Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich mußte einen Schluck trinken; denn mir ist wirklich - das muß ich zu Beginn sagen - die Spucke weggeblieben nach dem, was ich zu diesem Haushalt hier eben von Ihnen gehört habe.
Sie haben doch sicherlich so wie ich - Frau Ministerin, von Ihnen weiß ich das, auch von Ihnen, Herr Jacoby, und von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachausschuß nehme ich es an - in den letzten Wochen Gespräche geführt und gehört, was die Betroffenen, die in diesem Haushalt untergebracht sind, zu diesem Entwurf zu sagen haben. Sie reden so, als hätten Sie diese Gespräche nicht geführt, als hätten Sie Ihre Büros nicht verlassen. Sie reden so, als hätte hier nicht ein wahnsinniger Kahlschlag stattgefunden.
Gott sei Dank wird hier heute zugehört, auch draußen. Ich weiß das, weil ich eben, bevor ich bierhergekommen bin, noch einmal ein Gespräch mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege hatte, die aufs höchste alarmiert sind. Ich weiß nicht, woher Sie die Unverfrorenheit nehmen, hier so zu tun, als wenn in diesem Haushalt alles zum besten stünde.
Die Frau Kollegin von der F.D.P. macht eigentlich etwas Richtiges: Sie geht gar nicht auf den Haushalt ein und erwähnt zur Sicherheit gar keine Zahlen. Frau Eichhorn - das habe ich fast auch nicht anders erwartet - sagt, wir müßten uns um die Werte kümmern, und lenkt ab auf ein zwar schlimmes, aber Gott sei Dank doch Randproblem in den Familien, nämlich den Mißbrauch von Kindern.
Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik sind zentrale Bereiche einer modernen Gesellschaftspolitik. Sie tragen in vielfältiger Form dazu bei, den Prozeß des Wandels in unserer Gesellschaft zu bewältigen und die innere Einheit unseres Landes zu vollenden.
Wer wollte dem widersprechen? Mit diesen Worten hat die Frau Ministerin jüngst die Aufgaben ihres Hauses umrissen.
Der Regierungsentwurf für den Einzelplan 17 leistet allerdings das exakte Gegenteil. Er steht für unmoderne Gesellschaftspolitik, er verschärft den so-
Siegrun Klemmer
zialen Wandel, und er treibt die innere Spaltung unseres Landes voran.
Frau Ministerin, ich muß es leider sagen: Wer bunte Broschüren druckt und sonntags gerne redet, aber die Politik seines Hauses vom Finanzminister miterledigen läßt, der hat sich doch wohl als verantwortliche Fürsprecherin wichtiger gesellschaftlicher Gruppen von der politischen Bühne verabschiedet.
Das war ein typisches Bild: Sie haben vor zehn Minuten hier Unterstützung von Ihrem Kollegen Herrn Seehofer bekommen. Sie haben hier alleine gesessen. Die Aufpasserin, die ehrenwerte Frau Kollegin Karwatzki als Staatssekretärin des Finanzministeriums, saß dabei. So stelle ich mir auch das Bild im Kabinett vor. Was haben Sie eigentlich gegen diesen katastrophalen Entwurf Laut gegeben? Was hat man von Ihnen gehört? Der Herr Kollege Rühe hat wenigstens laut geschimpft. Das haben die Verbände und die Betroffenen auch von Ihnen erwartet, aber da war null Meldung zu geben.
Das, was Sie hier über den Haushalt vorgetragen haben, bedarf doch einiger Richtigstellungen; denn Sie haben ihn sich schöngeredet. Um 6,4 Prozent soll das Volumen dieses Einzeletats gegenüber 1996 zurückgehen. Läßt man hier noch den Einwand gelten, daß dies auch auf Nachwehen der Systemumstellung beim Kindergeld zurückzuführen ist, so zieht dieses Argument dann nicht mehr, wenn man sich die allgemeinen Bewilligungen vor Augen führt. Von diesen einzigen freien Mitteln, die sonst an keiner Stelle im Haushalt zu finden sind, die nicht auf Grund von Leistungsgesetzen verausgabt werden, sondern für Politikgestaltung zur Verfügung stehen, sind sage und schreibe 70 Millionen DM - das wurde schon erwähnt - und damit 8,1 Prozent weniger als im Vorjahr veranschlagt.
