Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung:
Gestern abend verstarb im 83. Lebensjahr Professor Carlo Schmid. Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges Mitglied und seinen ehemaligen Vizepräsidenten.
Aus der Geschichte der Nachkriegszeit ist der Verstorbene nicht wegzudenken. Als Landesvorsitzender der SPD in Süd-Württemberg, als erster Regierungschef, Kultus- und Justizminister des Landes Württemberg-Hohenzollern, als Mitglied des Parlamentarischen Rates ist er einer der Väter des Grundgesetzes, einer der überragenden Mitbegründer dieses Staates.
Dem Bundestag gehörte er vom ersten Tag bis 1972 an. 20 Jahre hat er als Vizepräsident von dieser Stelle die Verhandlungen dieses Hauses souverän geleitet und damit vorbildlich für die Ausgestaltung unserer parlamentarischen Demokratie gewirkt.
Ein wesentlicher Aspekt seines Lebenswerks war die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich in einem vereinten Europa. Dafür hat er als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, als Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und als Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union gearbeitet und gestritten. Im Rahmen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags war er Beauftragter für die deutsch-französische Kulturpolitik.
Politik war für Carlo Schmid nach seinen eigenen Worten die Bestimmung des Verhältnisses der Menschen zum Staat. Politik war aber auch der richtige, vom erkennenden Verstand und der Sorge um die anvertrauten Menschen inspirierte Umgang mit der Macht.
In diesem Sinn hat Carlo Schmid Politik stets als geistige Aufgabe begriffen. Sein Handeln und seine Schriften, seine historischen Interpretationen und seine Prognosen künftiger Entwicklungen legen davon Zeugnis ab, daß wahre Staatskunst die Vermenschlichung der Macht zum Ziel haben muß. Er sagte:
Wenn wir Ordnung, Freiheit, Würde zur Richtschnur unseres Handelns nehmen, werden wir auch in einer Zeit, da die Technokraten so viel gelten, einen Staat schaffen können, der kein Apparat ist, sondern ein Lebendiges, das Geist gesät und die Macht des Geistes lenkt.
Mit Carlo Schmid ist einer der großen Männer unserer Epoche von uns gegangen. Unser Land und der Deutsche Bundestag haben ihm unendlich viel zu danken.
Seinen Angehörigen gilt unser Mitgefühl. Der Fraktion der SPD, spreche ich meine tief empfundene Teilnahme aus.
In Respekt und Ehrfurcht verneigen wir uns vor diesem großen Toten.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der vom Präsidenten im Benehmen mit dem Ältestenrat gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes zu erstattende Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung im Sinne des Artikels 48 Abs. 3 des Grundgesetzes wird als Drucksache 8/3482 verteilt.
Die mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen schriftlich erteilten Antworten zu den Fragen für die Sitzungswoche des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1979 in Drucksache 8/3468 werden als Anlagen des Stenographischen Berichts über die 194. Sitzung abgedruckt.
Wir setzen die
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980
— Drucksachen 8/3100, 8/3354 —
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
fort.
Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksache 8/3378 —
Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Einzelplan 32 Bundesschuld
— Drucksache 8/3393 —
15178 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Präsident Stücklen
Berichterstatter:
Abgeordneter Augstein
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
— Drucksache 8/3397 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Dr. Dübber
Simpfendörfer
Hoppe
Im Ältestenrat ist verbundene Debatte zu den Einzelplänen 08, 32 und 60 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Dies ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens .
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Seit jeher versuchen Regierungen, sich in Wahljahren von ihrer vermeintlich besten Seite zu zeigen. Das war 1972 mit der sogenannten großen Rentenreform der Fall, die dann später mit Walter Arendt zum großen Rentendebakel wurde,
und im Jahre 1976 mit der sogenannten großen Steuerreform, die mittlerweile auch recht unansehnlich geworden ist. Doch für 1980 muß sich die Koalition mit leeren Versprechungen begnügen. Die Kassen sind leer, und die Schulden drücken schwer.
Der Bundeshaushalt 1980 wurde somit schon im Entwurf ein Haushalt ohne Konzeptionen und Zukunftsperspektiven.
Meine Damen und Herren, ich habe schon in der ersten Lesung für meine Fraktion zum Ausdruck gebracht, daß wir mit dem Haushaltsentwurf 1980 überhaupt nicht zufrieden seien, aber trotzdem das Beste daraus machen wollten. Wir sind mit der festen Absicht in die Beratungen des Haushalts 1980 gegangen, die Regierungsvorlage ohne Berücksichtigung steuerlicher Mehreinnahmen um runde 4 Milliarden DM zu verbessern, weil das nach unserer Meinung nicht nur notwendig, sondern auch möglich gewesen wäre, wie unsere Anträge ja gezeigt haben.
Wir tun das, weil wir wissen, daß eine Konsolidierung ohne Kürzungen nicht stattfindet. Wir halten die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eben für so wichtig, daß sie für uns höchste Priorität hat. Ohne sie findet ein nachhaltiger Aufschwung nicht statt, und ohne sie gibt es auch keinen Abbau der Arbeitslosigkeit.
Herr Bundesfinanzminister, es ist ja wohl ein übler Scherz, bei einer Arbeitslosenquote von 3,3 % — jetzt sogar von 3,5 % — von Vollbeschäftigung zu sprechen, wie Sie das immer wieder tun. Helmut Schmidt sagte 1972, 3 % Arbeitslosigkeit würden für die Bundesrepublik unerträglich sein. In seiner Regierungszeit haben wir bis heute ohne Ausnahme immer höhere Arbeitslosenquoten gehabt. Wenn ich das richtig verstehe, hat der Kanzler wohl sagen wollen, daß eine derartige Politik für das deutsche Volk unerträglich sein muß. Da bin ich voll seiner Meinung.
Sie wissen sehr wohl, daß wir etwa 800 000 Arbeitslose haben. Ich weiß, daß andererseits eine Nachfrage nach Fachkräften besteht und daß es auch Regionen Deutschlands gibt, in denen eine Nachfrage nach Arbeitskräften besteht. Aber wir können doch an diesen 800 000 Arbeitslosen nicht einfach vorübergehen. Im Winter werden es sicherlich wieder 1 Million Arbeitslose sein. Das sind Familienväter, das sind Frauen, das sind Jugendliche. Und der Bundesfinanzminister tut so, als wenn ihn das nichts anginge. Er sagt: Wir haben eine Vollbeschäftigung.
Meine Damen und Herren, die erreichten Ausgabenkürzungen in Höhe von 820 Millionen DM bleiben weit hinter unseren Vorstellungen zurück — leider, muß ich hinzufügen.
In einigen Punkten bestand Kooperationsbereitschaft und Einvernehmen, so vor allem bei der Streichung übermäßiger Stellenanforderungen, bei denen der Finanzminister reichlich großzügig war. Herr Finanzminister, wir mußten im Ausschuß einvernehmlich von den von Ihnen vorgeschlagenen Stellenanforderungen 40 % streichen. Ich meine, daß das Bände spricht. Da sind Sie in Ihrem Haushaltsentwurf viel zu großzügig gewesen.
Wir haben uns weiter einvernehmlich geeinigt bei dem Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und bei Kürzungen bei bundeseigenen Unternehmen. Das möchte ich einmal gezielt ansprechen, weil das gestern schon der Kollege Hoppe von der FDP getan hat. Im übrigen hatte ich gestern den Eindruck, Herr Hoppe, daß Sie sich entweder im Debattentermin oder in Ihrem Manuskript versehen hatten.
Was ist denn bei den bundeseigenen Unternehmen passiert? Sie fordern ständig von uns, Ihnen zu sagen, wo Sie kürzen können. Da war ein Ansatz von etwa 300 bis 400 Millionen DM für verschiedene bundeseigene Unternehmen vorgesehen. Wir von der Opposition haben gesagt: Hier ist eine Möglichkeit zu kürzen. Und dann haben wir Sie, Herr Minister, von der Bundesregierung beauftragt, uns einen Vorschlag zu machen. Wie ich zwischenzeitlich gehört habe, hat sich der Staatssekretär Haehser mit den Kollegen Löffler und Hoppe zusammengesetzt. Die haben sich geeinigt und dann vorgeschlagen,
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Carstens
daß eben auch bei Salzgitter soundso viele Millionen gestrichen werden sollen.
Ich meine, daß wir das auch einvernehmlich mit getragen haben, Herr Kollege Hoppe. Was wollen Sie also mehr? Wir machen Ihnen Vorschläge, wir einigen uns, und hier im Plenum beschweren Sie sich.
Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie mich in aller Offenheit eines sagen. Natürlich wären unsere Sparvorstellungen nicht allein durch echte Ausgabekürzungen zu realisieren gewesen. Wir hätten auch Kürzungen bei rechnerischen Größen, bei Schätzansätzen, z. B. bei Geldleistungsgesetzen, vornehmen müssen. Schon aus zeitlichen Gründen war das gar nicht anders möglich.
Aber zweierlei wollten wir besonders deutlich machen. Erstens wollten wir der unseriösen Praxis der globalen Minderausgaben einen Riegel vorschieben. Es ist geheuchelte Sparsamkeit, bei den Haushaltsansätzen zunächst kräftig hinzulangen, um am Ende des Jahres die Erwirtschaftung der Minderausgabe als Sparerfolg zu buchen. Unsere Anträge hätten die Regierung gezwungen, eine echte Minderausgabe zu erwirtschaften, was zu tatsächlichen Einsparungen geführt hätte. Dann wollten wir zweitens vor allen Dingen die Mittel sicherstellen, die nötig sind, um unsere familienpolitische Forderung bezüglich des Familiengeldes schon für 1980 finanzieren zu können. Das war für uns ein ganz wesentlicher Punkt. Hierzu liegt Ihnen ein Antrag meiner Fraktion vor, den ich bei dieser Gelegenheit, Herr Präsident, gerne mit begründen möchte.
Wir haben uns ganz konkret auf diesen Antrag konzentriert. Das Familiengeld für alle Frauen im Jahre 1980 kostet 600 Millionen DM. Wir haben in acht Einzelvorschlägen genau angegeben, wie wir diese 600 Millionen DM erbringen wollen. Wir haben uns mit allen anderen ausgabewirksamen Anträgen zurückgehalten und hier für konkrete Dekkung gesorgt. Ich meine, daß das als eine solide Finanzpolitik der CDU/CSU bezeichnet werden kann.
Mit diesem seriös finanzierten Antrag wollen wir die durch Ihre Politik verursachte unverständliche Ungleichbehandlung von berufstätigen Müttern und in der Familie tätigen Müttern beseitigen.
Ich sage ganz frei heraus: Wir begrüßen sehr, daß berufstätige Mütter das Mutterschaftsgeld für die Erziehung ihrer Kinder bekommen. Das begrüßen wir sehr; ich betone das. Es ist aber durch nichts zu rechtfertigen, daß Mütter, die zu Hause arbeiten und vielfach Großes leisten, bei der Erziehung ihrer Kinder von Staats wegen bestraft werden.
Meine Damen und Herren, das muß schnellstens aufhören, und das wird aufhören, wenn Sie unserem Antrag zustimmen. Darum bitte ich Sie.
Außerdem wäre es bei einer echten globalen Minderausgabe möglich gewesen, zumindest einen Teil der besonders im nächsten Jahr greifenden heimlichen Steuererhöhung zu verhindern.
— Ich komme gleich noch darauf zurück. Sie wissen, daß ich nicht effektive Steuersenkungen für das Jahr 1980 ansprechen will, sondern die Verhinderung heimlicher Steuererhöhungen für das Jahr 1980. Das scheint mir ein ganz wesentlicher Punkt zu sein. Deswegen komme ich gleich noch auf ihn zurück.
Wie schon gesagt, meine Damen und Herren: Wir bedauern, daß die SPD /FDP-Vertreter im Haushaltsausschuß weitergehende Kürzungen nicht mitgemacht haben, obwohl es schon 1979 einige gute Ansätze zur Kooperation gegeben hat. In der Rückschau auf frühere Beratungen will mir allerdings scheinen, daß dieser Kooperationsgeist eher der Tugend leerer Kassen entspringt als dem Geist der Sparsamkeit.
Ich meine, daß darunter auch die rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts zu buchen ist. Das wäre in früheren Jahren wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Aber trotz allem: erwähnenswert ist es schon, daß der Bundeshaushalt erstmals vor Beginn des Haushaltsjahres verabschiedet wurde.
Wir haben uns alle darum bemüht, die Koalition und die Opposition.
— Herr Kollege Grobecker, sehr richtig, von Verhindern kann überhaupt nicht die Rede sein. Wir haben alle mitgemacht, ganz besonders hat der Vorsitzende, mein Kollege Windelen, dazu beigetragen.
Aber leider sind mit der zügigen Beratung nicht auch die Probleme ausgeräumt worden. Zentrales Problem des Bundeshaushalts ist und bleibt die Konsolidierung der Staatsfinanzen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, obwohl Sie zu konsolidieren vorgeben, tun Sie es nicht. Sie tun nur so, als ob Sie konsolidierten, aber in Wirklichkeit tun Sie es eben nicht. Das werde ich Ihnen auch beweisen.
Dabei hat sich die CDU/CSU als Opposition wiederholt bereit erklärt, verantwortlich mitzuhandeln, wenn nur die Regierung ihre Führungspflicht übernimmt. Wir haben unseren Worten auch Taten folgen lassen. Das können Sie doch nicht bestreiten.
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Carstens
Ich nenne dafür auch Beispiele. Wie war es denn mit dem Sparteil des Haushaltsstrukturgesetzes?
Wie war es denn mit den Nachtragshaushalten der letzten beiden Jahre? Da haben wir doch gemeinsam über das hinaus eingespart, was die Regierung vorgeschlagen hat. Das ist doch mit unseren Stimmen geschehen. Beim letzten Nachtragshaushalt haben wir doch über Ihr Maß hinaus 700 Millionen DM zusätzlich zur Kürzung beantragt.
Wir haben doch auch im Haushalt 1980 die Kürzungen zum größten Teil mitgetragen.
Dazu möchte ich Ihnen von der Koalition sagen: Das ist mehr, als Sie in der Zeit Ihrer Opposition je zu leisten bereit gewesen wären.
Ich brauche doch nur an das Wort von Herbert Wehner „Für wen halten Sie uns denn?" zu erinnern, den Rest dieses Ausspruchs kennen Sie, den brauche ich gar nicht mehr vorzutragen. Da kam das mit der Wäsche der anderen Leute.
Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Minister Matthöfer, und zu Ihrem Dauerbrenner, zu den sogenannten Zig-Milliarden-Listen über angebliche ungedeckte Forderungen der Opposition. Das ist doch ein unseriöses Sammelsurium aus vielen Diskussionsvorschlägen oder Wünschen einzelner, die einmal diskutiert oder laut gedacht wurden.
Herr Minister, setzen Sie sich gefälligst mit dem auseinander, was auf den Tisch dieses Hauses kommt!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Carstens, habe ich recht gehört, daß Sie die Forderungen der Opposition als ein zusammenhangloses Simmelsammelsurium bezeichnet haben? Dann müßte ich Ihnen zustimmen.
Her Kollege Löffler, Sie können es dem Protokoll gern entnehmen. Ich habe das, was der Bundesfinanzminiser auf den Tisch legt, als „Sammelsurium" bezeichnet.
Herr Minister, glauben Sie denn nicht, daß wir Ihnen auch eine solche Liste auf den Tisch legen könnten, mit Ihren Forderungen von irgendwelchen Parteitagen oder Zusammenkünften? Geben Sie dieses Spiel doch auf; das ist wirklich unseriös.
Ich möchte, meine verehrten Damen und Herren, festhalten, daß die Regierung die Verantwortung für die Konsolidierung der Haushalte trägt, und dieser Verantwortung wird sie nicht gerecht.
Ich möchte an einiges erinnern. Nur mit Hilfe der Mehrwertsteuer und mit der Abführung der Postablieferung in Höhe von 1,5 Milliarden DM — ich möchte das als „Telefonsteuer" bezeichnen — konnte im Regierungsentwurf die Nettoneuverschuldung auf 28,2 Milliarden DM abgesenkt werden, um die verfassungsrechtlich gezogene Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes überhaupt einhalten zu können,
und das auch wiederum nur mit Buchungstricks in Höhe von Milliarden von Mark. Das geht bis an die 5 Milliarden DM heran. Nun versucht man noch, über die höheren Schätzergebnisse der Steuern der. Konsolidierungskosmetik den Anschein einer echten Naturbräune zu geben. Aber mehr als eine Naturbräune ist es wohl nicht.
Als der Kanzler 1976 die Konsolidierung der Staatsfinanzen ankündigte — wie so vieles —, belief sich der Schuldenzuwachs auf 25,8 Milliarden DM. Dann erklärte der Kanzler, die zukünftige Neuverschuldung müsse deutlich niedriger liegen als bisher. Dieses Ziel ist nur einmal 1977 ganz knapp erreicht worden. In diesem Jahr liegt sie bei über 24 Milliarden DM, etwas niedriger als 1977. Aber das steht bis heute doch nur auf dem Papier. Wir sehen doch schon neue Ausgaben auf uns zukommen. Und die Regierung schreibt bei Neuausgaben unter „Dekkung" meistens: Erhöhung der Kredite.
Sie scheinen sämtliches Maß verloren zu haben. Die Sachverständigen sagen Ihnen: Der Konsolidierungsspielraum wurde in der Vergangenheit nicht konsequent genutzt. Aber vielleicht ist auch die Konsolidierung für den Kanzler nicht mehr als ein Modewort.
Wie stellt sich nun die Schuldenpolitik á la SPD/ FDP heute dar? Wir haben eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Die Preissteigerungsrate schnellt von 2,1 % auf 5,7 % hinauf.
Früher wurde es einmal bei 5 % ernst, wie man uns sagte. Jetzt verlautet aus dem Wirtschaftsministerium, der Höhepunkt sei schon überschritten. Wissen Sie nicht mehr, wie schwer es war, 1973 mit den Inflationsraten fertig zu werden, und was die Folgen gewesen sind, an denen wir heute noch zu tragen haben?
Die Bundesbank sagt: Inflation hausgemacht. Über die Rede, die Herr Emminger vor einigen Tagen vor deutschen Reedern gehalten hat, bringt das „Handelsblatt" am 10. Dezember 1979 zum Ausdruck: „Seine Rede auf der Jahrestagung des Verbandes deutscher Reeder indes löst Beklommenheit aus."
Die Zinsen steigen und kappen den Aufschwung bereits, bevor er überhaupt richtig angefangen hat. Die
Sachverständigen konstatieren schließlich, daß Sta-
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bilität und Beschäftigung gefährdet blieben und die strukturellen Defizite in Höhe von 20 bis 25 Milliarden DM fortbestünden. Da muß ich Sie doch fragen, Herr Minister: Was haben Sie eigentlich mit den dreißig Milliarden gemacht, von denen Sie behaupten, Sie hätten damit die Beschäftigung gesichert? Nichts haben Sie gesichert.
Sie werden weder mit der Inflation fertig — Sie haben sie nicht im Griff —, noch haben Sie die Arbeitslosigkeit beseitigt, noch haben Sie die Staatsfinanzen konsolidiert. Wo sind diese Gelder denn geblieben? Was haben Sie damit gemacht? Sie sind doch wirkungslos verpufft.
Man muß die Bundesregierung fragen, wie es im kommenden Jahr mit der Stabilitätspolitik weitergehen soll. Wo bleiben denn Ihre Diagnose und Ihre Therapie?
Die Schwierigkeiten und die Risiken an der Stabilitätsfront nehmen von außen wie von innen weiter zu. Darüber kann man nicht so leicht hinweggehen. Es ist ein ungeheuer ernstes Thema, mit dem wir es zu tun haben.
Aber was fragen wir nach stabilitätspolitischen Konzepten von morgen. Die Koalition stellt sich doch jetzt schon wieder auf Entlastungen und Mehrausgaben von übermorgen ein. Es ist offen gestanden eine merkwürdige parlamentarische Arbeitsteilung, der Regierung das Ausgeben, wenn nicht sogar das Verschwenden zu überlassen und der Opposition das Sparen.
Wo hat es denn das überhaupt jemals gegeben? Da macht eine Regierung im Laufe einer Legislaturperiode 130 Milliarden DM neue Schulden, schiebt strukturelle Defizite in Milliardenhöhe vor sich her, hält wichtige international gegebene Verpflichtungen nicht ein und stellt ungeachtet aller ungelösten Probleme steuerliche Entlastungen in Milliardenhöhe in Aussicht, ohne von Ausgabekürzungen nur zu reden
und ohne für den nötigen Gesamtzusammenhang zu sorgen. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie unterliegen einem fundamentalen Irrtum, wenn Sie glauben, heute den Wahlkuchen 1980 verteilen zu können, noch bevor Sie die Äcker bestellt haben. Ihnen fehlt es doch schon am Saatgut hierfür.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Präsident Stücklen: Bitte schön.
Herr Kollege Carstens, darf ich Ihre Bemerkung von vorhin, mit der Sie die Steuersenkungspläne der Regierung angriffen, so verstehen, daß Sie davon Abstand nehmen?
Herr Kollege Ewen, wenn Sie dieses Thema ansprechen, treffen Sie genau den Punkt, den ich hier jetzt diskutieren wollte.
Wenn Sie nun Ihrerseits vermuten, daß wir für 1981 weitergehende Steuersenkungspläne haben, dann liegen Sie mit dieser Vermutung richtig. Ich will das gerne sagen. Ich bin stolz darauf. Die Bevölkerung dieses Landes kann sich darauf verlassen, daß, wenn Franz Josef Strauß dieses Steuerpaket schnürt, es nicht schon im nächsten Jahr oder übernächsten Jahr wieder überholt werden muß. Vor allen Dingen wird er dafür sorgen, daß dieses Paket in den nötigen haushaltspolitischen Rahmen hineingestellt wird —
so wie das Franz Josef Strauß als Finanzminister meisterhaft bis 1969 praktiziert hat.
Meine Damen und Herren von SPD und FDP, Sie irren sich, wenn Sie glauben, Ihre Politik von 1970 fortsetzen zu können. Sie stehen nicht auf dem soliden Fundament, welches Sie damals von uns übernommen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?
Ja.
Herr Kollege, da Sie auf den Herrn Strauß und seine Steuersenkungswünsche eingehen: Wie können Sie denn garantieren, daß nicht das gleiche passiert wie in der Zeit von 1966 bis 1969, wo unter der Ägide des Finanzministers Franz Josef Strauß
keine einzige Steuer gesenkt wurde, sondern zehn Steuern angehoben wurden und die Steuerquote noch nie so hoch war wie damals?
Verehrte Frau Kollegin, es kommt doch nicht so sehr auf die einzelnen Steuermaßnahmen an, sondern auf das gesamte Paket an Steuern, das wir zur Verfügung haben. Das war insgesamt gut, so daß wir daran nicht viel zu machen brauchten. Das war unsere Finanzpolitik. 1969, als Sie unseren Etat übernommen haben, hatten wir ein Plus von eineinhalb Milliarden DM in der Kasse
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— und Sie machen jetzt jedes Jahr über 25 Milliarden DM Schulden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
Herr Kollege, weil Sie so darauf bestehen, was wir — um mal so zu reden — von Ihnen übernommen hätten: Schalten Sie eigentlich damit aus, daß 1966 im Spätherbst die Regierung mit dem Bundeskanzler Erhard in die Brüche gegangen und es dann notwendig war, in den Jahren von Dezember 1966 bis 1969 alle Bemühungen einzusetzen, um das Auswuchern von Rezessionserscheinungen und vielem anderem mehr 'im Bereich der Industrie zu verhindern? Schalten Sie dieses Kapitel völlig aus?
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, an der Tatsache, daß sich der Kollege Wehner zu Wort meldet, können Sie erkennen, daß Herr Kollege Wehner gespürt hat, daß es seiner Partei bei der derzeitigen Diskussion nicht gut geht.
Herr Kollege Wehner, wenn Sie die Zeit von 1966/67 ansprechen und in Vergleich zu heute setzen, werden Sie feststellen, daß man das im Vergleich zu heute bestenfalls als Sommerflaute bezeichnen kann.
Es ist beschämend, wenn Sie es überhaupt wagen, diese Zeit mit heute in Vergleich zu bringen.
: Darf ich noch eine Frage
stellen, Herr Präsident, eine ganz einfache
Frage? — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ich
komme auch mal dran! — Abg. Löffler [SPD]
meldet sich zu einer Zwischenfrage.)
Einen Moment, Herr Wehner, einen Moment, Herr Haase, Herr Löffler, Sie kommen alle dran.
Der Redner bittet darum, daß die Redezeit, die für die Fragen verbraucht wird, ihm nicht angerechnet wird. Ich hätte dagegen überhaupt keine Einwendungen. Es bedarf dazu einer interfraktionellen Vereinbarung. — Wenn dies also toleriert wird, dann können wir so verfahren, daß wir diese Zeit nicht anrechnen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wehner, eine Zwischenfrage.
Ich habe nur eine Zusatzfrage, Herr Kollege: Sie vergessen offenbar oder möchten nicht darüber sprechen - was ich Ihnen nicht vorwerfen kann —, daß 1966, ein Jahr nach der Bundestagswahl 1965, die Regierung des Bundeskanzlers Erhard zerbrach und daß es dann notwendig war, weiteren Schaden zu verhüten. Ist Ihnen das vielleicht nicht bewußt?
Herr Kollege Wehner, das lag doch nicht in erster Linie an den wirtschaftlichen Verhältnissen,
sondern an der gesamtpolitischen Lage, Herr Wehner, und da haben "Sie damals wahrscheinlich sehr stark mitgearbeitet.
Einen Moment! Wenn der Redner schon Fragen zuläßt, was seine ureigenste Entscheidung ist, dann bitte ich doch, sich an die Richtlinien bezüglich Fragen und Zusatzfragen zu halten. — Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Abgeordneter, daß in den Jahren, die soeben von der Kollegin MatthäusMüller
als Jahre des finanziellen Fiaskos gebrandmarkt wurden, die Bundesrepublik Deutschland von einem freidemokratischen Finanzminister regiert worden ist?
Ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Abgeordneter, Sie wollen keine weitere Zwischenfrage zulassen? — Bitte schön.
Meine Damen und Herren, wir stehen also nicht mehr auf dem Fundament, welches Sie 1970 übernehmen konnten, sondern Sie stehen im Morast Ihrer verfehlten Schuldenpolitik der letzten fünf Jahre. Diese bisherige Finanz- und Haushaltspolitik muß zum Stillstand kommen, muß wieder verantwortungsbewußt werden, klar, seriös und solide, wie sie es bis 1969 gewesen ist. Es gibt jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Wir müssen handeln. Das erkennen Sie allein schon, wenn Sie in Ihren eigenen Finanzplan sehen. Dazu möchte ich etwas sagen.
Im Finanzplan steht für 1983 — es ist beängstigend — eine Bruttokreditaufnahme von 56,5 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das war vor nicht allzu langer Zeit noch ein ganzer Bundeshaushalt. Von diesen 56,5 Milliarden DM verbleibt dem Bund nicht eine einzige Mark für allgemeine Staatszwecke. Im Gegenteil, er muß noch drauflegen, um Tilgung und Zinsen zahlen zu können. Das ist keine
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düstere Prophetie, sondern ist amtlicher Finanzplan.
Welche enorme Dynamik hinter dieser Schuldenpolitik steht, mag folgendes verdeutlichen. — Ich will auf die Zinsen in diesem Zusammenhang gar nicht eingehen. Das ist verheerend; das haben wir aber schon einige Male hier vorgetragen. Ich möchte den längerfristigen Trend bei der Tilgung ansprechen. 1972 reichten noch 3 Milliarden DM aus, um die in einem Jahr fälligen Bundesschulden zu tilgen. 1982 wird die Tilgungslast in einem Jahr schon 36,8 Milliarden DM hoch sein. Das ist mehr als zwölfmal soviel wie noch vor zehn Jahren. Die Ursache dieser Entwicklung sind die enorme Verschuldung des Bundes und — das kommt hinzu — die rasante Verkürzung der Laufzeiten für die Staatskredite.
Ein weiteres Beispiel: Eine Momentaufnahme des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 1978 zeigt, daß der Staat von insgesamt 604 Milliarden DM 88,8 % für den Staatsverbrauch und für Transferausgaben aufwendet, aber nur 7,6 % für Bruttoinvestitionen. Die Zukunftssicherung hat nur noch diesen Stellenwert, 7,6 %! Bald wird für die Vergangenheitsbewältigung mehr Geld ausgegeben werden müssen als für die Zukunftssicherung.
Der Etat wird als Schicksalsbuch der Nation bezeichnet. Wenn ich mir die strukturellen Veränderungen der letzten zehn Jahre ansehe, stellt sich folgendes heraus. Die Zinsaufwendungen sind in diesen zehn Jahren um 544 % angestiegen und die Bruttoinvestitionen um 148,2 % Das Schicksalsbuch zeigt somit, daß die Lasten der Vergangenheitsbewältigung, die Lasten aus Ihrer Schuldenpolitik viermal so schnell gestiegen sind wie die Leistungen, die wir für die Zukunft erbringen.
Es ist ja gar nicht mehr auszudenken, wohin das weiter ausufert.
Das alles ist in ganz entscheidendem Maße auf das zurückzuführen, was Sie Stabilitätssicherung nennen. Sie wollen die Wirtschaft über die Schulden modernisieren. Sie wollen die Stabilität sichern. Nichts wird damit gemacht. So sieht es auch mit dem Rückgang der investiven Ausgaben aus. Sie konnten durch ihn das ZIP, das Zukunftsinvestitionsprogramm, nur vorübergehend anhalten, aber nicht im Trend umkehren. Das ist doch der Sachverhalt.
Die sinkende Leistungskraft des Staates wird auch an folgenden Zahlen deutlich. 1970 konnten Staatsverbrauch und Transferzahlungen voll aus den Steuereinnahmen gedeckt werden. Es bestand sogar eine Überdeckung von 4,7 %. Heute besteht eine Unterdeckung von 5,3 %. Das ist eine Differenz von 10 %. Dies ist genau das strukturelle Defizit von 20 bis 25 Milliarden DM, von dem die Sachverständigen sprechen. Dies eben zeigt, wie sehr der Staat bereits über seine Verhältnisse lebt: Er verteilt mehr um, als er hat. Er täuscht dem Bürger vor, mehr leisten zu können, als er zu leisten imstande ist. In der Struktur der öffentlichen Finanzwirtschaft liegen die Ursachen für viele ungelöste Probleme in unserem Lande.
Ich möchte nun etwas zu den Steuern sagen, worauf Sie in der Koalition ja sicherlich schon lange warten.
Die Haushaltskonsolidierung glaubhaft mit dem Versprechen steuerlicher Entlastungsmaßnahmen zu verbinden ist Aufgabe der jeweiligen Regierung. Ich habe das eben schon deutlich gemacht, und zwar auch überzeugend, wie ich meine. Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt und daß Sie dieses Thema immer wieder erregt. Natürlich muß es Ihnen wehtun, den Arbeitnehmern nur innerhalb einés Jahres über 15 Milliarden DM mehr — so im nächsten Jahr — an Lohnsteuer abkassieren zu wollen. Sie haben hoffentlich den Kontakt zur Basis noch nicht ganz verloren, um. die Stimmung dort erkennen zu können. Sie haben unsere entsprechenden Anträge bis heute abgelehnt. Durch die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen, durch die Progression wird den Arbeitnehmer immer mehr Geld aus der Tasche gezogen. Die Progression wird sich noch verschlimmern. In vollem Ausmaß wird das erst z. B. bei dem Weihnachtsgeld, welches ausgezahlt wird, wirksam werden. Wenn die Tariferhöhungen in den ersten Monaten des Jahres 1980 hinzukommen, wird diese Summe sehr stark ansteigen, und zwar in einem Ausmaß, wie die Arbeitnehmer das heute noch gar nicht absehen können.
Wenn Sie mit uns bereit wären — das ist ein offenes Angebot, das mit unserem Arbeitskreisvorsitzenden abgestimmt wurde —, mit uns noch heute eine Sonderkommission zu gründen, um im Etat 1980 zusätzliche Gelder einzusparen und Kürzungen vorzunehmen, wären wir noch heute bereit, mit Ihnen über Maßnahmen für das Jahr 1980 zu verhandeln. Es geht um das Thema der Vermeidung von inflationsbedingten Steuermehreinnahmen. Wir könnten z. B. auch den Weihnachtsfreibetrag erhöhen. Er kann noch bis März 1980 in die Tabellen eingerechnet werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Verantwortung liegt bei Ihnen, wenn Sie hierzu nicht bereit sind. Sie werden die Folgen im nächsten Jahr noch zu spüren bekommen.
Es liegt also an der Progression, daß an der Steuerfront ständige Unruhe herrscht. Im Klartext heißt das: Die Lohnsteuer nimmt ab 1980 doppelt so stark zu wie die Löhne und Gehälter. Wenn die Löhne um 6 % steigen, steigt die Lohnsteuer um über 12 %. Man muß diesen Zusammenhang genau erkennen, um unsere steuerpolitischen Forderungen zu verstehen. Hätte die Bundesregierung, wie wir das schon vor Jahren gefordert haben, einen ausgewogenen Steuertarif geschaffen, hätten wir uns diese endlosen Steuerdebatten von Beginn an ersparen können. Wir wollen mit dem Steuerpaket von Franz Josef Strauß, welches er in Kürze vorstellen wird, eine Verbesserung erreichen.
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Sie waren mit Ihren steuerpolitischen Vorstellungen doch immer durcheinandergeraten. 1971 wollten Sie die Belastbarkeit der Wirtschaft testen. 1973 haben Sie noch unser Inflationsentlastungsgesetz abgelehnt. Dann haben Sie sogar die Investitionen besteuert, und bei dem sogenannten Jahrhundertwerk haben Sie es zugelassen, daß die Progression so stark zugreift, daß vor allen Dingen die Arbeitnehmer geschröpft werden.
Hier liegt ein weiteres Grundübel Ihrer Politik. Sie werden auf Grund der Entwicklung immer wieder gezwungen, die Steuern kurzfristig zu senken, sind aber nie bereit, dafür auch Ausgaben zu kürzen. Sie sind nie bereit, das in Zusammenhang zu bringen. Nur einmal, beim Haushaltsstrukturgesetz, haben Sie gespart, ansonsten nicht. Der Umverteilung gab Ihre Politik stets die höchste Priorität. Hier ist Gründliches geschehen. Ausgaben und Einnahmen des Staates weisen Strukturen auf, die zu der Erfüllung zentraler staatlicher Aufgaben mit den Zielen der Vollbeschäftigung, der Stabilität und des Wachstums in eklatantem Widerspruch stehen. Lassen Sie mich hierzu abschließend sagen: Diese Widersprüche bedürfen der Korrektur, zu der aber diese Koalition die innere Kraft und Geschlossenheit nicht mehr hat. Schon allein aus diesem Grund muß sie im nächsten Jahr abgelöst werden.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zur Gesamtbewertung des Haushalts. Der Bundeshaushalt 1980 ist das Ergebnis einer zehnjährigen verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Der Haushalt kann nichts mehr versprechen, will aber um so mehr vertuschen und verschweigen. Echte Fortschritte in der Konsolidierung werden nicht erreicht, sondern nur vorgetäuscht. Nur durch die Steuermehreinnahmen und das Hinausschieben steuerlicher Entlastungsmaßnahmen soll vorübergehend der Nachweis einer Scheinkonsolidierung erbracht werden.
Wie ist die wirkliche Lage? Wir haben eine Arbeitslosigkeit von 3 ½ %. Im Winter werden es wieder über eine Million Arbeitslose sein. Wir haben eine Inflationsrate von knapp unter 6 %, wiederum hausgemacht.
Wir haben einen aufgetürmten Schuldenberg von über 200 Milliarden DM, hierdurch stark gestiegene Zinsen, die den Aufschwung schon kappen, bevor er richtig da ist, Finanzierungsdefizite in den öffentlichen Haushalten von 50 Milliarden DM im kommenden Jahr, eine sich weiterhin verschlechternde Struktur der öffentlichen Haushalte und neuerdings sogar eine nach 15 Jahren erstmals defizitäre Leistungsbilanz. Meine Damen und Herren, das sind die nicht zu übersehenden schädlichen Auswirkungen einer sorglosen Umverteilungs- und Gefälligkeitspolitik.
Erst diese Gesamtschau macht deutlich, wohin die Entwicklung treibt. Die anhaltenden Defizite sind angesichts der Inflation und angesichts der Arbeitslosigkeit ein Beweis dafür, daß die Finanzpolitik jede Handlungsfähigkeit verloren hat und in ihrer tiefen Verstrickung den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen zuwiderläuft. Ein Staat kann eben nicht über Jahre hinweg über seine Verhältnisse leben. Das haben wir immer wieder gesagt. Jetzt bewahrheitet sich das. Sie haben über Ihre Verhältnisse gelebt. Diese Haushalts- und Finanzpolitik muß grundlegend verändert, ja, verbessert werden. Da kann man nicht als Opposition durch kleine Strukturverbesserungen eine wesentliche Verbesserung erreichen. Sie muß durch eine andere Politik grundlegend verändert werden.
Die Bundesregierung verharmlost die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und täuscht einen anhaltenden Aufschwung vor. Die Bundesregierung hat massive Aktionen gestartet, um wenigstens im Wahljahr ein halbwegs passables konjunkturelles Ergebnis vorzeigen zu können. Inwieweit diese Kraftakte ausreichen, muß abgewartet werden. Ober den Wahltag hinaus reichen sie sicherlich nicht. Die Möglichkeiten sind im übrigen erschöpft. Seriös betrachtet, sind sie längst erschöpft, schon seit einigen Jahren. Aber wir kennen diese Regierung zur Genüge. Wie sieht es aus mit zweistelligen Inflationsraten? Der Geldmarkt könnte noch aufgebläht werden. Es wäre schlimm, jawohl, es wäre schlimm. In der Koalition haben sich aber immer wieder die dazugehörigen Finanzkünstler gefunden: fünf Minister in diesen zehn Jahren allein auf dem Posten des Finanzministers. Schiller und Alex Möller haben die Konsequenzen gezogen. Sie haben vom Tellerrand des Wahltermins gesprochen und von den Tassen im Schrank. Schiller und Möller stehen vor der Geschichte zwar nicht glänzend, aber doch immer noch passabel dar.
Nur, wie drückte es der Finanzminister Matthöfer unlängst in einem Interview aus? Er sagte: Wir sind mit dem Anspruch angetreten und würden die Lebensberechtigung als Partei verlieren, wenn wir nicht das, was wir als vernünftig erkennen, auch gegen Widerstand und unter zeitweiliger Inkaufnahme von Unpopularität durchsetzen würden.
Herr Minister Matthöfer, nichts setzen Sie durch! Was die Koalition unter Vernunft versteht, wissen wir zur Genüge; sie versteht darunter die Erhaltung der Macht um jeden Preis.
Wir aber verstehen — und damit lassen Sie mich schließen —
unter Vernunft, daß man zunächst einmal etwas schaffen muß, um etwas verteilen zu können,
und daß das Erwirtschaftete nur einmal verteilt werden kann. Wir wissen auch, daß unser Volk schaffen
will und schaffen kann. Die Bürger wollen aber
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Carstens
nicht, daß man sie fortwährend und immer wieder und in steigendem Maße um den Lohn ihrer Arbeit bringt.
Das, meine Damen und Herren, sind unsere Vorstellungen, damit wollen wir eine Wendung zum Positiven erreichen.
Aus all den Gründen, die ich hier vorgetragen habe, lehnen wir den Einzelplan 08 des Finanzministers, aber auch den gesamten Bundeshaushalt 1980 ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße, daß wir zum Haushalt 1980 zurückgekehrt sind. Der Einstieg des Kollegen Carstens heute morgen war immerhin schon etwas näher an der Sache dran als das, was wir alle zusammen gestern morgen erleben mußten.
— Die Reihenfolge war ja klar. Der Herr Schröder mußte kläffen, und der Herr Strauß mußte verwischen.
— Also, hören Sie einmal zu: Wenn Sie sagen, ich sei ein Prolet, dann bin ich stolz darauf, ein Prolet zu sein. Darauf können Sie sich verlassen.
Aus Ihrem Munde finde ich das schon ganz in Ordnung.
Herr Carstens, wenn wir über den Haushalt 1980 reden und vernünftig darüber streiten — bei Ihnen war das mit dem Streiten ja ein bißchen schwierig, ein bißchen dünn, aber ich will Ihnen nicht zu nahe treten —, gebe ich Ihnen in einem Punkte recht: Das zentrale Thema des Haushalts 1980, das zentrale Thema der Finanzpolitik überhaupt ist — gar kein Zweifel — die Kreditaufnahme. Die Frage ist nur, wie man dieses Thema behandelt und ob man es mit einem ernsthaften Beitrag auch der Opposition versieht, aus dem möglicherweise diejenigen, die hier die Mehrheit haben, nämlich die Koalition, Schlußfolgerungen ziehen können. Ich war nicht ganz sicher, ob das, was Sie heute morgen verlesen haben, die Rede vom letzten oder vom vorletzten Jahr war, aber so ähnlich jedenfalls reden Sie jedes Jahr, ohne auch nur einen einzigen wirklich vernünftigen, aufgreifbaren Vorschlag zu machen.
Herr Carstens, wenn es richtig ist, daß dieses Plenum des Deutschen Bundestages der Ort ist, an dem man streitet, an dem man um den richtigen Weg ringt, müßten wir — wir von der Koalition tun das allerdings schon gar nicht mehr, wir Sozialdemokraten ohnehin nicht mehr — von Ihnen einen angemessenen, einen seriösen Beitrag erwarten. Und selbst wenn wir ihn nicht mehr erwarten, könnte es doch sein, daß Ihre Wähler, die Wähler der CDU/ CSU, von Ihnen einen solchen Beitrag erwarten, mit dem man etwas anfangen kann, damit man weiß, wo es nun nach Ihrer Auffassung längs geht. Das haben wir heute morgen vermißt. Das war die Rede vom vorigen Jahr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Gerne.
Herr Kollege Grobecker, sind Sie sich eigentlich der Tatsache bewußt, daß in einem Raum, der allerdings nicht zum Bundestag und zum Bundeshaus gehört, entsprechend der Befähigung zur Doppelstrategie der Kanzlerkandidat heute vormittag das sagen wird, was hier der Herr mit dem Namen, aber aus Emstek, nur anders hat sagen können und dürfen? Sind Sie sich dessen nicht bewußt?
Herr Kollege Wehner, ich habe in diesem Punkt mein Bewußtsein erweitern müssen. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß in einem anderen Raum über die tatsächlichen Vorhaben geredet wird, während Herr Carstens hier — ich will nicht das Wort benutzen, das sonst für Literaten verwendet wird — seine Rede hält.
Nach meiner Auffassung verringert sich das Problem in den Darstellungen der Opposition so, als seien die Verschuldung und die Kreditaufnahme Folgen einer Art Verschwendungssucht des Finanzministers. Das Problem ist schwieriger, und es kann nicht so dargestellt werden, wie Sie das gemacht haben, als ginge der Finanzminister — das macht sich nach außen vielleicht gut — mit Aktentaschen voller D-Mark irgendwo in die Schweiz, oder so ähnlich. Das können Sie hier nicht ernsthaft in die Debatte einführen.
Ich bin der Überzeugung, daß wir, wenn Sie tatsächlich und ernsthaft — Sie kennen die Einzelheiten aus der Ausschußberatung — Vorschläge machen, in vielen Dingen auch in Übereinstimmung zu Eingriffen, die schmerzhaft sind, kommen können. So haben wir es auch im Ausschuß gehalten. Aber was ist gegenwärtig Sache? Die Kreditpolitik des Bundes — nicht nur des Bundes, aber leider im wesentlichen des Bundes — muß doch wohl vor dem Hintergrund des schwersten Konjunktureinbruchs seit Bestehen der Bundesrepublik gesehen werden, der in den Jahren 1974/75 war.
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Grobecker
Das können Sie wirklich nicht der Regierung anlasten. Ich meine, es muß noch soviel Einigkeit bestehen, daß Sie das, was mit dem Ölpreisschock es gibt einen Streit über die Begriffe: Ölverknappungsschock, Öpreisschock; ich sage: Ölpreisschock —1973/74 eingetreten ist, nicht der Bundesregierung anlasten können.
Wenn wir uns also darin einig sind, daß das der schwerste Konjunktureinbruch war, solange es die Bundesrepublik überhaupt gibt, kann man darüber nachdenken, wie man diesen Einbruch bekämpfen muß. Die Bundesregierung hat und mußte nach unserer Auffassung mit den Mitteln der Finanzpolitik, also der Kreditaufnahme, diesen Konjunkturverlauf stützen, ihn auffangen und umzudrehen versuchen. Die Kreditpolitik ist also in diesen fünf Jahren Teil der Konjunkturpolitik gewesen. Wer wollte das bestreiten?
Man kann nicht so gut mit Zahlen jonglieren, weil das häufig verdrängt wird; aber zwei, drei Zahlen müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Sie haben diese Programme etwas belächelt, mit denen seit 1975 versucht worden ist, die Konjunktur wieder in Gang zu bringen. Wir haben seit 1975 für 35 Milliarden DM Sonderprogramme, Arbeitsmarktprogramme, Investitionsprogramme, gemacht. Wir haben für 50 Milliarden DM Konsumanstöße durch Entlastungsprogramme im Bereich der Steuern herbeigeführt. Das waren 85 Milliarden DM. Wir haben aufgerundet fast 100 Milliarden in die Wirtschaft gesteckt, um die Konjunktur anzukurbeln. Dabei muß bedacht werden, daß der Bund für diese Operationen die schwerste, die bedeutendste Last trug, weil sich die Länder nicht in diesem Umfang beteiligt haben. In der Spitze dieser Kreditaufnahme im Jahre 1978 hat der Bund 14 % seines Haushaltes mit Krediten finanziert, während die Länder nur 6 % ihres Haushaltes finanziert haben.
Nun behandeln wir hier nicht die Haushalte der Länder, sondern wir reden über den Bund. Deshalb müssen wir uns die Ergebnisse dieser Politik ansehen. Ich versuche, das so gut und so sachlich wie möglich zu tun, anders als Sie, Herr Carstens, das soeben gemacht haben. Ich hätte noch Verständnis für Ihre Polemik, wenn diese schwierige Politik der Nettokreditaufnahme und der Konjunktursteuerung zu keinem Ergebnis geführt hätte. Aber es ist eine Tatsache, daß wir mit dieser Politik und mit der Verschuldung des Bundes Millionen Deutsche vor der Arbeitslosigkeit bewahrt haben.
Das ist klar, und das müssen Sie zugeben. Wir haben inzwischen — das ist das Ergebnis — den negativen Konjunkturverlauf abfangen können und in einen Konjunkturanstieg umgewandelt, und wir stellen jetzt folgendes fest. Erstens. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Das ist das Wichtigste. Zweitens. Es gibt eine rege Investitionstätigkeit. Als Folge dieser beiden Dinge gibt es drittens mehr Steuereinnahmen. Auf Grund dieser Steuereinnahmen haben wir in den Jahren 1979 und 1980 die Nettokreditaufnahme gesenkt. Wir haben die Steuermehreinnahmen verwandt, um weniger Kredite aufzunehmen. Das ist eine Frage der Priorität, Herr Carstens.
Wenn wir jetzt die Steuermehreinnahmen sofort, unmittelbar zurückgeben, dann müssen wir die Kreditaufnahme erhöhen. Wenn Sie aber wollen, daß wir die Kreditaufnahme zurücknehmen — das wollen wir auch; wir wollen, wie Sie das nennen, konsolidieren —, dann müssen wir die Mehreinnahmen zunächst dafür verwenden, die Kreditaufnahme herunterzunehmen.
Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns in diesem Punkt darin, daß die konservative Opposition der Auffassung ist, daß der Staatshaushalt ausschließlich für die unmittelbaren Bedürfnisse des Staates da ist, während wir, die sozialliberale Koalition, was diesen Punkt angeht, sagen, daß uns dieser Preis, die Verschuldung durch Kreditaufnahme, nicht zu hoch ist, weil wir so die Arbeitslosigkeit bekämpfen können, und damit haben wir Erfolg gehabt. Daran geht kein Weg vorbei.
Wir haben eine wirtschaftliche Entwicklung erreicht, die uns in die Lage versetzt, jetzt zu konsolidieren, und uns leider auch — das mögen wir gar nicht so gern — dazu drängt, eine Art Konjunkturlokomotive auch für andere Länder zu werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ?
Aber selbstverständlich. Präsident Stücklen: Bitte schön.
Herr Kollege Grobecker, würden Sie in diesem Zusammenhang auch noch einige ergänzende Betrachtungen über den durch diese gigantische Verschuldungspolitik verursachten Einkommensumverteilungseffekt anstellen wollen, nämlich zugunsten derer, die ohnehin höhere Einkommen beziehen, und zu Lasten der breiten Masse der Bevölkerung? Würden Sie auch dazu noch ein paar generelle Bemerkungen machen?
Verehrter Herr Schröder, das ist mein Thema. Ich mache das; verlassen Sie sich darauf. Sie sind ja nicht der Erfinder dieser Betrachtungsweise: daß das auch einen Umverteilungseffekt hat.
Um es noch einmal zu sagen: Erste Priorität hatte für uns — das ist völlig klar — die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Jetzt, wo wir in der Lage sind, zu konsolidieren, werden wir konsolidieren. Wir werden es im kommenden Jahr tun, wir haben es auch schon 1979 getan. Der Kreditrahmen für 1979 ist überhaupt nicht ausgeschöpft worden. Wir haben doch — u. a. auch mit Ihrer Hilfe — für 1980 in der
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Grobecker
Tat Konsolidierungsmaßnahmen vorgesehen. Es ist richtig: Ich als Sozialdemokrat bin natürlich sehr daran interessiert, das zurückzutreiben, weil auch ich weiß, daß nicht meine Kollegen im Betrieb Bundesschatzbriefe im Kühlschrank versteckt haben, sondern daß diese Papiere und Obligationen woanders liegen und die Zinszahlungen 'dorthin fließen, wo wir sie nicht hinhaben wollen; das ist völlig klar. Ich finde es sehr geschickt gemacht, daß Sie mich darauf aufmerksam machen, jedenfalls hier im Plenum. Das Problem haben wir längst erkannt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, wenn es denn unbedingt sein muß.
Das entscheiden Sie, Herr Abgeordneter, nicht ich.
Herrn Schröder gern, weil er gestern morgen einen so hervorragenden Auftritt hatte.
Herr Kollege Grobecker, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie, wenn Sie hier eine solche Betrachtung zu diesem Thema anstellen, von der Bruttokreditaufnahme ausgehen müssen, und sind Sie sich darüber im klaren, daß die Bruttokreditaufnahme unverändert steigt?
Herr Kollege Schröder, wir werden — das werden Sie sehen — auch in bezug auf den Haushalt 1980 den Rahmen nicht ausschöpfen. Nun kommen Sie doch einmal auf den Punkt! Wir haben die veranschlagte Nettokreditaufnahme für 1980 in Höhe von 28 Milliarden DM im Verlauf der Verhandlungen um 4 Milliarden DM gedrückt. Wenn das kein Ergebnis ist! Lenken Sie nicht ab mit Erfindungen, die 1980 nicht anstehen.
Meine Damen und Herren, Steuermehreinnahmen und zusätzliche Streichungen — 2,2 Milliarden DM haben wir in diesem Haushalt gestrichen; am Schluß kommen 800 Millionen DM heraus, weil Nachforderungen zu berücksichtigen sind, die zu befriedigen wir gesetzlich verpflichtet sind — haben uns in die Lage versetzt, ein deutliches Zeichen zu setzen — dies ist nachzählbar — und die Nettokreditaufnahme zu verringern.
Nun haben wir heute morgen alle mitgekriegt, daß Herr Carstens hier einen Antrag eingebracht hat, der, wenn wir ihm zustimmen würden, schon für 1980 erneut 600 Millionen DM kosten würde. Es muß mal irgendwann Klarheit darüber bestehen, ob Sie nun die „erste Priorität", wie Sie sich ausdrücken, in der Senkung der Nettokreditaufnahme oder darin sehen, Mehreinnahmen zu verteilen.
Sehen Sie, Sie haben vom Wahljahr geredet. Da gibt es ja allerhand Vergleiche. Dies ist der Haushalt für das Wahljahr 1980. Und in dieses Wahljahr gehen wir mit einem gekürzten Haushalt. Das war ja nicht immer so. 1965 sind Sie in ein Wahljahr mit einem aufgeblähten Haushalt gegangen. Sie mußten anschließend ein Haushaltssicherungsgesetz machen, um überhaupt in der Lage zu sein, Ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Das also zum Wahljahr. Ich finde schon, daß Sie uns da nicht umgekehrt vorwerfen können, wir hätten hier Versprechungen gemacht. Sondern wir gehen in ein Wahljahr mit einem gekürzten Haushalt.
Dennoch ein Wort zu dem, was der Haushalt nach unserer Einschätzung bewirken soll. Bei aller Fragwürdigkeit, einem Haushalt ein Motto zu geben — Sie haben auch versucht, dem Haushalt ein Motto, ein negatives Motto, zu geben —, würde ich sagen, daß das Leitwort „Zukunftssicherung" heißen muß.
Denn wenn man die Ziele dieses Haushalts ansieht, kann man, obwohl wir gekürzt haben, feststellen, wo bei einer durchschnittlichen Steigerungsrate von 5,5 % die überdurchschnittlichen Steigerungsraten liegen, in welche Zielrichtung dieser Haushalt also, politisch gesehen, marschiert. Das ist beim Einzelplan des Wirtschaftsministeriums, beim Einzelplan des Forschungsministeriums und beim Einzelplan des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das also sind die Bereiche, von denen wir glauben, daß wir sie gut ausstatten müssen. Dadurch daß wir die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen, werden wir in die Lage versetzt, unsere Wirtschaft zu modernisieren, gleichzeitig mehr Steuern einzunehmen, aber auch Steuersenkung zu betreiben.
Der einzige Etat, der eine negative Wachstumsrate hat — wenn man das so überhaupt sagen kann —, ist der Etat des Bundesfinanzministers. Das ist ein ausgesprochener Verwaltungsetat. Der ist nicht gestiegen. Dadurch wird auch deutlich, daß das ganze Gerede von der Aufblähung der Bürokratie falsch ist. Sie selbst haben mit uns darüber gesprochen und' mit Erfolg darüber verhandelt, den Aufwuchs an Personal zurückzudrehen.
Mir liegt daran, zum Schluß noch einen Satz über die begleitende Politik der Bundesbank zu sagen. Wir hören sehr erfreut, daß es Konsens zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank gibt, was die Politik des knappen Geldes angeht.
Ich will für mich sagen, daß ich persönlich diese Politik des sehr knappen Geldes sehr kritisch betrachte, zumal wenn diese Politik mit einer bestimmten Begleitmusik vollzogen wird, etwa in der Richtung, daß der Präsident der Bundesbank auch bei uns im Ausschuß den Hinweis auf die Tarifpartner machte; die müßten in der kommenden Lohnrunde außerordentlich zurückhaltend sein. Er gibt auch Margen an, die ich hier nicht wiederholen will.
Diese Begleitmusik paßt mir noch viel weniger als die Politik des knappen Geldes, weil mit solchen Appellen, die man an die Tarifpartner richtet, ja im wesentlichen die Gewerkschaften gemeint sind. Und da gibt es nun keinen Zweifel: Was wir im Augen-
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Grobecker
blick haben, ist eine Preis-Lohn-Spirale, nicht umgekehrt.
Die Gewerkschaften sind in der Pflicht von Tarifverträgen rechtlich gebunden, auch durch das Tarifvertragsgesetz.
Sie haben im Frühjahr eine Erhöhung um durchschnittlich 4,5 % abgeschlossen. Die Preissteigerungsrate, d. h. das Vertragsobjekt der Gegenseite — man macht ja einen Vertrag darüber, was jemand kriegt und was jemand nehmen kann; und was die Unternehmer nehmen, ist der Preis —, der Preis ist um 5,7 % in die Höhe gegangen. Er bewegt sich nicht auf der Ebene, auf der damals die Tarifverträge abgeschlossen worden sind. Deshalb finde ich es unangemessen, wenn jetzt Mahnungen in Richtung Gewerkschaften veranstaltet werden,
sie sollten sich in Zukunft zurückhaltend verhalten.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu bekommen.
Ich möchte keine Zwischenfrage mehr annehmen. Ich werde zum Schluß kommen.
Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich mich in voller Übereinstimmung mit meiner Fraktion befinde, was diese Beurteilung angeht. Wir sind nicht der Auffassung, daß die Gewerkschaften in der kommenden Lohnrunde ausgerechnet diejenigen sein sollen, die sich zurückhalten. Die Preissteigerungsrate, die ausschließlich im Bereich der Unternehmen zu suchen ist, befindet sich weit über dem, was abgeschlossen worden ist. Jetzt haben die Preise angezogen, die Löhne müssen nachziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja häufig so, daß wir hier eine komplizierte Sprache verwenden, die draußen nur schwer ankommt, weil sie etwas eigenartig ist. Bisher hatte ich allerdings immer den Eindruck, daß das System der Haushaltsberatungen und seine Aufteilung in eine erste, zweite und dritte Lesung etwas damit zu tun hat, daß man durch Lesen zwischen der ersten und der zweiten Lesung etwas lernen kann. Herr Kollege Carstens, das ist mir bei Ihnen nicht so aufgefallen. Mir ist allenfalls noch aufgefallen, daß Sie auf dem Weg von Ihrem Sitzplatz bis zum Rednerpult das Komma bei den Inflationsraten einfach verloren haben. Wer hier von zweistelligen Inflationsraten spricht, der kann dies doch wohl unmöglich auf die Bundesrepublik Deutschland beziehen.
Wenn Sie dem Finanzminister vorwerfen, er hätte, was die Frage der Oppositionsanträge angeht, ein Sammelsurium zusammengestellt, dann kann ich nur sagen: Auch hier gilt das Verursacherprinzip; das heißt, wer auf die Art und Weise vorgeht, braucht sich über die Antwort nicht zu wundern.
— Wir können uns ja darüber unterhalten während dieser Debatte. Ich sehe ja auch den nächsten Wahlkampf unter dem Gesichtspunkt der Ehrlichkeit auf beiden Seiten. Das heißt, dieses werden wir sehen — —
— Herr Friedmann, Sie werden auch zu dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben, noch eine passende Antwort bekommen; das wissen Sie.
Ich möchte noch einen kurzen Rückblick auf die Debatte von gestern abend bzw. auf das, was Haushaltsdiskussion zum Bundeskanzleretat genannt worden ist, halten. Es ist in vielen Fällen — dabei muß ich leider auch den bayerischen Ministerpräsidenten mit einschließen — am Thema, d. h. am Haushalt, vorbeigeredet worden. Herr Strauß hat gestern morgen in seinem ersten Debattenbeitrag eher die Rolle des Historikers gespielt; er hat den Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme durch einen Rückblick ersetzt.
Er hat in seinem zweiten Debattenbeitrag am Abend etwas freier formuliert — ohne den fast berühmten „Zettelkasten" —, und er ließ mindestens ahnen, daß er weiß, welche Probleme in den 80er Jahren zur Debatte stehen. Nur erscheinen mir die Lösungsvorschläge, die er auch gestern abend hier vorgetragen hat, zum Teil absurd zu sein. Lassen Sie mich das auch sagen: Sie waren auch sehr pharisäerhaft dargestellt.
Wenn Herr Strauß, z. B. wie gestern abend, sagt, daß jemand als geistiger oder politischer Krüppel bezeichnet werden müsse, der Konflikte nennt, die in dieser Welt und in dieser Gesellschaft vorhanden sind, dann, meine ich, klingt das ausgerechnet aus dem Munde eines Mannes, der so viel Konfliktpotential in seiner Person vereinigt, mehr als unmöglich. Wir sollten immerhin auch das wissen: Man kann in dieser Gesellschaft nicht aufteilen und auseinanderdividieren, wie das Herr Strauß gestern abend gemacht hat. Dies schadet dieser Gesellschaft mehr, als daß es ihr nutzt. Das nutzt niemandem. Dort, wo Integration, Verständnis, Toleranz und Liberalität gefordert sind, hat der bayerische Minister-
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präsident gestern abend knallhart auf Konfrontation gesetzt.
Es hat ihm offenbar auch Schwierigkeiten gemacht, über den vorliegenden Haushalt zu reden. Als er noch hier im Bundestag saß, orientierte er sich sehr viel stärker an der finanzpolitischen Wirklichkeit. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Er hat gestern davon gesprochen, daß die Abitur-Leistungen in Bayern so besonders gut zu bewerten sind.
Das muß offenbar nicht immer und zu allen Zeiten gegolten haben.
Herr Abgeordneter Gärtner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmitz ?
Bei Herrn Schmitz immer.
Herr Kollege Gärtner, wie würden Sie dann Herrn Brandt beurteilen, wenn Sie den Begriff Konfliktpotential nennen?
Ich habe Ihnen zu diesem Thema klar gesagt, daß Herr Strauß in diesem gestrigen Debattenbeitrag das gemacht hat, was ich von ihm zwar immer befürchtet habe, was ich aber im Sinne eines anständigen Wahlkampfes zu unterlassen bitten würde. Das gilt für jeden, der sich an diesem Wahlkampf beteiligt. Wenn das von anderer Seite oder gelegentlich auch von unseren Kollegen so gemacht wird, dann sage ich das genauso.
Nur, gestern hat Herr Brandt sich in dieser Frage nicht so geäußert, und ich habe nur Anlaß, das zu kritisieren, was, wie Herr Friedmann sagt, in diesem Saal gesagt wird.
Präsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Bitte.
Herr Kollege, nachdem Sie auf die bayerischen Abiturzeugnisse in früherer Zeit unter Anspielung auf einen gestrigen Redner abgehoben haben, — —
Das haben Sie gesagt, Herr Althammer, das petze ich.
So habe ich Sie verstanden. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie wissen, wie das Abitur dieses gestrigen Redners aussieht.
Gärtner (FDP): Ich meine, da Sie — —
Einen Moment, Herr Abgeordneter Gärtner. Das ist natürlich sehr belebend und außerordentlich interessant; aber die Fraktionen haben eine bestimmte Zeit vereinbart. Wenn diese eingehalten werden soll, dann können in der Tat nur Zwischenfragen zugelassen werden, die den zur Beratung stehenden Gegenstand betreffen; sonst kommen wir mit der Zeitplanung völlig durcheinander.
Ich bitte die Redner, darauf Rücksicht zu nehmen. Ich werde also künftig — bei Ihnen schon noch, Herr Abgeordneter Gärtner — Zwischenfragen nicht mehr auf die Redezeit anrechnen; sonst kommen wir bei der Zeitplanung total durcheinander. Ich bitte um Verständnis.
Ich werde mich aber dennoch nicht vor der Beantwortung der Frage des Kollegen Althammer drücken. Da gibt es ja so viele literarische Erzeugnisse, die in dieser Ecke der Republik entstanden sind, daß ich mindestens annehmen kann, daß Sie und alle diejenigen, die diese Exemplare gelesen haben, das wissen. Von daher sind wir uns, glaube ich, darüber einig, wie diese Frage zu beantworten ist.
Die schwierige Debattenlage für die Union zu dem diesjährigen Haushalt ist mir im Grunde auch verständlich; denn der Haushalt 1980, der jetzt hier vorliegt, ist in seiner Struktur gegenüber dem Entwurf, wie er hier eingebracht worden ist, auch ansehnlicher geworden, und er ist auch ein politischer Haushalt mit nicht zu übersehenden politischen Schwerpunkten. Es ist ein Haushalt, der trotz alles Kritischen, was man zur Finanzpolitik dieser Koalition sagen kann, eindeutig Konsolidierungstendenzen aufweist.
Wer behauptet, dies alles sei in Sachen Konsolidierung nur ein Scheingefecht, hat diesen Haushalt nicht gelesen, hat ihn im Zweifel auf jeden Fall nicht verstanden.
Wir können uns weiter darüber streiten, Herr Kollege Friedmann, ob wir in der nächsten Zeit in der Konsolidierungsfrage noch ernsthafter, noch weiter vorgehen müssen. Wir sehen das so. Wir haben das auch in den letzten Haushaltsberatungen klargemacht. Ich muß auch sagen, wir sind unseren Ankündigungen in der ersten Lesung — gerade wenn Sie die FDP-Fraktion ansprechen — treu geblieben. Das Ergebnis kann sich nach meinem Eindruck auch sehen lassen.
Geradezu absurd finde ich den Hinweis, daß wir einen Haushalt vorgelegt hätten, der nicht zur Konsolidierung beitrage, aber nebenbei geradezu noch Wahlgeschenke aufweise.
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Gärtner
Sie haben uns bei der Haushaltsberatung 1979 gesagt: ihr konsolidiert 1979 nicht, weil ihr 1980 wieder das Geld ausgeben wollt. Nun haben wir jetzt diesen Haushalt gekürzt. Da bitte ich doch, wenigstens untereinander ehrlich zu bleiben. Wir haben diesen Haushalt netto um 800 Millionen DM gekürzt, haben die Neuverschuldung um 4 Milliarden DM heruntergesetzt, und nun sagen Sie dazu: Das ist ein Haushalt der Wahlgeschenke.
Ich meine, es gehört schon viel dazu, das noch zu verstehen.
Der Entwurf des Haushalts hatte ja auch schon in einem anderen politischen Bereich einen Schwerpunkt, nämlich im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Der Kollege Grobecker hat eben schon darauf hingewiesen. Ich meine, daß, wenn wir jetzt aus dieser Beratung herauskommen und beim Einzelplan für wirtschaftliche Zusammenarbeit bei einer Steigerungsrate von 15 % liegen, dies ein politisches Zeichen dieses Haushalts ist. Dazu sollte man doch wenigstens auch etwas Positives von seiten der Opposition sagen. Ich meine, bei einer Gesamtsteigerung des Haushalts von nur 5,5 % ist dies ein deutliches Zeichen dafür, daß wir unseren Beitrag zur Verminderung von Konfliktsituationen in der Welt leisten wollen, auch zur Verhinderung — langfristig — von Stellvertreterkriegen und ebenso zur Sicherung des Friedens in der Welt.
Die Verschuldungspolitik der Regierung ist in diesem Jahr wie immer kritisiert worden. Herr Biedenkopf hat das beim letzten Mal die „Ausbeutung zukünftiger Generationen" genannt. Ich fand diese Formulierung wenigstens noch intellektuell schick. Herr Strauß hat das gestern abend nicht so schön hinbekommen.
Herr Kollege Grobecker hat das noch einmal klargemacht. Ich bitte Sie, das wirklich wenigstens zu akzeptieren; ich will nicht sagen: zu verstehen. In den Jahren 1973, 1974 und 1975 hat in dieser Republik etwas stattgefunden, ist auf uns etwas hereingeprasselt, was wirklich nicht von uns zu verantworten war. Das, was der Kollege Grobecker den „Ülpreisschock" genannt hat, ist etwas gewesen, womit dieses Land fertig werden mußte. Es ist damit fertig geworden, und zwar so, daß es viele Länder dieser Welt gibt, die uns um unsere Entwicklung beneiden.
Ich beneide Sie überhaupt nicht, wenn Sie mit ausländischen Kollegen reden. Wenn Sie eine derartige Beschreibung über das Land abgeben, aus dem Sie kommen, dann sagen die ausländischen Gesprächspartner immer: Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Derartige Schwierigkeiten, die Sie gelegentlich in deutschland- und außenpolitischen Debatten haben, haben Sie auch dann, wenn Sie die Wirklichkeit dieses Landes beschreiben. In diesem Lande hier — das sagen Sie nur nicht so laut und nicht so deutlich — geht es doch vielen Bürgern besser als den Bürgern in vielen Ländern dieser Welt.
Sie sollten auch nicht sagen, daß hier die Arbeitslosenraten steigen. Sie vergessen dabei nämlich, wie die Situation jenseits der Grenzen ist.
Es ist doch nicht so, daß man von uns aus freudig zu einer Arbeitslosenquote von 3,7 % ja sagt. Sie müssen sehen, von welchem Level wir heruntergekommen sind. Sie müssen einmal sehen, wie die Anstrengungen anderer Länder aussehen, wie die versucht haben, auf einen solchen Level zu kommen, wie wir ihn haben. Die anderen Länder befinden sich auf einem viel höheren Level. Es ist gar keine Frage, daß wir darüber nicht glücklich sind. Aber Sie können doch nicht abstreiten, daß diese Regierung mindestens ein Lob' dafür verdient hat, daß wir dieses Ergebnis erzielt haben.
Herr Kollege Carstens hat darauf hingewiesen, im Sachverständigengutachten sei der Hinweis enthalten, daß es ein 25 Milliarden DM großes strukturelles Defizit gibt, von dem der Bund etwa die Hälfte trägt. Einverstanden; aber dann, Herr Kollege Carstens, ist der Änderungsantrag auf dem rosa Papier, den Sie heute morgen zu begründen versucht haben, überhaupt nicht verständlich. Der Antrag auf dem rosa Papier bedeutet eine Erhöhung der strukturellen Leistungen des Bundes, d. h. eine Erhöhung des strukturellen Defizits, solange Sie nicht zur Dekkung eine strukturelle Maßnahme vorschlagen.
Sie haben sich zwar heute morgen über die globale Minderausgabe ausgelassen. Wer den Antrag liest, stellt fest, daß Sie zur Deckung eines Teils der Maßnahmen eine globale Minderausgabe beim Einzelplan 30 — Forschung und Technologie — vorschlagen. Man muß da schon vorsichtig sein.
— Das ist aber im Prinzip das, was Sie heute morgen kritisiert haben. Man kann doch nicht hingehen und sagen „Wir haben ein strukturelles Defizit, konsolidieren darf man nicht mit globalen Minderausgaben", aber dann kommen Sie mit einer Mehrausgabe und decken sie aus einer globalen Minderausgabe.
Ich gebe zu: Das ist ein komplizierter Sachverhalt. Aber wenigstens das sollten Sie mit nach Hause nehmen, daß wir Ihnen in dieser Frage nicht nachgeben werden.
-- Wir haben aber keine Mehrausgabe, die ein strukturelles Defizit verursachen konnte, beschlossen. Darüber sollten wir uns unterhalten.
Ich meine, wenn man sich in der diesjährigen finanzpolitischen Situation bewegt, stellt man mit Erstaunen fest, daß bezüglich der Einnahmeseite in diesem Jahr keine Oppositionsanträge gestellt worden sind. Von daher, Herr Kollege Friedmann, gebe ich Ihnen völlig recht: Man kann in etwa 40 Minuten erwarten, daß es in einem anderen Raum geschieht. Von daher hatten Sie wohl einen Teil Ihrer Rede mit
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einer Sperrfrist versehen. Sie haben einen Teil einfach nicht vortragen dürfen, weil das offenbar anderen Leuten vorbehalten war.
— Herr Kollege Carstens, ich bin ja froh, daß nicht jeder Zwischenruf hier über das Mikrofon geht.
Immerhin diskutiert man in diesem Jahr über das Thema einer Steuerentlastung für das Jahr 1980. In diesem Jahr haben Sie es quasi unterlassen, in der finanzpolitischen Diskussion gestern und heute von massiven Steuersenkungen in 1980 zu sprechen. Herr Kollege Strauß hat das gestern abend selbst in bewundernswerter Klarheit gesagt, daß es einen gewissen Widerspruch gibt zwischen Steuersenkungsforderungen auf der einen Seite und Konsolidierungsforderungen auf der anderen Seite. Ich bin nur gespannt, wie die Entscheidung der Unionsfraktionen, die nachher in der Pressekonferenz verkündet werden wird, diesem gerecht wird.
Das ist auch deshalb interessant, weil der Ministerpräsident im ,Abendjournal" des Bayerischen Rundfunks am 30. Oktober 1979 ein Interview gegeben hat — das ist also gar so lange noch nicht her; allerdings war es abends 21.30 Uhr, und da weiß man nie so recht, ob. nicht Schreibfehler entstehen können, wie man ja unlängst gesehen hat —, in dem er gesagt hat — ich darf ihn jetzt einmal so zitieren, wie ich das vorliegen habe —:
Deshalb waren wir der Meinung, — also die Union —
man sollte eine kleine Tarifkorrektur für das Jahr 1980 vorsehen mit einer Auswirkung von etwa 6 Milliarden DM, allerdings die größere Korrektur dann im Jahre 1981 vornehmen. Und dahinter steht überhaupt einmal der zweite Teil der Steuerreform, d. h. eine echte Steuerreform, bei der erhebliche Beträge umverteilt werden müssen, was allerdings
— und nun bitte ich zuzuhören —
nur über einen Zeitraum von mehreren Jahren, also sagen wir in der neunten Dekade
— er liebt diese Formulierung ja — dieses Jahrhunderts möglich ist.
Also das, was im vorigen Jahr noch für dieses Jahr für möglich gehalten wurde, wird jetzt von dem Verursacher dieser Diskussion selbst auf einen viel weiteren Zeitraum verschoben. Da darf man doch uns nicht kritisieren, die wir unsere Beschlüsse seriös fassen und sagen: im Jahr 1980 nichts, sondern zum 1. Januar 1981.
Wenn ich dieses Ausmaß an Übereinstimmung feststellen kann, darf ich wohl zumindest davon ausgehen, daß wir in diesem Plenum eine Diskussion führen werden, die frei von Emotionen ist und in der wir uns in sachlicher Weise gemeinsam auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens verständigen können.
Wenn wir im Rahmen der Steuerentlastung den familienpolitischen Aspekt noch hinzunehmen, d. h. die Steuersenkung über den Tarif mit einer familienpolitischen Diskussion verknüpfen, so meine ich, Herr Kollege Carstens, daß wir uns angesichts des strukturellen Defizits, das wir gemeinsam zu beklagen haben, einmal darüber unterhalten sollten, wie denn ein Teil dieses strukturellen Defizits beim Bund zustande gekommen ist. Zwar hat jeder in den letzten Jahren viel über Familienpolitik geredet, nur liefen die meisten Anträge auf den Tenor hinaus: Aber du, Bund, bezahle bitte. Bei der Umstellung der Kindergeldzahlungen ist das im Blick auf den Bundeshaushalt eben das beklagenswerte Ergebnis. Insofern müßten wir zumindest einer Meinung sein.
Ich möchte diejenigen, die 1981 ernsthaft familienpolitische Maßnahmen durchsetzen wollen, bitten, bei der Beratung der Steuerentlastungspakete — wie groß auch immer sie geschnürt werden — zu zeigen, daß sie daraus dann auch die Konsequenzen ziehen. Familienpolitische Profilierung allein auf Kosten des Bundes kann nicht stattfinden. Man muß sich im Jahre 1981 bei einer zu beschließenden Regelung klar zur Finanzamtslösung bekennen und nicht die alte Arbeitsamtslösung vertreten.
Dann wird sich zeigen, was Propaganda ist und wo praktische Politik gemacht wird.
— Herr Kollege Carstens, das hat doch mit diesem Fall überhaupt nichts zu tun. Bei der Finanzamtslösung haben wir sogar den Vorteil, daß der Steuervereinfachung nicht nur das Wort geredet, sondern sie sogar praktiziert wird. Auf der anderen Seite muß klargemacht werden, daß die Länder, angeführt von Ihren Ministerpräsidenten, nicht dauernd sagen dürfen: Familienpolitik ist wichtig, da muß etwas gemacht werden; aber wir zahlen es nicht, sondern der Bund soll zahlen. Und gleichzeitig wird der Bund dann an der Front vorgeführt, weil die Staatsverschuldung so hoch sei. Das ist ein Thema, bei dem Sie sich glaubwürdiger darstellen müssen. Da gilt für Sie das berühmte Wort, Butter bei die Fische zu tun.
Sie haben in Ihrem Beitrag auch die Höhe und Struktur der Staatsbeteiligungen angesprochen. Gestern hat das der Ministerpräsident von Bayern auch getan. Man kann es sich natürlich nicht verkneifen, daran zu erinnern, daß auch er Aufsichtsratsvorsitzender eines Unternehmens ist. Die Frage der bayerischen Staatsbeteiligung an diesem Unternehmen wird ja wohl auch nicht zur Disposition gestellt. Oder gibt es da neuere Hinweise?
Sicherlich wird es eine sorgfältige Diskussion geben müssen, ob immer und in jeder Höhe an jedem Unternehmen eine Staatsbeteiligung notwendig und unter dem Gesichtspunkt der sinnvollen Ausgabe von Steuergeldern vertretbar ist. Vor diesem Hintergrund darf man nun wirklich nicht den Bundesfinanzminister für die Staatsbeteiligungen verantwortlich machen, wie Sie es, glaube ich, getan haben, und ihm vorhalten, daß er die Staatsbeteiligung
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Gärtner
an einem Unternehmen weiterhin aufrechterhält, die Sie Ihrerseits für überflüssig halten. Sie hatten einer Kapitalerhöhung ja nicht zustimmen wollen. Der Kollege Hoppe hat Ihnen das, was die Frage mit Salzgitter angeht, zurückgegeben. Ich meine, es geht wirklich nicht, global zu sagen: „Da könnt ihr runtergehen, aber ihr, Regierung, müßt das sagen", und wenn die Regierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen Entsprechendes beschließt, Briefe zu schreiben und zu sagen: „Das waren aber Sie gewesen. Wir hätten es zwar auch gemacht, nur wir hätten es nicht gesagt" Das finde ich nicht so ganz fair.
In der letzten Diskussion haben — und auch gestern ist das gesagt worden — die Subventionspolitik der Regierung und der Versuch, gemeinsam mit dem Parlament zu Lösungen zu kommen, eine gewisse Rolle gespielt. Der Kollege Hoppe hat gestern den Subventionsbericht als eine neuartige Form der Leistungsbilanz, die sozusagen nicht aus den Öffentlichkeitstiteln finanziert wird, bezeichnet. Das ist schon ein ganz schwieriges Geschäft.
Jahr für Jahr beschließen mannhaft einige Kollegen in allen drei Fraktionen: Aber beim nächstenmal gehen wir an die Subventionen ganz bestimmt heran. Jahr für Jahr werden, statt daß alte Subventionen gestrichen werden, neue Subventionen eingeführt. Ich gebe zu bedenken, ob wir nicht das Prinzip, das wir in diesem Jahr bei der Beratung des Haushalts angewandt haben, denjenigen, der Mehrausgaben oder andere Ausgaben verstärken will, dazu zu verpflichten, in anderen Einzelplanbereichen zu sparen, d. h. einen Deckungsvorschlag vorzulegen, auch hier anwenden sollten. Derjenige, der eine neue Subvention in den Subventionsbericht hineinschreiben will, sollte mindestens eine alte in gleicher Höhe streichen.
Das wird mit Sicherheit ein ganz schwieriges Geschäft und deutet in etwa das an, was Sie auch gesagt haben: Ich meine den Bereich der Personalkommission, d. h. die Personalzuwächse der Ministerien. Dort ist es im Grunde auch gegangen. Ich meine, daß dieser Vorschlag, an die Subventionen heranzugehen, nur verwirklicht werden kann, wenn wir das gemeinsam machen, weil sich in der Gesellschaft, in der wir leben, so etwas wie eine Subventionsmentalität breitgemacht hat und jeder glaubt, sich bedienen zu können, weil wir gemeinsam nicht stark genug waren, in einigen Bereichen abzulehnen. Das können wir nur gemeinsam machen, weil sonst auf dem offenen Markte der eine gegen den anderen ausgespielt wird und es dann keinen mehr geben kann, der das durchhält. Deshalb sollten wir die Erlebnisse, die wir in der Personaldiskussion hatten, vielleicht in dieser Richtung weiterlenken. Ich meine, daß wir dann auch zu ganz guten Ergebnissen kommen.
Lassen Sie mich zum Schluß auch noch ein paar Bemerkungen über das machen, was für uns wirklich notwendig ist und, wie ich meine, auch in den nächsten Haushalten auf uns zukommt. Wir werden in den nächsten Haushalten eine ganze Menge mehr an Leistungen für die Länder der Dritten
Welt beschließen müssen. Wir haben gestern in der Rohstoffdiskussion, die hier geführt worden ist, gehört, daß wir in Zukunft Probleme haben werden, bestimmte Rohstoffe überhaupt zu bekommen. Das wird in den nächsten Jahren nicht möglich sein, wenn wir nicht beginnen — von diesem in das nächste Jahr steigernd —, deutlich zu machen, daß wir mit den Ländern, die Rohstoffe haben, die meist noch Entwicklungsländer sind, einen echten partnerschaftlichen Dialog praktizieren, der dazu führt, daß sie ihre Leistungen erheblich steigern, sie sogar mehr steigern als nur im Umfang des Zuwachses unseres eigenen Wachstums. Auch die Länder der Dritten Welt merken schon, daß das, was wir ihnen großzügig geben, aus dem Überfluß kommt, d. h. uns eigentlich nicht wehtut. Ich glaube bestimmt, daß in den nächsten Jahren auch die Diskussion bei uns nicht davor Halt machen wird, daß wir Leistungen auch aus unserem sogenannten Eingemachten geben müssen. Wir müssen das auch deshalb machen, damit nicht der Schock auf uns zukommt.
Wir müssen jetzt lernen, Probleme vorher zu erkennen und sie vorher auch zu lösen. Entweder lernen wir es, z. B. den Rüstungswettlauf zu stoppen, oder es wird in Zukunft eine Ära der kalten Unmenschlichkeit geben. Entweder lernen wir es, daß wir unsere Wachstumsrekorde der Vergangenheit heute im Grunde sanieren oder reparieren müssen, oder es wird eben so sein, daß wir nur Mitglieder einer Konsumgesellschaft mit beschränkter Haftung sein werden.
— Auch unsere Ansprüche. Genau das ist das Problem. Die Frage ist immer, wie wir mit unseren eigenen Ansprüchen umgehen. Wenn wir nicht Sparsamkeit vorleben, wird es keiner draußen im Lande nachvollziehen.
Wir müssen, meine ich, auch lernen, daß es in Zukunft keine billige Energie mehr gibt, daß es keine billigen Arbeitskräfte mehr gibt und daß man von daher auch nicht so markige Konsequenzen ziehen kann, wie sie gestern hier von einigen Rednern vorgeführt worden sind.
Wir müssen offen über die Probleme, die unsere Bürger haben und die sie an uns herantragen, diskutieren. Dabei muß man mit den Bürgern diskutieren, die z. B. ein kritisches Verhältnis zur Technologie der Kernenergie haben. Das kann man nicht nach dem Motto machen: Es wird befohlen und angenommen.
Wer Diskussion, Liberalität und Toleranz in diesem
Bereich vergißt, wird mit dazu beigetragen, daß das
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Gärtner
Verweigerungspotential in dieser Gesellschaft zunehmen wird.
— Wenn Sie das Wort „Verweigerungspotential" nicht verstehen können, will ich es Ihnen gern übersetzen. Dieses Potential besteht in den Leuten, die, offenbar zu Recht, glauben, daß traditionelle Parteien nicht in der Lage sind, wenigstens zuzuhören.
Ich meine das, was gestern hier vorgeführt worden ist: Man braucht zu einer bestimmten Technologie nur ja zu sagen, und die Probleme sind gelöst. Wer so etwas meint, wer zu Herrn Bundeskanzler Schmidt sagt: das wird ein Pyrrhus-Sieg, wird, wenn er an die Regierung kommt, Schiffbruch erleiden. Damit das nicht geschieht, werden wir alles daransetzen, daß er dieses Amt nicht bekommen wird.
— Herr Kollege Friedmann, da braucht mir von Ihnen keiner etwas vorzuwerfen. Ich habe in diesem Hause vor einem Jahr — von daher ist das vielleicht ein seltsames Zusammentreffen — zu diesem Thema mein Erlebnis gehabt. Ich hoffe, das war für viele ein Erlebnis. So etwas darf — und das ist auch in Ihrem Sinne — nicht mehr vorkommen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Haushaltsentwicklung im Jahre 1979 und die — das kann man wohl sagen — merklich verbesserte Ausgangslage für den Haushalt 1980 zeigen uns, daß sich die konsequent über Jahre hinweg verfolgte Wachstums- und Beschäftigungspolitik der Bundesregierung auszahlt. Steigende Einkommen, wachsende Beschäftigung, reichlicher fließende Steuereinnahmen, ein erfolgreicher Abbau der durch die Arbeitslosigkeit bisher verursachten finanziellen Belastungen kennzeichnen unsere Lage.
