So hat er es nicht formuliert.
Im übrigen kann man das Auslaufen von Unterstützungsmaßnahmen im regionalen Bereich sehr wohl bedauern. Dieses Bedauern haben wir auch im Wirtschaftsausschuß zum Ausdruck gebracht. Das besagt über die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte nichts. Aber, Herr Kollege, wenn Sie mir erlauben, möchte ich meinen Gedankengang jetzt fortsetzen.
— Wir können das zu einem anderen Zeitpunkt gern diskutieren. Ich komme auf das Problem der Verschuldung noch zurück; vielleicht können Sie
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dann noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen.
— Wir haben uns in der letzten Debatte schon einmal darüber unterhalten, daß Sie Ihre eigene Intelligenz mit solchen Feststellungen nicht beleidigen sollten.
Der Sachverständigenrat sagt: Eine Konsolidationspolitik ist notwendig. Denn der Spielraum für mehr Wachstum muß durch mehr private Investitionen vergrößert werden. Die Rückkehr zu einer dauerhaft hohen Beschäftigung ist nicht ohne eine weitere lange Periode hoher Investitionen möglich. Die spannungsfreie Finanzierung dieser Investitionen setzt nach Auffassung des Sachverständigenrats eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite voraus. Hinzu kommt, meine Damen und Herren, daß die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung, so wie sie uns im Zusammenhang mit dem Haushalt vorgelegt worden ist, von Wachstumsraten ausgeht, die sich inzwischen — auch nach den Aussagen der Sachverständigen — als nicht realistisch erweisen.
Ich habe in diesem Hohen Hause in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Einschätzung der Wachstumsraten über eine längere Zeit mit geringeren Wachstumsraten vertraut machen müssen, und damals von einer Rate von etwa 2 % realem Wachstum gesprochen. Der Sachverständigenrat schätzt jetzt die reale Wachstumsrate für das Jahr 1980 auf 2,5 bis 3 %, dies allerdings unter Annahme einiger besonders günstiger Entwicklungen, d. h. unter Ausschluß weiterer erschwerender Entwicklungen im Energiebereich und unter Einschluß der Annahme, daß die Tarifparteien im Jahr 1980 ähnlich zurückhaltende Abschlüsse wie 1979 tätigen.
Daraus folgt für den Sachverständigenrat als Aufgabe folgendes: Wie läßt sich die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Wie kann sichergestellt werden, daß die Investitionskonjunktur dauerhaft erhalten bleibt? Wie kann man den Risiken der Energieversorgung begegnen? Und wie lassen sich die Beziehungen zu den weniger entwickelten Regionen der Erde ordnen?
Zu einigen dieser Fragen möchte ich einige Kommentare abgeben.
Zunächst: Wie kann man die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Ich stimme mit dem Sachverständigenrat darin überein, daß es für die Konjunkturpolitik im Jahr 1980 keinen staatlichen Handlungsbedarf gibt. Die Entwicklung der Wirtschaft ist zur Zeit so, daß es keiner zusätzlichen staatlichen Impulse bedarf, um etwa die Wachstumsrate zu steigern. Deshalb sollten auch öffentliche Mittel zur Forcierung des Wachstums im kommenden Jahr nicht eingesetzt werden. Ich stimme dem Sachverständigenrat auch in der Feststellung zu, daß es auch keinen staatlichen Ausgleich im Sinn einer weiteren Stimulation des Wachstums für die Ölpreiserhöhungen geben darf. Würde der Staat jetzt die
Wirkungen der Ölpreiserhöhung auf die Wirtschaft durch zusätzliche staatliche Maßnahmen, insbesondere durch eine expansive Konjunkturpolitik abschwächen oder aufzuheben versuchen, so würde das mit dem steigenden Energiepreisniveau an sich verbundene Einsparen von Energie unterbleiben und die notwendige Umverteilung der Investitionsmittel nicht stattfinden.
