Rede von
Dr. h.c.
Edelgard
Bulmahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft sicherstellen will, muß verstärkt in Bildung und Forschung investieren. Angesichts der zunehmenden Globalisierung der Märkte und der sich verschärfenden Konkurrenzsituation werden neue Arbeitsplätze nur dann geschaffen und vorhandene nur dann gesichert werden können, wenn wir konsequent auf innovative Produkte und intelligente Dienstleistungen setzen. Die Qualität von Bildung, Ausbildung, Qualifikation und Wissenschaft wird somit zum entscheidenden Standortfaktor. Sie bestimmen im wachsenden Umfang über die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und die ökologische und soziale Erneuerung der Industriegesellschaft. Nur im Dreiklang von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer
Modernisierung wird sich die Zukunft unseres Landes sichern lassen.
Wir müssen deshalb, meine Herren und Damen, die Struktur der staatlichen Ausgaben ändern, weg von konsumtiven Ausgaben und Erhaltungssubventionen hin zu Zukunftsinvestitionen. Der Haushaltsentwurf 1997 und der Entwurf der mittelfristigen Finanzplanung lassen jedoch keinerlei positive Ansätze in diese Richtung erkennen. Der Entwurf des Bildungs- und Forschungsministers ist vielmehr eine Bankrotterklärung.
Herr Rüttgers, ich hätte Ihre Eingangsbemerkungen viel ernster genommen und für glaubwürdiger gehalten, wenn Sie am Schluß Ihres Beitrags gesagt hätten: Weil das so ist, habe ich mich beim Bundesfinanzminister und im Kabinett durchgesetzt und 1 Milliarde DM mehr für meinen Haushalt erhalten. - Da das aber nicht so ist, muß ich leider feststellen, Ihre Rede, Ihre Worte entsprechen nicht Ihren Taten.
Mit 15 Milliarden DM sollen im kommenden Jahr 700 Millionen DM oder 4,5 Prozent weniger für die Sicherung der Zukunft unseres Landes zur Verfügung stehen als im laufenden Haushaltsjahr. Das auch noch als die in der Koalition vereinbarte überproportionale Steigerung des Bildungs- und Forschungshaushalts zu verkaufen ist nicht nur unseriös, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schon dreist.
Mit dem Entwurf des Bildungs- und Forschungshaushaltes 1997 setzt die Bundesregierung ihren beispiellosen Kurs, den Bundeshaushalt auf Kosten von Bildung und Forschung und damit zu Lasten der nachwachsenden Generation zu sanieren, fort. Seit 1982 ist der Anteil dieses Einzelplans am Bundeshaushalt von 4,7 Prozent auf nunmehr 3,4 Prozent gesunken. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, kann man nicht mit der allgemeinen Haushaltslage erklären.
Das ist ein Bedeutungsverlust dieses Politikfeldes, der auf Ihre Entscheidung zurückgeht und im krassen Widerspruch zu dem steht, was Sie ansonsten verbal immer erklären. Es kommt noch schlimmer. Im symbolträchtigen Jahr 2000 sollen es nur noch 2,3 Prozent sein. Selbst nominal erreichen die ProKopf-Ausgaben im kommenden Jahr nicht einmal mehr den Wert von 1982. In konstanten Preisen von 1991 gerechnet werden die Pro-Kopf-Ausgaben im kommenden Jahr mit 150 DM sogar um 35,6 Prozent unter dem Niveau von 1982 liegen.
Edelgard Bulmahn
Wer so handelt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der ruiniert den Standort Deutschland, der fördert ihn nicht.
Wer seit Jahren - wirklich seit Jahren - die Förderung von Bildung und Forschung zur Nebensache erklärt, der gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und bereichert sich auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder.
Aber statt am Kabinettstisch für die Belange von Bildung und Forschung zu streiten, profiliert sich Minister Rüttgers lieber als Laienspieler im Sommertheater. Was konnten wir nicht alles in den Zeitungen lesen? Da fordert der Minister die Verkürzung der Schulzeit, die Bezahlung der Professoren nach Leistung oder den Eingriff in ausgehandelte Tarifverträge.
