Rede von
Klaus
Kirschner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Seehofer, Sie wissen doch ganz genau, daß die Krankenkassen erklärt haben, daß sie nicht mehr den vollen Preis für Arzneimittel zahlen, sondern einen Abschlag einführen wollen und daß sie von Ihnen dazu nicht die Genehmigung erhalten haben. Ist das nicht richtig, Herr Kollege Seehofer?
Wenn es auch richtig ist, daß die Daten seit über 13 Monaten nicht vorhanden sind: Ich frage Sie, was Sie als verantwortlicher Minister gemacht haben,
um dafür zu sorgen, daß endlich diese Daten zur Verfügung gestellt werden.
Herr Seehofer, ich mache es Ihnen zum Vorwurf, daß Sie als zuständiger Minister in bestimmten Situationen so tun, als hätten Sie mit diesen Dingen nichts zu tun. Sie lehnen sich zurück und tun so, als wären Sie der unbeteiligte Dritte. Was ich Ihnen auch persönlich ankreide, ist, daß Sie Ihrer Verantwortung als
Klaus Kirschner
Minister nicht nachkommen, für den entsprechenden Gesetzesvollzug zu sorgen.
- Nein, das machen Sie in diesem Punkt eben nicht, Herr Minister, genauso wenig wie Sie das beim Diagnoseschlüssel für die ärztlich-ambulante Versorgung getan haben, von dem Sie wissen, daß er überfällig ist und schon seit langem hätte in Kraft gesetzt werden sollen. Wir brauchen Datentransparenz, um überhaupt zu wissen, was in diesem Gesundheitswesen passiert.
Meine Damen und Herren, ich will auf das Beitragsentlastungsgesetz zurückkommen. Es zielt nicht auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz, einen zentralen Bereich unseres Gesundheitswesens, sondern sieht wesentliche Systemveränderungen vor.
Ich will ein Beispiel nennen, nämlich die Ausgrenzung des Zahnersatzes für all diejenigen, die am 1. Januar 1997 noch nicht 18 Jahre alt sind: Quasi über eine biologische Rutschbahn gleitet die nachfolgende Generation aus dem Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung heraus. Erstmals wird quasi mit dem Selbstverschulden eine Leistungsausgrenzung begründet, nach dem Motto: Wer schlechte Zähne hat, hat selber schuld; sie oder er hätte sich die Zähne eben putzen müssen. So einfach ist das mit dem Selber-Schuld-Sein aber nicht. Doch Sie schlagen alle Warnungen und Hinweise der Experten in den Wind. Das Motto der Bundesregierung heißt offensichtlich „Mut zur Lücke" . Das ist ihr zahnpolitisches Credo.
Meine Damen und Herren, und der nächste zahnmedizinische Kahlschlag bei der Versorgung mit Zahnersatz ist von der Koalition vorprogrammiert. Ihre zukünftigen Pläne sehen offensichtlich die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und an dessen Stelle die Kostenerstattung mit Festzuschüssen vor. Dann haben wir das von den Zahnärzten seit langem geforderte Grund- und Wahlleistungsmodell. Die Zahnärzte können dann mit privaten Liquidationen ihr Einkommen ohne funktionierende Sicherheitslinie steigern.
Auch für die psychotherapeutischen Behandlungen sind die notwendigen gesetzlichen Regelungen - auch daran möchte ich an dieser Stelle erinnern - bisher an Ihnen gescheitert. Sie planen über den Umweg der Gestaltungsleistungen der Kassen eine erhebliche Selbstbeteiligung für die Patienten. Ist diese Selbstbeteiligung erst einmal unter Dach und Fach, dann gibt es - schade, daß der Kollege Möllemann nicht da ist - kein Halten mehr. Dann muß im Wege der Gleichbehandlung - so die Forderung des Kollegen Möllemann - jeder Patient bei allen Behandlungen, also auch beim Arztbesuch, ein Eintrittsgeld zahlen, damit er überhaupt behandelt wird.
- Gut, wir werden sehen, was Sie dann vorlegen. Wir warten ja darauf. An diesem Punkt ist dieses Gesetz doch bisher gescheitert.
Ihr sogenanntes Beitragsentlastungsgesetz geht doch genau in diese Richtung. Erhält dieses Gesetz bei der morgigen Abstimmung die Mehrheit, dann ist dieser Freitag, der 13., ein schwarzer Freitag für die Patienten.
Dieses Gesetz steht nicht nur für dirigistische staatliche Regelungen statt der von Ihnen monatelang propagierten Vorfahrt für die Selbstverwaltung, sondern es steht für Zuzahlungen und Kürzungen von Leistungen anstatt für die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven durch mehr Freiraum für die Krankenkassen.