Zum dritten ist Voraussetzung dafür, daß die Teuerungswelle unter Kontrolle gebracht werden kann, ein weiterhin vernünftiges Verhalten der Tarifparteien. Wir stimmen heute genauso wie zu früheren Gelegenheiten der Feststellung zu, die z. B. Herr Grobecker heute morgen gemacht hat, daß die Gewerkschaften in den Abschlüssen der letzten Jahre Vernunft bewiesen haben. Wir stimmen auch der Feststellung zu, daß dies anerkannt werden muß. Ich muß allerdings sagen, daß die jüngsten Ankündigungen möglicher Forderungen für die kommende Tarifrunde außerhalb des Rahmens liegen, der hier mit „vernünftig" umschrieben wird.
Im übrigen möchte ich eine allgemeinere Bemerkung machen. Wir haben uns daran gewöhnt, die Gewerkschaften dafür zu loben, daß sie sich vernünftig verhalten, und die Unternehmen zu ermahnen, daß sie dies bei den Preisen auch tun. Das ist richtig. Nur, der Konflikt, der hier angedeutet wird, ist in vielen Fällen überholt. Das Preisverhalten, das die Teuerungsrate bestimmt, ebenso wie die Tarifpolitik, wird weitgehend von den großen Unternehmen bestimmt. Die großen Unternehmen sind seit einigen Jahren mitbestimmt, und zwar in einem Umfang, der die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten unbestreitbar in die Lage versetzt, auf die Unternehmensstrategien Einfluß zu nehmen. Mir ist aus den letzten Jahren kein Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Kapitaleignervertretern in den Aufsichtsräten bekannt geworden, der das Preisverhalten großer Unternehmen zum Gegenstand gehabt hätte.
— Sie müssen mich nicht darüber belehren, Herr Kollege Wolfram, daß die Preise im einzelnen nicht in Aufsichtsräten gemacht werden. Aber wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Herr Schmücker eine Diskussion über die Preise der Produkte von Volkswagen verweigern könnte, wenn der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Loderer im Aufsichtsrat Fragen danach stellt?
Es ist doch wohl ganz ausgeschlossen, wenn Sie die Mitbestimmung in Ihrem Zweck nicht selbst ad absurdum führen wollen, jetzt plötzlich die wichtigste Frage unternehmerischer Tätigkeit, nämlich die Preispolitik im Markt gewissermaßen als Naturschutzpark kapitalistischer Betätigung aus der von Ihnen selbst konzipierten Mitbestimmung auszuschließen.
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Das heißt aber doch, meine Damen und Herren, daß die Gewerkschaften, wenn sie mit den Unternehmensverbänden verhandeln, in denen ja die kleinen und mittleren Unternehmen immer darüber klagen, daß die Großunternehmen den Verhandlungston angeben, dann eben doch eine wesentliche Mitverantwortung für beide Seiten der Lohn- und Preisspirale tragen: die volle Verantwortung für die eine und eine Mitverantwortung für die andere.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, meine Damen und Herren — wie viele von Ihnen auch —: die Gewerkschaften gehen im Zusammenhang mit der Forderung nach Lohnerhöhungen — jedenfalls bei Großunternehmen — als selbstverständlich davon aus, daß die Unternehmen in der Lage sein werden, die mit der Lohnerhöhung verbundenen Kosten an die Allgemeinheit weiterzugeben. Diese Weitergabe der Kosten an die Allgemeinheit durch die Unternehmen bedeutet nichts anderes als die Nutzung großer Unternehmen als Agenturen der Umverteilung. Nun aber müssen wir uns daran erinnern, daß wir, wie Herr Vetter, wie Sie und wie andere das immer wieder betont haben, inzwischen in einer Arbeitnehmergesellschaft leben, in der 80 % der Menschen entweder Arbeitnehmer sind oder Arbeitnehmerhaushalten zugehören. Das heißt: Wenn wir über Lohnerhöhungen die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmerhaushalte verbessern wollen, dann werden es letztlich die oder andere Arbeitnehmerhaushalte sein, die die Rechnung bezahlen. Sie können auf Dauer nicht zugunsten einer Mehrheit umverteilen.