Der Finanzminister Waigel nennt das technokratisch Durchbrechen des Wagnerschen Gesetzes von den wachsenden Staatsausgaben. Aber damit wird für dieses Ministerium der inhaltliche und finanzielle Bankrott des „Hauses der Generationen", wie Sie es so gerne nennen, eingeläutet.
Wie groß der tatsächliche Gegensatz von Worten und politischen Taten ist, muß man hier vor allen Dingen noch einmal gegenüber dem, was Sie, Frau Ministerin, hier vorgetragen haben, deutlich machen. Ich möchte das gerne an Hand der vier Schwerpunkte Ihres Ministeriums richtigstellen.
Erstens. Im Jahresbericht der Bundesregierung steht:
Aufgabe der Politik ist es, ein lebenszugewandtes Altern zu ermöglichen ... Der Bundesaltenplan ist ein innovatives Förderinstrument für die Altenpolitik des Bundes.
Realität ist: Der Bundesaltenplan soll um 13,3 Prozent zurückgeschraubt werden. Die Mittel für Seniorenpolitik sollen insgesamt um 17 Prozent zurückgehen.
Zweitens. Seit September 1994 gilt das Zweite Gleichberechtigungsgesetz mit den Schwerpunkten
Verbesserung der Frauenförderung, Durchsetzung und Gleichbehandlungsgebot. Realität ist: Der entsprechende Titel im Haushalt sinkt um 12,5 Prozent.
Drittens. Im Bericht der Bundesregierung für 1995 zitiert das Ministerium eine Studie, nach der die Nachfrage junger Menschen nach öffentlicher Unterstützung in Ostdeutschland wesentlich höher ist als im Westen. Auch dort macht sich allerdings angesichts von Lehrstellenmisere und Arbeitslosigkeit Zukunftsangst breit. Jugend als Zukunftsfaktor - von dem doch so häufig die Rede bei Ihnen ist - wird aus der von der Bundesregierung geführten Standortdiskussion völlig ausgeblendet. Denn Realität ist: Der Kinder- und Jugendplan erleidet einen nie gekannten Kahlschlag um 12 Prozent; die gerade für die Bewältigung des gesellschaftlichen Bruchs im Osten geschaffenen Aktionsprogramme fallen ab 1997 ersatzlos aus.
Viertens. Nicht zuletzt läßt die Bundesregierung keine Gelegenheit aus, die zentrale Rolle der Familienpolitik zu betonen. Das hört sich im Jahresbericht der Bundesregierung so an:
Die Familienpolitik der Bundesregierung hat zum Ziel, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jungen Menschen erleichtern, sich für Kinder zu entscheiden, sie zum Leben in der Familie zu ermutigen und die Solidarität der Generationen zu stärken.
Realität ist hier: Die bereits beschlossene Kindergelderhöhung - auch davon war schon die Rede - soll verfassungswidrig verschoben werden. Die völlig überholten Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld führen dazu, daß sich diese Leistungen praktisch von selbst abschaffen.
Der Gipfelpunkt ist, daß Maßnahmen der Familienpolitik in diesem Haushalt zusätzlich um 17 Prozent gekürzt wurden. So sieht es aus, Frau Nolte, und nicht so, wie Sie es vorhin hier vorgestellt haben.
Nicht nur als Haushaltspolitikerin muß ich leider sagen: Im Kern ist dieser Haushalt eigentlich gar nicht beratungsfähig. Er überdreht die Sparschraube nämlich nach quälenden Minusrunden schon in den letzten Jahren nun endgültig.
- Wir haben keine Vorschläge gemacht? Wo waren Sie denn die letzten Tage, Herr Kollege? Haben Sie hier nicht aufgepaßt, was die Opposition zu sagen hat?
