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    Plenarprotokoll 8/192 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 Inhalt: Nachruf auf den ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Professor Dr. Carlo Schmid 15177A Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung 15177 D Telegramm der deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union an den Schiitenführer Ayatollah Khomeini . . . 15221 D Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1980 (Haushaltsgesetz 1980) — Drucksachen 8/3100, 8/3354 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache 8/3378 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 8/3393 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 8/3397 — Carstens (Emstek) CDU/CSU 15178A Grobecker SPD 15185A Gärtner FDP 15188B Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 15193 B Dr. Schäuble CDU/CSU 15205 D Westphal SPD 15208 C Frau Matthäus-Maier FDP 15212 B Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksache 8/3379 — Glos CDU/CSU 15215 B Frau Simonis SPD 15222 C Dr. Haussmann FDP 15228 B Dr. Biedenkopf CDU/CSU 15231 D Reuschenbach SPD 15238 B Dr. Graf Lambsdorff BMWi 15241 B Gerstein CDU/CSU 15250A Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 15253 B Wurbs FDP 15256A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 Dr. Warnke CDU/CSU 15257 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 15259A Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksache 8/3387 — 15222 B Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/3380 — Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . 15261 C Simpfendörfer SPD 15264A Zywietz FDP 15266 C Ertl, Bundesminister BML 15268 D Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 8/3382, 8/3430 — in Verbindung mit Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksache 8/3383 — Schröder (Lüneburg) CDU/CSU . . . 15270C Müller (Nordenham) SPD . . . 15272D, 15283A Hoffie FDP 15274 C Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) CDU/ CSU 15277A Curdt SPD 15278 D Merker FDP 15281 A Feinendegen CDU/CSU 15282 C Dr. Friedmann CDU/CSU 15283 B Gscheidle, Bundesminister BMV /BMP 15285 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 8/3389 — Hauser (Bonn-Bad Godesberg) CDU/CSU 15288 B Frau Traupe SPD 15290 B Gattermann FDP 15293 C Dr. Schneider CDU/CSU 15295 D Müntefering SPD 15298 B Dr. Haack, Bundesminister BMBau . . . 15300 B Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 8/3377 — Dr. Friedmann CDU/CSU 15302 C Dr. Emmerlich SPD 15304A Engelhard FDP 15305 B Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . . 15306A Nächste Sitzung 15307 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 15309* Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15177 192. Sitzung Bonn, den 12. Dezember 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 14. 12. Dr. Aigner* 14. 12. Alber* 14. 12. Dr. Apel 12. 12. Dr. Bangemann* 14. 12. Blumenfeld* 14. 12. Egert 14. 12. Fellermaier* 14. 12. Frau Dr. Focke* 14. 12. Friedrich (Würzburg) * 14. 12. Dr. Früh* 14. 12. Dr. Fuchs* 14. 12. Gallus 14. 12. von Hassel* 14. 12. Katzer 14. 12. Dr. h. c. Kiesinger 12. 12. Dr. Klepsch* 14. 12. Lange* 14. 12. Lücker* 14. 12. Luster* 14. 12. Milz 14. 12. _ Dr. Möller 12. 12. Dr. Müller-Hermann* 14. 12. Dr. Pfennig * 14. 12. Frau Schleicher* 14. 12. Dr. Schwarz-Schilling 13. 12. Dr. Schwencke (Nienburg) * 14. 12. Seefeld * 14. 12. Sieglerschmidt * 14. 12. Frau Tübler 14. 12. Frau Dr. Walz* 14. 12. Wawrzik * 14. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    So hat er es nicht formuliert.

    (Glos [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! — Zurufe von der CDU/CSU: Der hat nicht zugehört!)

    Im übrigen kann man das Auslaufen von Unterstützungsmaßnahmen im regionalen Bereich sehr wohl bedauern. Dieses Bedauern haben wir auch im Wirtschaftsausschuß zum Ausdruck gebracht. Das besagt über die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte nichts. Aber, Herr Kollege, wenn Sie mir erlauben, möchte ich meinen Gedankengang jetzt fortsetzen.