Forderungen aufzustellen, die andere einlösen müssen, ist allerdings nicht die vorrangige Aufgabe eines Fachministers, Herr Rüttgers. Dem Bildungs- und Forschungsminister stünde es vielmehr gut an, endlich seinem Amt gerecht zu werden und sich auf die Probleme zu konzentrieren, für die er Verantwortung trägt.
Aber klare Prioritäten zu setzen, Innovationen anzustoßen und Reformen voranzubringen ist eben nicht die Sache des Ministers. Da er kein Geld für Forschung und Bildung hat, redet er gern von Effizienz, Exzellenz, schlankeren Strukturen und Wettbewerb. Das ist an sich nichts Schlechtes.
Aber wenn man sich ansieht, wie das umgesetzt wird, wird eine erschreckende Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit deutlich.
Wenn nämlich alle Forschungseinrichtungen der sogenannten Blauen Liste oder alle Großforschungseinrichtungen in einen Topf geworfen werden, wie das in Rüttgers „Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" vom Juli 1996 geschieht, dann kann ich nur sagen: Das macht keinen Sinn.
Herr Lenzer, welchen Sinn sollte es denn machen, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron, DESY, in Hamburg 5 Prozent aus der Grundfinanzierung zu streichen und dann im Wettbewerb neu zu vergeben? Mit wem soll DESY in der Bundesrepublik denn in Wettbewerb treten? Die hier betriebene Elementarteilchenphysik steht im Wettbewerb mit Grenoble, mit Stanford oder mit Tokio. In Deutschland gibt es keine vergleichbare Forschungseinrichtung. Das gleiche trifft für einige Institute der Blauen Liste zu.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns auch in einer angespannten Haushaltslage davor hüten, kurzsichtig zu sein und Schnellschüsse abzugeben.
Grundlagenforschung hat als kulturelle Leistung immer auch einen Wert an sich, und sie ist oft, sehr oft, die Voraussetzung für eine erfolgreiche angewandte Forschung. Das darf nicht vergessen werden.
Die Vielzahl der Einzelprojekte müsse gebündelt werden, hat Herr Rüttgers gesagt. Herr Rüttgers, ich frage Sie: Unter wessen Verantwortung hat sich die Projektanzahl seit 1982 mehr als verdoppelt? 1982 gab es in der Zuständigkeit des Forschungsministers rund 5 000 Fördervorhaben. Heute sind es je nach statistischer Zuordnung 12 000 bis 16 000 Forschungsprojekte.
Es ist gut, wenn der Forschungsminister heute das als notwendig feststellt, was die SPD-Fraktion schon seit Jahren fordert, nämlich den Innovationsprozeß von der Forschung bis zum Marketing zu betrachten und die Bündelung der Förderung zu Leitprojekten vorzusehen, die visionäre Lösungen für zentrale wirtschaftliche, ökologische und soziale Probleme aufzeigen. Nur, ich frage mich: Wo sind diese Visionen? Wo sind die identifizierten Zukunftsthemen, die der Bundesminister angehen will?
Ein Zukunftsminister muß den Mut haben, forschungspolitische Visionen zu formulieren, die sich an den zukünftigen Bedürfnissen der Gesellschaft und an den sich abzeichnenden Zukunftsmärkten orientieren.
Entscheidend dabei ist, daß Gesamtlösungen gesucht werden, nicht nur Beiträge zur Verbesserung einzelner Komponenten. Leitprojekte wären die mobile Gesellschaft, verknüpft mit der effizienten Gesellschaft, der zum Baden geeignete Fluß, die abfallfreie Fabrik und die energieeffiziente Siedlung. Es gibt vieles mehr. Aber weder auf diesen noch auf anderen Gebieten gibt es eine mobilisierende Kampagne, statt dessen viele leere Worte und bloßen Etikettenschwindel.
„Der Bund will seine Förderung durch neue Schwerpunkte wirkungsvoller machen", so der Minister. Richtig! Aber ich stelle fest: Im Rahmen der IuK-Technologien, sagt der Minister, werde der neue Förderbereich Multimedia auf 130 Millionen DM hochgefahren. Sieht man jedoch genauer hin, kommt man - kunstvoll im Regierungsentwurf verschleiert - gerade einmal auf einen Ansatz von 97 Millionen DM. Jede Mark auch dieser Millionen ist aus lauf enden Programmen zusammengestückelt - einmal Deutsches Forschungsnetz, einmal Fachinformation, alles laufende Programme, deren Mittel für 1997 längst festgelegt sind.
