Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generaldebatte über den Haushalt 1997 hat das Thema Arbeitslosigkeit nach ganz vorn geschoben, als Wurzel für die Finanzprobleme des Bundeshaushalts und weil es ein bedrükkendes gesellschaftliches Problem darstellt.
Die Tatsache, daß beim Einzelplan 11 nach wie vor ein Drittel aller Ausgaben angesiedelt ist, wird oft als Zeichen dafür herangezogen, daß wir einen wohlausgestatteten Sozialstaat haben. Meine Damen und Herren, diesen haben wir auch. Aber in meinen Augen weist viel Geld im Sozialetat auch auf große Probleme hin. Ein plötzliches Absacken der zur Verfügung stehenden Mittel in diesem Bereich würde vielleicht zeigen, daß wir die Probleme gelöst hätten. Davon sind wir in der Tat noch weit entfernt.
Weit entfernt sind Regierung und Opposition von einer Übereinstimmung, wenn es gilt, Fragen zu beantworten: Woher kommt die hohe Arbeitslosigkeit? Wem ist sie anzulasten? Was ist zu tun? Darin, daß es mehrere, ineinandergreifende Ursachen für den Verlust von Arbeitsplätzen gibt, stimmen wir vielleicht überein. Aber die Opposition widerspricht hartnäckig - egal, ob es sich um die ehrwürdige alte SPD oder um die neue dynamische Fraktion Bündnis 90/Die Grünen handelt -, daß es die Kosten für die Arbeit sind. Sie sagen nicht, daß sie zu hoch sind, eher sind es Währungsprobleme oder unfähige Unternehmer. Ihr Lieblingsargument ist die falsche Finanzierung der Wiedervereinigung, die nämlich über Steuern statt über Beiträge hätte finanziert werden sollen.
Sie sagen aber nie, wie hoch die Steuerlast Ihrer Meinung nach sein müßte. Davor flüchten Sie.
In Deutschland gehen Arbeitsplätze nicht allein wegen der Arbeitskosten verloren, sie gehen zum Beispiel auch wegen der Dauer von Genehmigungsverfahren verloren. Wenn in Deutschland das Einholen einer Baugenehmigung für industrielle Produktionsstätten Jahre dauert und in den USA nach drei
Dr. Gisela Babel
Monaten erteilt wird, dann ist doch die Standortentscheidung klar.
- Versuchen Sie, solche Regelungen mit der SPD zu vereinfachen.
Sicher gehen Firmen auch ins Ausland, weil sie dort neue Märkte erobern können und weil sie die Währungsrisiken kleinhalten. Aber die hohen Arbeitskosten in Deutschland sind zumindest auch ein Grund für die Arbeitslosigkeit. Sie können doch einem Patienten, der an Grippe erkrankt ist, die Medikamente nicht mit der Begründung verweigern, er liege ja im Bett, weil er sich das Bein gebrochen hat.
Es sind die Arbeitskosten - Löhne und Lohnnebenkosten -, die wir senken müssen. Nur auf diese Weise lassen sich die Chancen im Wettbewerb verbessern. Dazu dienen nun einmal die Maßnahmen, die wir uns im Paket für Wachstum und Beschäftigung vorgenommen haben.
Diese Politik, die übrigens in anderen Ländern ähnlich, früher und effektiver durchgesetzt wurde, findet auch bei unseren Bürgern zumindest Verständnis. Ich will ja nicht erwarten, daß sie jubeln. Aber unsere Politik findet Verständnis.
Die SPD gaukelt den Leuten immer noch vor, es sei alles nicht nötig. Sie will zum Beispiel versicherungsfremde Leistungen, das Hoffnungsgebilde vieler Sozialpolitiker, aus der Arbeitslosenversicherung herausnehmen, in die Steuerfinanzierung hineinnehmen, natürlich durch den Bund, und die Steuern heraufsetzen. Sie will ein 150-Milliarden-DM-Beschäftigungsprogramm auflegen. Sie will alle Probleme mit Wohltaten lösen, nie den schmerzlichen Kaufpreis erörtern. Das ist eine Art politischer Zechprellerei.
Ohne Sparen und ohne Einschnitte ist das Ziel „Senkung der Arbeitskosten" nicht zu erreichen.
Den schlichtesten aller Vorschläge habe ich auf einem Transparent gelesen, das bei der Gewerkschaftsdemonstration im Sommer relativ lange über der Autobahn angebracht war - es ist wirklich von bewunderswerter Kürze -: „Reiche raus! "
Das ist wirklich wunderbar. Reiche raus, dann sind die Armen unter sich, und keiner stört. Das ist vielleicht der soziale Friede, der Ihnen vorschwebt. Ich dagegen würde sagen: Reiche rein! Das sind nämlich Investoren, die in Deutschland Arbeitsplätze schaffen können. Das sollten wir versuchen.
Ich würde mich mit dem Ruf anschließen: Reiche
hierbleiben!, damit sie nicht woanders hingehen und
unsere Arbeitsplätze verlorengehen. Ich habe kaum
die Hoffnung, daß Sie eine solche Forderung einmal auf Gewerkschaftstagungen vorbringen können.
Die Opposition hat zu dem erklärten Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, die hämische Bemerkung gemacht, das Gegenteil träfe doch derzeit zu. Ich gebe zu, Lohnnebenkosten steigen.
