Rede von
Heinz
Westphal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, mit einem Zitat zu beginnen:
Man kann einem Volke, auch wenn es ihm gut geht, die Gegenwart als schwer erträglich und durch düstere Prophezeiungen die Zukunft als gefährdet vorgaukeln, bis sogar Anwandlungen von Hysterie auftreten und durch Angstreaktionen erst die Gefahren heraufbeschworen werden, vor denen angeblich nur gewarnt werden soll.
Gestern hat derjenige, der diese Sätze 1969 geschrieben hat, dies als Redeanweisung für sich selbst betrachtet.
Das Zitat stammt nämlich nicht von mir, sondern von Herrn Franz Josef Strauß. Nun warten diejenigen, die der CDU/CSU noch immer unkritisch zuhören, seit zehn Jahren auf den Zusammenbruch unserer Staatsfinanzen, die angeblich so zerrüttet sind. Jedes Jahr müssen wir hier zweimal die gleiche Litanei anhören, und der Bankrott, der jeweils angekündigt wird, tritt nicht ein.
Dabei weiß jeder — oder kann es mindestens wissen —, daß wir trotz zweier schlimmer Ölpreissteigerungen ein reales Wirtschaftswachstum haben, um das uns viele in der Welt beneiden; daß wir eine der führenden Handelsnationen der Welt sind
und unseren Export trotz Dollarschwäche und trotz D-Mark-Aufwertung immer noch steigern konnten und daß wir, weil wir in schwieriger Situation mit viel öffentlichem Geld und hoher Schuldaufnahme Investitionen mutig gefördert haben und konjunktur-
und strukturpolitisch fördernde Programme gefahren haben, einen konjunkturellen Aufwärtstrend zustande gebracht haben. Der Bundesbankpräsident hat das kürzlich so bezeichnet, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland die einzige Konjunkturlokomotive in Europa sind. Es kann auch jeder wissen, daß wir bei steigender Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Menschen die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt deutlich nach unten drücken konnten. In einigen Teilen der Republik gibt es praktisch Vollbeschäftigung, und überall — auch dort, wo die Arbeitslosenzahl noch immer zu hoch ist — werden Facharbeiter gesucht.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15209
Westphal
Es zeigt sich, daß der Bundesfinanzminister eine gute Adresse ist, dem viele — auch kleine — Sparer z. B. in Form von Bundesschätzchen, ihr Geld leihen,
weil sie sicher sind, Herr Franke, daß das Geld bei diesem Minister, bei dieser Adresse ordentlich und ohne Gefahr verzinst wird.
Schließlich haben wir in diesem Land ein Devisenpolster, das höher als in jedem anderen Land in der Welt ist, so daß wir auch ohne Schwierigkeit mit dem hohen Anstieg der Importe gut fertigwerden konnten und auch weiterhin können.
Wer auf den Staatsbankrott wartet, wartet vergeblich.
Er sollte allmählich einsehen, daß die CDU/CSU offensichtlich die schlechteste Prognosefähigkeit aller Institutionen hat, die sich in der Bundesrepublik mit Finanzfragen beschäftigen.
Der Haushalt 1980, den wir nun zur Verabschiedung bringen, ist solide. Seine Tendenz zur Konsolidierung — ich sage das hier noch einmal — wurde durch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses noch verstärkt. Er ist wegen der erreichten positiven Konjunkturlage nicht expansiv gestaltet, sondern hat mit 5,5 % eine Steigerungsrate, die bewußt und deutlich unter dem erwarteten Wachstum des Bruttosozialprodukts liegt, das 7 % betragen wird. Sein Investitionsvolumen liegt wesentlich über der Nettokreditaufnahme, und er nützt die uns aus günstiger Wirtschaftsentwicklung zuwachsenden Steuermehreinnahmen zur spürbaren Senkung der Neuverschuldung. Er ist — manchmal durch harte Eingriffe des Haushaltsausschusses — sparsam gestaltet bei Ausgaben, die gestreckt und deren Aufwuchs auf kommende Jahre verteilt werden konnten und die eine Überhitzung der Konjunktur bewirken könnten, oder bei nach unserer Ansicht zu großzügig geplantem Ansatz, wobei ich z. B. an die Personalforderungen und an die Stellenhebungen denke.
Dieser Haushalt hat dort gezielt höhere Steigerungsraten, wo es darauf ankommt, die Strukturen unserer Wirtschaft zu verbessern, zu modernisieren, z. B. bei der Forschung, bei der Mittelstandsförderung, bei Arbeitsmarktmaßnahmen für Problemgruppen, besonders aber auch bei der Entwicklungshilfe, bei den Programmen, die der Einsparung von Energie dienen oder die den Vorrang von Kohle unterstreichen. Der Haushalt ermöglicht die Realisierung unserer Umweltschutzprogramme, und er sichert unsere sozialstaatliche Leistungsfähigkeit.
Die Tatsache, daß in diesem Haushalt zur Dekkung seines Einnahmedefizits eine enorm hohe Schuldenaufnahme erforderlich ist, möchten wir, ja müssen wir „Haushälter" ins Bewußtsein des ganzen Parlaments rücken. Jede aufgenommene Mark kostet uns alle auf Jahre hinaus Zinsen. Sparsamkeit, entschlossene Bemühungen um Konsolidierung und äußerste Zurückhaltung bei neuen ausgabewirksamen Projekten und Gesetzen sind das, was wir „Haushälter" in die Köpfe aller Parlamentarier wie in die der Ressortchefs hineinbringen wollen. Es geht um eine Verantwortung, die nicht allein Sache des Haushaltsausschusses ist.
