Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil wir uns in einer Haushaltsdebatte befinden, möchte ich zunächst einmal darauf hinweisen, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem, was gesellschaftspolitisch wünschenswert ist, und dein, was finanzpolitisch in einer ganz speziellen, haushaltspolitisch brisanten Zeit machbar ist.
Deshalb möchte ich sagen, daß die 11,7 Milliarden DM, die im Einzelplan 17 veranschlagt werden, aus Sicht der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition den Versuch darstellen, das, was gesellschaftspolitisch im Jahr 1997 zu bewältigen ist, finanziell seriös zu bestreiten und zu begleiten.
Wir machen den Versuch, die Antworten mit den Maßnahmen zu geben, deren Finanzierung wir sichergestellt zu haben glauben. Auf diesen Punkt möchte ich hinweisen.
Ich möchte gleichzeitig auf den Widerspruch bei Ihnen hinweisen, sich am Dienstag hierherzustellen und die Staatsverschuldung zu beklagen, zu formulieren, die Staatsschulden würden auf Kosten der jungen Generation angehäuft, um dann am Donnerstag hierherzukommen und Mehrausgaben in Millionen-, ja Milliardenhöhe zu fordern. Das ist widersprüchlich und unglaubwürdig zugleich.
Ein dritter Punkt. Ich möchte fragen, was denn der Ministerpräsident von Niedersachsen meint, wenn er gestern in einem Interview erklärt, es sei ein Irrtum, den Sozialstaat immer nur beliebig ausbauen zu wollen.
Angesichts eines dramatischen Umbruchs der Gesellschaft müsse ständig neu bestimmt werden, wieviel Sozialstaat sich der Staat unter den neuen Bedingungen der Globalisierung erlauben könne.
Wenn in Ihrer eigenen Partei darüber diskutiert wird, man müsse auch da und dort neue Richtungsentscheidungen treffen, dann können Sie doch anderen, die diese Richtungsentscheidungen verantworten, nicht in der platten Weise begegnen, wie das eben geschehen ist.
Meine Damen und Herren, ich greife das auf, was Sie im Blick auf das Erziehungsgeld gesagt haben. Natürlich kann man darüber diskutieren, und man muß es dann insbesondere finanzieren, wenn man den Kreis der Adressaten beim Erziehungsgeld erweitern will.
- Den Kreis erweitern, nachdem die Fallzahlen zurückgegangen sind; darüber kann man diskutieren. Gleichzeitig lege ich allerdings Wert auf die Feststellung, daß wir nicht Hand an die gesetzlichen Grundlagen legen und daß es keinem Leistungsempfänger des Jahres 1996 im Jahre 1997 schlechtergeht. Vielmehr verteidigen wir in dieser schwierigen Situation den Status quo.
Das machen alle Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland, egal, ob sie CDU- oder SPD-regiert sind. Nur, Sie verdrängen den einen Teil der Wirklichkeit und sind deshalb unglaubwürdig und doppelbödig zugleich.
Ich will etwas zum Argument des Verschiebens der Kindergelderhöhung um 20 DM um ein Jahr sagen. Man kann darüber klagen, und niemand von uns ist darüber froh. Nur, ich will Ihnen jetzt einmal erzählen, was in dem Land geschieht, aus dem ich komme. Ich komme aus dem Saarland.
Dort hat man jetzt die Schülerbeförderungskosten zum nächsten Schuljahr für alle Schüler ab der Sekundarstufe ersatzlos gestrichen, mit der Folge, daß alle Familien - ob kinderreich, ob kinderarm, ob bedürftig oder nicht bedürftig - pro Kind durchschnittlich 40 DM im Monat mehr zu zahlen haben als bisher.
