Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Bundesarbeitsminister es nötig hat, solche Zerrbilder, Halbwahrheiten und Lügen über die SPD zu verbreiten, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, daß der Bundesarbeitsminister mit seiner Politik endgültig am Ende und gescheitert ist.
Sie sind politisch wirklich am Ende, Herr Blüm.
Ich lege nun mein Manuskript zur Seite, das ich mir gestern und heute in Stichwörtern zusammengeschrieben habe, und will versuchen, auf Ihre Hinweise auf die Positionen der SPD einzugehen.
Erster Punkt: Sie haben behauptet, die SPD sei auf Zahlen fixiert, wir würden ständig Zahlenschlachten führen und behaupten: Je mehr Ausgaben gemacht würden, um so besser sei es um den Sozialstaat bestellt. - Ich habe in den vergangenen Jahren fast keine Rede an diesem Podium gehalten, ohne immer wieder darauf hinzuweisen, daß die Höhe der Sozialleistungsquote, der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt, überhaupt nichts über die soziale Qualität einer Gesellschaft aussagt,
sondern nur eine Aussage über den Kostenanteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt zuläßt, weil von Ihnen immer wieder behauptet worden ist, die Sozialleistungen hätten uferlose Ausmaße erreicht. Die Sozialleistungsquote - das wissen Sie sehr wohl - ist in Westdeutschland von 1982 bis 1996 um mehrere Prozentpunkte zurückgeführt worden, obwohl die sozialen Probleme explosionsartig zugenommen haben. Zentrale Ursache sind der massenhafte Anstieg der Arbeitslosigkeit, der von Ihnen über viele Jahre hinweg so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen worden ist, und die damit verbundenen sozialen Folgeprobleme.
Also von einer Fixierung der Sozialdemokratie auf Zahlen kann überhaupt keine Rede sein. Man könnte sogar sagen: Je geringer die Kosten für den Sozialstaat sind, um so besser ist es um einen demokratischen Sozialstaat bestellt, weil die sozialen Probleme vergleichsweise gering sind.
Aber heute haben wir die größten sozialen Probleme seit 1949.
Zweiter Punkt: Sie haben soeben ausdrücklich mich in bezug auf die Anhebung der Altersgrenze bei der Lebensarbeitszeit angesprochen; das hätten die Sozialdemokraten mit beschlossen. - Das ist eine typische Halbwahrheit, und Halbwahrheiten können schlimmer als offene Lügen sein. Die Sozialdemokra-
Ottmar Schreiner
ten haben 1989 beim damaligen Rentenkonsens mit beschlossen, daß ab dem Jahr 2001 die Lebensarbeitszeit in sehr kleinen Schritten erhöht werden solle - aber unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß im Jahre 1997 die Arbeitsmarktlage geprüft werde -, daß aber, wenn eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit festgestellt werde, eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit auch im Jahre 2001 nicht in Frage kommen könne. Denn dies führt dazu, daß die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt und für die jungen Generationen der Zugang in das Erwerbsleben endgültig verbaut wird.
Diesen Hinweis auf die Prüfung des Arbeitsmarktes im Jahre 1997 haben Sie völlig unterschlagen. Sie verlängern die Lebensarbeitszeit unter eindeutigem Bruch der 1989 getroffenen Vereinbarungen. Damals, 1989, war die Arbeitslosigkeit weitaus geringer als heute, im Jahre 1996.
Dritter Punkt: Sie fragen die SPD-Fraktion immer wieder in anklagender Weise: Wo sind denn Ihre Vorschläge zur finanziellen Entlastung der Rentenversicherung oder etwa der Bundesanstalt für Arbeit? - Seit Monaten liegt diesem Parlament ein umfänglicher Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vor. Ich meine die ökologische Steuerreform. Wir sind auf einen der von Ihnen in den vergangenen Jahren - vällig ergebnislos - produzierten Vorschläge eingegangen und haben im Kern vorgesehen, daß die aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr - wie bisher - aus Beitragsleistungen finanziert werden soll, sondern aus steuerlichen Zahlungen. Also: Anhebung der Energiesteuer auf der einen Seite und auf der anderen Seite deutliche Entlastung der Beitragszahler zur Bundesanstalt für Arbeit bis hin zu drei Beitragspunkten.
Sie können hier also nicht so tun, als hätten wir keine Vorschläge gemacht. All diese Vorschläge, die auch in Teilen der Koalition Sympathie genießen, sind bislang von der Koalition gnadenlos abgelehnt worden.
Vierter Punkt: Sie haben behauptet, die Sozialdemokratie neige - Sie haben zwei Denkschulen dargestellt - zu einer reinen Verteilungspolitik, während Sie, die Koalition, davon ausgingen, es sei genug Arbeit vorhanden, die aber nicht bezahlbar sei. - Diese Denkschulen-Theorie, die Sie hier verbreiten, führt wiederum völlig in die Irre.
Denn wir sind davon ausgegangen - und gehen nach wie vor davon aus -, daß beides notwendig ist: sowohl eine deutliche Reduktion der Überstunden als auch ein wesentlich effektiveres Angebot von Teilzeitarbeit, als dies bisher der Fall ist. Entsprechende Anträge liegen dem Deutschen Bundestag vor. Es ist geradezu widersinnig, daß wir bei einem dramatischen Höchststand der Arbeitslosigkeit ebenfalls einen gemessen an der Zeit seit 1949 - dramatischen Höchststand an Überstunden haben.
Wir haben entsprechende Vorschläge gemacht, nämlich Teilzeitangebote effektiver zu gestalten, als das bisher der Fall ist. Dies alles ist von der Koalitionsmehrheit im Parlament bislang abgelehnt worden.