— Ich freue mich über einen gelegentlichen Zwischenruf. An dieser Stelle darf ich vielleicht bemerken, daß ich es als höchst ungewöhnlich empfinde, daß zu dieser Zeit, um 11 Uhr, eine Pressekonferenz stattfindet, zu der hier wohl alle Sprecher gehen werden, wenn sie nicht schon gegangen sind. Ich halte das für eine grobe Unhöflichkeit gegenüber dem Parlament
und für eine grobe Unhöflichkeit gegenüber — —
— Ich darf hier einmal sagen: Der Herr bayerische Ministerpräsident hat mich hier gestern auf der Grundlage falscher Zahlen, wie wir ja dann gesehen haben, persönlich in einer Art und Weise qualifiziert, die ungehörig war. Ich erwarte weiterhin eine Entschuldigung von ihm.
Und ich empfinde es als eine weitere Ungehörigkeit, wenn zu dem Zeitpunkt, wo der Haushalt des Bundesministers der Finanzen behandelt wird, eine Pressekonferenz zu diesem Thema abgehalten wird. Wahrscheinlich wird Herr Strauß dort erklären, wie er Steuersenkungen mit Mehrausgaben und weniger Kreditaufnahme vereinbaren will. Außerdem verspricht er auch noch Dinge, die er gar nicht hat, und weiß nicht mal, wieviel er da versprochen hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Abgeordneter, bitte.
Ist es nicht so, daß die Regierung schon des öfteren während Plenarsitzungen zu derartigen Pressekonferenzen eingeladen hat, und ist es nicht so, daß mein Kollege Häfele Sie vorher informiert hat?
Herr Kollege Carstens, die vorherige Information, für die ich dankbar bin, kann doch in keiner Weise den schlechten Stil wiedergutmachen, der sich darin ausdrückt, daß jemand aus Bayern hier anreist, sich in einer solchen Art und Weise über den Haushalt und den zuständigen Minister äußert und dann, wenn der Bundesminister der Finanzen Gelegenheit hat, hier Stellung zu nehmen, nicht anwesend ist, sondern zu diesem Thema eine Pressekonferenz gibt.
Ich kann nun langsam die Gefühle von Herrn Kohl verstehen. Ich kann mich nur freuen, daß ich von Herrn Strauß völlig unabhängig bin und durch ihn in keiner Weise beeinflußt werde.
Insofern sehe ich das mit großer innerer Ruhe. — Ich bedanke mich für Ihre Anwesenheit, Herr Kollege Windelen.
Ich erinnere daran, daß wir im Regierungsentwurf 1979 noch eine Neuverschuldung von über 35 Milliarden DM angesetzt haben. Diese 35 Milliarden DM
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Bundesminister Matthöfer
haben wir ja nicht irgendwie gegriffen, sie sind nach sorgfältiger Diskussion auch mit der Bundesbank und in Anwesenheit von zwei Vertretern der Bundesbank eingesetzt worden. Ich erinnere daran, daß es uns gelungen ist, daß wir flexibel genug waren, im Laufe auch nur eines Jahres auf 24, 25 Milliarden DM zurückzugehen. Das heißt, unsere Feststellung, daß die Kreditaufnahme des Bundes eine Funktion unserer Vollbeschäftigungspolitik ist und nicht durch Haushaltszwänge verursacht ist, ist richtig. Wir haben uns nicht in die Lage bringen lassen und wir werden uns auch durch Sie nicht in die Lage bringen lassen, auch nur eine D-Mark mehr Kredit aufnehmen zu müssen, als zur Sicherung der Beschäftigung in unserem Lande unabweisbar erforderlich ist.
Unsere wirtschaftliche Lage ist die beste seit fünf Jahren. Die rege Investitionstätigkeit der Unternehmen und die kräftige Baunachfrage sind Hauptstützen der Konjunktur. Die Ausfuhr und die Aufträge aus dem Ausland wachsen weiter, auch wenn sich die Leistungsbilanz vor allem durch die Verteuerung der Ölimporte verschlechtert hat.
Herr Kollege Carstens, Sie machten eine Bemerkung über die Leistungsbilanz und verwiesen darauf, daß sie jetzt zum erstenmal seit 15 Jahren defizitär sei. Sie halten das offenbar für schädlich.
Ich darf Sie auf die Ausführungen des Herrn Präsidenten der Bundesbank in Ihrer Anwesenheit im Haushaltsausschuß verweisen. Der Präsident der Bundesbank hat mehrfach öffentlich geäußert — das hätte man nachlesen können —, daß er, genauso wie der Bundesfinanzminister, keinen Anlaß zur Besorgnis sehe, weil sowohl die Exporte als auch die Importe als Folge des Konjunkturaufschwungs bei uns und in anderen Ländern kräftig gestiegen sind. Es ist doch nicht richtig, daß die Ausfuhren zurückgegangen sind. Es ist doch nicht richtig, daß die Auftragseingänge trotz aufgewerteter D-Mark zurückgegangen wären.
Wir haben eine leistungsfähige Wirtschaftsstruktur mit geschaffen, die sich jetzt bewährt und die sich in Zukunft, auch in den 80er Jahren, bewähren wird. Die Hauptursache der defizitären Entwicklung, so sagte der Präsident der Bundesbank in Ihrer Anwesenheit, Herr Carstens, liegt in der Ölpreisentwicklung, die die Bundesrepublik allerdings nach aller Voraussicht besser wird verkraften können als andere Länder und auch die meisten ihrer Handelspartner.
Das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft, das wir damals in der Großen Koalition nach dem großen Zusammenbruch von 1966 gemacht haben, als Sie den Wahlsieger von 1965, Herrn Professor Erhard, Ihren Bundeskanzler, in die Wüste geschickt haben, weil er mit dem Finanzierungsdefizit im Haushalt nicht fertig werden konnte — —
— Wenn Sie mich fragen, wie groß das war, dann zeigt das, wie unsicher Sie mit Zahlen sind. Wir haben ja schon gestern festgestellt, daß Sie offenbar nicht in der Lage sind, Zahlen zu behandeln. Sie wollen doch wohl nicht bestreiten, daß Herr Professor Erhard, der Wahlsieger von 1965, kein Jahr später von Ihrer Fraktion gestürzt worden ist, weil er nicht in der Lage war, mit den Haushaltsproblemen fertig zu werden. So war das doch wohl.
Ich bestehe ja nur darauf, falls ein Historiker zuhören sollte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Ja, natürlich. Bitte schön.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß das damalige Finanzierungsdefizit insgesamt 6 Milliarden DM betragen hat und Sie seit Jahren nunmehr jährliche Finanzierungsdefizite zwischen 24 und 30 Milliarden DM aufzuweisen haben?
Übrigens betrug das Defizit in der mittelfristigen Finanzplanung damals etwa 40 Milliarden DM, mit denen Sie nicht fertig werden konnten. Ich will ja gar nicht über Zahlen streiten. Sagen Sie mir aber doch einmal, warum der große Wahlsieger von 1965 1966 abserviert worden ist. Warum haben Sie denn mit den Sozialdemokraten eine Koalition eingehen müssen? Weil Sie alleine nicht mehr weiter wußten, weil Sie mit Ihrem wirtschaftspolitischen Latein am Ende waren und weil Sie inzwischen — das hört man aus Ihren Reden — auch nichts hinzugelernt haben und deshalb auch noch weiter in der Opposition bleiben müssen.
Präsident Stücklen: Eine Zusatzfrage, bitte.
Lieber Herr Kollege Dollinger, ich würde an Ihrer Stelle nicht insistieren, diesen Zeitraum noch länger zu diskutieren, denn jetzt muß ich Sie natürlich auf das Verhalten des Bundesrates aufmerksam machen, auch auf das Verhalten der unionsgeführten Länder, die damals zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen Bundeshaushalt zurückgewiesen haben. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?
Ist eine weitere Zwischenfrage gestattet, Herr Minister? — Bitte, Herr. Abgeordneter Carstens .
Herr Minister Matthöfer, Sie sprachen eben von Rücktritt. Im Zusammenhang mit Ihrer Finanzpolitik, mit Ihren Schulden, die schon heute insgesamt über 200 Milliarden DM betragen, möchte ich Sie nach Ihrer Meinung fragen, was wohl der Grund von Schiller und von Alex Möller gewesen sein mag, als sie damals zurücktraten.
Bei Herrn Möller kann ich Sie auf seine ausgezeichnete Autobiographie verweisen. Er hat das ausführlich dargestellt. Er steht Ihnen ja auch zur Verfügung. Er ist auf unserem Parteitag in Berlin, wo er erklärt hat, er werde weiterhin bis an sein Lebensende für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands arbeiten,
mit großem Beifall verabschiedet worden.
Wir behandeln uns untereinander eben anständiger und fairer. Wenn der Herr Kohl gestern beim Bundeskanzler von Kaltschnäuzigkeit redete — es gibt natürlich Leute, die haben außer Wärme sonst nichts vorzuweisen —,
dann kann ich Ihnen sagen, das gibt es bei uns in der Regierung nicht. Dieses Kabinett ist intrigen- und rankünefrei, sonst würden Sie ja darüber gehört haben.
— Dieser Finanzminister hat damals bestimmte Dinge, die er durchzusetzen versuchte, wohl nicht erreicht und ist zurückgetreten. Das finde ich anständig. Ich sehe darin überhaupt nichts — übrigens wir alle nicht —, was nicht ehrenhaft oder was nicht ordentlich wäre. Herr Möller hat in der SPD voll weiter mitgearbeitet. Wir finden das alles in Ordnung, wie er sich verhalten hat.
Daß der Herr Schiller an jenem Tag gefehlt hat, als die Abstimmung über das Vorziehen der Rentenzahlung um ein halbes Jahr war, hat das Baby-Jahr kaputtgemacht. Wollen wir doch einmal darüber reden, wer denn daran schuld war, daß die Frauen in ihrer Rente heute kein Baby-Jahr angerechnet bekommen.
Damals ist auch von dieser Stelle aus verkündet worden, daß Ihre Entscheidung, die Rentenzahlung ein halbes Jahr vorzuziehen, alternativ zur Einführung eines Baby-Jahrs war. Sie haben das damals mit
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Bundesminister Matthöfer
der Hilfe von Herrn Schiller kaputtgemacht. Das ist richtig.
Eine Zwischenfrage.
Herr Minister, es wäre ja interessant, jetzt zu fragen, weswegen Sie bis heute das Baby-Jahr nicht eingeführt haben; Sie hatten ja die Mehrheit.
Weil Sie das Geld auf andere Weise — —
Aber das wollte ich gar nicht fragen. Ich will die persönliche Integrität der Herren Schiller und Möller gar nicht anzweifeln, aber war es nicht so, daß sie die Verantwortung für die Schuldenpolitik nicht übernehmen wollten?
Nein, so war es natürlich nicht, denn beide Herren sind — im Gegensatz zu einigen von Ihnen — ausgezeichnete Ökonomen und wissen sehr wohl die Bedeutung öffentlicher Kreditaufnahme im volkswirtschaftlichen Kreislauf zu schätzen.
Ich sagte, die rege Investitionstätigkeit der Unternehmen und die kräftige Baunachfrage sind Hauptstützen der Konjunktur. Der private Verbrauch hat infolge der Ölpreiserhöhung nicht ganz so stark zugenommen, gleichwohl wirkt er immer noch konjunkturstützend. Die Kapazitätsauslastung ist gut; im verarbeitenden Gewerbe hat sie fast den Höchststand von 1969, 94 %, erreicht.
Herr Kollege Carstens, wenn Sie einen Moment zuhören würden, wäre ich Ihnen dankbar, weil ich Ihnen gerade erklären will, wo ich eine Grenze der öffentlichen Kreditaufnahme sehe, nämlich beim Erreichen der Kapazitätsauslastung. Herr Kollege Carstens, Sie müssen sich Mühe geben, das noch einmal nachzulesen und zu verstehen. Es ist wirklich ein Unterschied zwischen öffentlicher Kreditaufnahme bei Unterauslastung der Kapazitäten — sowohl der Arbeitskapazitäten als auch der Kapazitäten von Maschinen und Anlagen in den Fabriken — und der Kreditaufnahme an dem Punkt, an dem man Vollbeschäftigung erreicht. Vom Punkt des Erreichens der Vollbeschäftigung an darf die öffentliche Hand in der Tat nicht mehr Kredite aufnehmen, weil das nicht mehr zu einem höheren Sozialprodukt beitrüge, weil niemand zusätzlich beschäftigt würde,, sondern nur die Preise steigen würden.
Wir befinden uns im Moment in einer ungemein schwierigen Situation, weil wir uns der Vollbeschäftigung sowohl auf dem Gebiet der Kapazitätsausnutzung als auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit nähern, und nun muß man mit der Kreditaufnahme wirklich zurückgehen. Das tun wir ja auch mit den 10 Milliarden. Mit weiterer Beschleunigung des
Wirtschaftswachistums werde ich versuchen, weiter zurückzugehen. Das wird uns auch gelingen.
Dies müssen Sie wirklich verstehen, weil Sie sonst nicht in der Lage sind, die Bedeutung der öffentlichen Kreditaufnahme richtig zu würdigen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Bundesminister, würde aber nicht diese Argumentation, die Sie eben gebracht haben, nur dann gelten, wenn es sich um investive Ausgaben des Bundes handelte, während Sie in Wirklichkeit Schulden aufnehmen, um die laufenden Ausgaben zu decken und die Haushaltslöcher zu stopfen?
Nein, Herr Kollege, Sie sehen das nicht richtig. Es kommt im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß natürlich darauf an, zu investieren. Deshalb liegt uns daran, daß die Gewinne ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten, weil sie der Anreiz für Investitionen sind. Der Bund muß auch eine öffentliche Infrastruktur in vernünftiger Weise zur Verfügung .stellen, er muß eine Größen-Strukturpolitik betreiben, er muß eine Reihe von Dingen tun, die ich Ihnen gleich noch schildern werde. Es muß in der Tat investiert werden.
Wer aber glaubt, der Schlüssel zu einem stetigen Wachstum und zur Vollbeschäftigung läge nur bei den Investitionen, der unterliegt einem schwerwiegenden Irrtum. Denn es würde ja niemand investieren, wenn die von ihm zur Verfügung gestellten Güter und Dienstleistungen keine Abnehmer fänden.
Das heißt, man muß sowohl investieren als auch die Massenkaufkraft erhöhen.
Das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander sinnvoll festzulegen, es — insbesondere unter den schwierigen Umständen der Bundesrepublik Deutschland, eines Bundesstaates — zu steuern, das ist das Kunststück, das der Wirtschaftsminister und der Finanzminister und die Bundesbank und die anderen, die sich daran beteiligen, zur Zeit gemeinsam fertigzubringen versuchen. Aber eine einseitige Betonung der Investitionen kann nur in eine Überinvestitionskrise mit mangelnder Massenkaufkraft führen.
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Bundesminister Matthöfer
Das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft verpflichtet uns zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht. Deshalb, Herr Kollege Carstens, ist es überhaupt nicht schlimm, wenn wir nach 15 Jahren auch einmal ein Defizit in der Leistungsbilanz haben, solange unsere Ausfuhren nicht zurückgehen und solange wir eine leistungsfähige Wirtschaft haben, die sich mit den anderen sehr wohl messen kann. Die Auftragsbestände sind beachtlich hoch, und sie reichen bis weit in das nächste Jahr.
Erfreulich sind die Auswirkungen der Wirtschaftsbelebung auch auf dem Arbeitsmarkt. Im November ging die Arbeitslosenzahl gegenüber dem Vorjahr um 130 000 zurück. Das ist das beste Ergebnis seit 1973, worüber ich mich ganz besonders freue. Noch deutlicher drückt sich diese Verbesserung am Arbeitsmarkt in der Zunahme der Beschäftigung aus. Im Jahresdurchschnitt dürfte die Zahl der Beschäftigten um rund 400 000 über dem Vorjahresstand liegen. Wir nähern uns also der Vollbeschäftigung. Es war richtig, trotz rückläufiger Steuereinnahmen die Ausgaben aufrechtzuerhalten, darüber hinaus durch Steuersenkungen und zusätzliche Ausgaben die Nachfrage zu stützen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Entscheidungen zu verbessern.
Mit der Stärkung der Nachfrage und der Überwindung von Wachstumshemmnissen haben wir den Wirtschaftskreislauf in Gang gehalten. Steuerentlastungen, öffentliche Zukunftsinvestitionen, Hilfen zur Modernisierung der Wirtschaftsstruktur, gezielte Hilfen zum Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Förderung von Forschung und Entwicklung haben entscheidend zum Aufschwung mit beigetragen. Ohne eine öffentliche Kreditaufnahme hätten wir heute wahrscheinlich eine große Arbeitslosigkeit, und der soziale Friede wäre in diesem Lande nicht so gewährleistet, wie er jetzt gewährleistet ist.
Es ist Recht und Pflicht des Staates, es ist Recht und Pflicht derjenigen, die geschworen haben, Schaden vom deutschen Volke zu wenden und seinen Nutzen zu mehren, mit allen verfügbaren Wirtschafts- und finanzpolitischen Mitteln für Vollbeschäftigung, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sorgen. Das wäre ohne öffentliche Kreditaufnahme nicht zu erfüllen gewesen.
In unserer Bundesrepublik ist es noch eher als in anderen Ländern unerträglich, daß es Arbeitslosigkeit geben soll. Arbeitslosigkeit ist nicht nur jeweils eine individuelle Tragödie, weil sie auch verlorene Lebenszeit ist, die nicht wieder nachgeholt werden kann,
sie ist auch ein volkswirtschaftlicher Unsinn, den man in einem Land nicht zulassen sollte, das außer der teuren Kohle nichts anderes als die Hände und Köpfe seiner arbeitenden Menschen hat. Deshalb muß Arbeitslosigkeit bei uns verhindert werden,
und es muß auch mit Hilfe des Staates für Vollbeschäftigung gesorgt werden.
Herr Kollege Carstens, ich komme nun zu Ihren düsteren Warnungen, was nach der Wahl passieren wird. Wir haben diesen Computer, und ich könnte z. B. die Vorhersagen von Herrn Strauß seit 1969 abfragen. Wenn ich das hier vortragen würde, würden Sie Ihr blaues Wunder erleben, wie wir z. B. die Währung zerrütten würden.
Was ist geschehen? Die D-Mark ist ein so solides, stabiles Zahlungsmittel, und sie ist in der Welt so begehrt, daß wir die allergrößte Mühe haben zu verhindern, daß sie in noch stärkerem Maß als Reservewährung von den ausländischen Zentralbanken benutzt wird.
Das ist die Zerrüttung der Währung, die wir Sozialliberale zu verantworten haben. Nach den Vorhersagen sollte durch die Aufwertung der D-Mark und die Gefährdung der deutschen Ausfuhr die Arbeitslosigkeit steigen. Das ist eine falsche Diagnose gewesen, Herr Kollege Carstens. Es lohnt sich — nicht nur für mich, sondern für Sie —, einmal nachzulesen, was Sie falsch vorhergesagt haben, damit Sie sehen, wo Sie Ihre Einstellung ändern müssen und was Sie noch lernen müssen, damit Sie das in Zukunft richtig vorhersehen können. Wenn ich schon den Anspruch erhebe, das deutsche Volk und die Regierungsgeschäfte zu führen, dann muß ich versuchen, aus Fehlern zu lernen, und Ihre Vorhersagen waren falsch.
— Wir haben nicht eine Million, sondern 880 000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt. Das ist unerwünscht; das gebe ich Ihnen zu.
Ich frage Sie, verehrter Herr Kollege Carstens, wie viele Arbeitslose wir hätten, wenn der Bund in diesem Jahr kein Defizit von 25 Milliarden DM machen würde. Das läßt sich nämlich ausrechnen, verehrter Herr Kollege,
und zwar mit den multiplikativen Wirkungen des Nachfrageausfalls, der dann entstehen würde.
Wenn Sie mich fragen, Herr Kollege Carstens, was wir mit den Milliarden getan haben: Wir haben ein hervorragendes öffentliches Straßennetz gebaut. Wir haben der Bundesbahn bei einem Defizit von 25 Mrd. DM — sie beansprucht mehr als die Hälfte des Defizits — einen Zuschuß in Höhe von 14 Mrd.
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DM gewährt. Ich halte es für richtig, daß wir der Bundesbahn unter die Arme greifen.
Warum? Damit wir für uns und unsere Kinder in Zeiten, in denen das 01 noch knapper und teurer geworden sein wird, ein vernünftiges, leistungsfähiges, umweltfreundliches und zuverlässiges Verkehrsmittel haben, das wir dann einsetzen können.
Wir haben für uns und unsere Partner in Europa einen leistungsfähigen Steinkohlenbergbau erhalten. Sehen Sie sich doch an, was wir in den Steinkohlenbergbau stecken! Ich halte es für richtig, daß wir das tun, weil wir diese einzige nationale Energiequelle für uns und unsere Kinder erhalten müssen,
und daß wir in Zeiten, als die Ölgesellschaften noch Kampfpreise genommen haben, es nicht zugelassen haben, daß hier etwa unsere Elektrizitätserzeugung auf 01 umgestellt wird. Die ganze Diskussion „Kernenergie müßte man haben, damit Elektrizität nicht ausfällt" ist doch so nicht richtig. 8 % unserer Elektrizität werden noch mit 01 erzeugt. Wir Sozialdemo- kraten und wir Liberalen haben uns doch niemals darauf verlassen, daß das 01 so billig bleiben würde. Wir haben, nachdem wir 1966 mit in die Regierung gegangen waren — Sie können das ja nachlesen —, erst einmal den Ruhrbergbau in Ordnung gebracht. Es war ja ein einziges Tohuwabohu, was Sie sich da an Energiepolitik geleistet hatten. Jetzt haben wir den Bergbau als zukünftige Energiequelle für uns und unsere Kinder gesichert. Dafür haben wir unsere Milliarden aufgewandt, verehrter Herr Kollege.
Der Wert unserer Erdölbevorratung, der unsere Wirtschaft vor gefährlichen Versorgungsschwankungen schützt, ist in diesem Jahr enorm gewachsen. Das, was wir da hineingesteckt haben, hat seinen Wert so ungeheuer erhöht, daß die 8 % Zinsen, die ich für langfristige Anleihen zahlen muß, das beste Geschäft sind, das je ein Bundesfinanzminister für den Bund gemacht hat.
Auf Ihre Frage, was wir mit den Milliarden gemacht haben, kann ich Ihnen also antworten: Die haben wir vorzüglich investiert.
Das, was wir in die Bundesunternehmen hineingesteckt haben, das, was wir zur Finanzierung der nationalen Kohlereserve beigetragen haben, ist eine vorzügliche Investition. Alle Bundeskonzerne machen in diesem Jahre Gewinn. Das sind keine Fußkranken mehr; die sind ordentlich geführt.
— Ja, da fragen Sie einmal diejenigen, von denen wir das übernommen haben, Herr Kollege. Wir laufen doch nicht herum und suchen Unternehmen, sondern wir retten doch nur Arbeitsplätze, wo sie durch private Arbeitgeber nicht mehr gerettet werden können — so ist das doch gewesen —
oder wo Unternehmen nach Amerika verkauft werden sollen und es nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt, daß dies geschieht.
— Lachen Sie doch nicht! Es ist doch ein ernstes Thema, daß wir hier zukunftssichere Arbeitsplätze für Zehntausende von Arbeitnehmern schaffen; das ist doch nicht zum Lachen.
Zehntausende von Wissenschaftlern, Technikern und Facharbeitern arbeiten in den zu 90 % vom Bund finanzierten Großforschungseinrichtungen, arbeiten dort an der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik und an der Lösung von Zukunftsproblemen.
Wir haben auch eine hervorragende, leistungsfähige Bundeswehr, die einen entscheidenden Beitrag im westlichen Verteidigungsbündnis leistet. Wir haben eine soziale Sicherung, die international ihresgleichen sucht, die den einzelnen bei Krankheit, im Alter und in der Arbeitslosigkeit wirksam schützt und auf die jeder vertrauen kann.
Herr Kollege Carstens, Sie haben mich gefragt: Was haben Sie mit dem Geld gemacht? Wir haben mitgeholfen, ein leistungsfähiges Bildungssystem herbeizuführen. Sehen Sie sich einmal an, wie viele Milliarden wir in Zukunftsinvestitionen, in das Hochschulbauprogramm hineingesteckt haben! In unserem an Rohstoffen und heimischen Energiequellen armen Land hängt unsere Leistungsfähigkeit von der Leistungsfähigkeit und den Qualifikationen der arbeitenden Menschen dieses Landes ab. Wenn wir wirtschaftlich an der Spitze bleiben wollen, wenn wir auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Leistung die Zukunftschancen der Heranwachsenden und die Sicherung derjenigen, die dann in die Rente gehen, weiter verbessern wollen, dann müssen wir sehen, daß wir das Qualifikationsniveau unserer Jugendlichen erhöhen. Und es hat einen bisher noch nie gekannten Höchststand erreicht: Doppelt so viele Schüler wie 1965 erreichen einen mittleren Abschluß, fast viermal so viele eine Hochschule oder Hochschulreife. Der Anteil der Hauptschüler ohne Abschluß ist um ein Drittel zurückgegangen. Die Öffnung der Bildungschancen für die bisher benachteiligten breiten Bevölkerungsschichten ist weitgehend durchgesetzt worden. Für einen Zwanzigjährigen aus einer Arbeiterfamilie ist heute die Chance, an einer Hochschule studieren zu können, sechsmal größer als für einen Zwanzigjährigen in gleicher Lage vor zehn Jahren. Sechsmal größer!
— Ich verstehe Sie nicht. Es tut mir leid. Herr Kollege, ich muß Sie bitten, ans Mikrophon zu treten. Ich kann Ihre Zwischenrufe, besonders da mehrere gleichzeitig gemacht werden, leider nicht verstehen. Sonst würde ich sehr gern darauf eingehen.
Bildung ist eine Zukunftsinvestition. Ich verweise auf das, was der Herr Kollege Rohde gestern abend hier vorgetragen hat. Staatliche Gelder, ob vom Sparer oder vom Steuerzahler zur Verfügung gestellt, sind von uns also gut angelegt worden. Wir investieren solide in Gegenwart und Zukunft, um die Lebenschancen des einzelnen und der Gemeinschaft und der zukünftigen Generationen zu sichern und zu entfalten.
Es gibt selbstverständlich schwerwiegende Probleme, die der Bund durch diese finanzielle Belastung zur Sicherung der Beschäftigung hat. Denn da haben wir einen immer größeren Anteil tragen müssen. Es ist leider so, verehrte Kollegen von der CDU/ CSU, daß die Länder ihrer gesamtwirtschaftlichen Verpflichtung nicht im gleichen Maß wie der Bund nachkommen. Vielleicht ginge es uns wirtschaftlich schon wesentlich besser, wenn sie das täten.
Deutlich hat sich seit Mitte der 70er Jahre die Dynamik der staatlichen Ausgaben, die zuvor bei den Ländern lag, auf den Bund verlagert.
Gleichzeitig ging der Anteil des Bundes an den gesamten Steuereinnahmen zurück: von rund 54% im Jahr 1970 auf 48 ½ % im Jahr 1978. Wenn Sie über eine zu hohe Steuerquote klagen, verehrte Herren Kollegen von der CDU/CSU,
dann wenden Sie sich doch mal an die von Ihnen geführten Länder, die die Mehrheit im Bundesrat darstellen. Sie werden sehen, daß der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen in den letzten zehn Jahren um nicht weniger als 51/2 Punkte zurückgegangen ist. Da dieser Entwicklung nicht durch eine Änderung der Steuerverteilung Rechnung getragen wurde, muß der Bund schon seit Jahren aus seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für die Sicherung der Beschäftigung heraus einen etwa doppelt so hohen Anteil seiner Ausgaben mit Krediten finanzieren wie die Länder und Gemeinden. Auch 1980 wird der Anteil der kreditfinanzierten Ausgaben des Bundes rund 11 % gegenüber nur 5 % bei Ländern und Gemeinden betragen. Das heißt, der Bund trägt eine überproportional hohe Last bei der Stützung der Konjunktur aus der ihm nach der Verfassung zukommenden Verantwortung für die Gesamtwirtschaft.
Natürlich ist es nicht die Politik des Bundes, den Haushalt mit Krediten in beliebiger Höhe zu finanzieren. Die Kreditaufnahme richtet sich einerseits nach dem, was man solide an langfristigen Investitionen teilweise mit Krediten finanziert — was ja ganz und gar unumstritten ist —, andererseits nach den konjunkturellen Notwendigkeiten, d. h. nach den Notwendigkeiten der Sicherung der Beschäftigung. Wir haben uns in der Vergangenheit daran gehalten und wir werden es auch in Zukunft tun, daß wir keine Kredite aufnehmen, die für die Sicherung der Beschäftigung in unserem Land nicht notwendig sind. Arbeitslosigkeit in der jetzigen Zeit nützt kommenden Generationen überhaupt nichts. Die Wertschöpfung, die jetzt nicht geschaffen wird — durch die Leute, die arbeitslos wären, wenn wir uns nicht so verhielten —, steht kommenden Generationen nicht zur Verfügung.
Für 1980 können wir aus heutiger Sicht gegenüber dem Regierungsentwurf mit Steuermehreinnahmen von 3 Mrd. DM rechnen. Es ist gelungen — wofür ich mich bedanke —, durch eine Reihe von Einsparungen und Korrekturen bei den Ausgabeansätzen Mehrausgaben von über 1 Mrd. DM aufzufangen und darüber hinaus den Umfang des Haushalts insgesamt um 800 Millionen DM zu vermindern.
Im Energiebereich sind rund 260 Millionen DM für den Heizölkostenzuschuß und rund 250 Millionen DM zur Sicherung des Kokskohle-Absatzes zusätzlich eingeplant worden.
Wenn Sie z. B. etwas gegen solche zusätzlichen Ausgaben haben, dann bitte ich Sie, das doch einmal zu sagen. Ich bitte Sie einmal, zu sagen, ob Sie etwas dagegen haben, daß wir den Bergbau auch im nächsten Jahr unterstützen. Herr Kollege Windelen, wir werden ja unter Umständen dann noch einmal auf den Haushaltsausschuß zukommen müssen. Auch im nächsten Jahr könnten sich unter Umständen Entwicklungen vollziehen, die uns zwingen, kurzfristig zu reagieren, um dem deutschen Steinkohlenbergbau zu helfen. Wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie das . bitte, damit die Leute in Nordrhein-Westfalen wissen, wer ihre Interessen im Bund vertritt und wer nicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, könnten Sie mir bestätigen, daß das, was Sie vermuten, schon das Verhalten der Opposition ist? Die Opposition hat nämlich im Haushaltsausschuß 400 Millionen DM, die für die Kohle vorgesehen waren, nicht zugestimmt.
Ich finde das alles ganz unerhört, Herr Kollege Westphal. Wir werden das an gebührender Stelle zu rügen wissen.
15200 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Bundesminister Matthöfer
Die Mittel im Verteidigungshaushalt sind um 120 Millionen DM erhöht worden. Herr Kollege Carstens, wenn Sie hier sagen, die Regierung komme ihren internationalen Verpflichtungen nicht nach, dann darf ich das doch wohl so interpretieren, daß Sie der Meinung sind, wir sollten mehr für Verteidigung ausgeben. Ist das richtig, Herr Kollege? Meinen Sie, wir sollten mehr für Verteidigung ausgeben? — Sie versuchen, hier ein Pokergesicht zu machen.
— Sie können doch die Regierung nicht rügen, und dann, wenn ich mein Verhalten bessern will und versuche, herauszufinden, was Sie für so rügenswert halten, sitzen Sie da und machen so ein Pokergesicht. Nun sagen Sie einmal bitte: Wollen Sie eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben — ja oder nein? Sie sind nämlich für die Erhöhung der Ausgaben, für die Senkung der Steuern, für weniger Kreditaufnahme und für den Abbau der Subventionen. Nur, wenn es konkret wird, dann hört man von Ihnen keinen Ton.
— Ich bin nicht gegen die Familien, wie Sie genau wissen.
— Wir werden gleich noch darüber zu sprechen haben.
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Carstens, daß Sie mich darauf aufmerksam machen, daß Sie noch mehr Geld, nämlich 3 Milliarden DM, ausgeben wollen.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, wollen Sie nicht nur die Verteidigungsausgaben erhöhen, sondern auch noch zusätzliche Ausgaben für die Familie machen. — Ich werde Ihnen gleich noch etwas zu Ihren Deckungsvorschlägen sagen.
Wir haben die Entwicklungshilfe um rund 100 Millionen DM aufgestockt. Auch diese Aufstockung der Entwicklungshilfe, Herr Kollege Carstens, konnte ja wohl nicht gemeint sein, als Sie den Bund rügten, er komme seinen internationalen Verpflichtungen nicht nach.
Wir haben die Leistungen für Berlin um 75 Millionen DM erhöht. Auch damit sind Sie doch wohl einverstanden, oder nicht?
— Darüber, Herr Kollege Carstens, ob unsere Leistungen für Berlin nicht auch einen Beitrag zur Erhaltung der Freiheit der westlichen Welt insgesamt darstellen,
unterhalten wir uns einmal an anderer Stelle. Berlin ist ein Symbol der westlichen Freiheit.
Das, was wir dort an Leistungen erbringen, tun wir für die gesamte westliche Welt. Insofern sind diese Ausgaben sehr wohl auch international zu sehen.
Ich darf einmal ungeachtet jeder Auseinandersetzung an dieser Stelle allen Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere auch dem Vorsitzenden, meinen herzlichen Dank für die Mühe aussprechen, die sie sich gemacht haben, und auch dafür, daß sie, nachdem wir den Haushalt rechtzeitig vorgelegt haben, ihn auch rechtzeitig ins Plenum gebracht haben, damit wir alle gemeinsam — zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik — einen Haushalt fristgemäß verabschieden. Das wird im nächsten Jahr wegen der Wahl vielleicht nicht so möglich sein, aber ich werde mir dann 1981 Mühe geben, Ihnen wieder rechtzeitig einen Haushalt vorzulegen, damit wir dann nicht aus dem Rhythmus kommen.
Wir sind im Haushalt für das Jahr 1980 in bezug auf den Abbau der Neuverschuldung ein ganz schönes Stück vorangekommen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie zwischendurch noch eine Zwischenfrage von Herrn Glos?
Frau Präsidentin, immer. — Bitte schön.
Herr Minister, da Sie schon so sehr loben, daß der Haushalt so schnell verabschiedet wird, würden Sie mir dann bitte bestätigen, daß es auch noch nie so viele Nachschiebelisten der Regierung gegeben hat wie in diesem Jahr, und daß ein Haushalt noch nie so schlecht vorbereitet in den Ausschuß gegangen ist wie dieser?
Herr Kollege, das kann ich leider nicht beurteilen, weil die Erfahrung des Haushaltsausschusses anders ist. Ich verweise Sie aber darauf: Je früher ein Haushalt vorgelegt wird, desto mehr erhöht sich angesichts der sehr schwierigen Zeitumstände natürlich die Notwendigkeit für die Regierung, ihn zu verändern. Wenn man einen Haushalt im September vorlegt und nicht, sagen wir mal, im Mai beschließt, dann muß natürlich weniger geändert werden. Das ist ganz klar. Das wird jeder einsehen, ganz unabhängig von der Couleur der Regierung; es ist einfach eine Notwendigkeit, auf die Zeitumstände zu reagieren.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15201
Bundesminister Matthöfer
Ich bedanke mich aber gleichwohl dafür, daß Sie diese zusätzliche Mühe nicht gescheut haben.
Wenn ich mich jetzt einmal mit den Einsparvorschlägen der Opposition auseinandersetzen darf, dann muß ich leider sagen, daß ich sie für reine Augenwischerei halte. Da ist zunächst der Vorschlag, die Verwaltungseinnahmen global um 400 Millionen DM zu erhöhen. Aber wie man das macht, wird uns nicht gesagt. Sie sagen: Also erhöht die Verwaltungseinnahmen um 400 Millionen DM, wir sind zwar für Steuersenkung und sind für eine geringere Belastung der Bürger, aber erhöht mal die Verwaltungseinnahmen um 400 Millionen DM; das ist unser Deckungsvorschlag.
Und dann soll man die globale Minderausgabe um 750 Millionen DM aufstocken. Ich darf Ihnen sagen, und zwar aus meiner Rolle als Bundesfinanzminister, daß mir eine hohe globale Minderausgabe natürlich immer sehr gelegen kommt, weil sie größere Manövrierfreiheit gibt. Aber ich sage Ihnen, je mehr das Parlament mit globalen Minderausgaben arbeitet, desto mehr entzieht es sich selbst der Aufgabe, Verantwortung für den Haushalt zu tragen;
denn es überläßt dem Bundesfinanzminister, wo er Ausgaben einspart und wo nicht. Je höher Sie die globale Minderausgabe machen, desto mehr entraten Sie Ihrer Verantwortung, zu bestimmen, was die Regierung zu tun hat. Dafür haben wir doch ursprünglich in unserer Geschichte Parlamente gemacht, damit sie das Ausgabeverhalten der Regierenden kontrollieren. Hier will die Opposition eine schon sowieso sehr hohe globale Minderausgabe noch einmal erhöhen und sagt dem Bundesfinanzminister: Wir Parlamentarier können nicht herausfinden, wo wir streichen sollen, mach das mal selber. Schönes Parlament, kann ich da nur sagen. Aber wir werden ja Ihren Vorschlag — das werde ich als Abgeordneter mitmachen — ablehnen.
Wir werden ihn ablehnen; denn wenn wir Abgeordneten — ich spreche mal als Abgeordneter, wenn ich das darf — dem zustimmten, würden wir der Verantwortung des Parlaments noch weniger gerecht als sowieso schon.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens ?
Herr Minister, können Sie mir sagen, wo wir denn überhaupt einen Antrag auf Erhöhung der globalen Minderausgabe gestellt haben?
Ja. Der liegt doch vor. Lesen Sie doch Ihre eigenen Anträge, z. B. den beim Bundesminister für Forschung und Technologie.
Das sind doch nur 40 Millionen DM. Sie sprechen doch die gesamte globale Minderausgabe an.
Sie meinen doch, Herr Minister, wenn ich Sie richtig verstehe — —
Verzeihen Sie, Herr Kollege, keine Zwiegespräche. Hier werden Fragen gestellt und beantwortet. Ich bitte, sich daran zu halten.
Warten wir ab,
dann spreche ich zu dem Punkt an der Stelle, wo Sie ihn vorlegen werden, o. k.?
Dann bitte ich aber, sich nicht aufzuregen, wenn der Bundesfinanzminister bei jedem Antrag auf Erhöhung der globalen Minderaufgabe laufend ans Mikrophon tritt. In Ordnung? —
— Aha: „Sie machen das kaputt"!
Also ich stelle fest, Sie haben Ihre Ankündigung, mit echten Kürzungsvorschlägen in den Haushaltsberatungen etwas zu einer sparsameren Haushaltsführung beizutragen, nicht erfüllen können. Wir sehen deshalb — —
— Doch, ich lese die Protokolle. Ich sitze ja auch jetzt hier wie gestern. Sie können nicht wissen, daß ich hier immer sitze, weil Sie gestern nicht immer da waren; aber ich lese selbstverständlich die Protokolle.
Meine Damen und Herren, wäre es vielleicht möglich, daß der Herr Minister erst einmal zusammenhängend etwas darlegt und Sie sich dann zu Wort melden.
Ich finde es sehr erstaunlich, daß die Herren Zwischenrufer jetzt auch noch klatschen,
erst falsche Zwischenrufe machen, dann eine Antwort bekommmen und anschließend klatschen, wenn man sagt, der Redefluß wird unterbrochen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gestatten würden, hier meine Gedankengänge in aller Ruhe zu entwickeln.
Wir haben jetzt mit zunehmender Kapazitätsauslastung, mit zunehmender Preissteigerung bei den
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Bundesminister Matthöfer
Importen in der Tat zunehmendes Gewicht auch auf die Inflationsbekämpfung zu legen. In den ersten zehn Monaten lagen die Verbraucherpreise um 4,1 % über dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Ohne die Verteuerung von außen ware die Preisentwicklung für eine Konjunkturphase, wie wir sie jetzt haben, verhältnismäßig normal.
Ich möchte dem Abgeordneten Grobecker zustimmen, daß es in diesen Wochen insbesondere darauf ankommt, Preisdisziplin zu halten, damit nicht für die Lohnforderungen im nächsten Jahr ein berechtigter Grund geschaffen wird, wieder umzuverteilen zugunsten der Arbeitnehmer. Wenn die Unternehmen jetzt nicht Preisdisziplin halten — das gilt für die Bundesunternehmen ebenso wie für die privaten Unternehmen —, dann werden die Gewerkschaften das in der Lohn- und Gehaltskampagne im Frühjahr nächsten Jahres mit Recht anführen können.
Entscheidend wird es sein, inländische Preisauftriebskräfte, die sich über das Überwälzen der Ölpreise hinaus bemerkbar machen, wirklich unter Kontrolle zu halten. Wir müssen klarmachen, daß es nicht möglich ist, entweder vom Bundesfinanzminister oder aus den Gewinnspannen der Unternehmer, das herauszuholen, was aus dem deutschen Einkommenskreislauf verschwunden ist, weil wir 12 oder 14 Milliarden DM mehr für dieselbe Menge Öl an die OPEC-Staaten oder an die multinationalen Ölkonzern zahlen. Das ist aus dem Einkommenskreislauf verschwunden und kann nicht von woanders hergeholt werden, weil sich sonst entweder die Preise entsprechend erhöhten oder sich der Bundesfinanzminister nach anderen Einnahmequellen umsehen müßte.
Dies wird auch weitgehend begriffen. Aber es muß auch begriffen werden, daß die ölpreisbedingten Steigerungen nicht als Vorwand zur Steigerung von Preisen über die Kostensteigerung hinaus benutzt werden dürfen. Dies wird entscheidend sein.
Die private Investitionstätigkeit dürfte auch 1980 weiterhin die Hauptantriebskraft der Wirtschaft bleiben. Eine weiterhin positive Beschäftigungs- und Einkommensentwicklung wird sich auch nachfragestützend auswirken. Wir müssen die hierin liegende Chance zum Abbau der Neuverschuldung nutzen, um für die Möglichkeiten eines von außen kommenden Rückschlags die finanzpolitischen Handlungsmöglichkeiten des Staates zu erhalten und zu erweitern.
Die Bürger dieses Landes und insbesondere die Arbeitnehmer brauchen angesichts der weltwirtschaftlichen Ungewißheiten, die wir ja alle sehen können, einen starken, finanziell soliden und handlungsfähigen Staat. Das ist der Grund, warum wir uns auf Ihre Steuersenkungsvorschläge für das Jahr 1980 nicht einlassen konnten.
Auf der anderen Seite stehen wir selbstverständlich vor dem Problem, die in unserem Steuersystem begründeten ungewollten Steuerbelastungsverschiebungen bei der Lohn- und Einkommensteuer zu korrigieren, soweit das gesamtwirtschaftlich zu vertreten ist.
Der Herr bayerische Ministerpräsident hat hier gestern im Ton der Entrüstung darauf hingewiesen, daß das gesamte Lohnsteueraufkommen im nächsten Jahr um mehr als 12 % steige. Darüber kann ich mich nur sehr verwundert zeigen, denn in den Zeiten, als er Bundesfinanzminister war, sah das ja einigermaßen traurig aus. Ich will Ihnen das einmal vorlesen. Wir hatten 1967 — die Weichen wurden 1966 gestellt; das hatte er nicht zu verantworten — eine Steigerung von 2,6 %. Aber 1968, als er einen Haushalt vorlegte
— in der Großen Koalition — und die Steuern erhöhte, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 12,9 %.
Im Jahre 1969, nachdem Herr Strauß zwei Jahre Gelegenheit hatte, sich zu betätigen, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 22,5 %. 1970, nach drei Jahren des Finanzministers Strauß, stieg das gesamte Lohnsteueraufkommen um 29,7 %, um fast 30 %.
— Das will ich Ihnen gern sagen: 1978 um 1,4 % und 1979 um 3,8 %.
In diesen 3,8 % sind auch noch die Auswirkungen der zunehmenden Beschäftigung — wir haben ja 400 000 neue Beschäftigte — und der zusätzlichen Überstunden und Sonderschichten, die gefahren werden, enthalten.
Das steckt alles in den 3,8 %. Abgezogen sind auch nicht, wie damals noch, die Auswirkungen des Kindergeldes. Fairerweise müßten Sie hiervon ja auch noch einmal das abziehen, was die Arbeitnehmer an Kindergeld bekommen, ja vielleicht sogar auch noch das Geld für den Mutterschaftsurlaub, weil das eine zusätzliche Leistung ist.
In diesem Zusammenhang darf ich, Herr Kollege Carstens, ein Wort zu Ihrer Bemerkung sagen, die nicht arbeitenden Mütter in der Bundesrepublik würden vom Staat bestraft. Ich finde, es ist unerhört, wie Sie die tatsächliche Situation der arbeitenden Frauen behandeln.
Haben Sie noch nie etwas von Familiensplitting gehört? Wer zahlt denn die Steuern? Die arbeitenden Frauen vielleicht nicht? Wer zahlt denn die 17,5 Milliarden DM Kindergeld mit?
— Wenn Sie sagen, die nicht arbeitende Frau werde in der Bundesrepublik bestraft, dann haben Sie un-
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Bundesminister Matthöfer
recht, weil die arbeitende Frau, wenn sie Mutter wird, die gesamte Steuerlast voll mitträgt, voll ihre Steuern zahlt. Deshalb kann sie ruhig, wenn sie ein Kind bekommt, eine gewisse Sonderleistung erhalten.
— Setzen Sie sich bitte. Ich habe Ihren Zwischenruf gehört. Ich habe überhaupt nichts gegen das Familiengeld. Ich wende mich jetzt ganz isoliert gegen Ihre unvertretbare und für uns auch unzumutbare Behauptung, bei uns würden die nicht arbeitenden Mütter vom Staat bestraft. Es ist unzulässig, so etwas zu sagen.
Ich habe 19 Jahre lang der Industriegewerkschaft Metall treu gedient, was dazu geführt hat, daß ich immer noch mit meinen gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen diskutiere. Unterhalten Sie sich doch einmal mit den arbeitenden Frauen, deren Männer auch arbeiten und die eben keinen Vorteil vom Familiensplitting haben, weil sie beide voll zahlen.
— Die nicht arbeitenden Frauen zahlen aber keine Steuern, Herr Kollege Jenninger. Insofern ist es nicht richtig zu sagen, sie würden bestraft. Ich habe ja gar nichts gegen Ihr Familiengeld, wenn Sie eine solide Finanzierung vorweisen. Wir werden uns darüber ja, sobald das finanzierbar ist, unterhalten können. Ich wehre mich nur dagegen, daß man sagt, die nicht arbeitenden Mütter würden bei uns vom Staat bestraft.
Das ist nicht richtig, weil die arbeitenden Frauen ihre volle Steuerlast tragen und mithelfen, das Kindergeld und alles andere zu finanzieren. Das will ich sagen und nichts anderes.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens?
Bitte schön.
Herr Minister, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß ich es eben für die CDU/CSU-Fraktion begrüßt habe, daß die berufstätigen Mütter das Mutterschaftsgeld bekommen, wir uns aber dagegen verwahren, daß es zu einer Ungleichbehandlung kommt?
Herr Kollege Carstens, ich habe mir nun wirklich Mühe gegeben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Gedankengang einmal nachlesen und sich in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen würden, daß es sich hier nicht um eine Bevorzugung oder Benachteiligung von irgend jemandem handelt, weil wir ungleiche Tatbestände haben. Die arbeitende Frau zahlt voll ihre Steuerlast, während die nicht arbeitende Frau durch das Familiensplittung einen gewissen Vorteil hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, wenn Sie jetzt so stark auf das Ehegattensplitting abstellen — ich nehme an, Sie meinen das Ehegattensplitting; denn ein Familiensplitting haben wir ja nicht —, würden Sie dann Stimmen zurückweisen, die sich da und dort im vorpolitischen Raum hören lassen und für die Einschränkung des Ehegattensplittings plädieren?
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen. Ich habe es schon immer stark vermutet — an Hand einiger Beispiele war ich mir dessen sogar gewiß —, aber seitdem ich Bundesfinanzminister bin und mich mit der Materie jetzt gewissermaßen berufsmäßig beschäftige, ist es mir völlig klar: Ich halte Teile unseres Steuersystems in der Tat für höchst ungerecht. Ich werde Ihnen Vorschläge unterbreiten, wie man das ein bißchen vernünftiger und rationaler machen und wie man dabei gleichwohl die Bedürfnisse der einzelnen Gesellschaftsgruppen noch ein bißchen besser befriedigen kann.
— Das ist doch Ihr Problem, weil Sie das Steuersystem immer nur punktuell ändern wollen — mal da, mal hier —; aber eine große Konzeption
bekommt man von Ihnen nicht. Wir werden ja morgen in der Presse lesen, was der Herr bayerische Ministerpräsident in diesem Parlament nicht die Liebenswürdigkeit hatte vorzutragen, nämlich welche Steuervorschläge er jetzt auf der Pressekonferenz vorträgt.
Die werden wir dann im einzelnen diskutieren.
Die sozialliberale Koalition jedenfalls hat in den letzten fünf Jahren regelmäßig Korrekturen der Steuerbelastung der Arbeitnehmer, einen stufenweisen Ausbau familienpolitischer Leistungen und eine vielfache Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und Modernisierungen vorgenommen. Ich will Sie hier an die vielen Dinge nicht erinnern: an die Steuerreform von 1975, die Aufstockung des Kindergeldes 1977, die beiden Steuerentlastungsgesetze 1977, das Steueränderungsgesetz 1979, das auch Steuersenkungen, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen, in diesem Jahr und im nächsten Jahr bringt —
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Bundesminister Matthöfer
vor allen Dingen 1980. Es ist nicht so, als wenn wir da keine Steuer senkten, sondern es gibt Steuersenkungen in Milliardenhöhe gerade für diesen Bereich, der besonders förderungswürdig ist, weil er die Flexibilität in unserer Volkswirtschaft bringt. Da wird eine ganze Menge getan: Maßnahmen, die zusammen im nächsten Jahr eine Steuerentlastung von rund 5 Milliarden DM bringen werden. Damit haben wir im Laufe der letzten fünf Jahre ein Steuerentlastungsprogramm in einer Größenordnung von 40 Milliarden DM — auf das Jahr bezogen, wohlgemerkt — verabschiedet.
Berücksichtigt man das Kindergeld, so liegt die Steuerquote deutlich unter 24 %. Es ist nicht richtig, daß die Steuerquote gestiegen ist. Die Steuerquote liegt knapp über 23 % und damit dort, wo sie seit Jahrzehnten liegt. Wenn der bayerische Ministerpräsident davon spricht, er wolle die Abgabenquote senken, kann ich nicht verstehen, wie sich der Herr Kollege Blüm gestern abend hier hinstellen und alle möglichen Mängel beklagen konnte: daß bestimmte Personengruppen nicht auch noch einbezogen werden und daß dieses und jenes nicht erhöht werde und was diese Bundesregierung eigentlich für eine unsoziale Politik mache. Der eine fordert, die Abgabenquote zu senken, und der andere will dann wieder die Ausgaben erhöhen. Das ist doch eine Arbeitsteilung, die man bei Ihnen deutlich sieht. Jeder verspricht jedem alles. Wir haben gestern gehört, daß Herr Strauß sogar Dinge verspricht, von denen er noch gar nicht weiß, ob er sie kriegen wird und, wenn er sie kriegt, wieviel das sein wird. 870 Millionen DM, sagt er. Wir sagen: Es sind 2,3 Milliarden. Das wird erst einmal so wegversprochen, ohne daß man es schon hat. Alles dies ist unsolide und wirklich nicht regierungsfähig.
Die Steuerpolitik der sozialliberalen Koalition kann sich sehen lassen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben.
— „Hans im Glück" mag schon zutreffen, wie überhaupt sehr viel Weisheit in den deutschen Volksmärchen liegt. Ich könnte Ihnen einige nennen.
Wir haben Milliarden für humane Arbeitsplätze, für eine menschliche Umwelt, für . sparsame und umweltfreundliche Energieverwendung, für die Verbesserung der gesamten Lebens- und Umweltbedingungen aufgebracht. Mit diesem Haushalt 1980 und dem Finanzplan setzen wir entschieden unsere Politik der Zukunftssicherung fort. Wir müssen insbesondere dort, wo unsere heimischen Energiequellen nicht ausreichen, die Möglichkeiten nutzen, alle zur Verfügung stehenden Energiequellen zu entwickeln und für eine sparsamere und rationalere Energieverwendung zu sorgen.
Unsere Unternehmer wie unsere Arbeitnehmer haben in den letzten Jahren eine hohe Anpassungsfähigkeit, einen großen Erfindungsgeist, eine beachtliche Mobilität bei der Bewältigung des Strukturwandels bewiesen. Der Bund stand dabei nicht abseits. Er hat in erheblichem Umfang finanzielle Hilfen gegeben, Risiken übernommen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den strukturellen Verbesserungen angepaßt.
Die Kritik der Opposition an der Strukturpolitik dieser Regierung steht übrigens auch im Widerspruch zur Politik der unionsgeführten Länder, wo wir in gemeinsamer Verantwortung, etwa an der Küste, im Zonenrandgebiet oder an der Saar,
an der Bewältigung dringender regionaler Probleme arbeiten. Ich darf auf die Konzentration der Schwerindustrie im Ruhrgebiet und im Saarland verweisen, die die Lösung der dort entstehenden Strukturprobleme besonders vordringlich gemacht hat.
Der Bund wird mit dem Haushalt 1980 auch der besonderen Lage Berlins gerecht. Die Bundeshilfe für Berlin steigt um 9'/2 % — das ist fast die doppelte Zuwachsrate wie beim übrigen Haushalt — auf 9,25 Mrd. DM. Das wird den Berlinern helfen, mit ihren Problemen fertig zu werden und sich selbst eine dynamische Wirtschaft aufzubauen.
Vollbeschäftigung und Wohlstand in den 80er Jahren setzen voraus, daß die Bundesrepublik ihre Spitzenstellung in Wissenschaft und Technik und in der Produktivität bewahrt und weiter ausbaut. Wir haben mit großer Freude gesehen, daß nicht nur die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen, sondern auch die privaten. Das ist genau der Effekt, den wir erzielen wollten. Wir freuen uns darüber, daß mittlerweile die Bundesrepublik wieder in die Spitzenstellung vorrückt, was den Anteil der Ausgaben für Wissenschaft und Forschung am Bruttosozialprodukt anbelangt.
In einer Zeit stetigen Strukturwandels sind die kleineren und mittleren Unternehmen besonders wichtig. Die Bundesregierung hat deshalb vielfältige Maßnahmen zu ihrer Förderung ergriffen, die auch ihren Niederschlag in diesem Haushalt finden. Ich darf zum Beispiel auf die Mittel für die Personalkosten für Forschung und Entwicklung verweisen, die wegen der regen Inanspruchnahme, insbesondere durch kleine Unternehmen, noch einmal auf 390 Millionen DM erhöht wurden. Auch dies, verehrte Kollegen von der Opposition, sind Zukunftsinvestitionen. Auch dies muß in gewisser Weise mit Krediten finanziert werden.
Ein gezielter Ausbau von Sozialleistungen in den Krisenjahren — ich darf an die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte und an die vorgenommenen Verbesserungen des Mutterschaftsurlaubs, an die Verbesserung der Leistungen beim BAföG verweisen — hat zu einer fühlbaren Entlastung am Arbeitsmarkt beigetragen. Ver-
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Bundesminister Matthöfer
stärkte Hilfen brauchen jetzt noch jene benachteiligten Gruppen, die nur schwer in das Arbeitsleben einzugliedern sind: ältere Arbeitnehmer, Behinderte und Teilzeitarbeit suchende Frauen. Die Bundesregierung stellt zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit eine Vielzahl von Hilfen zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen in das Berufsleben bereit. Auch dies muß finanziert werden, und es ist vernünftig zu finanzieren.
Verstärkt werden im Haushalt auch die Hilfen für die besonders gefährdeten und benachteiligten Gruppen: psychisch Kranke, Drogensüchtige, Strafgefangene. Zusammen mit den Ländern, bei denen nach unserer Verfassung nun einmal die Hauptverantwortung liegt, ist die Bundesregierung nicht nur bemüht, das Schicksal dieser Menschen zu verbessern und ihnen Chancen zur Wiedereingliederung aus eigener Kraft zu eröffnen, sondern wir müssen auch verstärkte Anstrengungen unternehmen, um vorbeugende Initiativen zur Vermeidung von Kriminalität, psychischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit, besonders bei Jugendlichen, wirkungsvoll zur Entfaltung zu bringen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu einer Sache machen, über die ich mich gefreut habe. Es gibt immer noch eine Reihe jüdischer Opfer, die durch Gewaltmaßnahmen des Naziregimes Gesundheitsschaden erlitten haben und die sich in einer Notlage befinden, jedoch aus formellen Gründen keine Entschädigungsleistungen erhalten können, weil sie außerstande waren, Antragsfristen einzuhalten oder Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes nicht erfüllen. Diese Menschen haben zwar keinen Rechtsanspruch, aber ich glaube im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können, wenn ich sage, daß sie einen moralischen Anspruch haben, auch Wiedergutmachung zu bekommen.
Wir haben uns alle gedacht, daß für sie eine abschließende Geste erforderlich ist. Ich bedanke mich für die Initiative des Bundestages, und ich danke auch allen drei Fraktionen, daß sie bereit sind, dies noch in den Haushalt einzubringen.
Entwicklungshilfe verstehen wir als Instrument der Friedenspolitik. Sie ist in diesem Jahr ganz beachtlich erhöht worden. Der Haushaltsausschuß hat hier noch einmal draufgelegt. Auch dies ist zu begrüßen.
Die starke internationale Stellung der D-Mark erhöht unsere Verantwortung für stabile Währungsverhältnisse in Europa und im Verhältnis zum Dollar. Hier wollen wir zusehen, daß das Europäische Währungssystem weiter funktioniert.
Unsere Verteidigungsanstrengungen sollen den Frieden auch in Zukunft sichern.
Ich fasse zusammen: Finanzplan und Haushaltsentwurf 1980 spiegeln die gemeinsamen Anstrengungen von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen wider, mit finanzpolitischer Solidität und Disziplin den Anforderungen der 80er Jahre sicher gerecht zu werden.
Auf der Einnahmenseite lehnen wir unzeitgemäße Steuersenkungen ab und geben der volkswirtschaftlich gebotenen Senkung der Kreditaufnahme den Vorrang. Eine Korrektur der Lohn- und Einkommensteuerbelastungen und eine familienpolitische Entlastung sind 1981 möglich und erforderlich.
Die Bundesregierung weist alle Zumutungen zurück, die soliden Grundlagen unserer Finanzpolitik mit gleichzeitigen Mehrausgaben und Mindereinnahmen zu verlassen. Die Kreditaufnahme des Bundes wird sich auch in Zukunft an den Erfordernissen der Beschäftigungspolitik, d.h. an der Sicherung der Arbeitsplätze bei Preisstabilität, ausrichten.
Die Ausgabenpolitik des Bundes dient vor allem dem Ziel, Vollbeschäftigung zu sichern und zukunftssichere Arbeitsplätze in allen Teilen unseres Landes zu schaffen. Haushalt und Finanzplan belegen den entschiedenen Willen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden. Dies bedingt unsere Entschlossenheit, unsere Hilfe für die Länder der Dritten Welt schnell und nachhaltig zu steigern.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserer Finanzpolitik und zum Einzelplan 08.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder hat seinen eigenen Stil. Der Stil des Bundesfinanzministers kann nicht zur Nachahmung empfohlen werden.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede ein Beispiel von seltener Unfairneß geboten. Das war ein ganz unglaublicher Vorgang. Sie haben — dies muß hier klargestellt werden — mit dem Vorsitzenden unseres Arbeitskreises, Herrn Häfele — Ihrem Kollegen, Herr Westphal —, eine Absprache getroffen, daß wir diese Debatte über den finanzpolitischen Teil des Haushalts bis 11 Uhr heute beschließen. So wollten wir es handhaben. Dies ist mit Ihnen von Herrn Häfele besprochen worden. — Aber natürlich; schütteln Sie nicht den Kopf! Sie haben angedeutet, daß Sie hier etwa 15 Minuten sprechen werden.
Nun haben Sie 70 Minuten gesprochen. Nach 45 Minuten sind Sie von der Frau Präsidentin — das war sehr verdienstvoll, wie ich finde — aufgefordert worden, etwas Zusammenhängendes zu sagen. Das haben Sie aber auch in 70 Minuten nicht geschafft.
Sie haben die Präsenz der Opposition gerügt. Schauen Sie sich doch einmal auf der Regierungsbank um! Schauen Sie einmal ins Koalitionslager! Ich kann verstehen, daß Sie auf dem Berliner Partei-
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Dr. Schäuble
tag Ihrer Partei 100 Stimmen weniger als bei der letzten Wahl erhalten haben. Das waren immer noch ein paar Stimmen zu viel.
Dies ist eine Art, miteinander umzugehen, die in diesem Hause unerträglich ist.
Wenn der Bundesfinanzminister dies bei seinem eigenen Etat tut, kann dies so nicht durchgehen.
Das Merkwürdige ist, daß Sie in der langen Zeit, in der Sie uns hier eigentlich nur gelangweilt haben, zu dem speziellen Thema Ihres Ressorts, zur Steuerpolitik, nichts gesagt haben.
— Nein, das haben Sie nicht. Sie haben sich mit dem Jahr 1966 und weit zurückliegenden Dingen beschäftigt. Herr Bundesfinanzminister, woher nehmen Sie eigentlich die Stirn, die Schwierigkeiten des Jahres 1966 in der Weise zu qualifizieren, wie Sie das hier getan haben? Sie sind doch in der Geschichte dieser Bundesrepublik Deutschland der Bundesfinanzminister, der den Rekord im Schuldenmachen hält. Sie haben doch überhaupt nicht das Recht, sich hier auf andere Zeiten, in denen die Dimensionen völlig unvergleichbar waren, zu beziehen. Wenn Sie über den Regierungswechsel im Jahre 1966 sprechen, Herr Bundesfinanzminister, sollten Sie gelegentlich auch einmal überlegen, ob Sie in diesem Stil wirklich die Frage des Wechsels von Herrn Brandt zu Herrn Schmidt im Jahre 1974 hier in diesem Hause behandelt wissen wollen. Das wäre ja wohl auch nicht gut für das Ansehen dieses Hauses.
Ich finde, der Bundesfinanzminister hätte hier etwas dazu sagen sollen — außerhalb dieses Hauses tut er dies in Pressekonferenzen ja ständig —, welches die steuerpolitischen Vorstellungen dieser Regierung sind. Er ist dazu offenbar nicht in der Lage. Man liest ja immer wieder etwas über Koalitionsgespräche; das nächste soll in der nächsten Woche stattfinden. Diese Regierung ist nicht in der Lage, hier ein Konzept vorzulegen.
Sie sprechen von einer soliden Finanzpolitik. Wenn wir für das Jahr 1980 steuerpolitische Maßnahmen beschlossen und diese Maßnahmen in die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1980 eingebunden hätten, so wäre dies sicherlich solider gewesen als Ihr Verfahren, hier den Haushalt zu verabschieden, alle möglichen Schlagworte in den Raum zu stellen — ich komme darauf noch — und dann zu sagen: Losgelöst von der Haushaltsdebatte beraten wir im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 1980 dann über ein großes Steuerpaket, das aber erst nach der Bundestagswahl in Kraft treten soll, so daß keiner überprüfen kann, ob die Versprechungen, die in diese Diskussion eingebracht werden, hinterher auch tatsächlich realisiert werden. Dies alles von jeder haushaltspolitischen Verantwortung loszulösen, ist kein seriöser Stil.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben — dies war einer der ganz wenigen Sätze, die, wie ich fand, eine gewisse Zustimmung verdienen — von dem Zusammenhang zwischen der Ölpreisentwicklung und den Einkommenskreisläufen sowie den Problemen, die sich daraus für die kommenden Monate — etwa auch im Hinblick auf die Tarifsituation — ergeben, gesprochen. Meine Damen und. Herren, das war doch der Punkt, warum die CDU/CSU der Auffassung gewesen ist und noch ist, daß wir angesichts der Entwicklung der heimlichen Steuererhöhungen zum 1. Januar 1980 auf dem Felde der Steuergesetzgebung, auf dem Felde des Lohn- und Einkommensteuertarifs etwas machen müssen, daß wir eine Tarifkorrektur brauchen, um heimliche Steuererhöhungen zu verhindern. Herr Bundesfinanzminister — der Herr Kollege Carstens hat es heute vormittag schon gesagt —, wir können etwa den Weihnachtsfreibetrag für 1980 auch unter technischen Gesichtspunkten noch immer in das Einkommensteuergesetz einführen, wenn Sie nur wollen, und damit diesen Zusammenhängen Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, es ist ja im Grunde eine falsche Diskussion, wenn wir hier von Steuersenkungen sprechen, denn in Wahrheit geht es darum, daß wir gesetzgeberische Korrekturen vornehmen müssen, um die Steuererhöhungen, die nicht im Gesetz vorgesehen sind, die aus dem Zusammenwirken von Geldentwertung, von Teuerung, von Inflation und Steuerprogression entstehen, zu verhindern.
Wenn das Lohnsteueraufkommen doppelt so schnell steigt wie die Bruttolohn- und -gehaltssumme, dann ist das nicht eine vom Gesetzgeber gewollte Steuererhöhung, sondern eine heimliche. Und diese heimliche Steuererhöhung müssen wir, da Sie nicht in der Lage sind, die Inflation zu verhindern, durch Korrekturen des Steuertarifs verhindern. Dies müssen wir nicht erst 1981 machen, dies hätten wir auch für 1980 machen sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte schön!
Herr Kollege Schäuble, würden Sie mir als auch im Haushalt Sachverständigen zustimmen, daß die Haushaltspläne sowohl des Bundes heute als auch aller Länder bereits mit den vollen Steuereinnahmen, sich ergebend aus den Steuerschätzungen, vorausgeplant sind? Müßte nicht eine Kurskorrektur 1980, bezogen auf diese Steuereinnahmen, mit einem Ausfall zwischen 10 und 12 Mrd. DM entweder zu Ausgabenminderungen in allen Haushalten, Bund, Länder und Gemeinden, führen oder aber, wenn dieses nicht mehr machbar ist, weil die Haushalte verabschiedet sind, zu zusätzlichen Kreditaufnahmen?
Herr Kollege Kühbacher, zunächst einmal wissen Sie — das ist so oft gesagt worden, daß es einem selbst langweilig wird, es immer zu wiederholen —, unsere Bereitschaft, ge-
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Dr. Schäuble
meinsam Sparvorschläge zu tragen, ist oft erklärt worden; Sie machen davon nur keinen Gebrauch.
Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Wo sind denn Ihre Sparvorschläge?)
Das ist auch heute morgen von Herrn Carstens wieder gesagt worden. Wir tragen das gemeinsam. Herr Carstens hat gesagt: Wenn Sie jetzt wollen, heute, machen wir das gemeinsam.
Das zweite ist: In der Zeit der parlamentarischen Beratung unseres Antrags betreffend den Zeitpunkt des Inkrafttretens am 1. Januar 1980 haben wir eine Korrektur der Steuerschätzungen im Finanzausschuß beraten mit einem Steuermehraufkommen, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, gegenüber der Schätzung von vor einem halben Jahr, den damals dem Haushaltsplan zugrunde gelegten Einnahmen, in der Größenordnung von, ich glaube, 5 oder 6 Mrd. DM allein für den Bundeshaushalt 1980.
— Aber natürlich. Die Steuerschätzungen haben wir genau geprüft. Da waren Sie nicht dabei.
Wenn man will, ist das machbar. Im übrigen hätten wir über die Größenordnung reden können, können wir immer noch reden. Nur, daß wir gar nichts tun und Sie sagen: „Jetzt wird konsolidiert", dies geht nicht an.
Meine Damen und Herren, das Wort ,,konsolidieren", da bin ich fast ein haushaltspolitischer Laie. Das ist ein völlig die Offentlichkeit irreführender Begriff.
Was heißt eigentlich „Konsolidierung"? Meine Damen und Herren, wenn ich so mit dem normalen Verstand eines Bürgers höre, es wird jetzt konsolidiert beim Bundeshaushalt, dann gehe ich, davon aus, daß diese drückend hohe Schuldenlast von 230, 250 Mrd. DM abgebaut wird, daß also am Ende dieser Konsolidierungsphase, Herr Bundesfinanzminister, die Schulden des Bundes vielleicht ein klein wenig niedriger sind als am Anfang der Konsolidierungsphase. Genau dies findet aber nicht statt. Worüber Sie immer nur reden, ist, in welchem Tempo, in welchem Ausmaß die Schulden steigen. Worüber Sie nie reden, ist, wann dies einmal enden soll.
Denn daß die Schulden nicht endlos steigen können, müssen Sie auch einsehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?
Bitte schön.
Herr Dr. Schäuble, Sie haben eben davon gesprochen, daß es immer nur um die Höhe des Schuldenzuwachses in den öffentlichen Haushalten gehe. Eine Frage hierzu: Ist dies im Landeshaushalt Baden-Württemberg anders, d. h. geht es im Haushalt von Baden-Württemberg etwa darum, daß Schulden gesenkt werden können?
Verehrter Herr Spöri, das müssen Sie auch wissen, daß die Rahmendaten der finanzpolitischen Entwicklung durch den Bund gesetzt werden und daß Länder und Gemeinden dadurch unmittelbar beeinflußt sind.
Das können Sie nicht bestreiten; das hätte nun wirklich keinen Sinn. Ich meine, wir müssen auch in Baden-Württemberg den Landtagswahlkampf führen, und das machen wir auch mit großer Freude; wir tun es mit großer Zuversicht. Aber mit solch billigen Argumenten sollten wir nicht arbeiten.
Herr Spöri, ich finde, Sie sollten mit Ihren Zwischenfragen nicht auf das Niveau der Rede des Bundesfinanzministers heruntergehen; das ist wirklich zu billig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Schäuble, könnten Sie vielleicht dem Kollegen Spöri verdeutlichen, daß die Schulden des Bundes höher sind als sein Haushaltsvolumen, während die Schulden des Landes Baden-Württemberg nur einen Bruchteil von dessen Haushaltsvolumen ausmachen?
Wissen Sie, Herr Kollege Friedmann, der Kollege Spöri ist mir als ein durchaus intelligenter und informierter Kollege bekannt; deswégen braucht ihm das nicht verdeutlicht zu werden. Ich fürchte nur, daß er hier im Grunde gegen besseres Wissen so niveaulos argumentiert hat.
Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte gern wenige Sätze zu einer Diskussion sagen, die uns auf dem Felde der Steuerpolitik offenbar auch in Zukunft beschäftigen wird. Herr Bundesfinanzminister, wenn ich die Überlegungen, die aus Ihrem Hause zu diesem Thema nach außen dringen und die Sie selber in den — von Ihnen jetzt plötzlich so kritisierten — Pressekonferenzen dauernd verkünden, betrachte, so ergibt sich, daß Sie" daran denken, die Korrektur beim Lohn- und Einkommensteuertarif durch eine Verlängerung der Proportionalzone vorzunehmen. Meine Damen und Herren, wenn Sie dies tun, werden Sie die eigentlich drängende Problematik unseres Steuersystems weiter verschärfen. Denn das, wogegen wir angehen müs-
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Dr. Schäuble
sen, ist die Verschärfung der Steuerprogression gerade auch als Folge der heimlichen Steuererhöhungen. Durch eine Ausdehnung der Proportionalzone werden Sie im Ergebnis — und so sind offenbar Ihre Überlegungen — zu einer weiteren Verschärfung der Steuerprogression gerade im mittleren Bereich, gerade bei den Facharbeitern, gerade bei den Arbeitnehmerehepaaren, bei denen Mann und Frau gemeinsam verdienen, kommen. Damit werden Sie erreichen, daß künftige Lohn- und Einkommenszuwächse einem weiter verschärften Zugriff der Steuerprogression ausgesetzt sind. Sie werden damit eine weitere Behinderung der Leistungsbereitschaft und der Investitions- und Risikobereitschaft in unserem Volke verursachen. Dies ist der falsche Weg, und ich glaube, bei der Beratung Ihres Einzelplans muß darauf hingewiesen werden, daß Sie diesen Weg nicht weitergehen sollten
und daß Sie auch aus diesem Grunde die Zustimmung der Opposition zu Ihrem Etat nicht finden können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten Gesichtspunkt noch in aller Kürze ansprechen. Wir haben darüber oft diskutiert, aber nachdem Sie jetzt — und da muß man ja sehr genau zuhören — die Diskussion über das Ehegattensplitting offenbar neu eröffnen wollen, will ich Ihnen doch noch einmal folgendes sagen. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß Sie die höheren Belastungen von Familien mit Kindern bei der Ermittlung der steuerlichen Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigen wollen, daß Sie also sagen: Kinder sind kein steuerlich zu berücksichtigender Tatbestand.
Dies ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie das Wort „Steuergerechtigkeit" noch einmal mit halbwegs gutem Gewissen in den Mund nehmen wollen, müssen Sie sich einmal ernsthaft überlegen, ob es wirklich angehen kann, daß eine Familie mit drei Kindern bei gleichem Einkommen genauso viel Lohn- und Einkommensteuer zu zahlen hat wie das Ehepaar ohne Kinder. Dies ist eine Ungerechtigkeit; dies verstößt gegen das System der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
Deswegen, Herr Bundesfinanzminister, werden Sie von der Opposition nicht in Ruhe gelassen werden. Wir werden auf diesem Punkt bestehen. Und Sie werden auch die Zustimmung der Opposition zu Ihrem Haushalt nicht bekommen, solange Sie in diesem Punkt
nicht auf den richtigen Weg der Erkenntnis zurückkehren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, mit einem Zitat zu beginnen:
Man kann einem Volke, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährdet vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll.
Gestern hat derjenige, der diese Sätze 1969 geschrieben hat, dies als Redeanweisung für sich selbst betrachtet.
Das Zitat stammt nämlich nicht von mir, sondern von Herrn Franz Josef Strauß. Nun warten diejenigen, die der CDU/CSU noch immer unkritisch zuhören, seit zehn Jahren auf den Zusammenbruch unserer Staatsfinanzen, die angeblich so zerrüttet sind. Jedes Jahr müssen wir hier zweimal die gleiche Litanei anhören, und der Bankrott, der jeweils angekündigt wird, tritt nicht ein.
Dabei weiß jeder — oder kann es mindestens wissen —, daß wir trotz zweier schlimmer Ölpreissteigerungen ein reales Wirtschaftswachstum haben, um das uns viele in der Welt beneiden; daß wir eine der führenden Handelsnationen der Welt sind
und unseren Export trotz Dollarschwäche und trotz D-Mark-Aufwertung immer noch steigern konnten und daß wir, weil wir in schwieriger Situation mit viel öffentlichem Geld und hoher Schuldaufnahme Investitionen mutig gefördert haben und konjunktur-
und strukturpolitisch fördernde Programme gefahren haben, einen konjunkturellen Aufwärtstrend zustande gebracht haben. Der Bundesbankpräsident hat das kürzlich so bezeichnet, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland die einzige Konjunkturlokomotive in Europa sind. Es kann auch jeder wissen, daß wir bei steigender Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Menschen die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt deutlich nach unten drücken konnten. In einigen Teilen der Republik gibt es praktisch Vollbeschäftigung, und überall — auch dort, wo die Arbeitslosenzahl noch immer zu hoch ist — werden Facharbeiter gesucht.
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Westphal
Es zeigt sich, daß der Bundesfinanzminister eine gute Adresse ist, dem viele — auch kleine — Sparer z. B. in Form von Bundesschätzchen, ihr Geld leihen,
weil sie sicher sind, Herr Franke, daß das Geld bei diesem Minister, bei dieser Adresse ordentlich und ohne Gefahr verzinst wird.
Schließlich haben wir in diesem Land ein Devisenpolster, das höher als in jedem anderen Land in der Welt ist, so daß wir auch ohne Schwierigkeit mit dem hohen Anstieg der Importe gut fertigwerden konnten und auch weiterhin können.
Wer auf den Staatsbankrott wartet, wartet vergeblich.
Er sollte allmählich einsehen, daß die CDU/CSU offensichtlich die schlechteste Prognosefähigkeit aller Institutionen hat, die sich in der Bundesrepublik mit Finanzfragen beschäftigen.
Der Haushalt 1980, den wir nun zur Verabschiedung bringen, ist solide. Seine Tendenz zur Konsolidierung — ich sage das hier noch einmal — wurde durch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses noch verstärkt. Er ist wegen der erreichten positiven Konjunkturlage nicht expansiv gestaltet, sondern hat mit 5,5 % eine Steigerungsrate, die bewußt und deutlich unter dem erwarteten Wachstum des Bruttosozialprodukts liegt, das 7 % betragen wird. Sein Investitionsvolumen liegt wesentlich über der Nettokreditaufnahme, und er nützt die uns aus günstiger Wirtschaftsentwicklung zuwachsenden Steuermehreinnahmen zur spürbaren Senkung der Neuverschuldung. Er ist — manchmal durch harte Eingriffe des Haushaltsausschusses — sparsam gestaltet bei Ausgaben, die gestreckt und deren Aufwuchs auf kommende Jahre verteilt werden konnten und die eine Überhitzung der Konjunktur bewirken könnten, oder bei nach unserer Ansicht zu großzügig geplantem Ansatz, wobei ich z. B. an die Personalforderungen und an die Stellenhebungen denke.
Dieser Haushalt hat dort gezielt höhere Steigerungsraten, wo es darauf ankommt, die Strukturen unserer Wirtschaft zu verbessern, zu modernisieren, z. B. bei der Forschung, bei der Mittelstandsförderung, bei Arbeitsmarktmaßnahmen für Problemgruppen, besonders aber auch bei der Entwicklungshilfe, bei den Programmen, die der Einsparung von Energie dienen oder die den Vorrang von Kohle unterstreichen. Der Haushalt ermöglicht die Realisierung unserer Umweltschutzprogramme, und er sichert unsere sozialstaatliche Leistungsfähigkeit.
Die Tatsache, daß in diesem Haushalt zur Dekkung seines Einnahmedefizits eine enorm hohe Schuldenaufnahme erforderlich ist, möchten wir, ja müssen wir „Haushälter" ins Bewußtsein des ganzen Parlaments rücken. Jede aufgenommene Mark kostet uns alle auf Jahre hinaus Zinsen. Sparsamkeit, entschlossene Bemühungen um Konsolidierung und äußerste Zurückhaltung bei neuen ausgabewirksamen Projekten und Gesetzen sind das, was wir „Haushälter" in die Köpfe aller Parlamentarier wie in die der Ressortchefs hineinbringen wollen. Es geht um eine Verantwortung, die nicht allein Sache des Haushaltsausschusses ist.
Dies ist vielmehr eine Verantwortung des ganzen Hauses.
Nur, die Art, meine Damen und Herren, wie die Opposition diese Einsichten als Vorwurf vorträgt, klingt manchmal so, als ob die CDU/CSU einen Haushalt haben wollte — Herr Schäuble war gerade vor mir ein klassisches Beispiel dafür —, in dem so etwas wie Kredite zur Lösung von Zukunftsaufgaben gar nicht vorhanden sein dürfte. Abgesehen davon, daß es so etwas auf der ganzen Welt nicht gibt, wäre dies — eben wegen der Notwendigkeit, die Lebens- und Umweltbedingungen künftiger Generationen vorausschauend zu verbessern — auch gar nicht sinnvoll.
Sehen wir uns die Fakten noch einmal kurz an: Die mittelfristige Finanzplanung sah für 1980 zunächst eine Nettokreditaufnahme von 33,5 Milliarden DM vor. Die Regierung legte, weil sie nach Normalisierung der Konjunkturlage von einer neuen hohen Verschuldung herunter will — auch aus eigenem Wollen —, einen Etatentwurf mit 28,2 Milliarden DM Kreditfinanzierung vor. Unser Abschluß — nach Einsparungsentscheidungen des Haushaltsausschusses und trotz Abdeckung von zusätzlichen Ausgaben sowie nach Gegenrechnung der Steuermehreinnahmen — senkt den Ansatz für neue Kredite auf 24,2 Milliarden DM ab. Das sind gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung 9,3 Milliarden DM, gegenüber dem Regierungsentwurf 4 Milliarden DM weniger. Hier wird eine Tendenz unserer Beschlüsse sichtbar, die jedem zeigt, daß es uns mit dem Abbau einer zu hohen Neuverschuldung ernst ist.
Meine Damen und Herren, obwohl der Bund einen sinkenden Anteil am Gesamtsteueraufkommen hat, ist sein Anteil an der Absenkung der Schuldenquote, gemessen am Bruttosozialprodukt, von 3,4% auf 2,7 % beträchtlich. Wir kommen damit in die Nähe dessen, was die Finanzwissenschaft als vertretbare Normalität der Verschuldungsquote ansieht. Wir sind zwar noch nicht da — das habe ich hier verdeutlicht —, aber wir kommen mit unseren Bemühungen — zusammen mit den Bemühungen anderer Ebenen, die es im Prozeß der Entschuldung leichter haben als wir — in die Nähe dieser Norma- lität.
Im übrigen: Es wird sicher nicht bestritten, daß die Schweiz ein Land ist, dem die Welt in finanziellen Dingen vertraut. Die Schweiz aber, meine Damen und Herren, trägt eine Schuldenlast von 108 % der Höhe ihres gesamtstaatlichen Haushalts. Bei uns ist die Vergleichszahl, bezogen auf die gesamtstaatlichen Ausgaben, wesentlich geringer, nämlich 84 %. Wenn diese Vergleichszahl, isoliert auf den Bund bezogen, ungünstiger aussieht, dann liegt dàs auch
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Westphal
an der ungerechtfertigten Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen den drei Gebietskörperschaftsebenen und den stark wachsenden Aufaben des Bundes, insbesondere seinen großen internationalen Verpflichtungen.
Aber es macht uns — gleich der Schweiz — weder zu einer schlechten Adresse noch zu einem Land mit unsoliden öffentlichen Finanzen.
Trotzdem drückt uns die Last der hohen Zinsendienste. Wir sehen mit Sorge diese Entwicklung und möchten deutlich machen, daß dies nicht ein leichtes Spielfeld für Oppositionskritik ist, sondern unser aller Problem.
Deshalb sind wir es ja, die nun nach der Phase notwendiger hoher Kreditaufnahme zur Wirtschaftsbelebung und Sicherung der Arbeitsplätze die Politik der Konsolidierung eingeleitet haben und nicht schon gleich wieder alles Geld vorzeitig und zur falschen Zeit und zum falschen Zeitpunkt weggeben wollen und dürfen.
Vielleicht ist hier die richtige Stelle, darauf hinzuweisen, daß in der Zwischenzeit bekannt ist, was derjenige, der eigentlich hier hätte zuhören sollen, nachdem er gestern den Finanzminister angegriffen hat, nun zwischendurch draußen auf einer Pressekonferenz gesagt hat
und abenteuerliche Größenordnungen von Beträgen an Steuerentlastung vorgetragen hat: für ein einziges Jahr in der Größenordnung von 16,6 Milliarden DM.
Dies geht über das hinaus, was man machen kann. Ich will hier gar nicht auf die Inhalte im einzelnen eingehen.
Aber es ist genau das eingetreten, was unsereiner schon draußen in Versammlungen vorangekündigt hat, was man von Herrn Strauß zu erwarten hat.
Was ist da drin? Da ist zwar auch ein bißchen was für Arbeitnehmer drin, aber auch Vermögensteuersenkungen um 1 Milliarde DM!
— Vermögensteuersenkung um 1 Milliarde! — Wir wissen: Das kommt bei der Politik dieses Mannes heraus.
Arbeitnehmer, hört zu! Das ist der Punkt! Da wird etwas in Richtung von Tarifänderungen versprochen. Auf der anderen Seite werden diejenigen,
die sich heute mit Preissteigerungen Vorteile enormer Art verschaffen, neu und zusätzlich entlastet.
