Ich will Ihnen einmal folgendes sagen. Ich habe es schon immer stark vermutet — an Hand einiger Beispiele war ich mir dessen sogar gewiß —, aber seitdem ich Bundesfinanzminister bin und mich mit der Materie jetzt gewissermaßen berufsmäßig beschäftige, ist es mir völlig klar: Ich halte Teile unseres Steuersystems in der Tat für höchst ungerecht. Ich werde Ihnen Vorschläge unterbreiten, wie man das ein bißchen vernünftiger und rationaler machen und wie man dabei gleichwohl die Bedürfnisse der einzelnen Gesellschaftsgruppen noch ein bißchen besser befriedigen kann.
— Das ist doch Ihr Problem, weil Sie das Steuersystem immer nur punktuell ändern wollen — mal da, mal hier —; aber eine große Konzeption
bekommt man von Ihnen nicht. Wir werden ja morgen in der Presse lesen, was der Herr bayerische Ministerpräsident in diesem Parlament nicht die Liebenswürdigkeit hatte vorzutragen, nämlich welche Steuervorschläge er jetzt auf der Pressekonferenz vorträgt.
Die werden wir dann im einzelnen diskutieren.
Die sozialliberale Koalition jedenfalls hat in den letzten fünf Jahren regelmäßig Korrekturen der Steuerbelastung der Arbeitnehmer, einen stufenweisen Ausbau familienpolitischer Leistungen und eine vielfache Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und Modernisierungen vorgenommen. Ich will Sie hier an die vielen Dinge nicht erinnern: an die Steuerreform von 1975, die Aufstockung des Kindergeldes 1977, die beiden Steuerentlastungsgesetze 1977, das Steueränderungsgesetz 1979, das auch Steuersenkungen, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen, in diesem Jahr und im nächsten Jahr bringt —
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Bundesminister Matthöfer
vor allen Dingen 1980. Es ist nicht so, als wenn wir da keine Steuer senkten, sondern es gibt Steuersenkungen in Milliardenhöhe gerade für diesen Bereich, der besonders förderungswürdig ist, weil er die Flexibilität in unserer Volkswirtschaft bringt. Da wird eine ganze Menge getan: Maßnahmen, die zusammen im nächsten Jahr eine Steuerentlastung von rund 5 Milliarden DM bringen werden. Damit haben wir im Laufe der letzten fünf Jahre ein Steuerentlastungsprogramm in einer Größenordnung von 40 Milliarden DM — auf das Jahr bezogen, wohlgemerkt — verabschiedet.
Berücksichtigt man das Kindergeld, so liegt die Steuerquote deutlich unter 24 %. Es ist nicht richtig, daß die Steuerquote gestiegen ist. Die Steuerquote liegt knapp über 23 % und damit dort, wo sie seit Jahrzehnten liegt. Wenn der bayerische Ministerpräsident davon spricht, er wolle die Abgabenquote senken, kann ich nicht verstehen, wie sich der Herr Kollege Blüm gestern abend hier hinstellen und alle möglichen Mängel beklagen konnte: daß bestimmte Personengruppen nicht auch noch einbezogen werden und daß dieses und jenes nicht erhöht werde und was diese Bundesregierung eigentlich für eine unsoziale Politik mache. Der eine fordert, die Abgabenquote zu senken, und der andere will dann wieder die Ausgaben erhöhen. Das ist doch eine Arbeitsteilung, die man bei Ihnen deutlich sieht. Jeder verspricht jedem alles. Wir haben gestern gehört, daß Herr Strauß sogar Dinge verspricht, von denen er noch gar nicht weiß, ob er sie kriegen wird und, wenn er sie kriegt, wieviel das sein wird. 870 Millionen DM, sagt er. Wir sagen: Es sind 2,3 Milliarden. Das wird erst einmal so wegversprochen, ohne daß man es schon hat. Alles dies ist unsolide und wirklich nicht regierungsfähig.
Die Steuerpolitik der sozialliberalen Koalition kann sich sehen lassen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben.
