Rede von
Dr.
Oscar
Schneider
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich einige Bemerkungen vorausschicke, zunächst an Sie, Frau Kollegin Traupe. Sie haben Ihre Rede mit einem vorzüglichen Charme gehalten. Ihre Sprache war ganz in Lyrik gehalten. Ich habe aber
15296 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Dr. Schneider
den Eindruck, daß die Sache selbst eine etwas herbe Epik, eine geradezu kafkaeske Epik verdienen würde; denn das Thema, um das es heute und jetzt geht, ist durchaus herb und verdient auch eine solche Sprache.
Erinnern wir uns: Seit nunmehr 13 Jahren tragen Bundesminister, die der sozialdemokratischen Partei Deutschlands angehören, die Ressortverantwortung für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Aber ihre wohnungspolitische Bilanz ist mager, die Perspektiven für die 80er Jahre sind dunkel und traurig, Hoffnungen wurden enttäuscht, Versprechungen gebrochen.
Wie Hohn klingt dagegen die SPD-Parole, ihre Politik garantiere die Sicherheit für die 80er Jahre.
Für die Wohnungspolitik stimmt das ganz sicher nicht.
Ich will das begründen. Noch niemals war die Schere zwischen Kostenmiete und Bewilligungsmiete so weit geöffnet wie heute.
Noch niemals war der soziale Wohnungsbau so unsozial und so familienfeindlich wie heute.
Zu keiner Zeit war die Wohnungswirtschaft so unrentabel wie heute.
Zu keiner Zeit war die Wohnungspolitik mit soviel Hypotheken, Fehlentwicklungen, sozialwidrigen Besitzständen und brennenden Problemen belastet wie heute.
Die Baubilanzen im freifinanzierten und sozialen Wohnungsbau beweisen es. Seit Jahren haben wir Defizite im Neubau zu registrieren. Die Wohnungsnotfälle in den Ballungsgebieten wachsen bedrohlich an. Der neue Präsident des Deutschen Mieterbundes, unser Kollege Jahn, hat vor wenigen Tagen erklärt, es fehlten 500000 Wohnungen in unserem Lande. Allein die heutigen Tageszeitungen — ich nehme nur eine heraus, könnte aber sieben zitieren —, berichten etwa wie die Süddeutsche Zeitung: „Wohnungsnot wird immer drückender. Allein in München fehlen 16000 Wohnungen", Wohnungsnotfälle wohlgemerkt. In Köln lautet die aktuell auf den Tag bezogene Zahl 19 000.
Die Bundesregierung hat auf all diese drängenden und brennenden Fragen keine Antwort. Ihre Thesen zur Wohnungs- und Städtebaupolitik sind nichts anderes als Analysen, beschönigende Beschreibungen der gegenwärtigen Verhältnisse. Eine Politik, die fortwährend nur reagiert, statt zielgerichtet zu handeln, gerät gegenüber den Notwendigkeiten der
Zeit mehr und mehr in Verzug, sie wird überständig, wirklichkeitsfremd, unsozial und reaktionär.
Das Recht auf eine angemessene familiengerechte Wohnung ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht, das im Rahmen der Sozialstaatlichkeit nach unserer Verfassung zu verwirklichen ist. Ich möchte aber auch feststellen, es ist zunächst Sache des einzelnen Bürgers, sich selbst nach Maßgabe seiner persönlichen Umstände und Verhältnisse um eine angemessene Wohnung zu kümmern. Aber nicht alle Familien sind dazu in der Lage. Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden auch in Zukunft mit zielgerichteten Programmen und mittels fortentwikkelter rechtlicher Instrumentarien für die Wohnungsversorgung der Bevölkerung eintreten.
Wohnungspolitik muß als integraler Bestandteil der Familien- und Vermögenspolitik gewertet werden. Ihre sozialpolitischen und steuerpolitischen Aspekte sind stets zu berücksichtigen.
Die Erfahrungen von gestern sollen dabei nicht außer Betracht bleiben. Meines Erachtens haben sie gelehrt, sozialer Wohnungsbau kann nur auf der Grundlage einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft gedeihen.
Diese soziale Wohnungsmarktwirtschaft schließt den sozialen Wohnungsbau nicht aus, sie macht ihn erst sozial und sichert ihn auf Dauer. Was ökonomisch nicht schlüssig ist, kann auf Dauer sozial nicht von Bestand sein.