Wir reden über dieses Thema im nächsten Jahr, dann etwas ruhiger, als ich es jetzt bin. — Einverstanden, Herr Althammer; aber nicht in der knappen Zeit, wo ich hier noch ein paar Bemerkungen machen möchte.
Herr Abgeordneter Westphal, Sie gestatten keine Zwischenfrage?
Nein. Es müßte in diesem Fall schon Herr Strauß sein, der da draußen Verkündungen macht.
Aber, meine Damen und Herren, es ist wirklich kaum möglich, daß man sich gegenseitig versteht. Und einige Zwischenrufe möchte ich wirklich gern überhören. Fahren Sie bitte fort.
Ich will hier wenigstens in bezug auf die Frage, wie es mit den Zinsen und unserer Einordnung in der Welt steht, die Tassen im Schrank gegenüber der Opposition ein wenig zurechtrücken. Wie steht es mit dem Zinsanteil an den Ausgaben des öffentlichen Haushalts? Wie steht die Bundesrepublik im internationalen Vergleich da?
Wir liegen mit 5 % Zinsanteil am Bundeshaushalt ähnlich wie die Schweiz im unteren Drittel der Industriestaaten und dabei spürbar niedriger als Japan mit 7,8 %,
Italien mit 7,2 %, Belgien mit 7,9 %, England mit 11,4 %, USA mit 14,2 %.
Es wird doch wohl niemand so vermessen sein, den Japanern oder unserem stärksten westlichen Partner, den USA, vorwerfen zu wollen, die verspielten die Zukunft ihrer Kinder. Das ist doch immer Ihr Vorwurf, wenn Sie unsere wesentlich niedrigere Rate hier zum Thema machen. Wir nehmen das Problem schon ernst genug. Aber wir machen daraus nicht einen Spielball der Kritik dieser Art, wie Sie sie angesetzt haben.
Was aber würde für unsere Staatsfinanzen herauskommen, wenn die Opposition das Sagen hätte, wenn die Herren Späth und Häfele und Strauß und Kreile und der Wirtschaftsrat der Union und die CDU-Mittelstandsvereinigung .
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Westphal
ihre Pläne, die sie allein im jetzt abgelaufenen Jahr vorgetragen haben, verwirklichen müßten — „müßten", sage ich; denn dazu, daß sie das dürften, kann es ja wohl nicht kommen —? Wir haben das alles sorgfältig nachgerechnet. Dabei kommen unglaubliche Zahlen heraus. Im Bundestag und im Bundesrat hat die CDU/CSU Gesetzesanträge zur Steuersenkung eingebracht, die 13,2 Milliarden DM Steuermindereinnahmen bedeuten würden. Ich nehme an, die 16 Milliarden von heute kommen dazu.
— Na gut, das werden wir prüfen. Jedenfalls ist es jetzt schon wieder mehr, als ich in mein Manuskript gestern nacht geschrieben habe. Und wenn wir das hinzunähmen, was die anderen fordern, die ich genannt habe und die Herr Carstens — er war es, wie ich glaube — heute morgen ein „Sammelsurium" von CDU-Leuten oder CDU-Institutionen genannt hat,
dann kämen 77,35 Milliarden allein im Steuerbereich hinzu.
In vorliegenden Gesetzentwürfen werden zusätzliche Ausgaben gefordert. Da sind Sie mit einer Milliarde DM mit dabei. Heute fordern Sie noch einmal 600 Millionen DM, wenn ich das richtig sehe. Darüber hinaus haben Politiker der Opposition Ausgabensteigerungswünsche in einer Größenordnung von über 33 Milliarden DM öffentlich angemeldet. Man traut sich fast nicht, das zusammenzurechnen, denn es kämen Zahlen heraus, die mehr als die Hälfte des ganzen Bundeshaushalts ausmachen würden. Selbst wenn man diese Forderungen auf zehn Jahre verteilt, wären sie nach wie vor auch dann unfinanzierbar. Wie kümmerlich wirken dagegen die Anträge der Opposition im Haushaltsausschuß, mit denen Sie uns in unserem Bemühen um Sparsamkeit verbal übertreffen wollten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, darf ich Sie daran erinnern, daß Sie Steuersenkungen für 1980 wollten, nicht durch zusätzliche Verschuldung, sondern durch Einsparungen? Rechnen Sie das, was Sie im Haushaltsausschuß über die von uns gemachten Vorschläge hinaus zusätzlich fordern, einmal gegen die Pläne, die nun vorliegen, oder gegen das auf, was Sie für das Jahr 1980 bisher gefordert haben. Ihre ganze Linie, eine Steuerentlastung in einer solchen Größenordnung und Senkung — —
— Was die Familie betrifft, so lassen Sie mich rasch eine Zwischenbemerkung machen.
— Gut. Ich habe in Erinnerung, was' im Haushaltsausschuß geschehen ist, Ihr Verhalten dort, das Rauf
und Runter und auch das, was Sie mit der globalen Minderausgabe und sonstigem machen wollten. Aber jetzt haben Sie sich hier auf diese 600 Millionen DM konzentriert.
Ich will Ihnen auch zu dieser Frage sagen: Wir realisieren im Haushalt 1980 für ein volles Jahr die Erhöhung des Kindergeldes, das wir für das zweite Kind ab 1. Juli 1979 um 20 DM gesteigert haben; das ist jetzt gerade fünf Monate her.
Wir realisieren in diesem Jahr die Vollfinanzierung des Mutterschaftsurlaubs erstmalig für ein ganzes Jahr. Wir haben ab 1. Januar 1980 das Unterhaltsvorschußkassengesetz, das zu diesem Zeitpunkt in Kraft tritt und das durch diesen Haushalt finanziert wird. Es ist auch eine Verbesserung der Renten für die Contergan-Kinder vorgesehen. Ich habe nur vier oder fünf Positionen genannt, aber das ist die Familienpolitik, die wir jetzt für das Jahr 1980 vollziehen.
1981 kommen wir mit einer beachtlichen familienpolitischen Komponente. Darüber reden wir Anfang des nächsten Jahres.
Ich kann mir das jetzt ersparen; andere tun das draußen, wir tun das hier, aber erst ab Anfang nächsten Jahres. Jetzt reden wir über diesen Haushalt. Darin ist Beachtliches für die Familie. Da wird nicht aus dem Hut gezaubert und nicht mit unsicheren Formen der Finanzierung und Deckungsvorschlägen gearbeitet, wie Sie das hier gemacht haben.
Meine Damen und Herren, wir haben dem Bürger offen gesagt: 1980 wird sein Steuergeld in seinem eigenen Interesse zum beschleunigten Abbau der Neuverschuldung verwendet. Eine Verminderung begründeter Leistungen, insbesondere sozialer Leistungen, findet nicht statt. Im Gegenteil, der schrittweise Ausbau des Sozialstaats geht weiter, wenn auch in kleinen Schritten.
Steuerentlastungen — das ergibt sich aus der Logik und aus unserem progressiven Steuersystem — sind von Zeit zu Zeit erforderlich. Die letzte haben wir gerade Anfang dieses Jahres vorgenommen; die nächste folgt 1981. Wir machen das mit seriösen, klaren Schritten und bereiten das auch ordentlich vor, aber wir springen doch nicht von einem Tag in den anderen hinein, so wie Sie es uns hier vorzuführen versuchen. Das ist mit kräftigen familienpolitischen Leistungen verbunden.
Ganz gegen unsere sonstigen Verhaltensweisen richten wir uns in dieser Frage nach Herrn Strauß, allerdings aus der Zeit, als er Finanzminister dieser Republik gewesen ist. Er wandte sich laut „Stuttgarter Zeitung" vom 15. Januar 1968 entschieden gegen
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Westphal
den Abbau steuerlicher Belastungen zur falschen Zeit
und auch gegen die Wünsche aus Wirtschaftskreisen. Er meinte, alle durch Steuersenkungen entstehenden Löcher müßten ansonsten zusätzlich auf dem Kreditwege gestopft werden. Dies damals schon bei einer Neuverschuldung von 11 Milliarden DM. Er hat das zu Recht abgelehnt. Irgendwie müssen diesem Mann mit geänderter Funktion die früheren Einsichten abhanden gekommen sein — uns aber nicht; wir machen keine unseriösen Sachen.
Wir beschließen den Haushalt und wissen uns in unserer Linie einig nicht nur mit der Bundesbank, nicht nur mit den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, sondern auch mit den Gewerkschaften und mit den Bürgern draußen.
Meine Damen und Herren, die letzte Bemerkung; sie kostet eine Minute. Die Fraktionen haben sich gemeinsam entschlossen, zusammen mit der Regierung eine Zusage einzulösen, deren Ergebnis sein wird, daß Mittel für eine abschließende Leistung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen an die jüdischen Gemeinden und an den jüdischen Weltrat über den Zentralrat der Juden in Deutschland zur Verfügung stehen werden. Der Herr Finanzminister hat dazu vorhin sein Wort gesagt. Ich möchte hier sagen: ich halte einen Beschluß darüber in der zweiten Lesung des Haushalts für notwendig.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an die letzten Äußerungen von Herrn Westphal anschließen und ein Mißverständnis ausräumen, das vielleicht zwischenzeitlich zwischen dem Herrn Bundesfinanzminister und der Opposition aufgetaucht ist, nämlich was die globale Minderausgabe angeht. Ich glaube, über dieses Instrument der Haushaltspolitik kann man füglich streiten; denn es ist sehr grobflächig und überläßt seine Wirkung dem Haushaltsvollzug. Aber wenn man sich aus rein praktischen Gründen zur Anwendung dieses Instruments entschließt, dann steht dieses Instrument Koalition und Opposition gemeinsam und gleichermaßen zur Verfügung. Wäre es anders, käme es ja nicht zu dem interfraktionellen Antrag betreffend die Abschlußgeste, die Herr Westphal noch einmal erwähnt hat.
Meine Damen und Herren, nun möchte ich zu dem Vorgang heute morgen kommen — den ich in der Tat für einen unglaublichen Vorgang halte —, daß nämlich der Kanzlerkandidat der Opposition zur gleichen Zeit, während wir hier den Haushalt 1980 und speziell den Etat des Finanzministers lesen und auch über Steuersenkungen und Steuerquoten diskutieren, vor der Presse seine Vorstellungen von der Steuerentlastung der nächsten Jahre vorträgt.
Diese Art und Weise, mit einem Parlament umzuspringen, halte ich schlicht und einfach für unwürdig.
Und wenn Herr Schäuble — —
— Sie wissen ganz genau, Frau Berger, daß ich wie andere immer wieder kritisch nachfrage wo die Regierungsmitglieder sind.
— Ich gehe davon aus, daß auch Sie wissen, daß die genannten Kollegen parallel zu den Beratungen hier z. B. internationalen Verpflichtungen nachkommen
und — so gestern — z. B. den Außenminister der Vereinigten Staaten empfangen haben.
Im übrigen ist der Minister, dessen Etat heute behandelt wird, seit Stunden hier,
und das darf einmal gewürdigt werden. Im übrigen war auch der Wirtschaftsminister die ganze Zeit da.
Und das ist gerade passend. Wir erwarten ja nicht, daß der Oppositionsführer ununterbrochen hier sitzt, wir erwarten auch nicht, daß der Kanzlerkandidat hier ununterbrochen sitzt. Wir erwarten aber, daß der Kanzlerkandidat in der Steuerdebatte seine steuerpolitischen Vorstellungen hier vorträgt und nicht vor der Bundespressekonferenz.
Meine Damen und Herren, um einmal konkret zu zeigen, wie das dann aussieht — —
Meine Damen und Herren, lassen Sie bitte die Rednerin auch zu Worte kommen. Wir haben eine Zeitplanung. Sie haben alle Möglichkeiten, Ihre Meinungen vorzutragen.
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Vizepräsident Frau Renger
Aber es geht doch wirklich nicht, daß man sich gegenseitig nicht mehr versteht.
Bitte, fahren Sie fort, Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, wie kleinkariert das im Einzelfall konkret für uns Parlamentarier aussieht, mögen Sie daran ersehen, daß ich um 11 Uhr meinen Assistenten in die Bundespressekonferenz hetzen muß, damit er mir dann um 1/2 12 Uhr das Papier von Herrn Strauß hierher bringt, damit wir in dieser Debatte noch darauf eingehen können. Das ist schlicht und einfach eine Sache, die so nicht geht.
Da Herr Strauß es nicht für nötig hält, seine Vorstellungen hier vorzutragen, werde ich mir erlauben, wie es Herr Westphal schon begonnen hat, mich mit diesen Vorschlägen zu beschäftigen. Vielleicht erfahren Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dadurch auch, was er dort gesagt hat. Das wird Sie sicher freuen.
Die Koalition hat seit Wochen zur Frage der Konsolidierung der Haushalte einerseits und weiterer steuerlicher Entlastungen andererseits ganz klar gesagt: Wir stehen in den nächsten Jahren vor zwei Notwendigkeiten; zum einen werden wir die Nettoneuverschuldung herunterfahren müssen, zum anderen stehen wir bei einem Progressionstarif bei gleichzeitigen Geldentwertungsraten vor der Notwendigkeit, in bestimmten Abständen steuerliche Entlastungen vorzunehmen.
Wenn man vor zwei Notwendigkeiten steht, muß man einen Kompromiß schließen. Er sieht nach unseren Vorstellungen folgendermaßen aus: Im Jahre 1980 werden wir die Neuverschuldung abbauen, und im Jahre 1981 werden wir Entlastungsmaßnahmen für den Bürger vorsehen.
Wenn ich es richtig sehe, ist auch Herr Strauß lernfähig. Obwohl ich seine Vorschläge in Eile durchlesen mußte, habe ich festgestellt: Er moniert zwar, daß 1980 die von ihm geforderten Steuersenkungen nicht durchgesetzt werden, aber gleichzeitig ist er realistisch genug, sein entsprechendes Forderungspaket — mit einer Ausnahme — auf das Jahr 1981 zu beschränken. Das heißt, er hat sich den Forderungen der Koalition angeschlossen. Ich halte das für ein gutes Beispiel von Lernfähigkeit. Wir sind zweifellos einen Schritt weitergekommen.
Was fordert er nun im einzelnen? Er fordert eine Tarifkorrektur. Diese haben wir schon seit längerem angekündigt. Tiber die Höhe und die Einzelheiten wird man streiten. Er fordert weiter eine Anhebung des Weihnachtsfreibetrags. Sie werden sich erinnern, daß die Koalition eindeutig gesagt hat: Wir werden den Weihnachtsfreibetrag anheben, und zwar schon mit Wirkung ab Dezember 1980. Herr Strauß fordert die Anhebung des Weihnachtsfreibetrags für das Jahr 1979,
wie er sagt: „für das kommende Weihnachtsfest". Meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor. Zum einen bedeutete das bereits für dieses Jahr Steuerausfälle in Höhe von etwa 1,2 Mrd. DM, die wir einfach nicht verkraften können. Zum anderen ist der Anrechnungszeitpunkt für den Weihnachtsfreibetrag 1979 schlicht und einfach vorbei.
Wollen Sie denn wirklich den letzten Arbeitnehmer wegen dieses Weihnachtsfreibetrags in den Lohnsteuerjahresausgleich des nächsten Jahres hineintreiben? Wir meinen: Es ist ehrlicher, sinnvoller und für jeden besser transparent, wenn wir dies für das Jahr 1980 vorsehen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Ja, gerne.
Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, daß, wenn diese Forderung nach einer Erhöhung des Weihnachtsfreibetrags für 1979 seriös wäre, die Haushaltspolitiker der CDU/CSU konsequenterweise einen Änderungsantrag zum laufenden Haushalt 1979 und einen Änderungsantrag zum Haushalt 1980 hier im Plenum einbringen müßten
Herr Kühbacher, ich gebe Ihnen völlig recht. Das ist aber gerade die von mir kritisierte Zweiwegestrategie, daß hier im Plenum etwas anderes läuft als auf der Bundespressekonferenz hundert Meter weiter.
Herr StraUß fordert weiter die Anhebung des Vorwegabzugs. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß wir längst in intensiven Gesprächen darüber sind, diesen Vorwegabzug weiter anzuheben, so wie es die FDP immer wieder gefordert hat. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß im Jahre 1980, also schon in zwei Wochen, eine massive Anhebung des Vorwegabzugs, nämlich um 1000 DM bei Ledigen bzw. 2000 DM bei Verheirateten, ohnehin erst einmal in Kraft treten wird.
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Frau Matthäus-Maier
Viertens fordert Herr Strauß die Anhebung des Kindergelds.
Sie wissen, daß die FDP immer wieder gesagt hat: Wir fordern eine Anhebung des Kindergelds. Das haben wir seit Monaten gefordert. Nun wollen wir aber nicht auf der Hälfte des Weges stehenbleiben. Wenn der Bundesfinanzminister, was ja bekannt ist, im Bereich des Familienlastenausgleichs eine Lösung anstrebt, die Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam an den Kosten beteiligt, so entspringt das doch der Sorge, daß in der Vergangenheit zwar alle Welt forderte — insbesondere auch die Bundesländer, insbesondere auch das Land Bayern —, das Kindergeld zu erhöhen, aber an der Finanzierung dieses Kindergelds wollte man sich mit Null beteiligen.
Es war ja wohl wirklich eine falsche Entscheidung des Bundesrats im Jahre 1975, gegen den Vorschlag der Koalition nicht die sogenannte Finanzamtslösung zu verabschieden, sondern die sogenannte Arbeitsamtslösung. Das bedeutet, daß sowohl für die Auszahlung als auch für die Finanzierung ausschließlich der Bund zuständig ist.
Deswegen sagen wir von seiten der Liberalen: Erhöhung des Kindergelds: ja; aber bei gleichzeitigem Anstreben der von uns immer wieder geforderten Finanzamtslösung. Das heißt einerseits Auszahlung über die Finanzämter aus Vereinfachungsgründen;
denn es ist unsinnig, daß die Daten des Bürgers über seine Kinder auf der einen Seite beim Finanzamt gespeichert sind — das ist z. B. für die Frage der Sparprämie und anderer Kindervergünstigungen von Interesse —, auf der anderen Seite dieselben Zahlen aber auch beim Arbeitsamt gespeichert werden müssen, obwohl es die gleichen Sachverhalte betrifft.
Aber es geht nicht nur um die Frage der Steuervereinfachung, es geht auch um die Frage der Beteiligung von Bund, Ländern und Gemeinden an dieser Ausgabe. Deswegen gehört gleichzeitig zur großen Finanzamtslösung, daß Bund, Länder und Gemeinden an den finanziellen Lasten gemeinsam beteiligt werden. Ich betone das noch einmal; denn ich glaube, daß nur auf diese Weise ein reeller Ausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geschaffen werden kann.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Entschuldigen Sie, die gelbe Lampe leuchtet schon. Bitte, geben Sie mir die Chance, meine Rede zu beenden.
Ein letztes Wort zu den nach meiner Ansicht völlig unakzeptablen Vorschlägen von Franz Josef Strauß. Er hat erneut die Einführung von Kinderfreibeträgen gefordert, was auch die Opposition im Bundestag mehrfach getan hat. Die Koalitionsfraktionen lehnen das entschieden ab.
Wir haben 1975 gemeinsam mit Ihnen die ungerecht wirkenden Kinderfreibeträge abgeschafft. Wir halten nichts davon, einen Familienlastenausgleich derart wieder einzuführen, daß diejenigen am meisten staatliche Vergünstigungen erhalten, die dieser staatlichen Vergünstigungen am wenigsten bedürfen.
Ein Weiteres. Franz Josef Strauß fordert die Angleichung der Vermögensaufstellung an die Werte der Ertragsteuerbilanz. Ich gehe davon aus, daß das, was entscheidend zur Vereinfachung in den Betrieben führen wird, nämlich die Angleichung der Vermögensaufstellung an die Ertragsteuerbilanz bei den Pensionsrückstellungen, in dem Steuerpaket der Koalition für 1981 vorhanden sein wird. Das kostet etwa 300 Millionen DM. Das aber, was Franz Josef Strauß fordert, nämlich die völlige Übernahme der Ertragsteuerbilanzwerte in die Vermögensaufstellung, ist schlicht nicht akzeptabel.
Nur an einem Beispiel will ich zeigen, warum wir das nicht akzeptieren können. Solange z. B. Sonderabschreibungen der Art existieren, daß man Schiffe in kürzester Frist abschreibt, so daß sie steuerlich mit null existieren, dieselben Schiffe aber gleichzeitig über die Weltmeere fahren — sie sind ja noch nicht verschrottet, sondern wohlgestaltet —, kann man doch nicht ernsthaft auf die Idee kommen, diese Schiffe in der Vermögensaufstellung mit null erscheinen zu lassen. Das würde doch zu enormen Verzerrungen führen. Von daher weisen wir diesen Vorschlag zurück.
Ein allerletztes Wort zur Forderung der FDP nach einem Kindergeldzuschlag, die Herr Genscher am Wochenende noch einmal wiederholt hat. Dieser Kindergeldzuschlag, den wir übrigens schon im Mai 1979 in unserem Kinderprogramm beschlossen haben, besagt folgendes. In den ersten sechs Lebensmonaten eines Kindes wird 300 DM monatlich auf das gewährte Kindergeld aufgeschlagen, um die finanzielle Belastung der Familie in diesen ersten Lebensmonaten des Kindes etwas erträglicher zu gestalten. Aber damit Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht täuschen: Das hat nichts mit dem von Ihnen propagierten Familiengeld oder Erziehungsgeld zu tun, wie Sie es heute wieder beantragen.
— Entschuldigung, ich kann leider keine Zwischenfragen zulassen. Sie erschweren es mir aber sehr, wenn Sie ununterbrochen dazwischenrufen.
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Frau Matthäus-Maier
Das hat nichts mit Ihren Vorstellungen zu tun; denn Sie wollen mit Ihrer familienpolitischen Komponente Ihre gesellschaftspolitische Vorstellung von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Familie durchsetzen. Nach Ihrer Konzeption soll das Familiengeld nur die Familie erhalten, in der einer von beiden Elternteilen seine Erwerbstätigkeit aufgibt. Eine Vorschrift von seiten des Staates, die bestimmt, wie die Familien die Kinder erziehen, die Haushaltsführung, die Berufstätigkeit der Ehegatten organisieren, ist mit liberalen Vorstellung nicht vereinbar.
Wir sagen: Es gibt einen Zuschlag auf das Kindergeld, und was die betroffenen Familien damit machen — ob beide halbtags arbeiten gehen, ob sie beide weiter arbeiten und jemanden einstellen, ob einer halbtags arbeitet —, ist nach liberaler Vorstellung allein von den Familien zu entscheiden, nicht aber durch staatliche Maßnahmen vorzuschreiben. Von daher lehnen wir Ihren Vorschlag ab und hoffen, daß unser Vorschlag eines Kindergeldzuschlages eine Mehrheit erhält.
Meine Damen und Herren, zu den aufgerufenen Einzelplänen liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Abstimmung über diese Einzelpläne erfolgt nach interfraktioneller Vereinbarung . um 14 Uhr. Um 14 Uhr wird gleichzeitig der Einzelplan 20 aufgerufen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksache 8/3379 — Berichterstatter: Abgeordneter Glos
Das Wort hat der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Glos.
Ich möchte in der Debatte sprechen.
Mir wurde gemeldet, daß Sie als Berichterstatter zu sprechen wünschen. Sie wünschen aber das Wort in der Debatte.
Ich eröffne die Debatte. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe die ganze Aufregung nicht, die es vorhin hier über die Präsenz gegeben hat. Wir erleben immer wieder, daß die Minister und auch die vielen Staatssekretäre hier nur sehr schwach vertreten sind,
und wir regen uns darüber nicht auf. Ich bin selbst-
verständlich gern bereit, hier über Wirtschaft zu re-
den, ohne daß der Herr Bundeskanzler anwesend ist. Ich verstehe nicht, warum der Herr Kollege Westphal über Steuern nur mit dem bayerischen Ministerpräsidenten reden will. Ich glaube, wir müssen hier die Kleiderordnung einhalten. Ich werde mich an diese Kleiderordnung halten.
Der ursprüngliche Entwurf des Haushalts des Bundeswirtschaftsministers, so, wie er dem Ausschuß zugeleitet worden ist, wies eine Gesamtsumme von 5,4 Milliarden DM aus. Das bedeutete eine Steigerungsrate von 6,3 %. Aus den Haushaltsberatungen ging der Haushalt mit einer Summe von 5,678 Milliarden DM hervor, was einer darin enthaltenen Steigerungsrate von 11,3 % entspricht. Herr Kollege Hoppe hat den Haushaltsentwurf ganz zuletzt bei der Bereinigungssitzung noch etwas verändert. Er hat das vorhin angesprochene Instrument der globalen Minderausgabe genutzt. Er hat einen Einzelhaushalt mit einer globalen Minderausgabe von 70 Millionen DM versehen. Er hat damit eigentlich gezeigt, daß der Bundeswirtschaftsminister diesen Haushalt nicht besonders sorgfältig aufgestellt hat. Ansonsten würde dieser Betrag irgendwo fehlen, und es wäre nicht möglich gewesen, dies zuletzt, so aus der hohlen Hand heraus, zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, während der Haushaltsberatungen kam noch ein Betrag von 253 Millionen DM für die Erhöhung der Kokskohlebeihilfe hinzu, die jetzt insgesamt über 1 Milliarde DM beträgt. Dieser Betrag soll Wettbewerbsnachteile für die deutsche Stahlindustrie ausgleichen, die entstehen, weil deutsche Kokskohle statt billiger Importkohle zur Rohstahlerzeugung verwendet wird. Insgesamt betragen die Ausgaben des Bundes für die Kohle, einschließlich Kohlepfennig, mehr als 5 Milliarden DM, davon allein 2,6 Milliarden DM im Einzelplan 09.
Ebenso haben wir alle gemeinsam im Haushaltsausschuß eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 186,7 Millionen DM für die Sanierung des Eschweiler Bergwerks-Vereins beschlossen, der ohne Finanzhilfe der öffentlichen Hand zur Schließung seiner Zechen gezwungen wäre. Die CDU/CSU hat dies selbstverständlich mitgetragen, weil wir der deutschen Steinkohle einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag, allerdings nicht den einzigen Beitrag, für unsere nationale Energieversorgung zugestehen.
Der Beitrag der deutschen Steinkohle zur Versorgung wird in den nächsten Jahren sicher weiter steigen. Trotz starker Ölpreiserhöhungen wird dies allerdings — und darüber müssen wir uns im klaren sein — zu noch höheren Subventionsleistungen aus der Bundeskasse führen.
Ebenso einmütig — und dafür bedanke ich mich herzlich bei den Kollegen Berichterstattern — ist es gelungen, entsprechend unserem Antrag die Zuschüsse zu Personalaufwendungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich kleiner und
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Glos
mittlerer Unternehmen um 90 Millionen DM über den ursprünglichen Ansatz hinaus zu erhöhen und gleichzeitig die Zweckbestimmung zu erweitern. Wir haben zwar ursprünglich eine andere Form gewollt, aber, nachdem dieses Programm so da ist und sehr rege angewendet worden ist, müssen wir verhindern, daß es zu einem unguten Windhund-Verfahren kommt. Wir müssen erreichen, daß alle Firmen, die einen Antrag stellen, auch entsprechend bedient werden.
Wir finden es auch sehr erfreulich, daß auf meinen Antrag hin die Mittel für die Auslandsmessen und für die Außenhandelskammern aufgestockt werden konnten. Hier kann man mit relativ geringen Mitteln echte Effizienz und echte Steigerung der Exportchancen und des Außenhandels erzielen und mittelständischen Firmen den Zugang zu diesen wichtigsten Märkten eröffnen.
Leider aber sind wir nicht durchgekommen, als wir eine Mehrheit dafür finden wollten, .den Titel „Förderung von Lehrgängen der überbetrieblichen beruflichen Bildung im Handwerk" auf den notwendigen Stand zu erhöhen.
Das deutsche Handwerk hat in den vergangenen Jahren eine große Ausbildungsbereitschaft bewiesen. Es hat z. B. im Jahre 1978 mehr als 600 000 jungen Menschen eine solide Ausbildung ermöglicht. Es hat ihnen damit das Schicksal der Arbeitslosigkeit erspart. Da dies gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die wir hinter uns haben, notwendig war, möchte ich an dieser Stelle dem gesamten deutschen Handwerk herzlich dafür danken.
— Herr Kollege Haase, das deutsche Handwerk hätte es verdient, wenn man diese Ausbildungsbereitschaft mit einer Aufstockung der Mittel belohnt hätte.
— Die FDP redet draußen in Sonntagsreden zwar immer anders, macht aber dann mit, wenn es darauf ankommt.
Wir kennen das aus dem Ausschuß.
Man hätte dem deutschen Handwerk einen Gefallen getan, wenn der Knüppel Ausbildungsabgabe endlich abgeschafft worden wäre. Statt dessen wird dieser Knüppel immer noch geschwungen, und Kollege Lutz von der SPD hat gesagt: Wir wollen den Knüppel im Sack behalten.
Erleichtert wurden uns die Haushaltsberatungen
— und hier bedanke ich mich ausdrücklich bei den Beamten, die das getan haben — zum einen durch ihre Informationsbereitschaft und zum anderen dadurch, daß die Anregungen meines Vorredners als Berichterstatter, des Kollegen Theo Waigel, aufgenommen worden sind und das Kap. 02 neugegliedert worden ist.
Insgesamt, Herr Bundeswirtschaftsminister, können Sie und Ihr Haus sich auf die CDU/CSU verlassen, wenn es darum geht, vernünftige Angebote und vernünftige Programme für die Wirtschaft und für den Mittelstand zu entwickeln und diese Programme dann auch durchzusetzen und mit entsprechenden Mitteln auszustatten.
Für uns ist die Erkenntnis nicht neu, daß man die Kuh, die man melken will, gut füttern muß und nicht schlachten darf. Viele SPD-Genossen, mit denen Graf Lambsdorff jetzt Umgang pflegen muß, haben früher noch mit Begriffen um sich geworfen wie „Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen", „Aktion gelber Punkt", „Profitgeier", „Unternehmer = Ausbeuter" usw. Der Druck der Verhältnisse, nicht die bessere Erkenntnis, hat Sie dazu gebracht, diese Vokabeln jetzt etwas wegzustecken, etwas weniger zu gebrauchen.
Mir erscheint auch sehr bemerkenswert, Herr Minister — und dafür bedanke ich mich bei Ihnen —, daß es Ihnen gelungen ist, die Bestrebungen von Finanzminister Matthöfer und der Gewerkschaften zurückzudrängen, den in Schwierigkeiten geratenen AEG-Konzern aus Steuermitteln zu sanieren. Das Konzept der Sanierung durch Banken und Industrie ist die ordnungspolitisch sauberere und bessere Lösung. Wer die freie Wirtschaftsordnung bejaht und die Funktion des Gewinns ausdrücklich anerkennt, der muß als Eigentümer auch für die Folgen wirtschaftlichen Fehlverhaltens einstehen.
Kleinere und mittlere Firmen bezahlen für schlechtes Wirtschaften und für daraus entstehende Verluste viel härter; wenn sie überschuldet sind, müssen sie den Gang zum Konkursrichter antreten, ohne daß dies von der Offentlichkeit groß beachtet wird. Niemand nimmt von den menschlichen Problemen Kenntnis, die bei Arbeitnehmern und Unternehmern durch solche Firmenzusammenbrüche im Mittelstand entstehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Aber bitte.
Verehrter Kollege, ich möchte Sie im Anschluß an Ihre Bemerkungen über die Not der AEG fragen: Können Sie mir dann erklären, wie es ordnungspolitisch zusammenpaßt, daß eine große Textilfirma in Niedersachsen aus dem dortigen Landeshaushalt saniert worden ist?
Diesen Vorgang kenne ich nicht.
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Glos
Ich habe die Information, daß dort nichts getan worden ist. Ich kenne den Fall nicht. Wir müßten uns anhand des konkreten Einzelfalles darüber unterhalten.
Der Bundeswirtschaftsminister hat ja reichlich Erfahrungen mit sanierungsbedürftigen Unternehmen sammeln können. So wurde z. B. in die bundeseigene DIAG, die ja zum ERP-Sondervermögen gehört und die damit dem Bundeswirtschaftsminister unterstellt ist, 1,1 Mrd. DM hineingepumpt, ohne daß die Arbeitsplätze dort gehalten wurden oder bis jetzt eine dauerhafte Gesundung dieses Unternehmens erreicht worden ist.
Die Pleite der Baufirma Beton- und Monierbau AG, bei der der Bund mit 50 Millionen DM Steuergeld als Bürge hängenbleibt
— bekanntlich wurde diese Firma in einer Nacht-
und-Nebel-Aktion im Eilverfahren mit einer Bundesbürgschaft versehen —, — —
Sie haben recht, diese Sünde hat hauptsächlich der Bundeskanzler zu verantworten, nicht der Bundeswirtschaftsminister. Wir wissen alle, daß der Bundeskanzler mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden die- ser Firma, Herrn Mommsen, befreundet war. Es gibt einfach keine andere Erklärung als Druck von oben dafür, daß man ein Prüfungsverfahren betreffend eine so wichtige Bürgschaft in dieser Höhe in drei Tagen abschließen kann,
— in drei Stunden; Herr Kollege Haase, ich bedanke mich —, daß man in drei Stunden eine Bonität feststellen kann,
während man sonst, wenn eine kleine Firma einen Kreditantrag stellt, Monate und Jahre prüft und den Antrag über hundert Behördenstellen laufen läßt, bis man endlich zu einer Entscheidung kommt.
Der Bundeswirtschaftsminister hat ja, vertreten durch seine Staatssekretäre Grüner und Schlecht, hier im Plenum des Deutschen Bundestages im nachhinein die Verantwortung für diese faule Sache übernommen. Herr Minister, es ist sicher sehr ehrenvoll, sich manchmal im nachhinein aus Solidarität vor seine Beamten zu stellen, wenn sie einmal Fehler gemacht haben. Dies ist mutig und verdient Respekt. Wenn man sich aber vor den Bundeskanzler und vor den Bundesfinanzminister stellt, so ist dies keine Frage des Mutes oder keine Frage der Solidarität, sondern eine Frage des nackten politischen Überlebens.
Wir sind jedenfalls sehr gespannt, was im Zuge der
Ermittlungen um die Vorgänge bei dieser Pleitefirma und ihrer Hausbank, der Westdeutschen Landesbank, noch für Querverbindungen aufgedeckt werden.
Leider verdienen nicht alle Ansätze in diesem Haushaltsplan gleichermaßen unser Lob. Deswegen muß ich, so leid es mir tut, auch ein paar kritische Bemerkungen dazu machen.
400 Millionen DM, die zur Verstärkung der Ausgaben im Kohlebereich deklariert sind, dienen in Wirklichkeit der direkten Entlastung des Landeshaushaltes von Nordrhein-Westfalen und hätten in diesem Einzelplan nichts zu suchen.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" spricht hier mit Recht von einem dubiosen Haushaltsansatz. Dieses Wahlgeschenk an Herrn Ministerpräsidenten Rau, das übrigens für drei Jahre vorgesehen ist und somit 1,2 Milliarden DM kosten wird, hat Herr Matthöfer seinen Oberbürgermeistergenossen im Ruhrgebiet versprochen, als er ihnen die Zustimmung zur Abschaffung der beschäftigungsfeindlichen Lohnsummensteuer abgetrotzt hat. Weil man dann hinterher ratlos war, wie man Mittel verschieben soll, ohne daß dies groß auffällt, hat man den Haushalt des Wirtschaftsministers dafür gewählt. Dieser Posten hat hier nichts verloren. Er gibt ein falsches Bild von der Größenordnung der Energiemaßnahmen und der Kohlehilfe insgesamt. Graf Lambsdorff hat mit seiner Zustimmung dazu die Rolle einer unseriösen Briefkastenfirma übernommen, die nur gegründet wird, um Geld zu verschieben.
— Das lehnen sie ab.
Damit ich nicht absichtlich falsch verstanden werde: Die CDU/CSU wendet sich nicht dagegen, daß jahrzehntelange Versäumnisse der nordrhein-westfälischen Landesregierung in der Strukturpolitik beseitigt werden und daß der Bund dabei hilft. Im Gegenteil, wir tragen alle Programme mit,
die in den verschiedenen Einzelplänen für das Ruhrgebiet vorgesehen sind. Hier beim Bundeswirtschaftsminister sind es neben den anfänglich erwähnten Kohlehilfen insbesondere die Mittel für Kohleverflüssigung und Kohlevergasung, Mittel für den Ausbau von Fernwärmeschienen und für den Bau von Kohleheizkraftwerken. Wir wollen, daß das Land an Rhein und Ruhr wieder zu einem blühenden Wirtschaftszentrum wird. Aber Geld dorthin zu verschieben, d. h. dies nicht auf saubere und transparente Art und Weise zu tun, hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack.
Ich bedaure sehr, Herr Bundeswirtschaftsminister,
daß Sie Ihren Namen für diese fragwürdige Transaktion hergegeben haben. Sie haben Ihrem Ruf als
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Glos
Ordnungspolitiker damit sicher nicht genutzt. Der Lack bröckelt langsam ab.
Eine traurige Nachricht für die strukturschwachen Gebiete unseres Landes, besonders für das Zonenrandgebiet, ist die Entwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
Der Ansatz wird in diesem Haushalt wiederum gegen unseren erbitterten Widerstand um 50 Millionen DM zurückgefahren, ein Zustand, mit dem wir uns im Interesse der Bürger in den benachteiligten Gebieten nicht zufriedengeben können. Wir haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Herr Kollege Warnke wird hierzu noch ausführlicher Stellung nehmen.
Obwohl hier vor zwei Wochen schon ausführlich über die Energiepolitik diskutiert worden ist, muß ich mir, da der Haushalt des Wirtschaftsministers gleichzeitig der Haushalt des Energieministers ist, noch ein paar Bemerkungen dazu gestatten. Wir sind jedenfalls alle sehr gespannt, wie mit der Leerformel „Kernenergie nur zur Deckung des Restbedarfs", die mit sehr dünner Mehrheit auf dem SPD-Parteitag nach vorherigem großem Getöse beschlossen worden ist, künftig Energiepolitik gemacht werden soll.
— Kein Politiker, Herr Kollege Wehner, auch Sie nicht, und keine Behörde kann den Restbedarf an Energie, der durch Kernenergie gedeckt werden muß, genau beziffern. Der SPD-Wirtschaftssprecher Wolfgang Roth hat bereits vor dem Berliner Parteitagsspektakel die Katze aus dem Sack gelassen und im Südwestfunk erklärt:
Ich glaube, wenn man diesen Antrag des Parteivorstands, der nach aller Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit finden wird, ernst nimmt, dann gilt, daß in den nächsten vier bis fünf Jahren kein neues Kernkraftwerk gebaut werden kann.
Trotzdem haben sich nur 58 % der Delegierten ihre Zustimmung zu diesem Antrag abpressen lassen.
Jetzt sagen Sie uns doch bitte anschließend, Herr Bundeswirtschaftsminister, Herr Energieminister, wie Sie mit dieser Entscheidung Ihrer Verantwortung, die Sie haben, gerecht werden wollen.
Halten Sie es für richtig, Herr Bundesminister, daß fünf Jahre lang kein Kernkraftwerk gebaut werden kann? Ich kenne persönlich Ihre Ansichten und Überzeugungen auf diesem Gebiet. Wenn Sie diese Überzeugungen nicht bald durchsetzen, müssen Sie die Konsequenzen ziehen. Sie tragen die Verantwortung für die Versorgung mit preiswerter und bezahlbarer Energie in den 90er Jahren. Die dafür notwendigen Entscheidungen müssen heute, nicht morgen oder übermorgen, getroffen werden.
— Die Frage ist beantwortet worden, Herr Kollege Reuschenbach. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie auch die Antwort gehört.
Jedermann weiß doch, daß vom Entschluß zum Bau eines Kernkraftwerkes bis zu dessen Inbetriebnahme mehr als zehn Jahre vergehen.
Weil Sie gerade von Entsorgung reden, Herr Kollege Reuschenbach: Ich möchte auch hier den Herrn Bundeswirtschaftsminister fragen, wie er zu Zeitungsmeldungen steht, die gestern aufgetaucht sind und von einer Zeitung lanciert worden sind, die bestimmt nicht der Union nahesteht, nämlich der „Westfälischen Rundschau". Hier heißt es:
Die Bundesrepublik plant eine Beteiligung am Bau und Betrieb eines großen gemeinsamen nuklearen Entsorgungszentrums in der Sowjetunion.
Angeblich sei eine Delegation hier, die verhandle. Wollen wir es denn den Russen auch noch in die Hand geben, in Zukunft über unsere sichere Energieversorgung zu entscheiden,
nachdem sie uns jetzt durch Aufrüstung in unserer militärischen Sicherheit ständig weiter bedrohen? Ich hoffe, daß heute in der Debatte dazu ein klares Wort geredet wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Martiny-Glotz?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Glos, wenn ich richtig informiert bin, wird in der Gegend von Schweinfurt ein Kernkraftwerk geplant.
Darf ich Sie fragen, was Sie Ihren Wählern zur Frage der Kernenergie sagen? Vertreten Sie vielleicht eine ähnliche Position wie der Landshuter Oberbürgermeister Deimer, der konträr zum Ministerpräsidenten Strauß argumentiert?
Verehrte Frau Kollegin, ich bin nicht geübt, Doppelstrategie zu fahren.
Ich sage auch in Schweinfurt den Wählern sehr klar,
daß wir Kernkraft brauchen, daß dies notwendig ist
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15219
Glos
und daß das Werk dort in Betrieb genommen werden muß, nachdem die Entsorgung geklärt ist.
Die Nachrichten von der Mineralölfront stimmen bedenklich. Verschiedene Gesellschaften haben ihre Benzinpreise erneut erhöht, allen voran die in mittelbarem Bundesbesitz befindliche Aral AG. Der Verbraucher hat zwar Verständnis für Preiserhöhungen, die darauf beruhen, daß Rohölpreissteigerungen weitergegeben werden müssen. Die Mineralölindustrie darf dabei aber nicht zuviel des Guten tun. Überdurchschnittliche Gewinnsteigerungen in Zeiten des Mangels sind ein Ärgernis. Der Bundeswirtschaftsminister ist ja im Aufsichtsrat der VEBA vertreten. Wir vertrauen darauf, daß er dort auch die Interessen der Verbraucher vertritt. Nur Willy Brandt sieht es anders. Er hat unter großem Beifall der Genossen auf dem Kongreß für Arbeitnehmerfragen in Nürnberg erklärt, der Herr Bundeswirtschaftsminister nehme die „Union der mächtigen öligen Hände vor jeder sachlichen Kritik in Schutz".
— Bitte sehr, Herr Haase.
Herr Kollege Haase, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Danke schön, gnädige Frau. — Herr Abgeordneter, darf ich fragen, ob Sie geneigt wären, an den Herrn Bundeswirtschaftsminister die Frage zu richten, was er gegen solche deutschen Unternehmen zu tun gedenkt, die, wie gestern in der Zeitung zu lesen war, im Ausland billiges Rohöl einkaufen und es auf dem Spotmarkt in Rotterdam für teures Geld weiterveräußern? Was gedenkt er in seiner Eigenschaft als Bundeswirtschaftsminister, in der er ja Einfluß auf dieses Unternehmen hat, das partiell vom Bund kontrolliert wird, dagegen zu tun?
Ich bin sicher, Herr Kollege Haase, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister darauf anschließend eine Antwort geben wird. Hoffentlich spricht er nicht so über den Spotmarkt, daß er hinterher nur Hohn und Spott erntet.
Energiesparen ist, besonders bei knapper werdendem Cl, nicht nur sinnvoll, sondern lebensnotwendig. Voraussetzung dafür ist, daß die Bevölkerung .über alle einschlägigen Möglichkeiten Bescheid weiß. Dafür ist allein in diesem Haushalt ein Betrag in Höhe von 41,5 Millionen DM vorgesehen.
Es wäre allerdings noch viel sinnvoller, wenn die öffentliche Hand, von den Ministern bis zu den kleinen Behörden vor Ort, ein Beispiel gäbe. Auf Seite 8 der „Spartips" des Ministers heißt es: Energiesparen kann beim Kauf eines Autos beginnen. Richtig! Unsere Industrie bemüht sich mit Erfolg darum, benzinsparende Autos zu entwickeln und zu bauen. Viele Käufer haben den Zug der Zeit auch erkannt und bevorzugen kleinere, energiesparendere Autos. Nicht so die Bundesregierung. Man höre und staune: Während man dem Volk Sparen verordnet, wird gleichzeitig die PS-Klasse für Dienstwagen der Staatssekretäre der Bundesregierung von 150 auf 170 PS erhöht,
sicher auch mit Ihrer Zustimmung, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wo war denn hier Ihr mahnendes Wort? Der so oft zitierte mündige Bürger, dem man von Amts wegen Sparen verordnet, kann hier ein Schulbeispiel von Theorie und Praxis einer pseudoliberalen Energieeinsparungspolitik erleben.
Unsere Autofahrer sind besser als ihr Ruf. So liegt der Benzinverbrauch trotz eines um 6,2 % erhöhten Kraftfahrzeugbestandes nur um 1,4 % über dem Vorjahresniveau. Auf die Zahl der Autos bezogen, ergibt sich eine Einsparung von 4,8 %, und dies ohne dirigistische Maßnahmen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen. Diese Zahlen stärken sicher dem Wirtschaftsminister gegenüber seinem Kollegen Hauff, der mit Verboten arbeiten will, den Rücken. Der deutschen Automobilindustrie, von der nach wie vor jeder siebte Arbeitsplatz in unserem Lande abhängt und die ohnedies für die kommenden Jahre einen Produktionsrückgang befürchten muß, sind weitere Verunsicherungen ihrer Kunden wenig hilfreich.
Prognosen sagen uns eine weitere kräftige Steigerung der Ölpreise voraus. Der VEBA-Chef spricht in einem Interview sogar davon, in den nächsten Jahren sei mit einer zwei- bis dreifachen Energiepreiserhöhung zu rechnen. Der EG-Kommissar Brunner prophezeit, bereits im April würde ein Liter Benzin 1,25 DM kosten.
Es ist sicher sehr schwierig, zu diesen Zahlen Stellung zu nehmen. Es gibt auch optimistische Schätzungen, die für das kommende Jahr eine Entspannung am Ölmarkt erwarten. Es ist jedoch sicher, daß die Preisentwicklung von politischen Risiken bestimmt wird, die sich weitgehend unserer Einflußnahme entziehen. Eine unserer Hauptwaffen gegen das Preisdiktat der OPEC-Staaten ist das Energiesparen. In dieser Situation aber eine Sondersteuer auf Mineralölprodukte einzuführen, wie der Sachverständigenrat es gefordert hat, hieße geradezu die Ölförderländer zu weiteren Preiserhöhungen animieren.
Deswegen lehnen wir eine solche Sondersteuer auch mit Nachdruck ab.
Die unsichere politische Lage im Iran, in der unsere Sympathie und unsere Anteilnahme den inhaftierten Geiseln und der Haltung Amerikas gelten,
die unsichere Lage im Nahen Osten insgesamt und
auch der herannahende Winter zwingen zu der Fra-
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Glos
ge, wie unsere Ölversorgung aussähe, wenn es zu einem Stopp der Lieferungen aus diesen Gebieten käme.
Der Herr Finanzminister hat sich vorhin hier so gebrüstet, wie gut die Ölbevorratung geregelt sei und wie gut das Geld dort angelegt sei. Deswegen bin ich gezwungen, darauf etwas detaillierter einzugehen. Die Ölbevorratung, die 1970 beschlossen worden ist, sah ein Bevorratungsziel von 10 Millionen Tonnen vor. Als Gesamtkosten waren damals 750 Millionen D-Mark veranschlagt, und zwar 420 Millionen DM für den Kavernenbau, 330 Millionen DM für den Erwerb von Rohöl, was damals einer Menge von 10 Millionen Tonnen entsprochen hat. Vom Haushaltsansatz 1971 bis zum Haushalt 1980 sind die veranschlagten Gesamtkosten auf 2,7 Mrd. DM gestiegen. Bis jetzt sind allerdings leider nur 6 Millionen Tonnen eingelagert.
Das Bevorratungsziel ist also bei weitem nicht erreicht. Der Rohölkauf sollte ursprünglich in den Jahren 1974 und 1975 erfolgen.
Nach den damaligen Preisen hätten die 10 Millionen Tonnen Rohöl 1,2 Mrd. DM gekostet. Wenn die Bundesregierung pflichtgemäß die im Jahre 1979 vom Parlament zur Verfügung gestellten Mittel in Höhe von 570 Millionen DM zum Rohölerwerb genutzt hätte, dann hätte sie zirka 3 Millionen Tonnen am Anfang des Jahres 1979 kaufen können; denn die Tonne Rohöl hat damals nur zirka 200 DM frei Grenze gekostet.
Dies ist versäumt worden, unsere Versorgungssicherheit ist vernachlässigt worden. Von dem im Haushalt 1979 zur Verfügung gestellten Betrag ist nichts abgeflossen, keine Mark ausgegeben worden. Ím Gegenteil ist dieser Titel statt dessen immer wieder als willkommene stille Reserve betrachtet worden, aus der man Nachtragshaushalte beliebig finanzieren konnte.
Im Verlauf des Jahres wurde ein Ölerwerb auf dem Spot-Markt auch schwieriger, so daß das Wirtschaftsministerium auf den Ölkauf überhaupt verzichtete, obwohl Rohöl — da gebe ich Herrn Bundesminister Matthöfer recht — die beste Geldanlage überhaupt gewesen wäre.
Außer bei Gold ist der Preis bei keinem Produkt in letzter Zeit vergleichbar gestiegen. Wenn wir das Vorratsziel von zehn Millionen Tonnen überhaupt noch erreichen wollen und im Jahre 1979 nichts gekauft worden ist, so wäre es die logische Folgerung gewesen, die Finanzmittel im Haushalt 1980 dafür entsprechend zu erhöhen. Es ist nichts dergleichen geschehen; es ist lediglich eine Summe von 254 Millionen DM in diesen Haushalt 1980 eingesetzt worden. Dieser Betrag reicht nach heutigem Preisstand maximal zum Erwerb von 0,8 Millionen Tonnen, so daß das dringend notwendige Bevorratungsziel von 10 Millionen Tonnen, für die auch Lagerraum vorhanden ist, in weite Ferne gerückt ist.
Ich halte das für eine sträfliche, unverantwortliche Vernachlässigung unserer vitalen Lebensinteressen.
Wir müssen es ablehnen, dafür Mitverantwortung zu übernehmen.
Herr Minister, wir erwarten, daß die Bevorratungsverpflichtung baldmöglichst erfüllt wird. Ein Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ist unzumutbar. Unsere Erpreßbarkeit ist um so größer, je weniger wir eingelagert haben.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung auf dem Energiemarkt stellt sich natürlich auch die Frage, wie es mit Konjunktur und Wachstum der deutschen Wirtschaft 1980 weitergehen wird. Die Prognosen sind äußerst widersprüchlich. Nicht wenige erwarten angesichts der Ölpreisexplosion in der Bundesrepublik Deutschland eine spürbare Konjunkturabschwächung. Das Ifo-Institut hält die Verringerung des Wirtschaftswachstums auf 2 bis 2,5 für möglich. Die Prognose des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel liegt sogar noch unter diesem Wert. Der Deutsche Industrie- und Handelstag sieht demgegenüber durchaus Chancen, daß sich der derzeitige Konjunkturaufschwung auch 1980 fortsetzen wird, vielleicht in geringerem Tempo. Diese deutlich auseinanderklaffenden Erwartungen beruhen offensichtlich auf einer unterschiedlichen Bewertung der zweifelsohne vorhandenen Konjunktur- und Wachstumsrisiken. Deren tatsächliche Auswirkung auf den Wirtschaftsverlauf des kommenden Jahres kann heute sicher niemand mit ausreichender Genauigkeit abschätzen.
Generell müssen die Bemühungen zur Verstetigung des derzeitigen Konjunkturaufschwungs darauf konzentriert werden, daß die von außen kommenden Inflationsimpulse nicht zum Verstärker für binnenwirtschaftlich verursachte Preissteigerungstendenzen werden. Zu diesen Preissteigerungstendenzen hat nicht zuletzt die erneute Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli dieses Jahres beigetragen.
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Der Zeitpunkt dieser Erhöhung war falsch. Das beweist die Entwicklung an der Preisfront.
Wir alle wissen nur zu gut: Inflation ist Gift für Konjunktur und Wachstum und führt über kurz oder lang auch zur Beschäftigungslosigkeit. Die Preissteigerungsrate von 5,7 % birgt große Gefahren in sich. Über die Preisentwicklung des Jahres 1980 entscheidet gerade auch das maßvolle und verantwortungsbewußte Verhalten aller für die binnenwirtschaftliche Preis- und Kostengestaltung verantwortlichen Gruppen unserer Gesellschaft. Mit einer Lohnerhöhung, die auf die Arbeitnehmer wieder zurückschlägt, ist niemandem gedient. Den Betrieben würden nur zusätzliche Kosten aufgelastet, welche die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze gefährden könnten.
Zugegeben, Herr Minister: Viele, die ihr Augenmerk nur auf kurzfristige Erfolge lenken dazu rechne ich auch manche Spitzen der deutschen Industrie —, sind über Ihre Politik nicht unglücklich. Der „Spiegel" schreibt am 29. Oktober, Sie seien der oberste Sales-Promoter der deutschen Industrie. Er schreibt weiter: „Im Ausland arbeitet der Wirtschaftsminister vornehmlich als Industrie-Lobbyist. Das ist sicher eine notwendige Aufgabe — wir begrüßen und unterstützen diese Aufgabe —, aber sicher kommt diese Aufgabe auch der Spendenkasse Ihrer Partei zugute.
Wir erkennen Ihr Bemühen um Verkaufsförderung selbstverständlich an, weil wir wissen, daß jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, Herr Bundesminister, daß Sie den Freihandel international hochhalten und auch innerhalb Ihrer Koalitionsreihen einen schwierigen Kampf — wir wissen ja, mit welchem Partner Sie sich schlagen müssen — für die konsequente Verwirklichung der Marktwirtschaft kämpfen. Sie haben die Pläne des Herrn Ehrenberg dankenswerterweise zurückgewiesen, als es um die drastische Begrenzung der Überstunden im Rahmen einer Novellierung der Arbeitszeitordnung ging. Wir kennen Ihren klaren Widerstand gegen die Absicht, die Bemessung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung von der Lohnsumme abzukoppeln und eine „Maschinensteuer" einzuführen. Wir wissen auch, daß Sie immer wieder geprügelt werden, wenn Sie marktkonforme Sozialpolitik fordern. Wir nehmen Sie auch in Schutz, wenn der stellvertretende Obmann der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion Sie mit den Worten zu verleumden sucht: Der Minister identifiziert sich so nahezu ausschließlich mit den Interessen des Kapitals in unserem Land, daß man nur die Themen kennen muß, mit denen sich Graf Lambsdorff befassen will, um Wetten über den Inhalt einer Ministerkundgebung abzuschließen.
Sie werden bei solchen Fragen, bei denen wir Sie in Schutz nehmen, immer unsere Unterstützung finden.
Aber bitte, Herr Minister, suchen Sie sich einen anderen Weg, um den Sozialisten in der SPD zu gefallen und dadurch Ihr politisches Überleben zu sichern, als Ihre immer wiederkehrenden blindwütigen Attacken gegen den bayerischen Ministerpräsidenten!
Aussagen wie: „Ein Kanzler Strauß muß alle erschrecken, die jene Freiheiten ausbauen und wahren wollen, die wir tins seit der Gründung der Bundesrepublik geschaffen haben" sind unter Ihrem Niveau und eines seriösen Politikers unwürdig.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon längst zu Ende.
Das tut mir leid, Frau Präsidentin. Da die Mittagspause sowieso gleich beginnt —
Verehrter Herr Kollege, das können Sie natürlich nicht machen. Im übrigen habe ich Ihnen großzügigerweise schon zwei Minuten mehr gegeben. Kommen Sie bitte zum Schluß!
Herr Minister, ich fasse zusammen: Wir sind weder mit Ihrer Energiepolitik noch mit Ihrer Strukturpolitik einverstanden. Wir beanstanden, daß Sie die Rohölbevorratung vernachlässigt haben, daß Sie Ihren Haushalt als Verschiebebahnhof mißbrauchen lassen und daß Sie Ihrer Verantwortung bei der fragwürdigen Bürgschaftsgewährung an die Beton- und Monierbau nicht gerecht geworden sind.
Wir müssen diesen Haushalt daher ablehnen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt eine Fraktionssitzung.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Deutschen Bundestag gern folgendes mitteilen. Der Präsident und führende Mitglieder der Interparlamentarischen Gruppe der Vereinigten Staaten von Amerika haben angeregt, dem Schiitenführer Ayatollah Khomeini ein Telegramm mit der Forderung nach Freilassung der amerikanischen Geiseln im Iran zu senden. Ein entsprechendes Telegramm ist in Absprache mit dem Bundestagspräsidenten, von den Abgeordneten Amrehn, Frau Dr. Timm und an-
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Vizepräsident Leber
deren Mitgliedern der deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union entworfen worden.
Ich komme der Bitte, den Inhalt dieses Telegramms dem Deutschen Bundestag mitzuteilen, gern nach. Es hat folgenden Wortlaut:
Die Interparlamentarische Gruppe der Bundesrepublik Deutschland, bestehend aus allen Mitgliedern des Bundestages, unterstreicht nachdrücklich die kürzliche Entschließung des Sicherheitsrates und ersucht aus humanitären Gründen um unverzügliche Freilassung der amerikanischen Geiseln und Einhaltung der Bestimmungen des Völkerrechts über diplomatisches Personal, die für alle Länder der internationalen Gemeinschaft gelten und verbindlich sind. Wir fordern die iranischen Behörden auf, alle Geiseln sofort freizulassen und ihnen bis dahin den in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen vorgesehenen vollen Schutz einschließlich regelmäßiger Besuche bei allen Geiseln durch neutrale Beobachter zu gewährleisten.
Es folgen die Unterschriften.
In Fortsetzung der Tagesordnung kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Einzelpläne 08, 32 und 60, über die die Aussprache bereits heute vormittag geführt und abgeschlossen worden ist.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 08 auf.
Hierzu liegt auf der Drucksache 8/3474 unter Nr. 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist von der Mehrheit des Hauses angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 32. Wer dem Einzelplan 32 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen?
— Der Einzelplan 32 ist angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 60. Wer dem Einzelplan 60 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen?
— Der Einzelplan 60 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 20 Bundesrechnungshof
— Drucksache 8/3387 — Berichterstatter: Abgeordneter Augstein
Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan 20 ist angenommen.
Wir fahren nun fort in der unterbrochenen Debatte zu Punkt 10 der Tagesordnung, nämlich zum Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft —. Dazu liegen mir Wortmeldungen vor. Ich erteile das Wort zuerst der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Berlinerin wäre, würde ich zur Rede von Herrn Glos sagen: Junge, Junge, det war en Klops! Und das wäre auch alles, was man dazu zu sagen hätte. Nur ist es nicht meine Aufgabe, auf Ihren etwas mißglückten Versuch einer wirtschaftspolitischen Rede Antwort zu geben, sondern zu dem uns vorgelegten Plan des Wirtschaftsministeriums Stellung zu nehmen. Insoweit kehre ich also zu dem zurück, was wir im Haushaltsausschuß beraten haben, und werde ich mich nur am Rande mit dem beschäftigen, was Sie hier vorzutragen versucht haben.
Sie haben zwar, Herr Glos — das gebe ich Ihnen zu —, einen gelungenen Versuch gemacht, Realität zu verfremden. Ich habe mich an einigen Stellen verzweifelt gefragt, von welchem Entwurf Sie ausgehen. Aber ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ein paar Titel, die Sie genannt haben, auch in dem Entwurf, der uns vorliegt, vorkommen, so daß ich annehme — —
Ihr seid alle ein bißchen laut. Das macht es so problematisch, zu reden.
— Ich gebe also zu, Sie müssen offensichtlich den Entwurf gehabt haben, den ich kenne. Deswegen werden wir uns jetzt einmal damit beschäftigen.
Ich glaube, Sie sind auf drei Punkte nicht ganz so eingegangen, wie es der Entwurf eigentlich verdient hätte, und die in den Augen meiner Fraktion für die weitere ausgewogene Entwicklung unserer Wirtschaft bzw. für die Lösung auch internationaler Probleme von größter Bedeutung sind.
Erstens handelt es sich um die Sicherung der Rohstoffversorgung, insbesondere um die Sicherung der Energieversorgung, und ganz besonders auch um den Schwerpunkt der Energieeinsparung. Sie haben dazu allerdings einige Worte gesagt.
Zweitens handelt es sich um Maßnahmen zur Mittelstandsförderung und zur Stärkung der Wettbewerbspolitik.
Drittens handelt es sich um Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Ich gehe noch einmal darauf ein, weil Sie wieder einmal
— vielleicht schon zum zweiten- oder drittenmal — einer Ente Ihres bayerischen und auch sonstiger CDU-Ministerpräsidenten aufgesessen sind.
Niemand wird grundsätzlich bestreiten, daß diese drei Aufgaben von großer wirtschaftspolitischer Be-
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Frau Simonis
deutung sind. Es geht doch nur darum, wie und in welchem Maße der Staat Einfluß nehmen soll, um das zu erreichen, was wir alle gemeinsam wollen. Für mich heißt das aber auch insbesondere Fragen danach zu stellen, welche Auswirkungen in regionaler, sektoraler und einkommensmäßiger Hinsicht in Zukunft zu erwarten sind.
Bei Ihnen in der Opposition heißt das dann immer so wirtschaftsphilosophisch die „Wahrung des ordnungspolitischen Rahmens". Ich gestehe Ihnen ehrlich: Darunter kann sich niemand etwas Vernünftiges vorstellen. Eine schöne politische Rundumkeule ist dieser Begriff aber allemal, weil ihn nämlich niemand versteht und jeder das Gefühl hat, es handle sich um „ordnungsgemäßes" wirtschaftliches Handeln, wenn man Subventionen nur als im Einklang mit der Ordnungspolitik des Marktes erklärt. Ich glaube, daß dies alleine nicht ausreicht, um Finanzierungsmaßnahmen der Regierung zu beurteilen.
Ich möchte nämlich gerne wissen, was damit gemacht wird, wer in welchem Maße davon profitiert und welche einkommenspolitischen Maßnahmen davon zu erwarten sind bzw. was der Steuerzahler zu bezahlen hat, weil ich nämlich nicht mehr viel Lust habe, mich als SPD-Haushälter hier im Plenum und draußen in den Zeitungen beschimpfen zu lassen, wir könnten nicht mit Geld umgehen. Wenn man aber als Haushälter wagt, irgendeine Forderung abzulehnen, dann stehen plötzlich lauter nette Menschen auf der Matte und erklären, daß sie überhaupt keine ordnungspolitischen Magenschmerzen mehr hätten, sondern daß wir eine bestimmte Summe ganz schnell und ganz geräuschlos und möglichst in dem Rahmen, den sie sich vorgestellt hätten — ohne irgendwelche Seelenschmerzen, die sie sonst immer haben, wenn sie von der Gefährdung der Marktwirtschaft reden —, zur Verfügung zu stellen hätten, die sie brauchten und die sie uns vorgerechnet hätten.
Das ist nämlich Ordnungspolitik, Herr Glos, wenn man hingeht und einmal nein sagt, anstatt in große Krokodilstränen auszubrechen, wie Sie das hier beim Mittelstand und beim Handwerk gemacht haben. Ich weiß, Sie müssen weinen, weil Sie Handwerker und mittelständischer Gewerbetreibender sind. Aber es war nicht nötig; ich werde Ihnen nachher auch erklären, warum es nicht nötig war.
— Es war hervorragend, was er gesagt hat, das stimmt. Er hat auch schön geweint, aber das war nicht nötig.
Es gehört heute beinahe schon zum guten Ton und zu den Pflichtübungen eines jeden Politikers — auch Herr Glos hat das gemacht —, von der Bedrohung der Energieversorgung zu sprechen. Dann wird übereinstimmend gefordert, daß die Regulierung des Verbrauchs dieses knappen Rohstoffes über den Preis zu erfolgen hätte. Ordnungspolitiker jubeln, denn dies ist ja systemkonform. Über die verteilungspolitisch negativen Wirkungen einer solchen Art von Energieeinsparung höre ich hier im Plenum eigentlich nur immer etwas in Fragestunden, nämlich dann, wenn der eine oder andere Abgeordnete aus der Regierungsfraktion aufsteht und die Regierung fragt, ob man denn das auch bedacht habe. Wenigstens dann heißt es: Doch, doch, wir bedenken das, und wir werden auch etwas dagegen tun.
Die veröffentlichten Zahlen über die geradezu phantastischen Gewinne der multinationalen Ölkonzerne, die sie 1979 einstreichen werden — und die selbst die nicht einmal zimperlichen OPEC-Staaten zum lauten Nachdenken über weitere Preiserhöhungen angeregt haben — sind auf der einen Seite nicht nur das Ergebnis unkontrollierten Monopolverhaltens, was weiß Gott nicht marktkonform ist, sie sind auf der anderen Seite auch verteilungspolitisch fatal, weil sie in besonders hartem Maße von kleinen und mittleren Einkommensempfängern
und selbstverständlich auch von kleinen und mittleren Gewerbetreibenden getragen werden müssen. Keiner Ihrer sonst so munteren und tapferen Gralshüter ordnungspolitischer Marktpolitik ist hier aufgestanden und hat irgend etwas gegen diese Gewinne gesagt. Es bleibt sozialdemokratischen Politikern vorbehalten, auch dieses in Fragestunden anzusprechen Die Opposition begnügt sich dann mit Zwischenrufen wie „unverschämt" und „da muß man doch mal darauf hinweisen, daß die Regierung keine Möglichkeit hat".
— Ja, man sollte immer was tun, Herr Haase. Das sagen Sie hier, man muß was tun. Aber wenn die Regierung was tut, dann schreien Sie, daß die Marktwirtschaft gefährdet sei.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
. Ja, selbstverständlich.
Frau Kollegin Simonis, würden Sie mir ausdrücklich bestätigen, daß ich in meiner Rede vorhin gesagt habe, daß überdurchschnittlich steigende Gewinne in Mangelzeiten ein Ärgernis sind?
Ja, Herr Kollege Glos, ich habe mit sehr viel Interesse vernommen, daß Sie doch ein bißchen von Doppelstrategie verstehen, nämlich in einer Rede dies hier zu Protokoll zu geben, damit Sie zu Hause sagen können: Ich habe auch was gegen die Großen gesagt, aber wenn dann was gemacht wird, empört aufzuschreien, daß an der freien Marktwirtschaft die kleine Axt angelegt wird. Dies ist Doppelstrategie
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Frau Simonis
Das Parlament hat einstimmig — das gebe ich zu — durch seinen Beschluß, einen Heizölkostenzuschuß an die sozial Schwachen zu gewähren, auf diesem Gebiet gewisse Erleichterungen geschaffen. Dennoch trifft die Preispolitik der Ölkonzerne die kleinen Einkommensempfänger immer noch empfindlich hart.
Nebenbei darf ich Ihnen als Haushaltspolitiker mal sagen, dieser Zuschuß hat im Budget des kleinen Privatmannes lediglich den Charakter eines durchlaufenden Postens. Wir hätten genauso gut beschließen können, es direkt auf die Gewinnkonten der Ölkonzerne zu überweisen, falls diese es nicht als zu genierlich empfunden hätten, direkt von uns subventioniert zu werden;
sie scheinen es vorzuziehen, es über den Preis zu machen.
— Ja, natürlich habe ich zugestimmt. Soll ich denn weiterhin zuschauen, daß kleine Einkommensempfänger den Unsinn bezahlen, den multinationale Ölkonzerne machen und, wenn wir was dagegen unternehmen wollen, daß Sie dann hier als Marktpolitiker auftreten.
— Ich danke Ihnen, daß Sie mir einmal recht geben. Das spricht fast für Sie, daß Sie mir in diesem Punkt recht geben.
Eucken und seine Schule haben sicherlich an eine andere Wirtschaftsorganisation als an die, die wir heute vorfinden, gedacht. Er hat ganz gewiß auch nicht daran gedacht — das kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen —, daß ein großes deutsches Energieunternehmen Nordseeöl — wie Sie bereits angedeutet haben — zu ungefähr 25 Dollar einkauft und es dann, wie es im Rundfunk geheißen hat, „nach international üblichen Ringtauschaktionen" auf dem deutschen Markt zu 35 Dollar verkauft
und dann auch noch erklärt, dieses — —
Ach wissen Sie, das waren nicht die öligen Hände des Ministers.
Das waren die öligen Hände der Konzernherren.
Sie müssen nicht immer die Falschen angreifen,
Herr Glos. Das macht Ihre Politik so wirkungslos,
weil Sie immer die Falschen hauen. Hauen Sie doch
einmal die Richtigen; dann könnte bei Ihnen vielleicht sogar mal was herauskommen.
— Ich rede ja nicht von Aral. Ich rede von einem ganz anderen Konzern. Sie müssen mal die Zeitung lesen. Wir haben im Moment einen anderen im Auge. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Es ist eben nicht Aral.
— Ich will nun also von Ihren „öligen Händen" wieder zu meinem Manuskript zurückkommen, damit ich weiterreden kann.
— Mein Manuskript ist nicht ölig, nein. Ich finde, solche Preisprofite unanständig und hätte es auch richtig gefunden, wenn Sie das so gesagt hätten. Zum Teil geben Sie ja zu, daß es unanständig ist. Ich erwarte von den ordnungspolitischen Jüngern in der Opposition, daß sie mehr tun als nur den Herrn Glos hier nach vorne schicken
und auch mal sagen, was sie von solchen Aktionen halten.
— Ja, Herr Glos, die, die sonst — —
— Ach, sind Sie der Experte, ach so? Ich hoffe aber doch, daß später noch andere Redner von Ihnen kommen und daß die auf diesen Punkt eingehen werden und richtig sagen, daß das nach Marktgesichtspunkten nicht anständig war, was dort passiert ist, und daß das nicht nur Sie allein hier auszukämpfen haben. Aber ich erkenne an, daß Sie es gesagt haben.
Energiepolitik, die also einerseits alle gleichermaßen zum Sparen anregt und die gleichzeitig die heimischen Energieträger stärkt und unsere internationale Abhängigkeit abbauen will, muß konsequenterweise die Verstärkung der Kohlehilfen in der Bundesrepublik nach sich ziehen. Deswegen verstehe ich auch nicht, Herr Glos — und fast muß ich Ihren Todesmut bewundern, mit dem Sie hier nach vorn gehen —, daß Sie bejammern, daß die Regierung einen Betrag von 400 Millionen DM zur Verstärkung der Kohlehilfen des Landes Nordrhein-Westfalen mit in den Haushaltsplan eingestellt hat. Die nationale Versorgung mit heimischen Energieträgern, die nebenbei übrigens noch den positiven Effekt hat, daß wir von internationalen Rohstoffträgern und internationalen multinationalen Konzernen unabhängig werden, können Sie doch nicht allein unter haushaltstechnischen Gesichtspunkten abhandeln wollen. Das haben wir doch sonst auch nicht so gemacht, sondern das muß man politisch
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Frau Simonis
entscheiden. Auch die Bayern, die so große Schwierigkeiten haben, dem „feindlichen Preußen" die eine oder andere Mark zur Verfügung zu stellen, werden am Ende dafür zu bezahlen haben, wenn wir nicht weiterhin Nordrhein-Westfalen unterstützen. Herr Pieroth hat erklärt, daß der Eschweiler Bergwerks-verein auch noch Geld bekäme, sei eine subventionspolitische Schande; so ähnlich hat er sich ausgedrückt. Ich muß Ihnen sagen: Ich finde es in Ordnung, daß da etwas gemacht wird, denn wir brauchen diese Kohle.
— Wir haben es zufällig einstimmig beschlossen.
Sie müßten vielleicht vorher mit Herrn Pieroth reden
— das werde ich Ihnen sowieso an einer anderen Stelle noch einmal empfehlen —, damit bei Ihnen die rechte Hand weiß, was die halbrechte meint oder will, damit nicht der eine Ausschuß mit uns einer Meinung ist und ein anderer Ausschuß uns dafür prügelt.
Herr Glos, Sie haben vorhin etwas zu den Bürg- schalten gesagt. Sie haben die Beispiele genannt, wo etwas in den Sand gebaut worden ist. Sie haben aber nie etwas gesagt, wenn Bürgschaften beantragt wurden, von denen sich die Antragsteller erhofft haben, daß es ihren Geschäften dienlich ist. Wären Sie doch dann einmal aufgestanden und hätten gesagt: Hier nicht und dort nicht, für dieses Geschäft und für jenes Geschäft nicht!
Ich hätte mit Ihnen gestimmt, vielleicht sogar gegen meine eigene Fraktion.
Aber sich hinterher hier hinzustellen, wenn irgendeine Sache schiefgegangen ist, und dann zu sagen „Dies habe ich auch gewußt!", dies ist ein bißchen zu' einfach, Herr Glos, um es hier als „haushaltspolitischer Experte für Wirtschaftsfragen" verkaufen zu dürfen.
— Herr Haussmann hat ja noch nicht gesprochen. Wie ich den Kollegen Haussmann aus den vorhergehenden Jahren kenne, wird er nicht viel Unvernünftiges sagen. Deswegen habe ich dazu nichts zu sagen. Ich muß mich mit Ihnen auseinandersetzen, nicht mit Herrn Haussmann.
— Nichts Unvernünftiges; Entschuldigung, Herr Haussmann.
Im übrigen, Herr Glos, bin ich heilfroh, daß jetzt auch im Protokoll des heutigen Tages steht, daß Sie der Meinung sind: Kernenergiekraftwerke dürfen gebaut werden, nachdem die Entsorgung gesichert ist. Sie müßten doch im Grunde genommen mit der Beschlußlage des Berliner SPD-Parteitags so glücklich sein wie kaum ein Mensch zuvor;
denn Sie bestätigen das, was dort mit Mehrheit von uns beschlossen wurde, nämlich daß auch wir nichts gegen Kernkraftwerke haben, nachdem die Entsorgung sicher ist. Wir sind ja nicht wirklichkeitsfremd.
Nur, Herr Glos: Vielleicht reden Sie einmal mit Ihrem Ministerpräsidenten, der ja erklärt hat, in seinem Land werde ein Zwischenlager auf keinen Fall eingerichtet. Der kokettiert nämlich gern ein bißchen mit den Grünen und sagt: Endlagerung? — Bei uns nicht; aber Kernenergie bei den anderen, das können die dann machen.
Wenn Sie uns in die Lage versetzen, daß wir überall dort, wo es CDU/CSU-Ministerpräsidenten gibt, keine Endlager anlegen dürfen, daß in denselben Ländern, in denen es CDU/CSU-Ministerpräsidenten gibt, auch keine Genehmigungen zum Bau von Kernkraftwerken mehr erteilt werden — was, um Gottes willen, sollen wir denn noch energiepolitisch machen? Sie zurren doch alles fest und laufen dann durch die Lande als die großen energiepolitischen Zampanos, und dies, obwohl Ihre Ministerpräsidenten vorher alles zugenagelt haben.
— Natürlich stimmt das. Lesen Sie es sich noch einmal durch.
— Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, dann lassen Sie sich einmal von Herrn Albrecht einladen und besprechen das mit ihm ganz in Ruhe unter vier Augen. Er erklärt es Ihnen vielleicht, wie das faktisch läuft. Ich habe jedenfalls begriffen, was er vorhat:
Sie haben meiner Meinung nach ein bißchen zuwenig Wert auf die Tatsache gelegt, daß in diesem Haushaltsplan eine ganze Menge Mittel zur Verfügung stehen, um Energieeinsparungen vorzunehmen. Meine Fraktion ist der Meinung, daß angesichts der weltweiten Verknappung von Energie, die die Ärmsten der Armen in der Dritten und der Vierten Welt beinahe über den Rand des Existenzminimums hinaustreibt, es nicht möglich sein darf, 01 weiterhin in der Attitüde eines Großmanns, der ja alles bezahlen kann, zu verbrauchen, als ob dieses aus dem heimatlichen Küchenwasserhahn fließen könnte.
Wir können es uns bei uns auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten nicht leisten, die Forderung nach Wohlstand und Freiheit für uns aufrechtzuerhalten, wenn für andere Länder damit die Freiheit verbunden ist zu verhungern. Marktwirt-
15226 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Frau Simonis
Schaft ist keineswegs eine geschlossene Veranstaltung zur Verteidigung ökonomischer Privilegien, sondern sie muß in erster Linie der Aufgabe einer weltweiten Verteilung von materiellem Wohlstand und der Abwendung von Armut dienen.
Ich begrüße daher alle Maßnahmen, die der Wirtschaftsminister in seinen Einzelplan zur Energieeinsparung eingestellt hat. Allerdings muß ich Sie fragen, Herr Minister: War es denn unbedingt nötig, daß auch die deutschen Gasunternehmen mit bezuschußt werden, wenn sie Gasleitungen bauen? Müssen denn ausgerechnet jene Gesellschaften, deren Gewinne langsam in Zonen kommen, wo man so ein bißchen das Gefühl hat, das ist mehr als „satt", nun auch noch auf Kosten der Steuerzahler bezuschußt . werden?
Eine zweite kritische Bemerkung sei mir zu dem Titel erlaubt, der zunächst einmal nur mit 54 Millionen DM für die nächsten drei Jahre ausgedruckt ist, der aber dennoch meiner Meinung nach Grundsätze privatwirtschaftlichen Handelns berührt bzw. außer Kraft setzt. Sie haben in der Begründung gesagt, wegen der großen Importabhängigkeit und zur Vermeidung von Versorgungsstörungen sollten weitere Mengen von fünf hochsensiblen Rohstoffen zur Herstellung von Edelstählen wie Chrom, Mangan, Vanadium usw. bei einigen wenigen Unternehmen zusätzlich bevorratet und vom Staat bezuschußt werden. Ist es denn wirklich staatliche Aufgabe, Herr Minister, ein absehbares Unternehmerrisiko, dessen Abwendung im ureigensten Interesse der betroffenen Unternehmen liegt, auf Staatskosten zu bezuschussen? Wo bleibt denn das so oft beschworene Unternehmerrisiko derjenigen, die immer mit Leib und Leben, mit ihrem Gut und allem dafür eintreten, wenn etwas schiefgeht? Woher wissen Sie, daß morgen die Liste der importsensiblen Güter nicht verlängert wird?
— Nein, der Hintergrund ist nicht „noch viel schlimmer", wie Sie es meinen. Der Hintergrund ist nur viel schlimmer, wenn sie heute einmal die „Süddeutsche Zeitung" lesen.
Wer bestimmt im Falle eines Falles darüber, Herr Minister, welche Betriebe diese zusätzlichen Mengen einsetzen dürfen, wer also darüber verfügen kann? Ich nehme an, daß Herr von Amerongen, der sich ja sonst so wacker als Ritter gegen Subventionen wendet, seine Stahlkocherkollegen auch dieses Mal zur Subventionsabstinenz aufgerufen hat.
Ich hatte heute morgen einen Moment lang das Gefühl, ich befände mich auf dem richtigen Wege, als ich gelesen habe, daß sich die Frankfurter Metallgesellschaft diesem Beispiel verschließen wollte. Erst als ich beim letzten Absatz war, wußte ich, warum: Sie wollen nämlich noch mehr Geld als nur die 54 Millionen haben. Die wollen an die in Aussicht gestellten 600 Millionen heran. Da allerdings würde ich auch pokern und mich zunächst einmal „verschließen". Wenn es darum geht, aus 54 Millionen 600 Millionen zu machen, sollte man nicht gleich ja sagen. Wer weiß, was man noch alles herauskriegt, wenn man sich nur lange genug spröde zeigt?
Hier sind ordnungspolitische Fragen sehr wohl angebracht, und ich meine, daß der Herr Minister, der ja manchmal auch als Hüter der Marktwirtschaft auftritt, dazu etwas sagen sollte.
Sie haben übrigens erklärt, wenn ich mich richtig erinnere, Sie hätten diese Rohstoffe nicht gerne im Hofe Ihres Ministeriums. Damit bin ich einverstanden. Der Hof eignet sich dazu auch schlecht, weil er ein bißchen klein ist. Aber ich meine, wenn schon eine Rohstoffbevorratung auf staatliche Kosten, dann hätte ich es auch ganz gern unter staatlicher Mitsprache.
Nun ein Wort zum Mittelstand. Zum jährlichen Haushaltsritual gehört es auch, darüber zu klagen, daß der Mittelstand nicht genügend Geld kriegt. Das wird vorgetragen, ohne daß sich jemand die Mühe macht und die quer und bunt verstreuten Titel im Einzelplan 09 durchguckt. In diesem Jahr haben wir nun zum erstenmal eine neue Titelgruppe. Wenn Sie einmal einen Bleistift und ein Stück Papier zur Hand nehmen und durchrechnen, kommen Sie auf die phantastische Summe von immerhin 700 Millionen DM — gleich einer 23 % igen Steigerung — für den Mittelstand. Man hätte ganz sicher hier und dort noch ein Milliönchen drauf tun können. Herr Glos, Sie wissen, daß ich mit einer bestimmten Sache auch einverstanden war, nämlich für das Handwerk.
Nur, ich hatte vorher das Glück, auf einer Veranstaltung des Unternehmerverbandes in Schleswig-Holstein, dem sogenannten Unternehmertag, als mehr oder weniger gelungenes Alibi aufzutreten. Da habe ich mit dann von Herrn Schnitker, von Herrn Strauß, von Herrn Stoltenberg, vom Vorsitzenden des Unternehmerverbandes und allen anderen Leuten anhören müssen, daß sich insbesondere das Handwerk und die kleine, mittelständische Wirtschaft sozusagen im Würgegriff der Bürokratie und der Sozialdemokraten befänden. Man müsse alles tun, um aus diesem Würgegriff herauszukommen. Als Beweis wurde angeführt, daß die Subventionen jener schreckliche Würgegriff seien, mit denen man den Zugriff über die Wirtschaft habe. Das war so ein bißchen „Sozialismus auf kaltem Weg", und alle haben ganz frenetisch geklatscht.
Nun bin ich ja lernfähig. Wenn man mir etwas so lange und so oft und so eindeutig erklärt, begreife ich, daß man aus dem Würgegriff herauskommen muß. Was ich allerdings nicht begreife, ist, daß man klammheimlich Briefe schreibt und sagt, wir hätten noch hier ein Milliönchen und dort Milliönchen und was weiß ich. Das heißt doch wohl, wir möchten gern noch ein bißchen mehr gewürgt werden.
Dieses, meine Damen und Herren, nenne ich
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Frau Simonis
— nein — Politmasochismus. Der mag zwar manchen Leuten Lustgewinn bereiten. Aber ich bin nicht bereit, das zu bezahlen.
Deswegen meine ich: Man kann sich mit dem Handwerk durchaus unterhalten, ob sie noch eine Million DM kriegen sollen. Aber dann sollen sie sich bitte zu ihrem marktpolitischen Sündenfällen bekennen und das nicht immer den Sozialdemokraten als „kalten Sozialismus" in die Schuhe schieben. Dann kann man auch wieder vernünftig miteinander reden.
— Wissen Sie, wenn man eh schon gewürgt wird, Herr Glos, und dann noch ein kleiner Griff dazu kommt — eine Million —, kann man daran erstikken. Das wollte ich den Leuten ersparen.
— Ich bin fast so witzig wie Sie.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß sich heute praktisch niemand mehr selbständig machen kann und man zum Starten subventioniert werden muß, weil die steuerlichen Tatbestände so ungünstig sind?
Herr Kollege, mir ist bekannt, daß die Beamtenmentalität bei den sogenannten freien Unternehmern so ausgeprägt ist, daß sie überhaupt erst überlegen, sich selbständig zu machen, wenn ihnen das mit einer Subvention vergoldet wird. Das ist mir allerdings bekannt.
Zu den steuerlichen Tatbeständen: Lesen Sie einmal das Steuerpaket durch, das Sie alle hier in namentlicher Abstimmung abgelehnt haben.
Das steht in irgendeiner Drucksache, die Ihnen die Verwaltung des Bundestages bestimmt freundlicherweise heraussuchen wird. Da wird auch Ihr Name drinstehen mit „Nein" zur Senkung der Gewerbesteuer, „Nein" zur Senkung der Vermögensteuer.
