ihren gesetzlich verankerten Verpflichtungen stellen. So verweigern Sie verfassungswidrig und entgegen beschlossenen Gesetzen eine Erhöhung des Kindergeldes und des steuerfreien Existenzminimums. Was hat das noch mit Kinder- und Familienfreundlichkeit zu tun?
Jahr für Jahr ziehen Sie sich zunehmend aus Ihrer Verantwortung zurück und übertragen immer mehr Aufgaben auf Länder und Kommunen. Sie wissen ganz genau, daß die meisten Kommunen längst am Ende der Fahnenstange angekommen sind, daß zum Beispiel Kontinuität und Sicherheit für längerfristige Projekte der Kinder- und Jugendarbeit längst eine Illusion sind. Trotzdem wird dem Rotstift von Herrn
Waigel absolute Aktionsfreiheit gewährt. Oder sollte man dazu vielleicht „Narrenfreiheit" sagen?
Sorgen Sie endlich dafür, daß der Kinder- und Jugendbereich für Einsparungen und Kürzungen eine Tabuzone ist! Neue Wege in der Förderung und Finanzierung von Kinder- und Jugendarbeit können letztlich nur im Spannungsfeld von Konstruktivität, Forderung und Protest entwickelt und verwirklicht werden. Wir brauchen zum Beispiel die Aufstockung der Jugendförderungstöpfe mit Langzeitcharakter, Probier- und Experimentiertöpfe für Jugendliche, gerechte Verteilungsmodalitäten für die Finanzierung freier und öffentlicher Träger, mehr Beweglichkeit in den Finanz- und Verwaltungsstrukturen.
Lassen Sie mich kurz noch ein Wort zu den geplanten Kürzungen bei den AB-Maßnahmen in den neuen Bundesländern sagen. In Ostdeutschland erfolgte bisher eine verdeckte Ausfallfinanzierung für die soziale, kulturelle und sportliche Infrastruktur über ABM. Über 30 000 ABM-Kräfte und über 20 000 Beschäftigte in Maßnahmen nach § 249h sind derzeit in sozialen Diensten und in der Jugendhilfe in den neuen Ländern tätig. Die Situation, die beim Wegbrechen dieser Maßnahmen entsteht, ist mit dem Begriff Katastrophe noch sehr freundlich umschrieben.
Wir fordern deshalb die Einrichtung eines Bundesfonds „Bezuschussung soziokultureller Regelaufgaben in ostdeutschen Kommunen" , wie sie vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband vorgeschlagen wurde. Das heißt: Regelfinanzierung statt ABM.
Ich wiederhole, was wir im vergangenen Jahr schon einmal nachdrücklich als Forderung gestellt haben: Wir fordern die Aufhebung der Jährlichkeit bei der Finanzierung im Kinder- und Jugendbereich, die Einführung eigener, unbefristeter Haushaltstitel als Verbundfinanzierung und den Übergang von Formen der Arbeitsförderung zu einer Regelfinanzierung und kontinuierlichen Fachkraftförderung.
Danke.
Frau Kollegin Maria Eichhorn, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sparsamkeit ist die Maxime des Bundeshaushalts. Zu den notwendigen Einsparungen, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es keine Alternative. Wir werden mit dem eingeschlagenen Weg des Wachstums- und Beschäftigungsprogramms den Sozialstaat sichern und neue Arbeitsplätze schaffen. Das ist die beste Familien-, Frauen- und Jugendpolitik.
Wer heute Leistungen fordert, ohne eine Gegenfinanzierung anzubieten, handelt gesamtpolitisch verantwortungslos. Die Mittel sind knapp, und es ist unsere Aufgabe, sie gezielt zu verteilen.
Maria Eichhorn
Es ist leicht, Leistungen zu fordern. Aber sagen Sie uns doch, woher Sie die Mittel nehmen, die Sie verteilen wollen. Einen Märchenhauskatalog kann man leicht aufstellen. Man muß aber wissen, woher die Mittel zu nehmen sind.
Es ist heute schon an anderer Stelle etwas zum Bereich der Jugendpolitik gesagt worden. Trotzdem möchte ich noch einiges im Hinblick auf die Wertevermittlung in diesem Bereich sagen. Der Stellenwert der Politik für Familien, Senioren, Frauen und Jugend kann nicht ausschließlich an finanziellen Mitteln gemessen werden.
Wer so argumentiert, greift zu kurz. Wenn Eltern ihre eigenen Kinder aus maßlosem Gewinnstreben zur Prostitution zwingen,
wenn der Sextourismus expandiert und die Gewaltbereitschaft zunimmt, muß klar sein, daß viel mehr Wert auf die Vermittlung von Werten und auf die Wertschätzung von Familien und Kindern in unserer Gesellschaft gelegt werden muß.
Die Werte, die wir heute unseren Kindern und Jugendlichen vermitteln, werden maßgeblich die Gesellschaft von morgen prägen.
Dazu gehört nicht zuletzt, daß wir stärker das Interesse und die Bereitschaft bei Jugendlichen wecken, sich sozial und politisch zu engagieren.
Jugendliche gehen unvoreingenommen aufeinander zu. Das habe ich in Polička beim deutsch-tschechischen Jugendtreffen in der letzten Woche erlebt. Dort wurde auch eine feste Grundlage für die Verbesserung der deutsch-tschechischen Jugendbeziehungen geschaffen. Mit ihrer Unterschrift haben die beiden Jugendminister besiegelt, daß Koordinierungsstellen für den Jugendaustausch zwischen beiden Ländern errichtet werden.
Ich freue mich ganz besonders, daß die deutsche Koordinierungsstelle in Regensburg, meiner Heimatstadt, errichtet wird. Ich verspreche mir davon viele neue Impulse und viele neue Beziehungen zwischen der bayerischen Grenzregion und den Partnerstädten auf der anderen Seite.
Die Jugend war schon immer ein Wegbereiter für die Völkerverständigung. Ich bin überzeugt, daß durch die engere Zusammenarbeit auch die freundschaftlichen Verbindungen weiter wachsen werden.
Internationale Jugendarbeit hat für uns einen wichtigen Stellenwert. Trotz Sparmaßnahmen wurden Kürzungen weitgehend vermieden. Ich sehe nicht die großen Kürzungen, Frau Hanewinckel, die Sie angesprochen haben. Lediglich beim deutschfranzösischen Jugendaustausch gibt es geringfügige
Kürzungen. Der Ansatz für den deutsch-polnischen Jugendaustausch ist geblieben; für den deutschtschechischen Jugendaustausch wurden Mittel neu eingestellt. Ich gebe zu, daß insgesamt eine Umschichtung erforderlich war. Aber es ist ja unsere Aufgabe, Prioritäten neu zu setzen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schewe-Gerigk?
Bitte schön.
Frau Eichhorn, Sie haben gerade die Frage an die Opposition gerichtet, wie wir die Auszahlung des erhöhten Kindergeldes ab dem 1. Januar 1997 finanzieren wollten. Sie haben gesagt, wir hätten keine Vorschläge.
Meine Frage an Sie: Halten Sie es nicht im Sinne der Familien für viel gerechter, die beschlossene Erhöhung fristgemäß auszuzahlen, anstatt private Veräußerungsgewinne nicht zu besteuern? Wir haben seinerzeit diesen Antrag hier gestellt, mit einer Gegenfinanzierung in Höhe von 3,4 Milliarden DM. Sie haben ihn abgelehnt.
Frau Schewe-Gerigk, ich kenne Ihren Antrag.
Ich kann nur sagen: Wir haben geprüft, woher wir die 4 Milliarden DM, die für die Erhöhung des Kindergeldes anzusetzen wären, nehmen könnten. Sie wissen, daß wir innerhalb unserer Fraktion um eine seriöse andere Finanzierung gerungen haben. Dies ist uns nicht gelungen. Deswegen müssen wir bei der Verschiebung des Termins für die Auszahlung des erhöhten Kindergeldes bleiben, so schmerzlich dies auch ist.
Es handelt sich aber, wie heute schon gesagt worden ist, nur um eine Verschiebung um ein Jahr, nicht um eine Kürzung. Im Jahr darauf, also im Jahre 1998, werden wir die Erhöhung vornehmen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Rückgrat in der Jugendhilfe ist die Jugendverbandsarbeit. Die Jugendverbände hatten und haben weiterhin unsere volle Unterstützung. Deshalb wurden die Mittel im Bundesjugendplan nicht gekürzt, was auch von den Verbänden anerkannt wird.
Ich appelliere aber an die Verbände, Mut zu zeigen und bei Planungen und Aktivitäten neue Wege zu gehen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten muß die Bereitschaft der Träger zunehmen, hergebrachte Strukturen zu überdenken und die Qualität der Arbeit nicht zuletzt auch durch unkonventionelle Wege zu sichern.
Im Bereich der Medien müssen wir die rasanten Entwicklungen unter dem Aspekt des Kinder- und Jugendschutzes genau beobachten. Gefordert ist der verantwortungsvolle Umgang mit den neuen Me-
Maria Eichhorn
dien. Deswegen wird auf Anregung unserer Arbeitsgruppe in den nächsten Wochen eine Anhörung zum Thema „Chancen und Nutzen der neuen Medien für Kinder und Jugendliche" durchgeführt. Wir werden eine genaue Analyse vornehmen und unsere Schlußfolgerungen daraus ziehen.
Für sehr wichtig halte ich auch die politische Auseinandersetzung mit dem Thema Drogen. Suchtvorbeugung und Bewältigung von Drogenabhängigkeiten müssen stärker unter jugendpolitischen Aspekten angegangen werden.
Techno-Partys und Techno-Drogen werden von vielen Jugendlichen in einem Atemzug genannt. Wenn der Konsum legaler und illegaler Drogen für junge Menschen nichts Außergewöhnliches ist, dann ist das sehr bedenklich und muß uns beunruhigen. Gerade der Umgang mit Ecstasy, einer Droge, die gesellschaftlich bisher nicht geächtet ist, darf uns nicht unberührt lassen.
Welche Ursachen hat es, wenn Kinder und Jugendliche ihre Alltagsprobleme am Wochenende in Drogen ersticken? Sind die Hintergründe dafür nicht auch Identitäts- und Wertverlust? Dies sind Fragen, auf die wir Antwort geben müssen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkungen zur Frauenpolitik.
Erstens. Bei der Weiterentwicklung der Rentenversicherung müssen Kindererziehungs- und Pflegezeiten mehr als bisher berücksichtigt werden. Es kann und darf nicht sein, daß die Altersrente für Frauen weit niedriger ist als die der Männer, nur weil Frauen die Kindererziehung übernehmen.
Unsere Aufgabe in der Rentenkommission ist es, das Nötige zu tun.
Zweitens. Die gezielten Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit von Frauen werden fortgesetzt. Mit der AFG-Reform, der Förderung von Existenzgründungen und der steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für Haushaltshilfen werden wir wichtige Eckpfeiler setzen.
In der Familienpolitik haben wir durch die Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs einen entscheidenden Schritt nach vorn getan. Mit zusätzlichen 7 Milliarden DM belaufen sich die staatlichen Leistungen für Kindergeld und Kinderfreibetrag damit auf jetzt über 43,5 Milliarden DM jährlich. Insgesamt haben sich die familienpolitischen steuerwirksamen Leistungen und Maßnahmen seit 1982 von 27,5 auf rund 70 Milliarden DM mehr als verdoppelt.
Die Verschiebung der Erhöhung des Kindergeldes - ich habe es vorhin gesagt - ist schmerzlich, aber die Senkung der Ausgaben hat höchste Priorität.
Die beste Familien- und Sozialpolitik sind der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Deswegen appelliere ich an die Opposition, die dafür notwendigen Maßnahmen mitzutragen und nicht abseits zu stehen.
Nun hat die Kollegin Siegrun Klemmer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich mußte einen Schluck trinken; denn mir ist wirklich - das muß ich zu Beginn sagen - die Spucke weggeblieben nach dem, was ich zu diesem Haushalt hier eben von Ihnen gehört habe.
Sie haben doch sicherlich so wie ich - Frau Ministerin, von Ihnen weiß ich das, auch von Ihnen, Herr Jacoby, und von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuß nehme ich es an - in den letzten Wochen Gespräche geführt und gehört, was die Betroffenen, die in diesem Haushalt untergebracht sind, zu diesem Entwurf zu sagen haben. Sie reden so, als hätten Sie diese Gespräche nicht geführt, als hätten Sie Ihre Büros nicht verlassen. Sie reden so, als hätte hier nicht ein wahnsinniger Kahlschlag stattgefunden.
Gott sei Dank wird hier heute zugehört, auch draußen. Ich weiß das, weil ich eben, bevor ich bierhergekommen bin, noch einmal ein Gespräch mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege hatte, die aufs höchste alarmiert sind. Ich weiß nicht, woher Sie die Unverfrorenheit nehmen, hier so zu tun, als wenn in diesem Haushalt alles zum besten stünde.
Die Frau Kollegin von der F.D.P. macht eigentlich etwas Richtiges: Sie geht gar nicht auf den Haushalt ein und erwähnt zur Sicherheit gar keine Zahlen. Frau Eichhorn - das habe ich fast auch nicht anders erwartet - sagt, wir müßten uns um die Werte kümmern, und lenkt ab auf ein zwar schlimmes, aber Gott sei Dank doch Randproblem in den Familien, nämlich den Mißbrauch von Kindern.
Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik sind zentrale Bereiche einer modernen Gesellschaftspolitik. Sie tragen in vielfältiger Form dazu bei, den Prozeß des Wandels in unserer Gesellschaft zu bewältigen und die innere Einheit unseres Landes zu vollenden.
Wer wollte dem widersprechen? Mit diesen Worten hat die Frau Ministerin jüngst die Aufgaben ihres Hauses umrissen.
Der Regierungsentwurf für den Einzelplan 17 leistet allerdings das exakte Gegenteil. Er steht für unmoderne Gesellschaftspolitik, er verschärft den so-
Siegrun Klemmer
zialen Wandel, und er treibt die innere Spaltung unseres Landes voran.
Frau Ministerin, ich muß es leider sagen: Wer bunte Broschüren druckt und sonntags gerne redet, aber die Politik seines Hauses vom Finanzminister miterledigen läßt, der hat sich doch wohl als verantwortliche Fürsprecherin wichtiger gesellschaftlicher Gruppen von der politischen Bühne verabschiedet.
Das war ein typisches Bild: Sie haben vor zehn Minuten hier Unterstützung von Ihrem Kollegen Herrn Seehofer bekommen. Sie haben hier alleine gesessen. Die Aufpasserin, die ehrenwerte Frau Kollegin Karwatzki als Staatssekretärin des Finanzministeriums, saß dabei. So stelle ich mir auch das Bild im Kabinett vor. Was haben Sie eigentlich gegen diesen katastrophalen Entwurf Laut gegeben? Was hat man von Ihnen gehört? Der Herr Kollege Rühe hat wenigstens laut geschimpft. Das haben die Verbände und die Betroffenen auch von Ihnen erwartet, aber da war null Meldung zu geben.
Das, was Sie hier über den Haushalt vorgetragen haben, bedarf doch einiger Richtigstellungen; denn Sie haben ihn sich schöngeredet. Um 6,4 Prozent soll das Volumen dieses Einzeletats gegenüber 1996 zurückgehen. Läßt man hier noch den Einwand gelten, daß dies auch auf Nachwehen der Systemumstellung beim Kindergeld zurückzuführen ist, so zieht dieses Argument dann nicht mehr, wenn man sich die allgemeinen Bewilligungen vor Augen führt. Von diesen einzigen freien Mitteln, die sonst an keiner Stelle im Haushalt zu finden sind, die nicht auf Grund von Leistungsgesetzen verausgabt werden, sondern für Politikgestaltung zur Verfügung stehen, sind sage und schreibe 70 Millionen DM - das wurde schon erwähnt - und damit 8,1 Prozent weniger als im Vorjahr veranschlagt.
Der Finanzminister Waigel nennt das technokratisch Durchbrechen des Wagnerschen Gesetzes von den wachsenden Staatsausgaben. Aber damit wird für dieses Ministerium der inhaltliche und finanzielle Bankrott des „Hauses der Generationen", wie Sie es so gerne nennen, eingeläutet.
Wie groß der tatsächliche Gegensatz von Worten und politischen Taten ist, muß man hier vor allen Dingen noch einmal gegenüber dem, was Sie, Frau Ministerin, hier vorgetragen haben, deutlich machen. Ich möchte das gerne an Hand der vier Schwerpunkte Ihres Ministeriums richtigstellen.
Erstens. Im Jahresbericht der Bundesregierung steht:
Aufgabe der Politik ist es, ein lebenszugewandtes Altern zu ermöglichen ... Der Bundesaltenplan ist ein innovatives Förderinstrument für die Altenpolitik des Bundes.
Realität ist: Der Bundesaltenplan soll um 13,3 Prozent zurückgeschraubt werden. Die Mittel für Seniorenpolitik sollen insgesamt um 17 Prozent zurückgehen.
Zweitens. Seit September 1994 gilt das Zweite Gleichberechtigungsgesetz mit den Schwerpunkten
Verbesserung der Frauenförderung, Durchsetzung und Gleichbehandlungsgebot. Realität ist: Der entsprechende Titel im Haushalt sinkt um 12,5 Prozent.
Drittens. Im Bericht der Bundesregierung für 1995 zitiert das Ministerium eine Studie, nach der die Nachfrage junger Menschen nach öffentlicher Unterstützung in Ostdeutschland wesentlich höher ist als im Westen. Auch dort macht sich allerdings angesichts von Lehrstellenmisere und Arbeitslosigkeit Zukunftsangst breit. Jugend als Zukunftsfaktor - von dem doch so häufig die Rede bei Ihnen ist - wird aus der von der Bundesregierung geführten Standortdiskussion völlig ausgeblendet. Denn Realität ist: Der Kinder- und Jugendplan erleidet einen nie gekannten Kahlschlag um 12 Prozent; die gerade für die Bewältigung des gesellschaftlichen Bruchs im Osten geschaffenen Aktionsprogramme fallen ab 1997 ersatzlos aus.
Viertens. Nicht zuletzt läßt die Bundesregierung keine Gelegenheit aus, die zentrale Rolle der Familienpolitik zu betonen. Das hört sich im Jahresbericht der Bundesregierung so an:
Die Familienpolitik der Bundesregierung hat zum Ziel, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jungen Menschen erleichtern, sich für Kinder zu entscheiden, sie zum Leben in der Familie zu ermutigen und die Solidarität der Generationen zu stärken.
Realität ist hier: Die bereits beschlossene Kindergelderhöhung - auch davon war schon die Rede - soll verfassungswidrig verschoben werden. Die völlig überholten Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld führen dazu, daß sich diese Leistungen praktisch von selbst abschaffen.
Der Gipfelpunkt ist, daß Maßnahmen der Familienpolitik in diesem Haushalt zusätzlich um 17 Prozent gekürzt wurden. So sieht es aus, Frau Nolte, und nicht so, wie Sie es vorhin hier vorgestellt haben.
Nicht nur als Haushaltspolitikerin muß ich leider sagen: Im Kern ist dieser Haushalt eigentlich gar nicht beratungsfähig. Er überdreht die Sparschraube nämlich nach quälenden Minusrunden schon in den letzten Jahren nun endgültig.
- Wir haben keine Vorschläge gemacht? Wo waren Sie denn die letzten Tage, Herr Kollege? Haben Sie hier nicht aufgepaßt, was die Opposition zu sagen hat?
Dabei wird allerdings eine prinzipiell neue Qualität erreicht, Frau Nolte. Bislang sollte mit nominalen Einschnitten um 3 bis 5 Prozent der Eindruck von Kontinuität und Bewahrung erweckt werden. Stagnation wurde dann schon als Erfolg gefeiert. Dies war allerdings ein Winkelzug der Salamitaktik der Bundesregierung, mit selektiven Kürzungen und
Siegrun Klemmer
politischen Affinitäten - die kennen wir ja - eine Solidarität der Zuwendungsempfänger gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wer die verbandlichen Befindlichkeiten kennt, wird sich über den zeitweisen Erfolg dieser Taktik nicht wundern. Mittlerweile sind aber sämtliche Gestaltungsspielräume der freien Träger derart zusammengeschmolzen, daß inhaltliche Schwerpunktsetzung und Innovation von außen im Keim erstickt werden.
In nie gekannter Eintracht - das hätte Ihnen doch auch in den letzten Wochen gewahr werden müssen - setzen sich die Verbände nun gemeinsam und völlig zu Recht gegen diese Einschnitte zur Wehr. Kürzungen in einzelnen Programmen des Kinder- und Jugendplans von deutlich über 30 Prozent - ich weiß nicht, was den Familienpolitikern unter Ihnen dazu noch einfällt - stellen die Arbeit nicht weniger Verbände mitsamt ihren Strukturen existentiell in Frage. Für Umschichtungen innerhalb der Kapitel finden selbst ausgefuchste Fachleute in diesem Jahr nun wirklich keine nennenswerte Verfügungsmasse mehr. Es ist endgültig auch mit der Möglichkeit umzuschichten Schluß.
Uns Haushaltsberichterstatterinnen der Opposition - lassen Sie mir dieses Wort noch gestattet sein - wird für 1997 eine Herkulesaufgabe zugemutet. Mit einer Rohrzange stehen wir sozusagen vor der berstenden Staumauer.
Die perfide Logik unserer Situation besteht darin, mit jedem Änderungsantrag einem verantwortungslosen Kahlschlagprogramm innerhalb eines unseriösen Haushaltspaketes quasi die Etatreife zu bescheinigen. Was ist die Alternative? Wahlweise können wir uns dem Verweigerungsvorwurf aussetzen und selbst auf kleinste Verbesserungen zugunsten der Menschen verzichten.
Zum Thema Erziehungsgeld hat die Kollegin Hanewinckel das Notwendige gesagt. Frau Ministerin, hier geht Ihr familienpolitisches Paradepferd nun wirklich nach Null.
Ihre Reaktion auf den Haushalt und die mittlerweile chronische Misere ist hilflos, unverantwortlich und geht an den gesellschaftlichen Notwendigkeiten völlig vorbei.
Mit Lobpreisungen des Ehrenamtes, der Verschonung der freiwilligen sozialen Dienste von allen Kürzungen - auch das muß man aus dem Haushalt herauslesen - sowie dem lauten Nachdenken über allgemeine Dienstpflicht zeigen Sie eigentlich recht deutlich auf, wohin die Reise gehen soll, wer nämlich das Staatsversagen bei der Bereitstellung öffentlicher Güter in Zukunft aufzufangen und wer zu leisten hat.
Frau Nolte, Sie bleiben die Antwort auf folgende wichtige Frage schuldig, die gleichzeitig als Vorwurf an Sie gerichtet ist: Wie lange eigentlich wird der ständige Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip, das von den freien Trägern zunehmend schwerer ausgefüllt werden kann - auch Sie wissen das -, als dauerhafte Fluchtmöglichkeit aus der Sozialstaatlichkeit von Ihnen noch mißbraucht?
Dieser Haushalt ist hinsichtlich seiner unmittelbaren Folgen und Signalwirkungen fatal. Ich fordere Sie sehr eindringlich auf, in den nächsten Wochen im Interesse der Familien, der Frauen sowie der jungen und älteren Generation nachzubessern. Wir sind - natürlich unter veränderten Bedingungen, allerdings nicht, um neue Kampagnen zu starten - dazu bereit. Dieses rüde Kahlschlagprogramm wird allerdings nicht die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion finden.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das ist der Einzelplan 15. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums schrumpft im Jahre 1997, also im nächsten Haushaltsjahr, von 789 Millionen auf 751 Millionen DM. Das ist ein Ausgabenrückgang von 4,8 Prozent, für den ich dankbar bin, weil er den Minister und seine Mitarbeiter dazu zwingt, die Effizienz zu erhöhen und richtige Prioritäten zu setzen.
Auch mit dem reduzierten Ausgabevolumen ist es möglich, alle notwendigen und wichtigen Maßnahmen der deutschen Gesundheitspolitik zu realisieren. Ich bin dankbar, daß bei dieser Prioritätensetzung die Mittel für die Aufklärungsmaßnahmen bei der Aids-Bekämpfung im Verhältnis zu dem laufenden Haushaltsjahr unverändert geblieben sind. Das ist ein gutes Beispiel dafür, daß man auch unter Sparzwang richtige Schwerpunkte und Prioritäten setzen kann.