Die Bundesregierung, SPD und FDP, scheuen sich, die Frage zu stellen: Wo verläuft die Grenze der Mieten-Einkommen-Relation? Wieviel von seinen verfügbaren Familieneinkommen darf vom Mieter für das Wohnen verlangt werden? Meine Damen und Herren, wir müssen diese Frage um so nachhaltiger stellen, als sich das öffentliche Förderungsvolumen gegenwärtig, alles in allem zusammengenommen, auf etwa 20 Milliarden DM jährlich beläuft. Dabei ist am beklagenswertesten — das hat Herr Bundesminister Haack mehrfach auch öffentlich zugegeben; insbesondere Expertisen aus seinem Hause bestätigen dies —, daß nur ein relativ geringer Teil des gesamten Förderungsvolumens auf die Zielsetzung ausgerichtet ist, die Wohnverhältnisse wirtschaftlich und sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Die Bundesregierung hat diesen Befund — wie gesagt — wiederholt selbst festgestellt.
Frau Kollegin Traupe hat uns einen Frühlingsmorgen in den Saal gezaubert: „noch ein Weilchen, und die Welt steht in Veilchen". Was ist die Wirklichkeit? Der Stundenverrechnungssatz für die Maurerstunde beträgt 39 DM. Wir haben zwar einen sozialen Wohnungsbau, aber es gibt nicht den Sozialmaurer; denn wer mauert, verlangt den Stundenlohn, den die IG Bau, Steine, Erden dafür ausgehandelt hat. In München ist davon auszugehen — ich könnte auch Köln und Düsseldorf nennen —, daß im sozialen Wohnungsbau bei einer Mietobergrenze
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von 4,60 DM und Herstellungskosten von 2 400 DM je Quadratmeter der Förderaufwand des Staates für eine 70 qm große Wohnung 140000 DM beträgt. Bei einer Erhöhung der Mietobergrenzen um eine DM verringert sich der Förderaufwand um ganze 11 000 DM. Ein Reihenhaus ist in den Ballungsgebieten nicht mehr unter 350 000 DM zu bekommen,
in München nicht unter 450 000 DM. Bei der herkömmlichen Finanzierung eines solchen Objektes beträgt die monatliche Belastung unter Einrechnung des 7b-Effektes und der höchstmöglichen Förderung von 4 DM je Quadratmeter und Monat im Regionalprogramm 1856 DM monatlich. Bei einem zugrundegelegten Eigenkapital von 20 % machen die Vorsparleistungen immerhin 70 000 DM aus. Das Nettoeinkommen eines im Regionalprogramm begünstigten Vierpersonenhaushalts mit 40 % über den maßgeblichen Einkommensgrenzen beträgt demgegenüber gegenwärtig 3 150 DM, so daß bei dieser Belastung für den sonstigen Lebensunterhalt noch 1 269 DM verbleiben. Die Wohngeldförderung bringt hier keinerlei Hilfe, da die Einkommensgrenzen für einen Vierpersonenhaushalt bei 1 860 DM enden. Bei einem förderungsfähigen Miethöchstbetrag von 560 DM bei diesem Haushalt beträgt die Wohngeldleistung nur 9 DM.
Meine Damen und Herren, das muß man vor Augen haben, wenn man realistisch, sachbezogen, wirklichkeitsnah heute über Wohnungspolitik spricht.
Die Wohnungspolitik der Bundesregierung gefährdet vor allem auch ihre anspruchsvollen städtebaulichen modernisierungspolitischen und umweltrelevanten Ziele. Die Bundesregierung will ernsthaft gar keine Änderung der Wohnungspolitik. Ihr fehlt der Wille zu einer neuen Politik. Andernfalls hätte sie längst mit Unterstützung der CDU/CSU ein wohnungspolitisches Gesamtprogramm, ein Reformprogramm vorgelegt.
Hier würde in Wahrheit das Wort ,,Reformprogramm" gelten; denn hier gilt es wirklich, etwas zu reformieren, der Zeit anzupassen.
Die Bundesregierung hat sich im mietrechtlichen Bereich bisher gegen alle notwendigen Korrekturen gesperrt. Gegen eigene bessere Einsicht und gegen den Protest aller Fachleute hat sie alle Verbesserungsvorschläge zurückgewiesen. Beim Bausparen werden junge Menschen benachteiligt und Familien mit Kindern unzulänglich gefördert. Die Vorschläge zur Energieeinsparung und zur Lärmbekämpfung sind unausgewogen, widersprüchlich und hinsichtlich ihrer Finanzierbarkeit höchst fragwürdig.
Die Fraktion der CDU/CSU hat für die dritte Lesung einen Entschließungsantrag vorgelegt; ich darf ihn noch kurz begründen und unsere Forderungen verdeutlichen.