— Warum denn ich? Machen Sie das doch erst einmal mit sich selber aus.
— Ich habe übrigens mit Ja gestimmt. Sie können bei „Simonis" nachgucken. Ich habe mit Ja gestimmt. Mich brauchen Sie nicht zu fragen.
Vielleicht noch einige Worte zur regionalen Wirtschaftsstruktur: Es gehört offensichtlich auch zu den alljährlichen Ritualen der Haushaltsdebatte, über die abnehmende Regionalförderung zu klagen. Herr Glos, ich habe es Ihnen, glaube ich, schon dreimal vorgerechnet, zweimal hier oben. Die nimmt nicht ab. Es laufen nur die Sonderprogramme aus. Mal müssen Sie es doch begreifen. Aber offensichtlich wollen Sie es nicht begreifen, oder Sie dürfen es nicht begreifen wollen, d. h. Sie müssen nach hier oben gehen und es so sagen.
— Nein, er darf es vielleicht nicht begreifen wollen.
Wissen Sie, Ihre Ministerpräsidenten laufen durch die Lande und bejammern die Mischfinanzierung bzw. die Gemeinschaftsaufgaben als Eingriff in ihre eigenständigen politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Um das Fingerhakeln dann noch schöner zu machen, geht man im Planungsausschuß hin und handelt augenzwinkernd nach dem Motto: Haust du meine Region nicht, dann haue ich deine Region nicht. So wird die Förderkulisse immer weiter ausgedehnt. Zu den restlichen Regionen, die noch nicht gefördert werden, wird gesagt: Seid mal ganz ruhig, wir erledigen das mit Bonn schon; die zahlen das schon, die Deppen. Wenn wir mal bei 100 % sind, dann können wir wieder von — —
— So heißt das doch dann wohl: Die „Deppen" bezahlen das. Wir werden dem Bund keine Rechte einräumen, irgend etwas dagegen zu sagen, wir weigern uns, Effizienzkontrollen durchführen zu lassen, wir weigern uns, die Kriterien für die Beurteilung der Frage, ob eine Regionalförderung notwendig ist, einführen zu lassen, wir jammern bloß erst einmal. Dann gehen wir nach Bonn und sagen: Seht mal, da sind bei uns noch ein paar Leutchen und ein paar Regionen, die müssen ein bißchen Geld kriegen. So kann man das natürlich auch machen.
Wir sind der Meinung, daß, wenn auch bedacht wird, langfristig überdurchschnittliche Arbeitslosenzahlen als Kriterium anzuerkennen, eine Aufstockung der Mittel von uns befürwortet werden kann.
Jetzt vielleicht noch ein letzter Satz zu Herrn Pieroth: Ich habe mit großer Freude gelesen, daß der den „subventionspolitischen Rasenmäher" ansetzen will. Er erfreue sich bei dieser Aktion höchster Unterstützung, hat er gesagt. Also, Herr Pieroth, aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen nur sagen: Das wird ein löbliches Unterfangen, aber kein erfolgreiches. Sie mögen vielleicht nicht mehr mitgezählt haben, was allein der Herr Glos hier alles gefordert . hat, aber auch das, was Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß, die als sparsam gelten, alles gefordert haben, wirkt subventionstreibend und nicht subventionsmindernd.
Ich kann Ihnen nur aus meiner ureigensten Erfahrung aus dem Versuch, Subventionen zu senken, sa-
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Frau Simonis
gen: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Weg,
— Einen schweren Gang, gut. Sie werden am Ende sehr viel Befriedigung dabei haben, daß Sie sich mit allen angelegt haben, aber keine einzige Subvention gesenkt haben.
Herr Glos, Sie hätten heute morgen beinahe eine wirtschaftspolitische Rede gehalten, wenn Sie nicht zum Schluß noch — ich will es sagen — die Unverschämtheit begangen hätten, dem Wirtschaftsminister zu unterstellen, er wäre ein Wirtschaftslobbyist, um Geld in seine Parteikassen zu bekommen. Das müssen nun ausgerechnet Sie sagen.
Gerade Mitglieder Ihrer Partei haben heute Verfahren am Hals, in denen es darum geht, ob sie über dubiose Gutachten zum Wahlkampf 1976 Geld in die Kassen der CDU geholt haben. Zu diesem Punkt hätte ich an Ihrer Stelle nichts gesagt. Es wäre wirklich besser gewesen, Sie hätten geschwiegen.
— Herr Präsident, Sie brauchen nicht zu klingeln; ich sehe, daß ich Schluß machen muß.
— Man soll nicht immer alles zitieren, manchmal auch nicht den „Spiegel".
— Das war auch nicht sehr gut. — Ich habe ja gesagt: der Herr Präsident braucht nicht zu klingeln; ich habe schon gesehen, daß ich mit meiner Redezeit am Ende bin.
Wir werden also trotz einiger kritischer Bedenken dem Einzelplan 09 zustimmen. Und ich darf Sie bitten, trotz Ihrer politischen Bedenken diesem Plan ebenfalls zuzustimmen. Denn trotz allem hat er viel Gutes, auch für Ihre Klientel.
Meine Damen und Herren, durch die Ausdehnung der Debatte heute vormittag sind wir über den zeitlichen Rahmen, den sich die Fraktionen eigentlich vorgenommen hatten, erheblich hinausgekommen. Ich bitte die Damen und Herren, die das Wort ergreifen, um Verständnis, wenn ich darauf achte, daß die von den Fraktionen vorgesehenen Redezeiten nach Möglichkeit nicht überschritten werden.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Dr. Haussmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine solche Debatte zum Wirtschaftshaushalt dient ja auch zur Unterscheidung der Fraktionen. Ich finde das gut so. Wir durften heute morgen hier einen kleinen Mini-Strauß, nämlich Herrn Glos, erstmalig in Aktion erleben.
Auf Grund seiner heftigen Angriffe gegen den Bundeswirtschaftsminister hatten wir die ganze Mittagspause über damit zu tun, den Minister im Amt zu halten. Es war schwierig, ihn zu halten. Ich bitte, ihn in Zukunft wirklich etwas zu schonen. Wir brauchen ihn dringend.
Nachdem ich meiner verehrten Kollegin Frau Simonis zugehört habe, würde ich sagen: Sie hat noch einen kleinen Koffer aus Berlin hierhin mitgebracht in die Wirtschaftsdebatte. Ich glaube, beides dient dazu, daß wir Freien Demokraten zeigen können, wo unsere Linie ist.
Ich möchte, weil die Zeit knapp ist, nur auf einige zentrale Punkte dieses Wirtschaftshaushalts zu sprechen kommen. Der erste ist die Energievorsorge. Hier hat Herr Glos — wir wissen das auch aus der Berichterstattung — bemängelt, daß wir in der Frage der Rohölbevorratung unvorsichtig vorgegangen seien.
Ich möchte dazu drei Anmerkungen machen.
Erstens. Es handelt sich um Steuergelder, und deshalb halte ich es für wichtig, daß sie nur dann eingesetzt werden, wenn wir wirklich günstig kaufen können. Das war nicht der Fall.
Zweitens. Wie steht es denn um die europäische Solidarität und um die von Ihnen beschworene Solidarität mit den Amerikanern, wenn die Deutschen jetzt freies 01, das zum Beispiel auch aus dem Iran kommt, für deutsche Zwecke einkaufen? Ich halte deshalb den Angriff in dieser Frage nicht für geeignet.
Drittens. Gemeinschaftsaufgabe. Alle Jahre wieder, auch hier, haben wir den traditionellen Weihnachtserhöhungsantrag. Hier würde ich nur sagen: Masse ist nicht gleich Qualität. Wir sollten wirklich einmal in eine differenzierte Diskussion über die Effizienz von Strukturpolitik eintreten.
Dann hätten wir die Möglichkeit, mit dem Volumen, das wir haben — und das ist nicht gering —, bedeutend mehr zu machen. Solange die Opposition und die Bundesländer nicht bereit sind, sich über Neuabgrenzungsfragen, über Fragen der Erfolgskontrolle, zu einigen, werden auch die Fraktionen der Koalition nicht bereit sein, hier jährlich 50 Millionen DM einfach draufzulegen.
Vielleicht sollten wir auch nicht vergessen — ich sehe da Herrn Warnke, und das ist gut —, daß wir zu einer wesentlichen Änderung beim 9. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe gekommen sind, was ich
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15229
Dr. Haussmann
gerade aus baden-württembergischer Sicht sehr begrüße. Danach soll nämlich in Zukunft die Zulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sowie für ganz bestimmte Investitionen im Energiebereich nicht mehr auf die Förderungshöchstsätze angerechnet werden. Das halte ich für eine wesentliche Verbesserung; sie wird letzten Endes auch zu einer höheren Effizienz führen.
Einen weiteren Schwerpunkt dieses Haushalts bilden ohne Zweifel Mittelstandsfragen. Mein Kollege Wurbs wird nachher noch sehr viel detaillierter darauf zu sprechen kommen. Mir liegt nur daran, zwei Dinge zu betonen.
Ich bin etwas stolz darauf, daß wir dieses Forschungs- und Entwicklungsprogramm für kleine und mittlere Betriebe soviel besser ausstatten konnten. Das zeigt, daß es bereits im ersten Jahr ein sehr großer Erfolg ist. Das zeigt, daß der Weg der Opposition, wie es damals angesprochen wurde, nämlich über steuerliche Vergünstigungen zu gehen, heute noch nicht so wirksam wäre wie ein direktes Zuschußprogramm das ist gar keine Frage —, von der Komplizierung des Steuerrechtes, Herr Waigel, ganz abgesehen. Das Programm wird hervorragend angenommen: fast 5 000 Anträge, sehr unbürokratische Abwicklung. Ich freue mich, daß 90 Millionen aufgestockt werden. Herr Waigel fragt: Von wem? Ich stelle fest: überdurchschnittlich von baden-württembergischen Unternehmen. Mich persönlich freut es, daß 25 % dieser Fördermittel dort landen. Das ist ein Zeichen, daß die mittelständische Industrie dort sehr forschungs- und innovations-freudig ist.
Deshalb hätte ich mir auch gewünscht, daß gerade das Bundesland Baden-Württemberg uns bei dieser Mittelstandspolitik stärker unterstützt. Es ist ein Witz, daß gegen das Existenzgründungsprogramm damals mit einer Verfassungsklage gedroht wurde, die überhaupt die Zuständigkeit des Bundes für diese Mittelstandsförderung in Frage stellt, etwa nach dem Motto, daß wir einen Föderalismus praktisch nicht nur in der Bildungspolitik, sondern auch in der Mittelstandspolitik bekommen, nachdem Baden-Württemberg und Bayern ja bereits vorangehen und in verschiedenen Auslandsmärkten mit eigenen Akquisiteuren antreten. Das halte ich für eine Verfremdung unserer Wirtschaftspolitik. Ich freue mich deshalb, daß die baden-württembergische Landesregierung ihre Verfassungsklage nicht wahrgemacht hat, sondern inzwischen dabei ist, Herr Stavenhagen, ein Programm zu kopieren, eine Eigenkapitalhilfe, wie der Bund sie jetzt zahlt, auf Landesebene aufzubringen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Haussmann?
Sehr gerne.
Herr Kollege Haussmann, halten Sie es für sinnvoll, daß kleine Firmen Anträge betreffend Existenzgründung an den Bund stellen, um diese vom Bund prüfen und die Gründung dann bezuschussen zu lassen?
Ich halte dies so lange für sinnvoll, wie die Länder nicht in der Lage sind, bei der Existenzgründung an der eigentlichen Schwachstelle anzuknüpfen, nämlich an dem mangelnden Eigenkapital und an den mangelnden Sicherheiten. Solange das Land Baden-Württemberg lediglich Zinssubventionen zahlt und seine Programme so knapp ausstattet, daß die Mittel im September bereits weg sind, muß der Bund hier eingreifen. Ich halte sehr viel davon, daß dies bundeseinheitlich geschieht. Ich halte nichts davon, daß Existenzgründer in Baden-Württemberg und z. B. in Hessen verschieden behandelt werden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Haussmann, teilen Sie meine Auffassung, daß ein Einflußfaktor für Eigenkapitalausstattung die Besteuerung ist und daß diese vom Bund und nicht vom Lande Baden-Württemberg gemacht wird?
Sie wird vom Bund gemacht. Wir haben deshalb in den vergangenen Jahren auch wesentliche Fortschritte erzielt bei der Gewerbesteuer, bei der Zurückführung ertragsunabhängiger Steuern und bei dem Verlustrücktrag. Das sind immerhin einige Punkte, die Sie in Ihrer Regierung damals nicht geschafft haben. Ich halte dies für sehr wichtig. Herr Kolb, es wäre schlimm, wenn jeder Selbständige heute bereits einen Antrag stellen müßte. Sie vergessen völlig, daß über 50 % der Gründungen ohne staatliche Hilfe erfolgen. Dabei soll es auch bleiben.
Lassen Sie mich nun noch kurz auf einige zentrale Punkte, was die Lage der deutschen Wirtschaft angeht, eingehen. Ich glaube, man sollte hier nicht unerwähnt lassen, daß wir im Jahre 1979 eine Situation haben, wie ich sie seit meiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag bisher nicht gesehen habe: Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, der Sachverständigenrat und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Rodenstock, bewerten die wirtschaftliche Lage übereinstimmend positiv.
Ich halte es für einen sehr großen Erfolg des Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff, daß wir inzwischen zu einer wirtschaftlichen Lage gekommen sind, die international führend ist. Graf Lambsdorff wird bei dieser Politik, Herr Waigel und Herr Glos, von einer sehr großen Mehrheit in seiner Partei und der gesamten Fraktion gestützt. Insofern bedanken wir uns zwar für Ihr Angebot, aber es ist eigentlich nicht nötig. Wir werden diese erfolgreiche Politik fortsetzen.
Allerdings werden wir auch die kritischen Passagen des Sachverständigenrates, die die Opposition bisher nicht ausreichend aufgegriffen hat, kritisch aufgreifen. Das heißt z. B., was Herr Kollege Hoppe schon gesagt hat, daß die Tendenzwende in der staatlichen Verschuldung, der Einstieg in eine Konsolidierung nicht nur 1979 gemacht werden darf, sondern daß wir vorhaben, dies fortzusetzen.
15230 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Dr. Haussmann
Wir werden deshalb auch bei allen berechtigten Wünschen nach Steuerentlastung darauf achten, daß Mittel für zwei Zwecke, die uns der Sachverständigenrat ans Herz gelegt hat, übrigbleiben, nämlich einmal für Energieinvestitionen und zum zweiten für mehr Entwicklungshilfe.
Ich komme gleich zu dem Punkt der Energievorsorge. Ich halte es für ein Problem unserer Wirtschaftspolitik, daß wir bisher nicht in der Lage waren, ausreichend zu vermitteln, daß wir vor sehr großen Herausforderungen stehen. Wenn in der „Süddeutschen Zeitung" beklagt wird, daß die Kluft zwischen staatlicher Sicherheitsgarantie und den Zukunftsängsten der jüngeren Generation immer größer werde, so ist dies eine Frage, die sich Opposition und Regierung stellen müssen. Es ist doch paradox, daß wir auf der einen Seite gewaltige Herausforderungen im Bereich der Arbeitsplätze, im Bereich der Energiesicherheit auf uns zukommen sehen, daß wir aber auf der anderen Seite nicht in der Lage sind, der jüngeren Generation zu vermitteln, daß wir diese Herausforderung nur bewältigen können, wenn die jüngere Generation aktiv in unserem Wirtschaftssystem mitmacht.
Ich glaube, daß es deshalb von zentraler Wichtigkeit ist, daß wir in dem Bereich der Beschäftigungspolitik von der ausschließlichen Diskussion über weitere steuerentlastende oder konjunkturelle Maßnahmen wegkommen und die eigentlichen Strukturprobleme erkenne, daß wir also sehen, daß die Kluft zwischen den Anforderungen eines hochqualifizierten Wirtschaftssystems und dem Angebot an bisher nicht Beschäftigten und deren Qualifikatione'n immer größer wird. Meine Damen und Herren, dies kann ja nur ein Doppeltes heißen: nicht, daß wir diese Kluft wieder schließen werden durch eine Öffnung unserer Grenzen für ausländische Mitarbeiter, sondern daß wir die Wirtschaft und unsere Menschen dazu bringen müssen, daß auch solche, die gewisse Handikaps haben, sei es vom Alter her oder aber auch von der Gesundheit her, wieder ihre Chance in unserer Wirtschaft bekommen. Dies heißt zweierlei, einmal eine sehr hohe Bereitschaft unserer Betriebe zur innerbetrieblichen Weiterbildung, damit untere Beschäftigungsstufen frei werden für solche, die im Moment nicht beschäftigt sind, und zum zweiten eine sehr hohe Bereitschaft der Betroffenen selbst zum lebenslangen Lernen. Dann können wir diese Lücke schließen. Ich halte dies für sehr wichtig. Wenn wir den Status quo in der Beschäftigung halten wollen, müssen wir permanent neue Arbeitsplätze schaffen, weil wir durch die Bevölkerungsstruktur laufend mehr junge Menschen bekommen, die in das Arbeitsleben treten.
Die zweite große Herausforderung liegt ohne Zweifel im Bereich der Energiesicherung. Hier liegt es an uns, das Umdenken sowohl bei den Verbrauchern als auch bei der Industrie staatlich zu unterstützen, nicht immer durch Geld, sondern auch durch vorbildliche Maßnahmen, durch Vorbildfunktion auch bei eigener Einschränkung im staatlichen Bereich. Ich glaube, wenn der politische Kompromiß, der in der Frage der Kernenergie von den Koalitionsparteien vertreten wird, nämlich das Offenhalten beider Wahlmöglichkeiten, nicht nur Gerede sein soll, dann sind heute schon enorme finanzielle Mittel für diese notwendige energiepolitische Umrüstung bereitzustellen. Ich selbst sehe in unseren Haushalten und in unserer Finanzpolitik noch nicht die Ansätze, die eine Antwort auf diese gewaltige Herausforderung ermöglichen.
Wenn es z. B. stimmt, was der Düsseldorfer Kreis, eine Vereinigung von Industriellen, Bankern und Energiewissenschaftlern, sagt, daß für die Umrüstung im Olbereich 85 Milliarden DM notwendig sind, nicht nur beim Staat, sondern natürlich auch bei der Industrie selbst, so zeigt dies die Größenordnung, die auf uns zukommt. Ich halte unsere Haushalte unter dem Gesichtspunkt für noch nicht ausreichend gesichert.
Lassen Sie mich zum dritten Punkt kommen, zur allgemeinen Wirtschaftspolitik, die nicht sosehr mit Geld zu tun hat, sondern mit Vorbildmaßnahmen. Ich glaube, wenn die deutsche Wirtschaft und die deutsche Bevölkerung ihren hohen Standard halten möchten, nicht nur an Wohlstand, nicht nur materiell, sondern auch an Toleranz, auch an Möglichkeiten, sich für verschiedene Lebensformen zu entscheiden, dann wird es in den 80er Jahren eine gewaltige Herausforderung darstellen, all das zu unterstützen, was mit Risikobereitschaft, mit Unternehmungsgeist, was mit Anpassungsbereitschaft, mit Umstellungsbereitschaft zu tun hat.
Wir werden dies nicht ohne die Gewerkschaften schaffen. Ich halte es für eine böse Unterstellung, wenn ich manchmal draußen in den Diskussionen höre, etwa die Sozialdemokraten oder insbesondere die deutschen Gewerkschaften wären nicht bereit, sich diesem harten Strukturwandel zu stellen. Ich halte — und ich möchte dies als Freier Demokrat deutlich sagen — die deutschen Gewerkschaften für diejenigen in Europa, die am besten dafür gerüstet sind, mit dieser gewaltigen technologischen Herausforderung fertig zu werden.
Sie haben eine offene Einstellung zum technischen Fortschritt. Wir haben eine Forschungs- und Technologiepolitik, die von den deutschen Gewerkschaften mitgetragen wird. Das ändert nichts daran, daß ich manchmal auf die Problematik hinweise und mit Herrn Hauff in einer Diskussion darüber stehe, wie wir diese Forschungspolitik stärker entbürokratisieren können, wie wir sie für Klein- und Mittelbetriebe öffnen können. Richtig ist aber der Grundsatz, daß ein Hochlohnland mit hohen Standortkosten von seiner Bereitschaft, zu forschen und zu entwikkeln, abhängt.
Mir scheint, man sollte die Ängste oder die Befürchtungen der Beschäftigten ernst nehmen, wir sollten aufklären, und wir sollten den Technologieausschuß dafür ausrüsten, daß wir diese Diskussion darüber führen können, wohin denn diese neuen Technologien führen und wie sie sich nicht nur auf die Zahl der Arbeitsplätze, sondern auch auf die Qualifikation der Beschäftigten auswirken.
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Dr. Haussmann
Meine Damen und Herren, wenn wir ein wirtschaftspolitisches Klima herbeiführen, das für mehr Risikobereitschaft und mehr Selbständigsein günstig ist, und gleichzeitig mit den Beschäftigten in einen Dialog darüber eintreten, was Forschung und Technologie bzw. technologische Entwicklung für sie bedeuten, können wir, wie ich glaube, bestehen.
Lassen Sie mich abschließend noch zur allgemeinen Diskussion über Subventionen kommen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß der Bund junger Unternehmer uns aufgefordert hat, mit dem Subventionsunwesen Schluß zu machen. Ich halte dies zunächst für eine mutige Aussage. Als ich dann aber in eine konkrete Diskussion mit den jungen Unternehmern eintrat und fragte, wo das denn nicht so wehtun würde,
ist es bereits schwieriger geworden, und ich warte noch heute auf andere Anregungen als den kühnen Vorschlag, das Forschungsministerium generell abzuschaffen. Wenn das geschähe, würden sich viele Unternehmer wundern, auch wir, Herr Stavenhagen, in Baden-Württemberg mit unseren Vorstellungen, die wir oft an den Forschungsminister herantragen.
Wenn wir diesen Vorschlag einmal abrechnen, müssen wir, denke ich, so weit kommen zu sagen: Wir müssen die Subventionen stärker differenzieren. All das, was mit dem Konservieren von nicht erhaltungswürdigen Strukturen zu tun hat, ist sicher kontrollierbar. Aber wer bestimmt, was erhaltungswürdig ist, wer bestimmt, was praktisch zukunftsträchtig ist?
Wenn wir dies nicht können, müssen wir über andere qualitative Kriterien einer permanenten Subventionsüberprüfung nachdenken. Wir müssen die Subventionen degressiv gestalten, wir müssen die Begründungspflicht umdrehen, so daß nach einer bestimmten Zeit dargelegt werden muß, warum eine Subvention weiterbesteht. Und wir müssen den Rat der Sachverständigen ernst nehmen, die davor gewarnt haben, daß die Subventionen inzwischen eine Größenordnung erreicht haben, die — so wörtlich — die Flexibilität der Finanzpolitik ernsthaft behindert.
Ich möchte sagen, es wäre an sich der Sinn einer solchen Wirtschaftsdebatte, daß wir in allen drei Fraktionen versuchen, Beispiele dafür zusammenzutragen, wo dies nicht stattfindet oder nicht stattfinden soll.
Ich bin dadurch ermutigt, daß in einem sehr wesentlichen Bereich ein Dammbruch vermieden werden konnte, und zwar durch das engagierte Eintreten des liberalen Wirtschaftsministers. Heute morgen ist bereits von der AEG die Rede gewesen. Meine Damen und Herren, wenn wir hier in einen Bereich, der bisher als nicht krisenanfällig und als international nicht subventionsabhängig definiert worden ist, eingestiegen wären, wären alle Dämme gebrochen. Nur sehe ich daran, daß Herr Glos nickt, daß er damals übersehen hat, daß der Ministerpräsident von Niedersachsen einer der ersten war, der Forderungen an den Bundeshaushalt herangetragen hat. Ich bin sehr stolz darauf, daß ein früherer FDP-Wirtschaftsminister, nämlich der heutige Sprecher der Dresdner Bank, Herr Friderichs, die Banken, die Versicherungsunternehmen und die private Industrie bei dieser Transaktion in ihre Pflicht genommen hat.
Wenn dies auch auf weitere Fälle vorbildlich wirkt, kommen wir zu einer Entlastung dergestalt, daß wir unsere knappen finanziellen Mittel für Zukunftsanpassung für kleine und mittlere Betriebe reservieren. Wenn wir dies tun, glaube ich, sind die Voraussetzungen für die 80er Jahre sehr gut.
Sicher — das gebe ich zu — war dies alles sehr praktisch, und wenn jetzt Herr Professor Biedenkopf reden wird, wird es einen Ausflug in die großen ordnungspolitischen Themen geben. Ich bin bereit, Ihnen da zu folgen. Vielleicht können Sie heute die Konsequenzen von dem andeuten, was Sie in der Wachstumsdiskussion vor drei Monaten gesagt haben.
Die Freien Demokraten stimmen dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich vor den Bemerkungen, die ich selbst zum Haushalt machen möchte, einige wenige Sätze zu meinen Vorrednern sage. Ich fand es zunächst interessant und wichtig, daß sich Frau Kollegin Simonis die Mühe gemacht hat, die Subventionsleistungen zu addieren, die für das Handwerk erbracht werden. Sie ist, wenn ich es richtig erinnere, bei der Summe von rund 700 Millionen DM angelangt. Wenn man diese Summe angemessen beurteilen will, kann man sie allerdings nicht als absolute Zahl sehen, sondern man muß sie in Relation zu anderen Ausgaben setzen. Das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt in 500 000 Betrieben rund vier Millionen Arbeitnehmer. Das heißt, es ist neben der Großindustrie der wichtigste Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn ich jetzt die 700 Millionen DM, die hier nicht nur für das Handwerk, sondern für den gesamten mittelständischen Bereich ausgewiesen werden, etwa in Relation zu den 400 Millionen DM setze, die ohne nähere Zweckbindung im Haushalt des Wirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen ausgewiesen sind, gewinnt die Zahl eine völlig andere Dimension.
Ich meine, nur diese Art von Vergleich ist sinnvoll.
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Dr. Biedenkopf
— Ich trage in der Regel vor, was ich meine, Herr Kollege, im Unterschied zu manchen anderen.
Im übrigen habe ich mich besonders gelabt — wenn ich das sagen darf — an Ihrer Beschreibung der Stützung von Besitzständen untereinander. Die Formulierung „Schützt du meine Region, schütz' ich deine Region, und die Deppen werden dann schon zahlen" finde ich eine geradezu klassische Beschreibung der Filzokratiesituation im Ruhrgebiet.
Herr Haussmann hat mich zu einem Ausflug in die Ordnungspolitik eingeladen. Herr Kollege Haussmann, ich hätte Sie da gern mitgenommen;
aber ich werde versuchen, wenigstens auf den einen oder anderen Punkt einzugehen, und ich habe in der Tat vor, auch an die Fragen anzuknüpfen, die das Wachstumsthema betreffen.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Haussmann, daß der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff auf eine breite Mehrheit in seiner Partei und in seiner Fraktion rechnen könne. Ich finde das sehr erfreulich. Ich möchte nur, was die politische Durchsetzbarkeit dessen betrifft, was der Wirtschaftsminister oft mit unserer Zustimmung zu tun versucht, darauf hinweisen, daß die Partei über eine „Mehrheit" von 7 % verfügt
und daß man damit allein keine Politik machen
kann. Das Problem ist, daß in den zentralen Fragen
— dies gilt insbesondere für die Energiepolitik — die Mehrheit, die notwendig ist, woanders beschafft werden muß und daß die Mehrheit, die notwendig ist — ich werde gleich darauf eingehen —, von der sozialdemokratischen Partei nicht zur Verfügung gestellt wird.
Im übrigen möchte ich an Herrn Kollegen Gattermann erinnern, der uns kürzlich in einem anderen Zusammenhang die Freude gemacht hat, darauf hinzuweisen, daß die Leitlinien der Freien Demokraten zur Wohnbaupolitik eher mit der CDU als mit der SPD verwirklicht werden können.
Aus der Fülle der Themen, die im Zusammenhang mit dem Haushalt des Wirtschaftsministers behandelt werden können, möchte ich zwei herausgreifen: zum ersten — und damit knüpfe ich an die erste Lesung an — das Problem der öffentlichen Verschuldung und ihrer weiteren Entwicklung, zum zweiten Fragen der Energiepolitik.
Zum ersten erinnere ich daran, daß Herr Kollege Hoppe von einer Zeitbombe im Haushalt sprach, ein Begriff, den Ministerpräsident Strauß gestern aufgegriffen hat. Man könnte auch von einer programmierten Krise sprechen. Sie ist heute morgen wieder deutlich geworden, als der Finanzminister feststellte, die Verschuldung sei notwendig, um die Vollbeschäftigung zu sichern, d. h. die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Mit anderen Worten: Die Verschuldung ist notwendig, um das Wachstum der Wirtschaft zu erreichen, das unter gegebenen politischen Bedingungen für notwendig gehalten wird, um Vollbeschäftigung zu sichern.
Diese Forderung nach der Notwendigkeit weiterer Verschuldung zu diesem konjunkturpolitischen Zweck wird aufgestellt, obwohl wir im Jahre 1979 ein angemessenes Wachstum hatten, obwohl der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten feststellt, weitere staatliche Maßnahmen der Konjunkturpolitik seien 1980 nicht notwendig, und obwohl von der Regierungsseite allgemein festgestellt wird, daß die Wirtschaftslage befriedigend bis gut sei und man sie mit großer Zufriedenheit betrachten könne.
— Ich teile die Auffassung, aber gerade aus diesem Grunde meine ich, daß eine Verschuldung der öffentlichen Haushalte zu dem vom Finanzminister genannten Zweck unzulässig ist.
Der Sachverständigenrat hat die Aufgabe der Konsolidation der Haushalte heute als eher dringlicher bezeichnet als in den vergangenen Jahren.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Biedenkopf
Bitte schön.
Herr Professor Biedenkopf, ist Ihnen entgangen, daß Ihr Fraktionskollege Glos es vor einigen Stunden tief bedauert hat, daß z. B. Maßnahmen im Rahmen des ZIP-Programms auslaufen und nunmehro bestimmten Regionen nicht mehr zur Verfügung stehen?
So hat er es nicht formuliert.
Im übrigen kann man das Auslaufen von Unterstützungsmaßnahmen im regionalen Bereich sehr wohl bedauern. Dieses Bedauern haben wir auch im Wirtschaftsausschuß zum Ausdruck gebracht. Das besagt über die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte nichts. Aber, Herr Kollege, wenn Sie mir erlauben, möchte ich meinen Gedankengang jetzt fortsetzen.
— Wir können das zu einem anderen Zeitpunkt gern diskutieren. Ich komme auf das Problem der Verschuldung noch zurück; vielleicht können Sie
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15233
Dr. Biedenkopf
dann noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen.
— Wir haben uns in der letzten Debatte schon einmal darüber unterhalten, daß Sie Ihre eigene Intelligenz mit solchen Feststellungen nicht beleidigen sollten.
Der Sachverständigenrat sagt: Eine Konsolidationspolitik ist notwendig. Denn der Spielraum für mehr Wachstum muß durch mehr private Investitionen vergrößert werden. Die Rückkehr zu einer dauerhaft hohen Beschäftigung ist nicht ohne eine weitere lange Periode hoher Investitionen möglich. Die spannungsfreie Finanzierung dieser Investitionen setzt nach Auffassung des Sachverständigenrats eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite voraus. Hinzu kommt, meine Damen und Herren, daß die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung, so wie sie uns im Zusammenhang mit dem Haushalt vorgelegt worden ist, von Wachstumsraten ausgeht, die sich inzwischen — auch nach den Aussagen der Sachverständigen — als nicht realistisch erweisen.
Ich habe in diesem Hohen Hause in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Einschätzung der Wachstumsraten über eine längere Zeit mit geringeren Wachstumsraten vertraut machen müssen, und damals von einer Rate von etwa 2 % realem Wachstum gesprochen. Der Sachverständigenrat schätzt jetzt die reale Wachstumsrate für das Jahr 1980 auf 2,5 bis 3 %, dies allerdings unter Annahme einiger besonders günstiger Entwicklungen, d. h. unter Ausschluß weiterer erschwerender Entwicklungen im Energiebereich und unter Einschluß der Annahme, daß die Tarifparteien im Jahr 1980 ähnlich zurückhaltende Abschlüsse wie 1979 tätigen.
Daraus folgt für den Sachverständigenrat als Aufgabe folgendes: Wie läßt sich die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Wie kann sichergestellt werden, daß die Investitionskonjunktur dauerhaft erhalten bleibt? Wie kann man den Risiken der Energieversorgung begegnen? Und wie lassen sich die Beziehungen zu den weniger entwickelten Regionen der Erde ordnen?
Zu einigen dieser Fragen möchte ich einige Kommentare abgeben.
Zunächst: Wie kann man die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Ich stimme mit dem Sachverständigenrat darin überein, daß es für die Konjunkturpolitik im Jahr 1980 keinen staatlichen Handlungsbedarf gibt. Die Entwicklung der Wirtschaft ist zur Zeit so, daß es keiner zusätzlichen staatlichen Impulse bedarf, um etwa die Wachstumsrate zu steigern. Deshalb sollten auch öffentliche Mittel zur Forcierung des Wachstums im kommenden Jahr nicht eingesetzt werden. Ich stimme dem Sachverständigenrat auch in der Feststellung zu, daß es auch keinen staatlichen Ausgleich im Sinn einer weiteren Stimulation des Wachstums für die Ölpreiserhöhungen geben darf. Würde der Staat jetzt die
Wirkungen der Ölpreiserhöhung auf die Wirtschaft durch zusätzliche staatliche Maßnahmen, insbesondere durch eine expansive Konjunkturpolitik abschwächen oder aufzuheben versuchen, so würde das mit dem steigenden Energiepreisniveau an sich verbundene Einsparen von Energie unterbleiben und die notwendige Umverteilung der Investitionsmittel nicht stattfinden.
Zum dritten ist Voraussetzung dafür, daß die Teuerungswelle unter Kontrolle gebracht werden kann, ein weiterhin vernünftiges Verhalten der Tarifparteien. Wir stimmen heute genauso wie zu früheren Gelegenheiten der Feststellung zu, die z. B. Herr Grobecker heute morgen gemacht hat, daß die Gewerkschaften in den Abschlüssen der letzten Jahre Vernunft bewiesen haben. Wir stimmen auch der Feststellung zu, daß dies anerkannt werden muß. Ich muß allerdings sagen, daß die jüngsten Ankündigungen möglicher Forderungen für die kommende Tarifrunde außerhalb des Rahmens liegen, der hier mit „vernünftig" umschrieben wird.
Im übrigen möchte ich eine allgemeinere Bemerkung machen. Wir haben uns daran gewöhnt, die Gewerkschaften dafür zu loben, daß sie sich vernünftig verhalten, und die Unternehmen zu ermahnen, daß sie dies bei den Preisen auch tun. Das ist richtig. Nur, der Konflikt, der hier angedeutet wird, ist in vielen Fällen überholt. Das Preisverhalten, das die Teuerungsrate bestimmt, ebenso wie die Tarifpolitik, wird weitgehend von den großen Unternehmen bestimmt. Die großen Unternehmen sind seit einigen Jahren mitbestimmt, und zwar in einem Umfang, der die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten unbestreitbar in die Lage versetzt, auf die Unternehmensstrategien Einfluß zu nehmen. Mir ist aus den letzten Jahren kein Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Kapitaleignervertretern in den Aufsichtsräten bekannt geworden, der das Preisverhalten großer Unternehmen zum Gegenstand gehabt hätte.
— Sie müssen mich nicht darüber belehren, Herr Kollege Wolfram, daß die Preise im einzelnen nicht in Aufsichtsräten gemacht werden. Aber wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Herr Schmücker eine Diskussion über die Preise der Produkte von Volkswagen verweigern könnte, wenn der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Loderer im Aufsichtsrat Fragen danach stellt?
Es ist doch wohl ganz ausgeschlossen, wenn Sie die Mitbestimmung in Ihrem Zweck nicht selbst ad absurdum führen wollen, jetzt plötzlich die wichtigste Frage unternehmerischer Tätigkeit, nämlich die Preispolitik im Markt gewissermaßen als Naturschutzpark kapitalistischer Betätigung aus der von Ihnen selbst konzipierten Mitbestimmung auszuschließen.
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Dr. Biedenkopf
Das heißt aber doch, meine Damen und Herren, daß die Gewerkschaften, wenn sie mit den Unternehmensverbänden verhandeln, in denen ja die kleinen und mittleren Unternehmen immer darüber klagen, daß die Großunternehmen den Verhandlungston angeben, dann eben doch eine wesentliche Mitverantwortung für beide Seiten der Lohn- und Preisspirale tragen: die volle Verantwortung für die eine und eine Mitverantwortung für die andere.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, meine Damen und Herren — wie viele von Ihnen auch —: die Gewerkschaften gehen im Zusammenhang mit der Forderung nach Lohnerhöhungen — jedenfalls bei Großunternehmen — als selbstverständlich davon aus, daß die Unternehmen in der Lage sein werden, die mit der Lohnerhöhung verbundenen Kosten an die Allgemeinheit weiterzugeben. Diese Weitergabe der Kosten an die Allgemeinheit durch die Unternehmen bedeutet nichts anderes als die Nutzung großer Unternehmen als Agenturen der Umverteilung. Nun aber müssen wir uns daran erinnern, daß wir, wie Herr Vetter, wie Sie und wie andere das immer wieder betont haben, inzwischen in einer Arbeitnehmergesellschaft leben, in der 80 % der Menschen entweder Arbeitnehmer sind oder Arbeitnehmerhaushalten zugehören. Das heißt: Wenn wir über Lohnerhöhungen die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmerhaushalte verbessern wollen, dann werden es letztlich die oder andere Arbeitnehmerhaushalte sein, die die Rechnung bezahlen. Sie können auf Dauer nicht zugunsten einer Mehrheit umverteilen.
Die Investitionskonjunktur — die zweite Voraussetzung, die der Sachverständigenrat nennt — kann nur erhalten werden, wenn die Unternehmen ausreichende Gewinne erzielen. Die Unternehmen können nicht in sehr viel größerem Maße ihre Investitionen fremdfinanzieren, als das bisher der Fall ist, ohne die Eigenkapitaldecke so klein werden zu lassen, daß sie in einem nicht mehr vertretbaren Maße risikoanfällig werden.
Die Finanzierung von Investitionen durch Gewinne stößt nun sofort auf einen schwerwiegenden und ernst zu nehmenden Vorbehalt, nämlich den, daß damit Umverteilung verbunden sei, und zwar zu Lasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Aktionäre. Dies ist ein gewichtiger Einwand. Er ist nur durch eine Politik zu überwinden, die die Arbeitnehmer an der Kapitalbildung beteiligt.
Aus diesem Grunde haben wir seit Jahren immer wieder die Forderung erhoben,
die Vermögensbildung auszubauen und den Arbeitnehmern und den Tarifparteien die Möglichkeit zu geben, an der zur Schaffung neuer Investitionsgüter notwendigen Verbreiterung der Kapitalbasis der Unternehmen mitzuwirken. Wir haben im zuständigen Ausschuß für Wirtschaft immer wieder die Vorlage der Regierung zu diesem Problem gefordert. Wir haben sie bis heute nicht erhalten.
Die Vorlage scheitert daran, daß die Koalition selbst in der Frage der Vermögensbildung zerstritten ist. Die Freien Demokraten würden eine Vermögensbildungspolitik gerne entlang der Linien einer Verbreiterung des Anlagenkatalogs und einer Verbesserung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen mitmachen. Die Sozialdemokraten sehen sich außerstande, die notwendige Mehrheit dafür zur Verfügung zu stellen, wenn diese Maßnahme nicht mit der Einführung von Tariffonds gekoppelt wird, die nichts anderes bedeuten als die Wiedereinführung des unseligen Sozialkapitals durch die Hintertür eines neuen Begriffs.
Was hier versucht wird, ist die Herstellung eines Junktims zwischen einer wirklichen, dem mündigen Bürger angemessenen und einer denselben bevormundenden Vermögenspolitik. Da die beiden Dinge nicht kompromißfähig sind, weil sie sich widersprechen, bleibt die ganze Sache auf der Strecke.
Wir halten es für unabdingbar, daß die Frage der Vermögensbildung vorangetrieben wird. Wir werden unter gegebenen Bedingungen nicht in der Lage sein, die Eigenkapitalbedürfnisse der Unternehmen aus ihren Erträgen zu befriedigen, weil sich die Gewerkschaften — von ihrer Warte aus gesehen zu Recht — auf den Standpunkt stellen, daß sie nicht daran mitwirken können, die für Lohnerhöhungen verfügbaren Ressourcen des Unternehmens in die Eigenkapitalbildung zu geben, ohne selbst maßgeblich an diesem Prozeß beteiligt zu werden. Genauso hat Herr Pfeiffer vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf einer kürzlich veranstalteten Podiumsdiskussion den Vorbehalt der deutschen Gewerkschaften formuliert. Ohne daß der Gesetzgeber hier neue Möglichkeiten der Vermögensbildung zur Verfügung stellt, wird deshalb die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen sich weiter verschlechtern und damit die Investitionskonjunktur, die der Sachverständigenrat für unerläßlich hält, gefährdet werden.
Weiterhin werden Investitionen im notwendigen Umfang in Zukunft nur stattfinden, wenn die Konkurrenz zur öffentlichen Verschuldung abgebaut wird. Der Sachverständigenrat hat ausdrücklich die nachhaltige Reduktion der öffentlichen Verschuldung zur notwendigen Voraussetzung dafür erklärt, daß die zur Erhaltung der Arbeitsplätze und zur Sicherung des Wachstums erforderlichen Investitionsmittel der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Wir müssen also Ursachen der öffentlichen Verschuldung abbauen.
Auf eine wesentliche Ursache, nämlich die Vorstellung von der Notwendigkeit, Wachstum auch dann stützen zu müssen, wenn es zwar stattfindet, aber für unzureichend gehalten wird, habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen. Ich will es deshalb hier mit dem Hinweis bewenden lassen. Nur eines möchte ich feststellen. Vor wenigen Jahren noch galten Wachstumsraten von weniger als 4% real als eine echte Gefährdung der Regierbarkeit unserer Gesellschaft. Noch im Sommer 1978 haben die Regierungschefs beim Bonner Wirtschaftsgipfel die Auffassung vertreten, die Regierbarkeit westli-
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Dr. Biedenkopf
cher Demokratien werde gefährdet, wenn die Wachstumsraten unter diesen Pegel sinken. Für 1980 werden wir wahrscheinlich mit einer Wachstumsrate von 2 % real rechnen können, ohne daß deshalb unser Land unregierbar wird.
Die Schwierigkeiten liegen auch gar nicht bei der Bevölkerung selbst, was die Wachstumsproblematik anbetrifft.
Die Schwierigkeiten liegen wo ganz anders. Sie liegen bei der Bewältigung der Anpassungs- und Strukturprobleme, denen die Organisationen ausgesetzt sind, die in der Vergangenheit mit großem Erfolg ein Umverteilungskarussell in Gang gehalten haben. Ein Umverteilungskarussell, das ohne Beschädigung bereits vorhandener Besitzstände nur unter Bedingungen hoher Wachstumsraten in Gang gehalten werden kann.
In dem Maße, in dem Wachstumsraten zurückgehen, werden nicht, wie Herr Eppler das formuliert hat, die Institutionen unserer Gesellschaft gefährdet. Was gefährdet wird, sind die Umverteilungsbesitzstände derer, die in einem zunehmend zum Nullsummenspiel degenerierenden Umverteilungsprozeß die einzigen sind, die noch verdienen. Wir müssen diesem Problem nachgehen.
Eine der wichtigsten Ursachen für die scheinbar unausweichliche Dynamik der Expansion der öffentlichen Verschuldung liegt in einem Umverteilungsprozeß, der sich als sozial ausgibt, aber mit sozial nicht mehr viel zu tun hat.
Wir müssen den Mut haben, in diesem Zusammenhang einmal den Begriff „sozial" unter die Lupe zu nehmen. Es ist zugestandenermaßen nicht sozial, 40% der Sozialwohnungen mit Leuten zu belegen, die ein Einkommen haben, das weit über der Einkommensschwelle liegt. Trotzdem läuft das immer noch unter „sozial".
Es gibt eine ganze Reihe von politischen Zielen, die durch Umverteilung erreicht werden sollen und die sich nur deshalb als sozial legitimieren, weil sie die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Problemlösung oder der Gerechtigkeit der Umverteilung abwehren wollen. Was als sozial bezeichnet wird, das darf nach heutiger Praxis nämlich nicht mehr unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten in Frage gestellt oder nach seiner Wirtschaftlichkeit befragt werden.
Es scheint mir dringend erforderlich, die von der Regierung eingesetzte Transferkommission zusätzlich zu beauftragen, sowohl im Bereich des Sozialetats wie in dem des Subventionshaushalts den Versuch einer Neudefinition und Neubestimmung des sozialen Auftrags vorzunehmen. Ohne eine solche Neubestimmung des sozialen Auftrags vor völlig veränderten Bedingungen in der Gegenwart ist es nicht
möglich, den Umverteilungsprozeß wieder zu begrenzen und einzufangen.
Der dritte Punkt ist die Energiepolitik. Der Sachverständigenrat hat hier Vorschläge zur Einführung einer Energiesteuer gemacht, denen ich nicht ohne Vorbehalt gegenüberstehe. Ich bin der Meinung — da teile ich die Auffassung, die auch der Wirtschaftsminister zum Ausdruck gebracht hat —, daß der Einsatz der Steuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt Probleme auslöst — vor allem auch im Verhältnis zu den rohölproduzierenden Ländern —, die im Sachverständigengutachten nach meinem Eindruck nicht ausreichend bedacht sind.
Graf Lambsdorff hat am 28. November in diesem Hohen Hause über die Unverzichtbarkeit der Kernenergie gesprochen. Er hat festgestellt, daß die mit der Kernenergie verbundenen Sicherheitsprobleme lösbar seien. Er hat, ebenso wie der Bundeskanzler auch, ausgeführt, die Kernenergie sei für uns unverzichtbar. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundesregierung haben am 28. September 1979 Vereinbarungen getroffen, wie man das Entsorgungsproblem lösen kann. Der Wirtschaftminister hat im Bundestag erklärt, mit dieser Vereinbarung seien die Sicherheitsprobleme lösbar geworden.
Nach unserer Überzeugung ist das Problem einer sicheren und langfristigen Energieversorgung für unsere Wirtschaft und damit die Sicherung der existentiellen Grundlage für diese Wirtschaft, für Wohlfahrt und für Vollbeschäftigung überhaupt nur lösbar im Rahmen eines Verbunds von Kohle und Kernenergie.
Dies ist im übrigen keineswegs nur die Auffassung der Opposition im Bundestag; es ist auch die ganz eindeutige Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, es ist die Auffassung der wichtigsten deutschen Gewerkschaften, es ist die Auffassung des Sachverständigenrats, es ist im Grunde die Auffassung aller Sachkenner, die sich um das Problem der Lösung der Energiefragen bemühen.
Kohle und Kernenergie im Verbund miteinander sind die unverzichtbaren Säulen, auf denen eine langfristig angelegte, aber alsbald in Angriff zu nehmende Lösung der Energieprobleme aufbaut.
Das große Problem der Bundesregierung besteht darin, daß ihr die größere Regierungspartei bei der Lösung dieser Probleme die Gefolgschaft verweigert. Die Sozialdemokratische Partei in Nordrhein-Westfalen hat gestern den Entwurf eines Wahlprogramms für die Landtagswahl vorgelegt, in dem festgestellt wird, daß ein Bedarf an weiteren Kernkraftwerken in Nordrhein-Westfalen nicht bestehe.
Es wird außerdem festgestellt — das möchte ich hier als interessanten Beitrag zur kernenergiepolitischen Diskussion erwähnen —, die sicherste Energie sei die gesparte Energie.
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Dr. Biedenkopf
Mit anderen Worten: Macht das Licht aus, Genossen, dann kann es nicht mehr ausgehen!
Die SPD in Baden-Württemberg hat beschlossen, in ihr Wahlkampfprogramm für die Landtagswahl 1980 einen Baustopp für Kernkraftwerke in Baden-Württemberg bis 1984 aufzunehmen. Sie berät noch darüber, ob sie auch einen Genehmigungsstopp für bereits im Bau befindliche Kernkraftwerke beschließen soll.
Die FDP in Nordrhein-Westfalen lehnt durch den neugewählten Landesvorsitzenden Hirsch
den Weiterbau des Schnellen Brüters in Kalkar ab.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das? Das bedeutet, daß in Nordrhein-Westfalen, wenn Sozialdemokraten und Freie Demokraten das Regierungsmandat über den 11. Mai 1980 hinaus behalten sollten,
die Entwicklung des Verbunds von Kohle und Kernkraft an der SPD scheitern wird.
Nun wäre das kein Problem und müßte vor allen Dingen nicht Eingang in diese Debatte finden, wenn die Sozialdemokratische Partei in NordrheinWestfalen nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihren landespolitischen Problemen und der Bundespolitik hergestellt hätte. In demselben Entwurf eines Wahlprogramms steht nämlich, daß man den Ministerpräsidenten Rau wählen müsse — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt seine Politik der sozialen Sicherheit- und des äußeren Friedens fortführen. Man müsse ihn wählen — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt als Kanzler weiter erfolgreich regieren." Mir war bisher nicht bekannt, daß der Bundeskanzler sein politisches Schicksal, die Ausübung seines Amtes und die erfolgreiche Bewältigung der ihm übertragenen Aufgabe an Johannes Rau hängen muß.
Das ist um so ungewöhnlicher, als in demselben Wahlprogramm der Sozialdemokraten der Satz steht: „Wie Heinz Kühn ist Johannes Rau ein erfolgreicher und anerkannter Ministerpräsident."
Ich darf darauf hinweisen,
daß Heinz Kühn durch seine eigene Partei gezwungen wurde, den Sessel zu räumen, auf dem er saß, weil man ihn für unfähig hielt.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Angesichts der Sachverhaltsnähe, in der ich mich befinde, Herr Kollege Haase, erinnere ich mich.
Wenn aber erfolgreich regieren heißt, ein Programm zu verwirklichen — und darauf kommt es hier doch an —, dann kann der Bundeskanzler in der Energiepolitik zwar auf die unionsregierten Länder, aber nicht auf die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen rechnen. Genau das ist der Grund, Herr Haussmann, warum ich zu Beginn gesagt habe, die Mehrheit innerhalb der 7 % reicht nicht aus.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg Beschlüsse der zuständigen SPD-Organisationen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß die Kerntechnologie nicht weiter entwickelt werden kann und daß Deutschland, wie es Graf Lambsdorff unnachahmlich formuliert hat, auf dem Weg ins technologische Abseits ist. Herr Rau zieht damit die Konsequenzen aus den Beschlüssen in Berlin. Die 58%, die dort für den Leitantrag des Vorstandes gestimmt haben, sind, wie man sieht, politisch nichts wert.
Bereits kurz nach Berlin ist im Ergebnis das Moratorium der Kernenergie verwirklicht.
Nun sind wir die letzten, die meinen, das Problem der Kernenergie sei ein leichtes Problem. Aber wir sind entschieden dagegen, erstens dieses Problem zu verschleiern und zweitens etwas ganz anderes damit zu meinen, als man sagt. Dazu noch einige Bemerkungen.
Zur Verschleierung der Auseinandersetzung sind eine Reihe von Formeln erfunden worden, die den Eindruck der Entscheidungsfreudigkeit hervorrufen, in Wirklichkeit aber die Entscheidung vermeiden sollen. Die wichtigste dieser Formeln hat der Bundeskanzler gestern hier mit dem ganzen ihm zur Verfügung stehenden Pathos vorgetragen. Die Formel lautet: die Optionen erhalten. Was ist denn eine Option? Eine Option ist die Möglichkeit zu wählen. Aber sie ist keine Entscheidung.
Ich frage Sie: Was würden Sie machen, wenn Sie auf einem Dampfer mitführen, das Schiff sich geradlinig auf ein Hindernis zu bewegte und der Steuermann den Kapitän fragte, welchen Kurs er steuern sollte, worauf der Kapitän mit zackiger Stimme antworten würde: alle Optionen offenhalten?
Genau das sagt die Formel. Sie gibt eben keine Auskunft über die Frage, die Herr Haussmann gestellt
hat: Warum sind in den Haushalten nicht schon jetzt
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15237
Dr. Biedenkopf
die Mittel enthalten, um die Optionen, also die Möglichkeiten so weit zu realisieren, wie das notwendig wäre, um den Anschluß an die Zukunft nicht zu verlieren?
Die Erhaltung der Wahlmöglichkeit als solche wird bereits als eine Führungsleistung gefeiert. Nichts kann deutlicher machen als dieser Umstand, daß wir nicht mehr geführt, sondern nur noch verwaltet werden.
Die zweite Formel, vor allen Dingen vom Herrn Kollegen Wolfram, aber auch von anderen bemüht, heißt: absoluter Vorrang der Kohle.
— Herr Kollege Wolfram, ich habe nicht das Geringste dagegen.
„Absoluter Vorrang der Kohle", was heißt das denn auf deutsch? Das heißt: So viel Kohle produzieren, wie es möglich ist.
Ich habe mich bereits vor anderthalb Jahren in Bochum auf der .ersten Ruhrgebietskonferenz der CDU, lange bevor Herr Rau überhaupt das Problem des Ruhrgebiets entdeckt hatte, dafür ausgesprochen, so viel Kohle wie möglich zu fördern.
— Wollen Sie wirklich die großen Verdienste von Walter Arendt und Adolf Schmidt bei der Anpassung und Restrukturierung der Kohle mit einer solchen Handbewegung vom Tisch wischen?
Was heißt absoluter Vorrang der Kohle? Absoluter Vorrang der Kohle heißt: So viel Kohle wie möglich fördern, und zwar auch dann, wenn dies unwirtschaftlich sein sollte.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Liedtke.
Herr Kollege Biedenkopf, ich gehe davon aus, daß Ihnen wie mir bekannt ist,
daß in NRW — bleiben wir einmal in unserem Lande — eine Kraftwerkskapazität von 10 000 MW auf Kohlebasis genehmigt ist und eine solche von 10 000 MW im Genehmigungsverfahren ist, aber noch kein Kohlekraftwerk im Bau ist.
Frage an Sie, das wissend: Wieviel Megawatt Kernenergie wären im Jahre 1980 für Nordrhein-Westfalen notwendig?
Die Frage, auf das Jahr 1980 bezogen, ist, glaube ich, doch sehr irrelevant; denn da wird sich nichts mehr ändern.
Darf ich, Herr Liedtke, die Frage kurz beantworten. Der SPD-Bundesvorstand hat in den Leitfäden für die Diskussion über die Energiepolitik ausgeführt, es seien für die nächsten 20 Jahre rund 30 Kernkraftwerke notwendig, um den Energiebedarf zu decken. Ist Ihre Frage damit beantwortet?
Die Kohle hat zur Zeit einen Anteil an der Primärenergie in Höhe von 18 %; das 01 hat einen Anteil an der Primärenergie in Höhe von 50 %. Selbst wenn wir die Kohleproduktion in absehbarer Zeit um 50 erhöhen könnten, was kein Mensch im Ruhrgebiet für möglich hält, wäre es nur möglich, einen Bruchteil der Ölabhängigkeit zu ersetzen.
Gleichzeitig würde es bedeuten — ich verstehe übrigens die Erregung nicht; das sind alles Zahlen, die Sie selbst veröffentlicht haben —, daß die Kohle für die Chemie, für die Kohlevergasung und für andere wertvolle Verwendungszwecke ausfiele. Aber gerade dort, bei der Chemie, bei der Verflüssigung, bei der Vergasung, soll sie doch einen Teil der Erdölabhängigkeit der chemischen Industrie ablösen.
Das heißt, selbst wenn wir noch so viel Kohle produzierten und selbst wenn es möglich wäre, wieder in größerem Umfang Deutsche dazu zu bewegen, unter Tage zu arbeiten, was auch ein Problem ist, kämen wir ohne den Kohle-Kernenergie-Verbund nicht aus, und zwar gerade deshalb nicht, weil die wirkliche Veredelung der wertvollen deutschen Kohle ohne die Prozeßenergie, ohne die Prozeßwärme des Kernreaktors, des Hochtemperaturreaktors, überhaupt nicht möglich wäre.
Meine Damen und Herren, die dritte Formel heißt: Absoluter Vorrang der Sicherheit. Man kann dies auf zweierlei Weise interpretieren. Entweder kann man sagen: Wir wollen keine Kosten scheuen, um die Sicherheit zu bewerkstelligen — dann sind wir uns sofort einig —, oder wir meinen damit: Es darf überhaupt kein Restrisiko übrigbleiben — dann ist die Kernenergie gestorben; denn eine Energieerzeugung ohne auch das kleinste Restrisiko gibt es nach Aussagen des Bundeskanzlers, nach Aussagen des Wirtschaftsministers, nach Aussagen aller Sachverständigen nicht. Es gibt, mit anderen Worten, bei allen drei genannten Formeln dann keine entscheidende Meinungsverschiedenheit, wenn man sie richtig interpretiert.
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Dr. Biedenkopf
Die Meinungsverschiedenheit — und damit komme ich zum Schluß — liegt in Wirklichkeit ganz woanders. In Wirklichkeit — und nirgends ist das deutlicher geworden als in den Beschlüssen der SPD Schleswig-Holstein —
geht es bei der Diskussion der Kernenergiefrage um die Auseinandersetzung über eine neue Lebensform. Die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein haben in ihrem Beschluß festgestellt, es gebe keinen Bedarf für Kernenergie.
Warum haben sie dies so beschlossen? Weil man in der zukünftigen Gesellschaft, wie sie sie sich vorstellen, in der Tat auf Kernenergie verzichten kann. Hier findet innerhalb der Sozialdemokratischen Partei eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage statt, ob wirtschaftliches Wachstum Grundlage sozialdemokratischer Politik ist oder ob man vom wirtschaftlichen Wachstum abgehen und durch das sogenannte einfache Leben als eine neue Lebensform Kernenergie überflüssig machen kann. Hier wird auf der Bühne Kernenergie in Wirklichkeit über Systemveränderung gestritten.
Bisher noch handelt es sich um eine Minderheit, zu der auch Herr Eppler gehört. Dies ist die eigentliche Auseinandersetzung in der SPD.
In Berlin waren 58 % für den Leitantrag des Bundesvorstandes der SPD, aber nur deshalb, weil der Bundeskanzler mit seinem Rücktritt gedroht hat.
Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des Kohle-Kernenergie-Verbundes ist mit dieser Koalition unmöglich. Deshalb kann sie eine wesentliche Voraussetzung für weiteres Wirtschaftswachsturn, für Vollbeschäftigung und für die Einlösung des Wirtschaftsprogramms des Wirtschaftsministers nicht leisten. Aus diesem Grunde lehnen wir den Etat ab.
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Reuschenbach das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich eigentlich auf den Beitrag von Herrn Professor Biedenkopf gefreut, weil ich dachte, daß nach den vorhergehenden Diskussionbeiträgen aus den Reihen der Union nun doch ein beachtenswerter Beitrag geleistet würde. Ich muß sagen, daß er diesen Hoffnungen im ersten Teil in etwa gerecht geworden ist. Aber im zweiten Teil war das anders.
Nun ist Herr Professor Biedenkopf ein flexibler Mann. Das hat er schon mehrfach in seinem Leben bewiesen, wenn neue Positionen, neue Ziele am Horizont auftauchten. Nun ist ja ein neues Ziel an seinem Horizont aufgetaucht, nämlich Düsseldorf. Und auf dem Wege nach Düsseldorf ist wohl auch das zu verstehen, was er hier im zweiten Teil an einfachster Wahlkampfrede gehalten hat.
Lieber Herr Professor Biedenkopf, daß Sie heute die Energiefragen als Debattenthema entdecken, ist wirklich verwunderlich, nachdem wir uns vor vierzehn Tagen an dieser Stelle intensiv damit befaßt haben und nachdem die Fragen im Lande auf und ab wirklich um und um gewälzt worden sind.
Alle Vorwürfe gegenüber den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten haben nun wirklich keinen Boden. Denn diese beiden Parteien haben die Sicherung der Energieversorgung hierzulande angepackt, lange bevor die Union dieses Thema nach dem Sündenfall in den 50er und 60er Jahren wiederentdeckt hat.
Zum Thema Kernenergie will ich gar nicht allzuviel sagen. Sie wissen sehr gut, daß das meiste von dem, was Sie da produziert haben, Unterstellungen sind. Nur, die entscheidende Frage greifen Sie nicht auf. Auf die entscheidende Frage hat auch Herr Strauß gestern nicht geantwortet: In welchem Umfang, wie schnell und wo sind alle Bundesländer einschließlich der von der CDU oder der CSU geführten bereit, nicht nur den Mund zu spitzen, sondern auch zu pfeifen, nämlich Zwischenlager einzurichten? Das ist die entscheidende Frage.
Wenn diese Frage beantwortet ist, gibt es bei Sozialdemokraten überhaupt keinen Streit und keine Meinungsverschiedenheit mehr darüber, daß, wenn diese Voraussetzung gegeben ist, die jeweiligen Landesregierungen darüber zu entscheiden haben, in welchem Umfang sie Kernkraftwerke in ihrem Land genehmigen wollen.
Ihr Hinweis auf Nordrhein-Westfalen und Ihre Schlußfolgerung im Zusammenhang mit Kernenergie sind ebenfalls nicht gerechtfertigt. Sie wissen das ganz gut.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Reuschenbach?
Herr Kollege Reuschenbach, ist Ihnen bekannt, daß die SPD in BadenWürttemberg beschlossen hat, bis 1984 einen Baustopp für Kernkraftwerke durchzuführen, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Problematik der Zwischenlager gelöst werden kann oder nicht?
Herr Professor Biedenkopf, das ist mir bekannt.
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Reuschenbach
— Lassen Sie mich fortfahren. Das ist mir bekannt, aber mir ist auch bekannt, daß — und leider wird es vermutlich so bleiben — in Baden-Württemberg eine andere Partei die Landesregierung stellt, und sie muß entscheiden, was dann in ihrem Lande passiert. Der dauernde Hinweis auf die Oppositionen in den Ländern, in denen Ihre Partei regiert, ist eine billige Ausflucht aus der Verantwortung — wie im Falle Niedersachsen.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage? — Darf ich daraus entnehmen, Herr Kollege Reuschenbach, daß sich die Politik der Sozialdemokratie jeweils danach richtet, ob sie in der Regierung oder in der Opposition ist, daß sie also unterschiedlich ist, je nachdem, ob sie in der Regierung oder in der Opposition ist?
Sie wissen ganz genau, daß die Sozialdemokratische Partei — wie die CDU/ CSU auch — eine sehr föderative Partei ist. Das kann man beklagen, aber es hat auch seine Vorteile. Insofern würden Sie und ich nicht dafür plädieren, daß in den jeweiligen Zentralen in der Baracke oder auf der gegenüberliegenden Seite auf den Knopf gedrückt wird und es dann heißt: Alle Mann an Deck! Sonst müßten Sie Herrn Zimmermann bald anweisen, seinen Widerstand gegen das Kernkraftwerk in seinem Wahlkreis aufzugeben.
Herr Kollege Reuschenbach, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Simpfendörfer?
Ich bitte darum, mich weiterreden zu lassen. Soviel Zeit steht hier nicht zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, der Redner hat eine begrenzte Redezeit. Ich bitte, bei den Zwischenfragen etwas darauf zu achten, daß diese Zeit eingehalten werden kann.
Nun eine Bemerkung zu dem merkwürdigen Gebrauch, ich würde sogar sagen: dem Mißbrauch des Fremdwortes „Option". Herr Professor Biedenkopf, halten Sie es im Blick auf die Ausnutzung, die Benutzung oder den Gebrauch der Wahlmöglichkeit, um das deutsche Wort zu nehmen, nicht für sinnvoll, daß drei Ihrer Kollegen in der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" intensivst auch an Betrachtungen darüber mitarbeiten, ob die andere Wahlmöglichkeit — nämlich in 20, 30, 40 Jahren oder wann auch immer ohne Kernenergie auskommen zu können — eine realistische ist? — Sie bejahen das, und ich bin sehr dankbar für die Mitarbeit Ihrer Kollegen. Wer das aber bejaht, darf doch nicht diese beiden Wahlmöglichkeiten, von denen die Rede ist, so herabsetzen, wie Sie es getan haben, indem Sie sie als irreal und als absurd hingestellt haben.
Im übrigen wird noch ein anderer Kollege aus den Reihen der Koalition auf die Fragen der Energiepolitik eingehen.
Ich will mich ein paar anderen Bemerkungen von Ihnen, Herr Professor Biedenkopf, zuwenden. Sie haben sich schon einmal vor ein paar Monaten in zunächst überraschender Weise so wachstumspessimistisch wie heute geäußert. Sie haben darauf hingewiesen, daß das Wachstum nach Ihrer Einschätzung und Annahme in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen werde. Ich habe nach einer Weile, wie ich glaube, dann auch begriffen, was da los war. Sie haben diese Ihre Aussagen mit den Fragen der Betätigung des Staates, der öffentlichen Hände, in der Wirtschaft verbunden. Sie haben diese Aussagen mit Kreditaufnahme und Verschuldung der öffentlichen Hände verbunden. Mir ist dabei schon klargeworden, was gemeint ist. Sie wollten nämlich um Ihrer Theorie willen zum Ausdruck bringen, daß sich der Staat aus den Fragen der Wirtschaft heraushalten sollte und daß auch der Preis, der unter Umständen dafür zu zahlen ist, nämlich Abflachung oder Reduzierung des Wirtschaftswachstums mit den Konsequenzen für Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarkt halt in Kauf zu nehmen wäre. Deshalb also Ihre vorsorglichen Hinweise darauf, daß das Wachstum in den nächsten Jahren möglicherweise deutlich geringer werde.
Ich finde, diese Geringschätzung der sonst von der Opposition immer gepriesenen Selbststeuerungs- und Selbstheilungskräfte der Wirtschaft steht Ihnen eigentlich nicht an. Würde sich Ihr Wachstumspessimismus bewahrheiten, so müßte dies bei gleichzeitig hohen Produktivitätssteigerungen zum Anstieg von Arbeitslosigkeit führen. Mir ist aber schon klar: Wenn Sie den Preis zu zahlen bereit sind — Sie haben ja in schöner Offenheit gesagt: das sind halt die Opfer der Umstellungen und der Strukturveränderungen —, können Sie gerne darauf verzichten, durch öffentliche Maßnahmen Vorsorge zu treffen. Ich finde, diese Politik des Laufenlassens hat nichts mit Sozialer Marktwirtschaft zu tun. Die Väter, die dies theoretisch vorbereitet haben, haben das ganz anders gesehen, Herr Professor Biedenkopf. Sie tun ihnen unrecht, wenn Sie das, was Sie wirtschaftspolitisch für richtig halten, als Soziale Marktwirtschaft bezeichnen. Zur Feiertagsmoral der Unionspolitiker, wonach der Mensch im Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens stehe, steht diese Kaltschnäuzigkeit in eklatantem Widerspruch. Das muß ich Ihnen einmal sagen,
Da soll man sich auch nicht täuschen lassen. Was Sie da zur Zeit betreiben, sehe ich als eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik der Union, nicht als eine Fortsetzung, sondern als eine Neuordnung, eine neue Zielsetzung.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biedenkopf?
Ja.
15240 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Herr Kollege Reuschenbach, ich hätte die Zwischenfrage nicht gestellt, wenn Sie nicht das Wort „Kaltschnäuzigkeit" verwendet hätten. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, an welcher Stelle und wo ich erklärt habe, daß man Arbeitslosigkeit in der von Ihnen eben hier beschriebenen Weise in Kauf nehmen müßte?
Ich kann Ihnen das Datum nicht nennen, aber von diesem Pult aus in einer der letzten wirtschaftspolitischen Debatten, ich glaube, unmittelbar nach der Sommerpause. Ich kann es Ihnen gern heraussuchen. Es war davon die Rede, daß der Staat in der Wirtschaft im Grunde nichts zu suchen hat — auch mit Blick auf das Ruhrgebiet —, daß sich der Wandel dort vollziehen müsse und daß der Preis für diese Strukturwandlungen gezahlt werden müsse.
Herr Kollege Biedenkopf, ich muß Sie bitten, darauf Rücksicht zu nehmen, daß der Redner nur die Hälfte der Redezeit hat, die für Sie angemeldet war.
— Das kann er.
Ich verstehe nicht, was Sie mit ,Morgenpost" meinen.
— Verzeihen Sie mir, Sie können mir ruhig glauben, daß ich an der Stelle, wo ich meine, daß es nötig ist, auch gegenüber meinen eigenen Freunden klare Worte rede.
Nur von den Verantwortlichen ist keiner im Saal.
Ich wollte nur sagen, man soll sich nicht täuschen lassen, daß das, was Herr Professor Biedenkopf da an neuerer Wirtschaftspolitik in die Unionspolitik einführt, ein Tageseinfall wäre, sondern dies ist nach meiner Einschätzung Staats- und wirtschaftspolitische Gegenreformation von rechts. Die Neukonservativen in den Vereinigten Staaten vom Schlage Feldstein und Nozick finden offenbar zunehmend Jünger in den Reihen der Union. Deren These lautet schlicht und einfach: Der Staat soll aufhören, Wirtschaftspolitik zu machen, und der Wohlfahrtsstaat sei vom Übel.
Das halte ich in der Tat für einen zentralen Angriff auf das Prinzip der Sozialstaatlichkeit. Ihre Kolumne, Herr Professor Biedenkopf, in einer der letzten Ausgaben von „Manager-Magazin" hat mich da doch richtig erschreckt. Sie haben dort unter anderem zu Papier gebracht:
Die Politik hat eine Stelle erreicht, wo es für sie
nur noch die Alternative anzubieten gibt: Freiheit oder Sicherheit, aber nicht mehr beides zusammen.
Wenn Sie dieses nicht nur mit den Schlagworten stehen lassen, sondern im Zusammenhang mit Wirtschaftspolitik, mit Strukturpolitik, mit Arbeit, mit Vollbeschäftigung zu Ende führen, so ist die Konsequenz eine Politik des Laisser-faire, Laisser-aller, wie man sie sich — ich sage es noch einmal — kaltschnäuziger überhaupt nicht vorstellen kann, wo es nur noch die Wahl gibt zwischen diesen beiden Möglichkeiten: Freiheit oder Sicherheit. Da gehen die Schwachen, da gehen diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, am Markt die Schwächeren geblieben sind, rasch unter die Räder.
Das zentrale Anliegen der Wirtschaftspolitik bleibt auch in Zukunft eine Sicherung des langanhaltenden, kräftigen, sich selbst tragenden Wachstumsprozesses. Ihre pessimistischen, Einschätzungen darüber mögen Ihre Einschätzungen sein, können aber nicht unsere Politik sein, denn angesichts der Aufgaben, die vor der Tür stehen, bleibt überhaupt keine andere Wahl, als sich mit öffentlichen Instrumenten und Mitteln darum zu kümmern, daß für die Bewältigung dieser Aufgaben Raum genug bleibt.
Wenn wir trotzdem und gleichzeitig die Begrenzung der industriellen Entwicklung betonen und Umweltschutz nicht als lästige Pflichtaufgabe erledigen, wenn wir auf optimale Schonung der Landschaft und sparsamen Umgang mit Ressourcen hinarbeiten, dann brauchen wir uns weder von dem mitleidigen Lächeln oder gar von bissiger Kritik aus den Reihen der Opposition sonderlich beeindrukken zu lassen, weil wir uns da in guter Gesellschaft befinden.
Dreimal darf geraten werden, wer den Politikern wie folgt ins Gewissen redet — ich zitiere —:
Wir scheinen uns heute wohl mehr der Tatsache bewußt zu sein, daß die Nutzung der Erde, jenes Planeten, auf dem wir leben, eine vernünftige und gerechte Planung erfordert. Gleichzeitig aber bewirken diese Nutzungen zu wirtschaftlichen und sogar militärischen Zwecken, diese unkontrollierte Entwicklung der Technik, die nicht eingeordnet ist in einem Gesamtplan eines wirklich menschenwürdigen Fortschrittes, oft eine Bedrohung der natürlichen Umgebung des Menschen. Sie entfremden ihn von .seiner Beziehung zur Natur, sie trennen ihn von
ihr ab. Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung seiner natürlichen Umwelt wahrzunehmen als allein jene, die dem Zweck eines unmittelbaren Gebrauches und Verbrauches dient.
Das sagt kein Marxist, auch kein Systemveränderer, sondern der Papst Johannes Paul in seiner letzten Enzyklika. Ich finde, Sie sollten sie häufiger lesen und ihn nicht nur ehren, sondern auch seine Empfehlungen ernster nehmen, vor allen Dingen in der Auseinandersetzung mit Ihren politischen Gegnern.
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Reuschenbach
Leider ist es bei Ihnen wie auch bei den meisten anderen Kollegen aus Ihrer Fraktion dabei geblieben, mehr oder weniger kleinkarierte Kritik an Vergangenem zu üben. Sie haben Ihre Theorie des „der Markt über alles" in den Mittelpunkt gestellt, aber kaum jemand von Ihnen hat — über Allgemeinplätze hinaus — nun wirklich gesagt, wie eine künftige Wirtschaftspolitik, die man anstreben müßte, aussehen könnte und aussehen sollte. Sie mögen das selbst verantworten, Sie mögen glauben, das wäre besser, als ehrlich und offen die Wahrheit zu sagen. Ich bedauere das, weil die Diskussion so schwierig ist, wenn man sich nur an Kritik und nicht auch an dem reiben kann, was ein anderer für richtig hält.
Deshalb halte ich es wirklich für vertretbar, zusammen mit anderen zu sagen: Bisher hat es in dieser wirtschaftspolitischen Debatte an Alternativen wenig Erkennbares gegeben, und wer als einziges den Glauben übrigläßt, man könne alles allein dem Markt überlassen, meldet sich in Wirklichkeit aus der Politik ab.
Das neoliberalistische Wirtschaftskonzept würde früher oder später zur Zerstörung der sozialen und der politischen Stabilität hierzulande führen.
Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Professor Biedenkopf, das einkalkulieren; das kann ich zwar nicht behaupten, aber für möglich halte ich es inzwischen.
Unserem Votum für den Haushalt des Wirtschaftsministers möchte ich unseren ausdrücklichen Dank an ihn und seine Mitarbeiter hinzufügen.
Das gilt auch seitens jener unter uns, die sich im Detail gelegentlich mit ihm anlegen oder an ihm reiben; er ist ja ein Mann, der hart im Nehmen und hart im Geben ist. Unser Dank und Respekt fällt uns vor allen Dingen deshalb nicht schwer, weil er ein Mann ist, bei dem ja ja und nein nein ist, und diese Klarheit und Verläßlichkeit ist eine solide Grundlage. für weitere vertrauensvolle und erfolgreiche Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst, Herr Reuschenbach, herzlichen Dank!
Ich hatte mich gestern während der Debatte — wie ich zugebe, unziemlicherweise — für eine Stunde entfernt. Das ist erfreulicherweise nicht aufgefallen, und das ist auch gut so.
Das erklärt sich daraus, daß ich gebeten worden war, an einem Fernsehinterview teilzunehmen, an dem sich außerdem ein japanischer, ein englischer und ein amerikanischer Wirtschaftspolitiker sowie der
kuwaitische Finanzminister beteiligten. Das Interview war nicht lang, es gab nicht viele Fragen.
Aber drei Fragen waren in der Form, wie sie gestellt wurden, für mich doch interessant; sie führten mich dazu, daß ich abwehren mußte.
Es wurde zunächst gefragt: Können Sie uns verraten, wie es die Bundesrepublik Deutschland möglich gemacht hat, bei der Bekämpfung der Inflation am erfolgreichsten von uns abzuschneiden?
Die zweite Frage lautete: Können Sie uns verraten, wie es die Bundesrepublik Deutschland fertiggebracht hat, in der Frage der Arbeitslosigkeit so erfolgreich zu sein?
Die Schlußfrage war: Werden Sie nach Ablauf von zehn Jahren, am. Ende der 80er Jahre, auch sagen können, daß die Bundesrepublik Deutschland im Kreise dieser Länder ihre Probleme am erfolgreichsten bekämpft hat?
Ich habe Ihnen gesagt: Ich habe etwas abwehrend geantwortet. Da gibt es durchaus Differenzierungen.
Als ich ins Plenum zurückkam, sprach hier der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß und ich habe mir erneut die Frage gestellt: In welchem Land leben wir eigentlich, und ist das das Land, nach dem ich befragt worden bin, das von dieser Stelle im Deutschen Bundestag beschrieben wird?
Nun hat sich Herr Strauß angewöhnt, nicht mehr in der Art mit uns umzugehen, wie es in der von Herrn Wehner gestern zitierten Rede damals noch geschah. Ich fand es sehr richtig, daß Sie den Namen des schönen bayerischen Ortes herausgelassen haben; man tut ihm unrecht, wenn man ihn immer wiederholt. Aber was uns berichtet wurde, war nicht die Situation dieses Landes am Ende der 70er Jahre, und wie es uns berichtet wurde, das klappte nicht mehr so recht und wirkte nicht. Das war ja wohl spürbar. Der alte Franz Josef Strauß darf er nicht sein, und der neue Franz Josef Strauß kann er nicht sein.
Das erinnerte mich ein wenig an die englische Spruchweisheit, die man vielleicht einigen seiner Berater empfehlen sollte: You don't teach an old dog new tricks.
So ist auch das Echo dieser Debatte. Ich habe mir nur drei Zeitungsausschnitte herausgesucht, natürlich aus drei Zeitungen, die Ihnen, den Damen und Herren der Opposition, nahestehen. Das beginnt mit der „Rheinischen Post": „Nur wenig deutete darauf hin, daß der Majestät in Bonn vom bayerischen Thron aus Gefahr droht. Die „Kölnische Rundschau schrieb unter der Überschrift „Mißglückter Angriff": „Das war nicht die große Stunde der Opposition. In der „Rheinpfalz" war zu lesen: „Will Strauß politi-
15242 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
scher Kabarettist werden oder Chef eines Kabinetts?"
— Das ist eine Auswahl aus Ihnen nahestehenden Zeitungen. Das wird man doch vielleicht sagen dürf en, verehrter Herr Kollege.
— Nein, die haben nicht meine Referenten vorgelegt, Sie täuschen sich. Ich habe die Presse selbst durchgesehen und mir die Artikel selber herausgesucht!
Im übrigen zeigt sich ja, daß es zwischen praktischer politischer Arbeit, auch im Regierungsamt, und dem, was man, auch von diesem Pult aus, verkündet, Unterschiede gibt. Ich habe den Eindruck, daß auch der bayerische Ministerpräsident merkt, daß es selbst mit der satten Mehrheit der CSU im Landtag in München so ohne weiteres und so glatt nicht läuft. Ich möchte Ihnen drei Stichworte nennen. Da gibt es diese — das müßte man hier wirklich zur Kenntnis nehmen, es spielt sich ein bißchen fern von uns ab — geradezu ungewöhnlich erheiternde Feiertagsdebatte in Bayern.
- Ich nenne Ihnen drei Stichworte, Herr Glos, und ich werde gleich den Zusammenhang wiederherstellen. Haben Sie keine Sorge! — Dieses, wie gestern die „Frankfurter Neue Presse" schrieb, , Konkubinat zwischen Kommerz und Klerus" meine ich. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CSU, wo da eigentlich die sonst so oft beschworene Schonung der mittelständischen Wirtschaft bei der hier angeregten Feiertagsregelung bleibt.
Da gibt es die hier schon erwähnte Diskussion — damit sind wir wieder sehr in Bonn, Herr Glos — mit einer ganz und gar unbefriedigenden Antwort des bayerischen Ministerpräsidenten gestern in der Frage der Zwischenlager und der Standortgenehmigung für Kernkraftwerke auch im Freistaat Bayern. Und da gibt es — damit sind wir zum drittenmal mit einer Verbindungslinie in Bonn — die geradezu unglaubliche Tatsache, daß es dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht einmal gelingt, die Fraktion seiner eigenen Partei im Stadtrat von München dazu zu bringen, die Gewerbesteuer zu senken und nicht die Lohnsummensteuerausgleiche einzukassieren.
Was taugen die Versprechungen neuer Steuersenkungen, wenn man in seinem eigenen Bereich nicht einmal in der Lage ist, eine kümmerliche Gewerbesteuersenkung zustande zu bringen?
Ich habe ein wenig den Eindruck: Hier ist der bayerische Löwe zum Papiertiger geworden.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Aber gern.
Herr Bundesminister, würden Sie dem bayerischen Ministerpräsidenten empfehlen, die gleiche Methode bei Herrn Kiesl zu praktizieren, wie sie die FDP mit Herrn Riemer praktiziert hat?
Ich könnte mir vorstellen, daß das für den bayerischen Ministerpräsidenten im Ergebnis jedenfalls eine erhebliche Erleichterung bedeuten würde.
Meine Damen und Herren, wir wissen ja alle — auch Sie wissen es —, daß Politik die Kunst des Möglichen ist. Wenn auch Sie es wissen, dann legen Sie bitte keine unterschiedlichen Maßstäbe dort an, wo wir Verantwortung tragen, und dort, wo Sie Verantwortung ausüben müssen, sondern messen Sie mit gleicher Elle!
Es wird ja wohl auch Ihnen aufgegangen sein — uns und der Offentlichkeit jedenfalls ist das, wenn ich es recht sehe, aufgegangen —, daß der Herr Kollege Barzel hier gestern eine eindrucksvolle Rede gehalten hat. Ich habe darüber nachgedacht, warum das wohl so war. Es war zum Teil sicherlich deswegen so, weil die Forderungen, die er hier im Stile seiner sonntäglichen Feuilletonarbeiten vorgetragen hat,
mit schöner, unbekümmerter Absolutheit vorgetragen wurden. Das kann man sich, meine Damen und Herren, gefallen lassen, aber nur dann, wenn sich die Opposition mit dem gleichen Maßstab messen läßt.
So, Herr Kollege Biedenkopf, war das ja auch in der ersten Lesung des Haushalts. Sie haben das Thema heute noch einmal aufgegriffen: Verschuldung und Wachstum. Sie haben gesagt, 2 % sei autonomes Wachstum — das war damals etwa Ihre Schätzung —, der Rest sei hochsubventioniert. Ist das Wachstumspessimismus? Ich meine ja, Herr Biedenkopf.
Ich glaube; daß eine solche Feststellung mindestens zu Wachstumspessimismus führt und damit — da Wachstum sehr weitgehend auch von psychologischen Faktoren abhängig ist — der weiteren Ent-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
wicklung notwendigen Wachstums — ich will es sehr vorsichtig ausdrücken — jedenfalls nicht förderlich ist.
Wir alle wissen, daß Umstände aufgetreten sind, die es uns realistisch erscheinen lassen, für die Zukunft von einem Szenarium auszugehen, das niedrigere Wachstumsraten vorhersieht. Aber ich möchte dieses Szenarium nicht mit einem Deckel in Höhe von 2 % zuschließen. Sie haben selber darauf hingewiesen, daß die meisten vorliegenden mittelfristigen Vorausschätzungen der Institute für 1980 bei etwa 3 %, manchmal 3,5 % — der Sachverständigenrat geht von 2,5 % bis 3 % aus — liegen.
Wie gesagt, Wachstumspessimismus scheint mir fehl am Platze zu sein. Natürlich wissen wir, daß jede Zielprojektion immer nur eine Zwischenstation auf dem Wege oder in dem Prozeß des — um es englisch auszudrücken — „trial and error" sein kann.
Der Politik-Spielraum in einem solchen Szenarium niedrigeren Wachstums ist begrenzt, aber er ist dennoch vorhanden.
Die Politik würde sich aus ihrer Verantwortung entlassen, Herr Biedenkopf, wenn sie von vornherein Ihre 2-%-Rate hinnehmen würde. Da stimme ich mit Herrn Reuschenbach überein.