Insgesamt beträgt der Etat des Bundesgesundheitsministeriums ohnehin nur 0,17 Prozent des Gesamtvolumens des Bundeshaushaltes, weil sich die Finanzströme für die wichtigen Aufgaben Sozialhilfe und Gesundheit außerhalb des Bundeshaushaltes realisieren, beispielsweise bei den Kommunen und in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Aus diesem Grunde möchte ich nach vielem Gerede und vielen Kommentierungen über die Lage des deutschen Gesundheitswesens einiges Grundsätzliches zur tatsächlichen Realität sagen.
Ich möchte mich dem Thema aus der Sicht eines Menschen, der krank ist, nähern und mit der Frage: Was erwartet eigentlich ein Mensch, der krank ist, von unserem deutschen Gesundheitswesen? Er erwartet in allererster Linie Hilfe. Er erwartet medizini-
Bundesminister Horst Seehofer
sehe Betreuung, auch menschlichen Zuspruch und vor allem Heilung.
Wenn man an dieser Erwartungshaltung das deutsche Gesundheitswesen mißt, dann kann man ohne Zweifel feststellen, daß bei der Versorgungssicherheit unserer Bevölkerung und bei der Versorgungsqualität das deutsche Gesundheitswesen weltweit in der Spitzengruppe liegt, wenn nicht gar weltweit Spitze ist.
Es braucht keinen Vergleich zu scheuen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht das Verdienst der Politiker,
sondern es ist das Verdienst derer, die als Mediziner, Schwestern und Pfleger tagtäglich Dienstleistungen für Menschen erbringen. Ihnen verdanken wir diese Qualität des deutschen Gesundheitswesens. Das möchte ich heute auch einmal aussprechen.
Das deutsche Gesundheitswesen genießt bei der Bevölkerung höchste Wertschätzung. In allen Umfragen liegt die Leistungsfähigkeit der Mediziner, unserer Arztpraxen, der Apotheken, der Krankenhäuser ganz oben. Aber ich brauche keine Umfragen, ich brauche nur die Reaktion der Menschen. Was geschieht denn, wenn sie im Ausland erkranken? Der erste Wunsch dieser Menschen ist, daß sie in die Obhut des deutschen Gesundheitswesens zurückkommen. Das muß so bleiben, meine Damen und Herren, und das ist das Wichtigste.
Ich möchte heute auch einmal mit dem Vorurteil aufräumen, daß dieses Gesundheitswesen immer mehr in eine Apparatemedizin abgeglitten sei. Nein, meine Damen und Herren, neben dieser medizinischen und pflegerischen Qualität erwarten die kranken Menschen auch menschliche Fürsorge und Zuspruch.
Nach meinen vielen Besuchen in Krankenhäusern und Diskussionen mit kranken Menschen möchte ich heute sagen, daß unser Gesundheitswesen nicht kälter geworden ist, nicht in die Apparatemedizin abgeglitten ist, sondern daß jeden Tag viele Beschäftigte im deutschen Gesundheitswesen diesen Zuspruch, diese Barmherzigkeit und diesen Gedanken des Samaritertums bei der Betreuung der Patienten einbringen.
Natürlich erwarten die Menschen auch das, weshalb die gesetzliche Krankenversicherung vor 150 Jahren einmal gegründet wurde. Sie ist gegründet worden als Selbsthilfeeinrichtung der Menschen zum Schutz vor den finanziellen Risiken bei Krankheit.
Auch wenn man diese zweite Säule abprüft: Ist diese soziale Absicherung der finanziellen Risiken im Falle der Krankheit gegeben?, kann ich nach intensivem Studium aller Gesundheitssysteme weltweit feststellen: Es gibt auf dieser Erde kein Land, das im
Falle der Krankheit die finanziellen Risiken so umfassend absichert wie die Bundesrepublik Deutschland.
Deshalb sind all die Kommentare der letzten Tage und Wochen, dieses deutsche Gesundheitswesen sei krank, es sei aus dem Ruder gelaufen, und was wir jetzt alles gleich hören werden, nicht zutreffend. Es funktioniert. Es ist hochleistungsfähig. Es ist unser Auftrag, durch rechtzeitige Reformen dafür zu sorgen, daß das, was gut ist, auch gut bleibt.
Zu dieser Analyse steht überhaupt nicht im Widerspruch, wenn wir im ersten Halbjahr dieses Jahres ein finanzielles Defizit von 7,3 Milliarden DM haben. Dieses Defizit wäre vermeidbar gewesen, wenn man die vorhandenen Instrumente zu mehr Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung angewendet hätte.
Niemand kann mir erzählen, meine Damen und Herren, daß ein zusätzlicher Arzneimittelverbrauch von 8 Prozent, daß zusätzliche Massagen und Krankengymnastik von 8 Prozent, daß Kurzunahmen von 5 Prozent, bei einzelnen Krankenkassen sogar von 10 Prozent, daß die Steigerung der Ausgaben für Gesundheits-Marketing - wo hinter dem sich nichts anderes als Werbemaßnahmen der Krankenkassen verbergen - von 17 Prozent in einem halben Jahr und daß die Zunahme der Verwaltungskosten bei den Krankenkassen von annähernd 6 Prozent - wo doch die ganze Republik bei den Verwaltungsausgaben spart -, daß dies alles notwendig ist oder gar medizinisch indiziert wäre. Nein, meine Damen und Herren, diese Unwirtschaftlichkeiten müssen herausgeschnitten werden, damit diese Gelder den kranken Menschen zur Verfügung stehen.
Die Krankenkassen dürfen nicht erwarten, daß wir dafür neue Instrumente zur Verfügung stellen. Meine Damen und Herren, ein Nichthandeln von Körperschaften des öffentlichen Rechts - dazu gehören die Krankenkassen - kann nicht dadurch beantwortet werden, daß der Gesetzgeber immer wieder neue Paragraphen verabschiedet. Es sollen die vorhandenen Instrumente eingesetzt werden.
Da bestünde das Arzneimittelbudget zur Vermeidung von überproportionalen Arzneimittelausgaben, es bestünden die Wirtschaftlichkeitsprüfungen, und es bestünde die Möglichkeit, alle disponiblen Ausgaben der Krankenkassen, die immerhin 6 Milliarden DM jährlich betragen, ab morgen auf Null zu stellen. Dann wären die Krankenkassen auch finanziell ausgeglichen.
Ich werde noch in dieser Woche nach der Verabschiedung des Beitragsentlastungsgesetzes dafür sorgen - jedenfalls dort, wo wir auf Bundesebene die Aufsicht über die Krankenkassen haben -, daß diese ab sofort ihre freiwilligen Leistungen zurückfahren, daß sie ihre Verwaltungskostensteigerungen auf Null zurückfahren, daß sie manche rechtswidrigen Anwendungen und rechtswidrigen Ausgaben beenden und daß sie dort, wo sie Instrumente zur Verfügung
Bundesminister Horst Seehofer
haben, um unwirtschaftliche Ausgaben zu verhindern, diese auch einsetzen.
Wir werden gleich hören: Zu dieser Ausgabensteigerung hat die Bundesregierung beigetragen. Ich möchte Sie, Herr Kirschner, vorsichtshalber darauf hinweisen, daß heute vormittag im Bundesrat drei SPD-Ministerpräsidenten ein Gesetz, das Sie hier vehement bekämpft haben,
das Sie als Kniefall vor der Pharmaindustrie eingestuft haben - nämlich den Wegfall des Festbetrages bei patentgeschützten Arzneimitteln und den Wegfall des Reimportgebotes bei Arzneimitteln -, unterstützt haben. Einer davon hat erklärt: Dieses Gesetz wird mitgetragen, weil es vernünftig ist. Jetzt hat dieser „Kniefall", den ich monatelang von der SPD vorgeworfen bekam, mit voller Unterstützung der SPD im Bundesrat stattgefunden. Das Gesetz tritt in Kraft.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Sie bei der Abschaffung der Positivliste nicht einmal die Mehrheit im Bundesrat zusammenbrachten, um den Vermittlungsausschuß anzurufen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Arzthonorare für die Hausärzte und für die Ostärzte mit Zustimmung der SPD-Bundesländer in der konzertierten Aktion beschlossen worden sind. - Wir werden hier nämlich gleich hören, daß dies ein Kniefall vor den Ärzten war und daß wir den Ärzten das Geld nachgeschmissen hätten. - Die 16 Bundesländer waren in der konzertierten Aktion anwesend. Wenn in der konzertierten Aktion nur ein Land dagegengestimmt hätte, wäre diese Empfehlung an den Bundesgesundheitsminister und an den Gesetzgeber nicht zustande gekommen. Ich sage das nur, weil wir gleich das Gegenteil hören werden.
Erzählen Sie mir bitte auch nicht, daß eine Positivliste bei Arzneimitteln vermieden hätte, daß die Arzneimittelausgaben in dieser Höhe entstehen. Die These, wenn ein Gesetzgeber weniger Arzneimittel zulasse, gebe es weniger Arzneimittelausgaben, habe ich immer schon bestritten. Aber sie ist auch hoffnungslos falsch. Denn, meine Damen und Herren, vor zehn Jahren, im August 1986, hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland 134 500 verkehrsfähige Humanarzneimittel. Zehn Jahre später, im August 1996, ist diese Zahl auf 48 500 zurückgegangen. Nach der These von Planwirtschaftlern, hätten die Ausgaben für Arzneimittel proportional zurückgehen müssen. Tatsächlich sind sie massiv gestiegen. Beerdigen Sie einmal die Theorie, daß man mit Planwirtschaft und Listenmedizin Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung vermeiden kann.
Wir werden morgen das Beitragsentlastungsgesetz verabschieden und damit erstmals seit langer Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Januar die Beiträge um 0,4 Beitragspunkte senken. Das entlastet die Beitragszahler um 7,5 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, dies ist deshalb gerechtfertigt, weil wir auch das dafür notwendige Sparvolumen in der gesetzlichen Krankenversicherung morgen mit verabschieden.
Wir zwingen die Krankenkassen nicht zur Beitragssenkung und sagen auch nicht „Schaut, wo ihr das einspart" , sondern wir bringen den politischen Mut auf und kürzen Leistungen in dieser Größenordnung, um die Beitragssenkung zu ermöglichen. Ich finde es gut, daß eine Beitragssenkung in einer Sozialversicherung stattfindet.
Auch ist es nicht neu, daß die dritte Stufe der Gesundheitsreform trotz des Beitragsentlastungsgesetzes notwendig ist. Wir sagen dies seit 1992 für Mitte der 90er Jahre vorher. Den Zeitpunkt haben wir erreicht.
Wir wollten mit Ihnen darüber verhandeln.
Sie haben viele Geschichten in die Welt gesetzt.
Tatsächlich sind die Verhandlungen nach zwei Stunden aus einem einzigen Grund abgebrochen worden, nämlich weil uns die SPD aufgefordert hat, bestimmte Bedingungen zu erfüllen. Eine Bedingung war, das morgen zu verabschiedende Beitragsentlastungsgesetz vom Tisch zu nehmen.
Wenn man wirklich einen Konsens will, dann kann man Gespräche nicht damit beginnen, daß man dem Gesprächspartner Bedingungen setzt.
Deshalb werden wir die dritte Stufe der Gesundheitsreform zustimmungsfrei aus eigener Kraft realisieren. Wir werden das sehr zügig tun. Ich kann Ihnen von der Opposition nur raten: Glauben Sie jetzt nicht, daß Sie nach der morgigen Verabschiedung des Gesetzes und der Sparprogramme viel Zeit zum Luftholen haben. Wir werden innerhalb kürzester Zeit, innerhalb der nächsten 14 Tage oder drei Wochen, die dritte Stufe der Gesundheitsreform vorlegen. Die Verhandlungen laufen in der Koalition sehr gut. Im Grunde steht das Konzept. Wir werden es realisieren.
Das Konzept hat drei Grundsätze. Das erste ist das Organisationsprinzip. Wir halten daran fest: Wir wollen keine Privatisierung des Krankheitsrisikos. Wir wollen aber auch keine Verstaatlichung des Gesundheitssystems. Wir bleiben bei dem bewährten Partnerschaftsmodell, wonach die Selbstverwaltung innerhalb der Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber setzt, das Gesundheitswesen entwickelt und umsetzt. Es ist immer besser, einer kleineren Einheit, in diesem Fall den Krankenkassen, den Ärzten, den Krankenhäusern, den Apothekern, die Erfüllung einer Aufgabe zu übertragen. Ein alter Grundsatz: Man soll einer größeren Einheit, nämlich dem Bund,
Bundesminister Horst Seehofer
nichts übertragen, was eine kleinere genauso gut erledigen kann.
Es spricht nichts dagegen, wenn man die Krankenkassen durch den Gesetzgeber zwingt, jetzt Beiträge zu senken.
Denn es ist geradezu eine Pflicht, daß wir, wenn wir auf der Leistungsseite 7,5 Milliarden sparen, dann dafür Sorge tragen, daß das Sparvolumen an jene weitergegeben wird, die Beiträge zahlen, an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Wir halten an diesem Partnerschaftsmodell fest. Wir werden die Freiräume für die Selbstverwaltung erweitern,
das heißt, wir werden in bestimmten Feldern der Selbstverwaltung die Möglichkeit einräumen, durch Satzung den Leistungskatalog zu verändern und zu variieren. Wir werden ihr die Möglichkeit einräumen, auch auf der Beitragsseite mit Beitragsrückgewähr, Selbstbehalten und ähnlichem Variationen in die gesetzliche Krankenversicherung zu bringen.
Ich frage mich: Was spricht dagegen, wenn wir auch die Stellung des Versicherten, des Patienten, stärken, damit nicht Funktionäre über seinen Kopf hinweg entscheiden, indem wir sagen: „Ein Patient bekommt künftig eine Rechnung, damit er Kostentransparenz hat, was und in welcher Höhe bei ihm abgerechnet wurde"
und indem wir dem Patienten sagen: „Wenn du nicht Sachleistung willst, kannst du dich aus freien Stükken für die Kostenerstattung entscheiden. " Glauben wir doch nicht immer, daß wir die Menschen bevormunden müssen!
Die Tatsache, daß vielleicht da und dort die Selbstverwaltung nicht immer so perfekt funktioniert, ist noch lange kein Grund, sie als solche in Frage zu stellen. Wir schaffen auch nicht die soziale Marktwirtschaft ab, wenn es unlauteren Wettbewerb gibt. Dann müssen wir die Fehlentwicklungen abschaffen und nicht die Marktwirtschaft.
Die Selbstverwaltung ist nicht ein Systemfehler, wenn sie Defizite macht, sondern dort liegen Managementfehler vor. Wir müssen dafür sorgen, daß die Managementfehler abgestellt werden.
Zweitens. Nach welchem Gesellschaftsbild organisieren wir eine Krankenversicherung? Wir bleiben dabei, daß wir eine freie Arztwahl wollen. Wir wollen nicht das, was manche Planfunktionäre wollen, nämlich daß Funktionäre bestimmen, wohin der Patient gehen kann. Der Patient wird in Deutschland seine freie Arztwahl behalten.
Wir wollen die Therapievielfalt. Wir wollen die Therapiefreiheit des Arztes. Zur Therapiefreiheit gehört, daß man nicht Listenmedizin betreibt,
innerhalb deren sich der Arzt bewegt. Zur Therapievielfalt gehört, daß wir die Schulmedizin genauso unterstützen wie die besonderen Therapierichtungen; denn auch diese können im Einzelfall segensreich wirken.
Da gibt es kein Entweder-oder, sondern ein SowohlAls-auch.
Wir wollen eine Pluralität des Angebotes, meine Damen und Herren. Es wird mit uns keine staatlichen Gesundheitszentren geben, auf die der Patient angewiesen ist. Er muß wählen können zwischen verschiedenen Krankenhäusern, zwischen verschiedenen Ärzten, zwischen verschiedenen Masseuren und zwischen verschiedenen Krankengymnasten. Schminken Sie sich ab, daß Funktionäre bestimmen, zu welchem Arzt und in welches Krankenhaus ein Patient gehen darf!
Drittens. Wir bleiben bei einer sozialen Krankenversicherung, einer Krankenversicherung, die jene Risiken absichert, die gemeinschaftlich getragen werden müssen. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Das werden wir auf Dauer mit Spitzenmedizin, mit medizinischem Fortschritt und bei steigender Lebenserwartung nur finanzieren können, wenn wir dort, wo kleinere Risiken vorliegen und wo es auch um die Erhöhung des Wohlbefindens geht, in der Bundesrepublik Deutschland mehr Eigenverantwortung realisieren.
Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen werden wir wieder hören, daß eine Zweiklassenmedizin ins Haus stünde.
Ich möchte aber gerade nicht, daß die aufwendige Spitzenmedizin, der Krankenhausaufenthalt, die Operation, die medizinische Dienstleistung, das teure Medikament zum Privileg von Menschen wird, die es sich privat leisten können.
Bundesminister Horst Seehofer
Aber wir müssen den Menschen sagen, daß wir das nur finanzieren können, wenn nicht jede Massage nach einer Sportverletzung, jedes Aspirin und jede Erholungskur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird.
Wenn eine Solidargemeinschaft alles finanzieren will, kann sie am Ende nichts mehr finanzieren. Deshalb werden wir das Niveau unserer medizinischen Leistungsfähigkeit nur erhalten können, wenn wir allen Beteiligten mehr Freiräume gewähren; denn nur Freiräume wecken Motivation und Kreativität. Wenn wir mehr Eigenverantwortung einräumen, kann der einzelne Mensch, wenn ich an die Gesundheitsprävention denke, auf fast keinem anderen Feld für sich und seine Gesundheit innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung mehr tun. Ich brauche keinen Vormund, keinen Funktionär, der mich ständig an der Hand führt und mir sagt,
wie man sich richtig bewegt, richtig ernährt. Da gibt es eine Eigenverantwortung für jeden einzelnen Menschen, und die müssen wir motivieren.
Für die Behandlung eines Patienten ist nicht primär der Arzt verantwortlich, sondern zunächst jeder Mensch selbst. Jedenfalls ist das bei den gesunden Menschen so, wenn es um die Prävention geht. Das müssen wir realisieren.
Wie ich in den letzten Wochen oft gesagt habe, wird auch beim Beitrag die notwendige Sicherheit einziehen, so daß es dann nicht zu Mehrbelastungen bei den Arbeitskosten kommt. Die Beitragsfestschreibung ist das letzte Mittel. Es würde von mir der Koalition nur dann vorgeschlagen, wenn uns nicht bessere Strukturmaßnahmen einfielen. Es schaut so aus, als könnte sich die Koalition auf bessere Lösungen verständigen.
Wir wollen hier vorsichtigerweise nur sagen, daß wir Beitragsveränderungen durch Krankenkassen so erschweren werden, daß man davon ausgehen kann, daß, wenn sie denn stattfinden, vorher alle Wirtschaftlichkeitsreserven in diesem System ausgeschöpft sind.
Ich glaube, wir brauchen diese elegante Lösung; denn wenn wir auf Dauer budgetieren würden, würde das den medizinischen Fortschritt im Gesundheitswesen abschneiden. Es darf nicht so weit kommen, daß wir uns in der Bundesrepublik Deutschland auch noch vom medizinischen Fortschritt abkoppeln.
Für den medizinischen Fortschritt müssen wir das notwendige Geld zur Verfügung stellen.
Das sind Richtungsentscheidungen. Da geht es nicht mehr um Variationen. Deshalb werden wir uns auch nicht treffen, meine Damen und Herren von der SPD, weil Sie an Ihrem alten Prinzip der Aufsicht, der Kontrolle des Staates festhalten.
Wir wollen mehr Freiräume verwirklichen.
Wir werden in den nächsten Wochen wieder viel von der Zweiklassenmedizin, von der Politik gegen den kleinen Mann hören.
Ich kann Ihnen nur sagen: In der gesetzlichen Krankenversicherung sind in den letzten fünf Jahren die Ausgaben um 60 Milliarden DM gestiegen, von 170 auf 230 Milliarden DM. Wie kann man von einem Sozialabbau reden, wenn in einer Sozialversicherung die Ausgaben innerhalb von fünf Jahren um ein Drittel steigen und diese gleiche Gesellschaft just in diesem Jahr noch eine Pflegeversicherung zur Absicherung von Pflegebedürftigen mit einem Volumen von 32 Milliarden DM in Kraft setzt?
Das ist sozialer Umbau, meine Damen und Herren: die Mittel dorthin zu lenken, wo sie wirklich erforderlich und notwendig sind.
Wir werden die Kraft für diese Reformen aufbringen. Denn wenn die Politik nicht jetzt die Veränderungen vornähme, würde das im Klartext bedeuten, daß wir die negativen Konsequenzen einer Reformunfähigkeit auf die nächsten Generationen verlagern.
Dafür möchte ich und möchte die Koalition die Hand nicht reichen.
Deshalb werden wir den Mut und die Tapferkeit zu weiteren Veränderungen in den nächsten Wochen auch in der Gesundheitspolitik aufbringen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich frage mich:
Klaus Kirschner
Wen mußten Sie eigentlich ständig überzeugen, wenn Sie in Richtung Koalition schauten?
Wohl offensichtlich die eigene Koalition.
Wir haben großes Verständnis, wenn Sie so laut werden, angesichts eines Defizits der gesetzlichen Krankenversicherung von 7,3 Milliarden DM
und angesichts eines, wenn es so weitergeht, zu befürchtenden Defizits von über 20 Milliarden DM im nächsten Jahr.
Sicher haben wir Verständnis dafür, daß Sie versuchen, das durch Lautstärke zu übertünchen.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen, nehmen Sie endlich Vernunft an! Hören Sie mit Ihrem Zickzackkurs in der Gesundheitspolitik auf! Bringen Sie endlich die notwendigen grundlegenden Reformen zur Stabilisierung der Krankenversicherung auf den Weg! Ich kann nur an Sie appellieren: Kehren Sie zurück auf den Weg des gemeinsam in Lahnstein konzipierten und hier im Bundestag beschlossenen Gesundheitsstrukturgesetzes, das seinen Namen verdient hat!
Damit das klar ist: Das, was Sie im Rahmen Ihres sogenannten Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung der Krankenversicherung als Sparprogramm verordnen, hat mit notwendigem und ausgewogenem Sparen und Reformen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist ein Unrechtsprogramm gegen kranke Menschen.
Sie kürzen und streichen. Sparpolitik im Sinne von mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz verhindern Sie sogar.
Hören Sie endlich auf den Bundespräsidenten Roman Herzog! Er hat den Rahmen gesetzt und gesagt, worauf es ankommt: Die Politik muß ausgewogene Lösungen finden; gespart werden darf nicht überproportional auf Kosten der Schwächeren. Genau dies tun Sie, meine Damen und Herren.
Ihnen fehlt der Wille zu echten Reformen. Die Kranken zahlen mit höheren Zuzahlungen - das können Sie nicht wegleugnen - bei den Arzneimitteln und den Kuren; Sie kürzen das Krankengeld; und es fallen gleich ganze Leistungsbereiche wie zum Beispiel die Zahnprothetik und Kronen für die nach 1979 geborenen jüngeren Menschen weg.
Eine an gesundheitspolitischen Zielen orientierte Politik ist auch in Ihrem Haushaltsentwurf - darauf möchte ich besonders hinweisen - überhaupt nicht zu erkennen. Herr Seehofer, Sie streichen am völlig falschen Platz, wenn Sie die Mittel für die Krebsbekämpfung um 8,7 Millionen DM und im Bereich des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs um über 4,8 Millionen DM kürzen. Da stellen Sie sich noch hin und sagen: Das ist eine großartige Leistung. Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, daß auch in unserem hochentwickelten Land die Folgen einer fehlenden zielorientierten Prävention und Gesundheitsförderung fatal sind.