Ihr Ansatz ist gerade deshalb falsch, weil Unwirtschaftlichkeit nicht beseitigt, sondern Kosten nur verlagert werden. Gehen Sie doch endlich den Weg der Mobilisierung vorhandener Wirtschaftlichkeitsreserven! Dazu gehören natürlich eine Arzneimittelpositivliste, eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie vernetzte Praxen, um nur einige Beispiele zu nennen. Statt dessen verlangen Sie verstärkte Zuzahlungen und Ausgrenzungen. Diese bezeichnen Sie fälschlicherweise auch noch als hinreichende marktwirtschaftliche Instrumente.
Mein Fazit lautet: Sie stellen die falsche Diagnose. Sie verkennen die Ursache der Defizite. Deshalb ist Ihr Therapieansatz zur Genesung der Krankenkasse falsch.
Wenn es zutrifft, daß Sie eine weitere Beitragssatzfestschreibung oder gar -absenkung planen, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Dann, denke ich, sollten Sie schnellstens eine Kur zur politischen Regeneration antreten.
Meine Damen und Herren, drei Wochen werden allerdings nicht ausreichen, um Sie von Ihrem Rückfall in die gesundheitspolitische Steinzeit auszukurieren.
Wer ausufernde Ausgaben mit einer Beschränkung der Einnahmen in den Griff bekommen will, der handelt unlogisch, ja sogar unverantwortlich. Sie selbst, Herr Bundesgesundheitsminister, haben von ungenutzten Rationalisierungsreserven in Höhe von 25 Milliarden DM gesprochen. Ich frage Sie: Warum holen Sie sich diese 25 Milliarden DM nicht zurück? Die ganze Aufregung um Rekorddefizite können wir uns dann sparen. Ihre Erklärung hat allerdings mehrere Gründe.
Erstens. Die am Tropf von Lobbyisten hängende F.D.P. gibt Ihnen nicht den notwendigen Spielraum. Ich erinnere an die Koalitionsvereinbarung zu Beginn dieser Wahlperiode, in der Sie festgeschrieben
Klaus Kirschner
haben, daß die Budgetierung ausläuft und nicht erneuert wird. Das haben Sie doch dringehabt?
Daß Sie sich zwischenzeitlich mit Ihrem Krankenhausstabilisierungsgesetz, das der Minister gerade gelobt hat, selbst widerlegt haben, möchte ich nur am Rande erwähnen.
Zweitens. Mit einer Beitragsfestschreibung gefährden Sie ganz bewußt das Leistungs- und Qualitätsniveau der Gesundheitsversorgung. Das ist der Nährboden für den Schritt in ein neues, in ein privatisiertes Krankenversicherungssystem.
Drittens - auch diesen Grund möchte ich deutlich machen und nicht verschweigen -: Es geht der Koalition darum - das ist eine der Haupttriebfedern -, mit einer Beitragssatzsenkung vor dem näherrückenden Wahltermin 1998 Spielraum für eine Rentenanpassung zu schaffen. Das tragen Sie auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten aus.
Mit dieser Politik setzen Sie eine für die solidarische Krankenversicherung gefährliche Entwicklung in Gang. Sie betätigen sich als Steigbügelhalter der Scharfmacher in den kassenärztlichen Vereinigungen. Sie helfen damit den Kräften, die den Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung betreiben, in den Sattel, in die Schaltstellen der ärztlichen Entscheidungszentralen.
Ob Sie es wollen oder nicht - dies wird das Ergebnis sein. Wer letzten Endes den Scharfmachern bei den kassenzahnärztlichen Vereinigungen den Ausstieg aus dem Sachleistungsprinzip bestätigt, der wird auch die Geister bei den Kassenärzten rufen. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind.
Meine Damen und Herren, Sie bereiten den nächsten Schritt zur Individualisierung des Krankheitsrisikos vor. Unter der Zauberformel „Gestaltungsleistungen der Kassen" soll ein neues unsolidarisches System schmackhaft gemacht werden. Dieser Zauberformel entsprechend können die Krankenkassen mit den Instrumenten Beitragsrückgewähr, Selbstbehalte, erweiterte Leistungen und Kostenerstattung, Prävention und Gesundheitsförderung um die Gunst der Versicherten buhlen.
Mit diesen Instrumenten wird der Weg für ein Grund- und Wahlleistungssystem geebnet. Gebuhlt wird im übrigen mit solchen Instrumenten - das wissen wir doch - wie der Beitragsrückgewähr oder den Selbstbehalten um junge, gesunde Versicherte. Kranke und vor allem chronisch Kranke werden wohl kaum in der Lage sein, sich solcher Instrumente bedienen zu können.