— „Hans im Glück" mag schon zutreffen, wie überhaupt sehr viel Weisheit in den deutschen Volksmärchen liegt. Ich könnte Ihnen einige nennen.
Wir haben Milliarden für humane Arbeitsplätze, für eine menschliche Umwelt, für . sparsame und umweltfreundliche Energieverwendung, für die Verbesserung der gesamten Lebens- und Umweltbedingungen aufgebracht. Mit diesem Haushalt 1980 und dem Finanzplan setzen wir entschieden unsere Politik der Zukunftssicherung fort. Wir müssen insbesondere dort, wo unsere heimischen Energiequellen nicht ausreichen, die Möglichkeiten nutzen, alle zur Verfügung stehenden Energiequellen zu entwickeln und für eine sparsamere und rationalere Energieverwendung zu sorgen.
Unsere Unternehmer wie unsere Arbeitnehmer haben in den letzten Jahren eine hohe Anpassungsfähigkeit, einen großen Erfindungsgeist, eine beachtliche Mobilität bei der Bewältigung des Strukturwandels bewiesen. Der Bund stand dabei nicht abseits. Er hat in erheblichem Umfang finanzielle Hilfen gegeben, Risiken übernommen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den strukturellen Verbesserungen angepaßt.
Die Kritik der Opposition an der Strukturpolitik dieser Regierung steht übrigens auch im Widerspruch zur Politik der unionsgeführten Länder, wo wir in gemeinsamer Verantwortung, etwa an der Küste, im Zonenrandgebiet oder an der Saar,
an der Bewältigung dringender regionaler Probleme arbeiten. Ich darf auf die Konzentration der Schwerindustrie im Ruhrgebiet und im Saarland verweisen, die die Lösung der dort entstehenden Strukturprobleme besonders vordringlich gemacht hat.
Der Bund wird mit dem Haushalt 1980 auch der besonderen Lage Berlins gerecht. Die Bundeshilfe für Berlin steigt um 9'/2 % — das ist fast die doppelte Zuwachsrate wie beim übrigen Haushalt — auf 9,25 Mrd. DM. Das wird den Berlinern helfen, mit ihren Problemen fertig zu werden und sich selbst eine dynamische Wirtschaft aufzubauen.
Vollbeschäftigung und Wohlstand in den 80er Jahren setzen voraus, daß die Bundesrepublik ihre Spitzenstellung in Wissenschaft und Technik und in der Produktivität bewahrt und weiter ausbaut. Wir haben mit großer Freude gesehen, daß nicht nur die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen, sondern auch die privaten. Das ist genau der Effekt, den wir erzielen wollten. Wir freuen uns darüber, daß mittlerweile die Bundesrepublik wieder in die Spitzenstellung vorrückt, was den Anteil der Ausgaben für Wissenschaft und Forschung am Bruttosozialprodukt anbelangt.
In einer Zeit stetigen Strukturwandels sind die kleineren und mittleren Unternehmen besonders wichtig. Die Bundesregierung hat deshalb vielfältige Maßnahmen zu ihrer Förderung ergriffen, die auch ihren Niederschlag in diesem Haushalt finden. Ich darf zum Beispiel auf die Mittel für die Personalkosten für Forschung und Entwicklung verweisen, die wegen der regen Inanspruchnahme, insbesondere durch kleine Unternehmen, noch einmal auf 390 Millionen DM erhöht wurden. Auch dies, verehrte Kollegen von der Opposition, sind Zukunftsinvestitionen. Auch dies muß in gewisser Weise mit Krediten finanziert werden.
Ein gezielter Ausbau von Sozialleistungen in den Krisenjahren — ich darf an die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte und an die vorgenommenen Verbesserungen des Mutterschaftsurlaubs, an die Verbesserung der Leistungen beim BAföG verweisen — hat zu einer fühlbaren Entlastung am Arbeitsmarkt beigetragen. Ver-
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stärkte Hilfen brauchen jetzt noch jene benachteiligten Gruppen, die nur schwer in das Arbeitsleben einzugliedern sind: ältere Arbeitnehmer, Behinderte und Teilzeitarbeit suchende Frauen. Die Bundesregierung stellt zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit eine Vielzahl von Hilfen zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen in das Berufsleben bereit. Auch dies muß finanziert werden, und es ist vernünftig zu finanzieren.