Diese Bundesregierung beweist mit ihrem Haushalt, daß sie keine gesundheitspolitische Strategie hat. Es ist absolut beschämend, daß Sie die Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung chronisch kranker Menschen im Haushalt um 7,2 Millionen DM auf den Kleckerbetrag von 5,3 Millionen DM zusammenstreichen. Mit diesem Haushalt, den Sie, Herr Bundesgesundheitsminister, vorgelegt haben, verniedlichen oder leugnen Sie die bestehenden Probleme.
Was die gesetzliche Krankenversicherung angeht, so ist der Weg in den letzten Monaten gekennzeichnet vom Ausschütten von Füllhörnern an Leistungserbringer, von Untätigkeit, wo kräftiges reformerisches Handeln notwendig gewesen wäre, von Fehleinschätzungen der dramatischen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung und von ungerechtfertigten und völlig überzogenen Schuldzuweisungen. Aber das schwerwiegendste ist: Sie stellen die Weichen für ein anderes Krankenversicherungssystem, an dessen Ende der Geldbeutel des einzelnen über Krankheit und Gesundheit mehr denn je entscheidet,
und das alles präsentieren Sie unter falschem Etikett als Sparpaket.
Umgekehrt hatten Sie nämlich keine Hemmungen, die gemeinsam beschlossene Arzneimittelpositivliste abzuschießen,
wohl wissend, daß dies eine sehr teure Entscheidung zu Lasten der Beitragszahler ist. Diese willkürliche und die Therapie auch noch verschlechternde Entscheidung kostet nach neuesten Schätzungen rund vier Milliarden DM jährlich.
Das wissen Sie, meine Damen und Herren. Sie haben
per Gesetz das ärztliche Budget mit einer
Klaus Kirschner
840 Millionen DM teuren zusätzlichen Finanzspritze aufgebessert. Auch diese Zeche - die zudem völlig unsinnig und ohne jeglichen Ansatz zu strukturellen Verbesserungen zum Beispiel für die Situation der Hausärzte war und ist -, auch diese Zeche - -
- Sie können doch nicht behaupten, daß dies nicht die Beitragszahler Geld kostet! Oder wollen Sie das auch noch behaupten? Sie können sich doch nicht hierherstellen und sagen: „Wir müssen sparen!" und gleichzeitig ausgabenwirksame Leistungen wie den Verzicht auf die Arzneimittelpositivliste oder beispielsweise die Erhöhung des ärztlichen Budgets treffen.
Auch diese Zeche - und das ist die Umverteilung, die Sie betreiben - zahlt der Patient durch höhere Zuzahlungen bei Arzneimitteln, durch höhere Zuzahlungen bei Kuren, durch Kürzung des Krankengeldes, Wegfall des Zahnersatzes usw. Das ist doch die Politik, die Sie hier betreiben.
Meine Damen und Herren, Sie sparen nicht, Sie verteilen um. Zu Reformen sind Sie weder willens noch fähig.
- Ich komme nachher noch darauf, lieber Kollege Hornung.
Meine Damen und Herren, es ist skandalös, mit welcher Ignoranz bewußt hingenommen wird, daß in dieser Krankenversicherung Leistungen bezahlt werden, ohne zu wissen, in welchem Umfang und in welcher Qualität die Leistungen erbracht werden. Sie verhindern die Durchschaubarkeit, die Transparenz des Leistungsgeschehens, obwohl das Gesetz sie vorschreibt. Das gilt für den ärztlichen Diagnoseschlüssel ICD 10, mit dem seit 1. Januar 1995 laut SGB V verbindich gearbeitet werden müßte.
Die Verschiebung um zwei Jahre hat der Staatssekretär des Herrn Ministers ausdrücklich begrüßt. Sind wir denn in einer Bananenrepublik, oder wo sind wir eigentlich?
Das gilt, meine Damen und Herren, auch für die Transparenz - -
- Herr Kollege Zöller, Sie könnten mir ja eine Zwischenfrage stellen, dann hätte ich eine Chance, ausreichend darauf zu antworten.
Meine Damen und Herren, ich will noch auf das eingehen, was der Bundesgesundheitsminister zum Arzneimittelbudget sagte; denn auch die Transparenz bei der Abrechnung von Arzneimittelverordnungen, die ab 1. Januar 1996 hergestellt sein müßte, ist nicht umgesetzt. Ich frage mich: Wo bleibt denn eigentlich der Bundesgesundheitsminister, was tun Sie denn eigentlich?
Die Krankenkassen begleichen nahezu eine Milliarde DM monatlich, ohne eine Chance zur Überprüfung des Arzneimittelbudgets zu haben.
Meine Damen und Herren, in der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministers ist es nachzulesen: Sie verlangen von den Kassen, die Überschreitung des Arzneimittelbudgets von den Ärzten zurückzuholen. Sie haben aber geduldet, daß die dafür notwendigen Transparenzdaten zur Budgetsteuerung bis heute nicht vorliegen. Hier wird der Schwarze Peter den Kassen zugeschoben.
Diese Duldung und teilweise Unterstützung von Gesetzesbrüchen hat Strategie. Das Abkassieren bei den Versicherten und Kranken ist einfacher, wenn kein Nachweis über unwirtschaftliches Verhalten der Leistungserbringer geführt werden kann, wenn die Qualität der erbrachten Leistungen nur unzureichend erfaßt wird und damit nicht überprüfbar ist.
Um vom eigenen Versagen abzulenken, werden Feindbilder aufgebaut. Herr Seehofer, auch Ihr vorheriges Kanonenfeuer auf die Krankenkassen ist der Gipfel der Unredlichkeit.
Den Krankenkassen die Schuld für das Rekorddefizit hinzuschieben ist zu durchsichtig und auch zu billig. Sie haben doch auf dem Petersberg bei den Gesprächen dort den Beteiligten Reformen versprochen. Nichts ist von Reformen übriggeblieben. Und da Ihnen die Kassen auf diesem Irrweg nicht weiter folgen, werden sie von Ihnen nun zum Gegner erklärt. Das gipfelt dann sogar darin, daß Sie öffentlich dazu auffordern, nicht mehr der Banner Ersatzkasse beizutreten. Herr Bundesgesundheitsminister, ich frage mich: Welches Demokratieverständnis haben Sie denn überhaupt?
Ich möchte folgende Bemerkung machen, weil Sie das angesprochen haben: Das morgen zur Abstimmung stehende Beitragsentlastungsgesetz trägt nicht dazu bei, das Defizit der Kassen abzubauen, ganz im Gegenteil. Es sieht ja bekanntlich vor, die Beitragssätze zum 1. Januar 1997 pauschal um 0,4 Beitragssatzpunkte zu reduzieren. Erreicht werden soll dies durch Leistungsabbau und höhere Zuzahlungen der Versicherten. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, daß sich das Defizit der Kassen dank Ihres neuen Fehlgriffs weiter erhöhen wird.
Herr Kollege Kirschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Selbstverständlich; ich gestatte gerne eine Frage des Abgeordneten Seehofer.
Herr Kollege Kirschner, würden Sie mir folgen können, wenn ich Sie darauf hinweise, daß es nicht um eine Schuldzuweisung an die Adresse der Krankenkassen geht, sondern nur um einen ganz objektiven Tatbestand? Wir haben im Rahmen der konzertierten Aktion im deutschen Gesundheitswesen im September 1995 zusammengesessen - Vertreter aller Krankenkassen, der Ärzte, der Krankenhäuser, der Bundesländer waren dabei - und haben einmütig beschlossen: Erstens, in bezug auf den Krankenhausbereich muß gesetzgeberisch gehandelt werden. Das ist für das Jahr 1996 geschehen. Zweitens ist beschlossen worden, daß in allen anderen Leistungsbereichen die Ausgaben nicht weiter steigen dürfen, als sich die Löhne und Gehälter im Jahre 1996 entwickeln.
Würden Sie ferner zur Kenntnis nehmen, daß aber alle anderen Empfehlungen, die die Krankenkassen mit beschlossen haben, in keinem einzigen ausgabewirksamen Fall umgesetzt wurden
und daß es dann schon das Recht des verantwortlichen Ministers ist, zu fragen, warum die Kassen die von ihnen selbst beschlossenen Empfehlungen für 1996 nicht umgesetzt haben?
Herr Abgeordneter Seehofer, Sie müssen dann, wenn Sie so etwas von den Beteiligten der konzertierten Aktion einfordern, ihnen und insbesondere den Krankenkassen die notwendigen Steuerungsinstrumente an die Hand geben, damit sie diese Ziele auch erreichen können.
- Herr Seehofer, ich nehme jetzt einmal das Beispiel des Arzneimittelbudgets. Diese konzertierte Aktion hat unter der Voraussetzung stattgefunden, daß die im Gesetz, im SGB V, im GSG, in Lahnstein vereinbarten und hier im Bundestag beschlossenen Instrumente dann auch in der Form umgesetzt werden. Es geht hier ja um enorme Defizite. Sie schreiben ja selbst in Ihrer Pressemitteilung, daß es im vergangenen Jahr ein Defizit in Höhe von 1,6 Milliarden DM im Arzneimittelbereich gegeben hat und daß es in diesem Jahr noch höher sein wird. Die Kassen sind doch aber überhaupt nicht in der Lage, in diesem Bereich Ausgabendisziplin zu gewährleisten, wenn sie
nicht die dafür notwendigen Instrumente haben und sie nicht die notwendigen aktuellen Daten zur Verfügung gestellt bekommen. Sie haben es bisher versäumt, für den Vollzug des Gesetzes auch in diesem Bereich Sorge zu tragen.
Sie sind es doch, der den Kassen nicht die Instrumente an die Hand gibt.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Vom Abgeordneten Seehofer immer.
Bitte.
Herr Kollege Kirschner, damit es jetzt nicht zu einer Legendenbildung kommt: Würden Sie denn weiter zur Kenntnis nehmen, daß im Juli 1995, also vor über einem Jahr, Vertreter des für die Datenerhebung zuständigen Spitzenverbandes der Betriebskrankenkassen bei mir waren und erklärt haben, daß sie die für den Vollzug des Arzneimittelbudgets notwendigen Daten innerhalb von sechs Wochen zur Verfügung stellen? Seitdem sind 13 Monate vergangen. Liegt es da nicht nahe, zu vermuten, daß die Ursache bei den Krankenkassen liegt? Sie haben ja alle notwendigen rechtlichen Instrumente und haben es mir auch zugesagt, aber es nicht umgesetzt.
Herr Kollege Seehofer, Sie wissen doch ganz genau, daß die Krankenkassen erklärt haben, daß sie nicht mehr den vollen Preis für Arzneimittel zahlen, sondern einen Abschlag einführen wollen und daß sie von Ihnen dazu nicht die Genehmigung erhalten haben. Ist das nicht richtig, Herr Kollege Seehofer?
Wenn es auch richtig ist, daß die Daten seit über 13 Monaten nicht vorhanden sind: Ich frage Sie, was Sie als verantwortlicher Minister gemacht haben,
um dafür zu sorgen, daß endlich diese Daten zur Verfügung gestellt werden.
Herr Seehofer, ich mache es Ihnen zum Vorwurf, daß Sie als zuständiger Minister in bestimmten Situationen so tun, als hätten Sie mit diesen Dingen nichts zu tun. Sie lehnen sich zurück und tun so, als wären Sie der unbeteiligte Dritte. Was ich Ihnen auch persönlich ankreide, ist, daß Sie Ihrer Verantwortung als
Klaus Kirschner
Minister nicht nachkommen, für den entsprechenden Gesetzesvollzug zu sorgen.
- Nein, das machen Sie in diesem Punkt eben nicht, Herr Minister, genauso wenig wie Sie das beim Diagnoseschlüssel für die ärztlich-ambulante Versorgung getan haben, von dem Sie wissen, daß er überfällig ist und schon seit langem hätte in Kraft gesetzt werden sollen. Wir brauchen Datentransparenz, um überhaupt zu wissen, was in diesem Gesundheitswesen passiert.
Meine Damen und Herren, ich will auf das Beitragsentlastungsgesetz zurückkommen. Es zielt nicht auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz, einen zentralen Bereich unseres Gesundheitswesens, sondern sieht wesentliche Systemveränderungen vor.
Ich will ein Beispiel nennen, nämlich die Ausgrenzung des Zahnersatzes für all diejenigen, die am 1. Januar 1997 noch nicht 18 Jahre alt sind: Quasi über eine biologische Rutschbahn gleitet die nachfolgende Generation aus dem Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung heraus. Erstmals wird quasi mit dem Selbstverschulden eine Leistungsausgrenzung begründet, nach dem Motto: Wer schlechte Zähne hat, hat selber schuld; sie oder er hätte sich die Zähne eben putzen müssen. So einfach ist das mit dem Selber-Schuld-Sein aber nicht. Doch Sie schlagen alle Warnungen und Hinweise der Experten in den Wind. Das Motto der Bundesregierung heißt offensichtlich „Mut zur Lücke" . Das ist ihr zahnpolitisches Credo.
Meine Damen und Herren, und der nächste zahnmedizinische Kahlschlag bei der Versorgung mit Zahnersatz ist von der Koalition vorprogrammiert. Ihre zukünftigen Pläne sehen offensichtlich die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und an dessen Stelle die Kostenerstattung mit Festzuschüssen vor. Dann haben wir das von den Zahnärzten seit langem geforderte Grund- und Wahlleistungsmodell. Die Zahnärzte können dann mit privaten Liquidationen ihr Einkommen ohne funktionierende Sicherheitslinie steigern.
Auch für die psychotherapeutischen Behandlungen sind die notwendigen gesetzlichen Regelungen - auch daran möchte ich an dieser Stelle erinnern - bisher an Ihnen gescheitert. Sie planen über den Umweg der Gestaltungsleistungen der Kassen eine erhebliche Selbstbeteiligung für die Patienten. Ist diese Selbstbeteiligung erst einmal unter Dach und Fach, dann gibt es - schade, daß der Kollege Möllemann nicht da ist - kein Halten mehr. Dann muß im Wege der Gleichbehandlung - so die Forderung des Kollegen Möllemann - jeder Patient bei allen Behandlungen, also auch beim Arztbesuch, ein Eintrittsgeld zahlen, damit er überhaupt behandelt wird.
- Gut, wir werden sehen, was Sie dann vorlegen. Wir warten ja darauf. An diesem Punkt ist dieses Gesetz doch bisher gescheitert.
Ihr sogenanntes Beitragsentlastungsgesetz geht doch genau in diese Richtung. Erhält dieses Gesetz bei der morgigen Abstimmung die Mehrheit, dann ist dieser Freitag, der 13., ein schwarzer Freitag für die Patienten.
Dieses Gesetz steht nicht nur für dirigistische staatliche Regelungen statt der von Ihnen monatelang propagierten Vorfahrt für die Selbstverwaltung, sondern es steht für Zuzahlungen und Kürzungen von Leistungen anstatt für die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven durch mehr Freiraum für die Krankenkassen.
Ihr Ansatz ist gerade deshalb falsch, weil Unwirtschaftlichkeit nicht beseitigt, sondern Kosten nur verlagert werden. Gehen Sie doch endlich den Weg der Mobilisierung vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven! Dazu gehören natürlich eine Arzneimittelpositivliste, eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie vernetzte Praxen, um nur einige Beispiele zu nennen. Statt dessen verlangen Sie verstärkte Zuzahlungen und Ausgrenzungen. Diese bezeichnen Sie fälschlicherweise auch noch als hinreichende marktwirtschaftliche Instrumente.
Mein Fazit lautet: Sie stellen die falsche Diagnose. Sie verkennen die Ursache der Defizite. Deshalb ist Ihr Therapieansatz zur Genesung der Krankenkasse falsch.
Wenn es zutrifft, daß Sie eine weitere Beitragssatzfestschreibung oder gar -absenkung planen, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Dann, denke ich, sollten Sie schnellstens eine Kur zur politischen Regeneration antreten.
Meine Damen und Herren, drei Wochen werden allerdings nicht ausreichen, um Sie von Ihrem Rückfall in die gesundheitspolitische Steinzeit auszukurieren.
Wer ausufernde Ausgaben mit einer Beschränkung der Einnahmen in den Griff bekommen will, der handelt unlogisch, ja sogar unverantwortlich. Sie selbst, Herr Bundesgesundheitsminister, haben von ungenutzten Rationalisierungsreserven in Höhe von 25 Milliarden DM gesprochen. Ich frage Sie: Warum holen Sie sich diese 25 Milliarden DM nicht zurück? Die ganze Aufregung um Rekorddefizite können wir uns dann sparen. Ihre Erklärung hat allerdings mehrere Gründe.
Erstens. Die am Tropf von Lobbyisten hängende F.D.P. gibt Ihnen nicht den notwendigen Spielraum. Ich erinnere an die Koalitionsvereinbarung zu Beginn dieser Wahlperiode, in der Sie festgeschrieben
Klaus Kirschner
haben, daß die Budgetierung ausläuft und nicht erneuert wird. Das haben Sie doch dringehabt?
Daß Sie sich zwischenzeitlich mit Ihrem Krankenhausstabilisierungsgesetz, das der Minister gerade gelobt hat, selbst widerlegt haben, möchte ich nur am Rande erwähnen.
Zweitens. Mit einer Beitragsfestschreibung gefährden Sie ganz bewußt das Leistungs- und Qualitätsniveau der Gesundheitsversorgung. Das ist der Nährboden für den Schritt in ein neues, in ein privatisiertes Krankenversicherungssystem.
Drittens - auch diesen Grund möchte ich deutlich machen und nicht verschweigen -: Es geht der Koalition darum - das ist eine der Haupttriebfedern -, mit einer Beitragssatzsenkung vor dem näherrückenden Wahltermin 1998 Spielraum für eine Rentenanpassung zu schaffen. Das tragen Sie auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten aus.
Mit dieser Politik setzen Sie eine für die solidarische Krankenversicherung gefährliche Entwicklung in Gang. Sie betätigen sich als Steigbügelhalter der Scharfmacher in den kassenärztlichen Vereinigungen. Sie helfen damit den Kräften, die den Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung betreiben, in den Sattel, in die Schaltstellen der ärztlichen Entscheidungszentralen.
Ob Sie es wollen oder nicht - dies wird das Ergebnis sein. Wer letzten Endes den Scharfmachern bei den kassenzahnärztlichen Vereinigungen den Ausstieg aus dem Sachleistungsprinzip bestätigt, der wird auch die Geister bei den Kassenärzten rufen. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind.
Meine Damen und Herren, Sie bereiten den nächsten Schritt zur Individualisierung des Krankheitsrisikos vor. Unter der Zauberformel „Gestaltungsleistungen der Kassen" soll ein neues unsolidarisches System schmackhaft gemacht werden. Dieser Zauberformel entsprechend können die Krankenkassen mit den Instrumenten Beitragsrückgewähr, Selbstbehalte, erweiterte Leistungen und Kostenerstattung, Prävention und Gesundheitsförderung um die Gunst der Versicherten buhlen.
Mit diesen Instrumenten wird der Weg für ein Grund- und Wahlleistungssystem geebnet. Gebuhlt wird im übrigen mit solchen Instrumenten - das wissen wir doch - wie der Beitragsrückgewähr oder den Selbstbehalten um junge, gesunde Versicherte. Kranke und vor allem chronisch Kranke werden wohl kaum in der Lage sein, sich solcher Instrumente bedienen zu können.
Mit der Einführung solcher Instrumente wird die Grundsubstanz der solidarischen Krankenversicherung ausgehöhlt, zahlt hier doch im Endeffekt der Kranke für den Gesunden. Damit das alles klappt, kommen dann die Seehoferschen Schrittvariationen. Das wird sich so abspielen:
Erstens: Die Beiträge der Kassen werden festgeschrieben. Zweitens: Die Leistungsausgaben steigen weiter. Drittens: Leistungen aus dem gesetzlichen
Leistungskatalog werden zu Gestaltungsleistungen der Kassen, und es obliegt den Kassen, ob sie diese Leistungen noch gewähren oder nicht.
Jetzt wirkt das neu einzuführende Instrument „Gestaltungsleistungen" wie ein Ventil. Den Krankenkassen lassen Sie den finanziellen Minusspielraum; in der Folge müssen diese dann Leistungen wie Krankengymnastik, Hilfsmittel, Haushaltshilfen und Rollstühle ganz oder teilweise aus dem Katalog streichen. Es wird niemand anderes als der Bundesgesundheitsminister selbst sein, der dann wiederum mit dem Finger auf die Krankenkassen zeigt, denn schließlich ist es doch nicht er - auch nicht CDU/CSU und F.D.P. -, der medizinisch notwendige Leistungen für Kassen einfach streicht, sondern es sind die Krankenkassen, und zwar deshalb, weil sie nicht mehr anders können.
Das alles wird mit dem Spruch umgarnt, sie können ja doch nicht mit dem Geld umgehen. Die Ursache dafür jedoch, daß sich der Gesundheitsminister weigert, 25 Milliarden DM - die Zahl hat er selbst genannt - Rationalisierungsreserven auszuschöpfen, liegt darin, daß er am Gängelband der F.D.P. geht. Daß er mit dieser verfehlten Politik einer Beitragsfestschreibung die Krankenkassen wie eine Zitrone ausgepreßt hat, wird tunlichst verschwiegen.
Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich darauf, wir werden Sie nicht aus Ihrer Verantwortung für die Politik für die Krankenversicherten entlassen. Wir werden ständig daran erinnern, daß Sie unseren Gesetzentwurf, der ein Angebot zur Weiterentwicklung der Gesundheitsreform war, abgelehnt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben zur wirksamen langfristigen Ausgabensteuerung ein Global-budget, die Modernisierung von Versorgungsstrukturen, wettbewerbliche Steuerung der Krankenversicherungen und die Neuordnung von Finanzierung und Planung im Krankenhausbereich vorgeschlagen. Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Gesundheitswesens erfordern eine politische Steuerung der Ausgaben - wohlgemerkt der Ausgaben - und nicht eine Begrenzung der Einnahmen.
Die SPD schlägt deshalb eine strenge globale Budgetierung auf Dauer vor. Innerhalb dieses globalen Budgets wird dann das installiert, wovon die Damen und Herren der Regierungsfraktion immer nur reden, wofür Sie aber null Komma null tun: erstens echte Vorfahrt für die Selbstverwaltung und zweitens die wettbewerbliche Steuerung um die effektivste und effizienteste Versorgung der Patienten. Hier wollen wir endlich den innovationsfördernden Wettbewerb zugunsten der Patienten und der Beitragszahler. Wir wollen eine auf den Patienten ausgerichtete Versorgung. Dazu gehört auch die Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Hier helfen Ihre Sonntagsreden überhaupt nichts. Vernünftige Strukturen schaffen wir nur mit eigenem hausärztlichen Vergütungssystem, mit einer Trennung der Gesamtvergütung von Haus- und Fachärzten und mit eigenen Vergütungsverhandlungen für Hausärzte und Fachärzte. Meine Damen und Herren, das ist unsere Alternative.
Klaus Kirschner
Lassen Sie mich noch eines sagen. Zu Ihrer Politik der Flickschusterei und Umverteilung fällt mir nur noch das Gebet eines bayerischen Pfarrers ein, das ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte:
Schenke uns und unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde, gib den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung, sorge dafür, daß wir alle in den Himmel kommen, aber wenn du es willst, noch nicht gleich.
Wie wahr, was dieser Pfarrer vor über 130 Jahren, nämlich 1864,
den Regierenden schon mit auf den Weg gegeben hat. Aber es gilt, liebe Frau Kollegin Dr. Babel, beispielsweise für Ihren Bundesgesundheitsminister Seehofer auch nach 130 Jahren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte aus dem großen Gebiet der Gesundheitspolitik ein Thema aufgreifen, das uns besonders wichtig ist, nämlich den Kampf gegen Drogen. Dieses Thema hat überhaupt nicht an Aktualität verloren. Im Gegenteil, die steigenden Todeszahlen für dieses Jahr zeigen: Es gibt keinen Anlaß zur Entwarnung. Aber Drogenpolitik darf sich nicht nur an Todeszahlen orientieren, denn es geht um viele Einzelschicksale und auch um Hunderttausende Familien, die durch Drogen, legale wie illegale, zerstört werden. Der Zwang zum Sparen, dem wir alle unterworfen sind, geht natürlich auch an diesem Bereich nicht vorbei. Deshalb müssen die knappen Mittel zielgenauer und damit auch effizienter eingesetzt werden.
