Rede von
Dr.
Konstanze
Wegner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den sozialpolitischen Informationen, die die Bundesregierung herausgibt, hat sich der Bundesarbeitsminister selbst gelobt und sich bescheinigt, er habe einen Haushalt der Konsolidierung und der zukunftsorientierten Arbeitsplätze vorgelegt.
In Wahrheit gleicht dieser Haushalt einem Schweizer Käse: Er ist groß, er ist schwer verdaulich, und er hat lauter Löcher.
Es ist ein Haushalt des Sozialabbaus und der ungedeckten Haushaltsrisiken.
Ich will mich bei meiner kurzen Rede auf diesen zweiten Aspekt der Risiken beschränken. Zu den sozialpolitischen Auswirkungen hat mein Kollege Ottmar Schreiner bereits das Notwendige gesagt.
Die Einsparvorgaben der diversen sozialpolitischen Kürzungsgesetze haben in diesem Haushaltsentwurf eine tiefe Spur hinterlassen. Es geht um das Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz, um das sogenannte Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung und schließlich um das sogenannte ArbeitsförderungsReformgesetz. Man muß sagen: In der Semantik ist diese Koalition wirklich Spitze. Es gilt eigentlich die Faustregel: Je mieser der Inhalt eines Gesetzes ist, desto wohlklingender ist der Titel.
Viele der in diesen Gesetzen vorgesehenen Einsparungen sind jedoch in sozialpolitischer Hinsicht hochproblematisch, weil sie denen, die in unserer Gesellschaft ohnehin nur wenig haben, weitere Kürzungen abverlangen. Viele der vorgesehenen Einsparungen sind haushaltspolitisch unsolide, weil sie sich nämlich in der vorgesehenen Form gar nicht realisieren lassen werden. Viele dieser sogenannten Einsparungen sind in Wahrheit gar keine echten Einsparungen, sondern es sind lediglich Verschiebungen von Lasten von einer Ebene auf die andere, im wesentlichen vom Bund auf die Länder und vor allem auf die Kommunen.
Ich möchte meine These vom Schweizer-KäseHaushalt an einigen Beispielen erläutern. Bei der Arbeitslosenhilfe geht die Regierung für 1997 von einem realen Bedarf von 21,8 Milliarden DM aus. Das ist mit Sicherheit noch zu niedrig geschätzt. Sie hat jedoch lediglich 16,5 Milliarden DM veranschlagt. 5,3 Milliarden DM sollen durch diverse Einsparungen erbracht werden. Darunter befinden sich aber auch Luftbuchungen, wie zum Beispiel 0,9 Milliarden DM durch verschärfte Vermögensprüfungen und 0,9 Milliarden DM Sonstiges an Einsparungen beim Arbeitsförderungs-Reformgesetz.
Wenn man nun berücksichtigt, daß die Arbeitslosigkeit nach den eigenen Schätzungen der Regierung 1997 leider auf dem gleichen Niveau wie 1996 verharren wird, wenn man bedenkt, daß der geplante Kahlschlag der ABM-Maßnahmen im Osten letztlich nur zu vermehrten Ausgaben auch wieder bei der Arbeitslosenhilfe und schließlich durch ergänzende Sozialhilfe bei den Kommunen führen wird, und wenn man schließlich berücksichtigt, daß der Finanzminister gerade bei dem Ansatz für 1996 5,5 Milliarden DM zum Nachbessern über den Tisch schieben mußte, dann wird deutlich, daß hier ein Haushaltsloch von mindestens 3 Milliarden DM klafft.
Noch größer ist das Haushaltsrisiko bei der Bundesanstalt für Arbeit. Dort hat die Regierung unverdrossen einen Zuschuß von 0 DM veranschlagt, wegen - ich zitiere - „geringeren Bedarfs",
wie es in den Erläuterungen so schön heißt. Ich glaube, angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt ist das der Gipfel des Zynismus.
Die Bundesanstalt für Arbeit soll im Jahre 1997 nun 7,5 bis 8 Milliarden DM einsparen. Täglich hört man vor allem aus den Reihen der F.D.P., daß neue Einsparungswünsche und Forderungen nachgeschoben werden.
Dr. Konstanze Wegner
Ich habe allmählich den Eindruck, daß in der Koalition eine Abneigung oder eine Art Haß auf die Bundesanstalt für Arbeit herrscht.
