Rede von
Jörg
Tauss
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (Plos)
Herr Kollege Koppelin, da der F.D.P.-Sachverständige mich kürzlich zu einem Fachvortrag eingeladen hat, bei dem parallel zu mir der Wirtschaftsminister Rexrodt referiert hat und nicht Herr Stadler, habe ich den Eindruck, daß die Kompetenzen offenbar durchaus unterschiedlich beurteilt werden.
Im übrigen teile ich Ihre Einschätzung nicht; das ist doch klar.
Während der gesamten Haushaltsberatung haben wir der Bundesregierung nachgewiesen, daß zwischen Sonntagsreden und der Haushaltsrealität, zwischen Ankündigung und Verwirklichung Welten liegen. Diese Differenz wiederholt sich in beunruhigender Selbstverständlichkeit auch beim Etat des sogenannten Zukunftsministers. Edelgard Bulmahn und Günter Rixe haben auf die schlimmsten Versäumnisse bereits hingewiesen. Die Zukunftschancen der jungen Generation werden durch diese Bundesregierung und durch diesen Minister verspielt. Das sind die Ausgangspunkte, von denen wir heute ausgehen müssen.
Der „Spiegel" schrieb in dieser Woche: „Die besten Köpfe verlassen das Land". Das gilt übrigens genau für die Bereiche, in denen Sie nicht eine vermeintliche Technikfeindlichkeit der Bevölkerung als Ursache dafür anführen können, wo Sie doch immer nach Schuldigen suchen für das, was in diesem Lande passiert. Sie sind nie schuldig. Ich kann nur sagen: Wenn die besten Köpfe Deutschland verlassen, hat das mehr mit Ihrer Technologiepolitik zu tun als mit der vermeintlichen Technikfeindlichkeit, die Sie an dieser Stelle immer beschwören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ministerium veröffentlicht viele Pressemitteilungen, zum Teil im Internet. Bei einer geniert man sich. Die hatte die Überschrift „Klare Prioritäten und mehr Effizienz". Für begnadete Überschriften ohne jeglichen Inhalt müßten Sie Preise bekommen. Ihre Politik gleicht einem Heißluftballon. Da wird geräuschvoll mit viel heißer Luft eine Hülle gefüllt und als zukunftsweisender Haushaltsentwurf gefeiert. Dem staunenden Publikum wird dann mitgeteilt, daß diese aufgeblasene Hülle auf Grund der Notwendigkeit des Sparens nicht ganz so groß sei wie eigentlich erwünscht, aber immerhin sei der Ballon viel größer, als es alle Beteiligten nach der undifferenzierten Kahlschlagpolitik des Finanzministers erwartet hätten.
Auf 130 Millionen DM, lassen Sie mich dieses Beispiel bringen, wird - auch der Minister hat es heute wiederholt - der Bereich Multimedia und Informationsdienstleistungen hochgefahren. Soweit der prachtvolle Heißluftballon. Wenn man dann die leere Hülle dieses Ballons in der Landschaft findet, wirkt er ohne heiße Luft ganz und gar nicht mehr beeindruckend.
Was hat Herr Rüttgers denn getan? Er hat zunächst einmal im Zeichen des schlanken Staates ein neues Referat mit wohlklingendem Namen in seinem Hause eingerichtet. Eigentlich haben wir an Referaten keinen Mangel. Aber auf der anderen Seite kommt es auf dieses eine auch nicht an. Nach diesem bedeutenden Beitrag der Schaffung eines neuen Referates hat dann der Herr Minister die Finanzen aus vier bereits vorhandenen alten Bereichen dem neuen Referat zugeschoben. Nur so kommt er auf seine Steigerungen. Allerdings - Kollegin Bulmahn hat bereits darauf hingewiesen -, statt auf 130 Millionen DM kommt man dann nur auf knapp 97 Millionen. Diese gut 30 Millionen DM Differenz waren wohl der Pressezuschlag beim Ballonstart.
Aber es kommt noch schlimmer: Diese nur noch 100 Millionen DM - 97 ganz genau - sind zu 90 Prozent in langfristigen Projekten gebunden. Im Anhang zur Pressemitteilung heißt es dann nur noch
Jörg Tauss
ganz klein, daß ein anderer Haushaltstitel, nämlich der Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie
- der damit nichts zu tun hat -, um sage und schreibe 123 Millionen DM gekürzt wurde. Das ist in der Tat, Herr Minister, wenn Sie sagen, es gebe keinen Grund zum Weinen, Grund zum Weinen.