    (Löffler [SPD]: Das habe ich mir beinahe gedacht!)

    — Wir können das zu einem anderen Zeitpunkt gern diskutieren. Ich komme auf das Problem der Verschuldung noch zurück; vielleicht können Sie
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15233
    Dr. Biedenkopf
    dann noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen.

    (Löffler [SPD]: Gespaltene Zunge!)

    — Wir haben uns in der letzten Debatte schon einmal darüber unterhalten, daß Sie Ihre eigene Intelligenz mit solchen Feststellungen nicht beleidigen sollten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Sachverständigenrat sagt: Eine Konsolidationspolitik ist notwendig. Denn der Spielraum für mehr Wachstum muß durch mehr private Investitionen vergrößert werden. Die Rückkehr zu einer dauerhaft hohen Beschäftigung ist nicht ohne eine weitere lange Periode hoher Investitionen möglich. Die spannungsfreie Finanzierung dieser Investitionen setzt nach Auffassung des Sachverständigenrats eine starke Reduktion der öffentlichen Defizite voraus. Hinzu kommt, meine Damen und Herren, daß die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung, so wie sie uns im Zusammenhang mit dem Haushalt vorgelegt worden ist, von Wachstumsraten ausgeht, die sich inzwischen — auch nach den Aussagen der Sachverständigen — als nicht realistisch erweisen.
    Ich habe in diesem Hohen Hause in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Einschätzung der Wachstumsraten über eine längere Zeit mit geringeren Wachstumsraten vertraut machen müssen, und damals von einer Rate von etwa 2 % realem Wachstum gesprochen. Der Sachverständigenrat schätzt jetzt die reale Wachstumsrate für das Jahr 1980 auf 2,5 bis 3 %, dies allerdings unter Annahme einiger besonders günstiger Entwicklungen, d. h. unter Ausschluß weiterer erschwerender Entwicklungen im Energiebereich und unter Einschluß der Annahme, daß die Tarifparteien im Jahr 1980 ähnlich zurückhaltende Abschlüsse wie 1979 tätigen.
    Daraus folgt für den Sachverständigenrat als Aufgabe folgendes: Wie läßt sich die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Wie kann sichergestellt werden, daß die Investitionskonjunktur dauerhaft erhalten bleibt? Wie kann man den Risiken der Energieversorgung begegnen? Und wie lassen sich die Beziehungen zu den weniger entwickelten Regionen der Erde ordnen?
    Zu einigen dieser Fragen möchte ich einige Kommentare abgeben.
    Zunächst: Wie kann man die Teuerungswelle unter Kontrolle bringen? Ich stimme mit dem Sachverständigenrat darin überein, daß es für die Konjunkturpolitik im Jahr 1980 keinen staatlichen Handlungsbedarf gibt. Die Entwicklung der Wirtschaft ist zur Zeit so, daß es keiner zusätzlichen staatlichen Impulse bedarf, um etwa die Wachstumsrate zu steigern. Deshalb sollten auch öffentliche Mittel zur Forcierung des Wachstums im kommenden Jahr nicht eingesetzt werden. Ich stimme dem Sachverständigenrat auch in der Feststellung zu, daß es auch keinen staatlichen Ausgleich im Sinn einer weiteren Stimulation des Wachstums für die Ölpreiserhöhungen geben darf. Würde der Staat jetzt die
    Wirkungen der Ölpreiserhöhung auf die Wirtschaft durch zusätzliche staatliche Maßnahmen, insbesondere durch eine expansive Konjunkturpolitik abschwächen oder aufzuheben versuchen, so würde das mit dem steigenden Energiepreisniveau an sich verbundene Einsparen von Energie unterbleiben und die notwendige Umverteilung der Investitionsmittel nicht stattfinden.
    Zum dritten ist Voraussetzung dafür, daß die Teuerungswelle unter Kontrolle gebracht werden kann, ein weiterhin vernünftiges Verhalten der Tarifparteien. Wir stimmen heute genauso wie zu früheren Gelegenheiten der Feststellung zu, die z. B. Herr Grobecker heute morgen gemacht hat, daß die Gewerkschaften in den Abschlüssen der letzten Jahre Vernunft bewiesen haben. Wir stimmen auch der Feststellung zu, daß dies anerkannt werden muß. Ich muß allerdings sagen, daß die jüngsten Ankündigungen möglicher Forderungen für die kommende Tarifrunde außerhalb des Rahmens liegen, der hier mit „vernünftig" umschrieben wird.
    Im übrigen möchte ich eine allgemeinere Bemerkung machen. Wir haben uns daran gewöhnt, die Gewerkschaften dafür zu loben, daß sie sich vernünftig verhalten, und die Unternehmen zu ermahnen, daß sie dies bei den Preisen auch tun. Das ist richtig. Nur, der Konflikt, der hier angedeutet wird, ist in vielen Fällen überholt. Das Preisverhalten, das die Teuerungsrate bestimmt, ebenso wie die Tarifpolitik, wird weitgehend von den großen Unternehmen bestimmt. Die großen Unternehmen sind seit einigen Jahren mitbestimmt, und zwar in einem Umfang, der die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten unbestreitbar in die Lage versetzt, auf die Unternehmensstrategien Einfluß zu nehmen. Mir ist aus den letzten Jahren kein Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Kapitaleignervertretern in den Aufsichtsräten bekannt geworden, der das Preisverhalten großer Unternehmen zum Gegenstand gehabt hätte.