Edelgard Bulmahn
Auch die 50 Millionen DM für die überfällige Maßnahme „Schulen ans Netz" lassen sich im Haushaltsentwurf nirgends finden. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um dieselben 52 Millionen DM aus dem Titelansatz Deutsches Forschungsnetz handelt, die auch schon für den Multimedia-Bereich herhalten mußten.
Statt klarer Prioritätensetzung im Haushalt, die notwendig wäre, werden die Mittel für wichtige Technologiefelder zusammengestrichen: Informationstechnik minus 9 Prozent, Produktions- und Qualitätssicherung minus 11 Prozent, Lasertechnik minus 11 Prozent, neue Materialien minus 11 Prozent, Mikrosystemtechnik minus 15 Prozent, erneuerbare Energien minus 18 Prozent.
Auch im Bereich der Vorsorge- und Umweltforschung sieht es nicht besser aus: Ökologie- und Klimaforschung minus 11 Prozent, Meeres- und Polarforschung minus 11 Prozent, Gesundheitsforschung minus 8 Prozent.
Sind das eigentlich Bereiche, die für unsere Gesellschaft nicht wichtig sind?
Während die Globalisierung der Märkte und der sich beschleunigende und intensivierende internationale Wettbewerb einen riesigen Bedarf an innovativen Lösungen schaffen, hat ausgerechnet die Technologie- und Innovationsförderung der Bundesregierung erheblich an Stellenwert eingebüßt.
Aber nur mit neuen Produkten und mit Prozeßinnovationen kann der Wettbewerb auf Dauer gesichert werden. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Für neue Arbeitsplätze brauchen wir neue HighTech-Produkte - Produkte, die auf den Gebieten der Verbundwerkstoffe, der umweltfreundlichen Materialien, der Photovoltaik, der Avionik, der Hochleistungskeramik, der Lasertechnologien, der Optoelektronik und der Mikrochirurgie entwickelt werden, um nur einiges zu nennen.
Wir brauchen dafür eine adäquate finanzielle Ausstattung.
Es ist eine verhängnisvolle Fehleinschätzung der Bundesregierung, sich im Glauben, die Wirtschaft werde schon einspringen, aus der Forschungsförderung zurückzuziehen. Wo die staatlichen Gelder versiegen, zieht sich auch die Wirtschaft zurück.
Ein Bericht des Weißen Hauses vom November 1995, der sich kritisch mit den rückläufigen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in den USA auseinandersetzt, findet in einer Analyse über die letzten 30 Jahre keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, daß die Industrie mehr für Forschung und Entwicklung ausgibt, wenn der Staat sich zurückhält. Das Gegenteil ist der Fall: Ein Rückgang der öffentlichen Fördermittel geht regelmäßig mit einem Rückgang der privaten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen einher. Statt die Forschungsförderung abzuwürgen - wie das jetzt mit diesem Haushalt wieder einmal geschieht -, muß der Staat vielmehr antizyklisch investieren.
Die Förderung von FuE in der gewerblichen Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren nicht nur gesunken, sondern sie ist auch in eine instrumentelle Schieflage geraten, von der vor allem die kleinen und mittleren Betriebe betroffen sind. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sind aber für die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.
Sie erhalten nur noch 7,12 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Bundes. Ich halte das für unakzeptabel.
Der Bundesminister sagt zwar, der Finanzierungsprozeß von kleinen und mittleren Technologieunternehmen und deren Vorhaben funktioniere in Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße, aber er ändert nichts. Die Analyse stimmt, Herr Rüttgers. Sie müssen aber gleichzeitig zugeben, daß diese richtige Analyse der Offenbarungseid einer verfehlten 14jährigen Innovationspolitik dieser Bundesregierung ist.