Sie haben ganz vergessen, daß Ihr Kollege Jagoda, den ich sehr schätze, dort an der Spitze steht. Ich erinnere nur einmal an die unqualifizierten Attacken, die in der Sommerpause von Herrn Glos gegen die Bundesanstalt erhoben worden sind. Damit sollten Sie sich vielleicht einmal beschäftigen.
Unter den nun von der Bundesanstalt für Arbeit verlangten Einsparungen finden sich wiederum reine Luftbuchungen, z. B. 0,7 Milliarden DM durch die Frühverrentung und 0,5 Milliarden DM durch verstärktes Eintreiben von Rückständen. Für 1996 hat der Finanzminister bereits 7 Milliarden DM zu den veranschlagten 4,3 Milliarden DM nachschieben müssen. Das Gesamtdefizit der Bundesanstalt für Arbeit wird in diesem Jahr bei 12 bis 13 Milliarden DM liegen.
Auch hier liegt wieder die gleiche Situation wie bei der Arbeitslosenhilfe vor: Die Zahl der Arbeitslosen wird nicht sinken. Deshalb kann ich nur sagen: Der Versuch, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit auf Null zu setzen, ist entweder bewußte Täuschung oder reine politische Gesundbeterei.
Das dritte dicke Haushaltsloch im Schweizer Käse droht bei der Rentenversicherung. Die Bundesregierung erzählt uns unverdrossen, sich selbst und der Öffentlichkeit, sie würde in diesem Jahr mit einem Rentenbeitrag von 19,9 Prozent auskommen.
- Ja, 20 ist die magische Zahl, die der F.D.P. wegen nicht überschritten werden darf.
- Also, Frau Babel, ich habe noch genau im Ohr, wie Sie gesagt haben, das ist die magische Grenze.
Der Verband der Rentenversicherer hat nun wiederholt dazu Stellung genommen und hat davor gewarnt, einen aus politischen Gründen zu niedrig angesetzten Rentenbeitrag zu erheben. Er hält 20,1 oder 20,2 Prozent für notwendig. Es werden auch höhere Zahlen von bis zu 20,5 Prozent genannt.
Haushaltspolitisch muß man aber darauf hinweisen: Steigt der Beitragssatz, dann muß nach der Rentenformel auch der Bundeszuschuß steigen. Das heißt, ein Beitrag von 20,2 Prozent würde bereits eine knappe Milliarde DM an Bundeszuschuß erfordern.
Der Blüm-Haushalt hat jedoch noch weitere Löcher. Im Bereich der Kriegsopferversorgung und der Kriegsopferfürsorge wurden in Ostdeutschland weit mehr Anträge gestellt als erwartet. Ob die veranschlagten Mittel jetzt ausreichen werden, um das zu decken, bleibt abzuwarten.
So kommt man zu dem Fazit, daß überall in diesem Haushalt mit überzogenem Einsparvolumen und mit Luftbuchungen gerechnet wird.
Nur in einem Bereich hat das Haus Blüm nicht gespart, sondern sich kräftig weitere Ausgaben bewilligt: Das ist der beliebte Etat für Öffentlichkeitsarbeit.
11 Millionen stehen gegenüber 1996 mehr im Haushalt. Insgesamt hat er nun für seine teilweise durchaus nützlichen, teilweise völlig überflüssigen Aufklärungsschriften und Bildchen 44 Millionen DM zur Verfügung.
- 44 Millionen DM insgesamt, man muß ja noch die anderen Titel dazuaddieren.
In den Erläuterungen dazu heißt es ganz treuherzig, angesichts der zahlreichen gesetzespolitischen Änderungen im Sozialbereich sei die Regierung doch zu „aktueller Aufklärungsarbeit" verpflichtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushaltsentwurf des Bundesarbeitsministeriums spricht dem Prinzip der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit Hohn.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundesarbeitsminister selbst mit Überzeugung hinter seinem Entwurf steht. Er trägt die Handschrift des Finanzministers - der natürlich nicht da ist; ich sehe auch seine Staatssekretärin nicht.
- Ist sie da? Also gut.
Wer die haushaltspolitische Wahrheit in dieser Weise verkleistert, kann nicht erwarten, daß die Menschen in diesem Land den Ernst der haushaltspolitischen Lage erkennen.
Danke.