Fakt in diesem Lande sind nämlich nicht Ihre 130 Millionen DM - alt -, sondern die 123 Millionen weniger, die jetzt bei der Zukunftsgestaltung der Informationsgesellschaft fehlen. Außer Hochglanzbroschüren bleibt nichts übrig.
Anderswo, wo Kohl nicht regiert, läuft es so: Letzte Woche wurden in den USA allein 100 Millionen Risikokapital für neue Softwareentwicklungen für das Internet bereitgestellt - 100 Millionen Dollar, Herr Rüttgers! Deshalb verlieren wir die besten Köpfe ans Ausland. Dort gibt es 100 Millionen Dollar, dort haben sie Geld, und hier haben sie Rüttgers und seine Pressekonferenzen. Mehr haben sie in diesem Lande nicht an Zukunft. Deswegen geht der Nachwuchs in die USA.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir noch einmal andere zu Wort kommen. Der Erfinder des World-Wide-Web hat kürzlich gesagt:
Bei der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnik droht Europa den Anschluß zu verlieren.
- Den Anschluß verliert es auch infolge Ihrer Politik, obwohl Sie an vorderster Front stehen könnten. - Weiter führte er aus: Als ich Unterstutzer gesucht habe, habe ich keine gefunden. In den USA wurde dann das World-Wide-Web mit zweistelligen Millionenbeträgen entwickelt. Ganz nebenbei entstand ein milliardenschweres Unternehmen. Ich frage mich wirklich, was passieren würde, wenn sich heute ein junger Bill Gates oder ein junger Softwarefreak beim BMBF oder bei seiner Bank melden würde. Beim BMBF bekäme er eine Hochglanzbroschüre, aber kein Geld, und bei der Bank bekäme er allenfalls Kredit für ein Eigenheim, wenn seine Schwiegermutter ihm noch eine entsprechende Unterstützung geben würde. Das ist unser Standortnachteil. Sie investieren in Beton, in sinnlose Projekte, Abschreibungsprojekte. Sie investieren nicht in die Zukunft junger Menschen. Deswegen gehen sie ins Ausland. Das ist der Punkt.
Ein weiteres Zitat vom Petersberg, vom Bertelsmann-Vorstand Herrn Middelhoff, der sagte: „Wir verspielen unsere Zukunft. " Ich will dem Herrn Middelhoff an dieser Stelle ein bißchen widersprechen, weil ich dafür bin, Verantwortliche klar zu benennen. Nicht wir verspielen unsere Zukunft. Die da verspielen unsere Zukunft. Das ist der Punkt, auf den wir ein wenig stärker hinweisen müssen.
Man könnte weitermachen: Dem Bundeskanzleramt fällt zur Informations- und Kommunikationstechnologie nichts anderes ein, als daß man sich jetzt einem Projekt von Länderkunde anschließt. Das freut die Außenpolitiker, wenn jetzt Länderkunde begonnen wird. Nein, Lähmung und Mehltau, wohin man sieht.
Herr Friedrich, Sie haben hier gerade den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zitiert.
- Ja. - Ich habe die Bitte an Sie, ihn einmal korrekt zu zitieren. Sie haben ihn nämlich nur teilweise zitiert. Er hat gesagt:
... wenn Rüttgers sein Ministerium ein Zukunftsministerium nennt; wenn der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben von 2,58 Prozent am Bruttosozialprodukt gleichzeitig auf 2,35 Prozent absinkt . . ., dann sind dies nicht die leichthin behaupteten Unterschiede zwischen Sonntagsreden und Realpolitik. Dann sind dies quälende Belege der fortschreitenden Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, die sich nicht erlaubt, Opfer für die Daseinsvorsorge ihrer Kinder zu erbringen.
Mit den Worten „quälende Belege der fortschreitenden Entsolidarisierung" ist Ihr Haushalt richtig bezeichnet. Besser hätte diese Opposition, Herr Rüttgers, es auch nicht sagen können. Legen Sie zu, sonst haben Sie Ihr Amt, wie leider bisher bewiesen, verfehlt.