Verstärkt werden im Haushalt auch die Hilfen für die besonders gefährdeten und benachteiligten Gruppen: psychisch Kranke, Drogensüchtige, Strafgefangene. Zusammen mit den Ländern, bei denen nach unserer Verfassung nun einmal die Hauptverantwortung liegt, ist die Bundesregierung nicht nur bemüht, das Schicksal dieser Menschen zu verbessern und ihnen Chancen zur Wiedereingliederung aus eigener Kraft zu eröffnen, sondern wir müssen auch verstärkte Anstrengungen unternehmen, um vorbeugende Initiativen zur Vermeidung von Kriminalität, psychischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit, besonders bei Jugendlichen, wirkungsvoll zur Entfaltung zu bringen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu einer Sache machen, über die ich mich gefreut habe. Es gibt immer noch eine Reihe jüdischer Opfer, die durch Gewaltmaßnahmen des Naziregimes Gesundheitsschaden erlitten haben und die sich in einer Notlage befinden, jedoch aus formellen Gründen keine Entschädigungsleistungen erhalten können, weil sie außerstande waren, Antragsfristen einzuhalten oder Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes nicht erfüllen. Diese Menschen haben zwar keinen Rechtsanspruch, aber ich glaube im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können, wenn ich sage, daß sie einen moralischen Anspruch haben, auch Wiedergutmachung zu bekommen.
Wir haben uns alle gedacht, daß für sie eine abschließende Geste erforderlich ist. Ich bedanke mich für die Initiative des Bundestages, und ich danke auch allen drei Fraktionen, daß sie bereit sind, dies noch in den Haushalt einzubringen.
Entwicklungshilfe verstehen wir als Instrument der Friedenspolitik. Sie ist in diesem Jahr ganz beachtlich erhöht worden. Der Haushaltsausschuß hat hier noch einmal draufgelegt. Auch dies ist zu begrüßen.
Die starke internationale Stellung der D-Mark erhöht unsere Verantwortung für stabile Währungsverhältnisse in Europa und im Verhältnis zum Dollar. Hier wollen wir zusehen, daß das Europäische Währungssystem weiter funktioniert.
Unsere Verteidigungsanstrengungen sollen den Frieden auch in Zukunft sichern.
Ich fasse zusammen: Finanzplan und Haushaltsentwurf 1980 spiegeln die gemeinsamen Anstrengungen von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen wider, mit finanzpolitischer Solidität und Disziplin den Anforderungen der 80er Jahre sicher gerecht zu werden.
Auf der Einnahmenseite lehnen wir unzeitgemäße Steuersenkungen ab und geben der volkswirtschaftlich gebotenen Senkung der Kreditaufnahme den Vorrang. Eine Korrektur der Lohn- und Einkommensteuerbelastungen und eine familienpolitische Entlastung sind 1981 möglich und erforderlich.
Die Bundesregierung weist alle Zumutungen zurück, die soliden Grundlagen unserer Finanzpolitik mit gleichzeitigen Mehrausgaben und Mindereinnahmen zu verlassen. Die Kreditaufnahme des Bundes wird sich auch in Zukunft an den Erfordernissen der Beschäftigungspolitik, d.h. an der Sicherung der Arbeitsplätze bei Preisstabilität, ausrichten.
Die Ausgabenpolitik des Bundes dient vor allem dem Ziel, Vollbeschäftigung zu sichern und zukunftssichere Arbeitsplätze in allen Teilen unseres Landes zu schaffen. Haushalt und Finanzplan belegen den entschiedenen Willen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden. Dies bedingt unsere Entschlossenheit, unsere Hilfe für die Länder der Dritten Welt schnell und nachhaltig zu steigern.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserer Finanzpolitik und zum Einzelplan 08.