Dies ist vielmehr eine Verantwortung des ganzen Hauses.
Nur, die Art, meine Damen und Herren, wie die Opposition diese Einsichten als Vorwurf vorträgt, klingt manchmal so, als ob die CDU/CSU einen Haushalt haben wollte — Herr Schäuble war gerade vor mir ein klassisches Beispiel dafür —, in dem so etwas wie Kredite zur Lösung von Zukunftsaufgaben gar nicht vorhanden sein dürfte. Abgesehen davon, daß es so etwas auf der ganzen Welt nicht gibt, wäre dies — eben wegen der Notwendigkeit, die Lebens- und Umweltbedingungen künftiger Generationen vorausschauend zu verbessern — auch gar nicht sinnvoll.
Sehen wir uns die Fakten noch einmal kurz an: Die mittelfristige Finanzplanung sah für 1980 zunächst eine Nettokreditaufnahme von 33,5 Milliarden DM vor. Die Regierung legte, weil sie nach Normalisierung der Konjunkturlage von einer neuen hohen Verschuldung herunter will — auch aus eigenem Wollen —, einen Etatentwurf mit 28,2 Milliarden DM Kreditfinanzierung vor. Unser Abschluß — nach Einsparungsentscheidungen des Haushaltsausschusses und trotz Abdeckung von zusätzlichen Ausgaben sowie nach Gegenrechnung der Steuermehreinnahmen — senkt den Ansatz für neue Kredite auf 24,2 Milliarden DM ab. Das sind gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung 9,3 Milliarden DM, gegenüber dem Regierungsentwurf 4 Milliarden DM weniger. Hier wird eine Tendenz unserer Beschlüsse sichtbar, die jedem zeigt, daß es uns mit dem Abbau einer zu hohen Neuverschuldung ernst ist.
Meine Damen und Herren, obwohl der Bund einen sinkenden Anteil am Gesamtsteueraufkommen hat, ist sein Anteil an der Absenkung der Schuldenquote, gemessen am Bruttosozialprodukt, von 3,4% auf 2,7 % beträchtlich. Wir kommen damit in die Nähe dessen, was die Finanzwissenschaft als vertretbare Normalität der Verschuldungsquote ansieht. Wir sind zwar noch nicht da — das habe ich hier verdeutlicht —, aber wir kommen mit unseren Bemühungen — zusammen mit den Bemühungen anderer Ebenen, die es im Prozeß der Entschuldung leichter haben als wir — in die Nähe dieser Norma- lität.
Im übrigen: Es wird sicher nicht bestritten, daß die Schweiz ein Land ist, dem die Welt in finanziellen Dingen vertraut. Die Schweiz aber, meine Damen und Herren, trägt eine Schuldenlast von 108 % der Höhe ihres gesamtstaatlichen Haushalts. Bei uns ist die Vergleichszahl, bezogen auf die gesamtstaatlichen Ausgaben, wesentlich geringer, nämlich 84 %. Wenn diese Vergleichszahl, isoliert auf den Bund bezogen, ungünstiger aussieht, dann liegt dàs auch
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an der ungerechtfertigten Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen den drei Gebietskörperschaftsebenen und den stark wachsenden Aufaben des Bundes, insbesondere seinen großen internationalen Verpflichtungen.
Aber es macht uns — gleich der Schweiz — weder zu einer schlechten Adresse noch zu einem Land mit unsoliden öffentlichen Finanzen.
Trotzdem drückt uns die Last der hohen Zinsendienste. Wir sehen mit Sorge diese Entwicklung und möchten deutlich machen, daß dies nicht ein leichtes Spielfeld für Oppositionskritik ist, sondern unser aller Problem.
Deshalb sind wir es ja, die nun nach der Phase notwendiger hoher Kreditaufnahme zur Wirtschaftsbelebung und Sicherung der Arbeitsplätze die Politik der Konsolidierung eingeleitet haben und nicht schon gleich wieder alles Geld vorzeitig und zur falschen Zeit und zum falschen Zeitpunkt weggeben wollen und dürfen.
Vielleicht ist hier die richtige Stelle, darauf hinzuweisen, daß in der Zwischenzeit bekannt ist, was derjenige, der eigentlich hier hätte zuhören sollen, nachdem er gestern den Finanzminister angegriffen hat, nun zwischendurch draußen auf einer Pressekonferenz gesagt hat
und abenteuerliche Größenordnungen von Beträgen an Steuerentlastung vorgetragen hat: für ein einziges Jahr in der Größenordnung von 16,6 Milliarden DM.
Dies geht über das hinaus, was man machen kann. Ich will hier gar nicht auf die Inhalte im einzelnen eingehen.
Aber es ist genau das eingetreten, was unsereiner schon draußen in Versammlungen vorangekündigt hat, was man von Herrn Strauß zu erwarten hat.
Was ist da drin? Da ist zwar auch ein bißchen was für Arbeitnehmer drin, aber auch Vermögensteuersenkungen um 1 Milliarde DM!
— Vermögensteuersenkung um 1 Milliarde! — Wir wissen: Das kommt bei der Politik dieses Mannes heraus.
Arbeitnehmer, hört zu! Das ist der Punkt! Da wird etwas in Richtung von Tarifänderungen versprochen. Auf der anderen Seite werden diejenigen,
die sich heute mit Preissteigerungen Vorteile enormer Art verschaffen, neu und zusätzlich entlastet.
Wir reden über dieses Thema im nächsten Jahr, dann etwas ruhiger, als ich es jetzt bin. — Einverstanden, Herr Althammer; aber nicht in der knappen Zeit, wo ich hier noch ein paar Bemerkungen machen möchte.