Dabei wird allerdings eine prinzipiell neue Qualität erreicht, Frau Nolte. Bislang sollte mit nominalen Einschnitten um 3 bis 5 Prozent der Eindruck von Kontinuität und Bewahrung erweckt werden. Stagnation wurde dann schon als Erfolg gefeiert. Dies war allerdings ein Winkelzug der Salamitaktik der Bundesregierung, mit selektiven Kürzungen und
Siegrun Klemmer
politischen Affinitäten - die kennen wir ja - eine Solidarität der Zuwendungsempfänger gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wer die verbandlichen Befindlichkeiten kennt, wird sich über den zeitweisen Erfolg dieser Taktik nicht wundern. Mittlerweile sind aber sämtliche Gestaltungsspielräume der freien Träger derart zusammengeschmolzen, daß inhaltliche Schwerpunktsetzung und Innovation von außen im Keim erstickt werden.
In nie gekannter Eintracht - das hätte Ihnen doch auch in den letzten Wochen gewahr werden müssen - setzen sich die Verbände nun gemeinsam und völlig zu Recht gegen diese Einschnitte zur Wehr. Kürzungen in einzelnen Programmen des Kinder- und Jugendplans von deutlich über 30 Prozent - ich weiß nicht, was den Familienpolitikern unter Ihnen dazu noch einfällt - stellen die Arbeit nicht weniger Verbände mitsamt ihren Strukturen existentiell in Frage. Für Umschichtungen innerhalb der Kapitel finden selbst ausgefuchste Fachleute in diesem Jahr nun wirklich keine nennenswerte Verfügungsmasse mehr. Es ist endgültig auch mit der Möglichkeit umzuschichten Schluß.
Uns Haushaltsberichterstatterinnen der Opposition - lassen Sie mir dieses Wort noch gestattet sein - wird für 1997 eine Herkulesaufgabe zugemutet. Mit einer Rohrzange stehen wir sozusagen vor der berstenden Staumauer.
Die perfide Logik unserer Situation besteht darin, mit jedem Änderungsantrag einem verantwortungslosen Kahlschlagprogramm innerhalb eines unseriösen Haushaltspaketes quasi die Etatreife zu bescheinigen. Was ist die Alternative? Wahlweise können wir uns dem Verweigerungsvorwurf aussetzen und selbst auf kleinste Verbesserungen zugunsten der Menschen verzichten.
Zum Thema Erziehungsgeld hat die Kollegin Hanewinckel das Notwendige gesagt. Frau Ministerin, hier geht Ihr familienpolitisches Paradepferd nun wirklich nach Null.
Ihre Reaktion auf den Haushalt und die mittlerweile chronische Misere ist hilflos, unverantwortlich und geht an den gesellschaftlichen Notwendigkeiten völlig vorbei.
Mit Lobpreisungen des Ehrenamtes, der Verschonung der freiwilligen sozialen Dienste von allen Kürzungen - auch das muß man aus dem Haushalt herauslesen - sowie dem lauten Nachdenken über allgemeine Dienstpflicht zeigen Sie eigentlich recht deutlich auf, wohin die Reise gehen soll, wer nämlich das Staatsversagen bei der Bereitstellung öffentlicher Güter in Zukunft aufzufangen und wer zu leisten hat.
Frau Nolte, Sie bleiben die Antwort auf folgende wichtige Frage schuldig, die gleichzeitig als Vorwurf an Sie gerichtet ist: Wie lange eigentlich wird der ständige Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip, das von den freien Trägern zunehmend schwerer ausgefüllt werden kann - auch Sie wissen das -, als dauerhafte Fluchtmöglichkeit aus der Sozialstaatlichkeit von Ihnen noch mißbraucht?
Dieser Haushalt ist hinsichtlich seiner unmittelbaren Folgen und Signalwirkungen fatal. Ich fordere Sie sehr eindringlich auf, in den nächsten Wochen im Interesse der Familien, der Frauen sowie der jungen und älteren Generation nachzubessern. Wir sind - natürlich unter veränderten Bedingungen, allerdings nicht, um neue Kampagnen zu starten - dazu bereit. Dieses rüde Kahlschlagprogramm wird allerdings nicht die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion finden.