Aber wir wissen doch alle genau, die Pflegeversicherung mit ihren 0,7 Beitragspunkten für dieses Jahr ist dafür verantwortlich, daß wir diesen Anstieg haben. Ich habe von Sozialdemokraten noch nie gehört, daß sie bereit gewesen wären, die Pflegeversicherung zu verschieben, um diesen Anstieg zu verhindern.
Zweiter Punkt sind die Rentenversicherungen. Wir wissen, daß der finanzielle Druck in der Rentenversicherung durch das gigantische Maß der Frühverrentung hervorgerufen worden ist.
Das ist einer der wichtigsten Zahler der Arbeitslosenversicherung. Hätten wir also früher die Reform bei der Rentenversicherung einleiten müssen? Ich meine, ja. Aber die Opposition ist am wenigsten berechtigt, sich hier die Hände zu reiben. Die Kehrtwende ist jetzt beschlossen.
Die Frühverrentung wird gestoppt, die Altersgrenzen werden heraufgesetzt, die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten werden reformiert - alles Maßnahmen, die im Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung stehen. Diese Maßnahmen werden erst nach einer bestimmten Zeit wirken. Deswegen entsteht der Eindruck - gegen ihn möchte ich hier noch einmal ganz klar angehen -, wir würden permanent Sparmaßnahmen beschließen, die alle nicht wirken. Nein, meine Damen und Herren, die Maßnahmen, die wirken, sind erst am Freitag beschlossen und werden dann wirken. Das muß man hier ganz deutlich sagen, damit nicht von Ihnen ein Nebel ausgebreitet wird.
Ein Wort noch zur Besteuerung der Renten. Die F.D.P. möchte, daß Steuern gesenkt werden. Sie schließt sich dem Vorschlag und der Einschätzung der Bareis-Kommission an, daß das eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage voraussetzt. Dazu gehören auch Renten. Aber eines muß klar sein: Der Staat darf nicht zweimal zugreifen.
Dr. Gisela Babel
Wenn Beiträge aus versteuertem Einkommen gezahlt werden, darf der Staat nicht bei Renten noch einmal versteuern. Das verschmälert also den Zugriffsraum, der bei den Renten überhaupt vorhanden ist. Beiträge werden heute noch größtenteils aus versteuertem Geld bezahlt. Eine Reform, die das berücksichtigt, muß den Grundsatz des Vertrauensschutzes natürlich wahren, das will ich hier noch einmal sagen.
Zu den Einsparungen bei ABM. Ich bin der Meinung, daß wir weniger daran denken sollten, die Zahl derer, deren Beschäftigung im Osten heute über eine ABM abgesichert ist, zu verringern. In der Tat sehe ich, daß wir dies, solange wir nicht reelle Chancen für Beschäftigung geschaffen haben, nicht können. Aber bei der Frage der Bezahlung der AB-Maßnahmen bin ich in der Tat der Meinung, daß wir uns umorientieren sollten. Heute sind die AB-Maßnahmen an Tariflöhne geknüpft. Tariflöhne haben mit der Realität im Osten nichts mehr zu tun. Auch das wissen Sie. Die meisten Beschäftigten haben einen unter Tarif gezahlten Lohn. Es ist nicht einsehbar, daß dieser unter Tarif gezahlte Lohn den Anreiz, in einer ABM zu verharren, verstärkt. Es muß hier eine Umkehr dahin gehend stattfinden, daß eine AB-Maßnahme einen Abstand zu dem gezahlten Lohn hat, der heute in den neuen Bundesländern Realität wird.
Meine Damen und Herren, mir ist klar, daß wir damit das Thema des Flächentarifvertrags mit aufwerfen. Die Tarifpartner müssen begreifen, daß sie einen Flächentarif nur dann retten können, wenn sie ihn flexibel ausgestalten, wenn sie den Betrieben gewisse Möglichkeiten geben.
- Ich habe diesen wunderbaren Prozeß gegen Vissmann im eigenen Wahlkreis miterlebt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es so ist, daß rechtswidrig handelt, wer für eine Belegschaft die Arbeitsplätze sichert, haben wir ein sehr seltsames Verständnis von solchen Bindungen.
Jeder Arbeitsplatzbesitzende ist ein potentieller Arbeitsloser. Ich glaube, das wird mittlerweile begriffen. Wir wollen in den Verträgen Arbeitsplätze sichern, aber sie nicht gefährden.
Ich darf resümieren: Die SPD hat sich als eine Partei dargestellt, die dem Volk vorgaukelt, es müsse nicht sparen, es brauchte keine Einschnitte zu geben.
Man müsse nur über Steuern, die irgendwelche Reichen zahlen, entsprechende Finanzierung bereitstellen, um Beschäftigungsprogramme zu finanzieren.
Bei den Grünen, die sich zumindest vom Alter her dynamischer geben, sehe ich überhaupt keinen Ansatz, daß sie sich den Reformanforderungen unserer Gesellschaft stellen.
Sie sehen das ja bei der Ladenschlußdebatte - für mich ein Zeichen, daß sich die Grünen geradezu als Ladenhüter der verkrusteten Gesellschaft gerieren, anstatt daß sie sich für neue Forderungen öffnen.
Wenn ich für die Regierung und die Koalition vielleicht nicht behaupten kann, daß wir die Probleme alle gelöst haben; aber ich bin tief durchdrungen davon, daß nur wir die richtigen Wege weisen.
Ich bedanke mich.