Es wird der Bundesregierung immer vorgeworfen, sie würde keine neuen Wege in der Drogenpolitik gehen. Richtig ist: Wir sind tatsächlich vorsichtig, wenn es um Experimente geht; denn bei diesen Experimenten geht es immer um Experimente mit Menschen, und es ist gefährlich, wenn bei solchen Experimenten Menschen möglicherweise sterben können. Aber trotzdem prüfen wir neue Möglichkeiten. So untersuchen wir zur Zeit in der wohl qualifiziertesten Studie, inwieweit über die NUB-Richtlinien hinaus Methadon als Teil von Reha eine Möglichkeit zur Wiedereingliederung von Heroinkonsumenten bildet. Genau das unterscheidet uns von der Opposition. Wir wollen eben einen Methadoneinsatz nicht, um die Abhängigen nur ruhigzustellen und satt zu machen, sondern um ihnen das Überleben zu sichern, sie zu reintegrieren und letztendlich von der Droge zu befreien.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Herr Kollege, wir haben heute eine Debatte zum Haushalt. Ich gehe davon aus, daß Sie den Haushalt zur Kenntnis genommen haben. Vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Ausführungen können Sie mich dann sicher darüber aufklären, warum im Haushalt bei der Titelgruppe 06, „Maßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs" , eine Kürzung von immerhin 8,245 Millionen DM vorgenommen wird und allein bei dem Bereich „Modellmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs" 4,6 Millionen DM eingesetzt sind.
Liebe Kollegin, ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich wäre in meiner Rede sowieso auf die Modellprojekte eingegangen. Ich werde das auch tun. Sie wissen ja, daß wir noch immer doppelt soviel Mittel zur Verfügung stellen wie vor dem Zeitpunkt, als wir den Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan, den Sie mehr kritisieren, als daß Sie ihn unterstützen, aufgestellt haben. Es ist schon eine Leistung, daß man in einem Sparhaushalt noch immer doppelt soviel Mittel ausgibt, wie vor dem Zeitpunkt dieses Planes, den die Bundesregierung durchgesetzt hat, zur Verfügung standen.
Ich darf Ihnen auf Ihre Frage hin, weil Sie an der Sache beteiligt sind, aus zwei von Sozialdemokraten und Grünen geführten Ländern folgendes berichten. Bei einer Sitzung der Drogenbeauftragten in Hessen - das ist Ihre Region - ist gesagt worden:
Eine 20prozentige allgemeine Haushaltssperre hat einige Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe in eine schwierige Lage gebracht.
- Sie wissen doch, wo Therapie, der wichtigste Bereich, behandelt wird. Er wird nicht im Bundeshaushalt, sondern im Landeshaushalt behandelt.
Meine Damen und Herren, ich fahre fort. Der Unterschied ist, daß in den von Ihnen geführten Ländern immer mehr Substitutionsprogramme aufgelegt werden, ohne die Mittel für die psychosoziale Begleitung dementsprechend aufzustocken.
Hubert Hüppe
Das ist eine Tatsache. Das ist der offensichtliche Versuch, sich selber vor den Kosten zu drücken, sie den Krankenkassen aufzubürden und sich hinterher beim Minister darüber zu beklagen, daß die Kosten wieder explodieren. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der SPD.
Im Mittelpunkt unserer Antidrogenpolitik steht der abhängige Mensch und nicht irgendeine Ideologie. Deswegen geben wir keinen Menschen auf, auch keinen Schwerstabhängigen. Wir handeln eben nicht nach dem Motto: Denen ist sowieso nicht mehr zu helfen; deswegen gebt ihnen doch gleich das Heroin vom Staat. - Wer glaubt denn tatsächlich, daß gerade die SPD-Länder die Heroinabgabe, die sie fordern, in den Griff bekommen, wenn es denselben Ländern noch nicht einmal gelingt, die Methadonabgabe vernünftig zu organisieren?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wodarg?
Ja, sicher.
Herr Kollege, ist es nicht richtig, daß Sie nicht nur die Mittel für die Prävention im eigenen Haushalt kürzen und sich damit - finanziell zumindest - aus der Verantwortung zurückziehen, sondern gleichzeitig auch noch den Krankenkassen, die auch etwas tun könnten, dadurch, daß Sie § 20 des SGB V entsprechend umbauen, die Möglichkeit nehmen, hier präventiv tätig zu werden? Auf zwei Ebenen bauen Sie ab, und dann stellen Sie sich hier hin und sagen: Man muß da etwas tun. Wie paßt das zusammen?
Ich sage es noch einmal - ich kann es auch noch öfter wiederholen, wenn Sie das wollen -: Wir geben noch immer doppelt soviel aus. Natürlich mußten wir auch kürzen. Dann muß man eben auch erfinderischer werden. Denken Sie einmal an die Aktion, die Herr Lintner, der hier ist, durchgesetzt hat. Er hat eine Aktion mit Diskothekenbesitzern gegen Designerdrogen gemacht, die den Steuerzahler keinen Pfennig gekostet hat.
Es müssen auch einmal wieder neue Ideen entwikkelt werden. Ich gehe davon aus, Herr Wodarg, daß in § 20 des SGB V eine der Krankheiten, bei denen wir Prävention weiter leisten wollen, auch die Suchtkrankheit sein wird. Deswegen brauchen Sie sich an dieser Stelle keine Sorgen zu machen.
Herr Kollege, jetzt möchte die Abgeordnete Limbach eine Zwischenfrage stellen.
Darüber freue ich mich besonders.
- Ja, sie ist sehr kritisch.
Herr Kollege Hüppe, könnten Sie bestätigen, daß 4 Prozent Kürzungen im Bundeshaushalt, was ja noch immer mehr Ausgaben als vor dem Drogenbekämpfungsplan bedeutet, weit weniger Eingriff beinhalten als eine 20prozentige Sperre wie zum Beispiel im hessischen Haushalt?
Ja, und noch weit weniger, Frau Kollegin, als in Sachsen-Anhalt, wo nämlich die Grünen und die SPD, gestützt von der PDS, folgendes gemacht haben - das steht im Protokoll der Sitzung der Drogenbeauftragten -:
Von den beantragten 5 Millionen sind im Haushalt 2,1 Millionen allerdings mit Sperren bewilligt worden. Der Ausbau niedrigschwelliger Angebote ist vorgesehen. Im Landtag laufen die Diskussionen über Fragen der Entkriminalisierung und der Liberalisierung.
Das ist das typische Beispiel sozialdemokratisch geführter Regierungen, daß sie nicht mehr Hilfe leisten können, sondern daß sie dazu übergehen, mit Liberalisierungsmodellen angeblich eine Alternative darzustellen.
Nicht Heroinabgaben oder Fixerräume helfen den Betroffenen, sondern nur die konkrete und am einzelnen Betroffenen orientierte Hilfe. Deswegen bin ich dankbar, daß trotz - ich gebe das zu - der Sparzwänge das Modell für chronisch erkrankte Abhängige vom Bund finanziert wird. Im Rahmen dieses Modells werden immerhin 48 Stellen zu 100 Prozent und zusätzlich ein Teil der Sachkosten finanziert. Die Basis dieses Modells wird von sogenannten CaseManagern gebildet, die gerade für Schwerstabhängige individuelle Hilfspläne erstellen, um diese wieder an den Alltag heranzuführen und Wege aus der Sucht aufzuzeigen.
Diese Mittel stehen seit 1995 zur Verfügung; sie sind leider bis heute nicht von den Ländern und Kommunen abgerufen worden, weil die Länder es nämlich versäumt haben, die Infrastruktur und zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Das ist die Politik Ihrer Parteifreunde in den Ländern. Ich finde es schlimm, daß Sie sich über unsere Politik beklagen, wenn die Länder die Mittel nicht abrufen.
Zum Schluß möchte ich noch zu dem wichtigen Thema Prävention kommen. Ziel unserer Politik ist es, daß Menschen überhaupt nicht in die Abhängigkeit geraten. Dabei müssen meiner Ansicht nach
Hubert Hüppe
zwei Bereiche verstärkt in die Arbeit einbezogen werden: zum einen der Bereich der synthetischen Drogen, die leider Gottes den höchsten Zuwachs im Konsum gerade bei jungen Menschen erfahren, und zum anderen der Bereich der legalen Drogen.
Ecstasy und die Folgedrogen sind zu lange - ich nehme uns da gar nicht aus; aber ich nehme auch einen Teil der Drogenhilfe nicht aus - vernachlässigt worden. Gerade weil wir kaum Erkenntnisse über die Langzeitfolgen haben, halte ich es für fatal, daß die Fraktion der Grünen im Kern nur die Botschaft herüberbringt, daß Ecstasy lediglich entkriminalisiert werden müßte.
Wir wissen, daß in Tierversuchen erhebliche Schäden gerade durch Ecstasy nachgewiesen wurden. Deshalb halte ich es für unverantwortlich, wenn man so tut, als müßte man nur das richtige Setting haben und weniger Drogen schlucken, und die ganze Sache wäre harmlos. So eine Haltung, liebe Kollegen von den Grünen, würden Sie bei keinem Medikament zulassen.
Da ich jetzt aufhören muß, sage ich noch einen letzten Satz. Wir werden den Kampf gegen die Drogen nur bestehen, indem wir sie alle zusammen ernsthaft bekämpfen, und nicht dadurch, daß wir sie verharmlosen. Für diesen Kampf bitte ich um Ihre Unterstützung.
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche das Wort.
Herr Hüppe, Sie haben jetzt die Gelegenheit genutzt, im Rahmen der Haushaltsdebatte - ohne auf die Fragen einzugehen, die aus den Reihen der SPD berechtigterweise gestellt wurden - eine ideologische und demagogische, eine an der Sache vorbeigehende Rede zu halten und für das Abstinenzdogma zu werben. Dies mag Ihnen freigestellt sein.
Ich hoffe, wir haben sehr bald die Gelegenheit, über die fundierten Anträge, auch über die aus Hamburg, zur Heroinsubstitution hier im Bundestag zu reden. Sie kriminalisieren aber die Jugendlichen, die heute im Rahmen ihrer Disco-Kultur Ecstasy benutzen, und begehen dadurch im Grunde genommen denselben schwerwiegenden historischen Fehler, der seinerzeit bei Marihuana und Haschisch - völlig harmlosen Drogen - gemacht worden ist. Sie gefährden damit Lebenswege von jugendlichen Menschen.
Sie realisieren nicht, daß bei der neuen Droge Ecstasy
die gesundheitspolitische Verantwortung vor allen Dingen darin liegt, die Qualität dieser Droge zu garantieren, damit der Konsum für die Menschen nicht gefährlich wird.
Das ist das grundlegend unterschiedliche Vorgehen. Wir wissen, daß es keine drogenfreie Gesellschaft gibt und daß wir keine Ideologien und Fundamentalismen verbreiten dürfen. Wir müssen vielmehr dafür Sorge tragen, daß die Stoffe auf dem Markt für die, die sie konsumieren, keine gefährlichen Gesundheitsrisiken in sich bergen.
Wenn Sie hier mit derselben Vehemenz, mit der Sie gegen die illegalisierten Drogen vorgehen, gegen den massiven Mißbrauch von Medikamenten und Alkohol und den Konsum von Nikotin einträten, wenn Sie hier nur ein einziges Mal einen Antrag stellten, daß für diese Drogen keine Werbung mehr gemacht werden darf, wenn Sie in Ihrer Drogenpolitik in irgendeiner Weise eine Konsequenz zögen, dann hätten Sie die Berechtigung, hier etwas zu den neuen Designerdrogen zu sagen.
Zur Antwort der Kollege Hüppe.
Auf der einen Seite finde ich das, was Frau Knoche ausgeführt hat, gut. Sie bestätigt eigentlich, was ich gesagt habe, daß nämlich, wenn die Fraktion der Grünen Drogenpolitik in Deutschland betriebe, dies eine Katastrophe für die jungen Menschen in der Bundesrepublik wäre.
Auf der anderen Seite finde ich es schlimm. All das, was wir mit Präventionsarbeit aufzubauen versucht haben, wird durch solche Bemerkungen in unverantwortlicher Weise kaputtgemacht, obwohl es keine Langzeitstudien an Menschen über Ecstasy gibt, da dieser Stoff erst seit einigen Jahren auf dem Markt verbreitet ist. Ich mache Sie dafür verantwortlich, wenn Jugendliche auf Grund Ihrer Aussagen meinen, das Ganze sei gar nicht so schlimm. Das halte ich für bedauerlich.
Ich gehöre zu denen, die ganz deutlich sagen, daß man auch legale Drogen bekämpfen muß. Dies ist meine feste Überzeugung. Sie wissen das; deshalb wundere ich mich, daß Sie dies überhaupt ansprechen.
Natürlich gibt es hinsichtlich der legalen Drogen eine zahlenmäßig viel größere Dimension. Das darf aber doch nicht dazu führen, daß wir sagen: Weil wir mit den legalen Drogen Probleme haben, müssen wir
Hubert Hüppe
illegale zu legalen machen. Das ist nicht unsere Politik.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marina Steindor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Ihre Anspielung bezüglich der rot-grünen Landeshaushalte werde ich hier nicht eingehen;
Sie wissen genau, warum die Länder unter Finanznot leiden. Ich möchte aber als hessische Bundestagsabgeordnete der Grünen an dieser Stelle erklären, daß mich das Abstimmungsverhalten unseres Ministerpräsidenten Eichel in Sachen Festbeträge doch sehr beschämt.
In diesen Tagen, in der Haushaltsdebatte, ist für mich keine Zeit zum Rosinenpicken in einem der Mikrohaushalte dieses Bundeshaushalts. Es ist ein Verwaltungs- und kein Gestaltungshaushalt.
Morgen wollen Sie die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Beitragsentlastungsgesetz beschließen. Vor unserer Tür protestieren die Bürger. Man kann als Opposition gar nicht oft genug die Gelegenheit nutzen, um den Standortgesundbetern dieser Regierung die Meinung zu sagen. Das Münchener Ifo-Institut hat ganz klar festgestellt, daß die permanenten Behauptungen von angeblich zu hohen Löhnen und Steuern am Standort Deutschland interessenpolitisch motiviert sind.
Ihre Gesundheitsreform ist heute nachmittag im Bundesrat erneut gescheitert. Aber die Regierungskoalition schreibt schon jetzt weitere Folgen ihres Krankenkassenschrumpfungskrimis.
In den letzten Wochen hat der Gesundheitsminister wieder die übliche Medieninszenierung geboten - diesmal mit Beschimpfungen der Krankenkassen, die angeblich Milliarden verschwenden; zuvor waren es die Krankenhäuser.
Herr Minister, noch im Frühjahr dieses Jahres haben Sie zugegeben, daß überwiegend Politik und Staat an den Finanzierungsproblemen der GKV beteiligt sind und sie selbst verursacht haben, beispielsweise durch die Rentenreform. Daran ist auch die SPD nicht ganz unbeteiligt.
Dieser sozialpolitische Verschiebebahnhof wirkt natürlich weiter, jedes Jahr aufs neue. Mit dem ersten Teil Ihres Krankenkassenschrumpfungsgesetzes, mit dem wir uns morgen befassen, bewirken Sie erneut Mindereinnahmen. Herr Rebscher vom VdAK hat Ihnen das in einer Anhörung des Deutschen Bundestages bis auf den Pfennig genau vorgerechnet.
Auch die Lohnkürzung im Krankheitsfall wird voll auf die Krankenkasseneinnahmen durchschlagen.
Davon können Sie sich nicht exkulpieren. Aber Sie drohen weiter mit Finanzbeschränkungen.
Alle Kassen bestätigen, daß die Festschreibung der Beitragssätze über kurz oder lang in eine ZweiKlassen-Medizin führt. Die Beschränkung der Einnahmen müßte durch Kürzungen auch medizinisch notwendiger Leistungen erkauft werden. Diese ausgegrenzten Leistungen würden aber nicht entfallen, sondern von den Versicherten privat finanziert werden müssen. Das nennen Sie Eigenverantwortung. Eine umfassende medizinische Versorgung stünde bald nur noch den Besserverdienenden zur Verfügung.
Ihre Pläne sind ein Angriff auf die Kernkompetenz der Selbstverwaltung. Herr Minister, Sie verhalten sich nicht mehr wie der Hüter und Bewahrer unseres Solidarsystems. Sie lassen es zu, wenn es im Blindflug gegen die Wand fährt.
In bezug auf Flops der Firma Siemens befinden wir uns hier in diesem Hohen Hause geradezu an einem historischen Ort. Ich erinnere an die Erlebnisse mit der Mikrophonanlage. Dieses Mal mußte Siemens eingestehen, daß man in den beiden größten Rechenzentren der Apotheken die Software nicht in den Griff bekommt. Wie sollen denn die Kassen Überschreitungen des Arzneimittelbudgets feststellen und vor allem Regreß einfordern, wenn sie nicht frühzeitig Informationen über das Verordnungsvolumen der einzelnen Ärzte erhalten?
Es geht jährlich um über 1 Milliarde DM. Anstatt den Kassen bei der Bezahlung einen präventiven Abzug zu gewähren, schont der Minister durch Intervention die Apotheken, Siemens und die Pharmabranche. Sie nehmen es als Gesundheitsminister hin, daß eine der wichtigsten Kostenbremsen der Krankenkassen nicht funktioniert, und geben damit den Apotheken und den Kassenärzten faktisch einen millionenschweren Kredit auf Kosten der Beitragszahler. Ob die Regreßforderungen jemals erfüllt werden, steht offen. Die Kassen wissen nicht, ob das klagemäßig durchzuhalten ist.
Aus Datenschutzgründen muß die gesamte Datenübertragung zwischen KBV und Kassen neu gegliedert und organisiert werden. Das ist gut so, aber das braucht Zeit. In der Summe bedeutet dies, daß die Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Krankenkassen in einem gigantischen Daten-GAU steckenbleiben.
Nie, Herr Minister, hört man auch nur einen Halbsatz der Selbstkritik von Ihnen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß die 11,6prozentige Zunahme der Aufwendungen für Zahnersatz in den alten Bundesländern eine Schreckreaktion der Bürger, die das nicht richtig verstanden haben, auf Ihr Beitragsentlastungsgesetz sein könnte? Sie treiben die Kassen erst in den Wettbewerb, und dann wundern Sie sich, daß die Kassen Werbemaßnahmen finanzieren und ihren Versicherten nichts mehr abschlagen.
Marin Steindor
Satzungsleistungen jetzt im Wettbewerb kürzen? Als Steuerungsinstrument wirkt Wettbewerb sozial selektiv und polarisierend und ist damit gegen Solidarität gerichtet. Schon jetzt ist von Pleiten und Konzentrationsprozessen bei Krankenkassen die Rede. Der angeblich solidarische Wettbewerb der Krankenkassen bröckelt, der Risikostrukturausgleich wird zunehmend angefeindet. Da stützt die AOK per Umlage zwei schließungsgefährdete Landesverbände.
Sie wollen mit Ihrer Politik die Kassen morgen und in der Zukunft zur Leistungsausgrenzung zwingen, ihnen damit den Schwarzen Peter zuschieben und sich aus der Verantwortung stehlen. Bei Ihren Vorschlägen schwanken Sie zwischen Staatsdirigismus und angeblich intelligenteren Lösungen, der Möglichkeit zum sofortigen Austritt nach Beitragssatzerhöhung oder der Anbindung von Beitragserhöhungen an Zuzahlungen. Die F.D.P. will das Sachleistungsprinzip abschaffen und Elemente der privaten Krankenversicherung einführen. Das ist ein Horrorkabinett und kein Reformkonzept.
Unsere europäischen Nachbarn, die private Krankenversicherungen haben, haben Finanzprobleme. Dort werden Elemente der solidarischen Krankenversicherung eingeführt. Die Niederlande haben mittlerweile gegen die Risikoselektion eine Versicherungspflicht und den Kontrahierungszwang eingeführt, und die Schweiz hat Kopfpauschalen neben den individualrisikoorientierten Beiträgen eingeführt. So falsch kann unser System nicht sein.
Sie aber erodieren und denunzieren das Gesundheitssystem als rein konsumtiven Sektor. Sie würdigen die Zahl der Arbeitsplätze und die Wirtschaftskraft nicht ausreichend. Es geht hier um rund ein Viertel unseres Bruttosozialproduktes. Sie demontieren mit Ihrer Politik Arbeitsplätze und erodieren einen bewährten Gesellschaftsvertrag. Sie wollen eine sozialethische Wende und ein neues Krankenversicherungssystem jenseits von Bedarf und Solidarität - ein Weg in die Unterversorgung breiter Bevölkerungskreise.
Meine Damen und Herren, die Wochenzeitschrift „Die Woche" enthält in ihrer heutigen Ausgabe viele Artikel zur Gesundheitspolitik, in denen sich unter anderem ein Zitat aus Unionskreisen im Zusammenhang mit der Standortdebatte findet: „Seehofer soll das Sparschwein machen. " Manche Sparschweine haben ein Türchen mit Schlüssel und bleiben bei Leerung intakt. Bei Ihrer Politik habe ich aber den Eindruck, daß Sie das Krankenkassensparschwein mit dem Standorthammer endgültig zerschlagen wollen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Regierungskoalition und die sie tragenden Fraktionen im Deutschen Bundestag sich politisch in ihrem Verhalten doch recht nah den wilden Verwandten dieses Porzellantierchens annähern, die die zarten Reformpflänzchen und -modelle im Gesundheitssystemgarten recht roh zertrampeln.
Die Ausweitung des Versichertenkreises und ein fürsorgliches Reform-Gewächshaus in Form eines
Globalbudgets wären statt dessen das bessere Rezept, um die finanziellen Reserven zu erschließen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomae.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion über den Bundeshaushalt 1997 orientiert sich wiederum an der Zielsetzung, die Nettoneuverschuldung in Grenzen zu halten und damit die Manövrierfähigkeit des Staates zu sichern. Das ist schwierig, aber notwendig. Als Gesundheitspolitiker könnte ich mir sehr gut vorstellen, in dem einen oder anderen Bereich mehr zu tun. Aber in Zeiten knapper Kassen sind nicht alle wünschenswerten Projekte finanzierbar. Das muß man akzeptieren. Jedem privaten Haushalt mit begrenztem Einkommen geht es nicht anders. Dennoch muß man sich einzelne Positionen näher anschauen, ob sie richtig gewichtet sind. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, daß wir im Gesundheitsausschuß noch einmal darüber diskutieren, die finanziellen Mittel in der Drogenprävention besser zu bündeln.
Jede erfolgreich in der Suchtvorbeugung eingesetzte Mark bedeutet Folgeeinsparungen in mehrstelliger Größenordnung.
Die Bekämpfung der Beschaffungskriminalität, die Betreuung der Süchtigen, Substitutionsprogramme und Therapieangebote über Monate hinweg - alle diese kostenträchtigen Maßnahmen könnten reduziert werden, wenn es gelingt, zumindest einen Teil derjenigen, die suchtanfällig sind, im Vorfeld zu stabilisieren.
Ähnlich sehe ich das bei der Aids-Aufklärung. Auch hier dürfen wir nicht nachlassen. Es ist deshalb gut und richtig, daß der Ansatz für Aids-Präventionsmaßnahmen trotz aller Sparerfordernisse nicht heruntergefahren wurde.
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt spiegelt gerade in der Gesundheitspolitik nur einen geringen Teil des Gesamtgeschehens wider. Der größte Teil der Gesundheitsversorgung spielt sich in der GKV ab. Aber auch hier ist Nachdenken darüber angesagt, wie mit den Herausforderungen umgegangen werden soll. Das Defizit in den ersten Monaten des Jahres zeigt, daß wir so wie bisher einfach nicht weitermachen können. Auch hier müssen Prioritäten gesetzt werden. Deshalb möchte ich in Anbetracht der Zeit zehn Thesen formulieren.
Dr. Dieter Thomae
Erstens. Das Ziel der Koalition, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag bis zum Jahre 2000 unter 40 Prozent zu drücken, kann und darf nicht auf gegeben werden. Das wäre Gift für die Beschäftigung, für das Wachstum, den Wohlstand und die soziale Sicherheit.