Deshalb meine ich: Wenn sich die Länder ihrerseits gehalten sehen, solche Sparnotwendigkeiten zu verantworten, dann können Sie doch umgekehrt nicht hierhergehen und angesichts dessen, daß in diesem Jahr ein Familienleistungsausgleich mit 7 Milliarden DM mehr in Kraft gesetzt worden ist, aus einer Verschiebung der Kindergelderhöhung eine solche Argumentation herleiten, wie das soeben geschehen ist. Auch das ist widersprüchlich, doppelbödig. Sie
Peter Jacoby
verdrängen die Handlungsnotwendigkeit, die doch in Ihrer eigenen Verantwortung auf der Ebene der Bundesländer längst gesehen wird. Man verhält sich ja auch entsprechend.
Ich möchte daher etwas im Blick auf den Haushalt sagen. Die Relationen zwischen den freiwilligen und den gesetzlichen Leistungen sind etwa die zwischen 7 Prozent im operativen und 93 Prozent im gesetzlichen Bereich. Was geändert wird, betrifft insbesondere den gesetzlichen Bereich beim Erziehungsgeld. Es gibt aber auch Mehrausgaben etwa hinsichtlich der Zivildienstleistenden, wo wir mehr Fallzahlen haben, oder beim Unterhaltsvorschuß, so daß es, was den freiwilligen Bereich anlangt, gelungen ist, einen Kern auch für die Zukunft zu bewahren, zum Beispiel im Bereich der frauenpolitischen Maßnahmen, im Bereich des Garantiefonds, beim Kinder- und Jugendplan des Bundes, in der Seniorenpolitik und bei den Zuschüssen an die Wohlfahrtsverbände, sowohl was ihre Tätigkeiten anlangt wie auch, was ihre institutionelle Förderung betrifft.
Wenn man sich in dieser Zeit mit Vertretern der Verbände unterhält, dann sagen sie durchaus: Wir stellen in Rechnung, in welcher finanziellen Situation sich das Land befindet. Kümmert euch darum, daß nicht mit der Heckenschere gekürzt wird, daß eine globale Minderausgabe vermieden werden kann. Nur, wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir dazu in diesen Wochen, in denen wir den Haushaltsplan im Ausschuß beraten, auch die Mithilfe der Opposition. Ansonsten droht eben das, was die Verbände und diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind, nicht haben wollen, nämlich eine pauschale, eine lineare Kürzung, die bis jetzt Gott sei Dank vermieden worden ist.
Ich will ein Letztes sagen. Wenn wir die Diskussion im Bereich der Sozialpolitik und der Sozialstaatlichkeit überhaupt nur auf finanzielle Kategorien verkürzen, dann tragen wir doch einem Problem, von dem Sie, Frau Hanewinckel, am Schluß gesprochen haben, überhaupt nicht Rechnung. Wenn wir, die wir in den letzten Tagen und Wochen mit den schrecklichen Berichten über Brutalität an Kindern, jungen Mädchen und jungen Frauen konfrontiert worden sind, die Frage der Gewalt und vieles andere mehr diskutieren, dann sind es nicht finanzielle Kategorien, die wir zu bemühen haben. Vielmehr muß das Bewußtsein entsprechend gebildet werden.
Deshalb möchte ich sagen, Frau Ministerin Nolte: Wir stehen hinter den finanzpolitischen Schwerpunktsetzungen im Einzeletat 17; wir stehen aber insbesondere dann hinter Ihnen, wenn Sie alle Gelegenheiten wahrnehmen - wie das in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist -, sich in der Öffentlichkeit für die Bildung eines entsprechenden Bewußtseins und die Setzung entsprechender Maßstäbe einzusetzen, weil nur dadurch viele neue Probleme bewältigt werden können. Dieser Zusammenhang ist mir auch in einer Debatte wichtig, die eigentlich dem Haushalt gewidmet sein soll. Aber wir müssen beides miteinander verknüpfen, Strukturveränderung, Bewußtseinsbildung und eine entsprechende haushaltspolitische Begleitung all dessen, was wir uns für das kommende Jahr vorgenommen haben.