Rede von
Günter
Rixe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege, darauf können wir uns allemal verständigen. Ich habe bereits gefragt: Was nützt es einem Mädchen in Oldenburg, das Elektronikerin werden will, daß ihr ein Ausbildungsplatz als Bäckerin in Passau angeboten wird? Davon hat das Mädchen nämlich gar nichts. Es wird wegen einer Bäckerlehre nicht nach Passau gehen; denn sie will in ihrem Heimatort oder in dessen näherer Umgebung einen Ausbildungsplatz haben. Natürlich ist das so. Sie werden doch nicht ein Mädchen, das Elektronikerin werden, später auf die Fachhochschule gehen und eine ordentliche Ausbildung machen will, nach Passau schicken. Das heißt nicht, daß die Bäckerausbildung keine ordentliche ist. Wir haben gerade am letzten Sonntagabend im Fernsehen einen Bäckermeister erleben können und gehört, was er zu der beruflichen Bildung gesagt hat. Darauf komme ich gleich noch.
Wir müssen hier und heute auch nicht lange über Zahlen diskutieren. Diese werden in den nächsten zwei oder drei Monaten konkret. Herr Lensing, Sie wissen es ganz genau: Trotz einer Zusage der Wirtschaft in Höhe von 10 Prozent, trotz 560 Ausbildungsverträgen, trotz 10 000 DM Sonderprogramm Ost sind am 30. Dezember letzten Jahres ein paar tausend Jugendliche nicht vermittelt worden.
Sie als Lehrer wissen auch, wieviel Jugendliche in den letzten fünf Jahren keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und in Warteschleifen gegangen sind. Diese Warteschleifen, die es seit Jahren gibt, werden nicht in die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit aufgenommen. Sie fallen hinten raus; das ist das Problem. Deswegen stimmen alle diese Statistiken nicht.
Ich weiß nur: Ich kann diese Statistiken nicht besser aufstellen als die Bundesanstalt für Arbeit. Ich kann sie auch nicht verändern. Das ist so. Ich kann auch nicht den, der sich nicht meldet, in die Statistik aufnehmen. Ich weiß aber, daß es in den letzten Jahren Tausende von Jugendlichen gegeben hat, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und heute ohne Ausbildung sind.
Herr Lensing, der letzte Satz zu Ihrer Frage: Nicht umsonst sind so viele jugendliche Arbeitslose in dieser Republik unausgebildete jugendliche Arbeitslose. Allein diese Begründung ist es wert, das hier zu sagen.
All dies, was die Bundesregierung macht, ist mit Art. 12 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit wird von dieser Bundesregierung sträflich vernachlässigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte bereits erwähnt, daß die Kosten als Begründung für den Arbeitsplatzabbau ins Feld geführt werden. Ich will dieses Argument gern ernst nehmen - trotz des Einwandes, daß Auszubildende bereits während der Ausbildung Erträge erwirtschaften, die die Kosten manchmal gewiß übersteigen. Ich kann dazu etwas sagen; denn ich bin Handwerksmeister und habe selber 30 Jahre ausgebildet. Ich weiß, wie das aussieht.
Günter Rixe
Deswegen muß ich hier nicht über Ausbildungsvergütungen diskutieren. Da sind wir einer Meinung.
Ich fordere Sie auf, mit uns ernsthaft über eine wirksame Kostenentlastung ausbildender Betriebe zu reden. Wir sollten gemeinsam klären, wie der Staat die ausbildenden Betriebe und die berufliche Bildung insgesamt wirksam unterstützen kann. Wir, die Sozialdemokraten, sind für das duale Ausbildungssystem. Jedem, der etwas anderes behauptet, sage ich: Wir waren immer - es gab einmal Irritationen - und wir sind für das duale Ausbildungssystem.
Weil wir für den Erhalt und die Modernisierung des dualen Ausbildungssystems sind, wollen wir kein weiteres Sonderprogramm in den nächsten Jahren, sondern eine solidarische Finanzierung der Ausbildung. Wir wollen die, die für diesen Staat über Bedarf ausbilden, entlasten.
Denjenigen, die die Ausbildung nicht ernst nehmen und sie nicht wahrnehmen und sich gegen die Verfassung stellen, muß per Gesetz deutlich gesagt werden, was sie zu tun und zu lassen haben.