Die Investitionskonjunktur — die zweite Voraussetzung, die der Sachverständigenrat nennt — kann nur erhalten werden, wenn die Unternehmen ausreichende Gewinne erzielen. Die Unternehmen können nicht in sehr viel größerem Maße ihre Investitionen fremdfinanzieren, als das bisher der Fall ist, ohne die Eigenkapitaldecke so klein werden zu lassen, daß sie in einem nicht mehr vertretbaren Maße risikoanfällig werden.
Die Finanzierung von Investitionen durch Gewinne stößt nun sofort auf einen schwerwiegenden und ernst zu nehmenden Vorbehalt, nämlich den, daß damit Umverteilung verbunden sei, und zwar zu Lasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Aktionäre. Dies ist ein gewichtiger Einwand. Er ist nur durch eine Politik zu überwinden, die die Arbeitnehmer an der Kapitalbildung beteiligt.
Aus diesem Grunde haben wir seit Jahren immer wieder die Forderung erhoben,
die Vermögensbildung auszubauen und den Arbeitnehmern und den Tarifparteien die Möglichkeit zu geben, an der zur Schaffung neuer Investitionsgüter notwendigen Verbreiterung der Kapitalbasis der Unternehmen mitzuwirken. Wir haben im zuständigen Ausschuß für Wirtschaft immer wieder die Vorlage der Regierung zu diesem Problem gefordert. Wir haben sie bis heute nicht erhalten.
Die Vorlage scheitert daran, daß die Koalition selbst in der Frage der Vermögensbildung zerstritten ist. Die Freien Demokraten würden eine Vermögensbildungspolitik gerne entlang der Linien einer Verbreiterung des Anlagenkatalogs und einer Verbesserung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen mitmachen. Die Sozialdemokraten sehen sich außerstande, die notwendige Mehrheit dafür zur Verfügung zu stellen, wenn diese Maßnahme nicht mit der Einführung von Tariffonds gekoppelt wird, die nichts anderes bedeuten als die Wiedereinführung des unseligen Sozialkapitals durch die Hintertür eines neuen Begriffs.
Was hier versucht wird, ist die Herstellung eines Junktims zwischen einer wirklichen, dem mündigen Bürger angemessenen und einer denselben bevormundenden Vermögenspolitik. Da die beiden Dinge nicht kompromißfähig sind, weil sie sich widersprechen, bleibt die ganze Sache auf der Strecke.
Wir halten es für unabdingbar, daß die Frage der Vermögensbildung vorangetrieben wird. Wir werden unter gegebenen Bedingungen nicht in der Lage sein, die Eigenkapitalbedürfnisse der Unternehmen aus ihren Erträgen zu befriedigen, weil sich die Gewerkschaften — von ihrer Warte aus gesehen zu Recht — auf den Standpunkt stellen, daß sie nicht daran mitwirken können, die für Lohnerhöhungen verfügbaren Ressourcen des Unternehmens in die Eigenkapitalbildung zu geben, ohne selbst maßgeblich an diesem Prozeß beteiligt zu werden. Genauso hat Herr Pfeiffer vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf einer kürzlich veranstalteten Podiumsdiskussion den Vorbehalt der deutschen Gewerkschaften formuliert. Ohne daß der Gesetzgeber hier neue Möglichkeiten der Vermögensbildung zur Verfügung stellt, wird deshalb die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen sich weiter verschlechtern und damit die Investitionskonjunktur, die der Sachverständigenrat für unerläßlich hält, gefährdet werden.
Weiterhin werden Investitionen im notwendigen Umfang in Zukunft nur stattfinden, wenn die Konkurrenz zur öffentlichen Verschuldung abgebaut wird. Der Sachverständigenrat hat ausdrücklich die nachhaltige Reduktion der öffentlichen Verschuldung zur notwendigen Voraussetzung dafür erklärt, daß die zur Erhaltung der Arbeitsplätze und zur Sicherung des Wachstums erforderlichen Investitionsmittel der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Wir müssen also Ursachen der öffentlichen Verschuldung abbauen.
