Das ist weder selbstgerecht, noch habe ich hier irgend etwas zurückzunehmen, Frau Bulmahn. Ich habe mich schlichtweg gegen Vorwürfe verteidigt, die von Ihrer Seite in dieser Debatte erhoben worden sind, die Sie selber im Vorfeld geäußert haben. Ich weise nur darauf hin, daß man versuchen muß, Wort und Tat in Übereinstimmung zu bringen. Man darf nicht auf der einen Seite in Bonn etwas sagen und auf der anderen Seite zu Hause etwas anderes tun; man darf nicht das, was man in Bonn dem einen vorwirft, in bezug auf einen anderen als lichtvolle Tat hinstellen. Man muß darüber diskutieren, wie in Zeiten knapper Kassen eine richtige Bildungs- und Technologiepolitik aussehen kann. Das wollen wir ja auch jetzt gemeinsam tun. Nur, Sie haben einen Einstieg gewählt, der Sie unglaubwürdig macht. Diesen Spagat werden Sie nicht durchhalten.
Ich glaube auch, daß Ihre Zahlen genau interpretiert werden müssen. Auf welche Weise Sie die zusammengerechnet haben, muß man bei Ihnen immer kontrollieren.
- Entschuldigen Sie einmal; nein, nein, nein.
- Sie haben jetzt nicht das Wort, Frau Bulmahn! Nicht wer schreit, hat recht.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Der entscheidende Punkt ist folgender - das ist klar -: Daß die Haushalte bei den Ländern nominal gestiegen sind, hat damit zu tun, daß darin die Personalkosten enthalten sind. Dort schlagen sich die Steigerungen bei den Personalkosten, die durch die Lohnsteigerungen hervorgerufen worden sind, nieder. Der Anstieg rührt jedenfalls nicht daher, daß mehr investiert worden wäre. Diese Mittel sind abgebaut worden.
Wir haben da - trotz knapper Kassen - versucht, das zu tun, was wir tun können; Stichwort HSP III. Das hat viel Kraft gekostet - gegen Ihren Widerstand. 3,6 Milliarden DM für die Hochschulen können sich aber sehen lassen.
Leider verhält es sich nicht nur im Zusammenhang mit den Hochschulen so, sondern auch bei der Lehrstellenfrage, Herr Scharping.
Ich weiß nicht, ob Herr Scharping Oppositionsführer ist. Zumindest hat Herr Lafontaine daran gestern in der Formulierung einige Zweifel aufkommen lassen. Herr Scharping hat gerade angekündigt, die SPD werde zur Jahreswende - man höre und staune: zur Jahreswende - einen Gesetzentwurf zur Lehrlingsfrage einbringen. Mein Ziel ist, daß bis dahin jeder Lehrling eine Stelle angeboten bekommen hat.
Natürlich soll dieser Gesetzentwurf die Ausbildungsplatzabgabe vorsehen. Auch da haben wir wieder totale Konfusion. Einigen Sie sich zuerst mal mit Herrn Schröder; der hat nämlich gerade bei dpa erklärt, daß er gegen eine Ausbildungsplatzabgabe ist. Wenn Sie das geklärt haben, können wir über die Frage weiter diskutieren.
Man fragt sich: In welchem Zustand ist die SPD eigentlich? Man höre und staune: 1995 wurden im Saarland, dem Land des SPD-Vorsitzenden, in allen Landesministerien zusammen nur fünf Verwaltungslehrlinge eingestellt.
1996 gibt es nach den Auskünften des saarländischen Innenministeriums noch immer keine Zahlen, wie viele man jetzt einstellen wird. Alle Kommunen und Landkreise im Saarland werden 1996 nur 20 Lehrlinge einstellen. Ich sage: Pfui; wer sich so verhält, der hat das Recht verloren, sich zu Lehrlingsfragen zu äußern.
Das gleiche Chaos haben wir übrigens beim Meister-BAföG; wir haben es gegen den Widerstand der SPD-Länder durchgesetzt. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich in der „Welt am Sonntag" plötzlich lesen mußte, daß Herr Lafontaine erklärt, das Meister-BAföG sei ein Erfolg der SPD.
Nun ja, wer es notwendig hat, schmückt sich mit fremden Federn.
Ich habe festgestellt, daß bei den Ländern inzwischen 30 000 Anträge vorliegen, bis Ende August aber nur 2 500 bewilligt wurden, und in Brandenburg noch nicht einmal das Ministerium festgelegt worden ist, das für Meister-BAföG zuständig sein wird.
Dazu kann ich nur sagen: Wer heute Lehrling ist, wer heute Geselle ist und sich auf die SPD verläßt, der ist verlassen.
Dasselbe Chaos haben wir im Bereich der Technologiepolitik - nur Widersprüche. Gestern hat Herr Scharping gesagt, er habe Sorge, Deutschland werde zur technologischen Provinz verkommen.