Zweitens. Vordringlichste Aufgabe sind stabile Krankenversicherungsbeiträge. Dazu müssen wir Beitragserhöhungen erschweren.
Drittens. Damit das nicht in Defizite mündet, muß die Selbstverwaltung natürlich erweiterte Freiräume zum eigenverantwortlichen Handeln im Leistungs- und Vertragsrecht bekommen.
Viertens. Die Absicherung der entscheidenden Krankheitsrisiken und -kosten, die den einzelnen überfordern würden, muß das Solidarsystem leisten, mehr aber nicht.
Fünftens. Zuzahlungsregelungen, Selbstbehalte, Beitragsrückgewähr und - das sage ich sehr deutlich - die Kostenerstattung müssen stärker in die Konzeption integriert werden.
Sechstens. Die Ausweitung des Risikostrukturausgleiches kommt nicht in Frage. Ein degressiver Abbau muß schrittweise begonnen werden.
Siebtens. Im Krankenhausbereich müssen die marktwirtschaftlichen Instrumente weiter ausgebaut werden.
Nur so werden wir vorhandene Rationalisierungsreserven auf Dauer gezielt ausschöpfen können, ohne die Gefahr einer schleichenden Zwangsrationierung in Kauf nehmen zu müssen. Ich nenne nur das Stichwort „Wartelisten bei Operationen".
Folgende Maßnahmen im Krankenhaus gehören für mich unbedingt dazu: die beschleunigte Vereinbarung von Fallpauschalen und Sonderentgelten - ich würde mir wünschen, daß jedes einzelne Krankenhaus den Krankenkassen Vorschläge unterbreiten kann -; der Abbau von Überkapazitäten dadurch, daß nur tatsächlich erbrachte Leistungen bezahlt werden; die Stärkung der Konkurrenz unter den Krankenhäusern; die Überführung in die monistische Finanzierung, aber mit Kompensation der Länder; vor allen Dingen aber der Abbau von Reglementierungen in diesem Bereich und - ich sage das sehr deutlich - die Abschaffung der Pflegepersonalverordnung, denn sie ist ein Relikt des Selbstkostendekkungssystems. Je mehr Fallpauschalen wir einführen, desto weniger ist diese Pflegepersonalverordnung notwendig.
Achtens. Es sind Anreize zu schaffen für - das sage ich sehr deutlich und bewußt - sparsames Verhalten, und der Grundsatz „ambulant vor stationär" ist zu beleben, damit nur so wenige Fälle wie unbedingt notwendig in den teuren Versorgungsformen der stationären Einrichtung behandelt werden müssen. Wir werden Ende des Jahres ein Gutachten vorgelegt bekommen, in dem gefordert wird, daß diese Maßnahmen unbedingt aufgegriffen werden, damit diese Prozentzahlen gedrückt werden.
Neuntens. Keine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung.
Zehntens. Einführung eines den Versicherten mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten einräumenden Erstattungssystems beim Zahnersatz durch Festzuschüsse.
Meine Damen und Herren, dies waren in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit zehn Anmerkungen. Ich denke: Das ist die Richtung. Wir werden dies in den nächsten Wochen behandeln. Grundlage bleiben die beiden Gesetzentwürfe.
Ich wünsche mir, daß wir diese Eckpunkte realisieren, damit wir nicht nur in dieser Legislaturperiode, sondern auch über das Jahrtausend hinaus die Krankenversicherung zum Wohle der deutschen Bevölkerung wirklich vernünftig gestalten.
In diesem Zusammenhang warne ich sehr deutlich vor der Budgetierung.
Unsere Reise nach Schweden hat gezeigt, daß dies kein Weg ist. Denn sie bedeutet die Einführung von Wartelisten. Das möchte ich den deutschen Patienten, die Operationen dringend benötigen, nicht zumuten. Was mir sehr deutlich wurde, ist: Dort wurden zusätzlich Gremien geschaffen, die aus den Wartelisten Personen auswählen, die vorgezogen werden, damit eine Operation schneller möglich ist. Eine solche Planwirtschaft wünsche ich mir in diesem Lande nicht.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zwar abgelaufen, es besteht aber der Wunsch des Kollegen Kirschner nach einer Zwischenfrage. Sie können aber nur noch auf diese Zwischenfrage antworten.
Ja, ist in Ordnung.
Herr Kollege Dr. Thomae, Sie kennen doch sicherlich die gesundheitspolitische Landschaft im Ausland.
Wir als Mitglieder des Gesundheitsausschusses haben ja vor kurzem beispielsweise von der Europäischen Gemeinschaft eine vergleichende Aufstellung
Klaus Kirschner
erhalten. Können Sie mir sagen, welche Länder, die ein ähnliches System wie wir haben
- ich habe gesagt, ein ähnliches -, die Ausgaben anderweitig in den Griff bekommen - denken Sie beispielsweise an die Schweiz -, ohne daß dies durch ausgabensteuernde Budgets geschieht? Gibt es irgendein System, das diese Kosten so in den Griff bekommt?
Es ist schwer, die Gesundheitssysteme exakt zu vergleichen, weil die Geschichte in jedem einzelnen Land anders verlaufen und das Gesundheitssystem unterschiedlich aufgebaut worden ist. Ich muß aber sehr deutlich sagen: Wir waren in Skandinavien und haben uns dort die Systeme dieser vier Länder angeschaut. Schweden war ja bezüglich aller Wohlfahrtssysteme das gelobte Land, ganz besonders hinsichtlich des Krankenversicherungssystems.
Wenn Sie sich anschauen, welche mutigen Maßnahmen die Regierung in Schweden, einem sozialdemokratisch geführten Land
- ja, ich komme gleich dazu; es fällt mir schwer, zu
sagen, daß dies ein von Sozialdemokraten geführtes
Land ist, ebenso wie die anderen drei Länder -, ergriffen hat, dann stellen Sie fest: Das Budget ist gescheitert, auch in diesen Staaten. Und weil es gescheitert ist, habe ich eine Freude: Ich kann Ihnen, Klaus Kirschner, die Übersicht über skandinavische Gesundheitssysteme geben. Darin werden Sie sehen, daß Selbstbeteiligungen in diesen Ländern selbstverständlich sind und die Budgets scheitern, weil es dort lange Wartefristen gibt. Das ist der große Fehler. Diesem Gedanken sollten Sie nicht mehr weiter anhängen. Dazu übergebe ich Ihnen dieses Buch!
Die nächste Rednerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 15 des Bundeshaushaltes gehört bekanntlich mit seiner Größenordnung von unter 1 Milliarde DM zu den kleinsten Einzeletats. Das ist zumindest in der Grundproportion strukturell bedingt und so gesehen keineswegs ein Makel. Daß er aber von Jahr zu Jahr wesentlich kleiner wird - und der Minister ist noch stolz darauf -, das markiert eine klare Fehlentwicklung und ist sehr wohl der Gesamtpolitik der Koalition anzulasten.
Noch wesentlich schlimmer für die Menschen ist aber, was diese Regierung inzwischen im Gesundheitswesen selbst angerichtet hat.
1996 steht ein Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung in Aussicht, das mindestens wieder so hoch sein wird wie das des Jahres 1992. Das Versorgungssystem hat keinerlei Strukturreform erlebt. Alle seine altbekannten Konstruktionsfehler erfreuen sich bester Gesundheit.
Dabei gab es 1992 unübersehbare gute Ansätze, die Serie der kurzatmigen Kostendämpfungsgesetze endlich zu durchbrechen. Wer das Gesundheitswesen sanieren will, muß sich nun einmal die Anbieterseite vornehmen. Aus dem Gesundheitsstrukturgesetz hätte so wirklich eine Art von Markierungspunkt in der deutschen Sozialgeschichte werden können. Heute kann es jedoch bestenfalls noch als Beispiel für die Grenzen der Reformfähigkeit dieser Koalition gelten.
Fast nichts ist Wirklichkeit geworden. Ambulant/ stationäre Kooperation: Noch nie waren die Fronten so verhärtet. Neue Krankenhausfinanzierung: Statt Effektivitätsanreiz und mehr Flexibilität unverantwortliche Beschimpfung der Krankenhäuser und in diesem Jahr eine Budgetierung, die an Undifferenziertheit und Härte ihresgleichen sucht. Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit: Der Anteil spezialärztlicher Leistungen ist gegenwärtig höher denn je.
Und besonders makaber ist die Geschichte der Positivliste: statt ihrer Umsetzung ein klassischer Kniefall vor der Pharmaindustrie und eine massive Brüskierung des politischen Partners aus der großen Koalition von 1992.
Jetzt soll ausgerechnet ein tatsächlich verwirklichter Schritt in die richtige Richtung, die Wahlfreiheit auch für Arbeiter und der Risikostrukturausgleich, zum Ausgangspunkt einer vollends apokalyptischen Entwicklung werden. Soziale Krankenkassen, die in einen in diesem Falle absolut systemwidrigen Konkurrenzkampf geschickt werden; Vorfahrt für die Selbstverwaltung, die dafür aber keine Steuerungsinstrumente erhält - das nun sind die neuen Wundermittel, mit denen die Gebrechen des Gesundheitswesens kuriert und die Beitragssätze stabil gehalten werden sollen.
Diese sogenannte dritte Stufe der Gesundheitsreform, die im Kern wieder nur auf einschneidende Belastungen der Versicherten und diesmal sogar auf die Zerstörung des Solidarsystems hinausläuft, ist im Gegensatz zu manchem aus dem GSG völlig zu Recht gescheitert.
Natürlich haben wir alle gehört, daß Sie wesentliche Teile in anderer Form einbringen und am Bundesrat vorbei doch in Kraft setzen wollen. Aber, Herr Minister, die Wahrheit ist doch, daß Sie mit alledem Ihren eigenen und oft genug in der Vergangenheit selbst verkündeten Reformansatz verfehlt haben.
Das entscheidende politische Signal, schon beim Kippen der Positivliste hörbar und jetzt erst recht beim Beitragsentlastungsgesetz, gewissermaßen als die Botschaft hinter dem eigentlichen Geschehen, bestand doch darin, daß diese Regierung und die sie tragende Koalition weder das erforderliche Stehver-
Dr. Ruth Fuchs
mögen noch den politischen Willen zu den unerläßlichen Strukturveränderungen im Gesundheitswesen haben würden.
Heute sprechen die Tatsachen ihre eigene Sprache. Milliardengeschenke für die Pharmaindustrie bei einschneidenden Belastungen für die Versicherten, das ist der Kern Ihrer Politik geworden. Das Gesundheitswesen wurde nicht aus der Sackgasse geführt. Die Probleme sind größer denn je. Das Absinken in den Sumpf einer prinzipienlosen Klientelpolitik wird immer deutlicher erkennbar. Auf eine solche Politik kann nur mit entschiedener Opposition geantwortet werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt die Kollegin Limbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe ich mit dem eigentlichen Text meiner Rede anfange, muß ich doch noch ein Wort zu den unglaublichen Äußerungen bezüglich Ecstasy und Disco-Kultur sagen. Ich habe überhaupt nichts gegen Disco-Kultur. Musik, sich bewegen und das Gefühl der Freiheit, das damit verbunden ist - das ist alles sehr gut und macht den jungen Leuten Spaß. Sie sollen ja auch nach der Schule oder nach der Arbeit Spaß haben; das ist richtig.
Aber das mit der quasi Empfehlung für eine Droge zu verbinden, bei der wir das Ausmaß ihrer Gefährlichkeit noch gar nicht erkannt haben, halte ich für unverantwortlich.
- Ich vermute, daß nicht nur ich Ihre Ausführungen so verstanden habe, Frau Kollegin.
Ich kann mich nur sehr erstaunt zeigen, denn Professor Thomasius aus Hamburg-Eppendorf, der eine Langzeitstudie durchführt, hat bereits jetzt die große Sorge, daß schon der einmalige Genuß dieser Droge zu irreversiblen, das heißt, zu nicht wiedergutzumachenden, Hirnschäden führt. Und Sie stellen sich hier hin und sagen, wir müßten nur dafür sorgen, daß das ein ordentliches Präparat sei, dann könnten die Jugendlichen es lustig nehmen! - Da bleibt mir die Spucke weg, aber nicht, weil ich mich empöre, sondern weil ich an die vielen Jugendlichen denke, die diesen Unfug hören.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Knoche?
Ja. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Frau Limbach, ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie - aus welchen Gründen auch immer - die wirkliche Intention dessen, was ich gesagt habe, nicht gehört haben und mißverständliche Interpretationen vortragen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen,
daß es eine neue Disco-Kultur gibt und daß es in diesem Zusammenhang eine neue Droge gibt.
Sie müssen eine Frage stellen.
Wir müssen die Frage stellen: Was ist verantwortliche Präventionsarbeit? Und was ist verantwortliche gesundheitspolitische Arbeit in diesem Zusammenhang? Um diese Fragen geht es.
Ich habe deutlich hervorgehoben, daß es nicht sein darf, daß wieder der gleiche Fehler der Stigmatisierung gemacht wird wie seinerzeit, als eine neue Droge, nämlich Haschisch, auf den Markt gekommen ist. Um diesen Komplex geht es, Frau Limbach. Ich bitte Sie wirklich, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mich hier im Deutschen Bundestag mit der Verantwortung, die wir alle tragen, nicht zur Protagonistin oder Erklärerin von irgendwelchen Drogen gemacht habe.
Frau Kollegin, das war keine Frage. Das war faktisch eine Kurzintervention oder Richtigstellung. Nur damit Sie es wissen: Wenn Sie sich während der Rede melden, können Sie nur eine Frage stellen.
Wollen Sie, Frau Kollegin Limbach, antworten?
Ja, ich möchte gerne antworten. Möglicherweise verfüge ich über eine mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache. Das ist mir zwar bisher noch nie vorgeworfen worden,
aber ich habe aus dem, was Sie gesagt und jetzt wiederholt haben - man dürfe das nicht stigmatisieren -, folgendes gehört. Für mich heißt das: Man darf nicht das Etikett daran hängen, das sei eine Droge, die schaden könne.
Was soll ich denn sonst unter Stigmatisierung verstehen? Insofern bin ich froh, wenn Sie jetzt erklären,
Editha Limbach
Sie wollten das nicht propagieren. Das ist schon ein Fortschritt. Aber das Wort „stigmatisieren" , das im gängigen Verständnis so wie von mir interpretiert wird, haben Sie wiederholt.
Sie haben auch wiederholt, daß die Droge zur DiscoKultur gehöre. Ich behaupte: Es gibt eine Disco-Kultur, die sehr gut ohne sie auskommt, bei der junge Leute viel Spaß und Freude haben können und miteinander oder für sich alleine ihren Abend vernünftig verbringen können.
Daß es mir, in meinem Alter, an solchen Stätten im allgemeinen oft zu laut wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Eigentlich müßte man in einer solchen Debatte über sehr viel mehr sprechen, als Zeit bleibt, weil zu dem Gebiet der Gesundheit auch die gesundheitliche Aufklärung gehört: Vorsorgemaßnahmen, gesunde Ernährung und der gesamte vorbeugende gesundheitliche Verbraucherschutz. Aber nach dem, was hier in der Diskussion gesagt wurde, muß ich das alles weglassen und auf ein paar Dinge eingehen, die vorhin vorgetragen wurden.
Eines ist mir dabei ganz deutlich geworden: Jedenfalls die Redner, die hier gesprochen haben, gehen von einem ganz anderen Menschenbild aus als wir. Sie gehen davon aus, daß unsere Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage sind, wichtige Entscheidungen für sich selbst eigenverantwortlich zu treffen, daß wir zwar Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit sie nicht ausgebeutet oder auf andere Weise schlecht behandelt werden. Aus dem, was gesagt wurde, klang heraus: Die Menschen sind zu dumm, die richtige Krankenkasse zu wählen, zu dumm, für ihre eigene Gesundheit Vorsorge zu treffen,
zu dumm, den richtigen Arzt auszusuchen, zu dumm, das richtige Krankenhaus zu wählen. Das ist doch alles indirekt und direkt vorgetragen worden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe ein ganz anderes Bild. Wenn ich mit den Menschen spreche, ob in meinem Wahlkreis oder andernorts, dann stelle ich fest, daß sie sehr wohl wissen, was sie wollen. Sie wissen sehr wohl, wie sie sich entscheiden wollen. Sie sind vor allen Dingen bereit, Verantwortung zu übernehmen. Auch das gehört zu einem freien und selbständigen Bürger.
Die soziale Krankenversicherung - es ist schon gesagt worden, aber offenbar muß man es wie in der Schule wiederholen, damit es behalten wird - ist dafür da, Risiken bezüglich einer Erkrankung oder Gesundheitsprobleme, die ein einzelner nicht tragen kann, solidarisch abzusichern. Wenn es aber so ist, dann muß man fragen: Muß alles und jedes solidarisch abgesichert werden? Oder ist es nicht auch im Sinne der christlichen Soziallehre richtig, zu sagen:
Das, was auf jeden Fall solidarisch abgesichert werden muß, muß sein; sprich: die Operation im Krankenhaus, die schwere Erkrankung. Das muß solidarisch abgesichert werden. Das kann der einzelne nicht tragen.
Manche Dinge kann er aber sehr wohl tragen. Ich darf darauf hinweisen - das darf nicht vergessen werden -, daß zu der Zeit, als die Krankenversicherung geschaffen wurde, die Menschen nicht einmal in der Lage waren, einen Arzt zu rufen, weil sie ihn nicht bezahlen konnten. Auch waren sie nicht in der Lage, sich einen Verband zu kaufen, um ihn auf eine offene Wunde zu legen, weil sie es sich nicht leisten konnten. Gott sei Dank können sich die Menschen das heute leisten. Das ist ein Verdienst auch der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften.
- Herr Dr. Thomae sagt es: Es ist gleichzeitig das Verdienst der sozialen Marktwirtschaft, die durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik dazu beigetragen hat, daß die Menschen heute Gott sei Dank viel mehr selbstverantwortlich tun können und wollen, als das früher der Fall war. Trotzdem müssen die großen Risiken alle solidarisch abgesichert werden. Das ist klar.
Lassen Sie mich noch etwas zur Positivliste sagen, Herr Kirschner. Ich habe nachgelesen, was die Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Fraktion dazu gesagt haben. Sie sollte nicht dazu dienen, die Therapiefreiheit einzuschränken. Sie sollte nicht dazu dienen, die Kosten zu senken. Sie sollte auch nicht Mengen steuern. Nein, sie sollte dazu dienen, die Qualität zu verbessern. Dann frage ich mich: Wozu haben wir ein kompliziertes Anerkennungsverfahren für Medikamente? Ich hoffe doch sehr, daß Sie mit mir übereinstimmen, daß nur solche Medikamente in den Verkehr gelangen dürfen, die das, was sie versprechen, nämlich Krankheiten zu bekämpfen oder zu besiegen, tatsächlich leisten können.
Frau Kollegin Limbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Ja, gerne.
Ihre Redezeit ist allerdings so gut wie vorbei.
Wenn ich Sie so höre, dann frage ich mich, was Sie und wir alle uns dabei gedacht haben, als wir den entsprechenden Entwurf im Deutschen Bundestag mit der sinngemäßen Formulierung verabschiedet haben: In diese Liste sind nur solche Arzneimittel aufzunehmen, die über mehr als nur eine geringfügige therapeutische Wirkung verfügen. Das heißt, wir haben uns klar und deutlich bei der gemeinsamen Verabschiedung etwas gedacht, nämlich daß es nicht um irgendwelche Arzneimittel geht, die auf dem Markt sind, sondern um diejenigen, die über eine mehr als geringfügige therapeutische Wirksamkeit verfügen. Nicht mehr und nichts
Klaus Kirschner
anderes war doch in dieser Liste enthalten. Stimmen Sie mir zu, daß dies ein sinnvolles Steuerungsinstrument gewesen wäre?
Zu dem Zeitpunkt, als wir den Entwurf verabschiedet haben, habe ich dem Kompromiß, der das vorsah, deshalb zugestimmt, weil ich die Erwartungen hatte, die Sie jetzt ausgesprochen haben. Wenn ich aber erkennen muß, daß diese Erwartungen nicht eintreffen können - das hat schon der Streit um die ersten Entwürfe einer Positivliste gezeigt -, dann muß ich den Mut haben, zu sagen: Da habe ich mich geirrt; das mache ich jetzt nicht, weil ich es nun besser weiß.
Herr Kirschner, ich will Ihnen zum Abschluß noch eine kleine Freude machen. Sie haben gesagt, Sie würden uns nicht aus der Verantwortung entlassen. Ich kann Ihnen sagen, daß wir auch gar nicht aus der Verantwortung entlassen werden möchten.
Wir werden unsere Verantwortung wahrnehmen. Wir werden die notwendigen gesetzlichen Regelungen und die notwendigen politischen Entscheidungen treffen. Deshalb werden wir von den Wählerinnen und Wählern auch 1998 nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Waltraud Lehn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dank der, wie ich beschreibend sagen möchte, ausführlichen, andererseits - so will ich wertend sagen - weitschweifigen Rede von Herrn Bundesminister Seehofer, der nicht nur das Gesundheitsbudget nicht mehr im Griff hat, sondern dem auch sein Zeitbudget außer Kontrolle geraten ist, möchte ich zu drei Dingen des Haushaltes noch etwas sagen.
Erstens. Wir haben Kürzungen in diesem Haushalt vor allen Dingen in drei Bereichen.
Erstens. Eine Vielzahl von Modellmaßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, zur Verbesserung der Versorgung chronisch Erkrankter, auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs sowie in der Psychiatrie, sind von erheblichen Kürzungen betroffen.
Zweitens. Die institutionelle Förderung wird zugunsten der Projektförderung zum Teil massiv zurückgefahren, wobei im Einzelfall die Förderung auf Null gesetzt wird. Das heißt im Klartext, daß es in Zukunft wesentlich leichter sein wird, diese Projekte ganz herauszunehmen, als etwa zum derzeitigen Zeitpunkt die Institutionen plattzumachen.
Drittens. Gravierend sind die Einsparungen im Bereich der Forschung. Hier wird anscheinend nach dem Motto verfahren: Nur nicht genauer hinsehen, dann ergibt sich auch kein Handlungsbedarf!
Zu diesen drei Punkten sage ich Ihnen folgendes: Erstens sind diese drei Punkte innovationshemmend. Nur kein Fortschritt! Das erinnert mich doch sehr an meine Großmutter, die leider Gottes vor 20 Jahren viel zu früh gestorben ist. Sie hat den Arzt nicht aufgesucht nach dem Motto: Wenn ich nicht hingehe, weiß er auch nicht, was ich habe! - Genauso rückschrittlich ist die Politik, die diese Bundesregierung uns hier vorlegt.
Zweitens. Beschäftigungspolitisch feindlicher kann man einen Haushalt wohl überhaupt nicht mehr auflegen. Da wird nicht nur der Bereich der Prävention auf Null gefahren, da wird nicht nur ein bißchen mehr, ein bißchen undurchsichtig, ein bißchen flott und ein bißchen oberflächlich im Bereich der Rehabilitation herumgedoktert, nein, da werden im Haushalt auch im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung die Mittel drastisch zurückgefahren. Der Bevölkerung, die ja für sich selber sorgen soll, Frau Limbach, nur nicht genügend Informationen an die Hand geben; denn dann weiß sie auch nicht, was ihr fehlt!
Nur nicht darüber aufklären, was das Rauchen bedeutet! Um bei der Drogenthematik zu bleiben: Nur nicht aufklären, welche Folgen Biertrinken in exzessiver Form hat.
Das trifft im übrigen auch für einige Kolleginnen und Kollegen hier zu. Da wollen wir uns nichts vormachen. Ich konnte neulich miterleben, wie hier jemand stand, der nicht nur angesäuselt war.
Also, über diese Punkte nur nicht informieren, nur nicht aufklären! Das ist ganz wunderbar: Dann können die Leute gar nicht merken, daß sie krank werden.
Für besonders problematisch halte ich die Kürzungen im Bereich der Psychiatrie, also wieder einmal bei Menschen, von denen wir annehmen müssen, daß sie nicht in der Lage sind, sich selber zu helfen.
