Rede von
Margareta
Wolf-Mayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Guten Morgen! Herr Rossmanith, Sie sind ein wahrhafter Träger des europäischen Geistes, wie wir gerade erfahren konnten. Wenn Sie
Margareta Wolf
„Volkswagen" sagen - so haben Sie sich gerade geoutet -, denkt man tatsächlich an völkisch.
Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen, Herr Rexrodt, ganz herzlich zum Geburtstag zu gratulieren. Ich möchte es weiterhin nicht versäumen, Ihnen dafür zu danken, daß Sie vorhin angekündigt haben, daß Sie am 25. November ein Energiewirtschaftsgesetz einbringen werden. Just am 25. November ist der erste Geburtstag unseres Energiewirtschaftsgesetzes. Wir haben es am 25. November letzten Jahres eingebracht. Soviel zu Konzepten, und soviel zur Entschlossenheit dieser Bundesregierung.
Zukunftsfähigkeit bedeutet, sich heute den Herausforderungen der Zukunft zu stellen und heute die notwendigen Investitionen für die nächsten Generationen zu tätigen. Das leistet der Einzelplan 09 nicht. Zukunftsfähigkeit bedeutet, eine verantwortliche Politik zu betreiben, das heißt, eine größtmögliche Planungssicherheit für die Menschen und auch für die Unternehmen zu gewährleisten. Das leistet der Einzelplan wiederum nicht. Ebenfalls leistet er nicht, Rahmenbedingungen für den dringend notwendigen Strukturwandel zu schaffen und damit Anreize für Innovationen und Investitionen zu geben. Das alles leistet dieser Einzelplan tatsächlich nicht.
Der Anforderung im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit wird der Einzelplan nicht gerecht. Er ist sogar teilweise unseriös. Er hat teilweise die Funktion eines Nebelwerfers; man ist im Begriff, damit Schattenhaushalte einzurichten. Der Einzelplan ist kurzatmig und macht deutlich, daß Sie im Referenzjahr 1997 alle Register der Haushaltskosmetik ziehen, um die Kriterien von Maastricht erfüllen zu können. Sie sagen nicht - das ist das Problem -, daß dem Steuerzahler diese kurzgedachten Rechentricks wieder auf die Füße fallen. Damit machen Sie den gleichen Fehler - Kollege Fischer hat gestern darauf hingewiesen - wie bei der deutschen Einheit. Sie nutzen den gesellschaftlichen Konsens nicht, sondern tragen zur Volksverblödung bei. Dies haben Europa und auch das Volk nicht verdient.
Herr Rexrodt, es wurde heute morgen wieder deutlich: Sie ignorieren die Herausforderungen der Zukunft. Ich nenne das Stichwort: Pleitewelle. Heute morgen kam es über den Ticker, daß die Insolvenzrate dramatisch steigt. Es kann doch nicht sein, daß Sie auf diese Entwicklung nach dem Motto reagieren: „Don't worry, be happy" .
Sie zeigen damit auschließlich, daß Sie Wirtschaftspolitik weiter mit eingezogenem Kopf machen und das Ruder nicht herumreißen wollen. Nein, Sie laufen auf den alten Trampelpfaden weiter.
Wie zukunftsfähig Sie sind, sagen Ihnen doch Ihre eigenen Leute: Otto Graf Lambsdorff prognostiziert, daß die vom Kanzler versprochene Halbierung der Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 nicht eintreten werde. Ja, er sagt sogar, daß er eher eine Marke von fünf Millionen erwartet.
- Ich nehme an, er wird heute noch sprechen und das näher erläutern.
Die Deutsche Bank Research schreibt in ihrem neuesten Bericht vom 4. September - das ist ja keine Publikation von uns -, daß Sie Substanzverzehr betreiben statt Zukunftsvorsorge.
Wir haben gestern Heiner Geißler gehört, der in
diesem Hause gesagt hat: Wir brauchen eine neue Mentalität, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Dieses leisten Sie nicht.
Ohrfeigen über Ohrfeigen, die tatsächlich einen Offenbarungseid für ihren fehlenden Mut zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Wirtschaft darstellen.
Lassen Sie mich das an drei einzelnen Punkten noch näher erläutern.
Erster Punkt. Ich finde, das beste Beispiel für eine unseriöse, nebelwerfende Haushaltspolitik ist in diesem Haushalt der Kohlebereich. Für die Abwicklung des Verstromungsfonds werden insgesamt 800 Millionen DM weniger bereitgestellt, als in der letztjährigen Finanzplanung vorgesehen. Die Kokskohlenbeihilfe sinkt in Ihrem Etat um 500 Millionen DM. Insgesamt macht das 85 Prozent der gesamten Kürzungen in Ihrem Einzelplan aus.
Herr Minister, Sie wissen doch genausogut wie wir, daß es sich bei Ihrem Haushalt um eine ungeheure Vernebelungsaktion handelt. Sie führen uns lediglich - das finde ich unverantwortlich - rechentechnische Luftnummern vor. Die Auszahlung der genannten Mittel wird nur verschoben. Bis zum Jahr 2000 gibt es im Kohlebereich keine Mark weniger Subventionen.
Aber Sie und Herr Waigel rennen herum und erzählen jedem, der es nicht hören will, Sie betrieben Subventionsabbau. Sie wissen, daß Sie, ohne gegen Gesetze zu verstoßen, einen Subventionsabbau im Steinkohlebereich überhaupt nicht vornehmen können.
Margareta Wolf
Auch wir wollen aus der Steinkohle aussteigen. Wir halten sie ökologisch und ökonomisch für unverantwortlich. Aber wir brauchen doch Vertrauensschutz für diese Region. Wir brauchen einen verläßlichen Rahmen für Umstrukturierungen in diesem Gebiet.