Mit der Einführung solcher Instrumente wird die Grundsubstanz der solidarischen Krankenversicherung ausgehöhlt, zahlt hier doch im Endeffekt der Kranke für den Gesunden. Damit das alles klappt, kommen dann die Seehoferschen Schrittvariationen. Das wird sich so abspielen:
Erstens: Die Beiträge der Kassen werden festgeschrieben. Zweitens: Die Leistungsausgaben steigen weiter. Drittens: Leistungen aus dem gesetzlichen
Leistungskatalog werden zu Gestaltungsleistungen der Kassen, und es obliegt den Kassen, ob sie diese Leistungen noch gewähren oder nicht.
Jetzt wirkt das neu einzuführende Instrument „Gestaltungsleistungen" wie ein Ventil. Den Krankenkassen lassen Sie den finanziellen Minusspielraum; in der Folge müssen diese dann Leistungen wie Krankengymnastik, Hilfsmittel, Haushaltshilfen und Rollstühle ganz oder teilweise aus dem Katalog streichen. Es wird niemand anderes als der Bundesgesundheitsminister selbst sein, der dann wiederum mit dem Finger auf die Krankenkassen zeigt, denn schließlich ist es doch nicht er - auch nicht CDU/CSU und F.D.P. -, der medizinisch notwendige Leistungen für Kassen einfach streicht, sondern es sind die Krankenkassen, und zwar deshalb, weil sie nicht mehr anders können.
Das alles wird mit dem Spruch umgarnt, sie können ja doch nicht mit dem Geld umgehen. Die Ursache dafür jedoch, daß sich der Gesundheitsminister weigert, 25 Milliarden DM - die Zahl hat er selbst genannt - Rationalisierungsreserven auszuschöpfen, liegt darin, daß er am Gängelband der F.D.P. geht. Daß er mit dieser verfehlten Politik einer Beitragsfestschreibung die Krankenkassen wie eine Zitrone ausgepreßt hat, wird tunlichst verschwiegen.
Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich darauf, wir werden Sie nicht aus Ihrer Verantwortung für die Politik für die Krankenversicherten entlassen. Wir werden ständig daran erinnern, daß Sie unseren Gesetzentwurf, der ein Angebot zur Weiterentwicklung der Gesundheitsreform war, abgelehnt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben zur wirksamen langfristigen Ausgabensteuerung ein Global-budget, die Modernisierung von Versorgungsstrukturen, wettbewerbliche Steuerung der Krankenversicherungen und die Neuordnung von Finanzierung und Planung im Krankenhausbereich vorgeschlagen. Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Gesundheitswesens erfordern eine politische Steuerung der Ausgaben - wohlgemerkt der Ausgaben - und nicht eine Begrenzung der Einnahmen.
Die SPD schlägt deshalb eine strenge globale Budgetierung auf Dauer vor. Innerhalb dieses globalen Budgets wird dann das installiert, wovon die Damen und Herren der Regierungsfraktion immer nur reden, wofür Sie aber null Komma null tun: erstens echte Vorfahrt für die Selbstverwaltung und zweitens die wettbewerbliche Steuerung um die effektivste und effizienteste Versorgung der Patienten. Hier wollen wir endlich den innovationsfördernden Wettbewerb zugunsten der Patienten und der Beitragszahler. Wir wollen eine auf den Patienten ausgerichtete Versorgung. Dazu gehört auch die Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Hier helfen Ihre Sonntagsreden überhaupt nichts. Vernünftige Strukturen schaffen wir nur mit eigenem hausärztlichen Vergütungssystem, mit einer Trennung der Gesamtvergütung von Haus- und Fachärzten und mit eigenen Vergütungsverhandlungen für Hausärzte und Fachärzte. Meine Damen und Herren, das ist unsere Alternative.
Klaus Kirschner
Lassen Sie mich noch eines sagen. Zu Ihrer Politik der Flickschusterei und Umverteilung fällt mir nur noch das Gebet eines bayerischen Pfarrers ein, das ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte:
Schenke uns und unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde, gib den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung, sorge dafür, daß wir alle in den Himmel kommen, aber wenn du es willst, noch nicht gleich.
Wie wahr, was dieser Pfarrer vor über 130 Jahren, nämlich 1864,
den Regierenden schon mit auf den Weg gegeben hat. Aber es gilt, liebe Frau Kollegin Dr. Babel, beispielsweise für Ihren Bundesgesundheitsminister Seehofer auch nach 130 Jahren.
Vielen Dank.