Von 1991 bis heute haben die Sonderprogramme, die Bund und Länder aufgelegt haben, 6 Milliarden DM gekostet. Wir mußten das Geld für die Sonderprogramme aufbringen, weil sie notwendig waren. Doch die Wirtschaft lächelt. Ich habe die Verfassung bereits erwähnt. Viele Unternehmen sollten einmal ihren verfassungsmäßigen Auftrag wahrnehmen.
Was hätten wir mit den 6 Milliarden DM im Bildungshaushalt in den letzten Jahren noch alles machen können, wenn die Wirtschaft jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz gegeben hätte? Das wollen wir demnächst per Gesetz regeln.
Ich nenne ganz kurz unser 5-Punkte-Programm:
Erstens die solidarische Finanzierung der Berufsausbildung. Dazu werden wir bis zum Jahresende, das hat der Minister richtig gesehen, einen Gesetzentwurf einbringen. Die Kammern könnten bereits jetzt, also ohne Gesetzesänderung, die ausbildenden Betriebe erheblich entlasten, wenn sie auf Gebühren, die sie für Prüfungen, Ausbildungsverträge und für die Teilnahme an überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen kassieren, verzichten oder diese zumindest senken würden. Dies wäre ein erster Schritt zu einem gerechten Leistungsausgleich.
Ich nenne Ihnen die Zahlen: 2 Milliarden DM nehmen die Kammern für die Eintragung von Ausbildungsverträgen und die überbetriebliche Ausbildung. Schauen wir einmal in die überbetrieblichen Ausbildungszentren hinein; sie betreiben nicht zu 100 Prozent die Erstausbildung - dafür werden sie aus Ihrem Ministerium, Herr Minister, finanziert -, sondern 60 Prozent betreiben Weiterbildung. Ich habe nichts gegen die Weiterbildung, aber darüber müssen wir einmal reden.
Zweitens Bereitstellung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze durch den Einsatz zusätzlicher Ausbildungsberater - hier bin ich mit dem Minister einig, hier wurde zwar etwas im Haushalt weggestrichen, was man wieder erhöhen könnte -, Durchführung von örtlichen Ausbildungskonferenzen und eine Kampagne zur Schaffung vieler Ausbildungsverbünde. Das könnte uns weiterhelfen.
Drittens Bereitstellung zusätzlicher schulischer Ausbildungsplätze, vor allem in zukunftsträchtigen Berufsfeldern wie Gesundheit, Pflege, Erziehung, Tourismus, Assistentenberufe und im Fremdsprachenbereich.
Viertens Modernisierung des dualen Systems durch Neugestaltung des berufsbezogenen und berufsübergreifenden Unterrichts und die bessere Abstimmung der Ausbildung in der Berufsschule mit der betrieblichen Ausbildung.
Fünftens. Zur Zeit wird über die zwei Berufsschultage pro Woche diskutiert. Das muß man vor Ort mit den Berufsschulen organisieren. Wir Sozialdemokraten sind dagegen, die Berufsschulzeit von 480 Stunden zu senken. Man muß das so organisieren, daß der Lehrling vier und nicht nur drei Tage im Handwerksbetrieb anwesend ist.
Wir fordern statt dessen eine Modernisierung der Berufsschulen in den fünf neuen Ländern. Das muß ich hier nicht wiederholen, das fordern wir jedesmal. Hier sollten wir ein gemeinsames Programm auflegen.
Zum Schluß möchte ich noch drei Punkte zur öffentlichen Verantwortung nennen:
Erstens. Die Parlamente in Bund und Ländern und die Stadträte und Aufsichtsorgane von kommunalen Betrieben müssen verbindlich beschließen, das Ausbildungsangebot zumindest bedarfsgerecht zu erhöhen.
Zweitens. Wir fordern von allen staatlichen Ebenen - Bund, Ländern wie Gemeinden -, daß sie bei der öffentlichen Auftragsvergabe ausbildende Betriebe bevorzugen. Das ist im Moment in der Diskussion.
Drittens. Wir fordern, daß die berufliche Bildung bei der Industrieförderung und der Projektförderung nicht nur im Forschungsbereich angemessen berücksichtigt wird.
Da meine Redezeit gleich zu Ende ist, sage ich nur noch: Wir müssen das alles im Interesse der jungen Generation dieses Landes tun. Wir benötigen die jungen Menschen dringend im Beruf und in der Wirtschaft. Wenn wir weiterhin nicht dafür sorgen, daß jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz in diesem Land bekommt, dann haben wir verschlafen.