Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wenn das wirklich der Grund wäre, dann hätten die Arbeitgeber, die in der Sorge leben, bei nachlassender Auftragslage die Einstellungen nicht mehr rückgängig machen zu können, nach der bereits 1985 verabschiedeten Gesetzgebung jederzeit die Möglichkeit, erst einmal zeitlich befristete Einstellungen vorzunehmen. Das wäre jederzeit möglich. Wenn das der entscheidende Grund wäre, dann hätten die Arbeitgeber jederzeit die Möglichkeit, Überstunden in dem notwendigen Ausmaß abzubauen.
Ich gehe gar nicht davon aus, daß Überstunden komplett abgebaut werden können. Mir leuchtet auch ein, daß bestimmte Produktionsspitzen von Überstunden begleitet werden müssen. Aber dieser horrende Widerspruch - auf der einen Seite ein dramatischer Höchststand an Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite ein dramatischer Höchstand an Überstunden - ist so nicht hinnehmbar. Man muß darauf hinwirken - entweder über tarifliche Regelungen, über betriebliche Regelungen, oder über gesetzliche Regelungen -, daß dieser Mißstand endlich abgebaut wird.
Ottmar Schreiner
Aber das ist gar nicht einmal der entscheidende Punkt. Ich habe schon versucht, Herrn Blüm darzulegen, daß es überhaupt nicht darum geht: auf der einen Seite die Sozialdemokraten, die ihr Heil in reiner Verteilungspolitik suchen, und auf der anderen Seite die „phantasievolle" Regierung, die versucht, Arbeit bezahlbar zu machen nach dem Motto „Arbeit ist da, aber wir müssen sie auch finanzierbar machen" . Dieser Widerspruch existiert genau nicht. Es gibt eine Fülle von Beispielen, mit denen ich Ihnen deutlich machen könnte - leider verfliegt die Zeit hier -, daß wir dieses Parlament mit einer ganzen Reihe von Initiativen bedient haben, die gerade dahin führen sollen, daß reguläre Arbeit erweitert werden kann. Dazu komme ich gleich mit ein paar Beispielen.
Ich will Ihnen aber eines nicht ersparen, meine Damen und Herren von der Koalition: Sie hatten zu Anfang des Jahres eine geradezu einmalige Chance, ein wirkliches gesellschaftlich tragendes Bündnis für Arbeit hinzubekommen. Die Industriegewerkschaft Metall, die größte Gewerkschaft der Welt, ist über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat Lohnzurückhaltung in der nächsten Zeit angeboten, wenn dafür mehr Beschäftigung eingetauscht werden würde. Sie haben die IG Metall wie die deutschen Gewerkschaften insgesamt in der Wahlkampfphase vor den Landtagswahlen im März schamlos mißbraucht. Sie haben die in weiten Teilen der Bevölkerung positive Resonanz auf das Bündnis für Arbeit für Ihre Wahlkampfzwecke instrumentalisiert. Nach den Landtagswahlen am 24. März haben Sie die Gewerkschaften vom Tisch gejagt, und damit war das Bündnis für Arbeit tot.
Das war eine in Deutschland geradezu einmalige Chance, wirklich zu einer Verbreiterung von Beschäftigung zu kommen unter Inanspruchnahme aller Beteiligten: der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Politik.
Sie, Herr Geißler, - ausgerechnet Sie! -
haben gestern in Ihrem Beitrag, der ebenso kläglich wie mißlungen war - daraus spricht bestenfalls noch ein schlechtes Gewissen, weil Sie in den letzten Monaten in einem Maße umgefallen sind, wie ich das wirklich nicht für möglich gehalten hätte -, die katholische Soziallehre hier in diesem Haus für ein Linsengericht verkauft.
Sie haben sich gestern - das will ich in aller Deutlichkeit wiederholen - hier ans Podium gestellt, haben lange Reden gehalten über milliardenschwere Umsätze türkischer Kebabläden in Deutschland und haben dann anklagend gesagt: Was ich den deutschen Arbeitslosen vorwerfe, ist, daß sie sich dazu zu schade sind.
Meine Güte, welch ein Zynismus! Welch eine Offenbarung! 4 Millionen deutsche Arbeitslose sollen Kebabläden in Deutschland gründen, und dann haben wir die Arbeitsmarktkrise beseitigt. Es ist ein Jammer, es ist ein Elend, es ist zum Kotzen! Sie sind am Ende.
Jetzt will ich Ihnen sagen, was wir mit dem Bündnis für Arbeit gemacht hätten. Wir hätten als erstes die Europäische Kommission, den Europäischen Rat ermutigt, eine europäische Beschäftigungsinitiative zu starten. Sie sind die einzige Regierung neben der britischen Regierung, die in Europa eine Beschäftigungsinitiative blockiert. Was ist das für ein Europa mit 20 Millionen Arbeitslosen, wenn die Bundesregierung jede Initiative kategorisch ablehnt? Wie soll der europäische Einigungsgedanke weitergeführt werden, wenn 20 Millionen Arbeitslose das Gefühl haben, dies wird immer mehr ein Europa des Kapitals und unsere Interessen werden untergraben?
Zweites Beispiel. Ich habe gerade darauf hingewiesen, daß wir die Arbeit verbilligt hätten und die Energie verteuert hätten. Nach allen Prognosen, die ich kenne, hätte dies zu mehr Beschäftigung geführt, und es hätte zudem die Umwelt entlastet.