    (Sehr richtig! und Hört! Hört! bei der CDU/ CSU — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Die Preise werden nicht im Aufsichtsrat gemacht!)

    — Sie müssen mich nicht darüber belehren, Herr Kollege Wolfram, daß die Preise im einzelnen nicht in Aufsichtsräten gemacht werden. Aber wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Herr Schmücker eine Diskussion über die Preise der Produkte von Volkswagen verweigern könnte, wenn der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Loderer im Aufsichtsrat Fragen danach stellt?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch wohl ganz ausgeschlossen, wenn Sie die Mitbestimmung in Ihrem Zweck nicht selbst ad absurdum führen wollen, jetzt plötzlich die wichtigste Frage unternehmerischer Tätigkeit, nämlich die Preispolitik im Markt gewissermaßen als Naturschutzpark kapitalistischer Betätigung aus der von Ihnen selbst konzipierten Mitbestimmung auszuschließen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    15234 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
    Dr. Biedenkopf
    Das heißt aber doch, meine Damen und Herren, daß die Gewerkschaften, wenn sie mit den Unternehmensverbänden verhandeln, in denen ja die kleinen und mittleren Unternehmen immer darüber klagen, daß die Großunternehmen den Verhandlungston angeben, dann eben doch eine wesentliche Mitverantwortung für beide Seiten der Lohn- und Preisspirale tragen: die volle Verantwortung für die eine und eine Mitverantwortung für die andere.
    Aus vielen Gesprächen weiß ich, meine Damen und Herren — wie viele von Ihnen auch —: die Gewerkschaften gehen im Zusammenhang mit der Forderung nach Lohnerhöhungen — jedenfalls bei Großunternehmen — als selbstverständlich davon aus, daß die Unternehmen in der Lage sein werden, die mit der Lohnerhöhung verbundenen Kosten an die Allgemeinheit weiterzugeben. Diese Weitergabe der Kosten an die Allgemeinheit durch die Unternehmen bedeutet nichts anderes als die Nutzung großer Unternehmen als Agenturen der Umverteilung. Nun aber müssen wir uns daran erinnern, daß wir, wie Herr Vetter, wie Sie und wie andere das immer wieder betont haben, inzwischen in einer Arbeitnehmergesellschaft leben, in der 80 % der Menschen entweder Arbeitnehmer sind oder Arbeitnehmerhaushalten zugehören. Das heißt: Wenn wir über Lohnerhöhungen die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmerhaushalte verbessern wollen, dann werden es letztlich die oder andere Arbeitnehmerhaushalte sein, die die Rechnung bezahlen. Sie können auf Dauer nicht zugunsten einer Mehrheit umverteilen.
    Die Investitionskonjunktur — die zweite Voraussetzung, die der Sachverständigenrat nennt — kann nur erhalten werden, wenn die Unternehmen ausreichende Gewinne erzielen. Die Unternehmen können nicht in sehr viel größerem Maße ihre Investitionen fremdfinanzieren, als das bisher der Fall ist, ohne die Eigenkapitaldecke so klein werden zu lassen, daß sie in einem nicht mehr vertretbaren Maße risikoanfällig werden.
    Die Finanzierung von Investitionen durch Gewinne stößt nun sofort auf einen schwerwiegenden und ernst zu nehmenden Vorbehalt, nämlich den, daß damit Umverteilung verbunden sei, und zwar zu Lasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Aktionäre. Dies ist ein gewichtiger Einwand. Er ist nur durch eine Politik zu überwinden, die die Arbeitnehmer an der Kapitalbildung beteiligt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aus diesem Grunde haben wir seit Jahren immer wieder die Forderung erhoben,

