Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krüger, es gibt einen lateinischen Spruch, der mit „si tacuisses" - „Oh hättest du doch geschwiegen" - anfängt.
Wir kennen doch alle politisch brisante Situationen. Wenn Sie gesagt hätten, ich muß morgen für die Kanzlermehrheit sorgen, dann hätten wir gesagt: Okay, so etwas gibt es. Sich aber hierhin zu stellen und die arbeitnehmerfeindlichen Gesetze auch noch zu begründen, die zum Anstieg von Arbeitslosigkeit führen werden, ist wirklich unglaublich, Herr Kollege Krüger.
Mir kommt es fast so vor, als hätten Sie den Kakao, durch den Sie gezogen werden, auch noch selbst getrunken. Anders ist nicht zu beschreiben, was Sie hier machen.
Wir wollen noch einmal daran erinnern, meine Damen und Herren, daß morgen neben den Haushaltsberatungen Entscheidungen anstehen. Können all jene aus Ihrer Fraktion, die in der Sommerpause den Mund gespitzt haben, morgen auch pfeifen? Wir entscheiden nämlich morgen über die Abschaffung des Kündigungsschutzes für mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer, insbesondere in Frauenbetrieben, meine Damen und Herren. Wenn Sie soziale Gerechtigkeit wollen, Herr Krüger, dann stimmen Sie morgen dagegen und sagen es all den Frauen, denen gegenüber Sie so getan haben, als ob Sie Widerstand leisten würden. In Wirklichkeit bricht alles zusammen, um die Kanzlermehrheit zu erhalten, und unser Staat nimmt Schaden durch das, was wir morgen beschließen sollen, meine Damen und Herren.
Graf Lambsdorff hat in seiner üblichen Art die Erfolge, die es geben mag, für sich verbucht, aber für die negativen Entwicklungen der Wirtschaftspolitik ist nie die F.D.P. verantwortlich. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daran erinnern, daß seit 1972 die Wirtschaftspolitik von der F.D.P. gestaltet wird, und zwar immer nach dem Motto: Uns geht es gut, wenn es schlecht geht, sind die anderen daran schuld. Das ist Ihre Art von Gesamtverantwortung, Graf Lambsdorff, und die ist unerträglich.
Wir hatten eine intelligente Sommerdebatte. Die hat uns Gott sei Dank ökonomisch wieder ein bißchen auf die Füße geholfen. Graf Lambsdorff gehört zu jenen, die sagen: Vermögensteuer zu hoch, Lohnstückkosten zu hoch, Löhne und Unternehmensteuern müssen gesenkt werden. Das war die Standortdebatte, geschürt von den Wirtschaftsverbänden. Es hat im Sommer eine verhängnisvolle Mischung aus Kapital und Kabinett gegeben, die der wirtschaftlichen Debatte nicht gut getan hat, meine Damen und Herren.
Allmählich merken alle, daß sie überzogen haben. Und deswegen heißt es jetzt: Die Vermögensteuer ist in Deutschland keineswegs so einmalig, wie es oft dargestellt wird, sie ist in anderen westlichen Industriestaaten sogar höher. Der Unterschied ist: Dort jammert keiner über eine angebliche Wettbewerbsverzerrung als Folge dieser Steuer, die Bonn nun unbedingt kippen will.
Was ist das eigentlich für eine Art von inhaltlichem Zusammenhalt, wenn Sie bei der Koppelung bleiben: Vermögensteuer senken und Kindergelderhöhung verschieben? Ich kann das nicht nachvollziehen, meine Damen und Herren. Ich finde es unerträglich, wie Sie diese Debatte führen.
Ich habe den Wirtschaftsminister - ich habe Ihnen schon zum Geburtstag gratuliert, herzlichen Glückwunsch! - heute morgen gefragt, ob er so fit ist, unsere Kritik anhören zu können.
Das kann er. Darüber freue ich mich. Also: auf weiteren Schlagabtausch in der Zukunft!
Sie sagen: Der Weg ist erfolgreich, wir gehen so weiter. Ich will Ihnen an einem kleinen Beispiel erläutern, wie verhängnisvoll dieser Weg ist; denn wir hatten schon mehrere solcher Spar- und Stützungsaktionen. Immer hieß es: Jetzt kommt die Wirtschaft in Gang, jetzt wird die Arbeitslosigkeit bekämpft, jetzt wird der Haushalt konsolidiert. Jedesmal ist genau das Gegenteil eingetreten; denn die Arbeitslo-
Anke Fuchs
sigkeit ist stetig gestiegen. Die Arbeitnehmer haben nicht mehr Chancen, sondern weniger Chancen bekommen. Die Massenkaufkraft hat gelitten. Lesen Sie heute die „Süddeutsche Zeitung", woran es liegt, daß die wirtschaftliche Entwicklung keine Dynamik entwickelt. Es liegt auch daran, daß die kleinen Leute geschröpft werden und sich keine Massenkaufkraft entfalten kann.
