Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! In der heutigen Debatte ist schon mehrfach darüber geredet und beklagt worden, daß auch der Haushalt des Bundesfamilienministeriums von unabweisbar notwendigen Kürzungen und Einsparmaßnahmen betroffen ist und nicht verschont werden konnte. Man sollte aber auch hervorheben, daß 11,7 Milliarden DM bei einer Kürzung von 800 Millionen DM für Familien-, Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitik zur Verfügung stehen.
- Ja, meine sehr verehrte Kollegin von der Opposition, ich glaube, daß es wohl richtig ist, daß wir die gesetzlichen Leistungen und Ansprüche auch mit dem Haushalt erfüllen. Ich rechne nichts schön, sondern ich glaube, daß ich diejenige bin, die einen Blick für die Realität hat, und das ist in dieser Debatte ganz wichtig.
Ich bin froh, daß es einen Mittelansatz für Unterhaltssicherungsleistungen gibt; denn das sind Leistungen für Frauen und Mütter. Wir beklagen doch alle gemeinsam, daß der Staat einspringen muß, aber ich finde es gut und richtig, daß wir diese Leistungen haben und dafür Mittel im Haushalt angesetzt worden sind.
Ich habe bei einer sachlich richtigen Darstellung vermißt, daß erwähnt wurde, daß schließlich zu Beginn dieses Jahres zur Entlastung der Familien mit zirka 7 Milliarden DM ein ganz erheblicher familienpolitischer Beitrag von der Koalition geleistet worden ist.
Ich möchte nicht alle Argumente für und wider, die wir seit Dienstag zu den Sparmaßnahmen austauschen, wiederholen. Ich möchte einen Punkt kritisch anmerken. Man kann natürlich darüber streiten, ob die Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein angemessener Beitrag zur Lösung der schwierigen Arbeitsmarktsituation ist. Wenn man aber zu der Auffassung kommt - wie die Bayerische Staatsregierung -, daß die damit verbundene finanzielle Entlastung der Arbeitgeber zu zusätzlichen Arbeitsplätzen führen kann, dann riecht die Forderung, wenn sie aus Bayern kommt, schwangere Frauen von der Lohnabsenkung auszunehmen, doch etwas stark nach Populismus.
Genau das ist es, wenn zur Begründung dieser Forderung angeführt wird, daß die rechtliche Sonderbehandlung schwangerer Frauen ein Gebot des besonderen Schutzes des Grundgesetzes für das ungeborene Leben sei. Hier wird den Schwangeren offensichtlich unterstellt, sie würden die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes für ein paar Urlaubstage aufs Spiel setzen. Das finde ich nicht richtig.
- Nein, genau das ist es. Sehen Sie sich den Antrag, der heute im Bundesrat behandelt wurde, an und lesen Sie die Begründung.
Wenn man sich für die Absenkung der Lohnfortzahlung ausspricht und diesen Weg beschreitet, dann kann man hier in der Form nicht Politik aus Bayern machen, das ist wirklich etwas für den Stammtisch.
Eine Haushaltsdebatte verleitet dazu, Familienpolitik auf Transferleistungen des Staates zu reduzieren. Das, meine Damen und Herren, ist nicht gut;
denn es gibt in der Familienpolitik, die heute besser Lebensgemeinschaftspolitik genannt werden sollte und in der Kinder eine überragende Rolle spielen, deutlichen Reformbedarf, dem wir noch in dieser Legislaturperiode nachkommen müssen.
Mit einer stark steigenden Tendenz leben derzeit über 3,2 Millionen Menschen in Gemeinschaften, die dem traditionellen Bild von Ehe und Familie nicht mehr entsprechen. Dort wachsen eine halbe Million Kinder auf. Von jeder geschiedenen Ehe - 170 000 Ehen werden pro Jahr geschieden - ist durchschnittlich ein Kind betroffen. Kurzum: Die traditionelle Familie verschwindet nicht - das sagt auch niemand -, aber anscheinend verliert sie das Monopol, das sie lange besaß.
Egal, wie man diese Entwicklung sieht, ob als den Beleg für den Verfall konventioneller Wert- und Moralvorstellungen oder als Ausdruck zunehmender Pluralisierung und Selbstbestimmung individueller Lebensentwürfe, man muß dennoch die Verantwortung, die gerade die Politiker haben, übernehmen und ihr gerecht werden.
Denn das Leben ist bunter und vielfältiger als die Gesetzeslage.
Deshalb möchte ich nur ganz kurz erwähnen, wo außerhalb der materiellen Sicherung meiner Meinung nach Handlungsbedarf in der Familienpolitik besteht: Erstens bei dem Reformvorhaben zum Kindschaftsrecht, weil nämlich die rechtlichen Benachteiligungen gerade für nichteheliche Kinder beseitigt werden. Es ist Zeit, daß wir mit der Beratung dieses Vorhabens in den Ausschüssen und auch mit den
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Anhörungen in diesem Jahr beginnen und diese Reform in dieser Legislaturperiode abschließen.
Zweitens müssen wir Kinder in Zivil- und Strafprozessen mit dem Anwalt des Kindes in ihrer Stellung stärken, sie schützen und eine schonende Vernehmungspraxis haben. Wir müssen die Strafverfolgung wegen Kindesmißbrauchs im Ausland intensivieren. Sie alle haben recht, die hier konkretes Handeln einfordern. Da werden wir Sie, Frau Ministerin Nolte, bei Ihrem Wort nehmen und Sie in einiger Zeit auffordern, im Ausschuß zu berichten, wieweit Sie den jetzigen Ankündigungen zusammen mit Ihrem Kabinettskollegen Kanther Taten haben folgen lassen können.
Wir haben einen weiteren Punkt, der uns vor große Herausforderungen stellt: Wir müssen uns mit dem vom Bundesverfassungsgericht aufgegebenen Problem beschäftigen, wie die rentenrechtliche Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten so gestaltet werden kann, daß sie dem Gebot der Gleichbehandlung aller Versicherten gerecht wird, unabhängig davon, ob während der Kindererziehungszeit Versicherungsbeiträge entrichtet worden sind oder nicht. Da, Frau Ministerin, werden wir bestimmt auch den Vorschlag von Professor Ruland ausführlich diskutieren, daß wir diesen Ausgleich - das ist auch meine Auffassung - nicht in erster Linie über Rentenversicherungsbeiträge regeln können, sondern gesamtgesellschaftlich regeln und dann natürlich auch finanzieren müssen.
Wir sehen, daß es neben dem, was in Umsetzung des Haushalts getan werden muß, in der Gesetzgebung großen Handlungsbedarf gibt. Insofern, Frau Nolte, haben Sie mit Sicherheit die Unterstützung der F.D.P.-Fraktion. Haben Sie Mut, und packen Sie das an!
Vielen Dank.