    (Zuruf von der SPD: Was ist das für eine langweilige Rede!)

    die Vermögensbildung auszubauen und den Arbeitnehmern und den Tarifparteien die Möglichkeit zu geben, an der zur Schaffung neuer Investitionsgüter notwendigen Verbreiterung der Kapitalbasis der Unternehmen mitzuwirken. Wir haben im zuständigen Ausschuß für Wirtschaft immer wieder die Vorlage der Regierung zu diesem Problem gefordert. Wir haben sie bis heute nicht erhalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Die Vorlage scheitert daran, daß die Koalition selbst in der Frage der Vermögensbildung zerstritten ist. Die Freien Demokraten würden eine Vermögensbildungspolitik gerne entlang der Linien einer Verbreiterung des Anlagenkatalogs und einer Verbesserung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen mitmachen. Die Sozialdemokraten sehen sich außerstande, die notwendige Mehrheit dafür zur Verfügung zu stellen, wenn diese Maßnahme nicht mit der Einführung von Tariffonds gekoppelt wird, die nichts anderes bedeuten als die Wiedereinführung des unseligen Sozialkapitals durch die Hintertür eines neuen Begriffs.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was hier versucht wird, ist die Herstellung eines Junktims zwischen einer wirklichen, dem mündigen Bürger angemessenen und einer denselben bevormundenden Vermögenspolitik. Da die beiden Dinge nicht kompromißfähig sind, weil sie sich widersprechen, bleibt die ganze Sache auf der Strecke.
    Wir halten es für unabdingbar, daß die Frage der Vermögensbildung vorangetrieben wird. Wir werden unter gegebenen Bedingungen nicht in der Lage sein, die Eigenkapitalbedürfnisse der Unternehmen aus ihren Erträgen zu befriedigen, weil sich die Gewerkschaften — von ihrer Warte aus gesehen zu Recht — auf den Standpunkt stellen, daß sie nicht daran mitwirken können, die für Lohnerhöhungen verfügbaren Ressourcen des Unternehmens in die Eigenkapitalbildung zu geben, ohne selbst maßgeblich an diesem Prozeß beteiligt zu werden. Genauso hat Herr Pfeiffer vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf einer kürzlich veranstalteten Podiumsdiskussion den Vorbehalt der deutschen Gewerkschaften formuliert. Ohne daß der Gesetzgeber hier neue Möglichkeiten der Vermögensbildung zur Verfügung stellt, wird deshalb die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen sich weiter verschlechtern und damit die Investitionskonjunktur, die der Sachverständigenrat für unerläßlich hält, gefährdet werden.