Herr Scharping war vor wenigen Tagen in der Provinz, nämlich im Emsland, und hat eine Fahrt mit dem Transrapid gemacht. Er war nach dieser Fahrt offensichtlich beeindruckt; denn er hat laut „FAZ" gesagt, er sei für den Transrapid. Er hat aber hinzugefügt, er sei gegen die Strecke. Da sage ich nur: Heilige Einfalt. Für den Transrapid, aber gegen die Strecke - das ist so ähnlich wie: für die Kartoffel, aber gegen das Kartoffelfeld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Biotechnologie haben wir dieselbe Konfusion: SPD-regierte Länder nehmen am BioRegio-Wettbewerb teil; im Anschluß daran kämpft die SPD in Schleswig-Holstein gegen die Gentechnik.
Das gibt zusammengefaßt folgendes Bild der SPD in der Bildungs- und Technologiepolitik: für die Hochschulen, aber gegen Stellen für Hochschullehrer; für Lehrlinge, aber keine Stellen im eigenen Land schaffen; für Meister-BAföG, aber gegen die Auszahlung der Mittel; für Transrapid, aber gegen die Strecke; für Gentechnik, aber gegen Freilandversuche; für mehr Geld, aber gegen konkrete Projekte - das verstehe, wer will.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1997 des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie beträgt, wie jeder weiß, genau 15 Milliarden DM. Das sind 390 Millionen DM weniger als das verfügbare Soll des letzten Jahres. Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln, aber auch kein Grund zum Weinen; denn wer weniger Geld hat
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
- das ist eine alte Lebenserfahrung -, der muß mehr aus seinem Geld machen.
Deshalb ist es im Jahre 1997 mein wichtigstes Ziel, drei große Reformvorhaben mit Energie durchzuführen. Das erste ist die Reform der deutschen Hochschulen. Das zweite ist die grundlegende Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft. Das dritte ist die Fortentwicklung der Technologiepolitik zu einer modernen Innovationspolitik durch Leitprojekte.
Heute ist sicherlich nicht die Zeit, zu all diesen großen zentralen Reformprojekten im einzelnen Stellung zu nehmen. Dennoch will ich einige wenige Bemerkungen machen.
Wir werden den Herausforderungen für das nächste Jahrhundert nicht dadurch gerecht, daß wir die Anzahl der Technologieförderprojekte erhöhen. Wir werden ihnen nicht dadurch gerecht, daß wir nur Zuschüsse gewähren. Wir werden ihnen nicht dadurch gerecht, daß wir Themen, über die wir zum Teil seit 20 Jahren und länger diskutieren, wie etwa die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, weiterhin in unseren Reden vor uns hertragen und sie damit füllen.
Wir werden ihnen nur gerecht, wenn wir die Kraft und den Mut haben, Strukturen zu verändern. Das ist bei der Hochschulreform nicht einfach. Da gibt es eine notwendige Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Da gibt es unterschiedlichste Vorstellungen. Was mich freut, ist, daß es inzwischen in allen Ländern eine Bereitschaft gibt, über diese Strukturen nachzudenken.
Deshalb wird es ganz wichtig sein, daß nicht nur in jedem Land sehr unterschiedliche Vorstellungen entwickelt werden, sondern daß auch wir hier in Bonn intensiv über dieses Thema diskutieren.
Wir werden die Frage beantworten müssen - das wird wahrscheinlich die Einstiegsfrage sein -, wie wir das, was wir alle erklären, und das, was wir alle wollen, nämlich mehr Wettbewerb im Hochschulsystem, gemeinsam erreichen können. Dann wird zwangsläufig als erste Frage auftauchen, ob es ein Wettbewerb der Hochschulen oder ein Wettbewerb der Länder sein soll. Diese zentrale Frage wird sich schon direkt zu Beginn stellen.
Ich glaube, das ist eine der großen Herausforderungen; denn unsere Hochschulen sind in den vergangenen Jahren leider zu Regionalhochschulen geworden. Eine Konsequenz des ZVS-Systems ist, daß Studenten in der Regel der wohnortnahen Universität zugewiesen werden. Es nimmt den Wohnort als wichtigeres Kriterium als Neigung und Leistung.
Es wird sich an dieser Stelle entscheiden, ob wir die Frage der Hochschulen nur aus Ländersicht, aus nationaler Sicht oder auch aus internationaler Sicht betrachten. Das Ziel muß sein, daß unsere Hochschulen international leistungsfähig werden; das sind sie zur Zeit nur noch eingeschränkt.
Wenn das, was über Globalisierung und Wissensgesellschaft gesagt wurde, richtig ist, dann müssen wir den genannten Maßstab an unsere Hochschulen anlegen. Aus Zeitgründen kann ich nichts zu den einzelnen Schritten sagen. Ich bin aber ganz sicher, daß es eine Vielzahl von Ansatzpunkten gibt, bei denen Bund und Länder zu Ergebnissen kommen können.