Zweiter Punkt. Herr Schwanhold hat das Eigenkapitalhilfeprogramm angesprochen. Dieses Programm ist ein zentraler Baustein der Mittelstandsförderung. Ich halte die Fokussierung der Mittelstandsförderung auf Eigenkapitalausstattung für konsequent; denn da liegt das zentrale Problem der KMUs.
Wir haben in den letzten Jahren beobachtet, daß die Eigenkapitalausstattung von 30 auf 18 Prozent, also dramatisch, gesunken ist. Die Pleitewelle macht aber deutlich, denke ich, daß es nicht reicht, so eingleisig zu fahren. Bei aller Sympathie für das Eigenkapitalhilfeprogramm darf man nicht vergessen, daß man langfristig endlich den Abbau der Hemmnisse zur Etablierung eines funktionierenden Risikokapitalmarkts fördern muß. Warum fahren Sie nicht endlich mehrgleisig? Warum nutzen Sie nicht die Chance der Krise? Die Chance der Krise liegt bei den KMUs unter anderem im Generationswechsel. Sie tun es nicht. Sie sind halbherzig. Sie machen eine rein additive Förderpolitik.
Ich muß in diesem Zusammenhang auch sagen: In Sachsen geben Sie der Großindustrie ganz schnell nach. Was ist eigentlich mit den kleinen und mittleren Betrieben? Warum fehlt Ihnen da die Entschiedenheit?
Neben der Schaffung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz Deutschland und der steuerrechtlichen Gleichstellung der Anlageformen ist eine langfristige Reform und Umorientierung der Mittelstandsförderung für unsere Begriffe unumgänglich. Das bedeutet, daß wir die Mittel aus der klassischen Förderung zur Finanzierung von Reformmaßnahmen langfristig umschichten müssen. Das bedeutet auch, daß wir zur Schaffung eines funktionsfähigen privaten Beteiligungskapitalmarkts, der die traditionelle Kreditförderung der KMUs auf lange Sicht ersetzt und öffentliche Mittel in erheblichem Umfang einsparen läßt, zielorientiert umschichten müssen.
Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird im Rahmen der Haushaltsberatungen einen Umschichtungsantrag für eine überregionale Informationsbörse stellen. Das Land Thüringen geht mit einer regionalen Informationsbörse voran. Wir werden einen Antrag für Reformmaßnahmen zur steuerlichen Gleichstellung von Anlagen in Produktivvermögen stellen und Ihnen somit die Möglichkeiten bieten, endlich - ich betone das - die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß Sie den lange angekündigten Risikokapitalmarkt in diesem Land etablieren können.
Warum hören Sie nicht endlich auf Herrn Biedenkopf, Ihren Kaiser aus Sachsen, auf den Sie immer so stolz sind? Warum hören Sie nicht auf das RKW? Der Bund finanziert das Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft. Sie beraten in erster Linie die kleinen und mittleren Unternehmen.
Warum hören Sie nicht auf die Mittelständler, gerade vor dem Hintergrund des Generationswechsels? Allesamt sagen sie seit Jahren, daß sich die Herausforderung der Zukunft, die Schaffung neuer, innovativer Arbeitsplätze, nicht ausschließlich mit klassischer Existenzförderung erreichen läßt. Die immer höher steigende Insolvenzrate und der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen sprechen eine deutliche Sprache. Ich finde diesen Zustand alarmierend.
Wir müssen in diesem Land risikobereiter werden. Wir brauchen den Mut zum Neuen in diesem Land, und ich sehe bei allem Westerwellischem Geplappere keine Konzepte, die den Herausforderungen der Zukunft tatsächlich gerecht werden.
- Aber Sie reden ja auch, wenn Sie nicht hier sind, oder?
Noch ein anderer Punkt. Herr Schwanhold hat bereits darauf hingewiesen: Herr Waigel hat am Dienstag angekündigt, daß er das Eigenkapitalhilfeprogramm in das ERP-Sonderprogramm überführen will. Meine Damen und Herren, damit etablieren Sie einen weiteren Schattenhaushalt; nichts anderes ist das.
Sie sagen, das EKH-Programm wird gut angenommen. Die vorgesehene Maßnahme ist nur ein weiterer Beitrag zur Verunsicherung in der Mittelstandsförderung aber kein Beitrag zu Transparenz und Klarheit.
Lassen Sie mich abschließend einen dritten Punkt ansprechen.
Sie präsentieren seit Jahren stolz eine Broschüre, die unter dem Titel „ 109 Maßnahmen für den Klimaschutz, Unterstützung und Beratung privater Verbraucher sowie KMU zur Optimierung der betrieblichen Energieversorgung" firmiert. In diesem Programm weisen Sie viermal auf Ihr Energieberatungsprogramm hin, das sich in zwei Haushaltstiteln im Einzelplan 09 findet.
Margareta Wolf
Ganz „zukunftsweisend" streichen Sie den einen Titel in Ihrem Haushalt 1997, die Streichung umfaßt 5 Millionen DM. Einen weiteren Titel kürzen Sie drastisch.
Ich denke, daß das nicht kommentiert werden muß. Es spricht eine absolut deutliche Sprache und macht wirklich deutlich, daß Ihnen der Mut und die Kraft für Innovation und Strukturwandel fehlen. Ich glaube, Zukunft braucht Mut und Kreativität und keinen bornierten Strukturkonservatismus, wie Sie ihn mit dem Einzelplan präsentieren.
Danke schön.