Wir hatten im Jahre 1982 noch eine ganze Reihe von innovativen Rahmensetzungen. Heute ist die indirekte Forschungsförderung, die gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen sehr wichtig ist, fast vollständig abgebaut worden. In den alten Bundesländern wurde das FuE-Personalkostenzuschußprogramm eingestellt; die FuE-Personalzuwachsförderung wurde eingestellt; ganz ausgelaufen sind die FuE-Sonderabschreibung, die steuerliche Erfinderförderung und die FuE-Investitionszulage. Innovation findet aber in den Köpfen statt. Ich verstehe daher nicht, wie man solche Programme abschaffen kann.
Deutschland ist mittlerweile das einzige G 7-Land ohne steuerliche FuE-Anreize.
Edelgard Bulmahn
Es ist fatal, wenn die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Beteiligung an Containerschiffen günstiger sind als für die Beteiligung an jungen Hochtechnologieunternehmen. Darum, Herr Rüttgers, sollten Sie sich kümmern.
Mit dieser Politik, meine Herren und Damen, ist kein Staat zu machen. Wir brauchen deshalb einen konsequenten Kurswechsel in der Bildungs- und Forschungspolitik, eine zielgerichtete und angemessen ausgestattete Innovations- und Qualifikationsoffensive. Eine Kürzung des Haushaltsansatzes für den Einzelplan 30, wie Sie sie jetzt vorsehen, kommt für die SPD-Bundestagsfraktion nicht in Frage.
Vielmehr müssen die Forschungs- und Bildungsausgaben wieder deutlich angehoben werden. Wir müssen einerseits klare inhaltliche Schwerpunkte in den Bereichen Ausbildung, Qualifikation, Schlüsseltechnologien und Vorsorgeforschung setzen. Wir müssen aber andererseits auch die Effizienz unseres Bildungs- und Forschungssystems deutlich steigern.
Um dies zu erreichen, müssen wir die Bildungs- und Forschungspolitik in ein umfassendes gesellschaftspolitisches Gesamtkonzept einbetten, das die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die ökologische Erneuerung der Volkswirtschaft miteinander verbindet.
Wir müssen den gesellschaftlichen Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über Zielsetzungen, inhaltliche Schwerpunkte und Strategien der Bildungs- und Forschungspolitik ausbauen und verstärken.
Wir müssen in der Forschungs- und Technologiepolitik die Dominanz angebotsorientierter Steuerungsmechanismen, die wir noch immer haben - ich nenne zum Beispiel die institutionelle Förderung und die Projektförderung -, durch eine intelligente Mischung von angebots- und nachfrageorientierten Maßnahmen ergänzen; denn Innovationen - das ist klar - sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie eng an Nachfrage und Bedarf gekoppelt werden.
Wir müssen die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen stärken und mehr Gewicht auf die Vernetzung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung sowie von Grundlagenforschung und Beiträgen zur Lösung gesellschaftlicher Bedarfe wie des Umweltschutzes legen.
Wir müssen Anreize schaffen, um die Mobilität des Personals zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie zwischen Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stimulieren; denn Technologietransfer läuft auch und gerade über Köpfe. Er läuft über die handelnden Personen. Deshalb ist der Brain-drain, den wir zur Zeit in der Bundesrepublik haben, so katastrophal für unsere Zukunft.
Wir müssen den indirekten Fördermaßnahmen zur Stärkung des FuE-Potentials der Wirtschaft mehr Gewicht geben. Dazu zählt insbesondere die Wiederherstellung der steuerlichen FuE-Förderung und der potentialorientierten Maßnahmen im KMU-Bereich. Wir müssen endlich die Bedingungen für Existenzgründer und den Zugang zu Risikokapital erleichtern, anstatt nur immer darüber zu reden.
Wir müssen ernsthaft über eine wirksame Kostenverteilung zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben reden; mein Kollege Günter Rixe wird darauf noch näher eingehen.
Wir müssen die Hochschulreform und die Reform der Ausbildungsförderung voranbringen; da stimme ich Ihnen zu. Wir müssen aber auch das zur Kenntnis nehmen, was die Bundesländer in diesem Bereich bereits auf den Weg gebracht haben.
Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf ist all dies nicht zu machen. Er ist ein Abschied von der Zukunft. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir nicht mit.