Rede von
Elisabeth
Altmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rüttgers, für den Weg in die Wissensgesellschaft, den Sie hier eben prognostizierten, sind die Weichen denkbar fehlgestellt und führen auf das Abstellgleis.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, Herr Dr. Friedrich, es ist keine erfreuliche Nachricht: Der Regierung sind Bildung und Forschung zunehmend weniger wert. Der Gesamtetat sinkt - und das bei ganz wesentlichen Aufgaben.
Herr Rüttgers, wenn Sie schon anderen absprechen, sich in Fragen Lehrlinge zu engagieren, dann wäre es jetzt Ihre Aufgabe, wirksam zu handeln. Am 1. Oktober beginnt das neue Lehrstellenjahr. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit stellt sich die Situation deutlich schlechter dar als vor einem Jahr. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Zahlen aus der „Sozialpolitischen Umschau" anführen, die ich gestern vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bekommen habe. Dies will ich nur hinzufügen, damit keine Fragen über Statistiken auftauchen.
Anfang September suchten noch rund 117 000 Jugendliche verzweifelt einen Ausbildungsplatz;
das waren 11 Prozent mehr als im letzten Jahr. Ihnen standen zu diesem Zeitpunkt 70 000 Ausbildungsplätze gegenüber; das waren 23 Prozent mehr als im letzten Jahr. Das heißt also: Die Schere geht deutlich auseinander.
Wieder ein Jahr „Zukunftsminister", wieder ein Jahr liberal-christliche Koalition, wieder ein Jahr voller leerer Versprechungen!
Am 2. September ließen Sie, Herr Rüttgers, verlautbaren: „Die Zitterpartie um das Lehrstellenangebot darf sich nicht Jahr für Jahr wiederholen. " Dem stimmen wir zu. Es ist aber ein Trugschluß, zu meinen, nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft sei nun Planlosigkeit die genialste Form der Wirtschaftspolitik. Die Hoffnung vieler junger Menschen liegt in diesem Bereich; ihre Zukunft wird zerstört. Der Zukunftsminister wäre gefragt, allerdings in der Gegenwart. Doch im Bundeshaushalt findet sich lediglich ein „Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Bundesländern" . Das ist völlig unzureichend und zudem völlig unterfinanziert!
Andere Bereiche in der Bildungspolitik schneiden noch schlechter ab, zum Beispiel die überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsstätten: minus 11 Prozent. Dann ist es zynisch, wenn man ratlosen
Elisabeth Altmann
Jugendlichen geringe Mobilität vorwirft und gleichzeitig die Ausbildungsvergütung herabsetzen will.
Ausbildung fern vom Elternhaus ist ohne angemessenes Einkommen gerade in Ballungszentren unmöglich.
Es ist natürlich wichtig, mit Vertretern von Handwerk und Wirtschaft zu reden. Plauschrunden allein bringen es aber nicht. Man darf es nicht bei vagen Versprechungen belassen, sondern muß einen Anreiz setzen, damit Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Zusätzlich muß eine Ausbildungsplatzabgabe her. Wer nicht ausbildet, soll entsprechend der Leistungsfähigkeit zahlen. In diesem Bereich arbeiten wir, Bündnis 90/Die Grünen, zusammen mit den Gewerkschaften an neuen Konzepten.
Es sind Reformen der Ausbildung notwendig. Zukunftsorientierte, breitgefächerte Grundausbildungen müssen angeboten werden. Schlüsselqualifikationen führen zu mehr Flexibilität bei der Berufswahl. Es sind Vorgaben in die Ausbildungsordnungen aufzunehmen.
Beim Meister-BAföG weist der Haushalt ein deutliches Plus auf; das wurde hier schon einige Male erwähnt, auch Herr Koppelin sprach davon. Jedoch können viele Bedürftige wegen der formalisierten Vergabekriterien das ihnen zustehende Geld nicht erhalten. Dies liegt auch an der Lösung, die Sie in diesem Bundestag verabschiedet haben. Wir haben gesagt: Die Arbeitsamtlösung trägt; wir wollten sie in dieser Form beibehalten. - Es wurde aber anders entschieden, weil in der Regierung die großen Meister sitzen. Herr Rüttgers backt immer kleinere Brötchen, damit er Herrn Waigel helfen kann, seine immer größeren Finanzlöcher im Haushalt zu stopfen.
Herr Rüttgers, ich will Ihre Erfolge einmal an Ihren eigenen Worten messen. Beim Haushalt 1996 sagten Sie: „Jetzt geht mir die Luft aus, weil ich es einfach nicht mehr vortragen kann. " - Wie hintersinnig! Sie wollten durch den Vorschlag zur Reform der Ausbildungsförderung eine 10prozentige Erhöhung ermöglichen. Das habe ich einmal auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft. Es kam keine 10prozentige, sondern nur eine 4prozentige Erhöhung des Bedarfssatzes heraus. Gleichzeitig wurden 140 Millionen DM weniger ausgegeben. Das ist ein Taschenspielertrick.
Wie sieht es für 1997 aus? Das BAföG wird weiter zusammengestrichen: von 2 Milliarden über 1,7 Milliarden auf jetzt nur noch 1,5 Milliarden DM. Das heißt: Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Bund eines Viertels seiner gesetzlichen BAföG-Leistungen entledigt. Dies ist eine Umverteilung, die insbesondere die Schwächeren in der Gesellschaft trifft. Die Regierung setzt hier bewußt darauf, daß die BAföG-
Politik abschreckt. Die Zahl der BAföG-Empfänger ist im gleichen Zeitraum um 10 Prozent gesunken. Weil Sie immer von internationaler Leistungsfähigkeit sprechen: Auch das Auslandsstudium wird mit dieser neuen BAföG-Regelung erschwert.
Sie sprachen vom großen Reformprojekt Hochschule. Sie wollten „Deutschland für das 21. Jahrhundert fit machen". Aber so rasant, wie Ihr Haushalt schmilzt, sieht das eher nach einem Fitneßprogramm vom Suppenkasper aus, Herr Rüttgers.
Der fällige Ausbau der Hochschulen kann mit Ihnen so nicht stattfinden.
Ich möchte zum Schluß folgendes deutlich machen.