    Weiterhin werden Investitionen im notwendigen Umfang in Zukunft nur stattfinden, wenn die Konkurrenz zur öffentlichen Verschuldung abgebaut wird. Der Sachverständigenrat hat ausdrücklich die nachhaltige Reduktion der öffentlichen Verschuldung zur notwendigen Voraussetzung dafür erklärt, daß die zur Erhaltung der Arbeitsplätze und zur Sicherung des Wachstums erforderlichen Investitionsmittel der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Wir müssen also Ursachen der öffentlichen Verschuldung abbauen.
    Auf eine wesentliche Ursache, nämlich die Vorstellung von der Notwendigkeit, Wachstum auch dann stützen zu müssen, wenn es zwar stattfindet, aber für unzureichend gehalten wird, habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen. Ich will es deshalb hier mit dem Hinweis bewenden lassen. Nur eines möchte ich feststellen. Vor wenigen Jahren noch galten Wachstumsraten von weniger als 4% real als eine echte Gefährdung der Regierbarkeit unserer Gesellschaft. Noch im Sommer 1978 haben die Regierungschefs beim Bonner Wirtschaftsgipfel die Auffassung vertreten, die Regierbarkeit westli-
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15235
    Dr. Biedenkopf
    cher Demokratien werde gefährdet, wenn die Wachstumsraten unter diesen Pegel sinken. Für 1980 werden wir wahrscheinlich mit einer Wachstumsrate von 2 % real rechnen können, ohne daß deshalb unser Land unregierbar wird.
    Die Schwierigkeiten liegen auch gar nicht bei der Bevölkerung selbst, was die Wachstumsproblematik anbetrifft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Schwierigkeiten liegen wo ganz anders. Sie liegen bei der Bewältigung der Anpassungs- und Strukturprobleme, denen die Organisationen ausgesetzt sind, die in der Vergangenheit mit großem Erfolg ein Umverteilungskarussell in Gang gehalten haben. Ein Umverteilungskarussell, das ohne Beschädigung bereits vorhandener Besitzstände nur unter Bedingungen hoher Wachstumsraten in Gang gehalten werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In dem Maße, in dem Wachstumsraten zurückgehen, werden nicht, wie Herr Eppler das formuliert hat, die Institutionen unserer Gesellschaft gefährdet. Was gefährdet wird, sind die Umverteilungsbesitzstände derer, die in einem zunehmend zum Nullsummenspiel degenerierenden Umverteilungsprozeß die einzigen sind, die noch verdienen. Wir müssen diesem Problem nachgehen.
    Eine der wichtigsten Ursachen für die scheinbar unausweichliche Dynamik der Expansion der öffentlichen Verschuldung liegt in einem Umverteilungsprozeß, der sich als sozial ausgibt, aber mit sozial nicht mehr viel zu tun hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir müssen den Mut haben, in diesem Zusammenhang einmal den Begriff „sozial" unter die Lupe zu nehmen. Es ist zugestandenermaßen nicht sozial, 40% der Sozialwohnungen mit Leuten zu belegen, die ein Einkommen haben, das weit über der Einkommensschwelle liegt. Trotzdem läuft das immer noch unter „sozial".