Das gleiche gilt für das Thema Forschungslandschaft. Die Bundesregierung hat zusammen mit dem Haushalt ein sehr ambitioniertes Reformpaket für die deutsche Forschungslandschaft vorgelegt, das viele alte Zöpfe abschneidet. Wir sind bereit, die gleiche Evaluation, die wir in den neuen Bundesländern angewandt haben - eines der Themen im Zusammenhang mit dem Hochschulsonderprogramm ist das Thema WIP, das eines der Ergebnisse der Evaluation ist -, jetzt in den alten Bundesländern anzuwenden.
Die Forschungsinstitute in den alten Bundesländern müssen sich denselben Kriterien stellen wie die Institute in den neuen Bundesländern in den vergangenen fünf Jahren.
Das bedeutet, daß wir auch die Kraft finden müssen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Institute, die nicht wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, zu schließen.
Ich erkläre für die Bundesregierung, daß wir die Finanzierung einstellen wollen, wenn der Wissenschaftsrat erklärt, daß die wissenschaftlichen Kriterien nicht gegeben sind. Das bedeutet weiterhin, daß wir auch die Kraft haben müssen, wissenschaftliche Institute zu privatisieren. Das hat es in Deutschland auch noch nicht gegeben. Wenn sich die Institute am Markt behaupten können, müssen wir sie wirklich privatisieren und dem Markt überlassen.
Es ist schön zu wissen, daß es beispielsweise Fraunhofer-Institute gibt, die das nicht nur können, sondern das auch wollen. Dazu gehört auch, daß wir uns um den Nachwuchs in den Forschungszentren kümmern und Nachwuchsprogramme auflegen. Das reicht bis hin zu der wahrscheinlich schwierigsten Frage, ob es uns gelingen wird - das ist ein Punkt, bei dem ich noch ein Fragezeichen mache, weil ich weiß, daß es nicht eine Sisyphusarbeit, wie es gestern gesagt wurde, sondern eine Herkulesarbeit ist -, unsere Forschungszentren aus den Fesseln des öffentlichen Dienstrechts und der Kameralistik zu befreien.
Der dritte Punkt umfaßt die Leitprojekte. Wir alle wissen - jeder von uns sagt es -, daß aus einer Vielzahl von Gründen die Forscher und die Wirtschaft Schwierigkeiten mit der Zusammenarbeit haben. Wir alle wissen, daß Innovation nur möglich ist, wenn vom ersten Tag an, von der Grundlagenforschung an, auch über das Produkt nachgedacht wird, das herauskommen soll. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, daß die Zusammenarbeit auch in den Förderprojekten institutionalisiert wird. Das wird im
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Ergebnis zu einer völligen Veränderung auch der Technologieförderung führen. Der BioRegio-Wettbewerb, das Humangenom-Forschungsprogramm, das Mobilitätsforschungsprogramm sind drei erste Beispiele, die ich vorgelegt habe, bei denen wir versuchen, solche Kriterien zu entwickeln und mit Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam zu erarbeiten.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen. Im Vorfeld ist natürlich auch über den Beschluß der Bundesregierung zum Einzelplan 30 diskutiert worden. Natürlich kann man, wenn Kürzungen vorgenommen werden - Kollege Kampeter wird dazu im einzelnen noch Stellung nehmen -, immer wieder diskutieren, ob die Kürzungen an der richtigen Stelle vorgenommen werden. Das wird eine Aufgabe auch der Debatte jetzt im Parlament sein. Aber eines wird man uns nicht vorwerfen können: daß wir mit dem Rasenmäher an diese Aufgabe herangegangen sind. Wir haben vielmehr die Kraft und den Mut gehabt, an bestimmten Stellen, wo wir es innovationspolitisch für notwendig empfunden haben, Geld dazuzulegen, bei der Max-Planck-Gesellschaft, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei Fraunhofer-Instituten, bei der Biotechnologie, bei Multimedia und in einigen anderen Bereichen. Wir haben die Kraft gehabt, in anderen Bereichen dann auch zum Teil erhebliche Einschnitte vorzunehmen, etwa im Bereich des Denkmalschutzes, beim Kontinentalen Tiefbohrprogramm, beim Studentenwohnheimbau, beim Strato 2C, bei der Bahnforschung - inzwischen ist die Deutsche Bundesbahn ein Privatunternehmen und braucht nicht mehr eine begleitende staatliche Forschung. Das sind Punkte, über die man diskutieren kann.
In Zeiten knapper Kassen finde ich wichtig: Wenn man von anderen Innovation, wenn man von anderen Mut verlangt, dann muß man auch selber Mut aufbringen. Ich glaube, wir haben dies mit dieser Vorlage bewiesen.
Vielen Dank.