Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich frage mich:
Klaus Kirschner
Wen mußten Sie eigentlich ständig überzeugen, wenn Sie in Richtung Koalition schauten?
Wohl offensichtlich die eigene Koalition.
Wir haben großes Verständnis, wenn Sie so laut werden, angesichts eines Defizits der gesetzlichen Krankenversicherung von 7,3 Milliarden DM
und angesichts eines, wenn es so weitergeht, zu befürchtenden Defizits von über 20 Milliarden DM im nächsten Jahr.
Sicher haben wir Verständnis dafür, daß Sie versuchen, das durch Lautstärke zu übertünchen.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen, nehmen Sie endlich Vernunft an! Hören Sie mit Ihrem Zickzackkurs in der Gesundheitspolitik auf! Bringen Sie endlich die notwendigen grundlegenden Reformen zur Stabilisierung der Krankenversicherung auf den Weg! Ich kann nur an Sie appellieren: Kehren Sie zurück auf den Weg des gemeinsam in Lahnstein konzipierten und hier im Bundestag beschlossenen Gesundheitsstrukturgesetzes, das seinen Namen verdient hat!
Damit das klar ist: Das, was Sie im Rahmen Ihres sogenannten Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung der Krankenversicherung als Sparprogramm verordnen, hat mit notwendigem und ausgewogenem Sparen und Reformen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist ein Unrechtsprogramm gegen kranke Menschen.
Sie kürzen und streichen. Sparpolitik im Sinne von mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz verhindern Sie sogar.
Hören Sie endlich auf den Bundespräsidenten Roman Herzog! Er hat den Rahmen gesetzt und gesagt, worauf es ankommt: Die Politik muß ausgewogene Lösungen finden; gespart werden darf nicht überproportional auf Kosten der Schwächeren. Genau dies tun Sie, meine Damen und Herren.
Ihnen fehlt der Wille zu echten Reformen. Die Kranken zahlen mit höheren Zuzahlungen - das können Sie nicht wegleugnen - bei den Arzneimitteln und den Kuren; Sie kürzen das Krankengeld; und es fallen gleich ganze Leistungsbereiche wie zum Beispiel die Zahnprothetik und Kronen für die nach 1979 geborenen jüngeren Menschen weg.
Eine an gesundheitspolitischen Zielen orientierte Politik ist auch in Ihrem Haushaltsentwurf - darauf möchte ich besonders hinweisen - überhaupt nicht zu erkennen. Herr Seehofer, Sie streichen am völlig falschen Platz, wenn Sie die Mittel für die Krebsbekämpfung um 8,7 Millionen DM und im Bereich des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs um über 4,8 Millionen DM kürzen. Da stellen Sie sich noch hin und sagen: Das ist eine großartige Leistung. Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, daß auch in unserem hochentwickelten Land die Folgen einer fehlenden zielorientierten Prävention und Gesundheitsförderung fatal sind.
Diese Bundesregierung beweist mit ihrem Haushalt, daß sie keine gesundheitspolitische Strategie hat. Es ist absolut beschämend, daß Sie die Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung chronisch kranker Menschen im Haushalt um 7,2 Millionen DM auf den Kleckerbetrag von 5,3 Millionen DM zusammenstreichen. Mit diesem Haushalt, den Sie, Herr Bundesgesundheitsminister, vorgelegt haben, verniedlichen oder leugnen Sie die bestehenden Probleme.
Was die gesetzliche Krankenversicherung angeht, so ist der Weg in den letzten Monaten gekennzeichnet vom Ausschütten von Füllhörnern an Leistungserbringer, von Untätigkeit, wo kräftiges reformerisches Handeln notwendig gewesen wäre, von Fehleinschätzungen der dramatischen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung und von ungerechtfertigten und völlig überzogenen Schuldzuweisungen. Aber das schwerwiegendste ist: Sie stellen die Weichen für ein anderes Krankenversicherungssystem, an dessen Ende der Geldbeutel des einzelnen über Krankheit und Gesundheit mehr denn je entscheidet,
und das alles präsentieren Sie unter falschem Etikett als Sparpaket.
Umgekehrt hatten Sie nämlich keine Hemmungen, die gemeinsam beschlossene Arzneimittelpositivliste abzuschießen,
wohl wissend, daß dies eine sehr teure Entscheidung zu Lasten der Beitragszahler ist. Diese willkürliche und die Therapie auch noch verschlechternde Entscheidung kostet nach neuesten Schätzungen rund vier Milliarden DM jährlich.
Das wissen Sie, meine Damen und Herren. Sie haben
per Gesetz das ärztliche Budget mit einer
Klaus Kirschner
840 Millionen DM teuren zusätzlichen Finanzspritze aufgebessert. Auch diese Zeche - die zudem völlig unsinnig und ohne jeglichen Ansatz zu strukturellen Verbesserungen zum Beispiel für die Situation der Hausärzte war und ist -, auch diese Zeche - -
- Sie können doch nicht behaupten, daß dies nicht die Beitragszahler Geld kostet! Oder wollen Sie das auch noch behaupten? Sie können sich doch nicht hierherstellen und sagen: „Wir müssen sparen!" und gleichzeitig ausgabenwirksame Leistungen wie den Verzicht auf die Arzneimittelpositivliste oder beispielsweise die Erhöhung des ärztlichen Budgets treffen.