Am 1. Januar 1994 wurde das Standortsicherungsgesetz in Kraft gesetzt. Die Körperschaftsteuer sank von 50 Prozent auf 45 Prozent, der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkommen von 53 Prozent auf 47 Prozent. Auf die Anlageinvestitionen will ich nicht näher eingehen. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ging daraufhin um 445 000 zurück, die Zahl der Arbeitslosen stieg um 193 000. Jetzt machen wir dasselbe noch einmal, und auch zukünftig wird die Arbeitslosigkeit zunehmen.
Ich komme auf das zurück, was hier gestern schon eine Rolle gespielt hat. Wie wollen wir eigentlich mit der Tatsache umgehen, daß 100 000 Arbeitslose das Gemeinwesen mit 4 Milliarden DM belasten, also 4 Millionen Arbeitslose das Gemeinwesen mit 160 Milliarden DM belasten? Das ist so viel, wie wir in den Osten transferieren. Wenn es 5 Millionen Arbeitslose werden, werden es noch einmal 20 Milliarden DM mehr sein. Deshalb ist die Kernfrage: Wie bringen wir Arbeitslose wieder in Arbeit, so daß sie zu Beitragszahlern und Steuerzahlern werden?
Wir können uns alle weiteren Kürzungsaktionen abschminken. Durch Ihre Art der Politik produzieren wir Arbeitslosigkeit. Das müssen Sie doch endlich einsehen und eine andere Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sagen. Der Satz, daß alle auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sein sollen und wollen, ist richtig. Sie glauben doch selbst nicht mehr daran, daß bis zum Jahr 2000 die Zahl der Arbeitslosen auf zwei Millionen reduziert werden kann. Sie sind doch schon auf dem Weg, nunmehr zu sagen: Die Arbeitslosenzahlen steigen, eine weitere Kürzungsrunde ist nötig. Wohin soll das noch führen? Deswegen müssen die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik verstetigt und verläßlich werden. Wir müssen eher mehr als weniger tun, wenn wir verhindern wollen, daß Hoffnungslosigkeit auf der Tagesordnung steht.
Wenn Graf Lambsdorff sagt, die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen müsse reduziert werden, weil die privaten Landschaftsgärtner von den Kommunen sonst keine Aufträge mehr bekommen, dann ist das ein unerträglicher Zynismus. Sie sollten sich einmal in Ostdeutschland umschauen. In manchen Bereichen ist der sogenannte zweite Arbeitsmarkt der einzige Arbeitgeber.
Es gibt dort eine Vielfalt neuer Kreativität und Innovationen, die dazu geführt haben, daß dort über Beschäftigungs- und Innovationsgesellschaften gesellschaftlich notwendige Arbeit privatwirtschaftlich erledigt wird. Wir können doch nicht mit unseren lächerlichen Beispielen der 70er Jahre West die Arbeitsmarktprobleme Ost anpacken wollen. Da muß sehr viel mehr gemacht werden, als Sie heute vorgetragen haben.
Sie müssen es endlich begreifen, meine Damen und Herren von der F.D.P. Sie wollten bei der Wiedervereinigung erst überhaupt keine Arbeitsmarktpolitik. Sie machen es doch immer nur zögerlich und halbherzig.
Aber begreifen Sie doch endlich: Bei dieser dramatischen wirtschaftlichen Veränderung wird es keinem gelingen, zu einem drastischen Abbau von Arbeitslosigkeit beizutragen. Deswegen brauchen wir alle diese Förderinstrumente, wenn wir auch aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen verhindern wollen, daß immer mehr Menschen absacken, was wiederum Folgen für die Massenkaufkraft hat. Sie sind in einem Teufelskreis. Sie sollten wirklich überlegen, zu welchen Ergebnissen Ihre Politik geführt hat, meine Damen und Herren.
Im Sommer ist die Debatte also wieder auf die Füße gestellt worden. Wir alle haben vernommen, daß die Wirtschaftsinstitute sagen, eine Konsolidierung in der Rezession sei falsch, jetzt müsse Dynamik her, der Haushalt sei prozyklisch und bringe keine neuen Impulse für mehr Beschäftigung und Wachstum.
Das heißt, Sie betreiben nicht nur mit dem Paket, das Sie morgen beschließen wollen und das ein Sozialabbaupaket ist, sondern auch mit Ihren Sprüchen von Beschäftigung und Wachstum im Grunde Spiegelfechterei. Sie tun nämlich in Ihrer Politik genau das Gegenteil, weil Sie eine dynamische Entwicklung für die Wirtschaft unterdrücken; denn Sie kürzen in den Haushalten die Mittel, die morgen für Investitionen bereitstehen könnten.