Die Beschäftigungsprobleme würden sich bei diesem Wachstum noch verschärfen. Die Rentenversicherung würde aufs Spiel gesetzt. Die Bundesrepublik hätte zunehmende Schwierigkeiten, ihren wachsenden internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Eine derartige Wachstumsverzichtspolitik ist in meinen Augen nicht vertretbar, auch nicht über den Ansatz, Herr Biedenkopf, den ich sehr ernst und sehr wichtig nehme — ich komme darauf noch zu sprechen —, der notwendigen Einschränkung der öffentlichen Verschuldung. Denn: Wir wollen zwar konsolidieren, aber wir wollen uns nicht zu Tode konsolidieren. Man darf die Kuh, die man melken will, gewiß nicht schlachten, aber man darf sie auch nicht verhungern lassen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biedenkopf?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, darf ich Ihren Formulierungen entnehmen, daß Sie auch eine 2,5 %ige Wachstumsprognose als Wachstumspessimismus betrachten?
Ich glaube, daß eine 2 %ige Wachstumsprognose in dem Szenarium, in dem Sie sie hier vorgestellt haben — Sie haben das als die Grenze des autonomen Wachstums bezeichnet und davon gesprochen, das sei die Grenze dessen, was freiwillig geschöpft würde —, und im Zusammenhang mit dem gesamten Hintergrund eine pessimistische Darstellung ist. Es kommt nicht so sehr auf die Zahl an, es kommt vielmehr auf die Verbindung von Zahl, Argumentation und Hintergrund an.
Ob Konjunkturabstützung in einen sich selbst tragenden inflationsfreien Wachstumsprozeß einmündet, hängt nicht nur von Defiziten generell ab, sondern es hängt ganz wesentlich von der Art der Defizite ab. Die Erfahrung der Konjunkturprogramme 1974/75 war wohl letztlich, daß staatliche Ausgabenprogramme eine Eigendynamik von Wachstumsprozessen nicht zureichend ersetzen können. Massive zusätzliche Ausgabenprogramme bergen die Gefahr, daß sich ein zusätzlicher Ausgabensockel bildet, der zu einer dauerhaften Erhöhung der Staatsquote führt, weil man diese Ausgaben nicht wieder wegbekommt. Öffentliche Defizite, die über Steuererleichterungen den privatwirtschaftlichen Handlungsspielraum erleichtern, vergrößern die Chance für mehr Eigendynamik der Wachstumsprozesse.
Diesen Aspekten hat die Bundesregierung bei ihren finanzpolitischen Maßnahmen 1977/78 Rechnung getragen. Die Defizite dieser Jahre sind insofern nicht lediglich einer, wie Sie damals meinten, Herr Biedenkopf, an Keynes orientierten Ausgabenpolitik zuzuschreiben, sondern sie sind auch das Ergebnis einer bewußt auf Verbesserung der Angebotsbedingungen zielenden Politik. Und hier befindet sich die Bundesregierung in ihrer praktischen Politik weitgehend in Übereinstimmung mit dem, was der Sachverständigenrat gefordert hat, wenn auch, wie ich zugebe, der Sachverständigenrat es schon früher gefordert hatte.
Das Instrumentarium, die Mischung zwischen angebots- und nachfrageorientierten Maßnahmen der Bundesregierung 1977/78, kombiniert mit einer gesamtwirtschaftlich verantwortungsbewußten Lohnpolitik, bestätigt sich heute in einem selbsttragenden Konjunkturaufschwung. Wir stellen dies mit Befriedigung fest.
Herr Biedenkopf, ich möchte Ihnen auch hier bestätigen — das war ja dasselbe, was Herr Reuschenbach in seinen einführenden Worten anklingen ließ —: Was Sie gesagt haben, bietet Anhaltspunkte für eine interessante und vertiefte Diskussion. Es stimmt schon, was am vorigen Sonntag oder Sonnabend in Münster gesagt worden ist: Wir teilen Ihre Meinung nicht; aber Sie können sie wenigstens begründen, und das können keineswegs alle bei Ihnen.
Aber, Herr Biedenkopf, Sie hören dort auf, wo die aktuellen Probleme der Wirtschaftspolitik anfangen. Ich hatte eigentlich gehofft, daß nach dem, was Herr Haussmann heute als Aufforderung sagte, wir einmal mehr über die Frage hören würden, wie und wo der Ansatz gefunden werden könnte, um auf dem Gebiet der öffentlichen Verschuldung zu besseren Ergebnissen zu kommen.
In der Tat ist es richtig — zwei Stichworte haben Sie geliefert; aber mit beiden fange ich wenig genug an —, die Transfereinkommen unter die Lupe zu nehmen. Dafür haben wir die Transfer-Enquetekommission eingesetzt. Leider haben wir es inzwischen
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auf diesem Gebiet so weit gebracht, daß allein eine solche Untersuchung drei bis vier Jahre dauert, um sich durch dieses Gestrüpp zu finden und das einmal aufzuschreiben.
— Nein. Also erstens ist es schon gar nicht das Produkt meiner Erziehung. Und zum zweiten ist es jedenfalls, Herr Biedenkopf, das Produkt von 30 Jahren Regierungstätigkeit und keineswegs nur von zehn Jahren. Sie wissen, genauso wie ich, daß es da Tatbestände gibt. Denken Sie doch an. den sozialen Wohnungsbau. Was Sie hier kritisiert haben, sind alles Bestimmungen, die uralt sind,
die sich nur in veränderten Umständen zu veränderten Bedingungen entwickelt und zu veränderten Folgen geführt haben.
Deswegen bin ich durchaus mit Ihnen einig, daß man über die Ursachen der öffentlichen Verschuldung und vor allen Dingen über die Frage, wie und wo man sie abbauen kann, systematisch und gründlich nachdenken sollte.
Nur, Herr Kollege Biedenkopf, muß ich in dem Zusammenhang doch eine Frage an die Opposition richten. Marktwirtschaftliche Bekenntnisse in diesem Zusammenhang höre ich natürlich übergenug. Aber an wen soll ich mich denn gerade im Zusammenhang mit dieser Diskussion nun eigentlich wirklich halten? An Frau Breuel in Niedersachsen mit ihrer Absage an Subventionen? Oder an Herrn Jaumann, der im Freistaat Bayern fleißig eine Textilfabrik nach der anderen saniert und damit der mittelständischen Konkurrenz ganz erhebliche Nachteile zufügt? An Sie, Herr Biedenkopf, der die öffentlichen Ausgaben beschneiden will? Oder an Herrn Blüm, der gestern nachmittag von derselben Stelle aus für dieselbe Fraktion ein sozialpolitisches Programm verlangt hat, das zusätzlich Milliardenbeträge kostet? An die Marktwirtschaftler, die ein verschärftes Wettbewerbsrecht verlangen, oder an die — ich gebe zu: in allen Parteien vorhandenen — Zunftpolitiker, die ganze Bereiche vom Wettbewerbsrecht ausnehmen wollen? Da ist nicht mehr viel wirtschaftspolitische Linie in Ihrer Partei zu sehen, Herr Biedenkopf, und Sie wissen das selber sehr genau.
Da wird viel über Marktwirtschaft gesprochen, aber nicht mehr viel dafür getan.
Herr Biedenkopf, auch Sie sind dann natürlich schweigsam — ich verstehe das ja; ich halte das hier nur fest —, wenn es um Subventionen für ein Land oder eine Region geht, in der Sie glauben, politische Hausmacht zu haben, oder in der Sie welche erringen wollen. Dabei halte ich die Zielansprache von Herrn Reuschenbach für etwas ungenau. „Ziel" heißt doch nicht Endstation Düsseldorf, Herr Reuschenbach.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich gerade in diesem Zusammenhang einige Worte zur sozialen Verpflichtung und auch zur freiheitssichernden Funktion der Wirtschaftsordnung, in der wir leben, sagen. Dieses Thema ist heute und auch gestern schon angeschnitten worden. Ich bin davon überzeugt, daß die Marktwirtschaft auch in sich eine soziale Funktion hat und daß das Soziale nicht erst mit der Sozialpolitik beginnt. Ein System, dessen Herzstück der Wettbewerb, die Balance der Kräfte ist, das wie kein anderes Chancen ermöglicht, Spielraum gewährt, wirtschaftliche Macht bändigt, erfüllt damit eine eminente gesellschaftliche Funktion. Ordnungspolitik ist in diesem Sinne auch Sozialpolitik. Es widerspricht mitnichten den Geboten des Sozialstaates, zu denen wir uns uneingeschränkt bekennen, wenn soziale Sicherungen soweit als möglich marktkonform gestaltet werden, im Gegenteil. Vernachlässigung von Marktgesetzen schlägt oft genug zum Schaden der Beteiligten aus.
Es gibt also eine enge Interdependenz von Wirtschaftlichem und Sozialem, die von beiden Seiten her gesehen und beachtet werden muß. Die Marktwirtschaft ist Basis eines freiheitlichen Systems sozialer Sicherung. Ich bin mit Ihnen einig, Herr Biedenkopf, daß es notwendig und wünschenswert wäre, ohne Vorurteile, ohne Vorbehalte — ich mache mir nichts vor: das ist natürlich in einem Wahljahr nicht möglich — den Begriff des Sozialen neu zu definieren und — nachdem wir nunmehr 30 Jahre dabei sind, Gesetze zu verabschieden, Verordnungen zu erlassen, Erleichterungen zu schaffen — sich darüber einmal Klarheit zu verschaffen, wo inzwischen Sinnvolles zu Unsinnigem, wo inzwischen Wohltat zu Plage geworden ist, weil sich die Verhältnisse weiterentwickelt haben und nicht mehr die gleichen sind wie zu dem Zeitpunkt, in dem man das eine oder andere beschlossen hat. Ich sage das ganz bewußt auch an unsere eigene Adresse. Wenn jemand nur drei oder vier Jahre regiert, kann er dem nächsten überlassen, einiges in Ordnung zu bringen. Wenn er zehn Jahre lang regiert, wird er selber darüber nachdenken, und wenn er hoffentlich noch länger regiert, wird sich diese Verpflichtung und diese Notwendigkeit noch erhöhen.
Aber ich will auch ganz bewußt als Wirtschaftsminister sagen, daß das System der sozialen Sicherung in meinen Augen geradezu den Charakter eines vierten Produktionsfaktors hat. Es ist mit einer solchen Erklärung noch nichts darüber gesagt, wie dieses System funktioniert, was an diesem System notwendig und unverzichtbar ist und was man vielleicht ändern muß. Hier befinden wir uns in einer Art permanenter Diskussion.
Das Funktionieren dieser Ordnung, meine Damen und Herren, setzt allerdings die freie und verantwortliche Mitarbeit der Bürger, der Unternehmer, der Arbeitnehmer, der Beamten, der Selbständigen, der Kaufleute, aller in unserem Lande, voraus. Diese freie und verantwortliche Mitwirkung aller ist aber nur zu erreichen und zu erhalten, wenn sich auch
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
alle Wirtschaftsteilnehmer als voll integriert in dieses System fühlen können. Hierzu leisten die sozialen Sicherungen einen durch nichts anderes zu ersetzenden Beitrag.
Das System der sozialen Sicherung ist gewiß zunächst die Antwort auf die humane Forderung einer demokratischen Gesellschaft.
Es ist aber ebensosehr auch Grundbedingung einer dauerhaft funktionierenden Marktwirtschaft. Soziale Sicherung und Marktwirtschaft sind keine Gegensätze; sie sind vielmehr beide tragende Säulen einer freien Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, Marktwirtschaft ist in meinen Augen und nach meiner Vorstellung ohne eine enge und unauflösbare Verbindung zur Freiheit in einer Gesellschaft überhaupt nicht denkbar.
Sie ist auch eine der Voraussetzungen für diese Freiheit. Beides bedingt einander.
Eben weil Wettbewerb Macht bändigt, weil Wettbewerb im wirtschaftlichen Ablauf Minderheiten Chancen verschafft, eben deswegen müssen wir auch dafür sorgen, daß kleine und mittlere Unternehmen ihre Chancen in diesem Markt behalten;
denn sie sichern Leistungsfähigkeit und Flexibilität dieser Wirtschaft.
Sie sichern aber mehr.
— Meine Damen und Herren, ich wende mich damit keineswegs nur an eine, wie Sie meinen, Herr Spies von Büllesheim, bestimmte Seite des Hauses. Ich wäre in der Lage, Ihnen den ganzen mittelstandspolitischen Sündenkatalog Ihrer Zeit vorzulesen, wenn Sie das gerne haben wollen.
— Nein, daran sind Sie auch nicht beteiligt gewesen. Das hat zum Teil die Große Koalition ausgeheckt. Ein Teil liegt aber auch schon weiter zurück, Herr Biedenkopf.
Auch gesellschaftspolitisch sind diese Gruppen unseres Volkes, gerade die Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen, die noch selber haften, die Selbständigen, unerläßlich, weil durch sie Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbehauptungswillen nicht nur deklamiert, sondern gelebt wird.
Meine Damen und Herren, wer Freiheit will, der muß die ganze Freiheit wollen, nicht nur die wirtschaftliche Freiheit.
Deswegen bin ich zutiefst mißtrauisch gegenüber solchen, die von Freiheit der Wirtschaft reden, Freiheitsuchende aber in Diktaturen abschieben.
Das ist nicht die unteilbare Freiheit, die ich meine, sondern — —
— Das mag Ihnen durchaus mißfallen, meine Damen und Herren,
aber ich wünsche mir bei uns Freiheit, die von einem unteilbaren Freiheitsbegriff ausgeht,
Freiheit, die nicht nur Freiheit in der Wirtschaft bedeutet, sondern die sich insbesondere gegenüber Hilflosen und Verfolgten darstellt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, haben Sie mit dieser Passage gerade die mehrjährige Praxis deutscher Auslandsbehörden angesprochen, die diejenigen, von denen sie den Eindruck hatten, daß sie Asyl suchen wollten, nicht in die Bundesrepublik hineingelassen, sondern an die deutschen Vertretungen in ihren Heimatländern zurückgewiesen haben mit der Aufforderung, dort ihren Antrag zu stellen?
Herr Kollege Graf Stauffenberg, Sie haben sehr wohl verstanden, daß ich die gemeint habe, die bereits den Boden der Bundesrepublik Deutschland erreicht hatten und von hier aus wieder zurückgeschickt wurden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Bitte sehr.
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Herr Bundesminister, haben Sie nicht den Eindruck, daß Sie gerade mit doppelter Moral messen?
Nein.
Mir mißfällt das, und ich sage das ganz deutlich und ganz bewußt, weil ich der festen Überzeugung bin, daß wir — und das nimmt auch diese Bundesregierung für sich in Anspruch — in dem freiheitlichsten Staat leben, den es auf deutschem Boden je gegeben hat. Weil ich das so sehe, sage ich auch, daß ich die vom Kollegen Barzel zitierten Äußerungen von Professor Jens für ungerechtfertigt, falsch und unverantwortlich halte.
— Ich habe mein eigenes Urteil zu dieser Frage gesagt, und damit genügt es.
Ich will an dieser Stelle ein paar Worte zu den Argumenten sagen, die hier zum Haushaltsplan 09 und auch zur Wirtschaftspolitik in der Debatte vorgebracht worden sind, soweit sie über das hinausgehen, was ich hier vortragen konnte. Ich bin Frau Kollegin Simonis für einige Hinweise, die sie gegeben haben, durchaus dankbar. Sie versetzen mich in die angenehme Lage, auch aus meiner Sicht das eine oder andere Kritische zu einigen Entscheidungen zu sagen.
Erstens. Frau Simonis, von mir aus — das habe ich dem Haushaltsausschuß bei den Haushaltsberatungen 1979 sehr deutlich gesagt — hätte auf die Förderung regionaler Erdgasleitungen immer verzichtet werden können. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß dies die Gesellschaften selber tun sollten. Nur: Dies war eine Entscheidung des Parlaments — so war es, eindeutig — und nicht die Entscheidung und nicht der Antrag des Wirtschaftsministers. Das ist völlig eindeutig.
Zweitens. In der Frage der Rohstoffversorgung finden Sie mich in einer ähnlich skeptischen Position, wie sie Frau Simonis hier dargestellt hat, allerdings mit einem Unterschied: Wenn schon Rohstoffversorgung, dann möchte ich dabei den Staat nicht in dem Ausmaß tätig sehen, wie ich es aus Ihren Ausführungen entnehmen konnte, weil ich nicht glaube, daß Regierungsräte, Oberregierungsräte und Ministerialräte über die notwendige Eignung verfügen, um Kobalt einzukaufen, zu verkaufen, zu lagern, zu bewirtschaften und was damit alles zusammenhängt.
Ich möchte das, was wir auf diesem Gebiet allgemeinpolitisch offenbar für unerläßlich halten — ich unterstelle diese Voraussetzung —, in einer möglichst marktnahen Form getan wissen, unter Einsatz
der Kenntnisse und der praktischen Erfahrungen der in diesem Gebiet tätigen Unternehmen — selbstverständlich unter Mitwirkung der öffentlichen Hand in dem Fall, daß über die Bestände verfügt werden soll. Denn eines darf uns wohl nicht passieren: daß wir unter Einsatz auch öffentlicher Mittel, mindestens unter Einsatz von Zinssubventionen aus dem Haushalt, schließlich nichts weiter erreichen, als daß wir Lagerbestände aufbauen, durch die sich die Wirtschaft von ihren Lagerbeständen und den damit verbundenen Kosten entlastet. Das kann wohl nicht das Ziel des Unternehmens sein.
— Wir arbeiten daran, Herr Breidbach. Wir haben der Wirtschaft die Vertragsentwürfe jetzt übersandt. Das ist nicht ganz einfach. Im übrigen war es nicht so eilig, weil wir nicht die Absicht hatten — wahrscheinlich hätten Sie uns das empfohlen —, in die Rohstoffmärkte mit ohnehin steigenden Preistendenzen auch noch kräftig hineinzukaufen und damit die Ware noch weiter zu verteuern.
Der Kollege Glos hat — ich bedanke mich dafür — mir Anerkennung gezollt für unsere Haltung im Fall AEG. Darf ich Sie daran erinnern; Herr Glos, daß der erste, der sich öffentlich für den Einsatz von öffentlichen Bürgschaften ausgesprochen hat, der Ministerpräsident Albrecht des Landes Niedersachsen gewesen ist.
Ich mache gar keinen Hehl daraus, daß — vom Ergebnis her gesehen — die Entscheidung, eine Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen DM für Beton- und Monierbau zu übernehmen, die mir damals außerordentlich schwergefallen ist — meine Mitarbeiter wissen das noch —, eine falsche Entscheidung war. Aber ich möchte Sie dringlich bitten, jede Unterstellung derart, daß diese Bürgschaftsentscheidung getroffen worden sei wegen der persönlichen Beziehungen des Bundeskanzlers zu dem verstorbenen Aufsichtsratsvorsitzenden, zu unterlassen. Daran ist kein wahres Wort. Von beiden hat mit mir niemand vor dieser Entscheidung gesprochen.
Das brauchen Sie nicht festzustellen; denn ich sage Ihnen: Mit mir hat niemand gesprochen.
Der einzige Punkt, der mich in der Argumentation davon überzeugt hat, sich für diese Bürgschaft auszusprechen, war der Umstand, daß bei Fälligwerden der Verpflichtungen in Algerien und bei dem „Nicht-mehr-bezahlt-werden-Können" der Verpflichtungen in Algerien weitere größere Bürgschaftsverpflichtungen, die der Bund übernommen hatte, ebenfalls fällig gestellt worden wären. Dieses allein geschäftliche und wirtschaftspolitische Argu-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
ment hat mich damals überzeugt zu sagen: Ich mache dies.
— Der Anruf bei Herrn Riemer hat erbracht, daß wir es beide gemacht haben.
Herr Glos, ich will Ihre Frage weiter beantworten. Ich habe mit Interesse gehört, daß sie mir die 40-Millionen-Frage — Verzicht auf das Kohledrittel in Nordrhein-Westfalen — ordnungspolitisch ankreiden. Ich möchte sagen, wenn es Haushaltsordnung ist, könnte man sicherlich darüber diskutieren. Ein ordnungspolitscher Punkt ist es nicht. Aber für Sie spielt ja nur der Briefkasten eine Rolle. Ich habe natürlich auch von dem Kollegen Biedenkopf zu diesem „ordnungs-politischen Fauxpas" kein Wort gehört. Wir sind uns alle darin einig, daß das läuft und daß ein Formular gefunden werden mußte. Ich habe das im Haushalts- und Wirtschaftsausschuß sorgfältig begründet und aus meiner Position in dieser Frage keinen Hehl gemacht.
Dann kam der Kollege Haase mit einer Zwischenfrage nach dem in der Tat außerordentlich anfechtbaren Rohölgeschäft der Union Kraftstoff in Wesseling. Man kann den Namen ja nennen; denn er stand in der Zeitung. Nur, daß der Bund darauf einen Einfluß hätte, Herr Kollege Haase, ist natürlich nicht richtig.
— Wie denn?
— Welchen Einfluß haben wir denn auf das RWE?
— Herr Kollege Biedenkopf, da gibt es wieder einen Gegenstand ordnungspolitischen Belehrungsbedürfnisses. Wie soll denn der Wirtschaftsminister auf die Rohölgeschäfte der UK in Wesseling Einfluß nehmen?
Ich habe dem britischen Energieminister einen Brief geschrieben — in den Zeitungen war zu lesen, er wolle mich auf der Tagung der Internationalen Energieagentur am vergangenen Montag darauf ansprechen; er hat es nicht getan —, ihm die Informationen, die wir über dieses Geschäft haben, weitergeleitet und ihm dabei geschrieben:
Ich möchte nochmals zum Ausdruck bringen, daß ich bei allem Verständnis für die schwierigen Versorgungsprobleme gerade der nicht integrierten Raffineriegesellschaften derartige Spotmarkttransaktionen mißbillige. Wir haben das betroffene Unternehmen daher nachdrücklich darauf hingewiesen, in Zukunft Zurückhaltung bei derartigen Geschäften zu üben.
Ich glaube, das ist im wesentlichen die Beantwortung der Fragen. Aber ich sagte vorhin, Frau Simonis, Sie hätten mir, da Sie Ihrerseits einige kritische
Bemerkungen gemacht hätten, Gelegenheit gegeben, auch meinerseits zwei Punkte zu erwähnen, die mir bei den Entscheidungen des Parlaments und auch des Haushaltsausschusses Sorge machen. Ich komme im Einzelplan 09 immer noch nicht von den Zeitarbeitsverträgen bei den Oberbehörden herunter. Ich halte es für einen ganz schwierigen Zustand, daß wir veranlaßt werden, rechtliche Modelle zu benutzen, deren Fragwürdigkeit wahrscheinlich niemand im Hause bestreiten wird. Es ist eine beklagenswerte und problematische Entwicklung, daß Sachaufgaben, die offensichtlich notwendig sind, uns mehr und mehr zugewiesen werden, daß wir sie aber, was die personelle Seite anbelangt, nur mit Mitarbeitern erledigen können, denen wir bestenfalls Einjahresverträge und die Aussicht auf eine Verlängerung geben können. Ich finde, das ist für den Arbeitgeber Bund keine angenehme Situation.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Simonis?
Bitte sehr, gerne.
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß wir Ihnen für den Fall Hilfe signalisiert haben, daß die Leiter dieser Oberbehörden in Zukunft davon Abstand nehmen, sich mit diesem haushaltstechnisch nicht ganz sauberen Mittel neue, dunkle Personalquellen zu erschließen?
Völlig richtig, Frau Simonis. Hilfe ist in Aussicht gestellt. Es ist auch 1979 und ebenfalls für 1980 etwas geholfen worden. Aber von dem Problem bin ich immer noch nicht herunter. Da ich mich aber für diese Zustände verantwortlich fühle, benutze ich die Gelegenheit, es hier einmal anzusprechen.
Ein zweiter Punkt: Wir ersticken — ich muß sagen: erfreulicherweise — im Bereich der Energiepolitik, und zwar insbesondere auf dem Gebiet der Information, der Aufklärung und der Beratung über Energieeinsparmaßnahmen, in den Anfragen aus der Bevölkerung. Lassen Sie mich drei Zahlen nennen. Wir haben seit Dezember 1978, und zwar jeweils auf einzelne Anforderung, 8 Millionen Informationsbroschüren versandt. Wir haben 450 000 Zuschriften auf Preisausschreiben bekommen. Wir erhalten täglich etwa 300 Einzelanfragen, die fast alle einzeln beantwortet werden sollen und müssen, und zwar möglichst schnell, wenn wir den Impetus derjenigen, die bei uns anfragen und Energie einsparen wollen, nicht versanden lassen möchten. Und wir werden das alles tun, meine Damen und Herren.
Aber ich möchte nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß das nur unter großer Anspannung der Mitarbeiter des Ministeriums geht; denn — und das ist mir wichtig — dies ist und bleibt eine Daueraufgabe. Das darf kein einmaliger Vorgang sein, keine einmalige Erscheinung. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß sich Energieeinsparen nicht nur wie ein Mosaik aus einem Stein neben dem an-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
deren zusammensetzt, sondern daß es vor allem auch dauerhaft vor sich gehen muß.
— Auch das gute Beispiel. Da bin ich völlig mit Ihnen einverstanden. Darum, Herr Kollege Glos, bemühen wir uns im Wirtschaftsministerium ebenfalls.
Ich möchte nicht — um auch das ganz offen anzusprechen; der Kollege Ehmke hat das gestern in der Debatte anklingen lassen — zu — wie er formulierte
— drastischeren Energieeinsparmaßnahmen kommen, jedenfalls dann nicht, wenn „drastischeren" heißt: Gebote und Verbote mit Kontrollen und mit Bürokratie. Ich habe lieber in meinem Haushalt die Planstellen für Information und Beratung und weniger gern mehr Planstellen für die bürokratische und administrative Verwaltung bei der Bewältigung dieser Probleme.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort, Herr Biedenkopf, zu dem, was Sie zur Energiepolitik gesagt haben — ich mache es kurz, weil wir hier vor wenigen Tagen eine ausführliche Energiedebatte geführt haben —:
Herr Biedenkopf, Sie haben falsch zitiert und falsch berichtet über die Entscheidungen der nordrhein-westfälischen FDP zum Hochtemperaturreaktor. Wir haben am vergangenen Sonntag beschlossen:
Um bei der Vergasung keine Kohle zu verschwenden, ist der geplante Einsatz von Hochtemperaturreaktoren weiter zu fördern.
Wir haben zweitens beschlossen: Die Hauptlast wird dabei,
bei der Energieversorgung —
soweit unter dem Vorrang der Sicherheit der Menschen vertretbar, auf die Kohle und auf die Kernenergie entfallen.
Es gibt hier also keine gegensätzliche Position.
— Dieses ist von der nordrhein-westfälischen FDP
— und Herr Biedenkopf hat sich darauf bezogen — beschlossen worden.
Allerdings: Was heißt „absoluter Vorrang der Kohle"? Ich kann die Diskussion zwischen Ihnen, Herr Biedenkopf, und Herrn Liedtke nicht zufriedenstellend finden. Man kann den absoluten Vorrang der Kohle nur unter dem Gesichtspunkt ihres Einsatzes in den verschiedenen Lastbereichen diskutieren. Anders ist es überhaupt nicht möglich.
— Davon haben Sie nichts erwähnt, als Herr Liedtke Sie gefragt hat. Der entscheidende Punkt in dieser Frage ist, Herr Biedenkopf, daß wir uns darüber klar
sein müssen, daß der Mittellastbereich und der Spitzenlastbereich der Kohle vorbehalten sein sollen, können und nach Möglichkeit auch müssen, daß aber im Grundlastbereich, wenn wir wettbewerbsfähig Strom erzeugen und zur Verfügung stellen wollen, dies auf der Basis von Kohle nur unter so hohen Zuschüssen, daß wir sie gar nicht mehr aufbringen könnten, möglich wäre.
Dieses beschränkt unsere Möglichkeiten, den Vorrang der deutschen Steinkohle zu gewährleisten,
den Einsatz der deutschen Steinkohle zu sichern, überhaupt nicht. Im Gegenteil, auch auf dieser Basis und mit dieser sauberen Unterscheidung, die ich für unerläßlich und notwendig halte, die in meinen Augen überhaupt nichts Neues ist — ich habe das xmal gesagt, auch an dieser Stelle —,
ist eine Ausweitung des 33-Millionen-t-Vertrages, über die — mengenmäßig und zeitlich — wir zur Zeit verhandeln, durchaus möglich.
Drittens. Zur Frage des Baus und der Genehmigung von Kernkraftwerken — ich wiederhole hier nur noch einmal, Herr Kollege Biedenkopf, was ich in der Energiedebatte, die Sie zitiert haben, gesagt habe —: Wir werden auch mit den schönsten Parteitagsbeschlüssen, wo immer sie gefaßt werden, oder mit weniger schönen, wie immer Sie die definieren mögen, das Problem nicht lösen, solange wir nicht die Standortprobleme lösen und solange wir nicht mit den örtlichen Problemen zurechtkommen.
Da haben Sie genau dieselben Schwierigkeiten wie Sozialdemokraten, wie Freie Demokraten. Das Beispiel Schweinfurt, der Wahlkreis des Kollegen Zimmermann — ich habe ihn deswegen „Florian"-Zimmermann genannt —, ist doch nur zu bekannt.
Werfen wir uns doch nicht dauernd Dinge um die Ohren, die wir selber und alleine wahrscheinlich gar nicht bewältigen können. Sorgen wir doch dafür, daß wir versuchen, sie an den Stellen, wo es notwendig ist, gemeinsam zu bewältigen. Sonst läuft nämlich nichts.
— Nichts, Herr Narjes, im Bundesinnenministerium. Gehen Sie in die Länder und sorgen Sie dafür, daß von den Ländern ein Antrag hergeschickt wird!
Der einzige, der rechtzeitig einen Antrag schicken wird, wird wahrscheinlich, wie ich die Dinge im Augenblick sehe, der Wirtschaftsminister von Hessen sein.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Aber gerne, bitte sehr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, kann das Hohe Haus Ihre gerade gegebene Äußerung zur Lösung von Standortproblemen so auffassen, daß Sie demnächst die neue Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen und den dortigen Ministerpräsidenten darauf hinweisen werden, daß die Entscheidungen, die von einem Teil der Koalition gefällt worden sind, nämlich keine Kernkraftwerke mehr in Nordrhein-Westfalen zu bauen, energiepolitischer Unfug sind?
Herr Kollege Breidbach, Sie werden in der Wahlauseinandersetzung in Nordrhein-Westfalen, die andeutungsweise natürlich hier und heute schon geführt wird und unvermeidlicherweise geführt werden mußte, eine sehr klare Stellungnahme meiner politischen Freunde — da kann man natürlich nicht für eine zukünftige Koalition sprechen, die es erst am Tage nach der Wahl wieder geben wird — zu der Notwendigkeit des verbundenen Einsatzes von Kohle und Kernenergie unter Ausnutzung des Hochtemperaturreaktors hören, wie ich sie eben aus unserem landespolitischen Programm, am Sonntag beschlossen, vorgelesen habe.
Meine Damen und Herren, eine weitere Bemerkung zu dem, was Herr Kollege Grobecker heute im Verlauf dieser Diskussion gesagt hat. Ich äußere mich hier nicht — um das ganz klarzustellen — zu der aufsehenerregenden Tarifforderung der IG Metall. Aber ich möchte auch nicht stehen lassen, was Herr Grobecker gesagt hat, daß nämlich der Preisanstieg des Jahres 1979 über den Lohnzuwächsen gelegen habe oder liegen werde; das Jahr ist ja noch nicht ganz am Ende. Wir wollen unsere eigenen Erfolge der Wirtschaftspolitik durch die Regierung nicht kleiner machen, als sie sind. Auch im Jahre 1979 werden wir einen Anstieg der Löhne und Gehälter je beschäftigtem Arbeitnehmer von netto real 1,5 % haben. Das ist nicht überwältigend viel, aber es ist, wenn man sich die Welt um uns herum ansieht — Herr Barzel hat uns das gestern zwar untersagt, wir tun es aber trotzdem noch —, eine Mordsleistung. Es hat in der Bundesrepublik Deutschland beinahe kein Jahr gegeben, in dem nicht ein realer Nettoanstieg der Arbeitnehmereinkommen zu verzeichnen war. Das kann sich wahrlich sehen lassen.
Was den Zusammenhang zwischen Preisen und Löhnen anlangt, Herr Biedenkopf, mag es wohl sein, daß es für einige Unternehmen, insbesondere solche, die — nehmen Sie die Automobilindustrie — wenige Produkte haben, so ist, daß der Aufsichtsrat, auch der mitbestimmte, einen Einfluß auf die Entscheidung ausübt oder sie sogar wesentlich bestimmt. Aber ich möchte das sehr ungern — ich wäre dankbar, wenn wir darüber noch einmal reden könnten — zum Inhalt der Mitbestimmungsaufgaben oder der Möglichkeiten des Aufsichtsrats machen und Mitbestimmung, in diesem Fall bei der Preispolitik, so weitgehend definieren, wie ich das Ihren Äußerungen entnehmen mußte.
Dies ist nach meiner Überzeugung keine Aufgabe des Aufsichtsrats und damit auch keine Aufgabe des mitbestimmten Aufsichtsrats.
— Er kennt sein eigenes Gutachten schon, Herr Wolfram; so ist es nicht. — Ich weiß sehr wohl, daß genau diese Vermischung, die Identifizierung, in Ihren Überlegungen eine erhebliche Rolle spielt. Aber ich sehe nicht, daß der Hinweis in dem von Ihnen gemachten Umfang gerechtfertigt wäre.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biedenkopf ? — Bitte schön.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß sich der Aufsichtsrat eines großen Unternehmens mit der Preisstrategie des Unternehmens — ich habe von der Preisstrategie gesprochen, nicht von den Preislisten — befassen muß, wenn sogar die Bundesregierung es für notwendig hält, die von mir bezeichneten Unternehmen zur Preisdisziplin aufzufordern?
Erstens. Was die Bundesregierung anlangt, Herr Kollege Biedenkopf, so ruft die keineswegs nur die großen, mitbestimmten Unternehmen auf. Das sind nicht so viele, und sie sind auch nicht der Löwenanteil der deutschen Wirtschaft.
Zweitens. Ich bin der Meinung, daß dies eine Frage ist, über die Vorstände, Geschäftsführungen und Firmenleitungen zu entscheiden haben. Allen- falls in Ausnahmefällen wird über Preispolitik und auch Preisstrategie vom Aufsichtsrat entschieden. Ich bin nicht nur dieser Meinung, sondern ich erlaube mir zu sagen, daß dies jedenfalls auch meiner Erfahrung — und ein paar Jahre habe ich ja in dieser Wirtschaft zugebracht — entspricht.
Die Bundesregierung wird eine Wirtschaftspolitik fortsetzen, die auf den Prinzipien der sozial verpflichteten Marktwirtschaft beruht. Sie wird eine Wirtschaftspolitik fortsetzen, die sich — ich habe diesen Bereich heute bewußt ausgelassen, um nicht allzuviel Zeit in Anspruch zu nehmen — nachhaltig dafür einsetzen wird, die Weltmärkte offenzuhalten und ein liberales Welthandelssystem zu verteidigen, was, wie Sie wissen, nicht immer einfach ist, womit wir in diesem Jahr aber ein gutes Stück weitergekommen sind. Wir werden auch das Jahr 1980 mit seinen schwierigen Herausforderungen, die vor uns liegen, in einer Weise bestehen können, die ein hohes Maß an Beschäftigung, die Wachstum und Sicherheit für unsere Arbeitnehmer und für unsere Unternehmen bedeutet.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Ich möchte abschließend erstens die Gelegenheit benutzen, den Berichterstattern des Haushaltsausschusses für die Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des Haushalts 1980 zu danken, und zweitens auch nicht vergessen, einmal im Jahre auch von dieser Stelle aus den Mitarbeitern meines eigenen Ministeriums herzlich zu denken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, zwei Bemerkungen zu dem, was der Wirtschaftsminister am Anfang seiner Rede hier gesagt hat. Er hat sein Fernsehinterview geschildert, und ich meine, auf die ihm gestellte Frage, warum es uns denn besser als anderen Ländern gehe, hätte er auch die Antwort geben können: Wir sind deswegen bisher mit den Problemen am besten fertig geworden, weil trotz aller gegenteiligen Versuche der Sozialdemokraten in den letzten zehn Jahren in unserem Land die Soziale Marktwirtschaft noch am besten erhalten geblieben ist.
Herr Wirtschaftsminister, Sie haben hier dann ja auch selbst das hohe Lied der Sozialen Marktwirtschaft vorgetragen, was wir anerkennen. Sie haben dies aber vermischt mit einer Reihe von Beschimpfungen und einer Kritik an Franz Josef Strauß, was dem Wert Ihrer Ausführungen sehr abträglich gewesen ist.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Herrn Reuschenbach machen. Herr Reuschenbach, Sie haben unsere gemeinsame Arbeit in der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" angesprochen, und Sie haben aus unserer Arbeit abgeleitet, daß wir alle Suchende sind. Dies ist richtig. Aber bitte bemerken Sie doch eines: Wir gehen auch in der Arbeit der Enquete-Kommission davon aus, daß es gut ist, wenn die Opposition sich Mühe gibt, den Regierungsparteien und vor allen Dingen den Sozialdemokraten zu mehr Weisheit zu verhelfen; denn sie haben es nötig.
Dabei freuen wir uns, Herr Reuschenbach — das möchte ich Ihnen hier sagen —, wie oft Sie selber den Kernenergiegegnern Ihrer Partei in der Enquete-Kommission die Annahme solcher Weisheit empfehlen und sie auf den Weg der Tugend zurückbringen. Schönen Dank dafür an dieser Stelle, Herr Reuschenbach.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Ausführungen zum Einzelplan 09 durch einige Bernerkungen über die Notwendigkeit einer offensiven Kohlepolitik vertiefen. Die bisherige Kohlepolitik war gewissermaßen defensiv. Sie hat sich bemüht, die Position der Kohle und vor allen Dingen die Kapazität der Kohle zu erhalten. Wir dürfen heute sagen, die großen Aufwendungen der letzten Jahre zur
Erhaltung deutscher Lagerstätten und Förderkapazitäten haben sich gelohnt. Die hohen Aufwendungen sind, auch wenn sie insgesamt Milliardenhöhe erreichen, gerechtfertigt. Im Hinblick auf die jährlichen Mehrkosten unserer Ölversorgung — 1979 werden es 17 Milliarden DM mehr als 1978 sein — sind diese Aufwendungen relativ sogar geringer geworden.
Ich möchte an dieser Stelle einmal die Absauflegende, die uns die Sozialdemokraten immer anhängen wollen, wie dies Herr Ehmke gestern versucht hat und wie dies Herr Wolfram meistens versucht — und eine Bemerkung dazu hat sich vorhin auch bei Herrn Reuschenbach gefunden —, aufgreifen und feststellen: Dies ist einfach nicht wahr. Lesen Sie doch einmal nach, was der damalige Wirtschaftsminister Erhard 1962 gesagt hat, und Sie werden feststellen, daß fast alle Instrumente zur Erhaltung deutscher Förderkapazität und zur Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau zu Beginn der 60er Jahre geschaffen und angewandt worden sind und daß damals die Grundlagen zur Erhaltung des Steinkohlebergbaus gelegt worden sind, den wir heute als Sokkel unserer Energieversorgung so dringend benötigen.
— Lesen Sie es bitte nach!
Angesichts der drohenden Engpässe unserer Energieversorgung müssen wir jetzt aber den Übergang zu einer offensiven Kohlepolitik finden. Diese Politik muß über das Bewahren und Erhalten von Kapazitäten hinaus um den Ausbau von Kapazitäten und um die Sicherung zusätzlicher Kohlebezüge bemüht sein. Wir brauchen auch eine offensive Kohlepolitik, die auf der Verbraucherseite der Wiedereinführung von Kohle in den Wärmemarkt und die Kohleveredelung schneller und intensiver als bisher ermöglicht.
Wir alle spüren und sehen: Der Kohlemarkt in der Bundesrepublik befindet sich in einer schwierigen Wendephase. In den letzten Jahren lag ja die Förderung immer höher als der Absatz, und Haldenzugang war das Normale. Jetzt sind auf Grund der eingetretenen Schwierigkeiten in der Energieversorgung trotz Fördererhöhung erhebliche Haldenabgänge — seit März 1978 sind es bereits mehr als 15 Millionen t — zu verzeichnen.
Für den Inlandsbedarf stehen 112 bis 170 Millionen t SKE Stein- und Braunkohle zur Verfügung. Damit werden sich aber nur 20 % der Energieversorgung der Bundesrepublik langfristig decken lassen, unter Einschluß der Importkohle vielleicht 25 %. Meine Damen und Herren, das reicht nicht zum Ersatz von Kernenergie. Alle Rechnungen zeigen eben, daß für den Ersatz von Kernenergie durch Kohle in Wahrheit keine einzige Tonne Kohle übrig ist.
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Dennoch wird in der Öffentlichkeit nun oft der Eindruck erweckt, als stünde Kohle — es war heute mehrfach die Rede davon — unbegrenzt und in großen Mengen als Ersatz für viele Energieträger zur Verfügung. Dies ist falsch,
und ich halte es für sehr gefährlich, wenn unter dem Deckmantel „Vorrang für Kohle" oder unter dem pelzgefütterten Deckmantel „Absoluter Vorrang für Kohle", wie dies Ministerpräsident Rau gestern verkündet hat, sozusagen der Ausstieg aus der Kernenergie vorbereitet wird. Hier wird Kohle ohne Rücksicht auf Verfügbarkeit und ohne Rücksicht auf Kosten zum Schaden der Wirtschaft und zum Schaden der Verbraucher für energiepolitische Sandkastenspiele mißbraucht.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Kohle wirklich nutzen wollen, müssen wir uns jetzt z. B. darüber unterhalten, daß eigentlich zunächst Braunkohle in der Größenordnung von etwa 8 Millionen t SKE aus der Stromerzeugung abgezogen werden müßte, damit sie in genügendem Umfange für die Veredelung zur Verfügung steht, wenn die Veredelungsanlagen Mitte der 80er Jahre fertig sein werden. Ich weiß — ich komme auf das zurück, was Herr Wolfram in seinem Zwischenruf gesagt hat — auch aus eigener Erfahrung, daß Kohle viel leisten kann; das hat sie in schweren Zeiten auch oft genug bewiesen. Ich bin auch sicher, daß die Kohle mehr leisten kann, als es zur Zeit der Fall ist. Aber von den Lagerstätten her, von den Belegschaften her und auch von den Kosten her — Herr Biedenkopf hat darauf hingewiesen — sind ihr Grenzen gesetzt. Soweit es die heimische Förderung angeht, werden diese Grenzen insgesamt für Steinkohle und Braunkohle — auch langfristig — bei 130 bis 140 Millionen t SKE liegen.
Dies gilt selbst dann, wenn kurzfristig alle Anstrengungen gemacht werden, um die Kapazität des deutschen Kohlebergbaus über die bisherige Planung hinaus zu erhöhen. — Nein, zusammen; Herr Wolfram, der Wert, den ich nannte, ist ein Gesamtwert von SKE — das hatte ich gesagt — für Braunkohle und Steinkohle.
Dies aber zeigt wieder: Deutsche Kohle eignet sich überhaupt nicht dazu, den Ausstieg aus der Kernenergie zu ermöglichen. Sie kann eben beim besten Willen nicht zweimal verbrannt oder zweimal veredelt werden, nur deswegen, weil Herrn Rau oder Herrn Hirsch oder Herrn Eppler die Kernenergie nicht paßt.
Auf der anderen Seite wäre es natürlich ebenso falsch, der Kohle größere Risiken zu unterstellen, als sie sie in Wirklichkeit hat. So hat der Bundeskanzler mehrfach in die Energiediskussion eingegriffen und im Zusammenhang mit Risiken der
Steinkohle die Zahl von 16 000 Bergbautoten genannt.
Dies ist falsch. Dies ist die Zahl aller im gesamten Bergbau seit Kriegsende tödlich verunglückten Bergleute. Im Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik sind seit Kriegsende 9 000 Bergleute tödlich verunglückt. Natürlich, auch dies ist ein zu hoher Preis. Wir sollten dabei aber berücksichtigen, daß bis heute die Unfallrate, die gerade nach dem Kriege aus besonderen Gründen außerordentlich hoch war, auf ein Siebentel gesenkt werden konnte. Natürlich auch die gesundheitlichen Risiken der Silikose konnten nicht restlos beseitigt werden, aber sie sind heute ebenfalls wesentlich geringer, als sie vom Bundeskanzler dargestellt werden, wenn er in diesem Zusammenhang von Hunderttausenden von Betroffenen spricht. Meine Damen und Herren, diese Abqualifizierung hat der deutsche Kohlebergbau, einer der leistungsfähigsten und sichersten der Welt, nicht verdient.
Ein ganz anderes Risiko, das der Bundeskanzler ebenfalls beschwört, wenn er von der Kohle spricht, ist vielleicht gravierender. Es ist das Risiko des Art. 59 des EGKS-Vertrages. Hiernach könnte der Rat in einer Ausnahmesituation, bei einer Mangellage, über die Verwendung unserer Kohle so entscheiden, wie wir es nicht wollen. Leider hat die Bundesregierung in der Vergangenheit mögliche und notwendige Klarstellungen versäumt. Das bedeutet, Herr Wirtschaftsminister, heute für die Verbraucher, die auf Kohle umstellen und langfristig auf eine sichere Versorgung mit Energie auch in Krisensituationen angewiesen sind, zusätzliche Unsicherheit, und dies trägt dazu bei, daß sich Umstellungen verzögern, die notwendig sind, um vom 01 wegzukommen. Ich glaube, eine offensive Kohlepolitik sollte auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft für eine Klärung und möglicherweise für einen Abbau dieses Risikos sorgen.
Mit Rücksicht auf die langen Vorlaufzeiten für die Planung, für die Standortsuche, für den Bau und für die Finanzierung von allen Anlagen, die der Kohlegewinnung und der Weiterverarbeitung von Kohle dienen, müssen jetzt energiepolitische Entscheidungen fallen, die für die Versorgung der Bundesrepublik mit Kohle in den nächsten Jahrzehnten entscheidend sind. Wenn z. B. die heutige Kapazität des deutschen Steinkohlenbergbaus auch im Jahre 2000 und darüber hinaus vorhanden sein soll — und ich glaube, wir sind uns darin einig, daß dies nötig ist —, muß für den Ersatz der bis zum Jahr 2000 auslaufenden Schachtanlagen in stärkerem Umfange als bisher Vorsorge getroffen werden. Dies kann, soweit es um den Ersatz geht, im wesentlichen durch Anschlußbergwerke geschehen; dies ist richtig. Wenn jedoch darüber hinaus — und darüber wird ja zur Zeit diskutiert — die Kapazität des deutschen Steinkohlenbergbaus auf 100 bis 103 Millionen t erhöht werden soll - und dies wird wohl möglich sein —, wäre das eine Aufstockung in der Größenordnung von 10 bis 13 Millionen t, und das heißt, neben Anschlußbergwerken müßten dann auch bereits jetzt
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drei oder vier neue Großschachtanlagen auf der grünen Wiese geplant werden.
Dies ist nicht einfach. Die Standortsuche für neue Schachtanlagen ist vor allem im Ruhrgebiet nicht unproblematisch, weil teilweise Landschaftsschutzgebiete und Grüngürtel in Anspruch genommen werden müssen.
Der Zeitbedarf für die Verwirklichung solcher Planungen wird sehr groß sein und mehr als zehn Jahre betragen. Daher müßte mit der Planung jetzt begonnen werden. Wir erwarten von der Bundesregierung dringlich, daß sie uns ihre langfristigen Überlegungen zur Entwicklung der Kapazität des Kohlebergbaus vorlegt und verdeutlicht, wie groß der Umfang der Hilfestellung dabei sein muß.
Offensive Kohlepolitik bedeutet von der Angebotsseite aber auch Maßnahmen zur Sicherstellung der Kohlemengen, die wir brauchen und die aus heimischen Lagerstätten und Schachtanlagen langfristig nicht gewonnen werden können. Der Zeitpunkt, von dem an zusätzliche Importkohle wirklich erforderlich sein wird, ist schwer abzuschätzen. Auch die Mengen sind schwer abzuschätzen.
— Das ist richtig. Aber wir dürfen auch nicht so spät kommen, daß die von uns benötigten Kohlemengen am Weltmarkt nicht mehr zu haben sind. Es wäre ratsam, wenn gemeinsam mit den deutschen Bergbauunternehmen Mittel und Wege gefunden werden, wie man die Frage der Importkohle rechtzeitig so steuern kann, daß Gefahren für die heimischen Kapazitäten vermieden und gleichzeitig zukünftige Schwierigkeiten bei der Beschaffung notwendiger Kohlemengen verhindert werden.
Eine offensive Kohlepolitik muß ferner vor allem darauf ausgerichtet sein, der Kohle den Markt für einen verstärkten Einsatz für die Wärmeerzeugung und für die Veredelung wieder zu eröffnen. Darüber sind wir uns einig. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein besonderes Problem herausgreifen, das sich als das größte Hemmnis für die Umstellung des Marktes erweist. Das ist nach wie vor die durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz geschaffene Rechtsunsicherheit für die Investoren und Betreiber von Energieanlagen. Ich will das Problem des Baues von Kohlekraftwerken nicht noch einmal anreißen; darüber ist bereits gesprochen worden. Mir kommt es darauf an, hier einmal darauf hinzuweisen, daß die Industrie selbst mit der Umstellung sehr alter ölgefeuerter Kesselanlagen auf Kohle zögert, obwohl Industriekohle inzwischen kostengünstiger als schweres Heizöl angeboten werden kann.
Warum tut sie das? Die Industrie fürchtet, durch
Auflagen und Zeitverzögerungen im Rahmen der
Genehmigungsverfahren am Ende einer solchen
Umstellung wesentlich schlechter gestellt zu sein, als wenn sie ihre alten Anlagen auf der Basis des Bestandsschutzes weiter betreibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Nein. Bei der Kürze der Redezeit bitte ich um Verständnis dafür, daß ich das nicht kann.
Die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, vor allem die Einführung einer Sanierungsklausel, durch die der Ersatz alter Anlagen durch neue, umweltfreundliche Anlagen begünstigt wird, ist für die Umstellung auf Kohle von großer Wichtigkeit. Es ist bedauerlich, daß hier durch das Festhalten der Bundesregierung an dem völlig falschen Belastungsmodell wertvolle Zeit verstreicht. Ich meine, die Bundesregierung ist sich sozusagen selber auf einer wichtigen Teilstrecke der Energiepolitik zugunsten der Kohle und weg vom 01 außerordentlich im Wege. Eine abgewogene Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die den Belangen des Umweltschutzes und einer offensiven Kohlepolitik gerecht wird, ist daher dringend geboten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Zahl nennen. Zur Zeit werden in der Bundesrepublik Deutschland jährlich noch 22 Millionen Tonnen schweres Heizöl verbraucht. Diese Menge stellt im Grunde ein Substitutionspotential von etwa 32 Millionen Tonnen SKE Wärmeerzeugung oder nach Konversion 17 Millionen Tonnen Benzin und Dieselöl dar. Diese Menge — man wird nicht alles umstellen können — ist insofern hochinteressant, weil uns eine solche Umstellung auch eine Reihe von Importen vom Rotterdamer Markt ersparen könnte und weil diese Direktsubstitution mit einem relativ geringen Aufwand durchführbar wäre, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür besser wären, als sie zur Zeit sind. Man könnte darüber hinaus bei der Ausschöpfung dieses Substitutionspotentials, das im schweren Heizöl liegt, Zeit gewinnen, um die schwierige — der Bundeswirtschaftsminster hat darauf hingewiesen — Verfahrens- und Standortsuche für die erforderlichen kommerziellen Großanlagen zur Kohleveredelung sehr sorgfältig und mit Nachhalt betreiben zu können.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen und komme zum Schluß: Aus der mehr defensiven Kohlepolitik, die allein durch eingeschränkte Kapazitätsnutzung, eine begrenzte Kapazitätserhaltung und die Sicherung von Arbeitsplätzen gekennzeichnet war, muß der Übergang zu einer offensiven Kohlepolitik gefunden werden. Zu einer solchen Kohlepolitik gehören als wesentliche Elemente: erstens Maßnahmen zur vollen Kapazitätsnutzung einschließlich einer aufbauenden Belegschaftspolitik, zweitens Überlegungen zur Kapazitätserweite-
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rung, drittens Förderung der Direktsubstitution von schwerem Heizöl durch Kohle, viertens Förderung der neuen Technologien in der Kohleveredelung, fünftens Regelungen im Anschluß an das Dritte Verstromungsgesetz — wenn Sie so wollen: ein Viertes Verstromungsgesetz —, die gewährleisten, daß Steinkohle auch nach 1987 kostengünstig verstromt werden kann, sechstens die Freistellung von Braunkohle für die Veredelung durch Ablösung von Braunkohlestrom durch Kernenergie sowie siebtens die Sicherung des langfristig notwendigen Anteils der Bundesrepublik am Weltkohlemarkt.
Meine Damen und Herren, offensive Kohlepolitik ist eigentlich die Umsetzung der Erkenntnisse, die der Wirtschaftsminister auf der Konferenz der Energieminister in Paris in folgende Formulierung gekleidet hat. Er hat gesagt:
Wir können nicht länger mit verbalen Verpflichtungen, sondern nur noch mit spezifischen Anstrengungen weiterkommen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, solche spezifischen Anstrengungen im Sinne einer offensiven Kohlepolitik zu unternehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem sich gestern die „großen Energiepolitiker" Franz Josef Strauß, Dr. Barzel und — in den späten Nachmittagsstunden — als dritter Redner Dr. Kohl zur Energiepolitik geäußert haben,
hatten wir heute das Vergnügen, Professor Biedenkopf und — als Ausputzer der Opposition — Herrn Gerstein zu hören.
— Das werde ich Ihnen gleich in meinem Diskussionsbeitrag nachweisen, verehrter Herr Kollege. —
Es ist bemerkenswert: Vor dem Berliner Parteitag glaubte die CDU/CSU, die Sozialdemokraten mit einer Großen Anfrage in Schwierigkeiten zu bringen. Sie hat eine Bauchlandung erlitten.
Der Berliner Parteitag ist vorbei. Die Sozialdemokraten haben klare energiepolitische Beschlüsse gefaßt,
und jetzt mäkeln Sie an diesen Beschlüssen herum. Ihnen paßt das Ergebnis von Berlin nicht.
Jetzt versuchen Sie krampfhaft, an diesem Berliner Ergebnis herumzufummeln.
Das wird Ihnen nicht gelingen.
Ich darf zunächst einmal folgendes klarstellen: Was das Berliner Ergebnis betrifft, so würde ich es so werten: In 95 % der Energiepolitik — vom Energiesparen bis zu alternativen Energiequellen — sind die Sozialdemokraten in Berlin einig gewesen. Hinsichtlich der Rolle der Kernenergie, bezüglich der Entsorgung hat es das bekannte Verhältnis gegeben. Man muß das Votum differenzierter sehen, als es landauf, landab dargestellt wird. Aber eins ist klar: Der Berliner Leitantrag 500, der eine klare Mehrheit gefunden hat, macht klare Aussagen zur Energiepolitik
und gibt auch klare Handlungsgrundlagen.
Es ist erschreckend, immer wieder festzustellen — auch in der gestrigen und heutigen Debatte —, wie sie einmal mehr die großen Vereinfacher sind. Für Sie reduziert sich das Problem der Energiepolitik auf „Kernenergie".
Sie sind große Rufer nach Kernenergie. Sie garnieren das ein bißchen, indem Sie jetzt Herrn Gerstein vorschicken, der den Nachweis führen soll, daß Sie auch für Kohle sind.
Lieber Herr Gerstein, weder Herr Strauß noch Herr Barzel, gar nicht zu reden von Frau Breuel und anderen, haben ein klares Bekenntnis zur Rolle der Kohle abgelegt.
Im Gegenteil, wenn Frau Breuel von Kohle spricht, denkt sie nur an Importkohle. Das ist völlig unstrittig.
— Ich habe zehn Minuten Zeit. Verkaufen Sie demnächst Wein, aber
lassen Sie die Energiepolitik sein.
Wenn man sich die Politik der CDU/CSU-geführten Länder anschaut, dann stellt man fest — Herr Strauß hat ja gestern die Frage unseres Fraktions-
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Wolfram
vorsitzenden, wie er es denn mit dem Zwischenlager in Bayern hält, unbeantwortet gelassen —: Da gibt es aus keinem CDU/CSU-geführten Bundesland eine mir bekannte Initiative für die Ausweisung neuer Standorte für. Kohlekraftwerke, keine Anregung an die EVUs Ihrer Bundesländer, Kohlekraftwerke zu planen und zu bauen.
Von Herrn Biedenkopf stammt ja wohl die Idee, Nordrhein-Westfalen, vor allem das Ruhrgebiet, solle das große Energiezentrum werden. Herr Professor, seit hundert Jahren ist es das schon. Das scheinen Sie gar nicht gemerkt zu haben.
Wir tun das, was wir können. Wir sind bereit, im Ruhrgebiet zusätzliche Kohlekraftwerke zu bauen. Wir sind durchaus bereit,
im Ruhrgebiet unseren Beitrag zu leisten. Appellieren Sie mal an die von Ihnen geführten CDU/CSU- Bundesländer, es uns nachzumachen.
Lassen Sie mich ein Wort zu dem gestrigen Angebot Ihres Fraktionsvorsitzenden an den Bundeskanzler sagen, die Opposition sei bereit, den Bundeskanzler bei seiner Energiepolitik und der Verwirklichung seiner energiepolitischen Vorstellungen zu unterstützen. Vorab eine Bemerkung: Darauf ist der Bundeskanzler nicht angewiesen. Er findet die Unterstützung seiner Fraktion und des Koalitionspartners FDP.
Noch immer haben wir die Mehrheit erbracht, die notwendig war.
Aber dieses Angebot des Herrn Dr. Kohl ist und bleibt unglaubwürdig. Wenn er es ernst gemeint hätte, dann hätten Sie am 14. Dezember 1978 der energiepolitischen Entschließung im Bundestag zustimmen müssen.
Damals haben Sie dieser Entschließung aus vordergründigen, durchsichtigen und parteitaktischen Gründen die Zustimmung versagt, weil Sie im stillen der Hoffnung waren, es wird keine Mehrheit der Koalition geben. So „glaubwürdig" sind Sie mit Ihren energiepolitischen Aussagen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Ausführungen des verehrten Herrn Professor Biedenkopf machen, der sich jetzt anschickt, nach Düsseldorf zu marschieren, und Düsseldorf nie erreichen wird. Herr Professor Biedenkopf, Sie sollten einmal den Leitantrag vollständig lesen und die Beschlüsse von Berlin genau zur Kenntnis nehmen. Dann wären Sie mit mir und mit uns der Auffassung: In Berlin ist ein klarer Beschluß für den Vorrang der heimischen Steinkohle gefaßt worden. Von Ihnen fehlt Vergleichbares.
Bringen Sie uns doch einmal klare Aussagen Ihres Kanzlerkandidaten und anderer Ihrer Sprecher zu diesem Vorrang der heimischen Kohle. Gestern haben Herr Strauß und Herr Barzel und andere gesagt: Ja; ein bißchen Kohle, aber nicht zu viel, weil es das Problem der „Belastung der Atmosphäre" gibt.
Herr Abgeordneter Wolfram, einen Augenblick. Ich bitte die Zwischenrufe so zu beschränken, daß der Redner noch die Möglichkeit hat, sich verständlich zu äußern.
Herr Präsident, ich danke Ihnen. Wenn es der Opposition an Argumenten mangelt, wird sie lautstark, wie wir es jetzt erlebt haben. Mich bringt das nicht aus der Fassung. Ich werde meine Ausführungen zu Ende bringen.
Herr Dr. Barzel sollte zur Kenntnis nehmen, daß wir in dem Berliner Parteitagsbeschluß zum Ausdruck gebracht haben, daß seit dem Hamburger Parteitag sicherlich neue Probleme bei der Kernenergie entstanden sind. Das Stichwort „Harrisburg" ist in die Debatte geworfen worden. Auch Sie sollten sich kritischer mit diesen Problemen auseinandersetzen. Wir Sozialdemokraten haben klipp und klar gesagt, daß auf die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht verzichtet werden kann. Wir haben uns gegen einen „forcierten Ausbau" der Kernenergie ausgesprochen. Wir haben gesagt: Wir begrüßen die Arbeit der Enquete-Kommission. Wir warten deren Ergebnisse ab. Wir werden sie in unseren weiteren Planungs- und Entscheidungsprozeß einbeziehen.
Wie widersprüchlich sind Sie als Opposition! Wenn Sie glaubwürdig sein wollen und wenn Sie Ihre Arbeit — Herr Gerstein, Sie sind ja Mitglied der Enquete-Kommission — ernst nehmen wollen, dann müssen auch Sie erst die Ergebnisse dieser Kommission abwarten. Das ist doch wohl der richtige Weg.
Wir Sozialdemokraten haben in Berlin klipp und klar zum Ausdruck gebracht:
Der zusätzliche Strombedarf der nächsten Jahre kann voraussichtlich mit weiteren Kohlekraftwerken gedeckt werden.
— Seien Sie doch nicht gleich so voreilig. Sie haben den Leitantrag und den Beschluß von Berlin nicht gelesen. Das ist Ihr „Aha"-Effekt. Sie brauchen immer einen Effekt. — Es heißt dann weiter:
Deswegen ist keineswegs sicher, ob langfristig
zusätzlicher Strombedarf allein durch neue
Kohlekraftwerke gedeckt werden kann. Inso-
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fern kann daher heute nicht nur auf die weitere Nutzung der Kernenergie, sondern auch auf den Zubau von Kernkraftwerken nicht prinzipiell verzichtet werden.
Nehmen Sie das doch zur Kenntnis und drehen Sie unsere Beschlüsse nicht um.
Im übrigen lesen Sie auch, was wir zu den Kernkraftwerken, die in Betrieb sind und die sich in Bau befinden, gesagt haben. Ihr Herr Lenzer hat in einer Presseerklärung am 27. November 1979 vor der letzten Energiedebatte gesagt:
Die CDU/CSU bekräftigt den Grundsatz, daß die sichere Gewährleistung der Entsorgung von Kernkraftwerken eine der unabdingbaren Voraussetzungen für die weitete Nutzung und für den weiteren Ausbau der Kernenergie bleibt.
Nichts anderes haben wir immer wieder zum Ausdruck gebracht.
Versuchen Sie doch hier nicht, die Bevölkerung mit Ihren großen und vereinfachenden Formeln irrezuführen.
Lieber Professor Biedenkopf — —
— Wissen Sie, Sie werden mich auch nicht davon abbringen, höflich zu bleiben, selbst wenn man in der Sache kontrovers diskutiert.
Ich kann natürlich auch nur vom „Herrn Kollegen Biedenkopf" sprechen. — Herr Biedenkopf, für uns Sozialdemokraten ist die Formel vom Vorrang der Kohle eine klare Aussage. Wir nehmen die Formel ernst. Sie sollten auch nicht den Versuch machen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein jetzt in ein schiefes Licht zu rücken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kalkar wird weitergebaut, aber die Ergebnisse der Enquete-Kommission werden abgewartet.
Nehmen Sie doch auch zur Kenntnis, was unsere politischen Freunde in Kiel zum Ausdruck gebracht haben, die sich klipp und klar zu dem mit Mehrheit in Berlin beschlossenen Leitantrag bekannt haben. Versuchen Sie nicht immer wieder, unsere Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen.
— Herr Gerstein, Sie haben einen krampfhaften Versuch gemacht abzulenken. Das, was Sie über die
Vergangenheit gesagt haben, ist schlicht und einfach unwahr. Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die CDU/CSU Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre die Kohle einem rücksichtslosen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt hat.
Sie haben das 01 ungehindert hereingelassen. Ich erinnere Sie, Herr Gerstein, daran, daß auch Ihre Zeche von der Stillegung bedroht war. Ich erinnere Sie an die großen Demonstrationen der Bergleute hier in Bonn, an die roten und die schwarzen Fahnen in Dortmund und in Gelsenkirchen und anderswo. Versuchen Sie doch nicht, die Menschen zu verdummen. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir heute vielleicht noch eine Kapazität von 40 Millionen t Steinkohle und nicht mehr.
Wir Sozialdemokraten — wir ausschließlich — haben zusammen mit den Gewerkschaften die Erhaltung der Kapazität durchgesetzt.
Professor Biedenkopf, versuchen Sie nicht, den DGB und die Gewerkschaften als Kronzeugen für Ihre Energiepolitik in Anspruch zu nehmen. Das, was in Berlin beschlossen worden ist, deckt sich mit den DGB-Vorstellungen und auch mit den Gewerkschaftsvorstellungen. Hier sitzt Adolf Schmidt, der Vorsitzende der IG-Bergbau und Energie; er wird Ihnen das gern besätigen.
Im übrigen, Herr Gerstein, sind die energiepolitischen Weichen gestellt. Die Vorstände an der Ruhr, an der Saar und im Aachener Revier können ja jetzt ihre' Unternehmens- und Investitionsentscheidungen treffen. Der Kurs der Bundesregierung ist klar.
Noch eine letzte Bemerkung, auch an Ihre Adresse, verehrter Herr Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff. Man kann sich darüber streiten, ob heute schon Kohle im Grundlastbereich wettbewerbsfähig ist oder nicht. Es gibt bereits seit Jahren Kohlekraftwerke im Grundlastbereich. Ich persönlich plädiere dafür, daß wir jetzt schnellstens neue Kohlekraftwerke, und zwar im ganzen Bundesgebiet, bauen. Wir brauchen bis 1985 10 000 MW als Ersatz und an Zubau und bis 1990 weitere 10 000 MW. Nach meinem Dafürhalten würde es gar nicht schaden, wenn diese zunächst im Grundlastbereich beschäftigt werden und dann, wenn neue Kernkraftwerke ans Netz gehen können, in den Mittellastbereich überführt werden.
— Verehrter Herr Kollege Hubrig, wir wissen ja, was Sie für ein „Kohlefreund" sind mit Ihren Horrorzahlen über die Subvention der Kohle und Ihre Bewertung.
Für die Sozialdemokratische Partei und Fraktion
— und das stelle ich abschließend fest — gilt der Berliner Parteitagsbeschluß. Er ist klar und eindeu-
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tig; er liegt in der Kontinuität unserer Energiepolitik. Wir werden ihn verwirklichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Aus den bisherigen Debattenbeiträgen über den Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft habe ich entnehmen können, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages der Mittelstandspolitik eine herausragende Bedeutung für die Leistungsfähigkeit unseres marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems beimessen. Die FDP-Bundestagsfraktion insbesondere war und ist immer bereit, an einer möglichst breiten parlamentarischen Basis für diesen so wichtigen Bereich der Wirtschaftspolitik mitzuarbeiten.
Die FDP betrachtet einen leistungsfähigen Mittelstand als beste Garantie für den Bestand unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Sie hat deshalb bei den zurückliegenden Bundeshaushaltsplänen und natürlich auch bei dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Bundeshaushalt 1980 konsequent dafür gesorgt, daß durch bestimmte Maßnahmen und Mittel die größenbedingten Nachteile, die kleine und mittlere Unternehmen gegenüber Großunternehmen naturgemäß haben, ausgeglichen werden und ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Daher kann man auch nicht behaupten, wie dies die Opposition immer wieder zu tun pflegt, daß die Wirtschaftspolitik dieser Koalition mittelstandsfeindlich sei. Die Tatsachen zeigen, daß diese Behauptungen einfach falsch sind.
So kommt es z. B. in der Steuerpolitik 1980 zu einer weiteren steuerlichen und verwaltungsmäßigen Entlastung des Mittelstandes, vor allem der mittleren und kleinen Betriebe. Erstens fällt ab 1. 1. 1980 die Lohnsummensteuer fort. Zweitens entfällt ab 1. 1. 1980 die Mindestgewerbesteuer. Drittens wird ab 1. 1. 1980 der Freibetrag bei der Gewerbeertragsteuer von derzeit 24 000 DM auf 36 000 DM erhöht. Diese Maßnahmen tragen doch ausgesprochen mittelstandsfreundlichen Charakter. Ich glaube, das kann auch die Opposition nicht bestreiten.
Darüber hinaus wird dieses Steuerpaket zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung führen; denn in Zukunft werden rund 60 % der Betriebe von der Gewerbeertragsteuer und rund 85 % der Unternehmen von der Gewerbekapitalsteuer befreit sein. Bei rund 200 000 Betrieben wird die beschäftigungsfeindliche Lohnsummensteuer ganz entfallen. Fazit: die Koalition redet nicht nur über Steuerersparnis und Steuervereinfachung, sie setzt diese Maßnahmen auch in die Tat um.
Die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen ist im Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft in den Titelgruppen 05 — technisch-wirtschaftliche Forschung, Entwicklung, Innovation, Rationalisierung — und 06 — Leistungssteigerung im Mittelstand — konzentriert. Im Haushaltsplan 1970 standen für beide Titelgruppen zusammen rund 65 Millionen DM zur Verfügung. Im Entwurf zu dem Haushaltsplan 1980 sind es insgesamt rund 645 Millionen DM. Dies ist fast eine Verzehnfachung des Mittelansatzès in zehn Jahren und macht mehr als alle Worte deutlich, wieviel die liberale Koalition für den Mittelstand tut.
In der Titelgruppe 05 machen die Zuschüsse zu den Personalaufwendungen kleiner und mittlerer Unternehmen im Forschungs- und Entwicklungsbereich bei weitem den größten Brocken aus. Diese Zuschüsse sind erstmals 1979 in Höhe von 300 Millionen DM gewährt worden. Der Ansatz für 1980 sieht eine Steigerung auf 390 Millionen DM vor. Dies ist ein Beweis dafür, daß dieses Programm von den kleinen und mittleren Unternehmen angenommen wird. Es ist dafür gedacht, die mittelständischen Unternehmen in ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivität zu unterstützen, damit sie sich sowohl im nationalen als auch im internationalen Wettbewerb behaupten können.
Zu begrüßen ist, daß die Zuschüsse praxisnah von der „Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen", einer Selbsthilfeeinrichtung der Wirtschaft, zentral vergeben werden. Dies halte ich für einen gelungenen Beitrag zu den von uns allen zu tragenden Bemühungen, gerade bei der Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen soviel wie möglich an Bürokratie zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, aus der Titelgruppe 06 möchte ich das Eigenkapitalhilfeprogramm besonders erwähnen. Mit diesem Programm soll die Eigenkapitalbasis junger Unternehmer erweitert und ihre Kreditwürdigkeit erhöht werden. Beides sind Voraussetzungen für die Inanspruchnahme anderer Kreditprogramme des Bundes und der Länder sowie für die Gewährung von Fremdmitteln durch die Kreditwirtschaft.
Ich bin sicher, daß dieses neue Programm vor allem bei den jungen Menschen, die in erfreulich hohem Maße wieder bereit sind, sich selbständig zu machen und eigenes wirtschaftliches Risiko zu tragen, ein großes und breites Echo finden wird. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht halte ich dieses Programm für besonders wichtig, weil gerade junge Unternehmer in der Lage sind, auf Veränderungen spontan einzugehen und Marktlücken auf Grund eigener Initiative zu entdecken.
Die Mittelstandspolitik der Liberalen hat sich seit jeher nicht als Schutzzaun- oder Konservierungspolitik alter Strukturen verstanden; sie tritt immer dafür ein, die Märkte offenzuhalten, denn dies kommt letztlich dem Verbraucher, auf den im Grunde alle Wirtschaftspolitik ausgerichtet ist, zugute.
Schließlich möchte ich aus der Titelgruppe 06 noch die Haushaltsmittel nennen, die die Bundesregierung zur Leistungssteigerung im Handwerk
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und zur überbetrieblichen beruflichen Bildung zur Verfügung stellt. Ich glaube, daß über die Wichtigkeit dieser beiden Positionen in Parlament und Offentlichkeit keine Zweifel bestehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Unternehmensberatung und der Weiterbildung von Unternehmern und Mitarbeitern. 1970 wurden für beide Bereiche — man achte auf die Zahlen —, nämlich Leistungssteigerungen im Handwerk und überbetriebliche berufliche Bildung zusammen, lediglich 13 Millionen DM zur Verfügung gestellt. 1980 sind es insgesamt 60 Millionen DM. Der Mittelansatz hat sich damit — das spricht für sich — fast verfünffacht.
Meine Damen und Herren, diese Fakten, die sich sehen lassen können, sind der Beweis dafür, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen eine wirkungsvolle, den ökonomischen Realitäten und Zielen Rechnung tragende flexible Mittelstandspolitik betreiben.
Ich möchte daher mit der Feststellung schließen, daß diese Koalition mit ihrem für die Mittelstandspolitik in erster Linie verantwortlichen Wirtschaftsminister soviel für den Mittelstand, für die kleinen und mittleren Unternehmen und ihre Arbeitnehmer getan hat und auch weiterhin tun wird wie noch keine Bundesregierung zuvor.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur regionalen Wirtschaftspolitik.
Die Haushaltsansätze für die regionale Wirtschaftspolitik sind seit Jahren auf das Nullwachsturn abonniert, was den Regelansatz anlangt.
Das bedeutet eine Entwertung durch eine inflationäre Entwicklung in den letzten sieben Jahren. Ein Teilausgleich — aber nicht mehr als ein Teilausgleich — ist durch Sonderprogramme und Verpflichtungsermächtigungen gelungen. Dieser Teilausgleich ist unzulänglich. Bereits in der Mitte des laufenden Jahres waren bei den Landeswirtschaftsministerien die Mittel größtenteils erschöpft, die zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen hätten dienen sollen. Mangels Masse können die Fördermöglichkeiten nicht ausgeschöpft werden. Die Fördersätze stehen heute größtenteils nur auf dem Papier.
Trotz dieser Unzulänglichkeit hat die Bundesregierung im Haushaltsentwurf 1980 die Titelgruppe „Regionale Wirtschaftsförderung" um 50 Millionen DM gekürzt, und zwar durch ersatzlosen Wegfall eines Teiles des Zukunftsinvestitionsprogrammes.
Was heißt das im Klartext? Das heißt, daß im Jahre 1980 100 Millionen DM weniger von Bund und Ländern für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gemeinschaftlich aufgebracht werden sollen, als das im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist.
Der Bundesfinanzminister hat vorhin eindringlich die Meinung vertreten, daß die Strukturprobleme an Ruhr und Saar vordringliche Aufmerksamkeit beanspruchen. Die Union hat sich der Mitwirkung bei der Lösung dieser Strukturprobleme nicht entzogen. Auch dieser Haushalt enthält neue, zusätzliche Mittel in der Größenordnung von über 500 Millionen DM, hauptsächlich zur Beseitigung dieser Strukturprobleme, herbeigeführt durch eine lange sozialliberale Mißwirtschaft in der Strukturpolitik an der Ruhr.
Diese Probleme sollen jetzt gelöst werden.
Nur, 500 Millionen DM zusätzlich an Rhein und Ruhr und gleichzeitig nach dem Willen der Bundesregierung und der Koalition eine Kürzung der Mittel für die strukturschwachen Gebiete um 100 Millionen DM gegenüber dem Ist dieses Jahres verträgt sich nicht nur nicht miteinander, sondern das ist unerträglich.
Wir haben nämlich nicht nur eine Fürsorgepflicht für die Menschen an Rhein und Ruhr und an der Saar, wir haben alle miteinander genau dieselbe Fürsorgepflicht für die Menschen im Emsland, in Eifei und Hunsrück, im Hochschwarzwald und im Zonenrandgebiet von Flensburg bis nach Passau.
Frau Simonis, von dem, was Sie zur Begründung dieser Kürzung angeführt haben, hat aber wirklich nichts gestimmt. Ich nenne den ersten Punkt. Sie haben den Ländern die Ausweitung der Fördergebiete vorgeworfen. Ja, wissen Sie denn nicht, daß kein einziger Quadratmeter Fördergebiet ausgeweitet werden kann, ohne daß die Bundesregierung, d. h. die jetzige Koalitionsregierung ihre Zustimmung dazu gegeben hat?
Sie haben dann davon gesprochen, daß zusätzliche Mittel erst in Frage kämen, wenn unterdurchschnittliche Arbeitslosigkeit gegeben sei. Ich nehme an, Sie haben sich versprochen. Sie haben bei diesem Passus Ihre Ausführungen ja wie ein Maschinengewehr geredet. Aber wenn ich zu Ihren Gunsten unterstelle, Frau Kollegin Simonis, Sie hätten statt unterdurchschnittliche überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit gemeint, stimmt es immer noch nicht. Denn wissen Sie nicht, daß die Arbeitslosigkeit nur eines der Kriterien ist und daß im Gegenteil unsere vorausschauende Strukturpolitik darauf abgestellt ist, gerade zu vermeiden zu suchen, daß überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit in einem der strukturschwachen Gebiete entsteht? Es reicht ja gerade, daß sie einkommensschwach sind, es reicht ja gerade, daß sie infrastrukturschwach sind. Sie müssen doch nicht zusätzlich noch verlangen, daß sie überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit haben, daß erst
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Dr. Warnke
das Kind in den Brunnen gefallen ist, wenn wir mit der Strukturverbesserung helfen wollen.
Sie haben drittens gesagt, die Länder weigerten sich, einer Erfolgskontrolle zuzustimmen. Ich muß sagen, Graf Lambsdorff war wirklich Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, als er sich mit diesen Argumenten von Ihnen nicht auseinandergesetzt hat. Jedermann, der sich auch nur ein bißchen damit befaßt
— auch jede Dame, die es wollte, könnte es wissen —, weiß, daß Bund und Länder im Planungsausschuß und in den Unterausschüssen aufs engste, vertrauensvollste und erfolgreich zusammenarbeiten, um eine Erfolgskontrolle zu gewährleisten.
Viertens, Frau Simonis, haben Sie gesagt: Die Länder stellen im Planungsausschuß den Antrag, die Mittel zu erhöhen und denken sich: Die Deppen da oben, die werden es schon zahlen. Jetzt darf ich einmal fragen: Wer sind denn die „Deppen"? Sind die „Deppen" diejenigen Länder, und zwar sowohl christlich - demokratisch / christlich - sozial - regierte als auch SPD /FDP-regierte, die den Antrag gestellt haben? Oder sind die „Deppen" vielleicht die Kommunen, die Gewerkschaften, die Wirtschaft in den Fördergebieten, die diese Erhöhung fordern? Oder sind die „Deppen" vielleicht die Abgeordneten der Opposition, die hier auch einen Entschließungsantrag vorgelegt haben? Oder sind die „Deppen" diejenigen Ihrer Koalitionsfraktionen, die mit uns gemeinsam im innerdeutschen Ausschuß und im Wirtschaftsausschuß beschlossen haben: Die Mittel müssen erhöht werden?
Herr Abgeordneter Dr. Warnke, ich würde empfehlen, daß wir die Frage, wer die „Deppen" sind, ungeklärt lassen.
Herr Vorsitzender
— Herr Präsident —, selbstverständlich werden wir die Frage der Deppenhaftigkeit, die wir nicht zur Sprache gebracht haben, hier auch nicht zu beantworten suchen. Nur eines ist schlimm: Das Wort ist verunglimpfend. Es wird sicher dem Niveau der Diskussion nicht gerecht. Aber, Frau Kollegin Simonis, Sie werden doch mit dieser Argumentation noch viel weniger der Verantwortung gerecht, die wir alle für die Menschen in den strukturschwachen Gebieten, auch in Ihrem Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde, der auch ein Fördergebiet ist, tragen.
Diese Doppelstrategie, daß Sie sich in Ihren Wahlkreisen hinstellen und fordern: „Es muß mehr getan werden für die Schaffung von Arbeitsplätzen", während Sie hier im Bundestag die Anträge niederbügeln, noch dazu mit solchen Bezeichnungen, werden wir Ihnen und Ihren sozialdemokratischen Kollegen nicht mehr durchgehen lassen. Sie werden Farbe bekennen müssen.
Sie werden auch in Ihrem Wahlkreis Farbe bekennen müssen, ob Sie dafür sind, mehr für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun, oder ob Sie dabei bleiben, daß diejenigen, die eine Aufstockung der Mittel beantragen, als „Deppen" betrachtet werden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hätten in diesem Jahr 1979 und auch im folgenden Jahr, 1980, die Chance eines Ansiedlungs- und Erweiterungs-Booms in den Fördergebieten. Wir hätten sie jetzt und nur jetzt, wo die Konjunktur etwas besser läuft; denn Sie können Arbeitsplätze nicht neu schaffen, wenn die Konjunktur ohnehin im Rückwärtsgang dahinschleicht. Wir brauchen Verstetigung in der Strukturpolitik. Wir können bei diesen langfristigen Aufgaben nicht in einem Jahr 100 Millionen DM mehr und dann mal wieder 100 Millionen DM weniger ausgeben. Für das übernächste Jahr kann sich jeder ausrechnen, daß durch die Verpflichtungsermächtigungen, die wir jetzt verfrühstücken, die Mittel ohnehin bereits zu zwei Dritteln vorausgeschöpft sind. Genauso, wie Sie das mit der überdimensionalen Verschuldung für unsere zukünftigen Handlungsspielräume im Bundeshaushalt im Großen tun, haben Sie es in der Gemeinschaftsaufgabe im Kleinen getan.
Die Union fordert daher die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer Haushaltsverantwortung die Leistungsfähigkeit der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur durch eine angemessene Anhebung der Haushaltsansätze sicherzustellen. Als unverzügliche Maßnahme fordern wir die Rückgängigmachung der Kürzung durch zusätzliche Bereitstellung von Mitteln des Europäischen Regionalfonds. Sie haben erklärt, dafür sei kein Geld vorhanden. Dann planen Sie besser. Deshalb beantragen wir die Aufnahme dieser zusätzlichen Bereitstellung in die mittelfristige Finanzplanung, wirksam ab 1981.
Wir kennen die Rösselsprünge des Herrn Finanzministers in Sachen „Kein Geld vorhanden". Im Oktober heißt es im Haushaltsausschuß: Wir können nicht 50 Millionen DM zusätzlich bewilligen. Und im November werden 187 Millionen DM für .den Eschweiler Bergwerks-Verein nur so hingeblättert. Deshalb verlangen wir für den Fall, daß ein Nachtragshaushalt kommt — weil wir x-mal erlebt haben: heute kein Geld, morgen Hunderte von Millionen im Nachtragshaushalt —, daß in ihm die zusätzlichen Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in Höhe der Rückflußmittel des Europäischen Regionalfonds unverzüglich eingesetzt werden.
Wir bitten, den entsprechenden Antrag den Ausschüssen zur Beratung zu überweisen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15259
Das Wort hat Frau Dr. Martiny-Glotz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Art der Debatte von seiten der CDU war ja, um es wertfrei auszudrücken, schon etwas eigenartig. Zunächst kam Herr Glos als ein etwas dünner Generalist,
dann Herr Biedenkopf, der uns hier eine Vorlesung
für eine bessere Wirtschaft gehalten hat, mit sehr
viel Theorie, aber leider wenig Praxisbezug,
und dann kam das Gespann Gerstein/Warnke nach der Devise: was dem einen seine Kohle, ist dem anderen seine Textilfabrik in der Oberpfalz.
Als eine in Dortmund geborene Bürgerin des Freistaates Bayern, trage ich hier gewisse Identitätskonflikte in der eigenen Person aus.
Infolgedessen will ich davon absehen, mich in diese Kontroverse weiter zu vertiefen.
Ich halte fest: Im Wirtschaftsausschuß wurde kein einziger Kürzungsantrag gestellt. Infolgedessen läuft jeglicher Verschuldungsvorwurf ins Leere, es sei denn, man geht die Sache so grundsätzlich an wie Herr Biedenkopf. Aber dann sagt das auch nicht mehr sehr viel und ist nach der Generaldebatte gestern in der Abstimmung eigentlich miterledigt worden.
Ich halte weiter fest: Es wurde kein einziger Alternativantrag gestellt. Die Ablehnung des Wirtschaftshaushalts durch die CDU/CSU ist also schlecht begründet.
Ich halte drittens fest: Erhöhungsanträge sind für Spezialgebiete gestellt worden, für die Mittelstandsförderung und für den Zonenrand. Den Antrag bezüglich des Zonenrands hat Herr Warnke soeben begründet.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Gnädige Frau, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Änderungsanträge, sowohl Kürzungs- als auch Erhöhungsanträge, im Haushaltsausschuß des Bundestages gestellt werden und daß dort diese Anträge zum Haushalt von uns sehr wohl gestellt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn es hier um den Wirtschaftshaushalt geht, sollten Sie doch auch die Sach- und Fachberatung des zuständigen Ausschusses heranziehen und entsprechende Vorschläge gefälligst im Fachausschuß machen.