Deswegen habe ich, Herr Minister Seehofer, mit außerordentlichem Erstaunen einen Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden der Aktion „psychisch Kranke", Ihrem Kollegen Kauder, und Ihnen zur Kenntnis genommen - mit Erstaunen deshalb, weil erstens Herr Kauder, wie ich schon sagte, immerhin Mitglied Ihrer Koalition ist und massiv gegen Ihre Absicht protestiert, die Förderung von Modellprogrammen in der psychiatrischen Versorgung mit Ablauf des Jahres 1999 einzustellen, weil zweitens das Antwortschreiben aus Ihrem Haus und mit Ihrer Unterschrift zu Recht wahre Lobeshymnen über die Modellprogramme enthält und weil Sie drittens in Ihrem Schreiben Herrn Kauder sogar recht geben, daß die Psychiatriereform, die durch die Modellprogramme
Waltraud Lehn
maßgeblich vorangetrieben wird, noch lange nicht zum Abschluß gekommen ist. Herr Seehofer, wie vertragen sich Lobeshymnen einerseits und Einstellung der Förderung andererseits eigentlich miteinander?
Man kann es plakativ an genau diesem Punkt darstellen: Hier werden Dinge angeführt, hier wird geredet, aber nicht zur Sache; vielmehr versucht man allzu billig nach allen Seiten, Schuldige zu finden. Ich fürchte nur, Herr Seehofer, die Zeiten, in denen man Ihnen das in der Öffentlichkeit noch wohlwollend abgenommen hat, sind ein für allemal vorbei.
Keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zu Einzelplan 10.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Wolfgang Gröbl, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Entwurf des Bundeshaushalts 1997 sind für den Agrarbereich Ausgaben in Höhe von rund 12 Milliarden DM vorgesehen. Das sind 0,6 Prozent weniger als im laufenden Jahr. Der Agrarhaushalt ist damit in die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eingebunden, gibt weiterhin Perspektiven für die bäuerliche Zukunft und nimmt Rücksicht auf die derzeit schwierige landwirtschaftliche Situation.
Während die Betriebe mit Marktfruchtbau, Schweine- und Geflügelmast einigermaßen über die Runden kommen
- dank einer guten Agrarpolitik -
- wo er recht hat, hat er recht -, ist die Situation bei Rindfleisch- und Milchproduzenten extrem schwierig. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, daß ich mich in diesen 15 Minuten nicht mit der ganzen Bandbreite der Agrarpolitik beschäftige, sondern mich im wesentlichen diesen beiden Bereichen widme.
Unsere Rindermäster sind infolge der britischen Rinderseuche BSE völlig unverschuldet in das tiefe Tal der Verbraucherverunsicherung gezogen worden
- unverschuldet, weil Deutschland BSE-frei und unser Rindfleisch absolut in Ordnung ist.
Trotzdem ist die Nachfrage auch bei uns deutlich eingebrochen.
Die Erzeugerpreise für Rindfleisch sind im Keller. Nicht viel besser sieht es auf Grund der Preisdruckpolitik der EU-Kommission bei der Milch aus.
Die Bundesregierung hat beschlossen, die Möglichkeit zur Pauschalierung der Vorsteuer auch für buchführungspflichtige Betriebe bis zum 1. Januar 1999 fortzuführen. Dies ist das entscheidende Datum für die Umsetzung der Ergebnisse der Einkommensteuerneuordnung. Die Bauern bekommen damit nicht mehr Geld, wie fälschlicherweise einige Zeitungen geschrieben haben.
Vielmehr haben sie schlicht und einfach nicht weniger als jetzt. Manche sollen das ja mißverstanden haben, so gern es ihnen leid tat.
Dieses Signal der Bundesregierung ist bei den Bauern sehr wohl verstanden worden. Welche Einsparungen dafür im Einzelplan 10 erbracht werden, sollen die Gespräche in den zuständigen Gremien, vor allem des Parlaments, zeigen.
Die Bundesregierung - auch das wissen die Bauern - kämpft darüber hinaus dafür, daß die Perspektiven bei Rindfleisch und Milch wieder besser werden und daß die günstigen Perspektiven bei Getreide nicht durch gleichzeitige willkürliche Eingriffe zunichte gemacht werden.
Zentrale Frage dabei ist, wie wir das Vertrauen der Verbraucher in den hohen Gesundheitswert unseres einwandfreien Rindfleischs wieder stärken können. Dazu müssen erstens die Handelsverbote gegenüber Großbritannien aufrechterhalten werden,
was um so wichtiger ist, solange Großbritannien den diesem Land auferlegten Verpflichtungen zur BSE-Bekämpfung nicht nahtlos Folge leistet.
Zweitens brauchen wir eine konsequente Herkunftssicherung für unser Rindfleisch, damit es wieder in die heimische Pfanne gelangt.
Diese notwendigen, vertrauensbildenden Maßnahmen greifen allerdings nur langfristig. Kurzfristig hätte ich mir von der EU-Kommission Vorschläge gewünscht, die das Vertrauen in die europäische Agrarpolitik festigen. Das Gegenteil ist der Fall.
So nimmt die Kommission die Rindfleischmisere zum Anlaß, die Agrarreform gerade dort, wo sie eindeutig positive Ergebnisse gebracht hat, in Frage zu stellen. Die Getreidebauern sollen durch Kürzung der Preisausgleichszahlungen und der Stillegungsprämien die Stützungsmaßnahmen auf dem Rind-
Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
fleischmarkt finanzieren. Es soll ja auch Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Raum geben, die diese Maßnahme begrüßen.
- Auch ich glaube es fast nicht. Aber die werden sich ja noch äußern.
Für die Bundesregierung ist diese Kürzung der Ausgleichszahlungen weder akzeptabel noch in irgendeiner Weise notwendig. Die Finanzmittel der EU sind zwar knapp, aber sie sind ausreichend. Warum will man denn unbedingt den Ackerbauern jetzt etwas wegnehmen? Der Getreidemarkt funktioniert, die Erzeuger kommen mit der Kombination von Preisen und Beihilfen zwischenzeitlich zurecht, und die Marktordnungsausgaben sind stabil.
Beim Sektor Rindfleisch stehen uns harte Beratungen bevor. Was die Kommission zur Rettung dieses Marktes plant, mag für die extensiven Ochsenmäster und auch für die Mutterkuhhaltung gut sein; für unsere Bullenmäster ist es keine Lösung.
Der Vorschlag für die künftige Prämiengestaltung ist im Ansatz richtig, aber halbherzig. Völlig abwegig ist für uns der Vorschlag der Kommission, die Prämienplafonds bei uns in Deutschland abzusenken und in anderen Mitgliedstaaten anzuheben. Das ist eine einseitige Belastung und Knebelung unserer Rindfleischerzeuger. Wir lehnen das entschieden ab.
Da vermisse ich jetzt Ihren Beifall, Herr Sielaff.
- Das nehme ich zur Kenntnis, Sie kriegen Rabatt.
Richtig ist: Wir haben EU-weit zu viele Prämientiere. Wir fordern daher eine gleichmäßige Kürzung in allen Mitgliedstaaten und aller Prämienplafonds, also für Bullen, für Ochsen und für Mutterkühe, für alle Rindviecher.
Ebenso falsch ist das Festhalten der Kommission an der 90-Tier-Grenze und deren Einführung in den neuen Bundesländern. Wir fordern dagegen die Aufhebung der 90-Tier-Grenze für ganz Europa.
Der EU-Vorschlag, die extensive Rindermast noch stärker zu fördern, übersieht, daß auch ein Zuviel an extensiv gemästeten Tieren die Lage auf dem Rindfleischmarkt verschärft. Wir brauchen keine verschärfenden, wir brauchen kurzfristig entlastende Maßnahmen. Vieles, wie die Erhöhung der Exporterstattungen oder die Sonderintervention, haben wir erreicht. Dadurch konnte ein stärkerer Rückgang der Erzeugerpreise verhindert werden. Natürlich wissen wir, daß die Intervention nicht unproblematisch ist. Sie ist teuer; sie löst das Überschußproblem nicht und verschiebt es lediglich auf einen späteren Zeitpunkt.
Damit nun nicht der gesamte Überschuß auf die Intervention zuläuft, fordern wir zusätzliche Marktentlastungsmaßnahmen wie eine Beihilfe zur privaten Lagerhaltung mit Exportauflage und die Einführung einer Frühvermarktungsprämie. Eine solche Prämie greift natürlich nur dann, wenn die Einfuhren von Kälbern und Jungrindern aus anderen Staaten, insbesondere aus Mittel- und Osteuropa, gebremst werden.
Wir fordern daher die Kommission auf, hierfür unverzüglich die Verhandlungen aufzunehmen.
Handeln muß die Kommission jetzt auch bei der Milch. Der Preisdruckpolitik muß endlich ein Ende gesetzt werden. Schließlich haben wir die Quotenregelung eingeführt, weil wir vernünftige Preise wollten. Das hat ja auch ganz leidlich funktioniert, bis vor etwa drei bis vier Jahren, eben bis zu dem Zeitpunkt, als die Kommission begonnen hat, immer wieder die Interventionsbedingungen zu verschärfen, die Verbilligungsmaßnahmen in bezug auf den Binnenmarkt abzubauen und die Exporterstattungen kontinuierlich zu senken. Derartige Maßnahmen schlagen sofort auf die Erzeugerpreise durch.
Deshalb fordern wir die Kommission auf, alle Möglichkeiten zur Marktstützung voll auszuschöpfen. Darüber hinaus fordern wir erneut eine europaweite Kürzung der Milchquoten gegen Ausgleichszahlungen. Denn damit verringern wir das überschüssige Milchangebot, tragen zur Stabilisierung der Milcherzeugerpreise bei und bewirken mittelfristig auch eine Entlastung des Rindfleischmarkts. Man muß diese beiden Bereiche ja im Zusammenhang sehen. Das sind die Fakten; das ist in groben Zügen unsere Verhandlungslinie.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bereits 1999 stehen die WTO-II-Verhandlungen an. Nach der Jahrtausendwende beginnt die schrittweise Osterweiterung der EU. Das alles sind große Herausforderungen für die Landwirtschaft, die es zu meistern gilt.
Dazu braucht die Landwirtschaft unsere Unterstützung. An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders an die Kolleginnen und Kollegen wenden, die nicht so wie wir ständig mit den Problemen der Agrarpolitik konfrontiert sind. Wir brauchen auch ihre Solidarität mit der Landwirtschaft.
Denn unsere Landwirtschaft versorgt unsere Verbraucher nicht nur mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen und in einer noch nie dagewesenen Vielfalt; sie erschließt ein riesiges Potential nachwachsender Rohstoffe für die Industrie - inzwischen ist auch Hanf darunter -, und sie pflegt unsere Kultur- und Erholungslandschaft. Der Bauernstand ist ein wichtiger, prägender Kulturträger unserer Gesellschaft. Unsere Landwirtschaft
Parl. Staatssekretär Wolfgang Gröbl
erfüllt vielfältige Aufgaben, auf deren Bewältigung wir alle nicht verzichten wollen.
Deutschland braucht seine „grünen Berufe"; ich meine nicht die in der Mitte unseres Plenums.
Deutschland braucht seine Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.
Deshalb sparen wir, ohne den Rasenmäher einzusetzen. Deshalb setzen wir Prioritäten bei der Sozialpolitik, weil diese Mittel direkt bei den Bäuerinnen und Bauern ankommen. Deshalb haben wir unsere Ressortforschung so konzipiert, daß sie wirksamer und preiswerter zugleich arbeiten kann. Deshalb führen wir die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe so behutsam zurück, daß es nicht zu spürbaren Einbußen beim Einkommen der Landwirte kommen muß, insbesondere nicht bei der einzelbetrieblichen Investitionsförderung und der Ausgleichszulage.
Die Bäuerinnen und Bauern wissen das. Und Sie, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wissen es spätestens jetzt auch. Deshalb sage ich: Unterstützen Sie uns auf diesem Weg bei den anstehenden Haushaltsberatungen!
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Horst Sielaff.
Herr Präsident! Zunächst möchte ich dem Landwirtschaftsminister gute Genesungswünsche übermitteln. Ich hoffe, daß er bald wieder voll arbeitsfähig ist.
Gerade angesichts der Pläne des Gesundheitsministers ist das wichtig. Ich glaube, wir werden uns freuen, wenn er wieder gesund unter uns sein kann.
Es war sicherlich entlarvend, lieber Herr Gröbl, daß Sie eben vorwiegend über die EU-Agrarpolitik gesprochen und fast gar nicht den eigenen Haushalt erwähnt haben. Sie tun so, als wäre die Bundesrepublik Deutschland an der EU-Politik überhaupt nicht beteiligt. Dabei hat der Agrarministerrat alles vorwiegend gemeinsam erarbeitet und beschlossen.
Dieser Agrarhaushalt ist ziel- und perspektivlos. Der Agraretat wird schon im dritten Jahr gekürzt. Trotzdem wird der von Waigel verkündete strikte Sparkurs nicht eingehalten. Die Kürzungen, die vorgenommen wurden, scheinen ohne Sinn und Verstand gemacht zu sein.
Einige Beispiele zur Illustration. Je schlechter es der deutschen Landwirtschaft geht, um so stärker steigen die Ausgaben an knappen Steuermitteln für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministers.
Gegenüber 1,7 Millionen DM sollen 1997 für die Öffentlichkeitsarbeit 2,6 Millionen DM ausgegeben werden. Das ist eine Steigerung von rund 55 Prozent.
Die perspektivlose Agrarpolitik der Bundesregierung soll offensichtlich gutgeschrieben und schöngeredet werden.
Die Schaffung einer ganz neuen, zusätzlichen Abteilung für Kommunikation zum Amtsantritt des Ministers und die Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit - so sieht offensichtlich die Vorstellung dieser Bundesregierung von einem schlanken Staat aus.
Es wäre 1996 an der Zeit gewesen, mit dem Haushalt für 1997 den Mißgriff vom Anfang der Amtsperiode zu bereinigen. Die wirklich wichtigen Aufgaben dieser Abteilung könnten neu verteilt und die Abteilungsleiterstelle eingespart werden. Dies wäre auch eine glaubhafte Geste gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Forschungseinrichtungen des BML gewesen.
Deren Etat und Mitarbeiterzahl wird schrumpfen: in zehn Jahren um ein Drittel; so lautet jedenfalls der Beschluß der Bundesregierung. Das ist das Schrumpfen eines Bereichs, der Lösungen für Zukunftsaufgaben vor allem in defizitären Forschungsbereichen erarbeiten sollte, wie die von uns seinerzeit beantragte und durchgeführte Anhörung von Experten es gezeigt hat.
Dabei handelt es sich um Strukturprobleme in ländlichen Räumen, die Ernährungsforschung für die Verbraucher, die Viehseuchenforschung, die Erhaltung der genetischen Ressourcen, Fragen und Probleme der Gen- und Biotechnologie und Welternährungsprobleme. Doch bei Zukunftsaufgaben wird gekürzt, bei rückwärtsgerichteten Propagandaaufgaben geklotzt. Einzige Ausnahme: Die Zuschüsse zur Förderung nachwachsender Rohstoffe werden im Haushalt 1997 geringfügig aufgestockt; das hat auch Herr Gröbl gesagt.
Sofern die Ergebnisse ökologisch und ökonomisch vertretbar sind, unterstützen wir das ausdrücklich. Angesichts des Rückgangs der Flächenstillegung muß sich jedoch zeigen, welche Marktmacht nachwachsende Rohstoffe nunmehr erreicht haben. Die Bundesregierung hat, wie ich meine, zu lange einseitig auf Raps und die energetisch aufwendige Veresterung gesetzt.
Horst Sielaff
Über die Verwendung und Nutzung von heimischem Holz ist dagegen erschreckend wenig geforscht worden.
Es ist jetzt an der Zeit, daß die Bundesregierung einmal lückenlos darstellt, welche wettbewerbsfähigen Einsatzfelder für nachwachsende Rohstoffe im Nichtnahrungsbereich mit wieviel Förderung bisher erschlossen werden konnten.
Die Situation der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ist alles andere als gut. Sie ist gekennzeichnet - ich nenne nur wenige Beispiele - durch fortdauernden Preisdruck bei Milch, Verfall der Rindfleischpreise, stagnierende und rückläufige Einkommen.
Besonders prekär ist die Situation in den Rindermast- und Milchviehbetrieben, wozu die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe bei uns gehört. Die Situation verschärft sich in den Gebieten, in denen diese Produktionsausrichtungen konzentriert sind.
Sichtbarer Ausdruck der existenzbedrohenden Lage waren sicherlich die Pfiffe vor wenigen Tagen in Leer. Wenn Bäuerinnen und Bauern konservative Politiker nicht zu Wort kommen lassen, muß die Existenzangst schon groß sein.
Die trostlose Situation auf dem Rindfleischmarkt haben Sie, Herr Staatssekretär, richtig beschrieben und angesprochen. Hier gehen wir - ich hoffe, bis zum Ende - gemeinsame Schritte. Wir können es nicht hinnehmen, daß die hierzu von der EU gefaßten Beschlüsse wieder aufgeweicht werden.
Aber die Situation ist nicht allein Resultat des BSE-Geschehens in Großbritannien. Die mittelmäßige Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Unternehmen im EU-Binnenmarkt hat nichts mit dem britischen BSE-Skandal zu tun. Sie ist auch Ausdruck einer verfehlten und verpaßten Politik in den zurückliegenden Jahren, die genauso falsch weitergeführt werden soll.
Die Bundesregierung spart bei Investitionen zur Entwicklung wettbewerbsfähiger und umweltverträglicher landwirtschaftlicher Unternehmen und zur Entwicklung ländlicher Räume. Nicht genug damit! Nach Planungen der Bundesregierung soll die Investitionsförderung kontinuierlich bis zum Jahre 2000 um rund 600 Millionen DM zurückgefahren werden. Wie die deutsche Landwirtschaft so aus ihrer mittelmäßigen Wettbewerbsstellung im EU-Binnenmarkt herauskommen soll, muß uns die Bundesregierung einmal erklären.
Statt dessen werden knappe öffentliche Mittel ziellos verteilt oder - besser ausgedrückt - verregnet. Die Verregnung von 415 Millionen DM über die Unfallversicherung, als Währungsausgleich gedacht, ist einer dieser Mißgriffe.
Ein gezielter Ausgleich tatsächlicher Verluste durch Wechselkursverschiebungen in den Marktordnungsbereichen erfolgt nicht. Die Nichtbetroffenen werden begünstigt, Betroffene erhalten hingegen nicht die notwendigen Finanzmittel.
Es wäre viel gerechter und zukunftsträchtiger, die zur Verfügung gestellten knappen öffentlichen Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Produktion und Vermarktung zu verwenden. Jede Mark, die für die Investitionsförderung aufgewendet wird, ist im Interesse des Erhalts und des Ausbaus der ländlichen Wertschöpfung und damit der Beschäftigung besser angelegt als die ziellose Verregnung im wesentlichen für konsumtive Zwecke.
Abgesehen davon schafft sich die Bundesregierung mit dem Mißbrauch sozialpolitischer Instrumente zur breitgestreuten Verteilung von Steuergeldern zusätzlich Arbeit und holt den Trägern der Sozialversicherungen und sich selbst Ärger ins Haus. Die gut 1 Milliarde DM Steuergelder, die zur Senkung der Unternehmerbeiträge in der Unfallversicherung 1996 aufgewendet wurden, sollen nach der Finanzplanung der Bundesregierung scheibchenweise auf 315 Millionen DM im Jahre 2000 gesenkt werden.
Entsprechend der Senkung müssen die von den Bauern zu zahlenden Unternehmerbeiträge steigen. Ich kann mir gut vorstellen, Herr Hornung, wie das in den landwirtschaftlichen Familien bei sinkenden Einkommen von jetzt an Jahr für Jahr ankommen wird. Es wird nicht nur Proteste hageln - diese zu Recht -, sondern ich bin auch gespannt, wie das die Kommunikationsabteilung des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kompensieren und beschreiben wird. Offensichtlich wurden deshalb die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit aufgestockt.
Ähnlich ist es mit der Verschiebung der von der Bundesregierung beabsichtigten Streichung der Vorsteuerpauschale für buchführende landwirtschaftliche Unternehmen. Die seit Jahren gewährten Subventionen in Höhe von 600 Millionen DM jährlich sollen nun für bestimmte Unternehmen zwei Jahre fortgesetzt werden. Um einen zusätzlichen Ausgleich für BSE-geschädigte Betriebe handelt es sich hier jedoch in keiner Weise, wie vielfach der Presse zu entnehmen war.
Wir wissen, daß einigen Betrieben Einbußen aus dieser Streichung entstehen werden. Ob und wie wir bestimmte Betriebe mit sinnvollen Ausgleichsmaßnahmen zielgerichtet und ökologisch sinnvoll unterstützen können, darüber muß man nachdenken. Aber Landwirte sind Unternehmer - das betonen sie auch immer wieder -, verstehen sich als solche und sollten daher auch wie andere Unternehmer in steuerlicher Weise behandelt werden.
Horst Sielaff
CDU/CSU und F.D.P. sind im Gleichschritt mit ihrer Bundesregierung dabei, die Axt an wieder und neu eingerichtete landwirtschaftliche Unternehmen in den neuen Bundesländern zu legen, wenn sie an der 4. Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz in der vorliegenden Form festhalten.
Betrieben, die vielfach sehr effektiv wirtschaften, würden so große Steine in den Weg gelegt werden, daß sie das Handtuch werfen. Die Regierungsparteien würden sich zum Erfüllungsgehilfen sehr einseitiger Interessengruppen machen. Die schmerzlichen und unrechtmäßigen Enteignungen würden nicht geheilt. Statt dessen brächte die Novelle Unsicherheit, neue Unruhe und Unfrieden in die Unternehmen und Dörfer.
Der Bundeslandwirtschaftsminister verkündet landauf, landab, die Preisausgleichszahlungen aus der Agrarreform seien fest und verläßlich. Er verschweigt tunlichst, daß er selber der Ackerkulturenverordnung von 1992 zugestimmt hat. Sie sieht in Art. 15 ausdrücklich eine Überprüfung der Zahlungen bei Änderungen der Produktivität und der Marktpreise vor. Kein Wunder, wenn jetzt bei den Beratungen hierzu in Brüssel Unmut bei den Landwirten aufkommt.
Nicht anders verhält es sich mit dem Engagement der Bundesregierung auf europäischer Ebene. Minister Borchert und offensichtlich auch Herr Gröbl reagieren nur, warten immer die Initiativen anderer ab. Es gibt praktisch keine Impulse für bald anstehende wichtige Ereignisse, die lediglich angesprochen worden sind.
Der Agrarminister sagt nicht, wie die Milchmarktpolitik nach Auslaufen der jetzigen Quotenregelung im Jahr 2000 fortgeführt werden soll. Er entwickelt keine eigenen Vorstellungen, wie es mit GATT und WTO in der zweiten Runde weitergehen soll, welche Konsequenzen sich aus den Freihandelsaktivitäten des Außen- und Wirtschaftsministers für die Landwirtschaft ergeben, obwohl die Verhandlungen schon 1997 weitergehen sollen.
Der Minister hat kein Konzept, wie aus agrarpolitischer Sicht mit der bevorstehenden und vielbeschworenen Osterweiterung der EU umgegangen werden soll, obwohl gerade die Agrarpolitik bei der Erweiterung in besonderem Maße betroffen sein wird. Er hat keine phantasievollen Lösungen dafür, ob und wie im einzelnen die Agrarreform weiterzuentwickeln ist.
Wir haben, meine Damen und Herren, mit unserer Großen Anfrage „Zu den Auswirkungen und der Zukunft der Garantiemengenregelung Milch in Deutschland" bereits Anfang 1995 und mit der Großen Anfrage „Zukunft der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der EU-Agrarreform, der Osterweiterung und GATT-WTO" im März dieses Jahres Zukunftsfragen der Landwirtschaft in Europa aufgegriffen. Die Antworten der Bundesregierung sind leider enttäuschend. Abwarten ist die Devise der Bundesregierung. Vielleicht will man sich nicht in die Karten sehen lassen. Vielleicht befürchtet die Bundesregierung, daß ihre Verhandlungsstrategie - sofern sie wirklich eine hat - in Brüssel zum gegebenen Zeitpunkt gestört oder durchkreuzt wird. Ich werte das auch als Ausdruck mangelnden Mutes, Verantwortung zu übernehmen, sich der Kritik zu stellen und damit auseinanderzusetzen.