Die Wohnungspolitik muß sich in Zukunft schwerpunktmäßig ausrichten auf die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum in funktionsfähigen Städten und Gemeinden — d. h., wir denken an die Bereitstellung der notwendigen Einrichtungen des öffentlichen Gemeingebrauchs und des sozialen wie kulturellen Gemeinbedarfs; Kommunalpolitik ist zu einem wesentlichen Teil auch immer Wohnungs- und Städtebaupolitik —,
die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland durch Maßnahmen der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung, die Bereitschaft der Städte und Gemeinden, rechtzeitig und angemessen neues Bauland auszuweisen und zu erschließen. Ich weiß, daß dies nicht in allen Städten möglich ist, beispielsweise nicht in Berlin.
Hier möchte ich ein Wort zum Ausbau der Bundeshauptstadt und zu den Neubauten für Bundestag und Bundesrat sagen. Sie wissen, die Fraktion der CDU/CSU steht diesen Plänen aufgeschlossen gegenüber. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß für uns ein Ja zum Neubau von Räumen für Bundestag und Bundesrat nicht ein irgendwie geartetes politisches oder geschichtliches Nein zu Berlin bedeutet. Für uns ist Berlin nach wie vor die deutsche Hauptstadt und Bonn nur die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.
Die Wohnungspolitik muß sich auf die Überwindung regionaler und sektoraler Disparitäten am Wohnungsmarkt besonders in Verdichtungsräumen richten, und, was ganz wesentlich ist, sie muß sich richten auf die Wiederherstellung wirtschaftlich vernünftiger, sozial ausgewogener Chancengleichheit zwischen Mieter und Vermieter durch Abbau überholter gesetzlicher Bindungen, Verfügungs- und Nutzungsbeschränkungen, durch Lockerung behördlicher Eingriffslenkungen und durch Verstärkung marktwirtschaftlicher Steuermechanismen.
Sie muß sich auf die Sicherung von tragbaren Mietbelastungen durch rechtzeitige Wohngeldanpassungen richten. Der beabsichtigten Wohngeldanpassung 1981 werden wir zustimmen, wobei wir davon ausgehen, daß die auch im Dritten Familienbericht der Bundesregierung beklagten Unzulänglichkeiten beseitigt werden. Sie muß sich schließlich auf die Rückkehr privater Anleger an den Wohnungsmarkt für Maßnahmen der Stadtsanierung durch eine zumindest mittelfristige Verbesserung der Rentabilität richten.
Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau muß künftig in die allgemeine Wohnungswirtschaft eingebunden und so neu gestaltet werden, daß öffentliche Hilfen gezielter und sicherer den bedürftigen Bevölkerungsschichten zugute kommen, jungen und kinderreichen Familien aus-
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reichenden Wohnraum sichern, sozialwidrige Besitzstände beseitigen,
Hilfe zur Selbsthilfe gewähren und frühzeitiger zur Eigentumsbildung anregen, die Mietbelastung in ein sozial vertretbares und wohnungswirtschaftlich sinnvolles Verhältnis zu den übrigen Aufgabengruppen bringen, die wohnungswirtschaftlichen Fehlentwicklungen — Unterbelegung, Fehlbelegung, Mietpreisverzerrung, förderungsbedingte Mietpreissteigerungen usw. — stufenweise abbauen, die Wohnungsmodernisierung und den Wohnungsneubau langfristig verstetigen,
die wohnungspolitischen Ziele mit den Notwendigkeiten des Städtebaus besser harmonisieren, das Preis- und Leistungsgefälle zwischen dem öffentlich geförderten und dem frei finanzierten Wohnungsbau angemessen ausgleichen, den Ausgleich des Qualitätsgefälles zwischen neuen und alten Wohngebieten fördern.
Meine Damen und Herren, alle Förderungsmaßnahmen müssen so angelegt werden, daß sie nicht schon von vornherein sozial unerwünschte und wirtschaftlich schädigende Fehlentwicklungen vorausprogrammieren. Eine neue Wohnungspolitik muß dem entschädigungslosen Substanzverzehr in den Altbaubeständen ein Ende machen. Das heißt freilich nicht, daß der Staat als Mietausfallkasse mißbraucht wird. Der Gesetzgeber darf dem Vermieter mittels des positiven Rechts den Anspruch nicht verwehren, kostendeckende Mieten zu verlangen.
— Ich darf Ihnen sagen: Wenn meine Rede so gut war, daß sie sofort in der Fachzeitschrift abgedruckt werden kann, dann ist sie bestens qualifiziert.
Wenn Sie gut zugehört haben, dann haben auch Sie der SPD Ihr wohnungspolitisches Bildungsdefizit ausgeglichen.