Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 122,1 Milliarden DM im Haushalt des Bundesarbeitsministers für 1997, das sind gegenüber dem Haushalt dieses Jahres 2,5 Milliarden DM weniger. Das ist ein Rückgang um 2 Prozent gegenüber einem allgemeinen Rückgang des Haushalts von 2,5 Prozent. Ohne unsere Sparanstrengungen im Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, gäbe es Mehrausgaben von 15 Milliarden DM. Das sind die Zahlen. Ich möchte diese Debatte allerdings nicht als eine Zahlenschlacht führen. Ich finde, hinter den Zahlen verschwinden die menschlichen Schicksale.
Antworten auf die anstehenden Fragen lassen sich auch nur ungenügend mit Zahlen geben. Manchmal habe ich bei den Sozialdemokraten den Eindruck, sie glauben - deshalb sind sie so zahlenfixiert -: je mehr Ausgaben, um so besser der Sozialstaat. Das halte ich für einen großen Irrtum. Wie verrückt das ist, können Sie an folgendem sehen: Wenn das stimmen würde - je mehr Geld für Soziales, um so besser der Sozialstaat -, dann wäre die Arbeitslosigkeit ein Beitrag zum Ausbau des Sozialstaates.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Denn mit der Arbeitslosigkeit steigen die Sozialausgaben. Mehr Geld heißt also nicht mehr Soziales.
- Doch! Sie führen dauernd die Schlacht, wieviel Soziales zurückgenommen wird. Sie führen dauernd eine Schlacht - nicht um Ideen, sondern eine Zahlenschlacht.
Die führt in die Irre, vor allen Dingen deshalb, weil Sie bei dieser Rechnung unterschlagen, wer das Ganze bezahlt. Das bezahlen Millionen von Beitragszahlern: von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Aus meiner Sicht ist deshalb die Hauptfrage, der wir uns stellen müssen - wir müssen in der Lage sein, Prioritäten zu setzen; die Kunst der Politik heißt, Prioritäten zu setzen -: Was ist wichtig? Was ist wichtiger? Was ist am wichtigsten? Ich sage: Das Wichtigste für den Sozialstaat 1996 ist Arbeit für alle. Das ist die Hauptaufgabe.
Laßt uns doch darum streiten, uns darauf konzentrieren: Wem dient Politik? - Den Menschen!
Deshalb: Keine Arbeitslosenunterstützung ist so gut wie Lohn. Arbeit ist auch mehr als nur Broterwerb; sie ist ein Stück Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aus der Arbeit wird der Sozialstaat bezahlt. Um der Arbeitslosen und des Sozialstaates willen Arbeit!
Was haben eigentlich Arbeitnehmer von mehr Sozialleistungen, die durch Schulden finanziert werden, wenn anschließend die Preise steigen?
Was hat ein Rentner davon, wenn Renten steigen, aber morgen keine Beitragszahler mehr da sind? Was haben die Kinder vom Kinderfreibetrag, wenn sie morgen; wenn sie erwachsen sind, keine Arbeit haben?
- Doch, doch! Sie verbrennen das Holz, mit dem unsere Kinder heizen sollen. Sie verhalten sich wie der Bauer, der das Saatgut verfüttert und nicht fragt, wie die Ernte des nächsten Jahres entstehen soll.
Wenn ich die ganze Diskussion - wir haben sie jetzt ausreichend bis ins Detail hinein geführt - auf Grundlinien zurückführe, dann wird mir klar: Es streiten sich bei dieser Frage zwei Denkschulen. Die eine Denkschule geht von der These aus: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus, und deshalb müssen wir sie besser verteilen. Die andere Denkschule geht von der These aus: Arbeit ist genug vorhanden, nur nicht
bezahlbar und schlecht organisiert. Die erste Denkschule ist die des Zukunftspessimismus.
- Doch! Sie sagen, der Gesellschaft geht die Arbeit aus. Halten Sie das für eine optimistische Perspektive?
- Doch! So haben Sie gestern argumentiert: Der Gesellschaft geht die Arbeit aus. Ich sehe darin einen versteckten Zynismus angesichts des Elends in der Welt.
Der Gesellschaft kann die Arbeit nicht ausgehen. Nur, sie ist möglicherweise nicht bezahlbar und falsch organisiert.
Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.