Drittes Beispiel. Wir hätten im Rahmen eines Bündnisses für Arbeit ein Entsendegesetz in Deutschland verabschiedet. Wir haben über 250 000 arbeitslose Bauarbeiter. Tausende von mittelständischen Bauunternehmungen sind in Konkurs gegangen, sind bankrott. Tausenden steht der Bankrott bevor, nur weil die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Bundesrepublik Deutschland vor einem massiven Lohndumping zu schützen.
Viertes Beispiel. Wir hätten Ihnen ein vernünftiges Arbeits- und Strukturfördergesetz vorgelegt und verabschiedet, und zwar nach dem alten Blümschen Motto: Arbeit fördern ist tausendmal besser als Arbeitslosigkeit finanzieren.
Wir hätten viele kommunale und regionale Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur finanzieren können, dort Arbeitslose einsetzen können. Das wäre tausendmal intelligenter gewesen, als Millionen von Menschen in der Arbeitslosigkeit verkommen zu lassen.
Fünftes Beispiel. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein massives Defizit an Tätigkeiten im Bereich der häuslichen und personalen Dienstleistungen. Gemessen an Japan fehlen hier 2,2 Millionen Arbeitsplätze. Gemessen an Schweden fehlen fast 3 Millionen Arbeitsplätze. Dem Deutschen Bundestag liegt ein Konzept der SPD-Bundestagsfraktion vor. Wir hätten Dienstleistungsagenturen geschaffen und gefördert, um die Dienstleistungsnachfrage von privaten Haushalten ernsthaft als Beschäftigungsfeld zu erschließen. Hier stehen nicht eine Handvoll Voll-
Ottmar Schreiner
zeitarbeitsplätze für Butler und Zofen in feudalen Strukturen einer Handvoll Millionärshaushalten im Blickfeld, sondern die millionenfache Nachfrage nach stunden-, tage- oder wochenweisen Betreuungszeiten und Tätigkeiten, die über die Nachfrage in Agenturen zu vollwertigen Arbeitsplätzen gebündelt werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen jetzt fünf Beispiele genannt. Sie können nicht so tun, als sei die SPD auf die reine Verteilungsfrage reduziert oder als sei die SPD auf den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt reduziert. Wir haben immer wieder versucht, auch auf die Defizite in den regulären Beschäftigungsfeldern hinzuweisen und das Parlament mit entsprechenden Initiativen zu befassen. Alles ist abgelehnt worden.
Vorletzte Bemerkung zur Rente. Minister Blüm hat gesagt, die Chaos-Diskussion über die Rente stürze die Rentnerinnen und Rentner in das Unglück. Wer führt diese Chaos-Diskussion in Deutschland?
Wer hat in den letzten Tagen die generelle Besteuerung der Renten gefordert? Es war Graf Lambsdorff, von dem nichts anderes zu erwarten ist. Daß er jemals auf die Idee käme, einen großen Immobilienbesitzer steuerlich heranzuziehen, ist ganz abwegig. Aber die kleinen Rentnerinnen und Rentner kommen ihm in den Sinn. Es war aber nicht nur Graf Lambsdorff, sondern es waren etliche Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, die ebenfalls die generelle Besteuerung der Rentnerinnen und Rentner gefordert haben. Ja, meine Güte, Sie müssen in Ihre eigene Fraktion gehen. Dort findet die ChaosDiskussion statt, und von dort wird sie in die Öffentlichkeit getragen, Herr Minister Blüm.
Jetzt noch einen Satz zur Rente. Der Kollege Louven guckt ganz erstaunt. Der beschäftigt sich mit den Arbeitslosen und fordert Karenztage beim Bezug von Lohnersatzleistungen. Nachdem alles drastisch zusammengekürzt worden ist, stellt sich der Herr Konditormeister in die Öffentlichkeit und fordert Karenztage beim Bezug von Lohnersatzleistungen. Es ist wirklich zum Kotzen. Herr Minister Blüm, da sitzen Ihre Spezies. Wirken Sie auf die ein und lassen Sie die SPD-Bundestagsfraktion weiter so erfolgreich arbeiten wie bisher!
Letzte Bemerkung. Herr Minister Blüm hat erneut Anstrengungen zu einem Rentenkonsens angemahnt. Richtig ist, daß seit 1949 alle großen Rentenreformen im Konsens der beiden Volksparteien erarbeitet und durchgesetzt worden sind. Sie, Herr Minister Blüm, haben entweder aus eigenem Antrieb oder
auf fremde Befehle hin das Tischtuch mit der SPD vor wenigen Monaten zerrissen und zerschnitten.
Sie haben auf unser ausdrückliches Befragen eingeräumt, daß Sie den Rentenkonsens vom November 1989 im Bundestag einseitig zur Disposition stellen und brechen. Was ist das für ein Umgang, wenn man auf der einen Seite mit der SPD getroffene Vereinbarungen völlig einseitig und ohne Not bricht
und auf der anderen Seite die selbe SPD-Fraktion einlädt, wieder auf dem Schoß des Herrn Ministers Platz zu nehmen. Herr Minister, dieser Platz ist nicht für uns.
Schönen Dank.