Denn wo kommen wir hin, wenn nur die vielzitierten „Haushälter" aus diesem Parlament über alles
entscheiden, und zwar an dem vorbei, was in den Fachausschüssen beraten wird?
Wir haben die Sachanträge im Wirtschaftsausschuß gestellt und ausführlich debattiert.
Ich komme gleich noch zu den Punkten, die ich für wesentlich halte und zu denen wir etwas gesagt haben.
— Wenn Sie sie im Haushaltsausschuß gestellt haben, geschenkt.
Ein einziger Ihrer Anträge kommt heute hier wieder. Das ist der von Herrn Warnke. Herr Warnke, ich habe bei Ihrem bewegenden Plädoyer fast gedacht, sie hätten da oben eine Besuchergruppe sitzen. Aber inzwischen sehe ich, daß das nicht der Fall ist. Die wenigen Zuhörer, die wir heute noch hier haben, sind wahrscheinlich nicht aus Ihrem Wahlkreis.
— Einer? — Und dafür soviel Mühe! — Sie müßten doch eigentlich wissen, daß die Mittel, für die Sie hier so bewegend plädiert haben, so verflixt schlecht abfließen. Infolgedessen muß man doch mit dem zufrieden sein, was im Haushaltsausschuß beschlossen worden ist. Wenn tatsächlich mehr Mittel benötigt werden, gibt es notfalls noch den Nachtragshaushalt.
Im übrigen muß man doch auch einmal sehen, daß die Schwierigkeiten des bayerischen Zonenrandgebietes nicht nur durch Bundeszuschüsse ausgeglichen und bewältigt werden sollten. Da ist doch wohl auch noch eine gehörige Portion bayerischer Regionalpolitk notwendig.
Die entsprechenden Versäumnisse sind mir als Bürgerin des Freistaates Bayern gelegentlich gewissermaßen hautnah begreiflich.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Dr. Warnke!
Frau Kollegin, nachdem Sie behauptet haben, daß die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe so verflixt schlecht abfließen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach Auskunft der Bundesregierung bereits in der Mitte dieses Jahres die Mittel in den meisten Ländern total erschöpft waren, und halten Sie in Anbetracht dieser Information die Behauptung aufrecht, daß die Mittel schlecht abfließen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin anders informiert. Wir haben aus dem Haushaltsausschuß Informationen, die das genaue Gegenteil besagen. Und die Möglichkeit des Nachtragshaushalts bleibt ja unbenommen. Damit möchte ich dieses Problem als erledigt ansehen.
15260 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Simonis?
Frau Dr. Martiny-Glotz: Die kann nur hilfreich sein. Bitte!
Frau Kollegin, ist Ihnen denn im Gegensatz zu Herrn Warnke bekannt, daß sich die Länder schon untereinander ihre jeweiligen Verpflichtungsermächtigungen zum Handel anbieten, weil sie überhaupt nicht wissen, was sie in den nächsten Jahren mit diesen Mitteln anfangen sollen, die wir Ihnen zur Verfügung stellen — z. B. das Land Hessen mit dem Land Bayern und dem Land Rheinland-Pfalz?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war mir auch bekannt. Ich weiß, daß man die Frage der Förderkriterien im Laufe des nächsten Jahres verstärkt angehen und lösen muß und für den Haushalt 1981 hier zu neuen Bewertungskriterien kommen muß. Vielen Dank!
Ich wollte noch einige Bemerkungen zum Mittelstand machen, weil vorhin durch eine Zwischenfrage der Eindruck erweckt wurde, als ginge es der mittelständischen Wirtschaft nach wie vor sehr schlecht. Der „Bundesanzeiger" weist für das Jahr 1979 aus, daß es etwa 55 000 neue Unternehmen geben wird, die in diesem Jahr gegründet worden sind; das ist das Doppelte dessen, was an Firmentiteln gelöscht worden ist.
Der Verband der Vereine Creditreform — das ist die größte europäische Wirtschaftsauskunftei — rechnet sogar mit zirka 120 000 neuen Existenzen allein im laufenden Jahr und hat eine Umfrage durchgeführt, wie es mit der Auftragslage und den Wirtschaftsaussichten der mittelständischen Wirtschaft bestellt ist. Danach sind 93 % dieser mittelständischen Unternehmen mit Aufträgen gut bis hervorragend versorgt, nur 1,8 % klagen über Schwierigkeiten; und diese Unternehmen sind außerordentlich stark zu Investitionen geneigt. Das sollte man zur Kenntnis nehmen.
Wenn ich aus der „Süddeutschen Zeitung", in der ich das gelesen habe, wenige Sätze zitieren darf:
Bei der Liste der Klagen wird aber wieder einmal die im Mittelstand nicht selten anzutreffende schizophrene Haltung deutlich, daß zwar auf der einen Seite unzureichende staatliche Hilfen und Förderungen beanstandet werden, daß man sich auf der anderen Seite aber auch über zunehmende staatliche Reglementierungen beschwert. Sprecher der Vereine Creditreform meinten dazu, es sei wohl so, daß man vom Staat gern Mittel entgegennehme, sich aber dagegen wende, wenn der Staat auch kontrollieren wolle, was mit diesen Mitteln geschehe.
Diesem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung' ist wohl nichts hinzuzufügen.
Ich wollte noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam machen, Herr Glos, und das war einer der Anträge, die wir gestellt hatten, nämlich eine Erhöhung der Mittel für das Deutsche Institut für Normung. Ich halte die Erhöhung dieses Titels für vernünftig. Sie haben davon nicht geredet, vielleicht weil es bloß 88 000 DM waren, und Sie reden hier ja nur über Milliarden. Aber ich halte es trotzdem für vernünftig, daß man die Normungsarbeit unterstützt, weil sich der Staat in vielfältiger Weise auf Normung abstützt. Immer, wenn vom Stand der Technik die Rede ist, spielt dies eine Rolle. Es ist aber eine Frage, ob die wachsende Zahl und Detailliertheit von Normen — das geht nämlich inzwischen vom Normschmutz bis zur normierten Sensorik — nicht erstens konzentrationsfördernd und zweitens innovationshemmend wirkt. Wenn man schon von Ordnungspolitik redet, dann sollte man auch zu solchen Problemen einmal detailliert und konstruktiv Konkretes sagen. Wenn ich umgekehrt eine Mitteilung aus einem Wirtschaftsverband richtig deute, dann besagt diese entgegen allen erklärten Energiesparzielen, daß man es dort als „ordnungspolitischen Erfolg wertet, bei den elektrischen Hausgeräten Höchstverbrauchsnormen im EG-Bereich verhindert zu haben. Das zeigt, daß man mit dem Begriff Ordnungspolitik ganz schön Schindluder treiben kann, indem man als erwünscht bezeichnet, was den Unternehmen lieb, dem Konsumenten aber teuer ist.
Meine Damen und Herren, ich war ein wenig enttäuscht, daß von seiten der CDU/CSU alles das, was in diesem Wirtschaftshaushalt zur Sicherung unserer wirtschaftlichen Zukunft geleistet wird, nach meinem Dafürhalten äußerst unzureichend dargestellt worden ist.
Das geht von der Exploration neuer Erdölfelder und Erdgasvorkommen über die Rohstoffsicherung und -vorratshaltung bis zu den Zuschüssen für Fernwärme oder — um den Außenhandelsbereich anzusprechen — über die Förderung der Auslandsmessen bis zu den Auslandshandelskammern. Wir haben uns wirklich Mühe gegeben, hier zu vernünftigen Regelungen zu kommen, die uns in der wirtschaftlichen Zukunft weiterhelfen, einerseits was die Rohstoffe, andererseits was den Handel angeht. Dabei sollte man allerdings auch die Frage stellen, warum so etablierte Auslandshandelskammern wie London, Paris, New York, Den Haag und Wien überhaupt noch Bundessubventionen brauchen. Unsere Subventionen müssen zukunftgerichtet sein und gerade in diesem Bereich der Erschließung neuer Märkte dienen und nicht der Unterstützung an sich doch ganz gut funktionierender Handelsbeziehungen, die die Industrie sehr wohl selbst regeln könnte.
Es war leider auch nicht die Rede davon — aber ich muß zum Schluß kommen und kann das deshalb nur andeuten —, daß wir uns im Wirtschaftsausschuß bemüht hatten, 5 Millionen DM Fördermittel zur Strukturverbesserung im deutschen Film einzustellen, für den Verleih und für die Kinos. Angesichts der Vormachtstellung der amerikanischen Verleiher und angesichts der Tatsache, daß weite Landstriche ganz ohne Kino dastehen, war es nach unserer Meinung von Vorteil, hier einige Hilfen zu
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15261
Frau Dr. Martiny-Glotz
geben. Dieser Haltung des Fachausschusses hat der Haushaltsausschuß sich nicht angeschlossen. Schade.
Letzte Bemerkung. Ich war sehr traurig, weil mein engeres Aufgabengebiet ja die Verbraucherpolitik ist, daß hiervon noch mit keinem Wort die Rede war. Der Verbraucher als Marktpartner wird offensichtlich doch nicht ernst genommen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. In der Drucksache 8/3379 ist bei Kap. 09 02 Tit. 683 11 in der Ausschußfassung auf Grund eines Druckfehlers folgende Berichtigung vorzunehmen. Der Ansatz von 1 076 000 DM muß richtig lauten: 1 076 000 000 DM.
Zu Einzelplan 09 liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 6 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegeprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 09 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Haushaltsplan 09 ist in Zweiter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich mache nur darauf aufmerksam, daß im Zeitplan, wie er ursprünglich vorgesehen war, eine Verzögerung um beinahe zwei Stunden eingetreten ist, so daß die Schlußabstimmungen, die heute noch erfolgen werden, ungefähr gegen 22 Uhr stattfinden müssen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/3380 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schmitz
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitz .
— Einen Augenblick noch, Herr Abgeordneter! Darf ich bitten, daß die Damen und Herren von der Mitte bis herüber nach links ihre Plätze einnehmen. — Dann warten wir eben noch ein bißchen. — Es besteht keine große Neigung dazu. Warum nicht?
— Ich bitte doch, Platz zu nehmen, meine Damen und Herren!
Herr Abgeordneter, darf ich bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die diesjährige Etatberatung ist voraussichtlich die letzte in dieser Legislaturperiode für diese Regierung. Lassen Sich mich als Berichterstatter hier auch einmal deutlich sagen, daß die sachliche Zusammenarbeit mit der Administration in den letzten vier Jahren, was die vier Haushalte angeht, durchaus gewährleistet gewesen ist.
Beurteile ich jedoch die Regierungspolitik, was die Agrarpolitik angeht, so komme ich zu dem Ergebnis, daß man hier nicht in allzu große Begeisterung ausbrechen kann.
So liegt z. B. die Steigerungsrate des Agrarhaushalts, was offenbar bei dieser Regierung üblich ist, genauso wie in allen anderen Jahren weit unter der Gesamtsteigerungsrate von 5,5%. Herr Bundesminister Ertl, dies ist offenbar der Stellenwert, den Sie im Kabinett haben; denn seit vier Jahren sinkt eigentlich Ihr Etat laufend. Wenn Sie dagegen einmal innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einige andere Agrarhaushalte sehen, so werden Sie feststellen, daß hier offenbar ganz andere Maßstäbe angelegt werden können, so zum Beispiel in Frankreich. Dort betrug die Steigerungsrate 1975 23 %, 1976 9,2 %, 1977 18,2 %, 1978 17,1 % und 1979 13,6 %. Sie könnten stolz darauf sein, Herr Minister Ertl, wenn Sir nur die Hälfte dessen erreicht hätten.
Es ist müßig, darauf einzugehen, inwieweit die Zahlungen für die Marktordnungen, die Sie da immer so gern hinzurechnen, und zwar nur deshalb, um in der Offentlichkeit Eindruck zu schinden, tatsächlich hinzugerechnet werden dürfen. Hier ist der Streit eigentlich ausgestanden. Sie behalten Ihre Position. Unsere Position ist hier klar: Wir sind der Meinung, daß man dies nicht ohne weiteres machen kann.
Wenn allerdings — dies müssen wir hier einmal festhalten — in anderen Bereichen über Steigerungsraten der Ressorts gesprochen wird, so sind offenbar das Kabinett und die Koalitionsfraktion immer sehr gerne bereit, diese Steigerungsraten je nach Bedürftigkeit, egal, wie das ist, entsprechend nach oben zu korrigieren, gleichgültig, ob es darum geht, Kapitalzuführungen an bundeseigen Unternehmen vorzunehmen oder Zuschüsse zum Beispiel auch für das Ruhrgebiet zu gewähren. Wenn es jedoch darum geht, die Position des Landwirtschaftsministers einmal daraufhin abzuklopfen, so müssen wir feststellen, daß Sie in zunehmendem Maße immer weniger in der Lage sind, für selbst notwendig
15262 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Schmitz
erkannte Maßnahmen im Kabinett die Rückendekkung zu bekommen.
Das gilt auch für dieses Jahr zum Beispiel für die Frage des Unterglasgartenbaus. Dies gilt für die Fischerei und für die Sozialmaßnahmen im engeren Sinne, aber auch im weiteren Sinne für die Frage der Einkommensteuerregelung innerhalb der Landwirtschaft und für Maßnahmen innerhalb der EG. Es ist schon für einen Haushaltspolitiker ein eigenartiges Erlebnis, daß Sie bei Problemen, die seit längerem bekannt sind, innerhalb des Kabinetts bekannt sind, innerhalb des Ressorts bekannt sind, nicht imstande sind, Herr Minister, sich rechtzeitig mit Lösungsmöglichkeiten vertraut zu machen, diese durchzusetzen und die entsprechenden Ausweisungen der Finanzmittel vorzunehmen. Es ist für die Betreffenden — das muß ich hier einmal deutlich sagen — in der Tat kein erfreuliches Erlebnis, wenn sie über Wochen und Monate immer bei Ihnen antichambrieren müssen und auf die entsprechenden Fragen überhaupt keine Antworten bekommen.
Bis zur letzten Minute vor den Beratungen des Haushaltsausschusses war es überhaupt unklar, ob dem deutschen Unterglasgartenbau die berechtigte Hilfe gegeben würde oder nicht. Was dann allerdings als Ergebnis herauskam,
ist ein sehr sehr eigenartiges Verfahren gewesen. Nur mühsam wurden durch Umschichtungen im Einzelplan 10 diese 50,5 Millionen DM erreicht. Man hat sie nämlich aus der nationalen Vorratshaltung genommen. Ich will das einmal ein bißchen ironisch sagen, Herr Minister Ertl:
Ertl verkauft aus der Vorratshaltung, damit er wieder flüssig wird!
Sie verkaufen, Herr Minister, aus der Vorratshaltung sozusagen in einem eigenartigen Kompensationsgeschäft nach der Methode „Tausche Wurst, Weizen und Schinken gegen Bargeld"! Dies ist keine solide Haushaltspolitik. Weitere 4,5 Millionen DM mußten aus dem Sozialbereich herausgenommen werden. Voraussichtlich werden die nicht abfließenden Mittel, die dem Gartenbau schon versprochen waren, ebenfalls dafür verwandt. Dies ist nicht dazu angetan, der Regierung ein kraftvolles Handeln zu unterstellen. Dies ist Flickschusterei! Die Betroffenen draußen im Lande sind sicherlich sehr daran interessiert zu erfahren, wie sich Ihre 50,5 Millionen zusammensetzen.
Wenn man dann fragt, ob Sie ein Konzept für die Weiterentwicklung des deutschen Unterglasgartenbaus haben, so erfährt man diesbezüglich als Antwort lediglich: Sie sollten sich doch auf weniger wärmeempfindliche Produktion einstellen! Wenn Sie dies sagen, Herr Minister, wissen Sie selbst, daß dies leichter gesagt ist als getan. Da hilft auch nicht drüber hinweg, daß Sie sich, Herr Bundesminister, auf entsprechenden Tagungen des Gartenbaus dann auch als Wohltäter feiern lassen. So ist es nun einmal: Die Arbeit überläßt man anderen; für das Feiern ist man dann selber zuständig.
Ich meine, der deutsche Unterglasgartenbau hat ein Recht darauf, von Ihnen, Herr Minister, zu erfahren, wie es mittelfristig und längerfristig weitergehen soll und ob Sie überhaupt ein Konzept haben.
Es ist für mich auch eigenartig, festzustellen, daß dieser Entschließungsantrag, der im Haushaltsausschuß von seiten der SPD /FDP-Koalition eingebracht worden ist, nicht mehr als nur vage Empfehlungen und den Hinweis auf Energieeinsparungen enthält, aber nichts darüber ausgesagt wird, wie die ganzen Investitionen, die notwendigerweise getätigt werden sollen, von den Betroffenen dotiert werden sollen, ob sie überhaupt in der Lage sind, dies leisten zu können. Aber so ist das nun einmal innerhalb der Koalition und innerhalb der SPD /FDP: Die einen sind für Politlyrik zuständig, die anderen machen es dann mit weißer Salbe. So geht dies nicht weiter.
Wir haben auf Drucksache 8/3380 den Antrag gestellt, 5 Millionen DM aus Mitteln der landwirtschaftlichen Alterssicherung der Berufsgenossenschaft zu übertragen. Wir haben das getan, weil wir der Meinung sind, daß es vernünftig und sachlich richtig ist, die Probleme, die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften durch die Umverteilung auf Grund eines Parlamentsbeschlusses entstanden sind, wiederum durch einen Parlamentsbeschluß einigermaßen zu glätten, um die ärgsten Schwierigkeiten auszubügeln. Es muß deutlich festgehalten werden, daß die Ablehnung dieses Antrags bedeuten würde, daß die Umschichtung innerhalb der Berufsgenossenschaften in Zukunft ohne zusätzlichen Beitrag des Bundes zu ganz erheblichen Beitragssteigerungen führen wird. Dies habe ich auch im Haushaltsausschuß deutlich gemacht.
An diesen beiden Beispielen mögen Sie erkennen, daß diese Regierung über weite Strecken auch bei solch kleineren Maßnahmen von der Hand in den Mund lebt.
Lassen Sie mich auch zur allgemeinen Agrarpolitik einige Sätze sagen. Nicht allein auf dem Dubliner Gipfel ist schlaglichtartig beleuchtet worden, daß die Finanzierungsprobleme innerhalb der EG zunehmen. In stärkerem Maße wird dies auch deutlich, wenn wir über das Thema des Beitritts der Mittelmeerländer sprechen. Ich stimme Ihnen, Herr Minister, ausdrücklich zu, wenn Sie sagen, daß diese Belastungen, die auf die Europäische Gemeinschaft zukommen werden, nicht allein innerhalb des jetzigen Finanzierungsrahmens getragen werden können. Überhaupt bin ich der Auffassung — ich möchte dies hier deutlich machen —, daß wir viel differenzierter über die Finanzierungsprobleme der EG sprechen müssen. Lange können wir das Ganze si-
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15263
Schmitz
cher nicht vor uns herschieben. Aber es stellen sich eine Reihe von Fragen.
Wer über die Kopflastigkeit der Finanzierung innerhalb der EG redet und lamentiert, der muß, meine ich, auch zur Kenntnis nehmen, daß die Landwirtschaftspolitik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit Dingen befrachtet wird, die sie im Grunde genommen .allein nicht tragen kann.
Wer diese Dinge untersucht, muß sich ehrlicherweise diese Antwort geben. Man kann die gemeinsame Agrarpolitik in ihrer Klammerfunktion für die weitere Integration Europas und für die weitere Entwicklung nur dann verstehen und auf Dauer aufrechterhalten, wenn auch erkennbar wird, daß in anderen Bereichen Integrationsfortschritte erfolgen. Es ist, auf Dauer gesehen, zuviel verlangt, daß bei der Entwicklung der Gesamtpolitik der Gemeinschaft die Landwirtschaft zur alleinigen Verantwortung herangezogen werden soll. Denn wie ist es, auf Dauer gesehen, zu vertreten, daß die Zielsetzungen der sogenannten gemeinsamen Agrarpolitik in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche Entwicklungen nehmen?
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle einmal deutlich darauf hinweisen, daß neben den bestehenden Sonderregelungen bei der Einfuhr von Agrarprodukten aus Drittländern — erinnert sei an die Einfuhr von 1,3 Millionen Tonnen Zucker aus AKP-
Staaten oder 120 000 Tonnen Butter aus Neuseeland — dies bei der Gesamtdiskussion berücksichtigt werden muß.
Ich meine, bei der Diskussion um die Finanzierbarkeit der Agrarpolitik muß auch berücksichtigt werden, daß offenbar für einige Länder immer weniger gemeinsame Agrarpolitik existiert. Eine Situationsanalyse zeigt deutlich, daß die Ausgaben für die EG-Agrarpolitik in steigendem Maße auch darauf zurückzuführen sind, daß in der nationalen Agrarpolitik unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Dies müssen wir an dieser Stelle einmal deutlich sagen, meine Damen und Herren. Es kann auf Dauer gesehen nicht gutgehen, wenn z. B. in der Bundesrepublik Deutschland mit großem Eifer und allen Mitteln nach Wegen gesucht wird, wie man in den Überschußbereichen die Produktion drosseln kann, um die Kosten zu senken, jedoch andere Staaten innerhalb der EG in ihrer Agrarpolitik und in ihrer Produktion ein Instrument ihrer Handels- und Zahlungsbilanz sehen und dies auch so handhaben. Dies gilt nicht nur für die traditionell am Agrarexport interessierten Länder Niederlande und Dänemark, sondern auch für Frankreich und Irland. Auch die traditionellen Agrarimportländer Großbritannien und Italien versuchen hier, ihre Handelsbilanz zu verbessern. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, kommt man nicht an der Feststellung vorbei, daß die unterschiedliche Zielsetzung nationaler Agrarpolitik in den einzelnen Staaten mit dazu beiträgt, daß wir zur Zeit diese Schwierigkeiten haben.
Meine Damen und Herren, es ist jedoch notwendig, daß wir uns auch einmal mit der Situation im eigenen Land beschäftigen. Und die sieht so aus, daß der Landwirtschaft in der letzten Zeit so viel an Beitrag zur Stabilitätspolitik zugemutet worden ist, daß sie heute als Packesel der Nation bezeichnet werden muß, meine Damen und Herren.
Wie auch immer man dazu stehen mag: Dies kann auf Dauer gesehen nicht weitergehen.
Es kann auf Dauer gesehen nicht unwidersprochen hingenommen werden, meine Damen und Herren, daß immer weniger Betriebe die Förderschwelle erreichen und in das Einzelbetriebliche Förderungsprogramm hineinkommen. Deshalb müssen Sie, Herr Bundesminister Ertl, diesen. Widerspruch einmal aufklären, der darin besteht, daß eine ganze Reihe von Betrieben, die in der Vergangenheit gefördert worden sind, heute die Förderschwelle nicht erreichen.
Wie sieht es aus, wenn es darum geht, diese Förderschwelle von 26 000 DM in diesem Jahr auf 27 600 DM im nächsten Jahr zu erhöhen? Dies werden Sie 1980 sagen müssen, Herr Minister. Wie sieht es 1980 aus, z. B. bei einem 30-Hektar-Betrieb, der ein Gesamtarbeitseinkommen von 33 000 DM hat? Wenn die Maßnahmen im nationalen Bereich — ich denke an die Steigerung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft, Unfallversicherung um 36%; der Alterskassenbeitrag wird um 150 DM, der Krankenversicherungsbeitrag um 6,4 % steigen — und die Maßnahmen innerhalb der EG so durchgeführt werden, wie sie vorgeschlagen werden, dann wird für diesen Betrieb mit Sicherheit ein Mindereinkommen in der Größenordnung von 4 000 bis 5 000 DM zu Buche schlagen. Darauf werden Sie Antwort geben müssen.
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Sie werden den Bauern dann auch klarmachen müssen, wie sie mit diesem von Ihnen mitzuverantwortenden Steuerkonzept hinsichtlich der Einkommensteuer leben können. Denn unter diesen Voraussetzungen wird es mit Sicherheit dazu führen, daß das Einkommen der Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland — dies sagen ja auch Prognosen aus Ihrem eigenen Hause sinken wird.
Angesichts dieser alarmierenden Entwicklung, meine Damen und Herren, muß ich abschließend festhalten, daß wir an einem entscheidenden Wendepunkt sowohl der europäischen als auch der nationalen Agrarpolitik angekommen sind.
Die Bundesregierung und Sie, Herr Minister Ertl, haben auf diese Herausforderungen — man mag sie nennen, wie man will — bisher nicht allzu viel an Antwort gegeben.
Wir können aus diesen, aber auch aus anderen Gründen — erinnert sei an das Steuerkonzept der Regierung — Ihrem Haushalt unsere Zustimmung nicht geben.
15264 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Simpfendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 10 in der Fassung des Regierungsentwurfs war ursprünglich mit rund 6 508 000 000 DM ausgestattet. Das Ergebnis der Haushaltsberatungen war ein Zuwachs von 87 Millionen DM. Dies ist gewiß ein ungewöhnlicher Vorgang, der einer Erklärung bedarf.
Erstens. Der Ansatz betreffend die Gasölverbilligung mußte um 64 Millionen DM aufgestockt werden, nicht etwa deshalb, weil die Mineralölsteuer in höherem Maße zurückgezahlt wird als früher, sondern weil der Verbrauch stärker gestiegen ist als angenommen. Es handelt sich um eine gesetzliche Verpflichtung.
Zweitens. Die einmalige Anpassungshilfe für den Unterglasgartenbau und die Seefischerei mußte in den Entwurf eingearbeitet werden. Ich schließe mich hier keineswegs der harten Kritik des Kollegen Schmitz an der Bundesregierung an, sondern weise darauf hin, daß es unsere gemeinsame Initiative war, derzufolge wir diese einmalige Hilfeleistung haben organisieren können — natürlich unter Beratung durch die Bundesregierung.
Ich nehme an, daß es den Begünstigten ziemlich gleich ist, ob diese Hilfe durch einen Kabinettsbeschluß zustande kam
oder durch die Initiative des Haushaltsausschusses. In jedem Fall ist Hilfe geboten.
Daß hier die Vorratshaltung teilweise mit herangezogen wird, hängt nicht damit zusammen, daß Bestände verkauft werden, um Geld lockerzumachen, sondern damit, daß Bestände mit Gewinn verkauft werden können — mit der Folge, daß die Ülberschüsse die Notwendigkeit der Defizitfinanzierung für die Vorratshaltung verringern. Auf diese Weise ist das Geld freigeworden. Deswegen kann man, glaube ich, diesen Vorgang überhaupt nicht so kritisieren, wie Sie, Kollege Schmitz, es getan haben.
Im übrigen: Für uns von der SPD sind Steigerungsraten kein Kriterium für vernünftige Haushaltspolitik,
sondern maßgebend ist der Grad der Aufgabenerfüllung.
Und wenn man die Aufgabenerfüllung im Bereich von Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ansieht, kann uns niemand den Vorwurf machen, hier leide die Aufgabenerfüllung Not.
Der Schwerpunkt der Haushaltsausgaben im Bereich dieses Einzelplanes liegt wie seither im Bereich der Sozialpolitik mit 52,5 % der Gesamtausgaben. Dabei spielen zwei Probleme eine Rolle. Das erste ist der Entwurf eines Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes und die darin vorgeschlagene Regelung einer Hinterbliebenenversorgung für jüngere Hinterbliebene. Hier gab es keine finanziellen Probleme, sondern Probleme der Art der Lösung, die in den zuständigen Ausschüssen noch nicht endgültig gefunden ist. Wir vertreten die Auffassung: Wenn über das, was dieser Gesetzentwurf vorsieht, hinausgegangen werden soll, dann warten wir auf Vorschläge der Solidargemeinschaft, wie eine zusätzliche Finanzierung solcher Verbesserungsvorschläge sichergestellt werden kann.
Im Bereich der Zuschüsse zur Unfallversicherung, die ja ohne jede gesetzliche Grundlage geleistet werden, muß man darauf hinweisen, daß die sozial gerechtere Umverteilung, die ja nun Gott sei Dank stattfindet und die insbesondere jene Berufsgenossenschaften begünstigen wird, die seither entsprechend der Ertragslage überdurchschnittlich belastet waren, ja auf einen Beschluß des Bundestags vom Januar 1978 zurückgeht. Damals haben wir gleich für die ganze Wahlperiode die Zuschüsse von 320 auf 400 Millionen pro Jahr als eine generelle Zusage erhöht.
Jetzt kann man nicht kommen und wie Sie, Kollege Schmitz, sagen, man habe Probleme durch Parlamentsbeschluß geschaffen und müsse diese Probleme jetzt beseitigen. Im Gegenteil, wir haben durch unsere Beschlüsse dafür gesorgt, daß über das, was die Regierung vorgesehen hatte, hinaus 80 Millionen pro Jahr gewährt werden, in drei Jahren also 240 Millionen DM mehr, als ursprünglich vorgesehen war.
Und nun wollen wir, daß nachvollzogen wird, daß wir als Bedingung dafür gesetzt haben, nämlich eine sozial gerechtere Verteilung. Infolgedessen sehen wir überhaupt keine Notwendigkeit, über die 400 Millionen DM mit 5 Millionen hinauszugehen.
— Lieber Kollege Susset, ich war dafür.
Nur hat sich herausgestellt, daß die Arbeitsgruppen Haushalt von SPD und FDP in diesem Fall grundsätzliche finanzpolitische Erwägungen in den Vordergrund gestellt haben: Erstens. Jede zusätzliche Million bedeutet eine Million Schulden. Zweitens. Am Ende einer Legislaturperiode solle nicht die Grenze von 400 Millionen DM überschritten werden; dies könne zu Anfang der nächsten Legislaturperiode grundsätzlich neu erwogen werden. Dies sind die zwei maßgeblichen Gründe der Haushaltsund Finanzpolitiker. Ich muß sagen, diese Gründe sind vernünftig.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15265
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Simpfendörfer, nachdem Sie bestätigt haben, daß Sie im Fachausschuß ursprünglich sogar für die 3 Millionen DM gestimmt haben, frage ich Sie: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie das Geld mehr für die Hilfe im Unterglas-Gartenbau brauchten, daß Sie aber von der Maßnahme selber trotzdem überzeugt waren? Sonst hätten Sie ja nicht zugestimmt.
Lieber Kollege Schmitz, ich war überzeugt, man könne diese Erhöhung gewähren. Ich habe aber auch vorgetragen, welche vorrangigen finanzpolitischen Gründe die Mehrheit in unseren Arbeitsgruppen zu einer anderen Überzeugung gebracht hat. Denen schließe ich mich an.
Der zweite Schwerpunkt, die Strukturpolitik, die sich ja im wesentlichen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe vollzieht, wird lediglich um einen Prozentsatz von 2,5 % oder 35 Millionen DM verbessert. Gleichzeitig ist die letzte Rate des Zukunftsinvestitionsprogramms in Höhe von 220 Millionen DM im Haushalt enthalten.
In diesem Zusammenhang stellt sich dem Ernährungsausschuß und auch mir die Frage, in welcher Form insbesondere das Dorf erneuerungsprogramm, das ja im Zukunftsinvestitionsprogramm enthalten ist, nach Auslaufen dieses Programms im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe weitergeführt wird oder nicht. Es gibt diesbezüglich Beschlüsse des Ernährungsausschusses, die ich unterstütze. Daran müssen wir festhalten, auch wenn wir sehen, daß angesichts der Finanzlage im allgemeinen nicht alles, was wünschenswert ist, auch sofort verwirklicht werden kann.
Ich muß in diesem Zusammenhang meinen Dank an den Kollegen Haehser, den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, zum Ausdruck bringen. Er hat in besonderer Weise dafür gesorgt, daß unser gemeinsamer Wunsch, die forstliche Jungbestandspflege in die Gemeinschaftsaufgabe aufzunehmen, erstmalig erfüllt wurde. Dafür danke ich dem Kollegen.
— Er hat sich sachkundig gemacht. Weil es ihm einleuchtete, war er dafür.
Der Punkt Einkommenspolitik wird zwar als dritter Schwerpunkt in diesem Einzelplan aufzuführen sein, aber — da muß ich nun dem Kollegen Schmitz ebenfalls widersprechen — Einkommenspolitik findet nicht in erster Linie in diesem Einzelplan statt, sondern hier nur am Rande. Im wesentlichen findet Einkommenspolitik über die Rückflüsse aus Brüssel statt, wie sie in der Anlage E nachgewiesen werden.
Wenn man die Zahlen betrachtet, dann stellt man Überraschendes fest. Im Jahre 1976 hatten wir einen Soll-Ansatz von 2,70 Milliarden DM; im Jahre 1980 haben wir einen Soll-Ansatz von 7,29 Milliarden DM. Das heißt: In fünf Jahren haben wir eine Steigerung der Rückflüsse aus Brüssel zugunsten der deutschen Landwirtschaft in Höhe von 270 % zu verzeichnen. Dies ist nach unserer Überzeugung zu 85 bis 90 % einkommenswirksam für die deutsche Landwirtschaft. Minister Ertl hat ja seinerzeit dafür gesorgt, daß dieser Teilbereich überhaupt aus dem Einzelplan 10 ausgegeliedert wurde, damit er nicht mehr direkt über den Bundeshaushalt läuft. Dies war sicher vernünftig, aber auf der anderen Seite ist es genauso vernünftig, zu sehen, wie die Einkommenssituation der Landwirtschaft durch diese Rückflüsse in erheblichem Maße Jahr für Jahr stabilisiert wird.
Wenn man diesen Anteil noch einmal etwas genauer untersucht, dann stellt man fest, daß 4,35 Milliarden DM für die Finanzierung des Milchmarktes im weitesten Sinne vorgesehen sind. Das sind 59%. Da sieht man, welch eine große Rolle die Milchmarktproblematik in unseren Betrieben spielt und wie problematisch deswegen die Überschußsituation auf diesem Sektor ist. Will man nun, wie zum Teil von berufsständischer Seite verlangt wird, auf der einen Seite Preiserhöhungen über die Inflationsrate hinaus und Erhaltung der Marktordnungen auf der anderen Seite, dann ist auch deutlich, daß es im Augenblick darum geht, zwei kaum mehr zu vereinbarende Dinge dennoch zusammenzuhalten. Zwei kaum mehr zu vereinbarende Dinge deswegen: wenn man Preiserhöhungen über die Inflationsrate hinaus etwa auf dem Milchsektor — wenn der Markt es hergibt — durchsetzen wollte, hätte dies ja zur Folge, daß man bei den eigenen Einnahmen der EG sofort an die Obergrenze stößt und daß die weitere dauerhafte Finanzierung nicht mehr gewährleistet ist. Nach Modellrechnungen des Bundesfinanzministers ergibt sich, daß bei Zuwachsraten von 6 auf dem Agrarsektor nur noch 7,8 % Zuwachsraten im übrigen Sektor des EG-Haushalts finanziert werden können, wenn man im Rahmen des Anteils von 1 % an der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage bleiben will, und wir haben ja im Sommer gemeinsam beschlossen, darin bleiben zu wollen. Infolgedessen ist es von äußerster Dringlichkeit, daß gerade auf dem Gebiet der Milchüberschüsse nun nicht mehr nur geredet, sondern auch tatsächlich gehandelt wird.
Ich orientiere mich in dem, was ich nun sage, an dem, was der Vorsitzende des Ernährungsausschusses Dr. Martin Schmidt in einer Presseveröffentlichung als seine Vorstellungen dargestellt hat.
Erstens. Die Interventionspreise für Butter und Milchpulver werden auch 1980 nicht erhöht.
Zweitens. Es wird eine Mitverantwortungsabgabe von mindestens 2% des Richtpreises erhoben; die Ausnahmen müssen begrenzt bleiben.
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Simpfendörfer
Drittens. Es wird glaubhaft angekündigt, daß die Mitverantwortungsabgabe weiter erhöht wird, wenn die Milchanlieferung weiter steigt.
Viertens. Die Rücklieferung von Magermilch zu Futterzwecken wird großzügig unterstützt.
Fünftes. Die Mittel aus der Mitverantwortungsabgabe sind für die Verbilligung von Milcherzeugnissen zur Förderung des Absatzes einzusetzen.
Wenn sich aus einem solchen Programm soziale Härten und Schwierigkeiten ergeben, dann müssen sie auf andere Weise gelöst und finanziert werden; sie können nicht über den Markt und Preismechanismus gelöst und finanziert werden.
Meine Damen und Herren, Ehrlichkeit ist in dieser Frage notwendig. Es gibt wenig Spielraum für aktive Preispolitik. Ich warne in diesem Zusammenhang vor einer Doppelstrategie: hier in Bonn dafür zu sein, daß die Einnahmen der EG — einschließlich der 1 %-Mehrwertsteuer-Grundlage — begrenzt bleiben, daß aber gleichzeitig dann in den Ländern nach einer aktiven Preispolitik gerufen und der Berufsstand in solchen Forderungen auch noch unterstützt wird. Dies wäre unglaubwürdig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Verzeihung, nein. Ich muß innerhalb meiner Redezeit bleiben. Ich bin auch fast am Ende. Ich bitte um Entschuldigung.
Ich meine, hier muß ehrlich und deutlich geredet werden. Niemand sollte sich falschen Hoffnungen hingeben, daß es ohne harte Maßnahmen abgeht, was auch bedeutet, daß über einige Zeit hinweg bei den milcherzeugenden Betrieben keine tatsächliche und reale Einkommensverbesserung mehr möglich ist.
Ich habe auch im Zusammenhang der EG-Finanzierungsproblematik gesagt: Eile tut not, es ist nämlich fünf Minuten vor zwölf. Wenn nichts getan wird, dann bricht ohnehin der gesamte Interventionsmechanismus zusammen mit der Folge, daß auf diese Weise viele Betriebe an den Rand der Existenz gedrängt würden. Dies wäre ganz sicherlich schlimmer als eine geordnete Politik,
die zwar den Betrieben Einkommenseinbußen zumutet,
aber den Interventionmechanismus aufrechterhält.
Zum Schluß. Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des Haushaltsausschusses und des Ministeriums für die Bereitstellung von Hilfe und Unterstützung bei der Arbeit an diesem Etat. Ich bedanke mich bei den Obleuten und den Kollegen im Haushaltsausschuß für das Verständnis, das sie unseren Problemen entgegengebracht haben, und ich bedanke mich bei dem Minister für die gute Zusammenarbeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10, der Haushaltsplan für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ist in den Beratungen des Haushaltsausschusses — deswegen, und nicht als neuer Agrarpolitiker, spreche ich hier — von allen Fraktionen sehr wohlwollend behandelt worden. Ein Regierungsentwurf in der Höhe von ca. 6,5 Milliarden DM wurde in die Haushaltsberatungen eingebracht. Herausgekommen ist ein Entwurf von etwa 6,6 Milliarden DM, der hier jetzt zur Schlußabstimmung vorliegt. Die Steigerung des Einzelplans 10 gegenüber dem Vorjahresplan beträgt 3,2 %. Ich meine, Herr Kollege Schmitz, jetzt feine Rechnungen mit den 5,5 % des Vorjahres aufzumachen und daran auch die Gewichtigkeit des Ministers im Kabinett abzulesen, ist eine zu einfache Sicht der Vorgänge.
Sie könnten das auch umdrehen und sagen, es ist außerordentlich viel erreicht worden, was diesem Minister zu danken ist, statt die Folgerung zu ziehen, die Sie gezogen haben.
Mit Blick auf diese Haushaltszahlen muß festgestellt werden, daß hier nur knapp die Hälfte der Mittel und Möglichkeiten dargestellt wird, mit denen der Bereich Landwirtschaft, Ernährung und Forsten Unterstützung erhält. Es muß im Auge behalten werden, daß sich ein ganz entscheidender Teil der agrarpolitischen Aktivitäten inzwischen auf die Europäische Gemeinschaft verlagert hat. Die gesamte Markt- und Preispolitik, die von der Bundesregierung als wichtiges Ziel der angestrebten Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung im Agrarbereich ausgewiesen wird, schlägt sich daher im Plafond des Einzelplans 10 in keiner Weise nieder. Insofern bietet dieser Einzelplan kein vollständiges Spiegelbild der gesamten Agrarpolitik, wie das bei anderen Ressortplänen üblicherweise der Fall ist.
Der Teil, der im europäischen Bereich außerhalb dieses Einzelplans 10 für Marktordnungsausgaben in Höhe von 7,2 Milliarden DM anfällt und damit höher ist als der vorliegende Einzelplan 10 — in diesem Zusammenhang sei insbesondere an den dominanten Posten des Milchmarktes mit etwas über 4 Milliarden DM erinnert —, muß wohl aus volkswirtschaftlichen Überlegungen mittlerweile als bedenklich bezeichnet werden. Darauf ist gestern in der Debatte und auch bei anderen Anlässen, nicht zuletzt im Rahmen der Informationen und Diskussionen, die zur ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments in der Mitte des Jahres erfolgt sind, hingewiesen worden. Ich meine, der Informations- und Bewußtseinsstand einer breiten Öffentlichkeit ist dadurch gewiß größer geworden.
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Bleibt zu hoffen, daß auch Einsichtsfähigkeit und daraus abzuleitende Handlungsnotwendigkeiten größer geworden sind; denn mit der Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft — so vermute ich zumindest — wird der Anspruch an den Agraranteil tendenziell eher noch höher werden.
Mit Blick auf die Zahlen dieses Einzelplans sollte man sehr vorsichtig sein, seine Kritik ausschließlich an angeblich unzureichenden Steigerungsraten festmachen zu wollen. Bei einer Gesamtbetrachtung der europäischen Haushaltsmöglichkeiten wie auch der Maßnahmen, die' in diesem Einzelplan zum Ausdruck kommen, ist festzustellen, daß der Bereich Landwirtschaft und Ernährung insgesamt eine gute Unterstützung erfährt.
Diese Unterstützung ist in vier Schwerpunktbereiche, denen sich dann noch einzelne aktuelle Fragen zuordnen lassen, zu gliedern.
Da ist einmal der Bereich der Sozialpolitik mit 3,4 Milliarden DM oder mehr als 52 %. Da ist zweitens der Bereich der Agrarstrukturmaßnahmen, Wasserwirtschaft und Küstenschutz, mit 1,8 Milliarden DM oder 28%. Da ist drittens der einkommensstabilisierende Maßnahmenbereich mit 0,8 Milliarden DM oder 12 % und viertens die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen mit 0,25 Milliarden DM oder 4 % des Einzelplans 10.
Der dominante Schwerpunkt im Einzelplan 10 — die Zahlen belegen es — ist eindeutig der Bereich der Sozialpolitik.
Ich möchte dabei in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß bei den Ansätzen für die Altershilfe und die Krankenversicherung die Mehraufwendungen durch das zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz voll berücksichtigt sind.
Bei der Zusatzversorgung für Arbeitnehmer ist auch ein Mehrbedarf durch die Erhöhung der Ausgleichsleistungen von 50 DM auf 70 DM veranschlagt. Dadurch ist die letzte große Lücke im System der sozialen Sicherung in der Landwirtschaft geschlossen worden. Auch auf die Gefahr hin zu wiederholen — aber was wird draußen nicht alles wiederholt, was weniger wichtig ist —: Ein derartiges System der sozialen Absicherung hat die deutsche Landwirtschaft bisher in der gesamten Geschichte nicht gekannt.
Ich möchte noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Ich kenne keinen anderen Wirtschaftsbereich, in dem die öffentliche Hand einen gleich hohen Anteil, nämlich rund 58 %, der Soziallasten übernimmt. Das sind Zahlen, die für sich sprechen.
Wir halten die gewonnene soziale Absicherung für notwendig und für richtig, insbesondere unter Berücksichtigung der schwierigen Ausgangslage, der die deutsche Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb gegenübersteht. Für die Gestaltung dieses politischen Bereiches der Sozialpolitik, so meinen wir, gebührt Minister Ertl unser besonderer Dank.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zur Unfallversicherung machen. Das ist auch schon von dem Kollegen Berichterstatter angesprochen worden. Hier handelt es sich um einen Bereich, der mit einem Betrag von 400 Millionen DM im Haushalt ausgewiesen ist. Auf Grund eines Bundestagsbeschlusses aus dem Jahre 1978 ist eine erhebliche Aufstockung von damals 329 Millionen DM auf 400 Millionen DM erfolgt,
verbunden mit dem Wunsch, für eine sozial gerechte Verteilung zu sorgen. Nun, das haben wir in dem Berichterstattergespräch im Haushaltsausschuß gemacht. Das kann man sicher noch feinsinniger betreiben: ob nun 3, 5, 15 oder 30 Millionen DM in diesem oder im nächsten Etat nötig sind. Festzustellen bleibt aber, daß dieser vorgesehene und auch verabredete Ausgleich auf Grund des großzügig erhöhten Plafonds durchaus zu realisieren wäre. Alle maßgeblich Beteiligten haben das damals eigentlich gewußt. Ich meine, man darf sie daran durchaus erinnern.
Die Ausgaben für die Strukturpolitik sind durch zwei gegenläufige Entwicklungen gekennzeichnet Während die Ansätze für die Gemeinschaftsaufgaben um 35 Millionen DM ansteigen, gehen die Ausgaben für andere Maßnahmen zurück, insbesondere weil das Programm für Zukunftsinvestitionen 1980 ausläuft. Ich stehe unter dem Eindruck, daß wir im Verlauf des kommenden Jahres sehr sorgfältig prüfen müssen, ob und inwieweit dieses Programm fortgesetzt werden soll. Dabei denke ich nicht nur an den besonders erfolgreichen Programmteil Dorferneuerung, sondern auch an den Küstenschutz. Ich habe den Eindruck, daß die Beschleunigung der Küstenschutzmaßnahmen, auf die wir uns anläßlich der Katastrophen der vergangenen Jahre zwischen Bund und Ländern und allen Parteien verständigt hatten, inzwischen wegen der starken Kostensteigerungen in diesem Bereich doch ein wenig im Sande verlaufen ist. Wir bitten die Bundesregierung und die Länder, dem Bundestag zur Vorbereitung der Beschlußfassung über den Rahmenplan 1981 Material über den voraussichtlichen Finanzbedarf und die zeitlichen Vorstellungen bezüglich der Maßnahmen zu unterbreiten, die zur Verwirklichung eines ausreichenden Schutzes unserer Küsten erforderlich sind.
Bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur handelt es sich um ein Ausgabenvolumen von 1,4 Milliarden DM an Bundesmitteln, auf deren regionale und sachliche Verteilung das Parlament bedauerlicherweise wenig Einfluß nehmen kann. Über die Möglichkeiten des Haushaltsrechtes ist nach meiner Vorstellung aber durchaus etwas mehr erreichbar. Dieser Sachverhalt, daß das Parlament doch nur Mittelbewilligungsinstanz ist, an dem Entscheidungsprozeß inhaltlich aber kaum beteiligt ist, darf — so sehe ich es jedenfalls — auf keinen Fall zu einer Dauererscheinung werden. Wir nehmen zur Zeit allerdings gern zur Kenntnis, daß der Planungsausschuß die Kriterien und die Möglichkeiten, z. B. für Investitionen auf dem Gebiet der Energieeinsparung wesentlich verbessert hat.
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Zywietz
Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zu im Ausschuß besonders intensiv erörterten Einzelfragen machen, die vor allem als einkommenstabilisierende Maßnahmen zu bezeichnen sind.
Die drastisch gestiegenen 01- und Energiepreise haben in der Wirtschaft allgemein und damit auch in der Agrarwirtschaft mancherlei Veränderung ausgelöst. Soweit wie möglich — das ist unser Grundsatz — müssen alle davon Betroffenen im privaten und im öffentlichen Bereich damit marktwirtschaftlich fertig werden. Der Weg der Kostenweitergabe über die Preise ist letztlich der richtige Weg zur unbedingt erforderlichen rationellen Energieverwendung. Trotz dieses Grundsatzes ist aber nicht zu übersehen, daß in manchen Wirtschaftsbereichen besondere Situationen einmalige Anpassungshilfen erforderlich machen. Ich meine damit die bereits angesprochene Unterstützung für die Unterglas-Gärtner und beispielsweise für die Kutterfischer und die Seefischerei. Ich möchte betonen, daß es sich dabei um eine einmalige Hilfe handelt und daß damit auf der politischen Ebene das Bemühen einhergehen muß, Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Bereich mit Kraft, sicherlich aber unter Akzeptanz der schwierigen Rahmenbedingungen, abzubauen.
Ich glaube, daß mit einem Anheben der Gaspreise in Holland — und die sind das Schlechte an der Konkurrenzsituation — bereits ein erster Teilerfolg zu erzielen ist.
Denn die Hauptmisere besteht darin, daß im Bereich der Unterglas-Gärtner und der Küstenfischer eine Situation gegeben ist, in der die Preise von oben ziemlich abgedeckelt sind, aber die Energiekosten einen sehr großen Betriebskostenanteil darstellen, der auf andere Weise nicht weitergegeben werden kann.
Hier haben wir eine Überbrückungsmaßnahme angeboten. Aber damit muß auch der Appell an die Betroffenen einhergehen, selbst alle ihre Möglichkeiten zu überprüfen, in Zukunft den Energiekostenanteil in ihrem Betriebskostenblock herabzumindern.
Alles, was in diese Richtung zielt, werden wir nach Prüfung des Sachverhalts von seiten der Bundesregierung und des Parlaments zu unterstützen bereit sein.
Schlußendlich möchte ich noch ein paar Anmerkungen zu dem vierten Bereich, Forschung und Entwicklung, machen. Für diesen Bereich werden mit 244 Millionen DM rund 4 % des Volumens des Einzelplans 10 zur Verfügung gestellt. Es ist, so meinen wir, erfreulich, daß sich im Agraretat seit 1971 in diesem Bereich unter dem Stichwort Umweltschutz und Naturschutz ein neuer Schwerpunkt herauszubilden beginnt. Wenn auch die dafür bereitgestellten Mittel, 18 Millionen DM für Forschungsvorhaben im Umweltbereich und 5 Millionen DM für Naturschutzprojekte sowie für einige kleinere Positionen, noch recht begrenzt sind, wird damit doch eine politische Aktionslinie unterstrichen, die wir eindeutig für richtig halten.
Grünes Licht für ein Referat Landschaftsökologie ist ein Zeichen auf diesem Wege.
Wir möchten das Ministerium ermuntern, auf diesem Wege unbedingt fortzuschreiten. Die Offentlichkeit hat nach unserer Auffassung einen Anspruch darauf, daß die Probleme einer umweltfreundlichen Produktion von Nahrungsmitteln von der Bundesregierung sehr ernst genommen werden.
In diesem äußerst sensiblen Sektor kann das Ministerium mit seinem umfangreichen Forschungsapparat einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten.
Ich möchte abschließend hinzufügen, daß wir es auch sehr begrüßen würden, wenn die lobenswerten Aktivitäten im Bereich der Energieforschung, speziell im Agrarbereich — und dazu sind bereits einige Anfragen sowie ein gewisser Meinungsaustausch erfolgt —, unter dem Stichwort „Biogas" und anderen konstruktiv in die Zukunft verlängert werden könnten; denn aus diesem Etat ist zu ersehen, daß uns unter dem Oberbegriff Energie einige Positionsveränderungen abgenötigt wurden.
Wir von der FDP können diesem Etat aus Überzeugung unsere Zustimmung geben. Wir bedauern, daß die Opposition das nicht kann, weil wir bei einem gemeinsam getragenen Agraretat eine bessere Verbindung hätten und nicht — was Sie, Herr Kollege Schmitz, kritisiert haben — der eine nur arbeitet und der andere feiert.
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern eine oder zwei Fragen des Kollegen Schmitz beantworten — mehr möchte ich nicht tun — und einige Bemerkungen machen.
Erste Bemerkung: Es wurde zum wiederholten Male behauptet, EG-Ausgaben hätten nur am Rande etwas mit Einkommenspolitik zu tun. Das ist falsch.
Die meisten EG-Ausgaben dienen der Einkommensstützung. Ich hätte das sonst nicht angemerkt. Sie können die Koalitionsvereinbarungen aus dem Jahre 1969 nachlesen. Es war Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen, die EG-Ausgaben aus meinem Einzelplan herauszunehmen und in den Einzelplan 60 zu übertragen. Ich kann Ihnen auch noch den Dankbrief des damaligen Bauernverbandspräsi-
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Bundesminister Ertl
denten zu lesen geben. Ich finde es nicht richtig, wenn Sie immer wieder so tun, als wäre das anders. Sie müssen doch dem Finanzminister zumindest gestatten, daß er diese Kosten dem betroffenen Personenkreis zurechnet. Das ist doch nicht mehr als fair. Das sind die Fakten, und ich wollte hier nur einmal die Fakten feststellen.
Zweite Bemerkung: Sie haben einen Vergleich gezogen, und den will ich aufgreifen, damit wir in Zukunft noch sachlicher miteinander diskutieren können. Sie haben auf die Zuwachsraten des Agrarhaushalts in Frankreich hingewiesen. Dazu muß man fairerweise sagen: Frankreich ist ein Zentralstaat. Im französischen Haushalt sind — bei einer Inflationsrate von 10 % — die gesamten Personalkosten für Beratung usw. enthalten. Das sind bei uns Länderkosten. Insofern hinkt Ihr Vergleich.
— Ich bitte Sie vielmals! Nehmen Sie die EG-Ausgaben, da liegen wir höher! Schauen Sie sich das Zahlenmaterial doch einmal an! — Ich wollte das nur sagen, weil man doch die richtigen Bezugspunkte miteinander vergleichen muß. Was würden Sie z. B. sagen, wenn ich verlangte, die aus der Gemeinschaftsaufgabe auf die Länder entfallenden Kosten müßten auch noch irgendwo bei mir berücksichtigt werden? Das wäre doch eine unfaire Basis. Sie dürfen einen Staat, der alle Finanzierungen zentralstaatlich vornimmt, nicht mit einem föderativen Staat vergleichen. Sonst müssen Sie hier einen Bund-LänderVergleich machen.
Das können Sie schon aus volkswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Gründen nicht machen. Aber ich will das hier nicht vertiefen.
Ich füge einen weiteren Punkt hinzu: Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß wir mit der Finanzierung des gemeinsamen Agrarmarktes in große Engpässe kommen. Ich freue mich, daß der Kollege Carstens hier ist; denn ich habe mir eigens seinen Bericht vom 14. März 1979 mitgenommen, auf den hier hingewiesen wurde. Ich glaube, mein Kollege Paintner war einer der ganz wenigen, die dagegen gestimmt haben, sonst wurde dem Bericht von allen Fraktionen zugestimmt. Dort heißt es:
Die Ausgaben sollen sich nach Auffassung des Ausschusses bei der Europäischen Gemeinschaft in erster Linie nach den Einnahmen richten.
Unterschrift: Carstens, Berichterstatter. Man muß also fairerweise sagen, daß die Finanzierung einer Politik entspricht, die von diesem Bundestag gewünscht wird. Man kann nicht hergehen und sagen, das mache allein die Bundesregierung. Ich sage Ihnen ganz offen — ich habe das in der Offentlichkeit wiederholt erklärt, und das weiß auch der Herr Bundeskanzler —: Ein Beitritt weiterer Länder zur EG ohne Erhöhung des Schlüssels von 1 % Mehrwertsteueranteil ist finanziell nicht schaffbar. Oder Sie
müssen die gesamte Agrarpolitik in Frage stellen. An dieser Alternative geht kein Weg vorbei.
Ich sage Ihnen weiter: Sie werden feststellen, daß die beitrittswilligen Länder vorwiegend an einem Beitritt zum Agrarmarkt interessiert sind — viel mehr als an dem industriellen Sektor. Das wurde mir auch in Spanien gesagt, vom König bis zu den Beamten. Sie alle haben gesagt: „Kommen Sie uns bloß nicht mit dem Angebot einer Übergangszeit von vier Jahren für die Industrie und von zehn Jahren für die Landwirtschaft! Das ist für uns inakzeptabel. Genau umgekehrt muß es sein: vier Jahre für die Landwirtschaft, zehn Jahre für die Industrie. Das muß man wissen, das liegt in der Struktur dieser Volkswirtschaften. Der Haushaltsausschuß und alle Fraktionen dieses Hohen Hauses werden sich mit dieser Materie noch sehr ernsthaft auseinandersetzen müssen. Man kann doch nicht von dem Minister Abhilfe verlangen, wenn er praktisch unter dem Befehl eines Bundestagsbeschlusses steht. Für mich ist ein Beschluß des Bundestages ein Befehl. Das muß ich sagen, damit hier keine falschen Meinungen aufkommen.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Sie haben mich nach dem Konzept für den Unterglasgartenbau gefragt. Das haben Sie übrigens bereits vor dem Ausschuß getan. Ich habe Ihnen nicht gesagt, Gärtnereien dürften sich nicht auf wärmeempfindliche Pflanzen stützen. Natürlich ist auch das ein Aspekt. Aber etwas anderes ist ganz klar — und ich unterstreiche das noch einmal: Auf unser Drängen hin haben die Holländer inzwischen, wenn auch noch nicht in genügendem Umfang, den Erdgaspreis angehoben. Zweitens sind im Rahmen des Planungsausschusses die Investitions- und Förderungsmöglichkeiten zur Energieeinsparung erheblich ausgedehnt worden. Nun sage ich einmal etwas, gar nicht so sehr aus politischer Verantwortung heraus, denn das wissen die Gärtner selbst: Eine Dauerlösung ist nur durch energieeinsparende Investitionen möglich, nicht aber über Gasölbeihilfe. Insoweit ist also auch ein Konzept da.
Ich wüßte nicht, welches andere Konzept man anwenden sollte. Da stehe ich sogar in Übereinstimmung mit dem Berufsstand, und das soll ja etwas heißen.
Dann haben Sie wieder die Entwicklung der Förderschwelle angesprochen. Hier muß ich darauf hinweisen, daß die Förderschwelle nicht nur von dem Bundesminister vertreten wird. Sie wird selbst von CDU-Landwirtschaftsministern vertreten.
— Ja, natürlich. Ich kann Ihnen die Protokolle aus dem Planungsausschuß vorlegen. Oder wollen Sie diesen Ministern unterstellen, daß sie mit zwei Zungen reden? Das würde ich nicht tun. Sie haben also auch zugestimmt.
Ich habe bisher noch niemanden gehört, der ein anderes Konzept hätte. Ich anerkenne Kritik. Man
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Bundesminister Ertl
muß mir dann aber auch ein anderes Konzept vorlegen können.
Man muß mir sagen: Bitte sehr, wir haben die bessere Lösung. Dann können Sie mit mir reden.
— Ich habe das richtige. Das empfinden sogar die Bauern. Sonst würden sie nicht immer sagen: Mit dir sind wir ja ganz zufrieden, nur bist du bei der falschen Partei.
— Ja, Herr Friedmann, ich bedanke mich für das Kompliment. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich fühle mich aber bei dem Haufen, bei dem ich bin, ganz wohl.
Ich bin am Ende, Herr Präsident. Ich wollte heute nur diese paar Bemerkungen machen. Alles übrige können wir bei der Agrardebatte besprechen. Dann liegen auch die Zahlen auf dem Tisch. Herzlichen Dank den Berichterstattern für ihre großartige Mitarbeit!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag Drucksache 8/3474 Ziffer 7 zu Kap. 1002 Tit. 53122 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3484 zu Kap. 10 02 Tit. 656 52 und 656 51 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 10 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
— Drucksachen 8/3382, 8/3430 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller
Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/3383 — Berichterstatter: Abgeordneter Windelen
Im Ältestenrat ist verbundene Debatte über die Einzelpläne 12 und 13 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt 1980 ist das zahlenmäßige Spiegelbild einer in den zentralen Problemen festgefahrenen Verkehrspolitik.
Die Immobilität dieser Verkehrspolitik in der 8. Legislaturperiode ist in ihrer negativen Auswirkung voll auf den Verkehrshaushalt durchgeschlagen. Abgesehen von dem Ausgabenblock „Deutsche Bundesbahn" ist die Stagnation bei den übrigen Ausgabenblöcken seit 1977 überdeutlich. Im Jahre 1977 hatte der Verkehrshaushalt ein Volumen von 21,6 Milliarden DM; im nächsten Haushaltsjahr beträgt das Volumen 25,9 Milliarden DM.
Im gleichen Zeitraum sind die Haushaltsleistungen an die Bundesbahn von 11,3 Milliarden DM auf 14,6 Milliarden DM, d. h. um über 30 % angestiegen. In einem anderen Vergleich heißt dieses, daß der Anteil der Bundesleistungen an die Bahn von 49,9% im Verkehrshaushalt des Jahres 1977 auf 53 % im vor uns liegenden Bundeshaushalt 1980 angestiegen ist, in bezug auf den gesamten Bundeshaushalt von 5,4% im Jahre 1977 auf 6,5% im Jahre 1980. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Zahlen ein eindrucksvolles Beispiel, ein eindrucksvoller Niederschlag der verkehrspolitischen Fehleinschätzungen durch den zuständigen Minister und durch diese Regierung sind.
Noch im Jahre 1977 legte die Bundesregierung ihren damaligen Finanzplan für den Zeitraum bis 1980 vor. Die Bundesleistungen an die Bahn wurden damals für das Haushaltsjahr 1980 mit 11,3 Milliarden DM angesetzt. Der tatsächliche Mittelbedarf der Bahn ist damit um fast 3 Millarden DM unterschätzt worden. Diese gewaltige Unterschätzung des Mittelbedarfs der Bahn aus dem Bundeshaushalt ist das negative Markenzeichen aller Finanzplanungen dieser Bundesregierungen seit 1970. Zugleich ist dies der zahlenmäßige Indikator für die Überschätzung ihrer Bundesbahnpolitik.
Demgegenüber hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 folgendes erklärt:
Gegenwärtig wird der Bundeshaushalt durch Zahlung an die Bundesbahn mit gut 10 Milliarden DM jährlich belastet. Diese Belastung muß durch energische Rationalisierung und durch
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15271
Schröder
eine stärkere Anpassung des Angebots an die Nachfrage verringert werden.
Meine Damen und Herren, dieses Ziel — das macht der Verkehrshaushalt für 1980 deutlich — wurde eklatant verfehlt. Natürlich gesteht die Bundesregierung diesen Mißerfolg nicht ein.
Die Kunst aller Sozialisten, Mißerfolge verbal in Erfolge umzufunktionieren, wird in der neuen Finanzplanung für die Jahre 1979 bis 1983 um so beeindruckender praktiziert.
Ganz im Gegensatz zur Regierungserklärung wird hier nämlich voller Stolz verkündet — ich darf wiederum wörtlich zitieren —:
Mit rund 14 Milliarden DM
— so heißt es in der mittelfristigen Finanzplanung —
umfassen die Leistungen des Bundes an die Deutsche Bundesbahn mehr als 50% des Verkehrshaushalts.
Man brüstet sich offensichtlich mit diesem Ergebnis.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dem zentralen Thema der Verkehrs- und der Verkehrsfinanzpolitik, nämlich der Situation und den Problemen der Bundesbahn selbst. Ich will gar nicht verkennen, daß sich in diesem Jahre, 1979, aller Voraussicht nach das Wirtschaftsergebnis der Bundesbahn gegenüber dem Vorjahr um etwa 700 Millionen DM verbessern dürfte und der Jahresfehlbedarf damit erstmalig knapp unter 4 Milliarden DM, bei rund 3,9 Milliarden DM, liegen dürfte. Auch im nächsten Jahr dürfen wir auf Grund der konjunkturellen Entwicklung mit einer leichten Ertragsverbesserung bei der Bundesbahn rechnen. Dies ändert zunächst nichts daran, daß der Gesamtschuldenstand in diesem und auch im nächsten Jahr weiter ansteigen wird. Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Diese leichte Verbesserung in der Ertragslage der Bundesbahn ist Gott sei Dank das Ergebnis einer relativ guten Konjunkturentwicklung und das Ergebnis einiger ertragsbessernder Maßnahmen der Bundesbahn selbst. Zu ihr hat -leider keine konkrete verkehrspolitische Entscheidung dieser Bundesregierung beigetragen. Ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß sich dieses Parlament, der Verkehrsausschuß und der Haushaltsausschuß gleichermaßen noch nie so intensiv mit einer bestimmten verkehrspolitischen Materie auseinandergesetzt haben wie mit den Grundsatzproblemen der Deutschen Bundesbahn.
Verkehrs- und Haushaltsausschuß haben gemein- sam Anhörverfahren durchgeführt, haben gemeinsam verschiedene interne Beratungen durchgeführt, haben gemeinsam eine Fülle von Überlegungen angestellt und von Vorschlägen unterbreitet.
Meine Damen und Herren, was aber war das Ergebnis? Ich muß es gestehen: Das Ergebnis ist null Komma nichts gewesen. Die Bundesregierung hat nicht eine einzige Anregung aus dem Anhörverfahren, hat nicht einen einzigen Vorschlag aus dem Verkehrs- und dem Haushaltsausschuß aufgegriffen. Der zuständige Bundesminister glänzt zwar — das will ich gern einräumen — durch hervorragende Analysen, in denen er uns in der Regel zustimmen muß, aber er zieht nicht eine einzige Schlußfolgerung.
So müssen wir leider feststellen, daß die Bundesbahn in dieser Dekade erst wieder ihren Leistungsstandard von 1965 erreicht hat und daß die Zuwendungen des Bundes in dem Zeitraum von 1965 bis Ende der 70er Jahre um 773 % angestiegen sind. An den Rahmenbedingungen, unter denen die Bundesbahn arbeiten muß, ist nichts geändert worden; im Gegenteil, aus jener dramatischen Schilderung, die uns in den Anhörverfahren, in den Sitzungen des Verkehrs- und des Haushaltsausschusses gegeben worden ist, daß nämlich wir aus dem Bereich der Politik,. seitens der Regierung und des Parlaments, bestimmte Rahmenbedingungen zu ändern hätten, oder aber es würde sich nichts an der Gesamtsituation der Bundesbahn ändern, aus diesen dramatischen Appellen bezüglich der Rahmenbedingungen sind keine Schlußfolgerungen gezogen worden.
Unverändert bleiben auch für den Beginn des nächsten Jahrzehnts die großen Probleme der Bundesbahn — die Organisationsstruktur, die Betriebs- und Tarifpflicht, die Frage des öffentlichen Dienstrechts, die Frage der innerbetrieblichen Organisation der Bundesbahn — bestehen. Ich bin mir darüber im klaren — wir haben das ja im Zusammenhang mit den Überlegungen, die wir angestellt haben, gemerkt —, daß man sich sicher an diesen von mir genannten Themen die Finger verbrennen kann. Aber, meine Damen und Herren, regieren heißt für mich immer noch initiieren und führen, und davon war in diesen vier Jahren wahrlich nichts zu merken.
Lassen Sie mich damit zu dem zweiten großen Problem im Verkehrshaushalt kommen, nämlich zum Straßenbau. Meine Damen und Herren, auch hier haben wir eine Entwicklung, die uns mit einer gewissen Sorge erfüllen muß.
Von 1969 bis zum Haushalt 1980 haben wir im Bereich des Straßenbaus zwar eine nominelle Steigerungsrate von rund 64 %,
aber gleichzeitig, Herr Kollege Zywietz, haben wir eine Preissteigerungsrate von 75 %. Das heißt, wir haben einen realen Rückgang von 11%. Wenn ich noch in Betracht ziehe, daß wir in diesen Jahren — und das wird im nächsten Haushaltsjahr verstärkt so
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Schröder
sein — mehr Aufwendungen für den Lärmschutz vornehmen müssen
— vornehmen müssen und auch wollen; ich bin, Herr Kollege Pfeffermann, durchaus mit Ihrer Anmerkung einverstanden —, und wenn ich das in Relation zu der Tatsache setze, Herr Kollege Pfeffermann, daß die nominellen Ansätze für den Straßenbau praktisch unverändert bleiben, muß ich hier feststellen, daß die realen Leistungen für den Straßenbau zurückgehen.
Ich denke, ich überzeichne nicht, wenn ich dazu feststelle, daß der eigentliche Grund für die Überarbeitung, für die Neufassung des Bundesverkehrswegeplans, der eigentliche Grund für die drastischen Reduzierungen bei den Aubauplanungen für die Bundesautobahnen und für die Bundesfernstraßen nicht einmal die neue grüne Angst dieser Regierung ist, daß auch nicht diverse Einsprüche und nicht so sehr richterliche Entscheidungen die Ursache sind; vielmehr hat hier schlicht und einfach das Diktat der Kassen entschieden. Das ist der wahre Grund dafür, daß der Bundesverkehrswegeplan mit so drastischen Kürzungen bei den Ausbauplanungen für die Bundesautobahnen und für die Bundesfernstraßen überarbeitet werden mußte.
Aus einer Unterlage des Bundesverkehrsministeriums geht eindeutig hervor, daß wir zwar im Zeitraum von 1971 bis 1980 bei den investiven Leistungen im Verkehrsbereich noch einen Anteil von 53,2 % hatten, der auf den Straßenbau entfiel, daß dieser Anteil bei den investiven Leistungen im Zeitraum 1980 bis 1990 aber auf 42 % absacken wird.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen, daß sowohl der Verkehrshaushalt 1980 als auch die fast sagen, es ist der einzige Punkt, der etwas Erfreuliches beinhaltet, nämlich die finanziellen Maßnahmen für die Seeschiffahrt. Hier darf ich feststellen, daß wir gemeinsam im Haushaltsausschuß mit den vorgesehenen Finanzbeiträgen und mit den fortgesetzten Neubauhilfen einen richtigen Weg eingeschlagen haben. Finanzbeiträge und Neubauhilfen haben sich auch aus unserer Sicht durchaus bewährt. Ich warne allerdings, Herr Kollege Hoffie, hier in einen voreiligen Optimismus auszubrechen. Ober der deutschen Seeschiffahrt lastet nach wie vor die Ungewißheit der Entwicklung auf den Weltfrachtenmärkten, lastet vor allen Dingen die Ungewißheit der Dollarentwicklung; denn über 80 % auch der Kontrakte deutscher Reeder werden bekanntlich auf Dollarbasis abgeschlossen. Aber in diesem Punkt werden wir in der Zukunft gemeinsam den Weg fortschreiten, den wir in den letzten Haushaltsjahren begonnen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als nächstes einen Blick auf die mittelfristige Vorausschau des Verkehrshaushaltes werfen. Im Jahre 1980 — dem Haushalt, über den wir nun zu entscheiden haben — haben wir ein Gesamtvolumen für Verkehrsfinanzierungsleistungen von 28,3 Milliarden DM. Werfen wir einen Blick in die mittelfristige Finanzplanung, so müssen wir mit Erschrecken feststellen, daß im letzten Jahr der jetzt vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung, nämlich 1983, das Gesamtvolumen für alle Verkehrsfinanzierungsleistungen 28,2 Milliarden betragen soll. Wir haben hier also noch nicht einmal nominelle Zuwachsraten, geschweige denn einen realen Anstieg der Verkehrshaushalte im Gesamthaushalt.
— Ganz sicher muß gespart werden. Aber, lieber Herr Kollege Grobecker, ich meine, daß in dieser Zahlenvorausschau der mittelfristigen Finanzplanung vor allen Dingen zweierlei deutlich wird: erstens, daß diese Bundesregierung der Verkehrspolitik keinerlei Priorität, ja, ich würde fast sagen, keinerlei Bedeutung einräumt, und zweitens, daß dieser Bundesverkehrsminister nicht in der Lage ist, sich durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, was statt dessen offensichtlich auf uns zukommen soll, sind Beschlüsse des SPD-Parteitages, Herr Kollege Grobecker, an denen Sie offensichtlich mitgewirkt haben, worin es heißt, daß der Schwerlastverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern sei. Ich kann nur hoffen, daß das nicht mit Gewalt, mit dirigistischen Maßnahmen der Verkehrspolitik geschehen soll. Wenn das allerdings passieren sollte, dann frage ich mich, wie Sie das vorgelegte Zahlenkorsett einhalten wollen.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen, daß sowohl der Verkehrshaushalt 1980 als auch die mittelfristige Vorausschau die Stagnation unserer Verkehrspolitik symbolisieren und deutlich wird, daß nur neue politische Impulse die Verkehrspolitik wieder nach vorn bringen. Solange dies nicht der Fall ist, müssen wir den Verkehrshaushalt und den dazugehörigen Teil der mittelfristigen Finanzplanung für den Verkehrsbereich ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, Sie haben heute eine sehr maßvolle Rede gehalten. Das bin ich von Ihnen gar nicht gewohnt. Aber vielleicht liegt das daran, daß wir im Haushaltsausschuß diesen Haushalt doch überwiegend einvernehmlich verabschiedet haben.
Nun zu dem, was Sie hier zu der angeblich festgefahrenen Verkehrspolitik gesagt haben; Sie meinten damit wieder den Schwerpunkt Deutsche Bundesbahn. Ich habe hier die „Deutsche Verkehrszeitung" vom 25. Oktober 1979. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur die beiden Absätze am Anfang und am Ende zitieren:
Gute Nachrichten aus Frankfurt waren lange
Jahre Mangelware. Das ändert sich: Die Bun-
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Müller
desbahn ist zwar noch lange nicht aus dem Tal heraus, aber es geht aufwärts zumal im Güterverkehr.
Zum Schluß heißt es hier — ich zitiere wieder —:
Das Ziel der Bahn, die optimale Leistung auf einem maßgeschneiderten Netz zu einem adäquaten Preis zu erbringen, ist daher noch weit.
Darin stimmen wir überein.
Aber die Richtung stimmt.
Das wollte ich Ihnen gesagt haben.
— Nein, nein, unsere Richtung stimmt. Sie machen ja mit; Sie wollen es nur nicht zugeben.
— Immer gewesen!
Dann noch ein Wort zu den Beschlüssen des SPD- Parteitages in Berlin. Ich bin selbst dabeigewesen. Die Beschlüsse sind nicht so gefaßt worden, wie Sie sie hier darstellen. Der Antrag ist an die SPD-Bundestagsfraktion überwiesen worden. Wir werden uns dort damit beschäftigen, und Sie werden sicherlich daran teilhaben, wenn wir in den Verkehrsausschuß oder in den Haushaltsausschuß gehen.
— Nein, nein.
Nun zum Einzelplan 12 selbst. Mit zu vielen Zahlen, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dem Verkehrshaushalt 1980 möchte ich Sie hier nicht strapazieren. Ich erlaube mir, auf meinen ausführlichen Schriftlichen Bericht auf der Drucksache 8/3430 vom 27. November dieses Jahres zu verweisen. Dort finden Sie den gewünschten Überblick über die Verkehrspolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition.
Der Verkehrshaushalt liegt nach wie vor an dritter Stelle der großen Ausgabenblöcke nach den Ausgaben für das Sozialwesen und für die Verteidigung. Der vom Bundestag für das Jahr 1980 zum Verkehrshaushalt abgesteckte Ausgabenrahmen sichert einerseits die Kontinuität beim Ausbau des Verkehrswesens, berücksichtigt andererseits die Trendentwicklung der verkehrspolitischen Prioritäten, die Verstetigung der Bauabläufe sowie die Belange der Umwelt. Mit einem Investitionsvolumen von über 13 Milliarden DM im Jahre 1980 — das sind wieder 50,7 % des Gesamtplafonds — ist er der bedeutendste Investitionshaushalt des Bundes. In den Investitionsausgaben sind auch die Ausgaben für das Zukunftsinvestitionsprogramm mit 788 Millionen DM für 1980 enthalten.
Nun etwas zur Bundesbahn. Für die Bundesbahn stehen, wie der Kollege Schröder hier soeben gesagt hat, wieder 13 Milliarden DM bereit. Wir haben in der Bereinigungssitzung am 14. Dezember, wie Sie es hier gerade angedeutet haben, die Zuwendungen an die Deutsche Bundesbahn um 200 Millionen DM gekürzt. Aber wir meinten, daß diese Kürzung zu vertreten ist.
Die Zuweisungen an die Deutsche Bundesbahn unterstreichen die besondere Bedeutung dieses Sondervermögens des Bundes, gerade auch im Hinblick auf die energiepolitische Entwicklung. Es gilt, die Deutsche Bundesbahn als ein vom Erdöl weitgehend unabhängiges Verkehrsmittel verstärkt zu fördern. Der Mehrbetrag an erfolgswirksamen Bundesleistungen wird zur Deckung des Mehrbedarfs beim Schienenpersonennahverkehr sowie zur Deckung unvermeidbarer Betriebsverluste im kombinierten Verkehr aus dem Jahre 1979 und im Jahre 1980 benötigt. Die Deckung des Mehrbedarfs erfolgt zu Lasten der Liquiditätshilfen. Wir haben das einvernehmlich beschlossen.
Die Investitionsanteile beim Ausbau des Schienennetzes sind erheblich gesteigert, notwendige Streckenneu- und -ausbauten sind voll aufgenommen worden. Die Deutsche Bundesbahn ist wieder voll beschäftigt. Ein günstiger Konjunkturverlauf und die Anstrengungen der Bundesbahn selbst zeigen erste Erfolge. Im Güterverkehr wird 1979 ein Zuwachs von 6% erwartet. Besonders bei den eisenbahnspezifischen Massenguttransporten ist ein starker Anstieg zu verzeichnen: Kohle plus 11 %, Eisen und Stahl plus 8 %. Im Personenverkehr wirkt sich schon jetzt die Einführung der Intercity-Züge positiv aus.
Erfolge sind auch im kombinierten Verkehr zu verzeichnen: Im Containerverkehr ein Plus von 20 %, im Huckepackverkehr ein Plus von 37%.
So ist es dem Bundesverkehrsminister und der Bundesbahn selbst gelungen, den weiteren Anstieg der Bilanzverluste der Deutschen Bundesbahn zu stoppen. Der Bilanzverlust von 4,6 Milliarden DM 1978 wird sich, wie Sie sagten, Herr Kollege Schröder, auf etwa 3,9 Milliarden DM 1979 vermindern. Für 1980 wird er sich voraussichtlich auf etwa 3,6 oder 3,5 Milliarden DM verringern.
Auf der Kostenseite wurden wesentliche Fortschritte erzielt. Seit 1974 konnte die Zahl der Bahnbediensteten im Wege des natürlichen Abgangs und ohne soziale Härten um 77 000 verringert werden. Damit wurde eine jährliche Entlastung auf der Personalkostenseite um 3' Milliarden DM erreicht. Auch der Bundesrechnungshof hat in einer der vielen Sitzungen, die wir um die Deutsche Bundesbahn geführt haben — im Haushaltsausschuß und im Verkehrsausschuß — anerkannt, daß es sehr positiv ist, daß der Anstieg der Verschuldung der Deutschen Bundesbahn voraussichtlich nicht in der bisher geschätzten Höhe von 43 Milliarden DM eintreten wird, sondern für 1979 und für 1980 die 31-Milliarden-Grenze nicht übersteigen wird. Die konsequent auf Konsolidierung und Gesundung ausgerichtete Bahnpolitik des Bundesverkehrsministers beginnt erste Erfolge zu zeigen. Wir sollten ihm dafür danken.
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Müller
Neben der Deutschen Bundesbahn soll aber der zweite Schwerpunkt des Einzelplanes 12, nämlich die Ausgaben für den Bundesfernstraßenbau, nicht zu kurz kommen. Im Ausbau und der Erweiterung des Bundesfernstraßennetzes zeichnete sich bereits in den zurückliegenden Jahren ein Wandel ab. Der übertriebene Wunschkatalog wurde auf ein realistisches Maß zurückgeführt.
— Ich komme aus Niedersachsen, Herr Kollege Dr. Schulte. Ich habe aus meiner Presse in Niedersachsen in Erinnerung, daß federführend für diese Kürzung in Niedersachsen die sehr verehrte Frau Verkehrsministerin Dr. Breuel war. Sie hat ja auch die Straßenbauverwaltung. Wir alle wissen doch: Der Bund hat keine eigene Straßenbauverwaltung. Was wir an Mitteln für den Fernstraßenbau bewilligen, wird geplant und durchgeführt und abgerechnet von den Ländern.
— Nein, nein! Das ist ein hochangesehener Mann!
— Fragen Sie bitte einmal die Bediensteten der Deutschen Bundesbahn, was sie von dem Verkehrsminister Georg Leber halten! Sie sagen: Aus ihrer Sicht sei er der beste gewesen. Das sagen mir die Eisenbahner zu Hause.
Aber zurück zum Straßenbau. Der übertriebene Wunschkatalog wurde auf ein realistisches Maß zurückgeführt. Die 7 000 Kilometer haben ich eben erwähnt. Ich will mich nicht wiederholen.
— Ich muß mit zehn Minuten auskommen, während Herr Schröder 15 Minuten zur Verfügung hatte.
— Ich habe schon das rote Licht hier!
Ich wollte Ihnen noch etwas zu der Kürzung um die 150 Millionen DM sagen, wie wir sie im Haushaltsausschuß vorgenommen haben. Es werden dadurch im Jahre 1980 nur etwa zehn Kilometer weniger neu angefangen werden können. Wir haben immerhin für den Bundesfernstraßenbau 5,8 Milliarden DM an Investitionsausgaben zur Verfügung. Diese Ausgaben sind unter dem Motto „Qualität geht vor Quantität" zu tätigen. Das bedeutet, daß die Qualität einer Straße vor der reinen Kilometerleistung stehen muß.
Es hat sich gezeigt, daß auch hier ein Umdenken in der breiten Öfentlichkeit erfolgt ist und ein verstärkter Schutz der Landschaft und der Umwelt gegenüber den Straßenplanungen gefordert wird. Daneben darf aber die Verkehrssicherheit nicht außer acht gelassen werden.
Ich muß leider meinen Beitrag damit jetzt beenden. Ich wollte auch noch etwas zum Lärmschutzgesetz sagen. Es kommt ja jetzt im zweiten Durchgang vor den Bundestag, dann wird es in den Bundesrat gehen.
Meine Fraktion stimmt dem Einzelplan 12 zu.
Ich persönlich bedanke mich bei dem Minister, bei seinen Mitarbeitern, bei den Mitarbeitern im Haushaltsausschuß, bei den Kollegen im Verkehrsausschuß und bei Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit. Ich stehe hier zum letztenmal als Berichterstatter. Ich komme 1980 nicht wieder. Noch einmal herzlichen Dank für die Zusammenarbeit, und machen Sie in der Verkehrspolitik so weiter, wie wir begonnen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dieser Debatte über den Bundeshaushalt 1980, mit der die Opposition — insgesamt gesehen — den Bundestagswahlkampf ebenso früh wie auch — für jedermann offenkundig — mißglückt eröffnet hat, konnte sicher nicht ausbleiben, daß der furor bavaricus seine Schatten nun auch auf den Bereich der Verkehrs- und Postpolitik wirft.
Aber, meine Damen und Herren, zumindest das, was der Kollege Schröder hier vorgetragen hat, ist sicher nicht zum Nennwert zu nehmen. Denn wenn man einmal die rollenspezifisch sicher verständlichen, aber allzu durchsichtigen Übertreibungen und Dramatisierungen abstreicht, dann zeigt sich, daß eigentlich keine schwerwiegenden und tiefgreifenden Divergenzen in der Verkehrs- und, wie wir wissen, auch in der Postpolitik zwischen Regierung und Opposition bestehen. Das wird auch immer wieder dadurch bestätigt, daß wir im zuständigen Fachausschuß des Deutschen Bundestages bei nun wirklich der ganz überwiegenden Mehrheit der Problemstellungen zur Verkehrs- und Postpolitik einmütige Beschlüsse fassen. Darüber sollte — trotz Ihres sicher notwendigen wahltaktischen Slaloms auf der verkehrspolitischen Piste und Ihres unverkennbaren Auftrages, auch in diesem Bereich nach Kräften zu kritikastern — ebensowenig hinweggetäuscht werden wie über die Tatsache, daß die Regierung und die Koalitionsfraktionen einen grundsoliden Kurs steuern. Also, meine Damen und Herren von der Opposition, bauen wir keine Pappkameraden auf, noch dazu, wenn der für diese Debatte nur knappe Zeitrahmen ein fraktionsübergreifendes Einvernehmen indiziert und man hier politisch gar nicht so arg im Streit liegt, wie das aus der Sicht der Opposition
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Hoffie
heute vielleicht wünschenswert wäre, und das in einem Bereich, in dem es um Sachgebiete wie Verkehr und Post geht, die für jeden Bürger tagtäglich von augenfälliger und erfahrbarer Bedeutung und Auswirkung sind und jeden einzelnen unmittelbar berühren. Es handelt sich um Sachbereiche, bei denen der einzelne Bürger sehr genau werten kann, ob das, was die Regierung hier verantwortet, was sie vorhat, was sie tut, vernünftig ist oder nicht. Da hat es dann wenig Sinn — Herr Schröder, und Sie haben es ja schon weitgehend eingesehen, wenn man einmal die Debatten der vergangenen Jahre betrachtet —, zu glauben, den Bürger von dieser Stelle aus da oder dort verunsichern oder für dumm verkaufen zu können. Insofern ist Ihr neuer Stil schon durchaus auf der richtigen Linie.