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt eine ganze Reihe von politischen Zielen, die durch Umverteilung erreicht werden sollen und die sich nur deshalb als sozial legitimieren, weil sie die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Problemlösung oder der Gerechtigkeit der Umverteilung abwehren wollen. Was als sozial bezeichnet wird, das darf nach heutiger Praxis nämlich nicht mehr unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten in Frage gestellt oder nach seiner Wirtschaftlichkeit befragt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es scheint mir dringend erforderlich, die von der Regierung eingesetzte Transferkommission zusätzlich zu beauftragen, sowohl im Bereich des Sozialetats wie in dem des Subventionshaushalts den Versuch einer Neudefinition und Neubestimmung des sozialen Auftrags vorzunehmen. Ohne eine solche Neubestimmung des sozialen Auftrags vor völlig veränderten Bedingungen in der Gegenwart ist es nicht
    möglich, den Umverteilungsprozeß wieder zu begrenzen und einzufangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der dritte Punkt ist die Energiepolitik. Der Sachverständigenrat hat hier Vorschläge zur Einführung einer Energiesteuer gemacht, denen ich nicht ohne Vorbehalt gegenüberstehe. Ich bin der Meinung — da teile ich die Auffassung, die auch der Wirtschaftsminister zum Ausdruck gebracht hat —, daß der Einsatz der Steuer zum gegenwärtigen Zeitpunkt Probleme auslöst — vor allem auch im Verhältnis zu den rohölproduzierenden Ländern —, die im Sachverständigengutachten nach meinem Eindruck nicht ausreichend bedacht sind.
    Graf Lambsdorff hat am 28. November in diesem Hohen Hause über die Unverzichtbarkeit der Kernenergie gesprochen. Er hat festgestellt, daß die mit der Kernenergie verbundenen Sicherheitsprobleme lösbar seien. Er hat, ebenso wie der Bundeskanzler auch, ausgeführt, die Kernenergie sei für uns unverzichtbar. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundesregierung haben am 28. September 1979 Vereinbarungen getroffen, wie man das Entsorgungsproblem lösen kann. Der Wirtschaftminister hat im Bundestag erklärt, mit dieser Vereinbarung seien die Sicherheitsprobleme lösbar geworden.
    Nach unserer Überzeugung ist das Problem einer sicheren und langfristigen Energieversorgung für unsere Wirtschaft und damit die Sicherung der existentiellen Grundlage für diese Wirtschaft, für Wohlfahrt und für Vollbeschäftigung überhaupt nur lösbar im Rahmen eines Verbunds von Kohle und Kernenergie.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist im übrigen keineswegs nur die Auffassung der Opposition im Bundestag; es ist auch die ganz eindeutige Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, es ist die Auffassung der wichtigsten deutschen Gewerkschaften, es ist die Auffassung des Sachverständigenrats, es ist im Grunde die Auffassung aller Sachkenner, die sich um das Problem der Lösung der Energiefragen bemühen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Kohle und Kernenergie im Verbund miteinander sind die unverzichtbaren Säulen, auf denen eine langfristig angelegte, aber alsbald in Angriff zu nehmende Lösung der Energieprobleme aufbaut.
    Das große Problem der Bundesregierung besteht darin, daß ihr die größere Regierungspartei bei der Lösung dieser Probleme die Gefolgschaft verweigert. Die Sozialdemokratische Partei in Nordrhein-Westfalen hat gestern den Entwurf eines Wahlprogramms für die Landtagswahl vorgelegt, in dem festgestellt wird, daß ein Bedarf an weiteren Kernkraftwerken in Nordrhein-Westfalen nicht bestehe.

    (Hörtl Hörtl bei der CDU/CSU)

    Es wird außerdem festgestellt — das möchte ich hier als interessanten Beitrag zur kernenergiepolitischen Diskussion erwähnen —, die sicherste Energie sei die gesparte Energie.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    15236 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
    Dr. Biedenkopf
    Mit anderen Worten: Macht das Licht aus, Genossen, dann kann es nicht mehr ausgehen!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Die SPD in Baden-Württemberg hat beschlossen, in ihr Wahlkampfprogramm für die Landtagswahl 1980 einen Baustopp für Kernkraftwerke in Baden-Württemberg bis 1984 aufzunehmen. Sie berät noch darüber, ob sie auch einen Genehmigungsstopp für bereits im Bau befindliche Kernkraftwerke beschließen soll.
    Die FDP in Nordrhein-Westfalen lehnt durch den neugewählten Landesvorsitzenden Hirsch

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der Held von Erftstadt!)