Unverständlich ist ferner - lassen Sie mich das als letzten Punkt ansprechen - die Behandlung der Nebenerwerbslandwirte durch die Bundesregierung bei der sogenannten Reform der Arbeitsförderung. In agrarpolitischen Sonntagsreden äußert sich die Bundesregierung gern über die unverzichtbare Rolle der Nebenerwerbslandwirtschaft für die Erhaltung der sozialen Strukturen in den Dörfern und der Kulturlandschaft.
- Eben! - Aber, Herr Michels, der von CDU/CSU und F.D.P. im Hohen Haus eingebrachte Gesetzentwurf enthält massive soziale Ungerechtigkeiten für viele Nebenerwerbslandwirte im Falle der Arbeitslosigkeit. Wir werden das so nicht hinnehmen und versuchen, spätestens mit Hilfe des Bundesrates das wieder ins richtige Lot zu bringen. Gerade in den Gebieten, in denen der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe sehr groß ist und wo sie aus sozialen und ökologischen Gründen eine große Bedeutung haben, beispielsweise in vielen Mittelgebirgen, wäre eine solche Politik fatal.
Meine Damen und Herren, die Weichen müssen endlich so gestellt werden, daß die deutsche Haupterwerbslandwirtschaft wettbewerbsfähig im EU-Binnenmarkt mithalten kann und die Nebenerwerbslandwirtschaft wegen ihrer gesellschaftspolitischen Aufgaben nicht vor die Hunde geht.
Die Bundesregierung muß endlich die Zeichen der Zeit erkennen und richtige Schwerpunkte im Haushalt und damit in ihrer Politik setzen. Leider wird die Bundesregierung auch in der heutigen Debatte diesem Anspruch in keiner Weise gerecht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerne schließe ich mich den Genesungswünschen für Herrn Minister Borchert, die Herr Sielaff ausgespro-
Bartholomäus Kalb
chen hat, an. Ich denke, ich darf das im Namen des ganzen Hauses tun.
Wir freuen uns natürlich sehr, wenn er bald, wieder voll hergestellt, seine Geschäfte aufnehmen kann.
Aber im Gegensatz zu Ihnen darf ich auch Staatssekretär Gröbl sehr herzlich gratulieren zu seiner ausgezeichneten Rede, zu seiner Einbringungsrede, die er hier an Ministers Statt, quasi als Vizeminister, gehalten hat.
In diesen Tagen lese ich in dem Magazin eines Industrieunternehmens einen Beitrag über die Landwirtschaft und das gesellschaftliche Umfeld, in dem sich unsere Landwirtschaft bewegt.
Herr Kollege Kalb, Zwischenfragenbegehren.
Ich kann doch dem Vorsitzenden des Agrarausschusses eine Zwischenfrage nicht verwehren.
Ich wollte zu Ihrer Eingangsbemerkung nur fragen, Herr Kollege Kalb: Stimmen Sie mir zu, daß auch die Operation bei Bundesminister Borchert gezeigt hat, daß er Rückgrat hat?
Genauso ist es, und zwar ein sehr stabiles.
Sekunde, Herr Kollege Kalb. - Ich weiß nicht, Herr Schily, ob das unter die Rubrik „Dreiecksfrage" fällt, aber ich glaube nicht.
Bitte fahren Sie fort.
Ich darf aus diesem Beitrag zitieren:
Oft genug hört oder liest man, die Landwirtschaft sei ein unbedeutender Wirtschaftssektor geworden, der weniger als 1 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschafte, nur noch 3 Prozent der Erwerbstätigen beschäftige und außerdem noch hoch subventioniert sei. Da liegt es nahe zu meinen, man könne in Deutschland auf Landwirtschaft möglichst ganz verzichten und „das bißchen Landnahrungsmittel" billiger importieren. Die Wirklichkeit sieht jedoch völlig anders aus. Unsere Landwirtschaft erzeugt nicht nur Nahrung und Industrierohstoffe. Das ist zwar sicherlich ihre Hauptaufgabe, aber sie ist darüber hinaus auf vielfältige Weise mit den übrigen Wirtschaftsbereichen verbunden.
Sie ist Arbeitgeber, Käufer von Investitionsgütern und Betriebsmitteln, sie ist Kunde auf dem Kapitalmarkt, Lieferant von Rohstoffen für die Lebensmittel- und die chemische Industrie und gleichzeitig eine eigenständige Vermarktungsbranche. Die Landwirtschaft ist also kein autarker Wirtschaftszweig, sondern als unverzichtbarer Bestandteil in unserer Volkswirtschaft verwoben.
Dies
- ich erwähne noch einmal: das steht in einem Industriemagazin -
ist jedoch nur die volkswirtschaftliche Seite der Leistungsmedaille. Auf der anderen Seite, vielleicht noch wichtigeren Seite, stehen die gesellschaftlichen Leistungen, die nicht in harten Zahlen zu Buche schlagen. Es sind vor allem die ökologischen und landschaftspflegerischen Leistungen der Landwirte, die sich kaum in Geldwerten ausdrücken lassen. Das unverwechselbare Landschaftsbild zwischen der Küste im Norden und den Alpen im Süden ist so vielgestaltig und abwechslungsreich wie kaum ein anderes auf der Erde. Es ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen bäuerlichen Kulturarbeit, die auch heute und in Zukunft fortgesetzt wird.
Mir hat dieser Beitrag sehr gut gefallen, weil ich mich voll mit ihm identifizieren kann. - Er deckt sich im übrigen auch mit dem, was Herr Staatssekretär am Schluß seiner Rede zum Ausdruck gebracht hat. - Damit werden, so meine ich, in sehr zutreffender Weise die vielfältigen und für eine Wohlstandsgesellschaft unverzichtbaren Aufgaben und Leistungen der Landwirtschaft beschrieben.
Im Mittelpunkt unserer agrarpolitischen Überlegungen und Maßnahmen stehen natürlich die Landwirte, ihre Familien und ihre Existenzen. Ihre - insbesondere gegenwärtig zum Teil sehr akuten - Sorgen, von denen bereits die Rede war, sind auch unsere Sorgen. Aber Agrarpolitik ist nicht nur Politik für die Landwirtschaft, sondern eben sehr viel mehr.
Aus den vorgenannten Gründen ist Landwirtschaft eine Sache, die uns alle angeht. So gesehen kommen die Leistungen für die Landwirtschaft nicht nur dieser zugute, sondern vielen Bereichen unserer Gesellschaft - also Bereichen weit über die Landwirtschaft hinaus.
Nur wenn wir bereit sind, die Leistungen der Landwirtschaft in einem gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen
Bartholomäus Kalb
und zu werten, werden wir auch ihrer Bedeutung gerecht.
Exakt diese Gesamtbetrachtung landwirtschaftlicher Leistung für unser Gemeinwesen war für die Koalitionsparteien Grundlage für die Fortentwicklung der Agrarpolitik. Wir müssen auch in der gesellschaftlichen Diskussion immer wieder die Fragen stellen: Welche Leistungen erwarten wir von unserer Landwirtschaft? Welche Leistungen werden über die Produktpreise entgolten und welche nicht und müssen demzufolge, wenn wir sie als Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen, über öffentliche Transfers bezahlt werden? Die Diskussion darüber wurde zwar immer wieder geführt, aber zu keinem Abschluß gebracht. Demzufolge fehlen uns zum Teil der gesellschaftliche und teilweise auch der politische Grundkonsens und somit die Basis, von der aus die Agrarpolitik weiterentwickelt werden könnte. Begünstigt wird dieser Umstand durch die Tatsache, daß es unterschiedliche Zuständigkeiten und Zielsetzungen in Teilbereichen der Agrarpolitik der verschiedenen politischen Ebenen - zum Beispiel auf der Ebene der Europäischen Union, des Bundes und der Länder - gibt.
Ich will dies an einem Beispiel deutlich machen: Die EU zahlt, weil für den Markt zuständig, entsprechend der EG-Agrarreform einen flächenbezogenen Preisausgleich für Getreide. Die Länder, weil besonders für Natur und Umwelt zuständig, sorgen sich um die flächendeckende Landbewirtschaftung und bieten Kulturlandschaftsprogramme und ähnliche Dinge an zum Teil unterstützt durch Mittel der EU und des Bundes. Zugleich wird aber kritisch über die Flächenprämien der EU diskutiert.
In beiden Fällen, so meine Meinung, wird aber durch diese Transferleistung, unabhängig von der jeweiligen Ausgangslage und Motivation, sichergestellt, daß flächendeckende Landwirtschaft betrieben werden kann, daß die Landschaft als Kulturlandschaft erhalten werden kann. Wie vorhin ausgeführt, erbringt die Landwirtschaft also durch ihr Tätigwerden, durch ihr Wirtschaften und Bewirtschaften eine Leistung, die wir alle wollen und die sie ohne diese öffentlichen Transfermittel nicht mehr erbringen könnte.
Insofern halte ich die aufgekommene Diskussion und die dahinter stehenden Absichten - es wurde ja bereits über die Höhe der Ausgleichszahlungen gesprochen, wie sie im Rahmen der EG-Agrarreform vereinbart wurden - für schädlich. Worüber gegebenenfalls nachgedacht werden muß, ist, inwieweit ab bestimmten Größenordnungen betriebswirtschaftliche Vorteile Berücksichtigung finden und zu einer Degression führen könnten.
Ich bin sehr der Meinung, daß sich jeder landwirtschaftliche Unternehmer - je nach Eignung, Neigung und Fähigkeit - Möglichkeiten der Nischenproduktion oder des Zuerwerbs zur Absicherung seiner Existenz erschließen sollte. Mit den Mitteln, wie sie Ende dieses Jahres die bayerische SPD vorgeschlagen hat, scheinen mir allerdings die Probleme der Landwirtschaft nicht lösbar zu sein.
- Sonst hört man sowieso nichts mehr von denen.
Laut Bericht von Oliver Platzer in der „Passauer Neuen Presse" vom 27. Juli 1996 mit der Überschrift „Bayern-SPD will Bauern mit Roßkuren retten" haben Bayerns Sozialdemokraten unkonventionelle Vorschläge in die Diskussion gebracht, mit denen sie der Landwirtschaft aus der Krise helfen wollen. Ich zitiere wörtlich:
Einige Beispiele für diese Ideen sind die „individuellen Sonderformen des Zuerwerbs": Danach erschließt sich der moderne Landwirt auf dem „Markt der 1 000 Möglichkeiten" seine künftige Einkommensquelle, indem er eine Reha-Klinik für Pferde einrichtet, indem er sich in den schwunghaften Handel mit gebrauchten Schneeketten für Schlepperfahrzeuge einschaltet. Oder, indem er sich neben den täglichen Pflichten wie Pflügen, Melken und Ackern als Kinderbuch-Autor verdingt.
Ich jedenfalls hätte diese Fähigkeit nicht.
Die bayerische SPD-Vorsitzende - einige von Ihnen werden sie noch kennen - spricht in diesem Zusammenhang, so der Bericht, davon, daß die bisherigen Leistungen für die Landwirtschaft hinausgeschmissenes Geld seien, und fordert auf derselben Pressekonferenz die Abschaffung der Mineralölsteuerrückvergütung. Mit so unterschiedlichen und widersprüchlichen Ansätzen in der Landwirtschaft wird sicher kein Staat zu machen sein, Herr Kollege Sielaff.
Seit ich mich mit Agrarpolitik befasse, weiß ich um die Sorgen und Klagen aus der Landwirtschaft. Wer sich mit der gegenwärtigen Lage der Landwirtschaft, insbesondere mit der von Rindfleisch- und Milcherzeugern, befaßt, wird nicht mehr milde lächelnd, ignorierend darüber hinweggehen können.
Viele Betriebe sind wegen der bereits angesprochenen BSE-Problematik unverschuldet in eine schwierige - zum Teil in eine äußerst schwierige - Situation geraten. Dies werden wir nicht allein mit dem Einsatz öffentlicher Mittel bewältigen können. Wenn es nicht gelingt, in einer konzertierten Aktion von Politik, Erzeugern, Vermarktern und den übrigen Marktbeteiligten das Vertrauen der Verbraucher für die hochwertigen Produkte deutscher Landwirtschaft zu gewinnen, wie es der Staatssekretär und auch der bayerische Präsident des Bauernverbandes, Sonnleitner, zum Ausdruck gebracht haben, bleiben alle übrigen Maßnahmen nur von sehr begrenzter Wirkung.
Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß die Bundesregierung alles unternimmt,
Bartholomäus Kalb
um Hilfestellung zu gewähren, und durch die Rücknahme bereits angekündigter Maßnahmen dazu beiträgt, den zusätzlichen wirtschaftlichen Druck - ich spreche wohlgemerkt von zusätzlichem Druck - vieler Betriebe zu verringern. So soll ihnen geholfen werden, die gegenwärtige Situation besser bewältigen zu können.
Allerdings gebietet es die Redlichkeit gegenüber der Landwirtschaft, darauf hinzuweisen, daß das Thema Vorsteuerpauschale nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben sein kann.
Ich sage ganz freimütig: Alle mir bisher bekannten Argumente - ich möchte das vorsichtig ausdrücken - widerlegen die Auffassung des Bundesrechnungshofes nicht. Ich halte es aber für sinnvoll und richtig, wie es die Minister Waigel und Borchert vereinbart haben und was vom Kabinett so beschlossen worden ist, diese Regelung zusammen mit dem Inkrafttreten grundlegender steuerlicher Änderungen zu treffen. Das wird nach Lage der Dinge und gegenwärtigem Stand zum 1. Januar 1999 der Fall sein.
Lieber Herr Kollege Sielaff, Sie haben davon gesprochen, daß Kürzungen ohne Sinn und Verstand vorgenommen werden.
Haben Sie nicht gemerkt, daß wir bei allen Sparmaßnahmen, sowohl des gegenwärtigen Haushalts als auch der früheren Haushalte, sehr genau darauf geachtet haben, daß die unmittelbar einkommenswirksamen Maßnahmen von allen Kürzungen ausgenommen worden sind? Sie selber haben angesprochen, daß wir im letzten Jahr zusätzliche Leistungen erbracht haben, um einen Ausgleich für die Währungsdisparitäten vornehmen zu können. Das scheint Ihnen völlig entgangen zu sein.
Ich möchte noch ein Zweites sagen. Ihre Rede war teilweise interessant. Die Alternativen, die Sie aufgezeigt haben, waren aber mehr als mäßig.
Wenn Sie meinen, die einzige Alternative zur Sanierung des Haushalts und zur Schwerpunktsetzung Ihrer agrarpolitischen Ziele bestehe darin, eine Abteilungsleiterstelle im BML abzuschaffen, dann ist das doch arg wenig, wenn ich das einmal so sagen darf.
Im übrigen haben Sie sich auf die Öffentlichkeitsarbeit bezogen, sind auf Details eingegangen, die nur von sekundärer und temporärer Bedeutung sind, und haben die Beratung im Haushaltsausschuß vorweggenommen. Wir Berichterstatter, die Kollegin Ilse Janz und ich, sind wegen Ihrer parlamentarischen Äußerung schon so in Schrecken versetzt worden, daß wir uns gar nicht mehr trauen, bei diesem Titel noch eine Kürzung vorzunehmen. Dann nämlich könnte der Eindruck entstehen, wir täten dies nur aus Angst und Respekt vor Ihnen. Soviel Angst und Respekt habe ich jedenfalls mit Sicherheit nicht.
Diese Freude können wir Ihnen nicht machen.
Ich will jetzt, weil die Uhr bereits das Ende meiner Redezeit anzeigt, auf die anderen Punkte nicht mehr eingehen. Ich möchte aber schon noch, Herr Kollege Sielaff, deutlich unterstreichen: Wir haben die Schwerpunkte gesetzt. Wir haben bei allem Zwang zum Sparen dafür gesorgt, daß die Landwirtschaft in den Bereichen nicht berührt wird, in denen ihre wesentlichen Interessen liegen, in denen es vor allen Dingen auch darum geht, sicherzustellen, daß in einer außergewöhnlich schwierigen Situation nicht auch noch die unmittelbar einkommenswirksamen Maßnahmen angerührt werden. Das wird auch im weiteren Beratungsverfahren, das wir dann im Haushaltsausschuß zu bewältigen haben, unsere Maxime sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche nicht, daß die bundesdeutsche Landwirtschaft jemals in die Situation kommt, auf Ihre Alternativen angewiesen zu sein
- nein, die Landwirtschaft müßte Angst haben, wir nicht - oder gar auf jene, die ich vorhin kurz anreißen konnte, die einige irgendwo in den Landesverbänden der SPD entwickeln und von sich geben, die auf der einen Seite große Sprüche machen und große Versprechungen abgeben, auf der anderen Seite aber alles tun, um den Landwirten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Frau Kollegin Ulrike Höfken, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muß doch zuerst einmal fragen, Herr Kalb: Welches Geld meinen Sie denn? Es kann doch nur noch bergauf gehen, auch mit einer SPD-Regierung.
Das Bild der Landwirtschaft hat ganz offensichtlich einen Sprung. Denn was wir heute in den Schlagzeilen sehen, ist doch nicht etwa das wunderbare Bild der Landwirtschaft, das wir uns hier vielleicht gerne malen würden, sondern man sieht Schweine mit Antibiotika-Rückständen, verseucht bis auf die Knochen.
- Das steht nicht nur in der „taz" , sondern das ist durchaus Realität.
Da nutzen auch die Fensterreden nicht. Das sind auch nicht die Antworten, die die Verbraucherinnen und Verbraucher oder die Bauern von Ihnen haben
Ulrike Höfken
wollen, sondern sie wollen andere Antworten auf ihre tatsächlichen Probleme haben.
Der Haushalt, den Sie heute vorgelegt haben, gibt diese Antworten nun wahrlich nicht; er ist ein Haushalt des Versagens.
Erstens. Die zentrale Aufgabe, das Überleben der Landwirtschaft zu sichern, die Sie doch so hoch loben - wie wir auch -, haben Sie nicht erfüllt; denn von Überleben kann keine Rede sein. Zweitens. Notwendige Innovationen werden behindert. Drittens. Es wird nicht real gespart, sondern Finanzrisiken und Finanzierungslücken sind Bestandteile der Agrarpolitik der Bundesregierung. Viertens. Finanzierungsmittel werden uneffektiv eingesetzt. Fünftens. Innovationspotentiale werden nicht genutzt.
Die kaum bestrittene Misere wird verwaltet. Die wenigen Ansätze, die zu einer Neuorientierung genutzt werden könnten, wie die Gemeinschaftsaufgabe, werden zurückgenommen - und das nicht behutsam, sondern ganz gewaltig. Die Kürzungen im Haushalt um 75 Millionen DM sind um so problematischer, als damit kein zukunftsweisendes Konzept verbunden ist, und das angesichts der Tatsache - auf die Herr Kalb noch einmal hingewiesen hat -, daß in Zukunft noch eine erhebliche Mehrbelastung auf die Landwirtschaft zukommt.
Wir wollen eine grundsätzliche Orientierung der Landwirtschaft auf den Markt und eine Abkehr von der bisherigen Agrarpolitik, die den Bauern niedrige Erzeugerpreise verordnet, Massenproduktion statt Qualitätsproduktion fördert und Milliarden Haushaltsgelder verschlingt.
Wir wollen die Ausrichtung auf die berechtigten Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher, auf unbelastete Nahrungsmittel und sauberes Wasser. Wir wollen auch, daß die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht für die Folgeschäden der heutigen Agrarpolitik herangezogen werden.
Eine Landwirtschaft, die auf „Subventionen" verzichten kann, kann nur eine umweltgerechte Landwirtschaft sein. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher - damit das nicht wieder kommt - steht einem eher geringen Anstieg der Verbraucherpreise eine längerfristige Einsparung in erheblichem Ausmaß im Gebühren- und Steuerbereich gegenüber.
Auf eine solche Neuausrichtung muß auch die EU-Agrarpolitik ausgerichtet werden - eine Reform der Reform, die schon lange im Gange ist, wozu Sie kein Konzept vorgelegt haben, sondern abwarten, bis Sie von den Tatsachen überholt werden, genau wie bei der Milchquote.
Eine solche Diskussion gehört in den nächsten Jahren natürlich auch in die GATT- bzw. in die WTO-Verhandlungen.
Wir fordern Einsparungen bei den EU-Mitteln im europäischen Konsens, nicht als nationalen Alleingang, wie Bayern das tut, obwohl ich glaube, daß die europäische Agrarpolitik die abschreckendste Europapolitik ist, die man sich denken kann. Bei den meisten Betrieben kommt nur ein sehr geringer Anteil der Finanzmittel des Staates, der Länder und des Bundes, an.
Die Umstrukturierung der Agrarpolitik der Europäischen Union kann nicht von heute auf morgen erfolgen, sondern nur als langsamer Umbau in ZehnJahres-Schritten. Die Reduzierung der über 100 Marktordnungsmaßnahmen, die Einschränkung der Intervention, die Marktöffnung, die Lagerhaltung und die Streichung der Exporterstattung sollen zugunsten einer Modernisierung und Ökologisierung der Agrarproduktion in den nächsten zehn Jahren genutzt werden. Das bedeutet auch ein schrittweises Auslaufen der staatlichen Gelder - bei gleichzeitiger Sicherung der Lebensmittelproduktion, der Umwelt, der Betriebe und auch der Einkommen der Menschen, die in der Landwirtschaft dann auch in Zukunft noch arbeiten können.
Zum zweiten Punkt: Innovationshemmnisse im Zusammenhang mit BSE. Das größte Hemmnis, das Sie als verantwortliche Regierung der Landwirtschaft in den Weg gelegt haben, ist die Nichteinführung der Herkunftskennzeichnung. Man kann vielleicht eine „Herodes-Prämie" befürworten, die das Abschlachten von 20 Tage alten Kälbern ermöglicht, wie Sie das auf der europäischen Ebene tun. Das eigentliche Hemmnis zur Wiederstabilisierung des Marktes aber ist die fehlende Einführung der Herkunftskennzeichnung. Das liegt auch im Verantwortungsbereich Ihrer Politik.
Weiterhin ist die regionale Erfassung, Vermarktung und Verarbeitung unterentwickelt und von der Förderung ungenügend berücksichtigt. Hier ist eine veränderte Schwerpunktsetzung in der Gemeinschaftsaufgabe vorzunehmen.
Zur Innovation gehört auch eine ökologische Steuerreform in der Landwirtschaft.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gröbl?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Kollegin Höfken, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel
Wolfgang Gröbl
es entschieden abgelehnt hat, diese sogenannte Herodes-Prämie als obligatorisch für alle EU-Mitgliedstaaten zu akzeptieren?
Sie haben vielleicht abgelehnt, diese „Herodes-Prämie" obligatorisch zu machen. Sie haben sie aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Ich denke, eine Maßnahme, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen offenkundig schwachsinnig ist, sollten Sie nicht in dieser Form unterstützen.
Ich mache weiter beim dritten Punkt, bei dem die Bundesregierung versagt hat: beim Sparen. Wenn der Kollege Fuchtel von der CDU/CSU heute morgen erklärt, daß sich die Kosten für 100 000 arbeitslose Menschen auf 3 bis 4 Milliarden DM pro Jahr belaufen, dann ist der Agrarbereich ein regelrechtes Faß ohne Boden: Es fallen pro Monat 4 000 Arbeitsplätze weg. Das macht nach Adam Riese und Kollege Fuchtel 100 bis 160 Millionen Miese pro Monat im Agrarbereich. Das ist eine Summe von bis zu 2 Milliarden DM pro Jahr. Das heißt, 1995 kostete demnach der Abbau von mehr als 100 000 Arbeitsplätzen in Landwirtschaft und Gartenbau 4 Milliarden DM.