An der Schwelle der 80er Jahre ist nach Auffassung der Freien Demokraten sicher eine gewisse Umorientierung der Verkehrspolitik zwangsläufig, weil sie in einer Zeit knapper und teurer werdender Energiemittel und wachsenden Umweltbewußtseins bei ihren Rahmenbedingungen in verstärktem Umfang Gesichtspunkte des Umweltschutzes und der Energieeinsparung zu berücksichtigen hat.
Die FDP begrüßt deshalb ganz ausdrücklich, daß der gerade von der Bundesregierung vorgelegte Bundesverkehrswegeplan '80 diesen Bedingungen Rechnung trägt. Die dort postulierte Priorität des Neu- und Ausbaus des Streckennetzes der Deutschen Bundesbahn wird von uns ebenso mitgetragen wie die sehr vernünftige Zurückbindung der Straßenbauvorhaben und der Verzicht auf neue Binnenwasserstraßenprojekte. Aber dennoch ist sichergestellt, daß durch diese Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland die weltweit beispielhafte Verkehrsinfrastruktur als Rückgrat unserer immens arbeitsteiligen, mobilen und kommunikationsabhängigen Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur erhalten bleibt, sondern auch qualitativ weiterentwikkelt wird. Der Vorrang für stadtkerneentlastende Ortsumgehungen, die Beseitigung schienengleicher Bahnübergänge und die Betonung von Maßnahmen der Verkehrssicherheit sind deutliche Ausweise dafür.
Wir werden 1980 nun doch noch das für eine humane Umwelt ganz eminent wichtige Verkehrslärmschutzgesetz verabschieden können, nachdem es der FDP nach stetigem und sehr hartnäckigem. Bemühen gelungen ist, einen nun von allen Bundestagsparteien getragenen Vorschlag auszuarbeiten, der eine massive Verbesserung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bringt, der aber gleichwohl nicht den Rahmen des finanziellen Möglichen sprengt.
Die Freien Demokraten hatten guten Grund, zum Schutze unserer durch Verkehrslärm in vielfach unerträglicher Weise geplagten Bürger die hohen Lärmgrenzwerte des Regierungsentwurfs abzulehnen und in dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren für wirklich spürbare Verbesserungen zu kämpfen. Gleichwohl hatten wir alle Verständnis für die zögernde Haltung unseres Koalitionspartners, der ja aus grundsätzlichen, finanzpolitischen Erwägungen glaubte, weitere Verbesserungen des Gesetzes für nicht durchführbar halten zu können. Aber die neue FDP-Variante, den Sanierungszeitraum von 15 auf 20 Jahre zu strecken, die Hausbesitzer dabei zu einer 25 %igen Eigenbeteiligung heranzuziehen und den Lärmschutz generell auf die Wohnungen zu beschränken, erlaubt es, bei gerade auch für die Kommunen vertretbarer Mehrbelastung von jährlich etwa 50 Millionen DM den Lärmschutz bei bestehenden Straßen schon bei einer um die Hälfte reduzierten Lärmbelastung und bei neu zu bauenden Verkehrswegen bei um ein Drittel geringerem Lärmaufkommen vorzusehen.
Dadurch hat die FDP einen weiteren Beweis ihrer Standfestigkeit, ihrer Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik erbracht und ihre programmatische Aussage eingelöst,
die von ihrem Bundesparteitag zuletzt in Mainz 1979 so formuliert war — Herr Kollege Lemmrich, hören Sie gut zu, denn Sie wollten nicht einmal eine Verbesserung, sondern Sie haben gesagt, selbst das, was der Regierungsentwurf vorlegt, ist für Sie gerade noch darstellbar, und Sie sollten deshalb kein Schattenboxen veranstalten — —
Meine Damen und Herren, ich sage nochmals: damit sind wir unseren Aussagen treu geblieben. Der Bundesparteitag der FDP in Mainz 1979 hat formuliert: Der Wähler wird den Erfolg der Umweltpolitik der FDP daran messen, wie sie das städtische Verkehrslärmproblem und seine weitreichenden Auswirkungen in den Griff bekommt. Das Verkehrslärmproblem ist deshalb das zentrale Problem der Umweltpolitik, weil fast die ganze Bevölkerung als Verursacher und zugleich als Betroffene daran beteiligt ist.
Aber sosehr wir uns um Schallschutz durch bauliche Maßnahmen, durch bessere Straßenbeläge, bessere Reifenprofile, durch Verkehrs- und Stadtplanung , durch Verkehrsberuhigung und neue Transport- und Verkehrsleitsysteme bemühen, entscheidend wird am Ende unsere Umweltqualität durch die Lärmminderung an der Quelle beeinflußt. Gerade hier ist die technologisch so führende deutsche Automobilindustrie dringend aufgefordert, im wohlverstandenen Eigeninteresse ihren Beitrag zum Lärmschutz zu liefern, indem sie durch konstruktive Maßnahmen die Emission der Automobile praktisch absenkt.
Wir Freien Demokraten jedenfalls vertrauen darauf, daß die Eigenverantwortlichkeit der Industrie auch in diesem Bereich manifest wird, damit der Staat von reglementierenden Maßnahmen, die ja nur im europäischen Gleichtakt möglich sind, absehen kann. Damit könnte einerseits die Chance für eine bessere Umwelt voll genutzt, andererseits aber auch einmal mehr bewiesen werden daß es zwischen Ökonomie und Ökölogie keine unüberbrückbaren
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Gegensätze geben muß. Das gilt auch für eine spürbare Absenkung der Giftmengen im Abgas unserer Autos und für die Konzentration aller Kräfte in der Industrie auf die Entwicklung energiesparender Motoren. Ich will das schon Erreichte überhaupt nicht verkleinern. In einer Zeit, aber, in der Menschen im Weltall unterwegs sind, von Atomenergie versorgt werden, sich rühmen, die Gesellschaft computergerecht aufbereiten und Kommunikation grenzenlos herstellen zu können, klingt es doch wie Hohn und ist es in Wahrheit auch mehr als eine Herausforderung an die Technik und an technologischen Sachverstand, daß unsere im Prinzip doch so simplen vier Räder, die wir mit unseren Automotoren in Bewegung setzen, die eingegebene Energie zu nicht mehr als gerade 20 % nutzen und der Rest einfach durch den Auspuff gejagt wird. Hier liegt eine der größten Aufgaben für die Zukunft von Wirtschaft und Technik, von deren Fähigkeiten es abhängen wird, ob wir uns in Zukunft noch ebenso frei und individuell als Verkehrsteilnehmer werden bewegen können, oder welche sich anderenfalls ergebenden Zwänge die Verkehrspolitik künftig beherrschen werden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, neben diesen eher grundsätzlichen und allgemeinen Bemerkungen zur Verkehrspolitik will ich gerne kurz auf das eingehen, was der Kollege Schröder hier zur Bundesbahnpolitik gesagt hat. Mein Kollege Merker wird das ergänzen. Ich glaube schon, daß zu beobachten ist,-daß der alljährliche Angriff auf die Bahnpolitik der Regierung eine inzwischen ebenso halbherzige wie auch unglaubwürdige Pflichtübung der Opposition geworden ist, weil auch sie keine Möglichkeiten aufzeigen kann, die Bahn zu sanieren, die inzwischen die Hälfte des Verkehrsetats verfährt und im nächsten Jahr aus der Bundeskasse fast soviel benötigt, wie für Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft und für die Entwicklungshilfe insgesamt ausgegeben werden soll.
Die Freien Demokraten haben, wie Sie wissen, bereits vor Jahr und Tag ein sehr unpopuläres Konzept vorgelegt, für das uns viel Zivilcourage attestiert worden ist. Für von uns als notwendig angesehene Umstrukturierungen, die letztlich auch Änderungen des Grundgesetzes erfordern, fehlen uns aber die Mehrheiten, Herr Kollege Schröder, nicht nur auf der linken Seite des Hauses, sondern auch auf Ihrer Seite, nämlich bei der CDU/CSU.
So sind auch Bestrebungen, Teilbereiche aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich herauszulösen — wie sie unter dem Stichwort der Trennung von Fahrweg und Betrieb diskutiert worden sind —, aus wohlerwogenen Gründen vorerst nicht realisierbar. Dazu fehlt auch seitens der Oppositionsfraktion der notwendige Konsens.
Dieser notwendige Konsens sollte aber zumindest dort vorhanden sein, wo es gilt, die fast 44 Milliarden DM Investitionen zügig zu realisieren, mit denen in den nächsten zehn Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn verbessert werden soll. Dieses Geld, sehr viel Geld, ist sicher nicht nur für den Fall hoffentlich nicht eintretender Energiekrisen, die stärker zur Eisenbahnalternativen zwingen würden, gut angelegt, sondern ganz grundsätzlich, weil die Deutsche Bundesbahn überhaupt nur im Wettbewerb bestehen kann, wenn sie über eine bessere Infrastruktur verfügt. Von daher gilt es, die Investitionsvorhaben auch überall dort schnell zu realisieren, wo die grüne Schizophrenie
so weit reicht, daß man sich — wofür ich durchaus noch Verständnis haben könnte — nicht nur neuen Straßenbauten und dem wachsenden Individualverkehr entgegenstemmt, sondern auch gleichzeitig den Neubaustrecken der Bundesbahn, die im Vorstellungsbild mancher grüner Veränderer mehr Verkehr von der Straße übernehmen sollte. Diesen schillernden Widerspruch logisch aufzulösen, ist schier unmöglich.
Lassen Sie mich in den zwei Minuten, die mir verbleiben,
noch zwei Sätze zur Postpolitik anfügen, weil ich nachher aus zeitlichen Gründen auf eine weitere Wortmeldung verzichten muß. Es ist sicher ganz unstreitig, daß sich die Deutsche Bundespost unter sozialliberaler Verantwortung zu einem wirtschaftlich erfolgreichen und technologisch führenden Dienstleistungsunternehmen entwickelt hat. Das wird auch hier niemand wegdiskutieren können.
Die FDP hält eine kundenfreundliche und flächendeckende Postversorgung auch künftig für unabdingbar. Aber ich möchte einen Punkt herausgreifen. Künftig wird es eine Vielzahl neuer Kommunikationsdienste geben. Bei ihrer Einführung wird die FDP sehr genau darauf achten, daß marktwirtschaftliche Grundsätze nicht verletzt werden, daß die Deutsche Bundespost in Monopolbereichen ihre Rechte restriktiv ausnutzt
und sich in allen übrigen Geschäftsbereichen jeweils nur dann betätigt, wenn ein öffentliches Interesse besteht und andere Anbieter keine ausreichende Versorgung sicherstellen. Beim Ausbau bestehender und der Einrichtung neuer Telekommunikationsdienste werden wir versuchen, sicherzustellen, daß sich die Deutsche Bundespost in ihrer Unternehmenstätigkeit auf die hierfür erforderlichen Fernmeldenetze konzentriert und davon absieht, als Alleinanbieter der neuartigen Fernmeldeendgeräte tätig zu werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist auch auf diesem Wege.
Die Einzelpläne für die Geschäftsbereiche Verkehr sowie Post- .und Fernmeldewesen sind Ausdruck einer unstreitig vernünftigen, bürgernahen
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Hoffie
und effizienten Politik. Die FDP stimmt beiden Haushalten zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Rede des Kollegen Müller muß man den Eindruck haben, daß das bloße Ausgeben von Steuergeldern mit Politik verwechselt wird.
Die Zahlen, aber auch die beruhigende Rede des Kollegen Hoffie verdecken die Tatsache, daß wir bei der Verkehrsinfrastruktur mitten in einer Investitionskrise sind.
Die Deutsche Bundesbahn konnte im Jahr 1978 1 Milliarde DM für Investitionen nicht abbuchen, obwohl das im Bundeshaushalt vorgesehen war.
Die Deutsche Bundesbahn wird in diesem Jahr 250 Millionen DM für den Neubau von Strecken und für den Ausbau bestehender Strecken ausgeben, obwohl 800 Millionen DM eingeplant waren. Die Bundesregierung lobt die Steigerung der Investitionszahlen der Deutschen Bundesbahn — so war es auch gestern in der Zeitung „Die Welt" von Staatssekretär Ruhnau noch zu lesen —, aber sie verschweigt den Haushaltstrick, wonach die Investitionen der Deutschen Bundesbahn seitens des Bundes finanziert werden, die Bundesbahn aber mit ihren Verlusten auf den Kapitalmarkt verwiesen wird. Als Beweis braucht man nur den Wirtschaftsplan der Bahn anzusehen oder die Zinsaufwendungen — wie es die Bahn ausdrückt — zur Vorfinanzierung des Bilanzverlustes.
Auch die realen Investitionen der Deutschen Bundesbahn sind rückläufig. Aus einer in der Offentlichkeit wenig beachteten Veröffentlichung des Bundesministers für Verkehr ergibt sich, daß die Investitionen der Bundesbahn, gemessen an den Preisen von 1970, seit 1975 real zurückgegangen sind: im Jahre 1975 um 6,4%, im Jahre 1976 um 4,0%, im Jahre 1977 um 0,8%, im Jahre 1978 um 3,0 %.
Das gleiche ergibt sich für die Bruttoanlageninvestitionen in der Verkehrsinfrastruktur. Sie sind bereits seit dem Jahr 1972 rückläufig. Wenn man die Preise von 1970 zugrunde legt, ergibt sich hier eine stetige Kette von 16 Milliarden 481 Millionen auf 14 Milliarden 199 Millionen DM. Auch der Straßenbau ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Die Bundesregierung hat uns jetzt einen Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen vorgelegt, aber von Bedarf und von wissenschaftlicher Ermittlung des Bedarfs ist nirgendwo mehr die Rede.
Der Verkehrsminister läßt sich im Rahmen der Haushaltsverhandlungen 450 Millionen DM abhandeln und übersieht, daß mehr Mittel nötig sind, wollen wir die Umweltprobleme im Verkehrsbereich tatsächlich lösen.
Eine wichtige Maßnahme für den Schutz des Bürgers vor Emissionen des Kraftverkehrs, aber auch eine nötige Voraussetzung für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ist das Verkehrslärmschutzgesetz. Hier hat die Bundesregierung fünf Jahre seit Inkrafttreten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vertan, und sie hat Widerstände in der Offentlichkeit, in der Bevölkerung geradezu herausgefordert.
Die Rechtsunsicherheit bei den Gemeinden ist untragbar geworden. Dann hat sie einen Torso vorgelegt,
von dem mit Ausnahme der Berlin-Klausel kein einziger Paragraph mehr übriggeblieben ist.
Während der Beratungen im Verkehrsausschuß stand die Bundesregierung abseits. Welche Konsequenzen das Gesetz für die Investitionen der Zukunft haben wird, darum hat sie sich nicht gekümmert. Sie hat sich auch keine Gedanken darüber gemacht, daß Schallschutzfenster auch der Energieeinsparung dienen. Meine Damen und Herren, sie hat im Grunde genommen dieses Kind im Ausschuß völlig allein gelassen. Ich habe so etwas in drei Legislaturperioden im Verkehrsausschuß noch nicht erlebt.
Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung entweder nicht die Erkenntnis oder nicht den Mut hat, das Nötige in der Investitionspolitik rechtzeitig und offensiv zu vertreten. Wir wissen, daß dies manchmal vor Ort sehr schwierig ist. Aber es ist Aufgabe der Politik, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen und nicht einfach laufenzulassen, so wie dies die Bundesregierung getan hat.
Dabei war die heutige Situation vorhersehbar. Die CDU/CSU-Fraktion hat in dieser Legislaturperiode in einem Antrag zum Straßenbau verlangt, daß die Leber-Illusionen von Anfang der 70er Jahre abgebaut werden. Wir haben schon damals diesen grandiosen und unrealistischen Ausbauplan für die Bundesfernstraßen abgelehnt. Wir haben aber daneben auch mehr Flexibilität im Straßenbau verlangt, weil wir festgestellt hatten, daß in der einen Region die Investitionen nicht weiterkommen und die Mittel dringend in einer anderen Region gebraucht werden.
Wir haben in dieser Legislaturperiode einen Antrag zur Deutschen Bundesbahn vorgelegt. Er be-
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Dr. Schulte
traf neben anderen Problemen auch die Investitionen. In diesem Antrag heißt es:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag in Verbindung mit der endgültigen Entscheidung über das Streckennetz ein mittelfristiges, finanziell abgesichertes Investitionsprogramm vorzulegen, das die sachliche, zeitliche und räumliche Priorität beim Ausbau der Infrastruktur der Bahn sowie bei den Investitionen in den einzelnen Leistungsbereichen der Bahn transparent macht.
Es heißt weiter:
... die Investitionsplanungen bei der Bahn so voranzutreiben, daß auch Zusatzmittel im Rahmen von Sonderprogrammen nach den festgelegten Prioritätsmaßstäben jederzeit investiert werden können.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag wurde vor fast genau einem Jahr in diesem Hause abgelehnt — ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Bahn 1 Milliarde DM an Investitionsmitteln nicht abrufen konnte.
Wir sind auch in der Zukunft bereit, unseren Teil der Verantwortung zu tragen, für die nötige Flexibilität zu sorgen, die Planungskapazitäten bereitzustellen, aber auch im Haushalt den Bewegungsspielraum, den wir brauchen, zu eröffnen. Nur muß sich die Bundesregierung selber im klaren sein, was sie investieren will und wie ihre Investitionspolitik in der Zukunft aussehen soll. Sie muß die entsprechenden Voraussetzungen dafür schaffen, und sie darf vor allem eines nicht tun: ständig den Versuch machen, auf zwei Hochzeiten zu tanzen.
Meine Damen und Herren, Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind nötig. Neben den klassischen Gründen treten neue Aspekte auf. Da geht es um die Verkehrssicherheit. Es kann niemand bestreiten, daß getrennte Fahrbahnen die Unfallgefahr halbieren. Da geht es um die Energieeinsparung. Da geht es darum, die Bahn zu fördern. Da geht es darum, die Voraussetzungen für den kombinierten Verkehr zu schaffen. Es geht auch um die Belange des Umweltschutzes.
Bei der Deutschen Bundesbahn kommen aber noch zwei zusätzliche Aspekte hinzu. Auf wichtigen Relationen der Bahn sind die Kapazitätsgrenzen bereits erreicht oder in Sicht. Es kommt hinzu, daß die Entlastung der Bilanz der Bahn auf der Kostenseite durch den Personalabbau demnächst zu Ende gehen wird. Wir haben dies ja in einer gemeinsamen Sitzung des Haushalts- und des Verkehrsausschusses im letzten Jahr eindrucksvoll bestätigt bekommen. Wenn dies aber stimmt — und die Bundesregierung hat dies bis heute nicht bestritten —, brauchen wir zusätzliche Möglichkeiten, um das Betriebsergebnis der Bahn zu verbessern.
Die Bundesregierung hat eine Eisenbahnpolitik betrieben, die fast durchweg defensiven Charakter hatte. Noch 1977 hat sie in der Regierungserklärung gesagt, man wolle von dem Zuschuß von 10 Milliarden DM herunterkommen. Wir sind jetzt bei 14 Milliarden DM. Sie plagte sich dann mit Modellen zur Streckenstillegung. Es gab ein Modell zur Trennung von Fahrweg und Betrieb.
Es wurde die Reform des Dienstrechts angekündigt. Man wollte die staatlichen Busdienste zusammenführen. Das waren alles Modelle, die zerronnen sind.
Wo sind die offensiven Maßnahmen? Wo ist die Unterstützung seitens der Bundesregierung, damit die Bahn neue Märkte finden kann?
Wo ist die Förderung des Verkehrs über große Entfernungen? Wo ist die tatkräftige Förderung des internationalen Verkehrs? Der Bundesverkehrsminister verweist immer auf einen Brief, den er in seiner Jugendzeit an seine EG-Kollegen geschrieben hat. Nur, inzwischen muß er sich selbst von seinem Kollegen Seefeld kritisieren lassen, in der europäischen Verkehrspolitik passiere nichts. Wo sind die Akquisitionsinstrumente für das Ausland? Wo sind die Anreize für Spediteure, Güter auf die Bahn zu bringen? Wo ist ein Konzept für den kombinierten Verkehr, das nicht morgen bereits wieder überholt wäre, so wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist? Wo sind Konzepte, bei denen der Transporteur nicht Angst haben muß, mögliche Kunden abweisen zu müssen?
Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Punkt, an dem es nötig ist, von der defensiven Politik der Bundesregierung überzugehen zu einer Offensive. Wir haben genügend Modelle. Zum Teil hat die Bundesregierung die Opposition gegen ihre eigenen Modelle selber organisiert. Das Programm zur Streckenstillegung und seine Abwicklung war ein Lehrstück dazu.
Wir sind der Ansicht, daß die Bundesregierung in diesen wichtigen Bereichen, die ich angesprochen habe, die Legislaturperiode vertan hat. Es ist höchste Zeit, daß die 80er Jahre eine offensive Verkehrspolitik und Investitionspolitik bringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Curdt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme gern die Gelegenheit wahr — insbesondere anknüpfend an den Redebeitrag des Kollegen Schröder und seine Bemerkung, im Bereich der Verkehrspolitik habe man es weitestgehend mit einer gewissen Immobilität zu tun —, etwas darüber auszusagen, was sich im Bereich der Verkehrspolitik innerhalb der letzten paar Jahre, insbesondere infolge unserer eigenen Mitwirkung, getan hat. Nun kann man sicher darüber geteilter Meinung sein, ob es Aufgabe der Regierung sein muß, wie das hier verschiedentlich dargestellt worden ist, mit Initiativen und eigenen Vorstellungen zu glänzen, oder ob es nicht auch beispielsweise
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Curdt
einer sogenannten Opposition im Bundestag angemessen Wäre, dann einmal mit eigenen Vorstellungen aufzuwarten, wenn tatsächlich die Notwendigkeit dazu bestünde. Aber die Tatsache, daß von Ihnen nie etwas zu hören war, ist doch wohl offensichtlich auch ein zarter, aber immerhin vertretbarer Hinweis darauf, wie wenig von Ihnen in dieser Zeit gekommen ist.
Was kam, war uns jedenfalls nicht wert, es gemeinsam zu verwirklichen.
Ich erinnere beispielsweise — damit leite ich zu dem über, was wir als erwähnenswert herausstellen wollen — an das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jetzt nicht. Bei nur zehn Minuten Redezeit wirklich nicht! Wir haben Ihnen, Herr Kollege Dr. Schulte, auch nicht hineingeredet.
— Ich habe Ihnen ja schon gesagt: Wenn es prüfenswerte und verwirklichenswerte Vorschläge gewesen wären, hätte man dem ja nähertreten können. Die politische Prüfung hat aber eben ergeben, daß sie nicht verwirklichenswert waren.
Bei der Anpassung des Bedarfsplans, den wir haben und der Anlage zu diesem Gesetz ist, haben wir feststellen können, daß wir alle fünf Jahre — —
Herr Abgeordneter, einen Augenblick bitte! Meine Damen und Herren, es mag ja vielleicht sehr reizvoll sein und die Diskussion beleben, wenn hier laufend Zwischenrufe gemacht werden. Es ist aber auf die Dauer unerträglich. Der Redner ist nicht zu verstehen. Ich bitte doch, die Zwischenrufe einzustellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Das hat die Opposition immer ganz gern. Sie glaubt, sie kann dann die Redner der Koalition auseinanderbringen. Wir werden da weitermachen, wo wir aufgehört haben.
Ich war bei der Anpassung des Bedarfsplans und will bei dieser Gelegenheit auf folgendes hinweisen — hier unterscheiden wir uns auch in der Bewertung —: Für uns ist es wichtig, daß bei diesem Bedarfsplan, der alle fünf Jahre von uns verändert wird, die Orientierung an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten, aber insbesondere auch an den geänderten Wertvorstellungen der Bürger erfolgt. Die Schwerpunkte, die ich dabei nur aufzeigen will, sind die Beseitigung von Unfallschwerpunkten, die Minderung der Umweltbeeinträchtigungen, die Förderung von strukturschwachen Gebieten und die Vermeidung von Parallelinvestitionen. Da dies hier noch nicht entsprechend zum Ausdruck gekommen ist, will ich darauf hinweisen, daß dabei selbstverständlich auch der Bereich der Wasserstraßen gemeint ist. Wir freuen uns jedenfalls darüber, daß hier neuere Erkenntnisse eingezogen sind, daß wir uns in Zukunft solche Parallelinvestitionen nicht mehr leisten wollen.
Zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 1980 will ich — um Ihnen, Herr Kollege Schulte, zu widersprechen, wir befänden uns hier etwa in einer Investitionskrise — gern darauf hinweisen, daß sich die neuen Wertvorstellungen der Bürger immerhin auch in diesem Bundesverkehrswegeplan dadurch niedergeschlagen haben, daß die Deutsche Bundesbahn, von der hier heute schon soviel die Rede war, statt mit 16,4 % von 1971 bis 1980 künftig mit 29,1 % gefördert werden wird, während ein deutlicher Rückgang beim Bundesfernstraßenbau zugleich auch den Qualitätsunterschied zum hinter uns liegenden Zeitraum ausweist.
— Ja, sicher, das wissen wir ja. Wir wissen aber auch, was bis 1969 im Bereich der Bundesbahn geschehen ist. Wer hat denn der Bundesbahn damals ihre wichtigen Investitionen wie etwa die gesamte Elektrifizierung des Streckennetzes bezahlt? Dafür haben Sie, die Sie bis dahin regiert haben, der Bundesbahn Schuldenaufnahmen zugemutet.
Das zahlt sie nämlich heute noch ab, Herr Lemmrich. Das wissen Sie doch ganz genau.
Sie sind doch im Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn und müßten es wissen.
— Sie wissen doch ganz genau, wer das bezahlt
hat. .
Zu den Neu- und Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn will ich nur darauf hinweisen, daß wir uns hier in einer schlimmen Situation befinden. Dies ist mehrfach angeklungen. Der Realisierungsablauf dessen, was vorgesehen ist, ist gestört. Eine Aussage über Baufortführungen ist in vielen Fällen nicht möglich. Erschwernisse in weiten Bereichen durch massive Widersprüche stehen uns ins Haus. Dies gilt auch für die Planung des Ausbaus der Rangierbahnhöfe, beispielsweise für MünchenNord. Wir wissen, wie notwendig diese Maßnahmen sind. Sie sollen der Leistungsverbesserung der Bundesbahn und ihrer Kapazitätserweiterung dienen.
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Alles, was dazu bisher gesagt worden ist, kann man ja nur unterstreichen.
Ich will hier aber auch — da Herr Kollege Schulte meinte, es dürfe dazu notfalls auch von den Abgeordneten etwas gesagt werden — gerne darauf hinweisen, daß wir hier im Parlament Aussagen über die Bundesbahn machen können, daß die Kollegen des Parlaments sie dann aber auch in der Argumentation vor Ort umsetzen müssen, nämlich dort, wo sie in ihren Wahlkreisen Bürgerinitiativen und sonstigen Gruppierungen gegenüberstehen und wo jene große Tendenz der Hinwendung zur Bundesbahn oftmals nicht durchgehalten wird.
Herr Kollege Schröder, Sie haben offensichtlich den, ich will ruhig einmal sagen: dankenswerten Versuch unternommen, mit Ihrer Arbeitsgruppe „Verkehr" ein Konzept vorzulegen, wie man der Bundesbahn helfen könnte. Das ist aber nicht einmal von Ihren eigenen Kollegen für diskussionswert befunden worden und in die Ausschußarbeit nicht eingegangen.
Das tut mir sehr leid. Wir hätten Ihnen das in der Diskussion gerne um die Ohren geschlagen. Das haben aber Ihre Kollegen mitleidsvoll verhindert.
Ich will gerne darauf hinweisen, daß wir, was die Unfälle von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr angeht — wir hatten ja im letzten Jahr Anlaß, uns damit zu befassen —, eine Kleine Anfrage eingereicht haben, die erbracht hat, daß fast die Hälfte der entsprechenden Bundesmittel für die Verkehrserziehung von Kindern und Jugendlichen aufgewandt wird.
Nun zu einem Änderungsantrag, den sie hier eingebracht haben. Wir wissen, daß dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat 6 Millionen DM zufließen werden. Ihr Änderungsantrag fängt aber genau in dem Punkte an, Herr Dr. Schulte, wo Sie glaubten die Bundesregierung kritisieren zu müssen, da sie schon 300 Millionen DM und weitere 150 Millionen. DM, zusammen 450 Millionen DM, für den Bundesfernstraßenbau hat hergeben müssen. Sie wollen dort weitere 2 Millionen DM herausstreichen, um über einen Änderungsantrag dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat weitere Mittel zufließen zu lassen. Ich will dabei nur darauf hinweisen, daß allein die Beteiligung des Bundesministeriums an dem Programm „Kind und Verkehr" des Deutschen Verkehrssicherheitsrates weitere 1,37 Millionen DM beinhaltet, und zwar über die 6 Millionen DM hinaus, die ohnehin bereitgestellt sind. Sie können von uns nicht erwarten, daß wir einem solchen Antrag stattgeben, noch dazu in einer zweiten und dritten
Lesung des Haushaltsentwurfes. Der wird natürlich abgelehnt.
Die Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes steht noch vor uns. Wir wollen nur darauf hinweisen, daß auch hier wesentliche Erfordernisse wie Beseitigung des Verkehrslärms und Schutz der Bürger vor ihm, die Beseitigung der Parkraumnot durch Schaffung von Parkmöglichkeiten, insbesondere für Anwohner und für Behinderte, aber auch die Staff e-lung von Parkgebühren wie auch vorübergehende Maßnahmen für weitere Forschungen in diesem Bereich wichtige Punkte für uns sind, die wir verwirklichen wollen.
Dieses Gesetz wird sicherlich auch kritisch beurteilt werden, denn es geht u. a. auch um die Neuregelung von Parkgebühren, um die Einrichtung von gebührenpflichtigen Parkplätzen und auch um Parkplätze für besondere Gruppen. Dies führt natürlich dazu, daß dem ansonsten privilegierten Bürger Parkraum zur allgemeinen Nutzung entzogen wird. Wir sagen aber ganz eindeutig: Sei es drum, wir haben auch für die benachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft zu sorgen!
Die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes sei nur kurz in Ihre Erinnerung gerufen, meine Damen und Herren, weil Sie immer der Meinung sind, es geschehe absolut nichts im Bereich der Verkehrspolitik. Wir haben das Erfordernis der fachlichen Eignung für den Omnibusverkehr und den Sachkundenachweis beim Taxi- und Mietwagenverkehrsunternehmer eingeführt.
Die Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes hat für uns zwei wesentliche Dinge gebracht: Der Handel mit Güterfernverkehrsgenehmigungen konnte unterbunden werden, und — da dies hier im Hinblick auf internationale Verkehrspolitik kritisiert worden ist — es war für uns eine Freude, dabei mitwirken zu können, daß dem Bundesverkehrsminister Unterstützung in seiner Haltung zuteil wurde, keine Kontingentserhöhungen vorzunehmen.
Zum Verkehrslärmschutzgesetz, Herr Kollege Schulte, nur einige wenige Bemerkungen. Sie meinen, es handle sich um einen Torso, der von der Bundesregierung eingebracht worden ist. Wir können dazu zunächst einmal feststellen: Es war der Bundesregierung zu danken, daß sie überhaupt den Mut hatte, angesichts einer festgefaßten Meinung auf Länderebene, was diese Dinge angeht, mit ihrem Entwurf zunächst einmal so vorzugehen. Daß wir ihn positiv verändert haben, ist sicherlich einer breiten Meinungsbildung im gesamten Ausschuß zuzuschreiben. Ich will aber darauf hinweisen, daß insbesondere die Einbeziehung der Landes- und Kommunalstraßen und das Absenken der Grenzwerte finanzielle Belastungen nicht nur für den Bund, sondern insbesondere auch für die Gemeinden und für die Bürger mit sich bringen wird. Wir sind ja mit der Beratung dieses Gesetzentwurfes noch nicht am Ende. Uns wäre wohler dabei, wir könnten schon heute das Verursacherprinzip einführen. Wir sind leider noch
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nicht so weit, weil wir auch wissen, daß noch einige Zeit ins Land gehen muß, um die technischen Dinge zu bewältigen. Aber ich habe den Mut, schon heute zu sagen: Es handelt sich bei diesem Gesetz um ein Gesetz, das für die Zukunft gemacht wird, und ich hoffe, daß die Beurteilung durch den Bürger dazu führt, daß wir alle, die wir dieses Gesetz ja wollen, mit ihm einen Einstieg in eine neue, umweltfreundlichere und dem Bürger angemessene Verkehrspolitik finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Merker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anteil des öffentlichen Personenverkehrs betrug im Jahre 1950 67 % gegenüber einem Anteil des Individualverkehrs von 33 %. Bis zum Jahre 1976 hat sich dieses Verhältnis nicht nur umgekehrt, sondern die Schere zwischen dem Auto und dem öffentlichen Verkehrsmittel ist noch weiter auseinandergegangen: denn 1976 betrugen der Anteil des öffentlichen Verkehrs nur noch 22 % und der des Individualverkehrs 78 %. Im Güterverkehr zeigte sich ein ähnliches Bild.
Inzwischen setzt sich allerdings die Erkenntnis durch, daß die an sich wünschenswerte Mobilität unserer Bürger, die mit dem Individualverkehr verbunden ist, in zunehmendem Maße zu unerträglichen Belastungen in vielen Bereichen führt. Wir wissen, daß Verkehrsleistungen im Individualverkehr zu enormen Belastungen unserer Umwelt führen. Das gilt nicht nur für die von den Fahrzeugen ausgehenden Immissionen wie Lärm und Abgase, sondern auch bezüglich der großen Belastungen, denen der Ausbau unseres Straßennetzes die Natur unterwirft.
Wir registrieren in zunehmendem Maße beim Bürger eine Änderung seiner Einstellung dem Straßenbau gegenüber. Eine Meinungsumfrage neueren Datums zeigt deutlich, daß der Bürger aus dem Katalog der verkehrspolitischen Aufgaben dem Ausbau unseres Autobahnnetzes nur eine relativ geringe Bedeutung zumißt. So waren es nur 13 % der Bevölkerung, die bereit waren, den Ausbau des Autobahnnetzes als wichtiges Ziel der Verkehrspolitik zu akzeptieren. Unangefochten an der Spitze lagen die Forderungen nach mehr Verkehrssicherheit und vor allem nach einem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Diese geänderten Wertvorstellungen der Bürger, mit denen wir in zunehmendem Maße konfrontiert werden, müssen und werden ihre Auswirkungen nicht nur auf den heute zu diskutierenden Haushalt des Jahres 1980, sondern auch auf die Haushalte der nächsten Jahre haben.
Die FDP begrüßt, daß die Bundesregierung bereit ist, die Investitionsmittel in den nächsten Jahren drastisch vom Bundesfernstraßenbau zur Deutschen Bundesbahn zu verschieben. Während in den vergangenen zehn Jahren 16,4% der Investitionsmittel in Investitionsleistungen der Deutschen Bundesbahn geflossen sind, wird eine Erhöhung dieses Anteils auf 29,1 % für eine erhebliche Steigerung des bisherigen Volumens der Investitionen im Schienennetz sorgen. Parallel dazu werden die Investitionsmittel für den Bundesfernstraßenbau von 53,2 in den vergangenen zehn Jahren auf 42,4 % in den nächsten zehn Jahren sinken. Allein 1980 liegt der Straßenbauetat um 450 Millionen DM unter der bisher geltenden Finanzplanung.
Damit hat die Bundesregierung einen ersten Schritt getan, um die Wertvorstellungen der Bürger in die politische Praxis umzusetzen. Die Regierung und die sie tragenden Parteien haben damit unter Beweis gestellt, daß sie willens und in der Lage sind, die geänderten Voraussetzungen in die politische Realität umzusetzen.
Ich verstehe gut, daß es einigen Mitgliedern dieses Hauses, insbesondere bei der Opposition, schwerfällt, sich von den einst verkündeten Idealvorstellungen eines gigantischen Autobahnnetzes zu trennen.
— Eben, den habe ich damit gemeint, Herr Kollege Hanz. — Nur muß ich hier an die Adresse der Opposition deutlich sagen, daß ich überhaupt kein Verständnis dafür habe, wenn Sie dann die Politiker, die sich diesen geänderten Wunschvorstellungen anpassen und den Straßenbau auf ein realistisches Maß zurückführen werden, draußen im Landes als „Verzichtpolitiker" diffamieren.
— Entschuldigung, Herr Kollege Lemmrich, das ist genau das, was ich gesagt habe. Wir führen den Ausbau des Straßennetzes auf ein realistisches Maß zurück, und der Innenminister Ihres Landes, des Staates Bayern, verkündet draußen: Dies sind die Verzichtpolitiker. Ich halte es für unverschämt,
wenn Sie mit einem solchen Vokabular durch die Lande reisen.
Wenn ich mich hier für die FDP eindeutig für eine stärkere Unterstützung des öffentlichen Verkehrs ausspreche, bedeutet das allerdings auch, daß wir die Bundesbahn in die Lage versetzen müssen, durch Investitionen den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Das heißt, daß wir nicht nur die finanziellen Mittel bereitstellen müssen, sondern daß wir ihr auch die Unterstützung geben müssen, die sie braucht, um ihre Investitionen zu realisieren. Es geht nicht an — dies ist ein deutlicher Appell an die Bürgerinitiativen —, überall in diesem Lande gegen einen weiteren Ausbau des Straßennetzes zu mobilisieren, andererseits der Bundesbahn als dem wichtigsten Träger des öffentlichen
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Merker
Verkehrs den dringenden Ausbau ihres Streckennetzes zu verweigern.
Wenn wir nur die geringste Chance haben wollen, den öffentlichen Verkehr gegenüber dem Individualverkehr zu stärken, können wir dies nur, wenn wir den öffentlichen Verkehr gegenüber allen Bereichen attraktiver machen. Dazu gehört notwendigerweise ein weiterer Ausbau der Schieneninfrastruktur der Deutschen Bundesbahn.
Die Deutsche Bundesbahn hat im Jahre 1979 bewiesen, daß sie in der Lage ist, aus sich selbst heraus die besten innerbetrieblichen Voraussetzungen zu schaffen. Daß die Einführung des Intercity 79, die sicherlich auch mit Risiken behaftet war, sinnvoll und zukunftsweisend war, hat der Markt schon entschieden. Die Zunahme der Zahl der Reisenden von 2,5 auf fast 3 Millionen nach dem Fahrplanwechsel 1979, bei dem 80 % aller Fahrplandaten geändert werden mußten, zeigt mit aller Deutlichkeit, daß diese Entscheidung richtig war. Die weltweit einmalige Konzeption des Intercity 79 im Ein-StundenTakt für jede Wagenklasse hat dem Schienenpersonennahverkehr eine neue Dimension verliehen. Wir sollten, meine Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle einmal den Planern und Mitarbeitern der Deutschen Bundesbahn, die durch ihren persönlichen Einsatz diese Leistungen ermöglicht haben, den Dank dieses Hauses aussprechen.
Neben dieser durchgeführten Anpassung an den Markt wird die Deutsche Bundesbahn ihre Anstrengungen zur Steigerung der Produktivität und Rationalisierung konsequent fortsetzen. Der Huckepack- und Containerverkehr soll in den 80er Jahren den Verkehr auf der Straße in spürbarem Maße entlasten. Herr Dr. Schulte, Sie haben hier in Ihrer Rede so getan, als gebe es in diesem Bereich keine Zuwachsraten; aber auch Sie kennen doch die Steigerungsraten, die gerade im kombinierten Verkehr mit 20 bzw. im Containerverkehr mit 38 % Zuwachs allein im ersten Halbjahr 1978 bestehen. Diese Zahlen zeigen, daß die Bahn hier auf dem richtigen Kurs für die 80er Jahre liegt. Die Bahn wird im Jahre 1979 ihre eigenen Erträge voraussichtlich um mehr als eine Milliarde DM steigern und dabei die Verluste um mehr als eine halbe Milliarde DM verringern.
Die FDP steht uneingeschränkt hinter der Verkehrspolitik der Bundesregierung, einer Politik, die sich an wirtschaftlichen Notwendigkeiten und an den Wünschen der Bürger orientiert, die der Verkehrssicherheit eine hohe Priorität einräumt, die den öffentlichen Verkehr stärkt, die dem Ausbau bestehender Wege den Vorzug vor neuen Trassen gibt, die durch den verstärkten Baù eines Radwegenetzes die Wünsche des Bürgers nach einem umweltschonenden Verkehrsmittel berücksichtigt; die den Bürger frühzeitig an allen Planungen beteiligt.
Die FDP wird dem Haushalt zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feinendegen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Antrag meiner Fraktion auf der Drucksache 8/3486 einige Sätze sagen:
Auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion hat der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages in der Sitzung vom 26. September 1979 bei der Beratung des Haushaltsentwurfs zum Einzelplan 12 dem Haushaltsausschuß empfohlen, die Bundesmittel für den Bereich „Verkehrssicherheit auf unseren Straßen" um 2,5 Millionen DM aufzustocken. Davon sollten 1,5 Millionen DM dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat und 1 Million DM der Deutschen Verkehrswacht zufließen.
Meine Damen und Herrn, die Ausführungen von Herrn Curdt zu diesem Antrag sind sehr merkwürdig.
Sie haben doch — Sie erinnern sich hoffentlich — in dieser Abschlußsitzung dieser von uns beantragten Empfehlung zugestimmt.
Oder ist Ihr Verhalten
ein Beweis dafür, daß Sie eben eine Politik nach dem Motto „Zielstrebig wie eine Wetterfahne" machen, wie Herr Dr. Barzel hier gestern gesagt hat?
Die finanzielle Förderung des Bundes ist bei diesen im Bereich der Verkehrssicherheit tätigen wichtigen Organisationen seit fünf Jahren nicht mehr erhöht worden. Allein wegen der inzwischen erfolgten Preissteigerungen steht diesen Organisationen real ein Viertel weniger an Mitteln zur Verfügung als vor fünf Jahren. Wenn die Zuwendungen nicht spürbar erhöht werden, sind diese Organisationen nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit im Bereich der Verkehrssicherheit insgesamt, insbesondere aber auch im Bereich der Verkehrssicherheit im Hinblick auf unsere Kinder, Jugendlichen und älteren Mitbürger erfolgversprechend weiterzuführen.
Der Haushaltsausschuß ist dem Votum des Verkehrsausschusses nicht gefolgt. Der Haushaltsausschuß erhöhte die Mittel für die Deutsche Verkehrswacht lediglich um 600 000 DM, kürzte aber die Mittel für den Deutschen Verkehrssicherheitsrat um 100 000 DM. Am 15. November dieses Jahres erklärte der Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates in der „Bild"-Zeitung wörtlich — ich zitiere —:
In Schweden werden pro Kopf der Bevölkerung fünf Mark, in der Schweiz eine Mark, aber in der Bundesrepublik Deutschland nur 50 Pfennig für Verkehrssicherheitsmaßnahmen ausgegeben. Ich finde dies einen Skandal.
Die CDU/CSU kann sich dieser Auffassung nur anschließen und fordert deshalb die Koalitionsfraktionen auf, dem vorliegenden Antrag, der einen Deckungsvorschlag enthält, ihre Zustimmung nicht zu versagen. Dies wäre ein erster Schritt, um den im-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15283
Feinendegen
mer noch unbefriedigenden Zustand der Verkehrssicherheitspolitik zu verbessern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Antrag, für die Verkehrssicherheit mehr zu tun, hört sich sicherlich gilt an.
Allein dies scheint mir auch der tatsächliche Zweck des Antrags zu sein.
Denn die Notwendigkeit der beantragten Erhöhung ist — jedenfalls für 1980 — nicht erkennbar.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß die Bundesmittel für die beiden hier in Rede stehenden Einrichtungen in Höhe von 6,5 Millionen DM im Jahre 1974 inzwischen eine Anhebung auf 11,5 Millionen DM im Jahre 1979 und — auf Vorschlag des Haushaltsausschusses — auf nunmehr 12 Millionen DM im Jahre 1980 erfahren haben. Dieser im Haushaltsausschuß einvernehmlich gefaßte Beschluß sieht einen Betrag von 6 Millionen DM für den Deutschen Verkehrssicherheitsrat und die Deutsche Verkehrswacht vor. Dieser Beschluß ist nicht nur ausgewogen, sondern er entspricht mit dem Aufstockungsbetrag von insgesamt einer halben Million DM auch den Bedürfnissen, damit die beiden Organisationseinheiten — in Verbindung mit den dem Bundesverkehrsminister noch zur Verfügung stehenden Mitteln — ihre Verkehrserziehungs- und -aufklärungsprogramme sinnvoll durchführen können. Wir halten daher an dem einvernehmlich gefaßten Beschluß des Haushaltsausschusses fest und lehnen den Antrag der Opposition ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Einzelplan 13 umfaßt den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Es sind darin nur wenige Zahlenangaben enthalten, und zwar das Gehalt für den Parlamentarischen Staatssekretär, die ordentliche Ablieferung der Post an den Bund, die außerordentliche Ablieferung und die Einnahmen und Ausgaben der Bundesdruckerei; das ist alles. Der eigentliche Haushalt der Bundespost mit 54 Milliarden DM steht in einem Voranschlag, wie die Post dies nennt. Jener Voranschlag ist nicht Teil des Bundeshaushalts.
Trotzdem einige Schwerpunkte. Im Einzelplan 13 ist auch für dieses Jahr eine Sonderablieferung von 1,5 Milliarden DM veranschlagt.
Damit hat es folgende Bewandnis. Auch im nächsten
Jahr rechnet die Bundesregierung mit einem Gewinn von gut 2 Milliarden DM Das geht weithin auf die Tüchtigkeit der Postbeamten zurück, denen meine Fraktion an dieser Stelle deutlich danken will.
Nun gibt es aber eine Reihe von Politikern, vor allem innerhalb der Bundesregierung, die der Meinung sind, weil die Bundespost eine gute Ertragslage habe, könne man sie als eine Milchkuh betrachten und ihr außer der Reihe Geld abknöpfen — wie gesagt: 1 ½ Milliarden DM. Und der Bundespostminister hat der erstaunten Offentlichkeit verkündet, daß er dies in Ordnung finde, solange die Summe der außerordentlichen Ablieferungen nicht den Betrag von 10 Milliarden DM überschreite. Das ist ungefähr der Betrag, mit dem der Bund bisher der Post geholfen hat, als es ihr schlecht ging.
Diese Argumentation, verehrter Herr Minister, ist in meinen Augen unseriös und falsch.
Wenn in der Privatwirtschaft ein Unternehmen in eine schwierige Situation kommt, also Verluste macht, kann es diese Verluste mit den Gewinnen anderer Jahre verrechnen. Und wenn das Unternehmen wieder gut dasteht, kommt niemand auf den Gedanken zu sagen: Jetzt mußt du mir die Steuermittel zurückgeben, die ich dir damals nachgelassen habe.
Was für Sozialisten in dieser so schlimmen kapitalistischen Wirtschaft nicht einmal denkbar ist, das geschieht hier genau im öffentlichen Bereich. So etwas gab es allenfalls im Bereich des Absolutismus. Der absolute Herrscher hat damals für die Vergabe des Postregals an das Fürstenhaus Thurn und Taxis — was ihn ja nichts kostete — Geld verlangt.
In Wirklichkeit ist diese Sonderablieferung eine Sondersteuer für den Telefonbenutzer. Deshalb meinen wir, daß die Telefongebühren noch weiter zurückgenommen werden müssen, damit nicht die überhöhte Gewinnsituation eintritt.
Der zweite Punkt. Ich bin gespannt, Herr Hoffie, wie Sie als Journalist zu diesem zweiten Punkt reagieren. Der Bundespostminister möchte im nächsten Jahr die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit um 20 Millionen DM, also um 40%, anheben. 40%!
Der Postminister begründet — verehrter Herr Wuttke, ich mehme an, Sie sollten es auch schon wissen; denn als Mitglied des Verwaltungsrats haben Sie hoffentlich den Voranschlag schon vorher angesehen —
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Dr. Friedmann
diese zusätzlichen Ausgaben damit, daß er die Betriebszeitschrift „Telepost" im nächsten Jahr auch Postbenutzern, nicht nur Postangehörigen, zustellen und aushändigen will.
Er hat bereits einen Test in dieser Richtung, Herr Dreyer, im Oktober unternommen. Und wer sich noch nicht denken kann, worauf dies hinaus soll, der muß sich nur mal diese Zeitschrift vom Oktober, die verteilt worden ist, ansehen. Da finden wir auf zwei Seiten ein farbiges Bild des Herrn Postministers, wie er hinter dem Schreibtisch sitzt. Wir wissen ja, daß er ein schöner Mann ist.
— Nein. Ich habe jetzt keine Zeit, Herr Becker. Danke.
Wir wissen, daß der Postminister ein schöner Mann ist. Aber in der Zwischenzeit braucht dies ja nicht wiederholt zu werden.
Der Postminister verkündet in dieser Zeitschrift der staunenden Offentlichkeit, wie er sich fit hält, nämlich durch Tennisspielen.
Auf einem anderen Bild sehen wir, wie er in Begleitung seiner Sekretärin eine Auszeichnung verleiht.
Und auf einem vierten Bild sehen wir ihn wieder.
Das heißt doch: Diese erhöhten Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit dienen der Selbstdarstellung dieses Herrn Ministers.
Damit dies ganz klar ist: Es gibt in der ganzen Bundesregierung keinen zweiten Minister, der die gleichen Möglichkeiten hat, um sich darzustellen, wie der Postminister. Er hat diese Betriebszeitschrift, er hat die Möglichkeit der Anzeigen, der bezahlten. Reklame. Er kann dies extensiv ausnutzen.
Ich bin der Meinung, verehrter Herr Hoffie, auch Herr Wuttke, daß Sie als Mitglieder des Verwaltungsrates diese Ausgaben streichen sollten.
Der zentrale Punkt meiner Ausführungen ist folgender. Viele Erfahrungen der letzten Wochen und Monate zeigen, daß die Bundespost eine verstärkte parlamentarische Kontrolle dringend notwendig hat.
Es gibt zwar einen Postverwaltungsrat, und nach den gesetzlichen Bestimmungen soll der auch die Kontrolle ausüben.
Man bezeichnet diesen Verwaltungsrat auch als ein Parlament. Aber in Wirklichkeit ist das nur eine pseudoparlamentarische Kontrolle;
denn obwohl darin fünf Parlamentarier in dieser ihrer Eigenschaft sind, kann der Postminister jederzeit Entscheidungen, die ihm nicht gefallen, dem Kabinett vorlegen, und das Kabinett kann diese Entscheidungen aufheben.
Das heißt, die Exekutive hebt Entscheidungen auf,
die Mitglieder der Legislative mit getroffen haben.
Die Bundespost ist in der Zwischenzeit von ihren Problemen her in eine Dimension hineingewachsen, daß man sie nicht mehr sich selbst überlassen kann.
Das gilt als erstes schon einmal vom wirtschaftlichen Volumen her. Die Bundespost hat im nächsten Jahr ein Haushaltsvolumen von 54 Milliarden DM, während das größte Bundesland, Nordrhein-Westfalen, nur 51 Milliarden DM hat. Niemand käme auf den Gedanken, das Land Nordrhein-Westfalen nur noch mit einer pseudoparlamentarischen Kontrolle zu überwachen, wie das bei der Post der Fall ist.
Aber es geht dabei nicht nur um die wirtschaftlichen Auswirkungen, sondern wir haben ja erlebt, wie wichtig die Kommunikationstechnik in Verbindung mit der Medienpolitik geworden ist.
Vor kurzem wurde der Herr Bundespostminister vom Kanzler zurückgepfiffen, als er die Absicht hatte, in elf Städten Großmodelle mit Breitbandkabeln durchzuführen. Dem Herrn Bundeskanzler hat es nämlich nicht behagt, daß hier die Möglichkeit geschaffen wird, mehr Programme in die Haushalte hinein zu übertragen.
Mit anderen Worten: Während die Kompetenz für die Medienpolitik bei den Ländern liegt — mit geringen Ausnahmen auch beim Bund —, ist die Kommunikationstechnik beim Bund. Aber der Bund mißbraucht sein Fernmeldemonopol, um damit in Wirklichkeit Medienpolitik zu betreiben.
Umgekehrt kann man aber auch fragen, sehr verehrter Herr Minister, ob die Medienpolitik nicht dazu mißbraucht wird, um die Kommunikationspolitik künstlich einzuschränken.
Ein dritter Punkt kommt hinzu, und das ist die ordnungspolitische Stellung der Bundespost in un-
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Dr. Friedmann
serer Sozialen Marktwirtschaft. Auf Grund Ihrer Aufgabe hat die Bundespost ein Monopol in der Nachrichtenübermittlung. Dieses führt automatisch zu einer monopolistischen Nachfragestruktur gegenüber jenen, die Fernmeldeinvestitionen anbieten. Die Anbieter dieser Investitionen haben zusammen eine oligopolistische Struktur. Das heißt, ein Nachfragemonopolist trifft auf ein oligopoles Angebot. Das hat dazu geführt, daß ein Naturschutzpark zwischen Bundespost und Elektrokonzernen entstanden ist, wobei beide meinen, das läge in ihrem Vorteil.
In Wirklichkeit führt das dazu, daß technischer Fortschritt auf diese Art und Weise behindert wird, wie wir es zum Beispiel beim EWS-System erlebt haben, und dann die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Fernmeldeindustrie in der Weltwirtschaft Schaden leidet.
— Verehrter Herr Professor Ehmke, Sie haben recht; was früher galt, muß heute nicht mehr so sein. Heute geht es um andere Probleme — siehe KTK-
Kommission — und um andere Dimensionen. Deshalb sind wir der Meinung, daß die parlamentarische Kontrolle verstärkt werden muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie?
Ich bitte um Entschuldigung; die Zeit reicht nicht.
— Wir können ein anderes Mal miteinander reden. Meine Zeit ist begrenzt.
Der nächste Punkt, den ich hier anschneiden möchte, ist die Personalpolitik, verehrter Herr Minister.
Es gibt allmählich kaum noch eine Fernmeldeamt im Bundesgebiet, in dem nicht Kommunisten beschäftigt sind; wohlgemerkt, bei den Fernmeldeämtern. Das Fernmeldewesen ist in höchstem Maße sensibel, da es im Ernstfall durch Sabotage völlig lahmgelegt werden könnte. Das wissen die Kommunisten.
Der Minister hat hier bis vor einiger Zeit eine Haltung an den Tag gelegt, die lobenswert war, wobei er allerdings Schwierigkeiten mit der Linken in seiner Partei bekam.
Vierzehn Tage vor dem SPD-Parteitag ist er allerdings umgefallen. Seither werden aus seiner Umgebung Briefe in die Offentlichkeit lanciert, aus denen hervorgeht, daß er eingeleitete Disziplinarverfahren rückgängig macht, weil er seine Auffassung offensichtlich geändert hat. Man fragt sich manches Mal, was dahinterstecken mag, ob dahinter vielleicht eine
Annäherung an die Linken steckt, möglicherweise weil der Minister auf der Suche nach einem Wahlkreis doch noch fündig werden will.
Überhaupt wirft das die Frage nach dem Verfassungsverständnis des Ministers auf. Seit einiger Zeit versucht er — offensichtlich auch auf Betreiben der Postgewerkschaft —, die Nachwuchskräfte im einfachen und mittleren Dienst, auch nach vollendeter Ausbildung, im Tarifverhältnis zu beschäftigen. Dahinter steckt eindeutig die Absicht, über Tarifpersonal das Streikrecht stärker in dieses empfindliche Unternehmen hineinzutragen. Erst die Warnungen aus dem eigenen Regierungslager haben den Minister dazu gebracht, hier kürzerzutreten. Ob er es auf Dauer tun wird, dürfte eine ganz andere Frage sein.
Diese Personalpolitik gibt einem natürlich zu denken. Ich muß dem Herrn Minister hier wirklich folgendes ans Herz legen. Als Chef eines Doppelressorts, verehrter Herr Minister Gscheidle, tragen sie Verantwortung für fast 1 Million Arbeitnehmer. Sie sollten sich dieser Ihrer Verantwortung bewußt sein. Das heißt, Sie sollten im personellen Bereich nicht Sachentscheidungen treffen, von denen Sie möglicherweise innerlich nicht überzeugt sind. Ich schätze Sie als einen tüchtigen Fachmann auf dem Gebiet, auf dem Sie tätig sind, zumindest auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens. Aber es dürfen nicht solche gravierenden Fehler im Bereich der Personalpolitik gemacht werden, möglicherweise nur deshalb, weil dies mit Schwierigkeiten bei der Wahlkreissuche zusammenhängt. So weit sollte das nicht gehen. Ich möchte Sie deshalb mit allem Nachdruck und in aller Herzlichkeit darum bitten, zu einer sachbezogenen Personalpolitik zurückzukehren.
Da dies alles so ist, möchten und können wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Einzelplan 13 unsere Zustimmung nicht erteilen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mit einem Dank an den Berichterstatter, unseren Kollegen Müller aus Nordenham, beginne, weil nach einer Erklärung, die er selbst hier abgegeben hat, dies wohl seine letzte Berichterstattung war. Ich darf diesen Dank generell mit dem Dank an die Ausschußmitglieder verbinden, soweit mein Ressort betroffen ist, weil sich manches von dem, was hier durch die gesuchte Konfrontation vielleicht verdeckt wird, durch eine angenehme Zusammenarbeit in den Ausschüssen wieder ausgleicht.
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Bundesminister Gscheidle
Ich darf, wenn Sie nicht widersprechen, mit der Bundespost beginnen. Es war immerhin ein großes Kompliment — so verstehe ich es jedenfalls —, daß die Opposition zum Thema Bundespost angesichts der großen Bedeutung der Post, auf die Sie, Herr Abgeordneter Friedmann, hingewiesen haben, nur einen Beitrag geleistet hat, wobei Sie sich — bei allem Respekt vor Ihren Ausführungen — auf einige Dinge konzentriert haben, die, bezogen auf die von Ihnen selbst betonte Bedeutung der Bundespost, nur relativ zu würdigen sind.
Wenn ich mir einen Spaß erlauben darf, Herr Dr. Friedmann, möchte ich sagen: Es könnte sein, daß Ihre Schwierigkeiten hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit der Bundespost mit der Schwierigkeit der t Übersetzung von public relations zusammenhängen. Ich glaube, es ist Ihnen entgangen, daß es dort. zwei Titel gibt: Public-Relations-Arbeit und Produktenwerbung. Sie haben Ihre Polemik an public relation aufgehängt. Im übrigen Kompliment für mein gutes Aussehen; ich hoffe, das hilft mir auch weiterhin in der Öffentlichkeitsarbeit!
Nur: Öffentlichkeitsarbeit ist ein Ansatz. Da haben wir praktisch nicht erhöht. Was Sie angesprochen haben, ist Produktenwerbung. Dort haben wir in der Tat eine Erhöhung von 30 auf 44 Millionen vorgesehen. Das heißt also: Damit könnte ich mich, auch wenn ich wollte, nicht selbst darstellen, sondern die Post wirbt für neue Dienstleistungen. Soweit ich Sie kenne, sind wir da einer Meinung.
Sie haben unter der t Überschrift „parlamentarische Kontrolle" ein sicherlich nachdenkenswertes Thema angesprochen. Sie haben aber vielleicht dabei außer acht gelassen, daß das Gesetz, nach dem dies geregelt ist, mit Mehrheit des Hauses — soweit ich mich erinnere, nur mit zwei Gegenstimmen — damals geschaffen wurde und daß interessanterweise die Diskussion um mehr parlamentarische Kontrolle mit der zunehmend positiven Situation des Gesamtunternehmens zusammenhängt. Ich will den Gedanken nicht weiterführen.
Aber zu Ihrer Bemerkung hinsichtlich der Bedeutung des Postverwaltungsrats muß ich im Interesse der Mitglieder des Verwaltungsrats ein deutliches Wort sagen. Sie können die Zuständigkeit nach dem Gesetz bemängeln. Aber von der Qualität her —
dies könnte mißverstanden worden sein — handelt es sich um hervorragende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Ich wüßte nicht, was es hinsichtlich des Inanspruchnehmens der im Gesetz vorgesehenen Rechte für Anstände geben könnte.
Insofern bin ich dem Kollegen Riedl dankbar, der mit seinem Zwischenruf „Das sind wohl alles Weihnachtsmänner!"
deutlich machen wollte, daß da schon gute Leute sitzen.
Nun zu der Frage der Verkehrspolitik!
— Ach wissen Sie! Sehen Sie mal die Liste durch! Da erübrigt sich die Antwort.
In der Frage der Verkehrspolitik hat der Abgeordnete Schröder begonnen, etwas kritisch die vielen Untersuchungen zu beleuchten, die wir machen. Das ist richtig, daß wir viele Analysen machen. Aber wir betrachten das als ein Lob, wenn der Abgeordnete Schröder sagt: Außer Analytik ist ihm bisher nichts bekanntgeworden. Mir ist da tröstend ein Spruch von Rousseau eingefallen, der sagt: „Das einzige Mittel, den Irrtum zu vermeiden, ist die Unkenntnis." Das müssen Sie uns wenigstens bestätigen, daß wir wohl bemüht sind, die Unkenntnis bei uns zu beseitigen.
Zu den Problemen der Verkehrspolitik, soweit Wir sie steuern können, würde ich gern darauf hinweisen, daß hier unsere Politik der Konzentration und der Investition doch Früchte zeitigt, die auch Ihre Sprecher sachlich nicht geleugnet haben. Daß es bei der Bahn noch Probleme gibt, wird niemand bestreiten. Daß wir bemüht sind, sie zu beseitigen, will ich Ihnen an zwei Dingen zeigen.
Ihr erster Grundirrtum gegenüber der Bundesbahn, der bei allen Diskussionen, seit ich Verkehrsministet bin, immer deutlich wird, ist, daß Sie, obwohl Sie von der Bundesbahn zu Recht auch Aufgabenerfüllung im Sinne der Gemeinnützigkeit fordern, die Konsequenz nicht akzeptieren, die sich daraus ergibt. Ihre Betrachtung der Bundesbahn, rückschauend auf zehn oder zwanzig Jahre, läßt objektiv eines vermissen. Ich will sie nicht mit Zahlen langweilen, aber diese Zahlen muß ich Ihnen sagen. Die erfolgswirksamen Zuweisungen Ries Bundes an die Bundesbahn betrugen 1960 noch nicht einmal 400 Millionen DM. Sie betrugen 1965 erst 1,15 Milliarden DM. Sie waren 1970 schon 2,6 Milliarden DM, 1975 schon 6,2 Milliarden DM und werden 1980 8,6 Milliarden DM erreichen. Wenn Sie der Bundesbahn helfen wollen — dies erklären Sie erfreulicherweise immer wieder —, dann helfen Sie mit, diesen Grundirrtum in der Offentlichkeit zu beseitigen, daß der Steuerzahler laufend in ein Faß ohne Boden an die Bundesbahn bezahlt.
— Entschuldigen Sie, ich will das gleich generell sagen. Ich habe mich verpflichtet, nur zehn Minuten
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Bundesminister Gscheidle
zu reden. Das gestattet mir nicht, Zwischenfragen zuzulassen und auf sie einzugehen.
Das sage ich generell, nicht auf die Person bezogen.
Helfen Sie wenigstens mit, diesen Grundirrtum auszuräumen. Wenn Sie von der Bundesbahn zu Recht Leistungen erwarten — das ist eine der Grundauffassungen der Sozialdemokraten —, müssen Sie dafür auch bezahlen. Je mehr solcher Leistungen Sie von der Bundesbahn fordern — ob Schülerverkehr, Berufsverkehr oder Regionalstrukturpolitik —, um so mehr müssen Sie bezahlen. Nehmen Sie wenigstens diese Zahlen aus der Befrachtung heraus. Dann bleibt Ihnen für die Polemik immer noch genug.
— Wissen Sie, im Prinzip habe ich nichts dagegen, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Aber die Unterhaltungen mit Ihnen haben zwei Seiten: die angenehme der sachlichen Unterhaltung, wenn wir allein sind, und die mir unverständliche der Polemik bei Ihren Zwischenrufen.
— Ich habe Ihnen doch gar keine Vorwürfe gemacht. Wenn ich anfange, Ihnen gegenüber Vorwürfe zu machen, sieht das ganz anders aus.
Sie werden die Probleme der Bundesbahn durch Polemik nicht lösen können. Ich bitte Sie im Interesse der Bundesbahn: Behalten Sie im Auge, was es zu beseitigen gilt. Das ist ein Bilanzdefizit. Wir sind dabei, es abzubauen. Das ist mühevoll genug. Ich staune nur, mit welcher Lässigkeit man hin und wieder sagt, es bedeutet ja nicht viel, daß ihr 3 Milliarden DM pro Jahr durch Abbau von Personal eingespart habt. Ich kann Ihnen sagen: Für mich als früheren Gewerkschaftler war es eine der schwierigsten Entscheidungen in meinem ganzen Berufsleben, in einer angespannten Phase, in der sich dieses Land in der Frage der Arbeitsplatzsituation insgesamt befindet, bei der Bundesbahn Jahr für Jahr 15 000 bis 20 000 Arbeitsplätze nicht zu besetzen. Vielleicht beurteilen Sie das anders.
Sie können nur auf diesem Weg und durch Ertragssteigerungen zum Ziel kommen. Aber ich sage Ihnen, daß Sie nur eine Summe von rund 4 Milliarden DM bewegen können.
Noch ein Wort dazu. Ich gehe davon aus, daß Sie in einigen Jahren, wenn Sie Ihre Aussagen zur Bahn selbstkritisch prüfen, überrascht sein werden, wieviel Sie dann fordern müßten, um die Bundesbahn in den Stand zu versetzen, noch mehr im Sinne der Gemeinnützigkeit zu tun. Um überhaupt eine Verkehrsinfrastruktur so aufrechterhalten zu können, daß keine schweren Schäden für die Volkswirtschaft insgesamt entstehen, müssen Sie das aus Steuergeldern bezahlen. Der Bundesbahn könne Sie nur helfen, wenn Sie ihre große Bedeutung für die Wirtschaft immer wieder objektiv darstellen.
Darum bitte ich Sie.
Im Straßenbau beanstanden Sie Kürzungen. Das ist Ihr gutes Recht. Die Seltsamkeit Ihrer differenzierten Politik zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet wird Ihnen offenkundig werden, wenn Sie sich die Beschlüsse des Bundesrates zum Verkehrswegebau ansehen, wenn Sie einmal versuchen, bei den unterschiedlichen Auffassungen, die dort bestehen, eine gemeinsame Aussage zustande zu bringen.
Ich freue mich über einige Aussagen, die Sie hinsichtlich der Schwerpunkte gemacht haben. Sie müssen auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit, des Umweltschutzes liegen. Sie werden bestätigen müssen, daß da einiges geschieht.
Im übrigen: Wenn jemand vom Investitionsstau spricht — ich halte den Ausdruck für etwas übertrieben —, lassen Sie uns wenigstens gemeinsam darüber nachdenken, wie wir ihn beseitigen können. Das ist eine Frage der politischen Verantwortung auf allen Gebietsebenen. Sie beginnt bei den Gemeinden, bei den Städten und setzt sich fort im Land
und beim Bund.
Da Sie sich in der Frage so sehr engagieren, vor allem was die Bundesbahn betrifft, lassen Sie mich einen polemischen Ausdruck verwenden. Was im Zusammenhang der Erhöhung der Tarife im Münchner Verkehrsverbund passiert ist, war doch ein „Straßentheater" der dort verantwortlichen Kommunalpolitiker; denn die waren sich doch, bevor die Sache öffentlich ausgetragen wurde, darüber im klaren, in welchem Umfange erhöht werden muß. Das ist die Zwangsläufigkeit, in der sich jede Gebietskörperschaft sieht, wenn es darum geht, eine Leistung zu erbringen, die nur in einem bestimmten Umfang vom Staat allein bezahlt werden kann und die Aufbringung von Eigenanteilen erfordert.
— Wenn wir daraus lernten, Herr Kollege, würden wir vielleicht auch im Hinblick auf den Abbau des Investitionsstaus einiges beseitigen können.
— Ich freue mich, Herr Dr. Riedl, daß Sie mir aus örtlicher Kenntnis zustimmen, daß man hier einiges bewegen kann.
Im übrigen herzlichen Dank; denn bei aller Ihrer Polemik war nicht zu übersehen, daß Sie die Arbeit der einen Million Menschen anerkenne, die in diesem Bereich Verkehr und Post- und Fernmeldewesen tätig sind. Auch ich darf denen zum Abschluß meiner Ausführungen von dieser Stelle herzlich für diese wirklich erfolgreiche Arbeit der letzten Jahre
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Bundesminister Gscheidle
danken — auch wenn Sie es in einzelnen Punkten anders sehen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 9 zu Kap. 12 01 Tit. 531 01 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3486 zu Kap. 12 12 Tit. 531 03 und Kap. 12 10 Tit. 741 11 auf. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 12 ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer dem Einzelplan 13 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 13 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 8/3389 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Traupe
Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser.
Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da nach mir der Kollege Schneider den Entschließungsantrag der CDU/CSU begründen wird, werde ich mich bemühen, mich kurz zu fassen.
Der Haushaltsplan 1980 des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau weist bei einem Volumen von gut 4,4 Milliarden DM einen Zuwachs von etwa 150 Millionen DM im Vergleich zu 1979 auf. Dieser Zuwachs liegt unter dem Zuwachs des Gesamthaushalts, was von mir nicht kritisiert, aber festgestellt wird.
In den Kapiteln 25 02 und 25 03, in denen die Hauptausgabenblöcke für die Förderung des Wohnungsbaues und des Städtebaues enthalten sind, ist auch im einzelnen gegenüber dem Vorjahr wenig Bewegung festzustellen.
Einen Augenblick bitte, Herr Abgeordneter. Ich darf die Damen und Herren bitten, Platz zu nehmen, soweit sie dieser Aussprache folgen wollen, oder sonst ihre Geschäfte lieber außerhalb des Saales zu besorgen, damit wir mehr Aufmerksamkeit für den Redner bekommen.
Hauser (CDU/CSU): Abgesehen von den beiden großen Ausgabenpositionen Wohngeld und Wohnungsbauprämien, für die jeweils über 900 Millionen DM vorgesehen sind,
sind — wie im Vorjahr — die Titelgruppen Förderung des Städtebaues mit ca. 450 Millionen DM, Förderung des Wohnungsbaues im Rahmen des Eigentumsprogramms mit ca. 580 Millionen DM, Förderung der Modernisierung von Wohnungen mit ca. 140 Millionen DM, Förderung des Wohnungsbaues für Aussiedler mit Darlehen wie auch mit Zuschüssen in Höhe von 260 Millionen DM sowie die Vergabe von Darlehen an die Länder zur Förderung des sozialen Wohnungsbaues mit ca. 450 Millionen DM bemerkenswert.
Wie gesagt: In diesem Haushalt ist wenig Bewegung. Der Zuwachs der für die Bauförderung zur Verfügung stehenden Mittel beträgt ca. 4 %. Setzt man das in Relation zu den galoppierenden Baupreisen, der enormen Steigerung auf diesem Gebiet, muß man feststellen, daß im Jahre 1980 weniger an Wohnungsbau aus diesem Haushalt bewirkt werden kann als in den Vorjahren.
Die dem sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel sind deshalb auch wenig geeignet, Entscheidendes zu bewirken oder zu bewegen. Sie sind dazu von Jahr zu Jahr weniger geeignet.
Sie sind außerdem auch auf Grund der eingegangenen Verpflichtungsermächtigungen auf Jahre hinaus weitgehend blockiert. Auch eine neue Regierung — das ist die Konsequenz, die sich daraus ergibt — könnte deshalb die Mittel weitgehend nur dazu verwenden, die von der alten Regierung eingegangenen Verpflichtungsermächtigungen abzudekken.
So sind, um ein Beispiel zu nennen, allein in der Titelgruppe 02 im Kap. 25 02, Förderung des Wohnungsbaues im Rahmen des Eigentumsprogramms, die Verpflichtungsermächtigungen für den Zeitraum ab 1981 auf nicht weniger als 17,23 Milliarden DM angewachsen bei einem Haushaltsansatz, der unter 500 Millionen DM liegt.
Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, wenn die politische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition sich weniger auf dem Gebiete des Haushalts als auf dem Gebiete der Wohnungsbaupolitik schlechthin abspielt. Deshalb
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Hauser
kann ich es mir auch ersparen, im Detail auf die Haushaltszahlen einzugehen, in denen, wie gesagt, wenig Bewegung war und zu denen ich im vergangenen Januar ausführlich Stellung genommen habe; ich kann darauf verweisen.
In der Wohnungsbaupolitik aber müssen wir feststellen, daß die seit Jahren zu beklagende Entwicklung des unzureichenden Neubaus von frei finanzierten Mietwohnungen sich fortsetzt. Sie setzt sich fort, weil ihre Ursachen anhalten: zu wenig Renditeerwartungen und zu viel Marktreglementierung.
Dafür ist der öffentlich geförderte Wohnungsbau weiterhin zum Preisführer im Wohnungsbau geworden. Während ein Teil der heutigen Mieter im sozialen Wohnungsbau inzwischen nach Gesetz und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht mehr gerechtfertigt preiswerte Sozialwohnungen den wirkenthält, erfahren sozial schwache Mitbürger vielfach nicht die Förderung, die der Zielsetzung des sozialen Wohnungsbaus entspricht und deren sie bedürfen. In Ballungsgebieten nimmt die Zahl der Wohnungssuchenden wieder zu. Insbesondere junge Familien stehen bei der Wohnungsbeschaffung vor immer größeren Schwierigkeiten.
Zusammenfassend ist folgendes festzustellen. Die Wohnungsbaupolitik befindet sich in einer Sackgasse. Nur die Mobilisierung bedeutender Kapitalien privater Natur kann die ausreichende Wohnraumversorgung in naher und ferner Zukunft sichern und die festgefahrene Wohnungsbaupolitik wieder in Bewegung bringen.
Dazu bedürfte es jedoch einer wesentlich stärkeren Einschaltung der Marktkräfte durch eine maßvolle Liberalisierung des Mietrechts. Dafür aber sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD, offenbar um keinen Preis zu gewinnen,
wie sich dies bei den Beratungen über die Novellierung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vor 14 Tagen einmal mehr deutlich gezeigt hat. Dort gab es ja Vorschläge, die Sie abgelehnt haben. Es war der Kollege Paterna, der namens der Fraktion der SPD bei der zweiten Beratung dieses Entwurfes des Bundesrates die Auffassung vertrat, die Forderung nach Auflockerung der Bindungen für öffentlich geförderte Wohnungen sei sachlich nicht begründet, und Sie seien auch gegen das Ziel, den Bestand an Sozialwohnungen allmählich in marktwirtschaftliche Verhältnisse zu überführen.
Ich will noch einmal ausdrücklich jeder bewußten oder unbewußten Fehlinterpretation vorbeugen. Nicht jeder Mieter kann oder will Eigentum an seiner Wohnung erwerben. Für die Mieter, für die die Mietwohnung Mittelpunkt ihres Lebens ist, bleibt der gesetzliche Schutz vor nicht gerechtfertigten Kündigungen unabdingbar. Meine Damen und Herren, das Mietrecht darf aber der Erzielung kostendeckender Mieten auf die Dauer nicht im Wege stehen.
Mit großem Interesse habe ich von den elf Thesen Kenntnis genommen, die die FDP am 15. November 1979 zur Wohnungsbaupolitik vorgelegt hat. Auch Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sind offenbar der Meinung, es sei an der Zeit, den Wohnungsmarkt schrittweise zu liberalisieren, was naturgemäß dazu führen muß, daß die Spaltung des Marktes in Sozialwohnungen mit Kostenmiete und frei finanzierte Wohnungen mit Vergleichsmiete langfristig überwunden werden muß.
Auch Sie neigen offenbar unserer Auffassung zu, der Staat solle eine angemessene Wohnungsversorgung durch die direkte Subjektförderung, insbesondere durch des Wohngeld, sicherstellen und die Objektförderung durch staatliche Baukredite auf soziale Zielgruppen konzentrieren. Nun denn, wir fordern Sie auf, diese Ihre zutreffenden Erkenntnisse mit uns gemeinsam zu verwirklichen. Geschieht dies nämlich nicht, dann wird in absehbarer Zeit eine katastrophale Situation im Wohnungsbau unvermeidbar.
Erstmals wurde im Haushaltsjahr 1980 mit der Förderung der Bauausstellung Berlin GmbH eine neue Position in den Bundeshaushalt aufgenommen. Wir befürworten den Gedanken, in der Tradition der großen internationalen Bauausstellungen in Berlin fortzufahren. Wir befürworten auch das Engagement des Bundes in dieser Einrichtung. Wir hätten es allerdings vorgezogen, wenn der Bund bereits in der Konzeptionsphase der internationalen Bauausstellung eingeschaltet worden wäre und von vornherein an der Gründung der GmbH beteiligt worden wäre. Einfluß und Interesse des Bundes hätten dann wirksamer gewahrt werden können. Wir warnen auch davor, einen Wasserkopf an Verwaltung mit einer Vielzahl hochdotierter Stellen aufzubauen. Wir erwarten, daß den Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses, die wir insoweit gemeinsam gefaßt haben, zur Beschränkung dieser Apparatur gefolgt wird.
Was das Ausbauprogramm des Bundes in Bonn angeht, so gebe ich der Erwartung Ausdruck, daß die Vorarbeiten für den Neubau von Bundestag und Bundesrat zügig weitergeführt werden. Es wäre wünschenswert, daß der Startschuß für diese bedeutende Baumaßnahme noch in dieser Legislaturperiode fiele.
Als Abgeordneter der Bundeshauptstadt, aber auch namens meiner Fraktion bringe ich ferner den Wunsch vor, daß die vor dem Abschluß stehenden Verhandlungen zwischen Bund, Land und Bundeshauptstadt über die Erneuerung des Vertrages zum Ausbau der Bundeshauptstadt zu einem guten Ende kommen.
Auf den Schriftwechsel, Herr Minister, den wir in
dieser Sache hatten, sowie auf die Berichterstatter-
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Hauser
gespräche und die Ausschußberatungen kann ich insoweit verweisen.
Auf die Bundesbaudirektion werden im Zusammenhang mit den neuen Großbauten — besonders in Bonn — hohe Anforderungen zukommen. Das zu erwartende Bauvolumen wird die bisherige Bautätigkeit an Bedeutung und Umfang weit überschreiten. Dafür bedarf die Bundesbaudirektion ausreichenden und qualifizierten Personals. Die negativen Erfahrungen, die beim Bau des Bundeskanzleramtes gemacht wurden, zwingen zu einer Überprüfung, ob die eingetretenen Fehler und die daraus resultierenden Schäden durch Mißmanagement, durch Personalmangel — —
— Frau Präsidentin, die rote Lampe leuchtet bereits. Eingedenk Ihrer Ermahnung von gestern abend bedaure ich sehr.
Es muß festgestellt werden, ob Mißmanagement, Personalmangel oder eine Mischung von beidem für diese Fehler oder Schäden verantwortlich ist. Falsch wäre es jedenfalls, das Personal der Bundesbaudirektion pauschal zu beschuldigen oder zu verurteilen.
Die Gesamtperspektive des Wohnungs- und Städtebaus ist negativ. Die Situation hat sich im vergangenen Jahr nicht verbessert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt daher den Etat des Bauministers ab.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Traupe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß es fast eine Zumutung ist, zu dieser späten Stunde noch über ein Thema zu sprechen, das an sich gar nicht kontrovers ist. Es amüsiert mich ein wenig, Herr Hauser, wenn ich daran denke, wie sachkundig wir miteinander diesen Haushalt beraten haben, auch im Haushaltsausschuß, und daß Sie ihn nun auf einmal wie viele andere ablehnen können.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die konjunkturelle Lage der Bauwirtschaft zur Zeit gut ist. Deshalb ist es haushaltspolitisch richtig, daß der Haushalt des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nur unterproportional wächst. Dies bedeutet nicht, wie Sie behauptet haben, daß wir in der Wohnungsbaupolitik kein Konzept haben, sondern daß wir uns dem anpassen, was Sie normalerweise immer besonders preisen. Wir versuchen nämlich, uns konjunkturgerecht zu verhalten, um dem kleinen Manne, der als privater Bauherr über gestiegene Baukosten und gestiegene Zinsen klagt, das Leben nicht auch noch durch ein großes öffentliches Wohnungsbauprogramm schwer zu machen. Das wissen auch Sie ganz genau, Sie verschweigen es nur.
— Wir kommen ja dazu, Herr Kollege, Moment.
Infolge der guten Arbeitsmarktlage stieg die Zahl der im Baugewerbe Beschäftigten im Jahre 1979 auf 1,25 Millionen Mitarbeiter, und noch immer werden Arbeitskräfte gesucht. Die Zahl der offenen Stellen betrug im September 29 000.
Erfreulicherweise ist in den beiden letzten Jahren das Ausbildungsplatzangebot erhöht worden. Noch haben aber viele Eltern Sorgen, ob diese Baukonjunktur anhält. Sie haben noch nicht den Mut, ihre Kinder in das Baugewerbe als Auszubildende hineinzuschicken.
Es muß unser aller Aufgabe in Bund und Ländern sein, uns auch in den nächsten Jahren um eine Verstetigung der Baukonjunktur zu bemühen. Ich weiß, daß das schwer ist, halte das aber für absolut notwendig und richtig. Gerade weil die private Nachfrage sowohl in Betrieben wie auch bei privaten Bauherren anhält, ist eine Zurückhaltung von Bund und Ländern im öffentlichen Wohnungsbau zur Zeit angebracht.
Im Bundesbauministerium und in meiner Fraktion wird jedoch nicht übersehen — und jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kolb —, daß wir auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus in den Ballungsräumen noch Bedarf haben. Bund und Länder sind zusammen mit den Kommunen aufgefordert, Lösungen zu finden, die aber nicht zu einer konjunkturellen Überhitzung führen.
Ich kann Ihnen deshalb überhaupt nicht zustimmen, wenn Sie behaupten, der Wohnungsbau befinde sich in einer Sackgasse. Weiterhin öffentlich geförderter Wohnungsbau über die jetzigen Maßnahmen hinaus würde zur Zeit den privaten Wohnungsbau verteuern. Das müssen wir sehen.
Ich verlange aber von Bund und Ländern, sowohl vom Bundesministerium wie auch von den einzelnen Ländern, daß sie sich Gedanken über Konzepte für den öffentlichen Wohnungsbau machen, da wir wissen, daß bis zu dem Moment, wo sie realisierbar sind, einige Zeit vergeht. Dies kann jedoch beim sozialen Wohnungsbau keineswegs nur eine Aufgabe des Bundes sein. Sie wissen, wir brauchen dabei immer die Länder. Dies muß Aufgabe von Bund und Ländern sein, damit wir möglicherweise in Zeiten, in denen die Baukonjunktur nicht so erfolgreich ist, etwas tun können, damit wir gleich etwas auf den Tisch legen können.
Ich kann heute allerdings nur vor dem teilweise sorglosen Umgang und vor dem Verkauf von So. zialwohnungen warnen.
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Frau Traupe
Die öffentliche Hand muß auch in der Zukunft Wohnungsfürsorge und Wohnungsvorsorge betreiben. Erfreulicherweise hat Herr Dr. Schneider in den letzten Haushaltsplanberatungen, die wir im Januar 1979 durchgeführt haben, wörtlich erklärt:
Der Wohnungsbau und der soziale Wohnungsbau bleibt auch für die CDU/CSU eine Daueraufgabe, und eine Daueraufgabe bedeutet auch, daß man sie verstetigen muß.
Ich meine aber, man sollte hier unterstreichen, daß die Wohnungsbaupolitik des Bundes in den letzten zehn Jahren überaus erfolgreich war.
