Rede von
Simone
Probst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzminister hat Herrn Rüttgers wirklich sehr tief in die Tasche gegriffen, denn der BMBF-Haushalt ist nicht proportional zu den anderen Haushalten gekürzt worden, was man vielleicht noch hätte verstehen können. Ich weiß überhaupt nicht, wie Herr Rüttgers eine doppelt so starke Kürzung hat hinnehmen können.
Dies paßt einfach nicht zu Ihrem Lippenbekenntnis für mehr Forschung, für mehr Wissen, für mehr Bildung. Ich denke, gerade hier hätten Sie im Kabinett kämpfen müssen. Mir wurde gesagt, ich darf nicht „Memme" oder „Lusche" sagen, und ich möchte das auch nicht. Aber wenn Sie sich dort stärker eingesetzt hätten, dann wäre es Ihnen womöglich gelungen.
Ich höre von Herrn Kampeter: klare Prioritäten setzen, Innovationspolitik ist notwendig, mutig soll man sein.
- Gucken Sie sich mal Ihren Haushalt an; es rächt sich wirklich bitter, wider besseres Wissen - wenn man hier Ihre Bekenntnisse hört - an den milliardenschweren Großprojekten mit zweifelhaftem Ausgang festgehalten zu haben. Die Liste dieser milliardenschweren Großprojekte ist lang: der Transrapid, der Fusionsreaktor Wendelstein 7 X, der Forschungsreaktor Garching und nicht zuletzt die Raumstation Alpha.
Herr Kollege Kampeter, da Sie nun schon etwas zur Raumstation Alpha gesagt haben, möchte ich gerade an diesem Beispiel deutlich machen, wie groß der Unsinn, den Sie da betreiben, wirklich ist. Im vergangenen Herbst - Sie haben es angedeutet - haben Deutschland, Frankreich und Italien vereinbart, sich an dieser internationalen Raumstation zu beteiligen, - einem reinen Statussymbol, von dem noch nicht einmal das Forschungsministerium behauptet, daß es irgendeinen wissenschaftlichen Nutzen stiftet.
Die Kosten für Deutschland belaufen sich nach den bisherigen Schätzungen inzwischen auf über 1 Milliarde DM, so daß es für die übrigen Raumfahrtan-
Simone Probst
wendungen bereits jetzt sehr, sehr eng geworden ist: Kürzungen beim nationalen Raumfahrtprogramm, Kürzungen bei der Erforschung des Weltalls, bei den Schwerelosigkeitsexperimenten und vor allem Kürzungen bei der Erdbeobachtung. Genau hier würden sehr viele Chancen für die unbemannte Raumfahrt liegen. Ich denke, Sie haben es verpaßt, dort vernünftige Schwerpunkte zu setzen.
Die Weichen sind falsch gestellt. Die Koalition hat auch in den vergangenen zwei Tagen immer wieder von nachhaltiger Entwicklung geredet, aber von einem Schwerpunkt oder wenigstens von einer minimalen Akzentsetzung zugunsten der Nachhaltigkeit ist in diesem Haushalt nichts, aber auch gar nichts zu spüren.
In unseren Nachbarländern ist es anders. Sie können sich einmal umschauen: In Österreich ist beispielsweise die Verzehnfachung der Ressourceneffizienz zum Staatsziel erklärt worden, das heißt, eine Veränderung um den Faktor 10 unter anderem beim Energie-, beim Material- und beim Flächenverbrauch. Ich frage einfach: Warum geht diese Bundesregierung nicht in die gleiche Richtung, indem sie dieses Ziel umsetzt? Sich auf dieses Ziel zu verständigen wäre wirklich ein Zeichen für eine zukunftsfähige Forschungs- und Technologiepolitik.
- Anscheinend.
Selbst die Industrie - das habe ich mit relativer Verwunderung zur Kenntnis genommen, habe mich aber sehr darüber gefreut - ist schneller als das schwerfällige Forschungsministerium. Beispielsweise läßt sich die Firma Hoechst inzwischen vom Öko-Institut beraten, um zu einer nachhaltigen Chemieproduktion zu kommen. Beim Bund hingegen gibt es kaum sozialökologische Forschungsinstitutionen. Sie, Herr Rüttgers, haben zwar angekündigt, die Forschungsinstitute zu evaluieren. Wir meinen, daß moderne interdisziplinäre Forschungsinstitute wie beispielsweise das Öko-Institut oder das IOW in die Förderung mit einbezogen werden sollten; denn diese Institute werden, wird es zu einer Evaluation durch den Wissenschaftsrat kommen, sicherlich sehr viel besser abschneiden als so manches etablierte Schmalspurinstitut.
Ein besonderer Skandal - Frau Bulmahn hat es schon angesprochen - in diesem Haushaltsentwurf ist die Kürzung der Fördermittel für Solarthermie und Photovoltaik um zirka 20 Prozent. Damit haben Sie Ihre gerade einmal drei Monate alte Planung aus dem Energieforschungsprogramm über den Haufen geschmissen und ad absurdum geführt. Ich frage mich, ob Sie es für besonders innovativ halten, alle drei Monate die Strategie zu ändern. Ich halte es auf jeden Fall für absolut konzeptionslos.
Dies ist mehr als nur ein Beispiel, wie man die Zukunftstechnologie kaputtmachen kann, die im nächsten Jahrhundert von strategischer Bedeutung sein wird.
Herr Kollege Kampeter, Sie waren eben besonders stolz auf die Bereiche, in denen gespart worden ist. Es sind die Bereiche: Umwelt, Gesundheit, Arbeit und Technik. Die Forschung, die unter das Kapitel Daseinsvorsorge fällt, die übrigens eine der wesentlichen zentralen Aufgaben staatlicher Forschungsförderung ist, ist der am härtesten gekürzte Bereich. Es geht bei Ihnen anscheinend nach dem Motto: Was ich über Umweltprobleme nicht weiß, macht mich nicht heiß. Herr Rüttgers, vielleicht denken Sie wehmütig daran, daß das Sonnenbaden sehr viel mehr Spaß gemacht hat, als man über das Ozonloch noch nichts wußte.
Mit einer solchen Strategie werden Sie nicht weit kommen. Wir wollen die Integration des Nachhaltigkeitsgedankens in alle Forschungsbereiche. In der Umwelttechnik werden beispielsweise Kriterien für Verbundwerkstoffe entwickelt, und dies muß sich auch im Förderprogramm für neue Materialien widerspiegeln.
Ökosystemforschung, Friedensforschung, Konsum- bzw. Bedürfnisforschung, Gesundheitsforschung und auch die Frauenforschung müssen einen höheren Stellenwert bekommen. Sie reden immer von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, Sie reden immer über die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es ist notwendig, daß durch Produkt- und Dienstleistungsinnovation neue Märkte erschlossen werden. Dieses wird nur gelingen, wenn man gleichermaßen die Gesellschafts- wie die Naturwissenschaften einbezieht.
Dieser Haushalt zeigt die mangelnde Zukunftsorientierung des Forschungsministers. Wir hoffen, daß dieses Kapitel in der Forschungspolitik bald ein Ende haben wird.