Das heißt, eine solche Politik, wie sie zur Zeit betrieben wird, ist wahrlich keine Sparpolitik, sondern eine Politik, die nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, sondern letztendlich auch die Haushaltsanforderungen überhaupt nicht berücksichtigt. Auch in den neuen Ländern ist die Konsolidierung des Agrarbereiches auf Grund der dilettantischen Behandlung der Altschuldenfrage und der Vermögensauseinandersetzung nicht zu sichern, weil es den Betrieben an Planungssicherheit fehlt.
Ein weiteres Finanzrisiko ist hier noch zu erwähnen: Statt die Schutzmaßnahmen im Bereich Tiermehl auf die Schweine auszudehnen und die Verfütterung von Tiermehl wenigstens zeitweise zu stoppen,
wird tatsächlich die Schließung der Anstalt für Fleischforschung in Kulmbach in Angriff genommen. Das ist wirklich eine geniale Maßnahme, die von forschungspolitischem Weitblick zeugt in einer Zeit, in der es gerade bei der Fleischforschung einen erhöhten Bedarf gibt.
Der letzte Punkt: Für die Neuausrichtung der Agrarpolitik auf eine Produktion, die die Umwelt erhält, die artgerechte Tierhaltung betreibt und die Einkommen und Arbeitsplätze für die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen sichert, gibt es in unserer Gesellschaft eine breite Unterstützung; für die Finanzierung der heutigen Agrarpolitik dagegen nicht. Wir fordern Sie auf, die heute noch bestehenden Gestaltungsspielräume zu nutzen und die Agrarpolitik auch finanzpolitisch auf eine moderne Grundlage zu stellen.
Herr Kollege Ulrich Heinrich, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die allgemeine Haushaltslage erfordert in allen Bereichen und auf allen Ebenen erhebliche Sparanstrengungen, um die Nettoneuverschuldung nicht noch weiter in die Höhe treiben zu lassen. Dies wird von uns selbstverständlich mitgetragen. Alle Ressorts müssen ihr Päckcken tragen. Auch das Agrarressort wird hierzu seinen Beitrag leisten.
So werden in den kommenden zehn Jahren im Rahmen der Sparbeschlüsse 30 Prozent des Beschäftigtenstandes in Forschungseinrichtungen abgebaut. Von den heute 54 bestehenden Forschungsstandorten muß fast die Hälfte geschlossen werden. Langfristig werden nur 30 davon erhalten. Es geht nicht nach der Devise „Weiter so". Wir schaffen vielmehr nach gewissenhafter Abwägung tragfähige Strukturen für die Zukunft. Das beinhaltet zugegebenermaßen auch beachtliche Härte. Dies fällt uns allen nicht leicht. Der Zwang zum Sparen zwingt nun mal zu diesen Straffungen.
Der Einzelplan 10 soll um 75 Millionen DM oder um 0,6 Prozent im Vergleich zum Jahre 1996 gekürzt werden. Die ganze Tragweite dieser Kürzung wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß durch gesetzliche Verpflichtungen im Agrarsozialbereich ein Ausgabenanstieg von 300 Millionen DM, also gut 4 Prozent, zu kompensieren ist. Allerdings darf der Zwang zum Sparen nicht so weit gehen, daß wir uns die Möglichkeit des Gestaltens nehmen. Grundsätzlich erwarte ich, daß es keine Streichungen im investiven Bereich und bei der einzelbetrieblichen Förderung gibt. Denn beides wäre kontraproduktiv hinsichtlich des Ziels, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Deshalb wird von der F.D.P. erneut der Verteilungsmechanismus „Gießkanne" besonders kritisch unter die Lupe genommen. Wenn schon in der Vergangenheit Geld mit der Gießkanne verteilt wurde, muß heute besonders darauf geachtet werden, daß bei den notwendigen Kürzungen alle gleichmäßig betroffen werden und Kürzungen hinnehmen müssen. Keinesfalls dürfen zukunftsfähige Betriebe die Hauptlast der Kürzungen tragen. Deshalb ist es richtig und systemkonform, wenn Änderungen in Steuergesetzen in die allgemeine Steuerreform eingebaut werden, wie das jetzt bei der Pauschalierung der Umsatzsteuer für buchführungspflichtige Landwirte geplant ist.
Bei der Verteilung von Mitteln mit der Gießkanne - hier bin ich mit dem Kollegen Sielaff deckungsgleich - denke ich an die Unfallversicherung. Hier haben wir in den letzten Jahren nicht nur beim Währungsausgleich, sondern auch bei anderen Gelegenheiten immer wieder aufgestockt. In diesem Zusammenhang müssen wir uns natürlich überlegen, wie
Ulrich Heinrich
wir diese Finanzmittel besser verwenden können. Ich plädiere hier nachdrücklich für eine Umschichtung zugunsten der Fortführung des FELEG.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verteilung über die Unfallversicherung oder Fortführung der strukturverbessernden Maßnahme FELEG, dann bin ich entschieden dafür, daß wir die Mittel für FELEG einsetzen.
Wir können feststellen, daß dadurch bis heute 400 000 Hektar, strukturverbessert, in Bewegung gekommen sind. Das sollte nach meiner Meinung auch in Zukunft fortgesetzt werden. Denn im europäischen Wettbewerb haben wir nach wie vor strukturellen Nachholbedarf. Das kann man mit solch einem Gesetz, das wir wirklich alle begrüßen, nur fortführen.
Herr Kollege Heinrich, der Kollege Kalb möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Heinrich, ist Ihnen bekannt, daß ich mich sehr akzentuiert gegen die Fortführung des FELEG ausgesprochen habe, und würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Koalitionsparteien CDU und CSU gleichwohl bereit wären, einen derartigen Antrag auf Fortführung sehr ernsthaft zu prüfen, wenn der Antrag aus der Mitte der F.D.P.-Fraktion käme?
Herr Kollege Kalb, wenn wir in der Koalition etwas vorhaben, dann können wir das selbstverständlich in unserer Arbeitsgruppe besprechen. Da bin ich für jedes Gespräch offen. Ich sage nur hier ganz deutlich meine Meinung, und ich wiederhole, daß ich, wenn ich vor der Wahl stünde, die Unfallversicherung in der bisherigen Höhe einzuschränken oder das FELEG auslaufen zu lassen, weil ich keine Finanzmittel mehr habe, entschieden für die Fortsetzung des FELEG zu Lasten der Unfallversicherung plädieren würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß mich jetzt kurz fassen, denn ich habe nur sechs Minuten Redezeit im Gegensatz zur CSU, die in dieser Debatte 29 Minuten hatte.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß die Rahmenbedingungen solide, klar und sauber dargelegt werden. Dazu gehört ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Aus Zeitgründen möchte ich jetzt nur zwei anführen.
Da ist einmal die Milchmengenregelung. Unsere Landwirte müssen noch in diesem Jahr erfahren, wie es im Jahr 2000 und danach weitergeht.
Dabei muß die Position der wirtschaftenden Betriebe deutlich gestärkt werden. Die F.D.P. hat ihr Modell mit der Milchbörse und den Lieferrechten dazu auf den Tisch gelegt. Hier muß der Dialog endlich in die Schlußphase eintreten.
Zu den zuverlässigen Rahmenbedingungen gehört auch die Leistung, die über die ordnungsgemäße Landwirtschaft hinausgeht und die ausgeglichen werden muß. Hier erwarte ich, daß wir im Vermittlungsausschuß eine Akzeptanz bekommen für die Regelung im Wasserhaushaltsgesetz, in der wir festgelegt haben, daß in Überschwemmungsgebieten von den Ländern ein Ausgleich zu zahlen ist. Das geht hier ganz eindeutig an die SPD-regierten Länder, nämlich ob sie bereit sind, diese zusätzlichen Lasten der Landwirtschaft auszugleichen. Zum Nulltarif kann man das nicht haben.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein ganz besonderes Problem ansprechen, nämlich die Begrenzung der Tätigkeit der Saisonarbeitskräfte in den intensiven Ackerbau- bzw. Gemüsebau- und Gartenbaubetrieben auf fünf bzw. sechs Monate. Ich sage Ihnen ganz offen: Mit Verordnungen und mit Beschäftigungsverboten ist diesem Problem nicht beizukommen, sondern wir müssen das Problem in die Köpfe der Menschen bringen. Das heißt, wir müssen an die Lösung des Problems anders herangehen. Wenn es 4 Millionen Arbeitslose gibt, dann muß man davon ausgehen können, daß im Bereich der sozialpolitischen Rahmenbedingungen die Dinge so geregelt werden, daß man auch Deutsche auf einen Acker bekommt, um Erdbeeren und Spargel ernten zu können.
Mit Verordnungen ist das nicht hinzukriegen. Dieses Problem muß anders gelöst werden. Auf jeden Fall darf unseren Betrieben nicht die Möglichkeit genommen werden, wirtschaftlich tätig zu sein. Eine Verkürzung auf ein halbes Jahr wäre das Aus für viele Betriebe, und das wollen wir auf keinen Fall.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Günther Maleuda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir übermitteln Herrn Bundesminister Jochen Borchert ebenfalls unsere besten Wünsche für baldige Genesung.
Dr. Günther Maleuda
Wir beraten heute in erster Lesung einen neuen Haushalt. Es fällt allerdings schwer nachzuweisen, was an diesem Haushalt neu ist. Neu sind nur einige Umschichtungen im Etat, zum Beispiel ein Zuwachs bei der Sozialpolitik bzw. eine Reduzierung bei der Gemeinschaftsveränderung und einige andere Veränderungen. Neu sind allerdings Wortmeldungen in den letzten Wochen und Tagen zu den Betriebsstrukturen, zum LAG und zur Bodenreform.
Im Agrarbericht 1996 setzte die Bundesregierung darauf, den Agrarstrukturwandel zu einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, marktorientierten und umweltverträglichen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft unabhängig von den Unternehmens- und Erwerbsformen zu vollziehen. Dem stimmen wir zu.
In welche Richtungen aber die Überlegungen der Bundesregierung gehen, war kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung" nachzulesen. Darin erklärte Minister Borchert: „Auch in Zukunft wird der bäuerliche Familienbetrieb die Betriebsform in Deutschland und Europa sein." Man könnte dem ja zustimmen, wenn auch die Gemeinschaftsbetriebe als Zusammenschluß bäuerlicher Betriebe akzeptiert werden.
- Dann ist es ja gut. Aber es ist eine andere Akzentuierung, als bei der Begründung des Agrarberichtes gesagt wurde. Wenn Sie dem aber mit Nachdruck zustimmen, dann ist das gut.
Die Konkurrenz durch die ostdeutschen Agrarbetriebe hofft man aber offensichtlich dadurch auszuschalten, daß ihnen der Schwerpunkt im Ackerbau zugewiesen wird. Die westdeutschen Familienbetriebe sollen dagegen intensiv Vieh halten und in Bereichen. der Veredelungsproduktion tätig werden. Diese Politik hat doch bekanntlich in den zurückliegenden Jahren bereits zu einem Produktionsrückgang von 10 Millionen Stück bei Schlachtschweinen geführt. Es ist sicher richtig, wenn die DLG darauf hinweist, daß die Gefahr besteht, daß bis zum Jahr 2004 der Bestand um ein weiteres Drittel gesenkt wird.
Die Bundesregierung wehrt sich gegen eine Reform der EU-Agrarreform und verspricht, daß die Zahlungen aus der EU-Kasse bis 1999 gesichert sind. Dazu hat heute Staatssekretär Gröbl einige kritische Bemerkungen gemacht. Sicher kann man das eine oder andere akzeptieren. Dennoch bleibt im Ausschuß noch viel dazu zu besprechen. Uns erreicht in diesem Zusammenhang die Mitteilung aus dem Haushaltsausschuß, daß demgegenüber im Entwurf des EU-Haushaltes für 1997 eine Kürzung um 1 Milliarde ECU vorgesehen ist. Es bleibt abzuwarten, welche Wirkungen das hat.
Wir erwarten in den nächsten Wochen eine grundsätzliche Auseinandersetzung zu den Inhalten der Agrarpolitik. Es verwundert nicht, wenn der Deutsche Bauernverband Probleme in der Landwirtschaft zum Anlaß nimmt, Widerstand gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung anzukündigen. Der Entwurf der vierten Novelle des LAG, der in seiner Stoßrichtung - ich sage das aus persönlicher Überzeugung - dem Artikel im „Spiegel" vom Sommer des vergangenen Jahres entspricht, hat zu scharfen Protesten bei ostdeutschen Landesregierungen sowie bei Partei- und Bauernverbänden geführt.
Man muß die Frage stellen, welche Lobby bedient werden soll. Denn es geht offensichtlich um die Korrektur einiger geschichtlicher Zusammenhänge.
Wir empfehlen den Koalitionsfraktionen und vor allem den ostdeutschen Abgeordneten den in Mecklenburg-Vorpommern mit den Stimmen der SPD, der CDU und der PDS - ich betone das - gefaßten Beschluß zur Bodenreform zu lesen. Gleiches gilt für die Novellierung des LAG. Eine Antwort auf Forderungen der CDU-Landesverbände, zum Beispiel aus Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein, zur Landrückgabe an Enteignete ist zu erwarten. Wir sehen der Anhörung zum LAG am 23. September 1996 und den Beratungen zum Agrarhaushalt im Ausschuß mit Erwartung entgegen.
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin Ilse Janz, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kalb, Sie können sicher sein, daß 1998 unter einer SPD-Regierung endlich eine fortschrittliche ökologische Landwirtschaftspolitik durchgesetzt wird.
Aber Sie können auch ganz sicher sein, daß wir den Irrwegen der jetzigen bayerischen Regierung nicht folgen werden.
Vielleicht noch einmal ein Wort zum FELEG. Das fand ich doch schon besonders interessant. Das muß ich sagen. Wir haben nämlich als SPD zweimal eine Aufstockung und eine Verlängerung in den letzten Haushaltsdebatten verlangt. Es ist ein Thema, mit dem ich mich besonders auseinandergesetzt habe, auch mit dem Ministerium, das immer falsche Schätzzahlen gebracht hat und mir dann natürlich nicht glauben wollte. Beim nächsten Mal mußte es mir wieder recht geben. Wenn Sie jetzt endlich Bereitschaft zeigen, weil nun auch Ihr Koalitionspartner dieser Auffassung ist, dann bin ich sehr froh. Dann kommen wir in dieser Frage vielleicht endlich auf den richtigen Weg.
Aber nun zum Haushalt. Es ist unbestreitbar, daß wir Jahr für Jahr immer wieder über eine Reduzierung des Agrarhaushaltes reden und dies beklagen
Ilse Janz
müssen. Nun werden Sie natürlich sagen: 0,6 Prozent - das klang heute öfter an -, das ist doch nicht ganz so schlimm, während doch der gesamte Bundeshaushalt um 2,5 Prozent gekürzt wird; dabei hat sich doch der Minister sehr tüchtig gegenüber dem Finanzminister durchgesetzt.
Das ist nur eine Seite der Medaille; denn die andere sieht so aus: Es gibt zum Beispiel eine enorme Steigerung bei den Sozialausgaben. Diese haben inzwischen - wenn wir es nachrechnen - fast zwei Drittel des Etats erreicht. Die Kompensierung des Währungsverlustes von 138,5 Millionen DM machen ebenfalls ein weiteres Plus aus.
Um das Ganze in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, wurden zum Beispiel VEs aus dem Haushalt 1996 nicht in einen Baransatz umgewandelt, wie es sonst üblich ist. Die Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz wurde erneut gekürzt, obgleich dies wirklich nicht zu verantworten ist.
Damit es noch netter aussieht, wird dann die globale Minderausgabe im Bundessortenamt erneut erhöht. Ebenso werden die Hilfen für MOE- und GUS-Staaten drastisch gesenkt. Und siehe da, auf einmal hat man ein Ergebnis: nur 0,6 Prozent weniger gegenüber dem Haushaltsansatz 1996. Wenn so jongliert wird, dann ist es natürlich kein Kunststück, einen solchen Haushalt vorzulegen.
Herr Staatssekretär, wir müssen uns da nichts vormachen. Spielraum für neue Ideen oder neue Gestaltungen, zum Beispiel in Richtung nachhaltiger Landwirtschaft - ich habe an dieser Stelle schon einmal an die Agenda 21 von Rio erinnert -, ist gleich Null, wie in den bisherigen Haushalten auch.
Der Haushalt ist - das ist unbestreitbar - in den Jahren seit 1994 um 1,1 Milliarden DM gekürzt worden. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Ich möchte jetzt fortfahren. Ich wollte nämlich noch ein bißchen zum Feiern, weil mein Land Bremen heute Butenbremer-Fest hat. Wenn Sie so gnädig sind, erlauben Sie mir fortzufahren.
- Ihr seid auch alle eingeladen.
In die Kategorien Pleiten, Pech und Pannen gehört auch der Beschluß der Bundesregierung zur Abschaffung der Vorsteuerpauschale für buchhaltungspflichtige Landwirte vom Juli dieses Jahres. Das ist wie ein Spiel: raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. Man könnte es auch auf plattdeutsch „Rut ut de Kartüffeln, rin in de Kartüffeln" sagen; denn im September erfolgte nun die Rücknahme.
Ich bin froh, Herr Staatssekretär, daß Sie heute einmal deutlich erklärt haben, daß es kein Geschenk an die Landwirte ist. Ich wäre froh gewesen, Sie hätten diese Erklärung gegenüber den Medien auch so deutlich abgegeben, damit bei vielen Bauern nicht das Gefühl aufkommt, jetzt haben sie ein neues Geschenk; denn es ist schon total richtig, was Sie gesagt haben: Etwas, was sie haben, kann man ihnen nicht schenken. Geschenke verstehen wir wohl doch immer noch ein bißchen anders.
Grundsätzlich ist meine Fraktion für eine solche Abschaffung, um eine ordentliche Rückführung zum Nachweis der Einkommensverhältnisse und der Wirtschaftlichkeit der Betriebe in der Landwirtschaft zu realisieren. Aber wir verkennen auch nicht die besonders schwierige Lage und die Probleme der Landwirte. Deshalb ist vernünftiges Handeln angesagt.
Meine Fraktion wird zu diesem Thema eine Anhörung im Agrarausschuß beantragen, damit das Für und Wider durchleuchtet wird, damit eine sachgerechte Entscheidung getroffen werden kann und nach dem 1. Januar 1999 - wenn das Datum wirklich bleibt - eine vernünftige Reform erfolgen kann.
Fragwürdig ist allerdings die jetzt getroffene Entscheidung zur Verlängerung der bisher gewährten Subventionen auch deshalb, da sie die BSE-geschädigten Betriebe zur Grundlage hat. Hier scheint uns - und da will ich noch einmal auf meinen Kollegen Sielaff hinweisen - der gleiche Fehler gemacht zu werden wie beim Währungsausgleich: Begünstigte sind Betroffene wie Nichtbetroffene. Das scheint uns keine gerechte Regelung zu sein.
Außerdem sind eine ganze Menge Fragen noch nicht beantwortet: Wie errechnen sich die 1,2 Milliarden DM als BSE-Hilfe? Oder waren es zufällig gerade diese zweimal 600 Millionen DM, und hat man sie zusammengerechnet? Ist diese Hilfe mit den Ländern abgestimmt, die die andere Hälfte tragen sollen?
- Du kannst dich doch nächste Woche mit mir streiten. - Und dann muß man mir als Haushälterin einmal erklären, woher denn die 300 Millionen DM für 1997 genommen werden sollen. In diesem ausgequetschten Haushalt sehe ich dafür jedenfalls keine Möglichkeit mehr.
Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Wir Sozialdemokraten wollen den Bauern helfen. Aber bei einer so unseriösen Finanzpolitik müssen wir doch viele Fragezeichen setzen. Deshalb wollen wir in diesem Punkt eine Anhörung, um Klarheit zu erhalten.
Ein weiteres Beispiel: Da hat es für den Haushalt 1996 im Berichterstattergespräch und im Haushaltsausschuß einen einstimmigen Beschluß zum Ersatzbau der Fischereischutzboote „Frithjof" und „Warnemünde" gegeben. Um Geld zu sparen, wurde auf eine Ausschreibung für beide Schiffe gleichzeitig ge-
Ilse Janz
drängt. Kosten in Höhe von 110 Millionen DM wurden kalkuliert. Es wurde eine Verpflichtungsermächtigung eingestellt, für das Jahr 1997 in Höhe von 46 Millionen DM. Aber wer glaubt, daß diese Summe als Baransatz im Haushalt wieder auftaucht, der hat sich getäuscht. Hier tobt anscheinend ein Kampf zwischen BML und BMF, wobei doch ziemlich erstaunlich ist - das sage ich deutlich in Richtung BMF -, daß einstimmige Beschlüsse des Haushaltsausschusses ignoriert werden. So kann von seiten der SPD-Fraktion kein Vertrauen in Richtung Finanzressort entstehen.
Es wird hierzu, Frau Staatssekretärin, sicherlich auch noch einige „freundliche" Worte im Berichterstattergespräch geben. Das sind nur zwei Beispiele. Es könnten noch eine ganze Menge folgen. Mein Kollege Sielaff hat schon auf die 55prozentige Steigerung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit hingewiesen. Wer glaubt, schlechte Politik durch mehr Hochglanzbroschüren besser verkaufen zu können, irrt. Diesen Irrweg wird die SPD nicht mitgehen.
Die Beratungen in den nächsten Wochen werden zeigen, ob Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Haushalt schlicht und einfach abnicken oder ob Sie zu Änderungen bereit sind. Ein neuer Weg in der Agrarpolitik ist dringend erforderlich. Ihr Verharren in verkrusteten Strukturen ist schädlich für die deutsche Agrarpolitik. Bewegen Sie sich! Wir werden Sie fordern.
Kollege Peter Harry Carstensen hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Herr Kollege, ich hoffe, Sie fühlen sich nicht von der Kollegin Janz ermutigt, plattdeutsch zu sprechen, was ich angesichts der starken süddeutschen Präsenz heute abend für nicht sehr freundlich hielte. Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, wenn Sie mir das erlauben, kann ich das auch auf friesisch oder auf dänisch machen. Ich will aber beweisen, daß ich ein humanistisches Gymnasium besucht habe, und werde hochdeutsch sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von verschiedenen Rednern ist die Situation angesprochen worden, die wir auf dem Rindfleischmarkt haben, ausgelöst durch die BSE-Fälle und durch eine zögerliche Haltung - so sage ich einmal an dieser Stelle - der britischen Regierung, was die Bekämpfung von BSE angeht. Wir erhalten in diesen Tagen Meldungen, daß die aus meiner Sicht nicht ausreichende Bekämpfung von BSE in Großbritannien jetzt noch weiter reduziert werden soll.
Ich bitte um Entschuldigung dafür, Herr Präsident, daß ich das jetzt hier so sage. Ich weiß, daß das ein bißchen an den Spielregeln vorbeigeht, aber wir haben auf Grund der Haushaltsberatungen keine Ausschußsitzung gehabt. Sonst hätten wir - davon bin ich überzeugt - aus der Ausschußsitzung heraus über die Fraktionsgrenzen hinweg einstimmig den Bundesminister aufgefordert, in der nächsten Woche bei den Beratungen des Ministerrates nachdrücklich und massiv auf die britische Regierung einzuwirken, sich stärker um die Bekämpfung von BSE zu kümmern.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg.
Dr. Günther Maleuda [PDS]
Ich glaube, Herr Präsident, Sie haben Verständnis dafür, daß wir im Bereich der Landwirtschaft fordern, daß in Großbritannien BSE bekämpft wird und nicht die Existenz der Bauern bei uns. Ich halte das, was dort passiert, für ein Unding. Ich wäre dankbar, wenn der Staatssekretär das aus diesem Hohen Hause so mitnehmen könnte, weil wir eben nicht die Gelegenheit haben, das aus dem Ausschuß heraus vorzubringen.
Herzlichen Dank.
Das war erstens nicht an den Spielregeln vorbei. Zweitens würde ich es auch nie zulassen, daß etwas an den Spielregeln vorbeigeht. Drittens ist es völlig legitim, wenn bei der Einbringung des Haushaltes, bei der generell alle wichtigen politischen Themen erörtert werden, in einem solchen Fall ein solcher Appell an den zuständigen Minister während der Debatte über seinen Haushalt gerichtet wird.
Damit sind wir am Ende der Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 13. September 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.