— Warten Sie doch ab!
Leider waren am Freitag vor fast 14 Tagen nicht
mehr sehr viele im Plenum, sonst hätten sie von
eindruckenden Daten hören können.
Erstens. Für jeden vierten Haushalt ist in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik Deutschland neuer Wohnraum geschaffen worden. Für jeden vierten Haushalt!
Zweitens. Die durchschnittliche Wohnfläche pro fertiggestellter Wohnung stieg von 84 qm auf 102 qm an.
— Ich weiß nicht, ob sie nicht einmal einen kleinen Moment überlegen sollten, welches Land in Europa in den letzten zehn Jahren einen ähnlichen Fortschritt in der Baupolitik vorzuweisen hat.
— Ja, doch, das sollten Sie mir erst einmal vorrechnen!
Und schließlich: 61 % aller neuen Wohnungen haben heute fünf oder mehr Räume. Auch dies ist, glaube ich, ein Erfolg, auf den wir stolz sein können.
Altstadtsanierung, Modernisierung und Energieeinsparung wurden zu neuen langfristigen Schwerpunkten unserer Wohnungsbaupolitik. Lassen Sie mich zum Heizenergieeinsparungsprogramm einiges sagen. Sie haben es ja zunächst erschwert.
— Es ist eine Geschmacksfrage, ob Sie es verbessert haben. Wir hätten es jedenfalls ein volles Jahr früher beginnen können, wenn Sie uns nicht Schwierigkeiten bereitet hätten.
Über die Notwendigkeit dieses Programmes kann es ja wohl heute bei der aktuellen Lage im Energiebereich keinen Streit mehr geben. Der Einsparung von Heizenergie in Gebäuden kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, weil rund 40 % des gesamten
Energieverbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland auf die Beheizung von privaten und öffentlichen Gebäuden entfallen. Nachdem für neu zu errichtende Gebäude durch Vorschriften, die mit entsetzlichen Worten benannt sind — ich bin kein Baufachmann, aber ich will sie Ihnen nennen —, durch die Wärmeschutzverordnung und durch die Heizungsanlagenverordnung, weitgehende Bestimmungen geschaffen worden sind, die Sparmaßnahmen und eine sparsame Energieverwendung bezwecken, haben wir durch dieses Heizenergieeinsparungsprogramm geholfen, im Altbau- und im älteren Wohnungsbestand einiges zu schaffen.
— Moment! Wir haben von 1978 bis 1982 insgesamt Investitionshilfen — die steuerlichen Maßnahmen sind hier noch gar nicht dabei — von 2,34 Milliarden DM für Energieeinsparung zur Verfügung gestellt bzw. werden sie durch den Verpflichtungsrahmen zur Verfügung stellen. Dies ist — auch in diesem Haushalt — ein stattlicher Betrag. Mit diesen Förderungsmitteln können bei durchschnittlichen Kosten von 8000 DM pro Wohnung in fünf Jahren 1,2 Millionen Wohnungen renoviert oder verbessert werden. Dies ist natürlich nur ein Teil des gesamten Wohnungsbestandes, aber das ist ein enormer Erfolg.
Wenn ich mir nun vorstelle, was noch über Steuervergünstigungen erreicht worden ist, so muß ich Ihnen sagen: Diese Bundesregierung kann behaupten, daß sie hierin sehr erfolgreich war.
Die Überheblichkeit, mit der manche Leute meinen, daß es sich hier nur um ein Programm zur Modernisierung von Fenstern handelt, kann ich deshalb nicht nachvollziehen, weil das Ergebnis, nämlich daß tatsächlich Heizenergie eingespart wird, etwas Gutes ist.
Ich wünsche mir, daß auch auf dem Heizungssektor noch etwas mehr geschehen wird. Da kommt es aber auch auf die Aufklärung an.
Der Bundeswirtschaftsminister hat vorhin gesagt, daß er jetzt permanent danach gefragt wird, was man denn für die Energieeinsparung tun könne. Der Bundesbauminister kann eine noch längere Liste anführen. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, daß Sie mit Ihren Streichungsvorschlägen in der Drucksache 8/3474 ausgerechnet die Mittel für die Unterrichtung der Öffentlichkeit — einen Posten, der im Städtebauministerium erheblich niedriger als in vergleichbaren Ministerien angesetzt worden ist
— auch noch um 40 000 DM kürzen wollen. Hier können wir Ihnen wirklich nicht folgen. Sie hätten sich von Herrn Hauser darüber Auskunft geben lassen können, wie streng wir als Berichterstatter bei Steigerungsraten waren. Wir haben nämlich weder 1979 noch 1980 Steigerungsraten überhaupt erlaubt.
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Frau Traupe
Es muß an dieser Stelle über eine gute Wohnungsbaupolitik auch noch gesagt werden, daß wir immer wieder wegen unserer Städtebauförderungspolitik von Ausländern bewundert werden. Am 13. Dezember wird die Bund-Länder-Ministerkonferenz die Mittel des Städtebauförderungsprogramms 1980 verteilen. Es handelt sich dabei um das 10. Bund-Länder-Programm seit Inkrafttreten des Städtebauförderungsgesetzes im Jahre 1971. Das Datum spricht schon dafür, wer dieses Gesetz gemacht hat. Die Bedeutung der Stadterneuerung und ihrer Förderung hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Das finanzielle Engagement des Bundes hat die gewollte Anstoßrichtung nicht verfehlt. Im Interesse der Gemeinden ist in den letzten Jahren sehr viel gemacht worden, aber die Gemeinden sagen einem auch heute immer wieder: Führt dieses Programm unbedingt weiter, und sorgt dafür, daß ihr vielleicht in den nächsten Jahren noch mehr Mittel hineinstecken könnt! Der Bund hat immerhin seit 1971 Mittel in Höhe von 3,5 Milliarden DM für Zwecke der Städtebauförderung zur Verfügung gestellt.
700 Maßnahmen haben inzwischen Aufnahme in dieses Bund-Länder-Programm gefunden. Ich habe im letzten Jahr einige Beispiele für besonders gute, gelungene und notwendige Maßnahmen genannt.
In mehreren Bundesländern ist die erste Maßnahmengeneration abgeschlossen. Die Förderung der zweiten Maßnahmengeneration ist eingeleitet. Ich möchte alle Mitglieder des Bundestages sehr bitten, daß wir für dieses Programm in den nächsten Jahren noch mehr Mittel zur Verfügung stellen. Das ist etwas Sinnvolles, das außerdem auch Arbeitsplätze erhält und bringt, Herr Grobecker.
Neben der wesentlichen Aufgabe, unsere Städte und Gemeinden zu erhalten und zu erneuern, sowie die Wohnungen zu verbessern und das Wohnumfeld in besonders belasteten Gebieten wieder lebenswert zu gestalten, sollten wir — dies ist eine Mahnung an uns alle — uns um neue Formen des Wohnens bemühen. Dies gilt für den privaten wie für den öffentlichen Wohnbedarf; aber es trifft auch für öffentliche Bauten zu. Nicht nur Erprobung neuer Bautechniken, Wärme- und Schallschutztechniken sowie energieeinsparende Heizungssysteme sind wichtige Aufgaben, sondern wir sollten auch mit neuen Ideen für neue Bauweisen Mut machen.
Viele öffentliche Bauten — wir haben das in Berlin gerade hinter uns — bereiten uns heute Schrekken, weil vor lauter Funktionalität oftmals vergessen wurde, danach zu fragen, wie sich Menschen wohl darin wohlfühlen können.
Die Wohnungsbaupolitik der 80er Jahre kann deshalb nicht nur aus Sanieren und Modernisieren und dem Zubau des fehlenden Wohnungsbedarfs bestehen. Wir sind eine hochqualifizierte Industriegesellschaft, die sich auch um die Weiterentwicklung ihres modernen Bauwesens neue Gedanken machen kann und muß.
Industrie- und Bürobauten dürfen heute als moderne Bauten nicht noch inhumaner als frühere sein. Wir haben manchmal das Gefühl, daß die Architekten, die das erstellt haben, nicht daran gedacht haben, daß dort Menschen sechs oder acht Stunden ihren Dienst oder ihre Arbeit versehen müssen.
Nicht nur Großraumbüros, künstliche Beleuchtung und künstliche Belüftung sind negative Erscheinungen unseres modernen Bauens — und inzwischen auch als Energieverschwendung anerkannt — sondern auch die Verwendung vieler Baumaterialien trägt nicht dazu bei, daß man sich in solchen Bauten wohlfühlt. So widersprüchlich es klingen. mag, auch moderne Arbeitsplätze können unmenschlich sein, und darum haben wir uns auch zu kümmern.
Uns stellt sich auch die Aufgabe, über manchen modernen Bau der öffentlichen Hand nachzudenken.
Nicht weit von uns steht bekanntlich unser Abgeordnetenhaus, über dessen bauliche Unzulänglichkeit sich jeder von uns schon geärgert hat. Wir fragen uns manchmal, wo eigentlich unser Sachverstand war, als wir das geplant haben.
Seine Fehlerhaftigkeit nimmt uns heute etwas von dem nötigen Schwung, den wir eigentlich zum Neubau des Bundestages benötigten.
Die geplante Grundsteinlegung 1980 ist damit unrealistisch geworden, obwohl dies eine Absicht dieses Parlaments war und obwohl sich jeder darüber im klaren ist, daß wir hier in Raumnot sind. Das wissen die Geschäftsführer, die ihre Fraktionen untergebracht sehen, das weiß auch die Verwaltung.
— Ich spreche nicht vom Plenarsaal, sondern ich spreche von Bundesbauten. — Neben der baulichen Unzulänglichkeit, der Fehlerhaftigkeit beschäftigt uns heute noch die Furcht vor zu großen Baukörpern. Sie läßt uns über die Konzepte, die vorliegen, neu nachdenken.
Ganz besonders wichtig scheint es mir zu sein, daß wir über neue Konzepte im privaten Wohnungsbau, im öffentlichen Wohnungsbau und auch im gewerblichen Bauen nachdenken.
Hier wünsche ich mir — das sage ich, obwohl die Internationale Bauausstellung auch nicht mein gelieb-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15293
Frau Traupe
tes Kind ist —, daß wir von dieser Bauausstellung ein paar Ideen bekommen; das ist ihre Aufgabe.
— Der kommt ja wieder zurück, der macht das im Bauministerium hier. — Wir sollten uns darum bemühen, hier wirklich etwas zu tun.
Wir haben Ihnen immer gesagt — lassen. Sie mich ein letztes Wort dazu sagen —, daß die völlige Freigabe von Baulandpreisen dazu führen werde, daß es immer weniger Leuten leicht falle zu bauen, weil nämlich die Baulandpreise, die Quadratmeterpreise in vielen Gemeinden — nicht nur in Großstädten — heute Summen erreicht haben, die ein „normaler" Bauwilliger nicht mehr bezahlen kann.
Hier muß den Gemeinden geholfen werden,
überhaupt noch erschwingliches Bauland anbieten zu können.
Ich persönlich gehöre zu denjenigen, die sich darüber Gedanken machen. Ich bin der Meinung, daß wir Wohneigentum für breite Schichten der Bevölkerung besser schaffen können, wenn wir den Grund und Boden durch die Kommunen kaufen — das können sie nicht immer alle allein; da müßte man wahrscheinlich von Länderseite helfen —, und für den einzelnen Bauwilligen muß der Boden auf Erbbauzinsbasis verfügbar sein,
und nicht so, daß wir das, was wir nicht vermehren können, verkaufen mit der Problematik, daß wir es nicht wiederholen können.
Meine Damen und Herren, wir können der CDU/ CSU überhaupt nicht darin folgen,
daß sie diesen Haushalt ablehnt, hat sie ihn doch sachlich mitberaten. Wir können dem Bundesbauminister nur sagen: Da er jetzt sehr sparsam war, soll er darüber nachdenken
— der denkt schon, sehr klug sogar —, was in den nächsten Jahren an notwendigen Aufgaben geleistet werden muß. Dafür muß auch der Bundestag in Zukunft Mittel zur Verfügung stellen. Das kann nicht nur eine Länder-Sache sein, wie ja manche von Ihnen meinen.
Wir wollen über den Entschließungsantrag, den Sie zur Wohnungsbaupolitik vorgelegt haben, nachdenken. Das heißt, dies kann besser der Fachausschuß. Wir sind uns einig, daß er das tun sollte. Im übrigen stimmen wir diesem Haushalt natürlich zu.
Das Wort hat . der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hauser, Sie waren so nett unser wohnungspolitisches Konzept für die 80er Jahre gutzuheißen. Das ist nicht verwunderlich, Herr Kollege. Denn es ist von drei Kriterien gekennzeichnet: von ökonomischer Vernunft, von sozialer Verantwortung und von behutsamer Durchführung.
Herr Kollege Hauser, Sie sind selbstverständlich zur Mitarbeit eingeladen, wenn wir mit unserem sozialdemokratischen Koalitionspartner ein vernünftiges wohnungspolitisches Konzept verwirklichen.
Meine Damen und Herren, Bauen, Wohnen und Geld sind Begriffe, die zusammengehören. Man kann das in den Werbetexten der Wohnungswirtschaft, der Banken und der Bausparkassen nachlesen. Wenn also der Haushalt des Bundeswohnungsbauministers beraten wird und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diesen Haushalt zum wiederholten Male mit der Begründung einer fehlenden Konzeption ablehnen, dann ist es naheliegend, sich einmal den finanziellen Handlungsspielraum des Bauministers auf dem Hintergrund der im Wohnungsbau bewegten Finanzvolumina näher anzusehen.
Dabei können wir dann ruhig auch sogleich die entsprechenden finanziellen Leistungen der Länder und der Gemeinden in diesem Marktbereich in unsere Überlegungen mit einbeziehen.
Es ist, glaube ich, wichtig, diese Proportionen klarzustellen, weil im Rahmen der vieldiskutierten Neuorientierung der Wohnungspolitik der finanzielle Beteiligungsrahmen des Staates so bescheiden ist und bleiben muß, daß vor Aufrechterhaltung oder Stärkung von Anspruchsdenken mit entsprechender Erwartungshaltung dringend gewarnt werden muß, und weil andererseits die von uns herausgestellte Betonung des marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens für jede Neuorientierung der Wohnungspolitik nicht irgendeinem ideologischen Denkansatz, sondern schlichter ökonomischer Vernunft entspringt.
15294 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Gattermann
Im Jahre 1978 wurden laut dem Statistischen Handbuch der Bundesregierung für 414 175 Wohnungseinheiten mit einem veranschlagten reinen Baukostenaufwand von 58,987 Milliarden DM Baugenehmigungen erteilt. Das entspricht durch- schnittlichen reinen Baukosten pro Wohnungseinheit von 150 000 DM. Berücksichtigt man den Bodenwert und die Baunebenkosten, so greift man eher zu niedrig als zu hoch, wenn man von durchschnittlichen Produktionskosten pro Wohnungseinheit von 200 000 DM ausgeht.
Der finanzielle Handlungsrahmen des Bundesbauministers im sozialen Wohnungsbau beider Förderungswege beläuft sich auf rund 1,5 Milliarden DM. Das sind ganze 1,8 %, ich wiederhole: 1,8 % der für die Wohnungsneubauproduktion benötigten Finanzvolumina.
Nimmt man den entsprechenden Aufwand der Länder hinzu — ich habe hier nur die Zahlen von 1977 schnell greifen können —, dann sind das noch einmal ca. 4 % des Finanzbedarfs für die Neubauproduktion.
In der öffentlichen Diskussion wird nun, wenn auch nicht für den Bundes- oder die Landesminister gezielt verfügbar, als staatliche Leistungsreserve im Rahmen des sogenannten Wohnungsbudgets auf die Steuerausfälle durch die Sonderabschreibung gemäß § 7 b Einkommensteuergesetz hingewiesen, die laut Subventionsbericht der Bundesregierung 1980 4,1 Milliarden DM ausmachen werden.
Bezieht man die steigende Tendenz dieser Steuerausfälle ebenso in seine Überlegungen ein wie Steuerausfälle aus der degressiven Abschreibung nach § 7 Abs. 5 EStG, dann hat man ein Steuerausfallvolumen von rund 5 Milliarden DM. Das wären dann auf derselben Rechnungsebene noch einmal rund 6% des Finanzbedarfs für den Neubau — wenn es sich insoweit wirklich um dispositionsfähige Subventionen handeln würde!
Wir sollten einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob diese Steuerausfälle in vollem Umfang wirklich noch den Titel Subvention verdienen.
Diese Frage mag auf den ersten Blick ein bißchen provokativ klingen. Sie ist es aber jedenfalls dann nicht mehr, wenn man sie auf Sonderabschreibungen für Neubauten bezieht. Bei Produktionskosten von 200 000 DM und einem Mietniveau, das günstigstenfalls 50 bis 60, manchmal 70% — je nach Region — der betriebswirtschaftlich und steuersystematisch sauber ermittelten Kosten erbringt, sind Verluste zwangsläufig, mindestens auf eine Anzahl von Jahren. Verluste aber wirken — wiederum steuersystemgerecht —, bei welcher Einkunftsart auch immer, steuermindernd. Das haben Verluste so an sich.
Deshalb frage ich: Ist die steuerliche Wohltat der Nutzungswertbesteuerung bei Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen nach § 21 a Einkommensteuergesetz mit der Begrenzung des Verlustabzugs wirklich noch eine Wohltat?
Oder wirkt dies nicht mindestens in den soeben genannten ersten zehn Jahren nach Bauerstellung zwischenzeitlich eher in die entgegengesetzte Richtung? Ist die Sonderabschreibung auf einen Teil der Herstellungskosten — das ist hier der Höhe nach begrenzt — unter diesem Gesichtspunkt nicht eher so etwas wie ein gerechter Ausgleich und nicht eine Subvention?
Meine Damen und Herren, ich bitte, einmal ernsthaft hierüber nachzudenken, denn ich habe das hier angeführt, um zu belegen, daß es nicht nur politische Gründe sind, die es sehr zweifelhaft machen, ob diese 5 Milliarden DM wirklich eine finanzielle Handlungsreserve des Staates sind.
Ich will hier wegen der Kürze der Zeit den ganzen Bereich der Modernisierung und der Durchführung energiesparender Maßnahmen einmal ausklammern und in Zusammenhang mit der Frage „was ist an Wohnungsbudget verfügbar, worüber kann man in der Zukunft nachdenken?" auch noch die Leistungen des Staates für die Bausparförderung nennen, sei es als Wohnungsbauprämie oder seien es Steuerausfälle aus Sonderausgabenabzug. Jenen 1,8 Milliarden DM — das wären dann wiederum 2 % der für Neubauten benötigten Finanzvolumina —, die Bund und Länder im Jahre 1980 für Wohnungsbauprämien zahlen werden, spreche ich den Charakter einer finanziellen Handlungsreserve nicht ab. Nur: Ich persönlich sehe keinen vernünftigen Grund, warum diese staatlichen Hilfen bei der Ansammlung von Eigenkapital innerhalb der engen Einkommensgrenzen, die hier ja bestehen, für ein anderes Förderinstrument eingesetzt werden sollten. Dies ist exakt ein Punkt — Herr Kollege Biedenkopf hat heute nachmittag die Liebenswürdigkeit gehabt, mich in ähnlichem Sinne anzusprechen, wie es Herr Hauser soeben getan hat —, über den ich mich wahrscheinlich heftigst mit Herrn Professor Biedenkopf streiten würde.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang über jene 690 Millionen DM an Steuerausfällen, die aus der Absetzung von Sparbeiträgen zur Bausparkasse resultieren, zu sprechen, würde ich für steuerpolitischen Dilettantismus halten. Denn würde man die Abzugsfähigkeit von Bausparraten im Rahmen der Sonderausgaben nicht mehr zulassen, dann würden die Bürger unseres Landes selbstverständlich die Sonderausgabenhöchstbeträge anderweitig ausnutzen, so daß nicht eine einzige Mark mehr in die Kasse des Finanzministers fließen würde.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15295
Gattermann
Ich resümiere: Der finanzielle Handlungsrahmen des zuständigen Ressortministers und des Staates überhaupt ist verhältnismäßig eng. Ich merke an, daß angesichts der Haushaltslage, wie sie sich für 1980 darstellt und wie sie sich unter dem Konsolidierungsgedanken wahrscheinlich auch noch in den Folgejahren darstellt, eine nennenswerte Ausweitung dieses finanziellen Handlungsrahmens kaum möglich sein wird.
Ich stelle weiter fest, daß die vorhandenen Mittel von dem Ressortminister richtig und vernünftig eingesetzt werden, da sie nämlich fast ausnahmslos Eigentumsmaßnahmen und dem Mietwohnungsbau für soziale Zielgruppen zufließen. Dies ist die einzig vernünftige Verwendung der vorhandenen Mittel.
Meine Damen und Herren, unter diesem Aspekt vermag ich in dem vorliegenden Haushaltsplan 1980, was die Investitionsförderung betrifft, nicht den geringsten Anhaltspunkt für Kritik zu finden.
Über die Notwendigkeit und die Effektivität der im Rahmen des Wohngeldgesetzes eingesetzten Mittel brauche ich kein Wort zu verlieren, denn wenn ich es richtig sehe, erkennt auch die Opposition dies an, da das Wohngeldgesetz ein wichtiges und entscheidendes Förderinstrument der Zukunft ist.
Auch in den übrigen Ansätzen für das Haus selbst, für seine Bediensteten und für Zuschüsse an entsprechende Institutionen und Einrichtungen sehen wir keine Anhaltspunkte für Kritik.
Ich möchte aber abschließend noch einige Bernerkungen zur Bauforschung machen. Ich habe mich, wie Sie gemerkt haben, zu den Produktionskosten und der Ertragssituation des Wohnungsmarktes geäußert. Ich will dies um die Feststellung ergänzen, daß die Entwicklung der Produktionskosten einerseits und die Entwicklung der Einkommen andererseits keine besonders erfreulichen Perspektiven aufzeigen, keine erfreulichen Perspektiven für die Wohnungsversorgung, für das Angebot, für die Bereitstellung von Wohnungen durch den Markt und auch keine erfreulichen Perspektiven für die Möglichkeit unserer Bürger — der breiten Schichten der Bevölkerung —, diese tatsächlich auf sie zukommenden Wohnkosten ohne Hilfe zu zahlen.
Diese Perspektiven sind nicht erfreulich, und ich sehe im Augenblick auch noch keinen Trend, der darauf hinweist, daß die Schere zwischen Einkommen und Wohnkosten nicht weiter auseinanderlaufen könnte.
Diese Feststellungen zwingen den zuständigen Ressortminister und zwingen die Bundesregierung nach meiner Auffassung u. a. zu einer Konzentration auf die Fragestellung: Begrenzung des Kostenanstiegs durch Rationalisierung. Angesichts der zuweilen altväterlich anmutenden Produktionsmethoden und angesichts des zum großen Teil klein- und mittelständisch strukturierten Bauhaupt- und Ausbaugewerbes ist hier der Staat in der Rationalisierungsforschung gefordert.
Meine Damen und Herren, wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der entsprechende Etatansatz im Haushaltsplan 25 von 6 Millionen DM auf 9,5 Millionen DM aufgestockt wurde. Wir haben auch mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß im Einzelplan 09 der Bundesminister für Wirtschaft erstmalig für vergleichbare Forschungszwecke 600 000 DM ausgewiesen hat. Wir haben schließlich auch mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der entsprechende Ansatz im Etat des BMFT von rund 22 Millionen DM wieder auf 24 Millionen DM aufgestockt worden ist. Wir reklamieren allerdings, daß diese Mittel mittelfristig nicht ausreichend sind, daß hier schon ab 1981 ein höherer Mitteleinsatz erforderlich werden wird. Wir stellen die Frage, welche Möglichkeiten der Konzentration oder Koordination bei dieser mehrfach angegangenen Rationalisierungsforschung es wohl gibt. Wir bitten die Bundesregierung, darüber einmal nachzudenken.
Wir melden unsere Forderung an, daß Forschungsergebnisse mit Rationalisierungswirkung auch dann jedermann frei zugänglich sein müssen, wenn die Forschung von Privatunternehmen mit staatlicher Förderung betrieben wird.
Ich komme zum Schluß. Begrenzte staatliche Mittel, unzureichende Privatinvestitionen, steigende Komfort- und Wohnflächenansprüche, überproportional steigende Produktions- und Bewirtschaftskosten, und dies bei ausgeprägter Erwartungshaltung und ausgeprägtem Besitzstandsdenken, kennzeichnen die Situation. Der Einzelplan 25 bietet kein Patentrezept. Im Rahmen der begrenzten Mittel und im Rahmen der begrenzten Zuständigkeiten gibt er indes für die finanziellen Förderungsmöglichkeiten des Bundes die optimale Teilantwort.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion stimmt dem Haushalt zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich einige Bemerkungen vorausschicke, zunächst an Sie, Frau Kollegin Traupe. Sie haben Ihre Rede mit einem vorzüglichen Charme gehalten. Ihre Sprache war ganz in Lyrik gehalten. Ich habe aber
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Dr. Schneider
den Eindruck, daß die Sache selbst eine etwas herbe Epik, eine geradezu kafkaeske Epik verdienen würde; denn das Thema, um das es heute und jetzt geht, ist durchaus herb und verdient auch eine solche Sprache.
Erinnern wir uns: Seit nunmehr 13 Jahren tragen Bundesminister, die der sozialdemokratischen Partei Deutschlands angehören, die Ressortverantwortung für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Aber ihre wohnungspolitische Bilanz ist mager, die Perspektiven für die 80er Jahre sind dunkel und traurig, Hoffnungen wurden enttäuscht, Versprechungen gebrochen.
Wie Hohn klingt dagegen die SPD-Parole, ihre Politik garantiere die Sicherheit für die 80er Jahre.
Für die Wohnungspolitik stimmt das ganz sicher nicht.
Ich will das begründen. Noch niemals war die Schere zwischen Kostenmiete und Bewilligungsmiete so weit geöffnet wie heute.
Noch niemals war der soziale Wohnungsbau so unsozial und so familienfeindlich wie heute.
Zu keiner Zeit war die Wohnungswirtschaft so unrentabel wie heute.
Zu keiner Zeit war die Wohnungspolitik mit soviel Hypotheken, Fehlentwicklungen, sozialwidrigen Besitzständen und brennenden Problemen belastet wie heute.
Die Baubilanzen im freifinanzierten und sozialen Wohnungsbau beweisen es. Seit Jahren haben wir Defizite im Neubau zu registrieren. Die Wohnungsnotfälle in den Ballungsgebieten wachsen bedrohlich an. Der neue Präsident des Deutschen Mieterbundes, unser Kollege Jahn, hat vor wenigen Tagen erklärt, es fehlten 500000 Wohnungen in unserem Lande. Allein die heutigen Tageszeitungen — ich nehme nur eine heraus, könnte aber sieben zitieren —, berichten etwa wie die Süddeutsche Zeitung: „Wohnungsnot wird immer drückender. Allein in München fehlen 16000 Wohnungen", Wohnungsnotfälle wohlgemerkt. In Köln lautet die aktuell auf den Tag bezogene Zahl 19 000.
Die Bundesregierung hat auf all diese drängenden und brennenden Fragen keine Antwort. Ihre Thesen zur Wohnungs- und Städtebaupolitik sind nichts anderes als Analysen, beschönigende Beschreibungen der gegenwärtigen Verhältnisse. Eine Politik, die fortwährend nur reagiert, statt zielgerichtet zu handeln, gerät gegenüber den Notwendigkeiten der
Zeit mehr und mehr in Verzug, sie wird überständig, wirklichkeitsfremd, unsozial und reaktionär.
Das Recht auf eine angemessene familiengerechte Wohnung ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht, das im Rahmen der Sozialstaatlichkeit nach unserer Verfassung zu verwirklichen ist. Ich möchte aber auch feststellen, es ist zunächst Sache des einzelnen Bürgers, sich selbst nach Maßgabe seiner persönlichen Umstände und Verhältnisse um eine angemessene Wohnung zu kümmern. Aber nicht alle Familien sind dazu in der Lage. Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden auch in Zukunft mit zielgerichteten Programmen und mittels fortentwikkelter rechtlicher Instrumentarien für die Wohnungsversorgung der Bevölkerung eintreten.
Wohnungspolitik muß als integraler Bestandteil der Familien- und Vermögenspolitik gewertet werden. Ihre sozialpolitischen und steuerpolitischen Aspekte sind stets zu berücksichtigen.
Die Erfahrungen von gestern sollen dabei nicht außer Betracht bleiben. Meines Erachtens haben sie gelehrt, sozialer Wohnungsbau kann nur auf der Grundlage einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft gedeihen.
Diese soziale Wohnungsmarktwirtschaft schließt den sozialen Wohnungsbau nicht aus, sie macht ihn erst sozial und sichert ihn auf Dauer. Was ökonomisch nicht schlüssig ist, kann auf Dauer sozial nicht von Bestand sein.
Die Bundesregierung, SPD und FDP, scheuen sich, die Frage zu stellen: Wo verläuft die Grenze der Mieten-Einkommen-Relation? Wieviel von seinen verfügbaren Familieneinkommen darf vom Mieter für das Wohnen verlangt werden? Meine Damen und Herren, wir müssen diese Frage um so nachhaltiger stellen, als sich das öffentliche Förderungsvolumen gegenwärtig, alles in allem zusammengenommen, auf etwa 20 Milliarden DM jährlich beläuft. Dabei ist am beklagenswertesten — das hat Herr Bundesminister Haack mehrfach auch öffentlich zugegeben; insbesondere Expertisen aus seinem Hause bestätigen dies —, daß nur ein relativ geringer Teil des gesamten Förderungsvolumens auf die Zielsetzung ausgerichtet ist, die Wohnverhältnisse wirtschaftlich und sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Die Bundesregierung hat diesen Befund — wie gesagt — wiederholt selbst festgestellt.
Frau Kollegin Traupe hat uns einen Frühlingsmorgen in den Saal gezaubert: „noch ein Weilchen, und die Welt steht in Veilchen". Was ist die Wirklichkeit? Der Stundenverrechnungssatz für die Maurerstunde beträgt 39 DM. Wir haben zwar einen sozialen Wohnungsbau, aber es gibt nicht den Sozialmaurer; denn wer mauert, verlangt den Stundenlohn, den die IG Bau, Steine, Erden dafür ausgehandelt hat. In München ist davon auszugehen — ich könnte auch Köln und Düsseldorf nennen —, daß im sozialen Wohnungsbau bei einer Mietobergrenze
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Dr. Schneider
von 4,60 DM und Herstellungskosten von 2 400 DM je Quadratmeter der Förderaufwand des Staates für eine 70 qm große Wohnung 140000 DM beträgt. Bei einer Erhöhung der Mietobergrenzen um eine DM verringert sich der Förderaufwand um ganze 11 000 DM. Ein Reihenhaus ist in den Ballungsgebieten nicht mehr unter 350 000 DM zu bekommen,
in München nicht unter 450 000 DM. Bei der herkömmlichen Finanzierung eines solchen Objektes beträgt die monatliche Belastung unter Einrechnung des 7b-Effektes und der höchstmöglichen Förderung von 4 DM je Quadratmeter und Monat im Regionalprogramm 1856 DM monatlich. Bei einem zugrundegelegten Eigenkapital von 20 % machen die Vorsparleistungen immerhin 70 000 DM aus. Das Nettoeinkommen eines im Regionalprogramm begünstigten Vierpersonenhaushalts mit 40 % über den maßgeblichen Einkommensgrenzen beträgt demgegenüber gegenwärtig 3 150 DM, so daß bei dieser Belastung für den sonstigen Lebensunterhalt noch 1 269 DM verbleiben. Die Wohngeldförderung bringt hier keinerlei Hilfe, da die Einkommensgrenzen für einen Vierpersonenhaushalt bei 1 860 DM enden. Bei einem förderungsfähigen Miethöchstbetrag von 560 DM bei diesem Haushalt beträgt die Wohngeldleistung nur 9 DM.
Meine Damen und Herren, das muß man vor Augen haben, wenn man realistisch, sachbezogen, wirklichkeitsnah heute über Wohnungspolitik spricht.
Die Wohnungspolitik der Bundesregierung gefährdet vor allem auch ihre anspruchsvollen städtebaulichen modernisierungspolitischen und umweltrelevanten Ziele. Die Bundesregierung will ernsthaft gar keine Änderung der Wohnungspolitik. Ihr fehlt der Wille zu einer neuen Politik. Andernfalls hätte sie längst mit Unterstützung der CDU/CSU ein wohnungspolitisches Gesamtprogramm, ein Reformprogramm vorgelegt.
Hier würde in Wahrheit das Wort ,,Reformprogramm" gelten; denn hier gilt es wirklich, etwas zu reformieren, der Zeit anzupassen.
Die Bundesregierung hat sich im mietrechtlichen Bereich bisher gegen alle notwendigen Korrekturen gesperrt. Gegen eigene bessere Einsicht und gegen den Protest aller Fachleute hat sie alle Verbesserungsvorschläge zurückgewiesen. Beim Bausparen werden junge Menschen benachteiligt und Familien mit Kindern unzulänglich gefördert. Die Vorschläge zur Energieeinsparung und zur Lärmbekämpfung sind unausgewogen, widersprüchlich und hinsichtlich ihrer Finanzierbarkeit höchst fragwürdig.
Die Fraktion der CDU/CSU hat für die dritte Lesung einen Entschließungsantrag vorgelegt; ich darf ihn noch kurz begründen und unsere Forderungen verdeutlichen.
Die Wohnungspolitik muß sich in Zukunft schwerpunktmäßig ausrichten auf die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum in funktionsfähigen Städten und Gemeinden — d. h., wir denken an die Bereitstellung der notwendigen Einrichtungen des öffentlichen Gemeingebrauchs und des sozialen wie kulturellen Gemeinbedarfs; Kommunalpolitik ist zu einem wesentlichen Teil auch immer Wohnungs- und Städtebaupolitik —,
die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland durch Maßnahmen der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung, die Bereitschaft der Städte und Gemeinden, rechtzeitig und angemessen neues Bauland auszuweisen und zu erschließen. Ich weiß, daß dies nicht in allen Städten möglich ist, beispielsweise nicht in Berlin.
Hier möchte ich ein Wort zum Ausbau der Bundeshauptstadt und zu den Neubauten für Bundestag und Bundesrat sagen. Sie wissen, die Fraktion der CDU/CSU steht diesen Plänen aufgeschlossen gegenüber. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß für uns ein Ja zum Neubau von Räumen für Bundestag und Bundesrat nicht ein irgendwie geartetes politisches oder geschichtliches Nein zu Berlin bedeutet. Für uns ist Berlin nach wie vor die deutsche Hauptstadt und Bonn nur die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.
Die Wohnungspolitik muß sich auf die Überwindung regionaler und sektoraler Disparitäten am Wohnungsmarkt besonders in Verdichtungsräumen richten, und, was ganz wesentlich ist, sie muß sich richten auf die Wiederherstellung wirtschaftlich vernünftiger, sozial ausgewogener Chancengleichheit zwischen Mieter und Vermieter durch Abbau überholter gesetzlicher Bindungen, Verfügungs- und Nutzungsbeschränkungen, durch Lockerung behördlicher Eingriffslenkungen und durch Verstärkung marktwirtschaftlicher Steuermechanismen.
Sie muß sich auf die Sicherung von tragbaren Mietbelastungen durch rechtzeitige Wohngeldanpassungen richten. Der beabsichtigten Wohngeldanpassung 1981 werden wir zustimmen, wobei wir davon ausgehen, daß die auch im Dritten Familienbericht der Bundesregierung beklagten Unzulänglichkeiten beseitigt werden. Sie muß sich schließlich auf die Rückkehr privater Anleger an den Wohnungsmarkt für Maßnahmen der Stadtsanierung durch eine zumindest mittelfristige Verbesserung der Rentabilität richten.
Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau muß künftig in die allgemeine Wohnungswirtschaft eingebunden und so neu gestaltet werden, daß öffentliche Hilfen gezielter und sicherer den bedürftigen Bevölkerungsschichten zugute kommen, jungen und kinderreichen Familien aus-
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Dr. Schneider
reichenden Wohnraum sichern, sozialwidrige Besitzstände beseitigen,
Hilfe zur Selbsthilfe gewähren und frühzeitiger zur Eigentumsbildung anregen, die Mietbelastung in ein sozial vertretbares und wohnungswirtschaftlich sinnvolles Verhältnis zu den übrigen Aufgabengruppen bringen, die wohnungswirtschaftlichen Fehlentwicklungen — Unterbelegung, Fehlbelegung, Mietpreisverzerrung, förderungsbedingte Mietpreissteigerungen usw. — stufenweise abbauen, die Wohnungsmodernisierung und den Wohnungsneubau langfristig verstetigen,
die wohnungspolitischen Ziele mit den Notwendigkeiten des Städtebaus besser harmonisieren, das Preis- und Leistungsgefälle zwischen dem öffentlich geförderten und dem frei finanzierten Wohnungsbau angemessen ausgleichen, den Ausgleich des Qualitätsgefälles zwischen neuen und alten Wohngebieten fördern.
Meine Damen und Herren, alle Förderungsmaßnahmen müssen so angelegt werden, daß sie nicht schon von vornherein sozial unerwünschte und wirtschaftlich schädigende Fehlentwicklungen vorausprogrammieren. Eine neue Wohnungspolitik muß dem entschädigungslosen Substanzverzehr in den Altbaubeständen ein Ende machen. Das heißt freilich nicht, daß der Staat als Mietausfallkasse mißbraucht wird. Der Gesetzgeber darf dem Vermieter mittels des positiven Rechts den Anspruch nicht verwehren, kostendeckende Mieten zu verlangen.
— Ich darf Ihnen sagen: Wenn meine Rede so gut war, daß sie sofort in der Fachzeitschrift abgedruckt werden kann, dann ist sie bestens qualifiziert.
Wenn Sie gut zugehört haben, dann haben auch Sie der SPD Ihr wohnungspolitisches Bildungsdefizit ausgeglichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat zwei Anträge vorgelegt, einen zur zweiten Beratung. Da geht es um die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Dazu hat niemand gesprochen. Das war wohl nicht so ganz ernst gemeint.
Das lehnen wir sowieso ab.
Dann gab es einen Antrag zur dritten Lesung, der gerade auch vom Kollegen Dr. Schneider zum Teil erläutert worden ist. Diesen Antrag werden wir zur Überweisung an den zuständigen Ausschuß vorschlagen. Dieser Antrag hat einige interessante Formulierungen und, freundlich ausgedrückt oder weniger freundlich ausgedrückt, einige Plattitüden. Er spricht eigentlich die Gesamtproblematik Städtebau- und Wohnungspolitik in jeder Beziehung an. Er bringt zum Ausdruck, es möge alles doch viel besser werden, als es bisher schon ist. Da wird davon gesprochen, daß neu zu ordnen ist, daß ein neues Konzept auf den Tisch muß, da wird davon gesprochen, daß aufeinander abgestimmt werden muß. Da wird davon gesprochen, daß Mittel „verstetigt" werden müssen. Zu diesen Punkten will ich nun schon einige Dinge sagen, damit einmal deutlich wird, was eigentlich die Schwäche Ihrer ganzen Argumentation und auch dieses Entwurfs ist.
Sie formulieren so vorsichtig um die eigentlichen Probleme herum, daß die Zielkonflikte, die im Wohnungs- und Städtebau da sind, überhaupt nicht deutlich werden.
Worum geht es denn in des Städten, um auf den Städtebau zu sprechen zu kommen? Weshalb entstehen diese Probleme in unseren großen Städten?
Da ist der Punkt Nr. 1, die Explosion, der hohe Anstieg — wenn man so will — der Bauland- und der Baupreise.
Dieses ist vielleicht das große historische Versäumnis in dieser Republik überhaupt, daß es nichts gibt, das Bodenrecht so zu praktizieren, daß jede Art Bodenspekulation, verehrter Herr Kollege Niegel — auch für Sie mit gesprochen —, unmöglich ist. Weshalb ist denn die Schwierigkeit in den Städten und Gemeinden da, daß nicht gebaut werden kann, nicht im Eigenheimbau und nicht im Mietwohnungsbau? Doch unter anderem auch deshalb, weil die Bodenpreise jeder realistischen und jeder finanzierbaren Größenordnung davongelaufen sind.
Dann gibt es das Problem Nr. 2, nämlich den Steuereffekt der insgesamt eingesetzten Mittel. Ich habe mir das einmal herausgesucht. Da wird deutlich, daß aus dem Programm Energiesparen oder aus dem 7 b oder aus der Modernisierung ungefähr 10 bis 20 bzw. 25 % der Mittel in die wirklich schlechten Quartiere fließen, in die, die dringend modernisiert werden
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15299
Müntefering
müssen, daß aber all die anderen Mittel in die mittelguten oder guten Quartiere fließen. Dies ist etwas, was der Kollege Gattermann vorhin in seinem Beitrag angesprochen hat, eine überlegenswerte Sache, die man auch aus dem Antrag der CDU/CSU herauslesen kann als Problematik, aber ohne daß von Ihnen aufgezeigt wird, in welcher Weise dies denn eigentlich verändert werden könnte, verändert werden sollte.
Es gibt einen dritten wichtigen Punkt, der dazu führt, daß unsere Städte mit diesem Problem zu kämpfen haben. Das ist das Problem des Wohnumfelds. Das ist die Frage, wie belastet die Wohnungen in unseren Städten und Gemeinden sind und was getan werden kann und muß, um sie für die Menschen wieder attraktiver und wohnlicher zu machen.
Da gibt es einige gute Ansätze im Zusammenhang mit anderen Ministerien, zum Beispiel mit dem Verkehrsminister. Da ist der Ansatz, hier für Verkehrsberuhigung die rechtlichen und gesetzlichen Möglichkeiten zu schaffen und so den Gemeinden Gelegenheit zu geben, wieder intensiver in ihrem Kern und da, wo die Menschen wohnen, zu planen.
Das sind drei Probleme, um einige wenige aufzuzählen, die eine Rolle spielen, wenn es darum geht, für die Städte wieder mehr Rückenwind zu geben, ihnen die Verbesserung ihrer Wohnbereiche zu ermöglichen.
Nun sprechen Sie davon: Die Dinge müssen aufeinander abgestimmt werden. Das wäre z. B. interessant gewesen beim Heizenergiesparprogramm. An diesem Punkt will ich Ihnen das einmal deutlich machen. Ja, wie kommt das denn, daß heute draußen die Menschen Schlange stehen nach diesen Zuschüssen, die aus diesem Programm herauskommen? Zum Teil doch daher, daß sie die Hälfte der Mittel, die zur Verfügung standen — letztendlich dann auch mit unserem Einverständnis, nachdem das nicht zu umgehen war —, über den steuerlichen Teil abfließen lassen,
und da auf der anderen Seite genau die, die eigentlich bedürftig sind, die das Geld eigentlich brauchen, dann in den Kreisen und Städten dastehen und keine Mittel mehr bekommen. Wenn es darum geht, das aufeinander abzustimmen — lassen Sie mich das noch sagen, Herr Kollege Dr. Jahn —, gehört vielleicht auch dazu, daß wir uns dann, wenn wir dieses Programm betreffend Einsparung von Heizenergie in irgendeiner Weise über 1982 hinaus — und das wird ja nötig sein — fortentwickeln, einmal Gedanken darüber machen, wie man dieses Programm z. B. auf eine vernünftige Städtebaupolitik abstimmt, in dem Sinne, wie Sie es in Ihrem Antrag vielleicht verstanden haben, vielleicht aber auch nicht verstanden haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?
Herr Kollege Müntefering, sind Sie bereit, zuzustimmen, daß eine steuerrechtliche Lösung für den Bürger deshalb besser ist, weil er dadurch einen Rechtsanspruch bekommt, sich langfristig auf die Modernisierungsmaßnahme einstellen kann und damit auch ein Beitrag zur Verstetigung des Baugeschehens, wie Kollegin Traupe gesagt hat, erfolgt?
Gut! Ich habe doch auch nicht gesagt, daß eine steuerliche Lösung grundsätzlich schlecht ist. Ich habe nur gesagt: Wenn man über gezielten Städtebau spricht und die Probleme lösen will, muß man sich dazu bekennen, daß es Zielkonflikte gibt und das wir die Dinge irgendwie auf einen Nenner bringen müssen. Wenn man dann, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, schreibt, daß die Dinge aufeinander abgestimmt werden müßten, müßte man sich dazu bekennen, ob die Abstimmung so erfolgen soll, daß diese Maßnahme die sozial Schwächsten trifft, oder so, daß sie vielleicht in bestimmten Stadtgebieten, in bestimmten Modernisierungsgebieten eingesetzt bzw. nicht eingesetzt werden kann. Dazu muß man sich bekennen. Es war mein Ansinnen, dies zu verdeutlichen. Ich wollte Ihnen sagen: So einfach mit den schönen, runden Überschriften, wie Sie sie hier geliefert haben, sind die Probleme des Wohnungs- und Städtebaus in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht zu lösen.
Ich will noch ein Wort zu der Forderung sagen, das Baugeschehen zu verstetigen. Die Städtebauförderungsmittel sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, in den letzten zwei Jahren von 180 Millionen auf 260 Millionen DM. Wir sehen allerdings das Problem auf uns zukommen, daß im übernächsten Jahr das Zukunftsinvestitionsprogramm auch aus der Abwicklung verschwindet und dann ein gewisses Loch entsteht. Ich bekenne mich dazu, die Lösung dieses Problems im nächsten Jahr in Angriff zu nehmen; denn Verstetigung heißt, daß man rechtzeitig an die Probleme herangeht und überlegt, wie denn dafür gesorgt werden kann, daß in diesem Bereich — aus konjunkturellem Interesse, aber insbesondere auch im Interesse des Städtebaus und des Wohnungsbaus — keine Lücke entsteht.
— Wir werden schon rechtzeitig herangehen, verehrter Kollege Niegel, und dafür sorgen, daß die Programme fortgeschrieben werden.
Ich will positiv anmerken, daß sich einige Bundesländer zunehmend mit ihren Bemühungen verdient machen, eigene Anteile für den Bereich des Städtebaus aufzubringen. Das gilt für Baden-Württemberg und noch stärker für Nordrhein-Westfalen. Ich finde, dies ist ein Ansatz, der von uns mit bedacht werden muß. Dieser Ansatz muß auch im weiteren Verlauf der Diskussion über eine gezielte Städtebaupolitik mit bedacht werden. Ich wollte Ihnen hiermit deutlich machen, daß wir bereit sind, im Ausschuß darüber zu diskutieren. Bitte bereiten Sie sich aber darauf vor, uns einmal zu erläutern, wie denn die
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Müntefering
Ziel- und Interessenkonflikte, die da sind, besser aufgelöst werden können.
Zu dem Bereich des Ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gehört der Bereich der Raumordnung, weniger in Mark und Pfennig als vom politischen Ansatz her. Ich will deshalb hier nur folgendes sagen, damit es bei dieser Debatte nicht vergessen wird. In diesem Jahr stand der Raumordnungsbericht an. Er hat uns kürzlich beschäftigt. In diesem Raumordnungsbericht hat sich die Bundesregierung entgegen der Meinung mancher Experten dazu bekannt, daß es das Ziel bleiben muß, gleichwertige Lebensbedingungen in allen Landesteilen anzustreben und zu erreichen.
— Ja, das steht im Gesetz, aber es gibt mancherlei Leute, die meinen, das gehe so nicht, und man müsse andere Größen wählen und Neuerungen anstreben. Ich merke dies nur an, um deutlich zu machen, daß wir, wenn wir darüber diskutieren, daß im Bereich des Städtebaus die Hauptproblematik zur Zeit bei den großen Städten und Gemeinden liegt, nicht vergessen, daß auch die Städte und Gemeinden, die als Ballungsrandzonen oder als ländlicher Raum anzusprechen sind, unsere weitere Aufmerksamkeit verdienen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir freuen uns auf die Diskussionen im Ausschuß.
Das Wort hat Herr Bundesminister Haack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich im wesentlichen mit Ihren Ausführungen, Herr Kollege Schneider, auseinandersetzen. Ich war zwar bisher der Auffassung, daß Sie in der Mannschaft des bayerischen Kandidaten schon einen sicheren Platz haben, bin angesichts Ihrer heutigen Ausführungen aber zweifelnd geworden. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie — ähnlich wie Herr Blüm gestern — eine Pflichtübung machen mußten. An und für sich ist es unter Ihrem Niveau.
Sehen Sie, Sie sagen, unsere Politik sei reaktionär, und Sie fordern, wir sollten im Wohnungsbau zusammen mit der CDU eine Reformpolitik machen. Hier muß ich Ihnen einmal die Frage stellen: Mit welcher CDU sollen wir eine Reformpolitik im Wohnungsbau machen? Etwa mit dem Herrn Biedenkopf ? Sie wären dann glaubwürdig, wenn Sie sich heute abend von den wohnungspolitischen Thesen des Herrn Biedenkopf distanziert hätten,
bevor Sie sagen, wir sollten mit Ihnen eine Politik machen, und versuchen, unsere Politik unsachlich anzugreifen.
— Herr Kolb, hören Sie doch auf, damit Sie endlich einmal etwas Ordentliches hören.
Im September dieses Jahres hat Herr Biedenkopf zum zweiten Nachtragshaushalt 1979 hier in der Debatte gesagt:
Wir müssen im Haushalt danach fragen, welche staatlichen Aufgaben überflüssig geworden sind, welche staatlichen Aufgaben abgebaut werden können.
Dann kam er auf die Bausparförderung und sagte:
Ich bin mir völlig darüber im klaren, welche Probleme es z. B. in der Bausparförderung macht, die staatlichen Subventionen abzubauen ...
Und nun wird es ganz interessant. Er sagt:
... aber nicht wegen der betroffenen Bürger, sondern wegen der Bausparkassen.
Das heißt, es geht hier nicht um die Bürger, es geht hier nicht um die Eigentumsbildung. Gleichzeitig sagen Sie, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sollen im Interesse der Bürger verbessert werden. . Da muß ich Ihnen einmal konkret die Frage stellen: Im Interesse welcher Bürger?
Es kam noch besser, und auch davon haben Sie sich bisher leider nicht distanziert. Herr Biedenkopf hat bei der Debatte gesagt:
Es ist inzwischen unter den Experten im Bereich der Wohnungsbaupolitik unbestritten, daß man aus dem Etat für den Wohnungsbau
— ich weiß nicht, ob er meinen gemeint hat, dann hätte man ihn nämlich völlig streichen können —
zwischen 3 und 5 Milliarden DM entnehmen
kann, ohne daß dies irgendeine Auswirkung auf
den sozialen Auftrag des Wohnungsbaues hat.
Das ist gefordert worden, und ich weiß, daß es daraufhin in Ihrer Fraktion eine Debatte gegeben hat. Solange Sie das aber nicht klarstellen, solange Sie sich davon nicht distanzieren, können Sie uns nicht auffordern, wir sollten mit Ihnen eine entsprechende Politik machen.
— Herr Schneider, ich habe im Gegensatz zu Ihnen nur zehn Minuten, deshalb muß ich mich ganz kurz fassen.
Es wäre mir dann viel lieber, wenn Sie hier dasselbe gesagt hätten, was wirkliche bayerische Experten — der Herr Tandler hat einen solchen Brief an Herrn Biedenkopf unterschrieben —, ich meine
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15301
Bundesminister Dr. Haack
die Experten der bayerischen obersten Baubehörde, zu diesen ganzen schwummerigen Plänen von Herrn Biedenkopf auf Grund seiner Schrift gesagt haben. Sie sagen:
Als Fazit muß ich nach dem Studium Ihrer Schrift leider feststellen, daß eine Reihe von Annahmen und Feststellungen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen und einige Behauptungen nicht belegt und wohl auch nicht zu begründen sind .
Bevor Sie hier nicht klarmachen, was denn nun gilt, was hier gesagt wird oder was Herr Biedenkopf gesagt hat, das auf eine völlige Demontage des sozialen Wohnungsbaus, auf eine völlige Demontage der Eigentumsförderung hinauslaufen würde, können Sie uns doch nicht auffordern, hier eine Politik mit Ihnen zu machen.
Nun war für mich eines interessant, Herr Schneider. Sie reden immer von den Rahmenbedingungen. Ich habe von Ihnen aber noch nie gehört, daß Sie zusammen mit der Bundesregierung und anderen Verantwortlichen etwa im letzten Jahr gemahnt hätten, daß die Baukosten nicht ins Unermeßliche steigen.
Ich habe von Ihnen noch nie gehört, daß Sie sich etwa an Modellen beteiligen, wie wir die Grundstückskosten herabsetzen können. Das nehmen Sie alles hin, und dann sagen Sie: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen verändert werden.
Das einzige, was Ihnen heute eingefallen ist, ist der Sozialmaurer, d. h. wenn sich etwas ändern soll, dann offensichtlich der Lohn des Maurers, während die Grundstückskosten hier überhaupt keine Rolle spielen.
Dann sagen Sie, in den letzten 13 Jahren habe sich überhaupt nichts entwickelt.
Die Bilanz sei mager. Ich habe das Gefühl, daß Sie jetzt einfach versuchen, hier in Hektik zu machen, weil Sie auch kein Konzept haben.
— Das „auch" bezieht sich selbstverständlich auf den Herrn Biedenkopf, den ich hier gerade erwähnt habe.
Ich nenne Ihnen jetzt nur einmal die Zahlen für die Jahre 1970 bis 1979. Sie haben sogar mit Recht einen längeren Zeitraum genannt Sie haben von 13 Jahren gesprochen. Da gibt es einen sozialdemokratischen Wohnungsbaupolitiker der Großen Koalition, Herrn Lauritzen, der hier mit Recht genannt wird. Sonst fängt es immer bei der Zeitrechnung mit dem Jahre 1969 an. Sie haben völlig recht, daß Sie ab 1966 gezählt haben. Was Sie in der Sache sagen, ist aber falsch. Wenn ich allein den Zeitraum von 1970 bis 1979 nehme, dann komme ich zu einer Neubauförderung von 41/2 Millionen Wohnungen — das ist die Zahl, die vorhin auch Frau Traupe genannt hat — oder von etwa 1,3 Millionen Sozialwohnungen. Das ist nach meiner Auffassung eine Leistung.
Im übrigen fällt in Ihrem Beitrag alles weg, was sich im Bereich des Städtebaus durchaus positiv entwickelt hat, auch im Rahmen des experimentellen Städtebaus, alles das, was wir im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms in vielen Städten und Gemeinden der Bundesrepublik in den' letzten Jahren geleistet haben.
Wir werden im Frühjahr des kommenden Jahres eine Reise in die geförderten Schwerpunkte im Bundesgebiet unternehmen und laden Sie hierzu ein.
— Das hat gar nichts mit Propaganda zu tun. Das ist eine sachliche Information. Ich lade Sie dazu ein. Sie können dann darstellen, daß hier überhaupt nichts geschehen ist.
Es kommt also darauf an, festzustellen, daß unter den gegebenen Umständen, unter den gegebenen Voraussetzungen der letzten zehn und 13 Jahre Enormes geleistet worden ist, daß wir uns aber jetzt in einem Umbruch befinden. Im übrigen ist das, was Sie hier bringen, weitgehend mit dem deckungsgleich, was ich seit etwa einem Jahr vertrete. Der entscheidende Punkt ist aber der, zu erkennen, daß es darum geht, ein vorhandenes Instrumentarium vernünftig fortzuentwickeln und nicht von einem auf den anderen Tag auf den Kopf zu stellen. Ich sage Ihnen hier, daß ich mich von Ihrem hektischen Getue in keiner Weise beeindrucken lasse.
Ich bin der Meinung, daß der Wohnungsmarkt, daß die Stadtentwicklung viel zu komplizierte Gebilde sind, als daß man sie kurzfristig grundlegenden Korrekturen unterziehen könnte. Hier kommt es darauf an, das Instrumentarium stetig vernünftig fortzuentwickeln. Das haben wir gemacht, und das werden wir auch nach 1980 weiter tun.
{Kolb [CDU/CSU]: Wer sitzt zwischen den
Stühlen? Das haben doch Sie gesagt!)
Vieles ist gesagt worden, auch von Herrn Müntefering, von Herrn Gattermann und Frau Traupe über den Wohnungsbau 1978/79, über die Städtebauförderung.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Ausbau Bonns machen,
weil das vorhin von Herrn Hauser erwähnt worden ist. Ich darf aber vorher noch eine andere Bemerkung machen. Es hat mich etwas gewundert, daß es nicht erwähnt worden ist. Sie finden in unserem Haushalt, daß die Bundesregierung für die HabitatStiftung der Vereinten Nationen beim Zentrum für
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Bundesminister Dr. Haack
menschliche Siedlungen eine Million DM im Haushalt bereitgestellt hat und zuweisen wird. Wir wollen mit diesem Beitrag die Durchführung des im Frühjahr dieses Jahres verabschiedeten Arbeitsprogramms dieser Habitat-Stiftung ermöglichen. Ich sage das auch deshalb, weil Sie erkennen müssen, daß bei all unseren eigenen Problemen, die wir haben, wenn wir von Entwicklungshilfe glaubwürdig sprechen wollen, auch der Wohnungsbau und die Stadtentwicklung in Zukunft einen Stellenwert in der Entwicklungshilfe bekommen müssen.
Was den Hauptstadtausbau anbelangt — das ist meine letzte Bemerkung —, so wissen Sie wahrscheinlich, daß die neuen Finanzverhandlungen mit der Stadt Bonn kurz vor dem Abschluß stehen. Bonn hat in den letzten zehn Jahren Bundesfinanzhilfen in Höhe von fast einer Milliarde DM erhalten, d. h., die Stadt Bonn konnte mit dieser Bundesfinanzhilfe eine gute Infrastruktur aufbauen. Der Bund wird seine Leistungen gegenüber der Stadt Bonn auch in diesem neuen Finanzvertrag, der für weitere zehn Jahre gelten soll, entsprechend zur Verfügung stellen und seinen Verpflichtungen nachkommen. Das gilt im übrigen auch für die Umlandgemeinden und für die Nachbargemeinden. Ich hoffe — auch das ist hier erwähnt worden —, daß wir beim Neubau der Parlamentsgebäude und beim Neubau oberster Bundesbehörden darauf achten, daß wir auch baulich die Ansprüche erfüllen, die wir an unsere parlamentarische Demokratie stellen müssen.
Im Zusammenhang mit den Bonner Aktivitäten noch eine abschließende Bemerkung zum Ausbau Petersberg als Gästehaus der Bundesregierung. Wir haben einen Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Er wurde mit einem sehr guten Ergebnis beendet. Wir hoffen, daß wir, wenn der Haushaltsausschuß Anfang des kommenden Jahres die Mittel bewilligt, zügig vorankommen und das Projekt etwa bis zum Jahre 1983 fertigstellen können.
Ich bin der Auffassung — Herr Gattermann hat das vorhin schon ausgeführt —, daß dieser Einzelplan das enthält, was im Jahre 1980 machbar ist, was vernünftig ist. Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit auch bei den Berichterstattern für unseren Haushalt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 25. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 12 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 25 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 25 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
— Drucksache 8/3377 — Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Offentlichkeit besteht der Eindruck, daß das Justizministerium nur mit Fragen der Rechtspolitik befaßt sei. Dieser Eindruck ist nicht zutreffend. Zum Bereich des Justizministers gehört z. B. auch das Patentamt in München, und damit möchte ich mich befassen.
Beim Patentamt — ich muß dies vorausschicken — lagern etwa 20 Millionen patentierte Erfindungen. Man kann sagen, das ganze technische Wissen der Welt, einschließlich der kommunistischen Länder, lagert dort in München. Es kommt entscheidend darauf an, daß dieses Wissen möglichst vielen Betrieben zur Verfügung steht, weil dies unserem technologischen Fortschritt dient. Heutzutage erreicht man eine solch breite Information durch Einsatz der EDV. Mit anderen Worten: Es muß ein Informations- und Dokumentationssystem entwickelt werden.
Warum muß das geschehen? Einmal muß das geschehen, weil dies von der Fertigungsplanung der Betriebe her notwendig ist. Es muß verhindert werden, daß in Richtungen entwickelt wird, wo bereits Patente vorliegen. Zum zweiten ist es wichtig zu wissen, was bereits erfunden ist; denn 30 % unserer Forschungsmittel verpuffen in Deutschland, weil über Dinge geforscht wird, die bereits längst erfunden sind. Zum dritten ist es möglich, aus den be- kannten Erfindungen Trendanalysen abzuleiten, also zu erkennen, wohin die Entwicklung geht. Hätte man z. B. bei der Uhrenindustrie die Erfindungen genau registriert, dann hätte man vier Jahre im vorhinein gewußt, daß die elektronische Uhr kommen wird. Es wären dann die ganzen Umstellungsschwierigkeiten bei der einheimischen Uhrenindustrie nicht entstanden. Mit anderen Worten, verehrter Herr Staatssekretär Stahl vom Forschungsministerium: Es ist möglich, aus den angemeldeten Erfindungen Trendanalysen abzuleiten. Dies alles ist die Aufgabe des Patentamts in München, das dort gespeicherte Wissen einer breiten Offentlichkeit zugänglich zu machen.
Nun wird im Rahmen der Bundesregierung ein Informations- und Dokumentationssystem entwickelt, ein sogenanntes IuD, wozu auch eine Abteilung Patente gehören wird. Allerdings ist damit, Herr Staatssekretär Stahl, der Forschungsminister befaßt,
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Dr. Friedmann
der seinerseits auch eine ganze Reihe Professoren beauftragt hat. Aber keiner dieser Professoren ist jemals zum Patentamt nach München gegangen, um sich die Probleme anzusehen. Man ist mit den Dingen am grünen Tisch beschäftigt.
Der Justizminister hat erkannt, wo das Problem liegt, und versucht, die Entscheidung nun an sich zu ziehen, wobei noch die Finanzfrage geklärt werden muß. Ihnen, verehrter Herr Minister, möchte ich hier nachdrücklich die Bitte entgegenbringen, auf diesem Wege weiterzumachen, d. h., sich als Fachministerium um die Dokumentation zu kümmern, aber bitte so, daß auch die fachlichen, wirtschaftlichen Belange des Amtes dabei gewahrt werden.
Ein zweiter Punkt, der mir dabei am Herzen liegt, ist die Gebührenpolitik des Patentamts. Für eine patentierte Erfindung müssen heute vom Erfinder rund 22 000 DM gezahlt werden, verteilt auf 18 Jahre. Dies führt dazu, daß die Einnahmen aus Patentgebühren weit höher als die Kosten des Patentamts sind. Offensichtlich läßt sich der Minister von der Überlegung leiten, daß die Gebühreneinnahmen auch die Kosten des Patentgerichts decken sollen. Eine solche Überlegung ist aber dem deutschen Gerichtswesen fremd. Es sollte an sich genügen, wenn die Patentgebühren die Kosten des Patentamts dekken. Es wäre — im Interesse des Erfinders — wünschenswert, wenn sie niedriger sein könnten. Es ist falsch, zu glauben, daß das Informationssystem von den Gebühren her getragen werden müßte. Denn das Informationssystem seinerseits dient der ganzen Wirtschaft.
Nun ist es natürlich schwierig, Herr Minister, daß Sie Ihrerseits hier eine saubere Kalkulation vornehmen. Denn es gibt beim Patentamt bis heute keine verläßliche Betriebsrechnung. Alle Gebühren — sowohl die für Warenzeichen wie für Prozesse beim Patentgericht als auch die für die Patente — fließen bislang in einen Topf. Es kommt also darauf an, Herr Minister, daß Sie bei diesem Amt eine saubere Betriebsabrechnung durchsetzen und dann — basierend auf den Ergebnissen dieser Kalkulation, dieser Abrechnung — Gebührenpolitk betreiben, die ausschließlich auf die Kosten des Patentamts abzielt.
Ein weiterer Punkt, der hier angesprochen werden muß, ist die Handhabung der Patentpolitik. Nach den gesetzlichen Grundlagen ist es heute so, daß ein angemeldetes Patent, also die Erfindung, nach 18 Monaten offengelegt werden muß. Von da an kann jeder interessierte Dritte Einsicht nehmen. Die durchschnitlliche Bearbeitungsdauer liegt aber im Schnitt bei zweieinhalb Jahren;
oft dauert es noch länger. Die kritische Phase liegt nun zwischen der Offenlegung nach 18 Monaten und der Patenterteilung.
Es gibt große Unternehmen, die mehr als 20 vollbezahlte Kräfte zum Patentamt abgestellt haben, deren Aufgabe es ist, vorgelegte Erfindungen ausschließlich daraufhin zu überprüfen, ob sie für das eigene Unternehmen von Interesse sind. Man sage nicht, das sei rechtlich nicht zulässig; der Erfinder hat keinen Unterlassungsanspruch. Er hat — nach Erteilung des Patents — lediglich einen Anspruch auf Schadenersatz. Jedoch kann er diesen Anspruch auf Schadenersatz in aller Regel nicht durchsetzen, weil er der wirtschaftlich Schwächere gegenüber denen ist, die seine Patende längst nutzen, bevor sie patentiert worden sind. Mit anderen Worten: Es kommt, verehrter Herr Minister, nicht entscheidend auf eine Änderung des Gesetzes an, sondern auf eine organisatorische Handhabung der Anmeldungspraxis derart, daß Patentschutz schneller erteilt wird.
Sie haben mir in der Antwort auf eine Anfrage hier im Hause erklärt, auch Sie hielten es für notwendig, von zweieinhalb Jahren Bearbeitungszeit auf zwei Jahre herunterzukommen. Dabei muß man bedenken, daß das Verfahren in Einzelfällen noch länger als zweieinhalb Jahre dauert. Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, in dieser Richtung weiterzuarbeiten. Sie werden nachher wahrscheinlich sagen: Das hängt mit der Personalsituation beim Patentamt zusammen. Diese geht Ihrerseits auf die Situation vor 1974 zurück, als es einen Personalstopp gab, was seinerzeit wiederum mit dem Europäischen Patentamt und Ihrem Vorgänger zusammenhing. Es hat sich gezeigt, daß hier in jener Zeit das richtige politische Augenmaß für die Personalpolitik fehlte. Aber andererseits, Herr Minister Vogel, haben wir Ihnen in der Personalkommission Zugeständnisse gemacht,
von denen Sie selbst sagen, daß Sie damit die nächsten zwei, drei Jahre auch beim Patentamt existieren können.
Kurz und gut: Die Handhabung der Patentpolitik läuft letztlich darauf hinaus, daß die Gebühren zu hoch sind und vor allem die Erteilung der Patentrechte zu lange dauert. Die Patentpolitik ist damit im ganzen mittelstandsfeindlich und kann insoweit von uns nicht gebilligt werden. Der deutsche Erfinder muß den Eindruck haben, daß er beim Justizministerium als fachlicher Behörde nicht richtig aufgehoben ist, daß dort das Gespür für wirtschaftliche Belange nicht so entwickelt ist wie das Gespür für Rechtspolitik. Der deutsche Erfinder muß den Eindruck haben, daß er durch diese Behandlung finanziell stranguliert und durch Verwaltungsmaßnahmen eingedämmt, zurückgedrängt und benachteiligt wird.
Von daher, von dieser praktischen Handhabung der Patentpolitik her, Herr Minister, haben wir bei Ihnen Kritik anzumelden. Ich räume Ihnen ein, daß Sie im Laufe der letzten Jahre bei der Handhabung Ihres Ressorts aus unserer Sicht vorangekommen sind, aber zumindest auf diesem Gebiet ist noch ein Nachholbedarf vorhanden.
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Dr. Friedmann
Auch deswegen, verehrter Herr Minister, lehnt die Opposition den Einzelplan 07 ab.
Als nächster hat das Wort der Herr Kollege Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Friedmann, Ihre Ausführungen zu Fragen des Patentamts und organisatorischen Fragen im Patentamt waren durchaus interessant. Sicherlich wird man Ihren Anregungen in Ruhe einmal nachgehen.
Daß ich dazu nicht näher Stellung nehme, hängt zuletzt damit zusammen,
daß ich davon ausgehe, daß nach mir zwei Münchener das Wort ergreifen und ich denke, ich sollte ihnen die Gelegenheit geben, dazu das zu sagen, was zu sagen ist. Ich will Ihnen nichts wegnehmen.
Mir ist allerdings nicht klar, Herr Friedmann, weshalb Sie, wenn Sie nur diese Kritik gegen den Bundesjustizminister vorzubringen haben, den Haushalt des Bundesjustizministers ablehnen.
Es bleibt doch einfach nur die Schlußfolgerung, daß die generelle Linie bei Ihnen ausgegeben worden ist: Im Vorfeld der Bundestagswahl werden wir dem Haushalt der Regierung nicht zustimmen, um deutlich zu machen, daß wir eine Alternative zu dieser Regierung zu bieten haben. Dies ist allerdings, wie ich finde, ein völlig ungeeignetes Instrument, um diese Alternative darzustellen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Wenn das auf meine Zeit nicht angerechnet wird: sehr gerne. Sonst bedauere ich, daß ich mit meiner Zeit haushalten muß.
Herr Kollege Emmerlich, darf ich Sie daran erinnern, daß Sie in Ihrer letzten Erwiderung auf mich angeregt haben, ich möge doch mal zu wirtschaftlichen Problemen aus der Sicht des Justizministeriums Stellung nehmen? Nichts anderes habe ich getan.
Ich erinnere mich nicht, daß ich das angeregt habe. Aber ich meine, Sie sollten in Ihren Diskussionsbeiträgen begründen, was Sie beantragen und wie Sie sich in der Abstimmung verhalten. Und dazu, muß ich sagen, sind Sie ein bißchen dünn gewesen, Herr Friedmann.
Übrigens haben Sie hier einen Antrag vorgelegt, die im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel für die
Öfentlichkeitsarbeit zu kürzen. Dazu haben Sie nun überhaupt nichts gesgt.
Ich finde eigentlich, daß das doch das Mindeste ist, was man von Ihnen hätte erwarten können, zumal Sie nach meinen Informationen im Haushaltsausschuß eine Kürzung auf 700 000 DM und jetzt auf 500 000 DM beantragt haben und im Rechtsausschuß von einem derartigen Kürzungswunsch der Opposition keine Rede war.
Sie haben zur Rechtspolitik dieses Bundesjustizministers nicht Stellung genommen, und das entgegen Ihren bisherigen Gepflogenheiten.
Die Zeit reicht nicht aus, um die Rechtspolitik allgemein zu behandeln.
Da Sie aber die familienpolitische Diskussion offensichtlich zu forcieren versuchen, möchte ich zu dem Teil der Familienpolitik, der im Rechtsausschuß und im Justizministerium federführend behandelt wird, zum Familienrecht, eine kurze Bilanz ziehen.
Zunächst eine Bilanz Ihrer Regierungszeit. Entgegen dem Grundgesetz haben Sie das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes nicht verwirklicht; das mußte für Sie das Bundesverfassungsgericht tun. Und als Sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dieses Gleichberechtïgungsgesetz gemacht hatten, mußte Ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigen, daß Sie dabei gegen das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes verstoßen haben — siehe Stichentscheid.
Entgegen dem Auftrag des Grundgesetzes haben Sie kein dem Grundgesetz entsprechendes Recht der nichtehelichen Kinder geschaffen. Das geschah erst unter dem sozialdemokratischen Justizminister Heinemann.
Sie erinnern sich auch — manchem ist das in Vergessenheit geraten —, daß Sie in einem Husarenritt im Rechtsausschuß den § 48 des Ehegesetzes so verändert haben, daß faktisch eine Ehescheidung aus § 48 nicht mehr möglich war.
Dazu in Stichworten unsere Bilanz: Wir haben das Nichtehelichenrecht geschaffen, wir haben ein neues Adoptionsrecht geschaffen, wir haben ein neues Eherecht geschaffen, wir haben das Gesetz über die erleichterte Abänderung von Unterhaltstiteln geschaffen, und wir haben die Unterhaltsvorschußkassen auf den Weg gebracht; schließlich haben wir das Sorgerecht verabschiedet.
Was das Sorgerecht anlangt, muß ich in Anknüpfung an die gestrige Rede von Herrn Kohl noch eines feststellen: Sie klammern sich an die Formulierung -- die Sie übrigens verfälscht wiedergeben, auf dem Umschlagdeckel des ersten Entwurfs —, es sei entgegen früheren Vorstellungen nicht mehr so, daß man davon ausgehen könne, die Kinder stünden un-
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Dr. Emmerlich
ter der herrschaftlichen Gewalt — oder so ähnlich — der Eltern oder der elterlichen Fremdbestimmung.
Wir haben das richtiggestellt; aber das ist gar nicht der Punkt. Wenn Sie diese alte Kamelle wie einen Dauerlutscher jahrelang in Ihrem Munde herumkauen,
dann haben Sie vielleicht die Chance, den Weltrekord im Dauerlutschen zu erzielen. Allerdings müssen Sie sich dann die Frage stellen, wo Ihr guter Geschmack bleibt, wenn Sie jahrelang auf einem solchen alten Gummi herumkauen
und nichts anderes — vor allen Dingen nichts am Gesetzeswortlaut Orientiertes — zu diesem Gesetzgebungsvorhaben vorzubringen haben.
Ich finde, daß die restaurative Ausrichtung der Rechtspolitik, insbesondere der Familienrechtspolitik, der Opposition an keiner Stelle so deutlich wird wie an Ihrer Haltung zum Sorgerechtsgesetz. Wir werden uns unter Aufrechterhaltung unseres Angebots, hier im Hause eine gemeinsame Rechtspolitik mit breiten Mehrheiten zustande zu bringen, nicht in der Fortsetzung der Linie unserer Rechtspolitik beirren lassen.
Das Wort hat der Kollege Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das angekündigte Nein der Opposition zum Justizetat wird trotz des eingeschobenen „auch" zweifellos nicht durch die freundlichen und kooperativen Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Friedmann getragen. Aber das ist Ihr Problem. Ich bin Herrn Dr. Friedmann dankbar, daß er die Gelegenheit dieser Haushaltsdebatte zum Einzeletat 07 dazu benutzt hat, um etwas über die Bedeutung des Patentwesens in unserem Lande zu sagen.
Weil wir Rechtspolitiker so bescheidene Leute sind und gerade dabei sind, eine volle Viertelstunde einzusparen, um etwas von dem aufzuholen, was bei der Debatte zu anderen Etats zu einer Zeitüberschreitung von zwei Stunden geführt hat, folge ich ihm gerne und werde mich darauf beschränken, einige Bemerkungen zum Deutschen Patentamt zu machen. Dies auch deshalb — Kollege Dr. Emmerlich hat darauf hingewiesen —, weil das, was bisher — insbesondere am gestrigen Tag — rechtspolitisch von der Opposition im großen Rundumschlag in die Debatte eingeführt worden ist, wirklich nicht der Rede wert ist.
Ich stellte mir gerade bei den Ausführungen Ihres Fraktionsvorsitzenden die Frage, wie er es mit seinem eigenen Selbstverständnis vereinbaren kann, daß er sich in seinen Ausführungen und in der Art, wie ihm immer dasselbe aufgeschrieben wird und wie er immer dasselbe abliest, doch selbst zu einer Art rechtspolitischen Kümmerexistenz reduziert.
Da ist es sicherlich besser, über das Patentwesen zu sprechen.
Sie sind zunächst einmal auf die Personalfrage eingegangen. In der Tat, das Amt muß entsprechend besetzt sein, um seinen Aufgaben nachkommen zu können. Aber Sie selbst haben eingeräumt, daß mit der Errichtung des Europäischen Patentamtes Erwartungen verbunden waren, die zunächst nicht voll in Erfüllung gegangen sind. Es gab natürlich kleine Anlaufschwierigkeiten. Es hat sich auch gezeigt, daß das Europäische Patentamt in der Anfangszeit nicht so voll in Anspruch genommen wurde, wie man dies erwartet hat, ganz einfach deswegen, weil die Gebühren weit höher sind und weil darüber hinaus der einzelne auch das Risiko sieht, dort mit seiner Anmeldung einmal abgelehnt, bei einem nationalen Amt nicht mehr zum Zuge zu kommen.
Zum anderen sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, 34 besonders qualifizierte und erfahrene Prüfer vom Deutschen Patentamt zum Europäischen Patentamt abgewandert, was die Personalsituation dort nicht unbedingt verbessert hat. Mittlerweile ist man ja dabei, wie Sie wissen, die Lücken zu schließen. Es haben sich bei einer Ausschreibung 650 Bewerber gemeldet. Ich nenne jetzt einmal die Zahlen, weil man sieht, wie schwierig es aus vielen Gründen beim Deutschen Patentamt ist, Lücken im Personal zu schließen, ganz anders als in anderen Bereichen. Von jenen 650 waren 365 ihren Voraussetzungen nach so qualifiziert, daß sie theoretisch zur Einstellung hi Frage kamen; aber eben nur theoretisch, weil von jenen, die sich beworben hatten, ein Großteil eben nicht jene Spezialkenntnisse für die Bereiche hatte, für die man speziell Personal benötigt hätte. Dann blieben insgesamt 94 in der engeren Wahl. Davon haben wiederum 46 ihre Bewerbung nicht aufrechterhalten. Warum? Weil das Einstellungsverfahren relativ lange dauert und Menschen, die nicht nur ein Studium als Voraussetzung mitbringen müssen, sondern auch eine praktische fünfjährige Tätigkeit in der Wirtschaft, nicht allzu gerne abwarten, sondern .Chancen wahrnehmen, die sich ihnen inzwischen in der Privatwirtschaft bieten.
Eine weitere Schwierigkeit ist natürlich die der Besoldung. Interessanterweise hat der Bundesrechnungshof, der ja kraft seines Amtes dazu aufgerufen ist, im öffentlichen Bereich für Sparsamkeit zu sorgen, darauf hingewiesen, daß die Prüfer nach ihrer Tätigkeit alle nach A 15 besoldet werden müßten. Heute ist es erst ein Drittel, ein Zustand, den wir uns insgesamt nicht lange werden leisten können. Die Bundesregierung arbeitet auch darauf hin, in diesem Bereich dem Votum des Bundesrechnungshofs in diesem Bereich dem Votum des Bundesrechnungshofs in einiger Zeit nachkommen zu können.
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Engelhard
Die besondere Bedeutung für die mittelständische Wirtschaft, Herr Kollege Dr. Friedmann, haben Sie betont. Ich darf darauf verweisen, daß der amtierende Präsident des Deutschen Patentamtes, Herr Dr. Häußer, erst vor kurzem in Berlin ein interessantes Referat über Mittelstand und Patentwesen gehalten und deutlich gemacht hat, daß dieses Amt ganz anders als Bereiche der Hoheitsverwaltung darauf ausgelegt sein muß, im Interesse der Wirtschaft und insbesondere der kleineren und mittleren Betriebe ein Dienstleistungsunternehmen zu sein.
Meine Damen und Herren, zum krönenden Abschluß des Tages der Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank, Herr Präsident, für das Adjektiv, das Sie in diesem Zusammenhang verwendet haben. Ich muß allerdings entgegenhalten: die Justiz ist eine bescheidene Magd! Das zeigt nicht nur die Tageszeit, zu der ihre Probleme verhandelt werden, sondern das zeigen auch die Haushaltszahlen. In einer Haushaltsdebatte dürfen vielleicht solche Zahlen ganz kurz genannt werden. Der Etat der Justiz beträgt im Jahre 1980 331,9 Millionen DM. Das sind ganze 7,4 Millionen DM mehr als im Vorjahr. Für Liebhaber genauer Prozentrechnungen: das sind 0,15 % des gesamten Bundeshaushalts. Wenn ich noch hinzufüge, daß der Zuschußbedarf der Justiz um 7,7 Millionen DM von 128 Millionen DM auf 120 Millionen DM gesunken ist, dann sind dies, glaube ich, Kennziffern, die meine Aussage über die Bescheidenheit der Justiz in jeder Weise rechtfertigen.
Das Patentamt hat heute — ich begrüße das — im Mittelpunkt der Erörterung gestanden.
Herr Kollege Friedmann hat vier Punkte angesprochen. Zunächst die Notwendigkeit des Ausbaus der Information. Er hat recht, ich stimme ihm zu. Wir stehen in erfolgversprechenden Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie, um dieses Informationzentrum in das Patentamt einzugliedern, um auf diese Weise Erfahrungen und Kenntnisse fruchtbar zu machen. Durch die Patentauslegestellen geschieht auch jetzt schon einiges.
Herr Kollege Friedmann hat die Gebührenpolitik angesprochen. Hier muß ich darauf hinweisen, daß wir in der Gebührenpolitik, Herr Kollege Friedmann, in vollem Umfang den Empfehlungen des Haushaltsausschusses folgen, die immer einstimmig gegeben wurden. Es ist keine Bosheit, wenn ich daran erinnere, daß zu der Einstimmigkeit auch Ihre Stimme beigetragen hat. Man hat gesagt, auf diesem Sektor solle tatsächlich eine Kostendeckung erreicht werden.
Ihre Anregung, zwischen Gericht und Amt noch stärker zu differenzieren, wollen wir gerne in Form einer Prüfung aufgreifen. Ich fürchte nur, daß die
Kosten, die mit einer stärkeren Differenzierung verbunden sind, nicht unerheblich sein werden und daß das Ergebnis dann wiederum nicht befriedigt, weil Sie eine Erhöhung der Gerichtsgebühren bekommen, die außerhalb jeden Verhältnisses zu den Streitwerten stände.
Die dritte Frage betrifft den Schutz des Mittelstandes. Ich stimme zu; wir müssen sehen, daß wir die Fristen abkürzen.
Noch ein Wort zur Vergangenheit, Herr Kollege Friedmann. Die Verantwortung für einen Zeitraum von fünf Viertel Jahren, in denen die Einstellungen auf Grund der Empfehlungen des Herrn Präsidenten Haertel gestoppt worden sind, fällt in meine Zeit, also nicht unter die Verantwortung des Kollegen Jahn. Aber die Gründe des Kollegen Haertel waren plausibel und können auch heute noch — rückwirkend betrachtet — nicht als unvernünftig betrachtet werden. Ich bin Herrn Kollegen Engelhard sehr dankbar, daß er zu der Frage der personellen Situation bereits ganz zutreffende Ausführungen gemacht hat.
Es würde natürlich sehr reizen, jetzt noch einiges über die Rechtspolitik insgesamt zu sagen. Die fortgeschrittene Zeit verbietet das. Ich darf aber doch einer gewissen Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß die Opposition in den Vordergrund der Argumente für die Ablehnung des Justizhaushalts die hier gerade angeführten sachlichen Gesichtspunkte des Deutschen Patentamts stellt.
Dies kann — das ist einfach der logische Eindruck der Argumente — nur dahin gedeutet werden, daß diese Rechtspolitik so schlecht nicht sein kann,
da von allem, was Sie bewegt, diese vernünftigen und sachlichen Fragen einen so breiten Raum einnehmen. In dieser Bewertung der Rechtspolitik der letzten vier Jahre und auch dieses Jahres stimmt die Bundesregierung mit der Opposition vollständig überein.
— Ich dachte, mit den eigenen Fraktionen ohnehin schon, aber ich will das gerne noch einmal ausdrücklich bestätigen.
Es ist spät. Ich glaube, ich kann mir das größte Lob und auch die Krönung nur dadurch verdienen, daß ich rasch zum Ende komme. Ich tue das mit einem Wort des Dankes in erster Linie an die Berichterstatter, die uns fair, aber auch immer kritisch und immer hilfsbereit durch den Haushaltsausschuß begleiten. Dank dem Haushaltsausschuß insgesamt, bei dem sich das Justizressort gut aufgehoben weiß, Dank aber auch an den Rechtsausschuß. Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, Dank an die etwa 4 000 Männer und Frauen, die als Richter, als Staatsanwälte, als Kolleginnen und Kollegen des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes, als
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15307
Bundesminister Dr. Vogel
Arbeiter und Angestellte in den drei meinem Ressort zugeordneten Gerichten, in der Staatsanwaltschaft und beim Patentamt treu und redlich ihre Arbeit tun und dadurch zum Wohlergehen unserer Gemeinschaft einen nicht ganz kleinen und nicht ganz unbedeutenden Beitrag leisten. Ich glaube, auch diese 4 000 würden sich freuen, wenn diese Anerkennung einmal, vielleicht in einem spontanen Entschluß um 22.20 Uhr, in Vollmacht derer, die noch hier sind, in der einstimmigen Zustimmung zum Etat ihren Ausdruck fände.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3474 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer dem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 07 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 07 ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.