Auf eine wesentliche Ursache, nämlich die Vorstellung von der Notwendigkeit, Wachstum auch dann stützen zu müssen, wenn es zwar stattfindet, aber für unzureichend gehalten wird, habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen. Ich will es deshalb hier mit dem Hinweis bewenden lassen. Nur eines möchte ich feststellen. Vor wenigen Jahren noch galten Wachstumsraten von weniger als 4% real als eine echte Gefährdung der Regierbarkeit unserer Gesellschaft. Noch im Sommer 1978 haben die Regierungschefs beim Bonner Wirtschaftsgipfel die Auffassung vertreten, die Regierbarkeit westli-
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cher Demokratien werde gefährdet, wenn die Wachstumsraten unter diesen Pegel sinken. Für 1980 werden wir wahrscheinlich mit einer Wachstumsrate von 2 % real rechnen können, ohne daß deshalb unser Land unregierbar wird.
Die Schwierigkeiten liegen auch gar nicht bei der Bevölkerung selbst, was die Wachstumsproblematik anbetrifft.
Die Schwierigkeiten liegen wo ganz anders. Sie liegen bei der Bewältigung der Anpassungs- und Strukturprobleme, denen die Organisationen ausgesetzt sind, die in der Vergangenheit mit großem Erfolg ein Umverteilungskarussell in Gang gehalten haben. Ein Umverteilungskarussell, das ohne Beschädigung bereits vorhandener Besitzstände nur unter Bedingungen hoher Wachstumsraten in Gang gehalten werden kann.
In dem Maße, in dem Wachstumsraten zurückgehen, werden nicht, wie Herr Eppler das formuliert hat, die Institutionen unserer Gesellschaft gefährdet. Was gefährdet wird, sind die Umverteilungsbesitzstände derer, die in einem zunehmend zum Nullsummenspiel degenerierenden Umverteilungsprozeß die einzigen sind, die noch verdienen. Wir müssen diesem Problem nachgehen.
Eine der wichtigsten Ursachen für die scheinbar unausweichliche Dynamik der Expansion der öffentlichen Verschuldung liegt in einem Umverteilungsprozeß, der sich als sozial ausgibt, aber mit sozial nicht mehr viel zu tun hat.
Wir müssen den Mut haben, in diesem Zusammenhang einmal den Begriff „sozial" unter die Lupe zu nehmen. Es ist zugestandenermaßen nicht sozial, 40% der Sozialwohnungen mit Leuten zu belegen, die ein Einkommen haben, das weit über der Einkommensschwelle liegt. Trotzdem läuft das immer noch unter „sozial".
Es gibt eine ganze Reihe von politischen Zielen, die durch Umverteilung erreicht werden sollen und die sich nur deshalb als sozial legitimieren, weil sie die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Problemlösung oder der Gerechtigkeit der Umverteilung abwehren wollen. Was als sozial bezeichnet wird, das darf nach heutiger Praxis nämlich nicht mehr unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten in Frage gestellt oder nach seiner Wirtschaftlichkeit befragt werden.
Es scheint mir dringend erforderlich, die von der Regierung eingesetzte Transferkommission zusätzlich zu beauftragen, sowohl im Bereich des Sozialetats wie in dem des Subventionshaushalts den Versuch einer Neudefinition und Neubestimmung des sozialen Auftrags vorzunehmen. Ohne eine solche Neubestimmung des sozialen Auftrags vor völlig veränderten Bedingungen in der Gegenwart ist es nicht
möglich, den Umverteilungsprozeß wieder zu begrenzen und einzufangen.
Der dritte Punkt ist die Energiepolitik. Der Sachverständigenrat hat hier Vorschläge zur Einführung einer Energiesteuer gemacht, denen ich nicht ohne Vorbehalt gegenüberstehe. Ich bin der Meinung — da teile ich die Auffassung, die auch der Wirtschaftsminister zum Ausdruck gebracht hat —, daß der Einsatz der Steuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt Probleme auslöst — vor allem auch im Verhältnis zu den rohölproduzierenden Ländern —, die im Sachverständigengutachten nach meinem Eindruck nicht ausreichend bedacht sind.