Auch diese Zeche - und das ist die Umverteilung, die Sie betreiben - zahlt der Patient durch höhere Zuzahlungen bei Arzneimitteln, durch höhere Zuzahlungen bei Kuren, durch Kürzung des Krankengeldes, Wegfall des Zahnersatzes usw. Das ist doch die Politik, die Sie hier betreiben.
Meine Damen und Herren, Sie sparen nicht, Sie verteilen um. Zu Reformen sind Sie weder willens noch fähig.
- Ich komme nachher noch darauf, lieber Kollege Hornung.
Meine Damen und Herren, es ist skandalös, mit welcher Ignoranz bewußt hingenommen wird, daß in dieser Krankenversicherung Leistungen bezahlt werden, ohne zu wissen, in welchem Umfang und in welcher Qualität die Leistungen erbracht werden. Sie verhindern die Durchschaubarkeit, die Transparenz des Leistungsgeschehens, obwohl das Gesetz sie vorschreibt. Das gilt für den ärztlichen Diagnoseschlüssel ICD 10, mit dem seit 1. Januar 1995 laut SGB V verbindich gearbeitet werden müßte.
Die Verschiebung um zwei Jahre hat der Staatssekretär des Herrn Ministers ausdrücklich begrüßt. Sind wir denn in einer Bananenrepublik, oder wo sind wir eigentlich?
Das gilt, meine Damen und Herren, auch für die Transparenz - -
- Herr Kollege Zöller, Sie könnten mir ja eine Zwischenfrage stellen, dann hätte ich eine Chance, ausreichend darauf zu antworten.
Meine Damen und Herren, ich will noch auf das eingehen, was der Bundesgesundheitsminister zum Arzneimittelbudget sagte; denn auch die Transparenz bei der Abrechnung von Arzneimittelverordnungen, die ab 1. Januar 1996 hergestellt sein müßte, ist nicht umgesetzt. Ich frage mich: Wo bleibt denn eigentlich der Bundesgesundheitsminister, was tun Sie denn eigentlich?
Die Krankenkassen begleichen nahezu eine Milliarde DM monatlich, ohne eine Chance zur Überprüfung des Arzneimittelbudgets zu haben.
Meine Damen und Herren, in der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministers ist es nachzulesen: Sie verlangen von den Kassen, die Überschreitung des Arzneimittelbudgets von den Ärzten zurückzuholen. Sie haben aber geduldet, daß die dafür notwendigen Transparenzdaten zur Budgetsteuerung bis heute nicht vorliegen. Hier wird der Schwarze Peter den Kassen zugeschoben.
Diese Duldung und teilweise Unterstützung von Gesetzesbrüchen hat Strategie. Das Abkassieren bei den Versicherten und Kranken ist einfacher, wenn kein Nachweis über unwirtschaftliches Verhalten der Leistungserbringer geführt werden kann, wenn die Qualität der erbrachten Leistungen nur unzureichend erfaßt wird und damit nicht überprüfbar ist.
Um vom eigenen Versagen abzulenken, werden Feindbilder aufgebaut. Herr Seehofer, auch Ihr vorheriges Kanonenfeuer auf die Krankenkassen ist der Gipfel der Unredlichkeit.
Den Krankenkassen die Schuld für das Rekorddefizit hinzuschieben ist zu durchsichtig und auch zu billig. Sie haben doch auf dem Petersberg bei den Gesprächen dort den Beteiligten Reformen versprochen. Nichts ist von Reformen übriggeblieben. Und da Ihnen die Kassen auf diesem Irrweg nicht weiter folgen, werden sie von Ihnen nun zum Gegner erklärt. Das gipfelt dann sogar darin, daß Sie öffentlich dazu auffordern, nicht mehr der Banner Ersatzkasse beizutreten. Herr Bundesgesundheitsminister, ich frage mich: Welches Demokratieverständnis haben Sie denn überhaupt?
Ich möchte folgende Bemerkung machen, weil Sie das angesprochen haben: Das morgen zur Abstimmung stehende Beitragsentlastungsgesetz trägt nicht dazu bei, das Defizit der Kassen abzubauen, ganz im Gegenteil. Es sieht ja bekanntlich vor, die Beitragssätze zum 1. Januar 1997 pauschal um 0,4 Beitragssatzpunkte zu reduzieren. Erreicht werden soll dies durch Leistungsabbau und höhere Zuzahlungen der Versicherten. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, daß sich das Defizit der Kassen dank Ihres neuen Fehlgriffs weiter erhöhen wird.