Rede von
Christel
Hanewinckel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Haushalt, den Sie, Frau Nolte, vorlegen, wird 1997 um insgesamt 6,4 Prozent niedriger sein als in diesem Jahr. Er wird am stärksten von allen Geschäftsbereichen gekürzt, wenn wir die Nichterhöhung des Kindergeldes dazurechnen.
Vor Journalisten haben Sie gestern versichert, Leistungsverschlechterungen werde es nächstes Jahr weder beim Erziehungsgeld noch beim Kindergeld geben. Liebe Frau Kollegin, das ist Schlichtweg falsch.
Wie Sie selbst ganz genau wissen, haben immer weniger junge Familien Anspruch auf Erziehungsgeld. Schuld sind die Einkommensgrenzen, die Sie nicht bereit sind zu erhöhen.
Im nächsten Jahr werden nur noch vier von zehn Familien das volle Erziehungsgeld von 600 DM erhalten. Vor zehn Jahren waren es noch neun von zehn Familien. Ist das keine Leistungsverschlechterung? Wo, bitte, ist hier Wachstum? Es geht nicht darum, daß es den Familien allen so viel besser geht, daß sie unendlich mehr verdienen, sondern weil die Leistungsgrenzen einfach nicht angehoben werden.
In der Koalitionsvereinbarung steht, daß die Einkommensgrenze erhöht werden soll. Wann denn? Nächstes Jahr offenbar nicht, sonst könnte der Haushaltstitel für das Erziehungsgeld nicht um 400 Millionen DM gekürzt werden. Wie wollen Sie
Christel Hanewinckel
eigentlich den Familien glaubhaft machen, daß Sie irgendwann einmal die Milliarden für die Anhebung der Einkommensgrenzen von Herrn Waigel zurückbekommen werden, wenn Sie nicht einmal bewirken können, daß wenigstens der 1996er-Stand erhalten bleibt? Die Familien können sich von Ihren Ankündigungen, daß die Einkommensgrenzen angehoben werden müßten, nichts kaufen. Nichtstun ist hier Rückschritt.
Sie wollen den Familien die bereits im Gesetz stehende Erhöhung des Kindergeldes wieder streichen. Ist es denn keine Leistungsverschlechterung, wenn eine Familie mit zwei Kindern Monat für Monat 40 DM weniger bekommt, als ihr versprochen wurde? Dies ist ein Vertrauensbruch an den Familien und an der Demokratie.
Sie wollen 3,8 Milliarden DM aus den Haushaltskassen der Familien streichen. Aber ich sage Ihnen: Es wird bei der Erhöhung des Kindergeldes bleiben. Wir werden dafür sorgen.
Die zunehmende Kinderarmut ist eine Schande für unser Land. Kinder sind von der Sozialhilfebedürftigkeit doppelt so stark betroffen wie der Rest der Bevölkerung. Die Kinder der Alleinerziehenden trifft es besonders hart. Das liegt nicht an dieser Familienform, sondern das hat ganz klar andere, identifizierbare Gründe.
Einer davon ist der viel zu gering angesetzte Kindesunterhalt. Jede Mutter weiß, daß die 250 DM Unterhalt, die sie vom Vater für das Kind bekommt, nicht ausreichen, um das Kind durch den Monat zu bringen: Die Miete, die Kleidung, das Essen und die Schulhefte müssen bezahlt werden. Das Existenzminimum eines Kindes liegt mehr als doppelt so hoch. Ich fordere Sie auf, Frau Nolte: Machen Sie mit dem ,,Väter-Schonprogramm" Schluß! Setzen Sie endlich den Kindesunterhalt so an, daß die einfache Lebenshaltung des Kindes gedeckt ist!
Dies wäre eine Maßnahme, um die Kinder aus der Sozialhilfe herauszuholen. Es würde die öffentlichen Kassen nicht einmal etwas kosten.
Liebe Kollegin Nolte, Ihnen fehlt die politische Gestaltungskraft. Sie kommen über Forderungen in alle möglichen Himmelsrichtungen nicht hinaus. Sie fordern das Land auf, es solle endlich kinderfreundlich werden; Sie fordern die Wirtschaft auf, endlich Ausbildungsplätze für Jugendliche zu schaffen;
Sie fordern die Gesellschaft insgesamt auf, nicht ganz so gewalttätig zu sein; Sie fordern die Väter auf, Erziehungsurlaub zu nehmen und, und, und. Ihr Forderungskatalog ist unendlich.