Graf Lambsdorff hat am 28. November in diesem Hohen Hause über die Unverzichtbarkeit der Kernenergie gesprochen. Er hat festgestellt, daß die mit der Kernenergie verbundenen Sicherheitsprobleme lösbar seien. Er hat, ebenso wie der Bundeskanzler auch, ausgeführt, die Kernenergie sei für uns unverzichtbar. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundesregierung haben am 28. September 1979 Vereinbarungen getroffen, wie man das Entsorgungsproblem lösen kann. Der Wirtschaftminister hat im Bundestag erklärt, mit dieser Vereinbarung seien die Sicherheitsprobleme lösbar geworden.
Nach unserer Überzeugung ist das Problem einer sicheren und langfristigen Energieversorgung für unsere Wirtschaft und damit die Sicherung der existentiellen Grundlage für diese Wirtschaft, für Wohlfahrt und für Vollbeschäftigung überhaupt nur lösbar im Rahmen eines Verbunds von Kohle und Kernenergie.
Dies ist im übrigen keineswegs nur die Auffassung der Opposition im Bundestag; es ist auch die ganz eindeutige Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, es ist die Auffassung der wichtigsten deutschen Gewerkschaften, es ist die Auffassung des Sachverständigenrats, es ist im Grunde die Auffassung aller Sachkenner, die sich um das Problem der Lösung der Energiefragen bemühen.
Kohle und Kernenergie im Verbund miteinander sind die unverzichtbaren Säulen, auf denen eine langfristig angelegte, aber alsbald in Angriff zu nehmende Lösung der Energieprobleme aufbaut.
Das große Problem der Bundesregierung besteht darin, daß ihr die größere Regierungspartei bei der Lösung dieser Probleme die Gefolgschaft verweigert. Die Sozialdemokratische Partei in Nordrhein-Westfalen hat gestern den Entwurf eines Wahlprogramms für die Landtagswahl vorgelegt, in dem festgestellt wird, daß ein Bedarf an weiteren Kernkraftwerken in Nordrhein-Westfalen nicht bestehe.
Es wird außerdem festgestellt — das möchte ich hier als interessanten Beitrag zur kernenergiepolitischen Diskussion erwähnen —, die sicherste Energie sei die gesparte Energie.
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Mit anderen Worten: Macht das Licht aus, Genossen, dann kann es nicht mehr ausgehen!
Die SPD in Baden-Württemberg hat beschlossen, in ihr Wahlkampfprogramm für die Landtagswahl 1980 einen Baustopp für Kernkraftwerke in Baden-Württemberg bis 1984 aufzunehmen. Sie berät noch darüber, ob sie auch einen Genehmigungsstopp für bereits im Bau befindliche Kernkraftwerke beschließen soll.
Die FDP in Nordrhein-Westfalen lehnt durch den neugewählten Landesvorsitzenden Hirsch
den Weiterbau des Schnellen Brüters in Kalkar ab.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das? Das bedeutet, daß in Nordrhein-Westfalen, wenn Sozialdemokraten und Freie Demokraten das Regierungsmandat über den 11. Mai 1980 hinaus behalten sollten,
die Entwicklung des Verbunds von Kohle und Kernkraft an der SPD scheitern wird.
Nun wäre das kein Problem und müßte vor allen Dingen nicht Eingang in diese Debatte finden, wenn die Sozialdemokratische Partei in NordrheinWestfalen nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihren landespolitischen Problemen und der Bundespolitik hergestellt hätte. In demselben Entwurf eines Wahlprogramms steht nämlich, daß man den Ministerpräsidenten Rau wählen müsse — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt seine Politik der sozialen Sicherheit- und des äußeren Friedens fortführen. Man müsse ihn wählen — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt als Kanzler weiter erfolgreich regieren." Mir war bisher nicht bekannt, daß der Bundeskanzler sein politisches Schicksal, die Ausübung seines Amtes und die erfolgreiche Bewältigung der ihm übertragenen Aufgabe an Johannes Rau hängen muß.
Das ist um so ungewöhnlicher, als in demselben Wahlprogramm der Sozialdemokraten der Satz steht: „Wie Heinz Kühn ist Johannes Rau ein erfolgreicher und anerkannter Ministerpräsident."
Ich darf darauf hinweisen,
daß Heinz Kühn durch seine eigene Partei gezwungen wurde, den Sessel zu räumen, auf dem er saß, weil man ihn für unfähig hielt.