    den Weiterbau des Schnellen Brüters in Kalkar ab.
    Meine Damen und Herren, was bedeutet das? Das bedeutet, daß in Nordrhein-Westfalen, wenn Sozialdemokraten und Freie Demokraten das Regierungsmandat über den 11. Mai 1980 hinaus behalten sollten,

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Mit Sicherheit!)

    die Entwicklung des Verbunds von Kohle und Kernkraft an der SPD scheitern wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun wäre das kein Problem und müßte vor allen Dingen nicht Eingang in diese Debatte finden, wenn die Sozialdemokratische Partei in NordrheinWestfalen nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihren landespolitischen Problemen und der Bundespolitik hergestellt hätte. In demselben Entwurf eines Wahlprogramms steht nämlich, daß man den Ministerpräsidenten Rau wählen müsse — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt seine Politik der sozialen Sicherheit- und des äußeren Friedens fortführen. Man müsse ihn wählen — ich zitiere —: „Dann kann auch Helmut Schmidt als Kanzler weiter erfolgreich regieren." Mir war bisher nicht bekannt, daß der Bundeskanzler sein politisches Schicksal, die Ausübung seines Amtes und die erfolgreiche Bewältigung der ihm übertragenen Aufgabe an Johannes Rau hängen muß.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Das ist um so ungewöhnlicher, als in demselben Wahlprogramm der Sozialdemokraten der Satz steht: „Wie Heinz Kühn ist Johannes Rau ein erfolgreicher und anerkannter Ministerpräsident."

    (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich darf darauf hinweisen,


    (Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    daß Heinz Kühn durch seine eigene Partei gezwungen wurde, den Sessel zu räumen, auf dem er saß, weil man ihn für unfähig hielt.


Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Herr Präsident, ich wollte Herrn Biedenkopf fragen, ob er sich erinnnert, daß Herr Kühn von seinen eigenen Kollegen davongejagt worden ist!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Angesichts der Sachverhaltsnähe, in der ich mich befinde, Herr Kollege Haase, erinnere ich mich.
    Wenn aber erfolgreich regieren heißt, ein Programm zu verwirklichen — und darauf kommt es hier doch an —, dann kann der Bundeskanzler in der Energiepolitik zwar auf die unionsregierten Länder, aber nicht auf die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen rechnen. Genau das ist der Grund, Herr Haussmann, warum ich zu Beginn gesagt habe, die Mehrheit innerhalb der 7 % reicht nicht aus.
    Wir haben in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg Beschlüsse der zuständigen SPD-Organisationen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß die Kerntechnologie nicht weiter entwickelt werden kann und daß Deutschland, wie es Graf Lambsdorff unnachahmlich formuliert hat, auf dem Weg ins technologische Abseits ist. Herr Rau zieht damit die Konsequenzen aus den Beschlüssen in Berlin. Die 58%, die dort für den Leitantrag des Vorstandes gestimmt haben, sind, wie man sieht, politisch nichts wert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bereits kurz nach Berlin ist im Ergebnis das Moratorium der Kernenergie verwirklicht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Nun sind wir die letzten, die meinen, das Problem der Kernenergie sei ein leichtes Problem. Aber wir sind entschieden dagegen, erstens dieses Problem zu verschleiern und zweitens etwas ganz anderes damit zu meinen, als man sagt. Dazu noch einige Bemerkungen.
    Zur Verschleierung der Auseinandersetzung sind eine Reihe von Formeln erfunden worden, die den Eindruck der Entscheidungsfreudigkeit hervorrufen, in Wirklichkeit aber die Entscheidung vermeiden sollen. Die wichtigste dieser Formeln hat der Bundeskanzler gestern hier mit dem ganzen ihm zur Verfügung stehenden Pathos vorgetragen. Die Formel lautet: die Optionen erhalten. Was ist denn eine Option? Eine Option ist die Möglichkeit zu wählen. Aber sie ist keine Entscheidung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich frage Sie: Was würden Sie machen, wenn Sie auf einem Dampfer mitführen, das Schiff sich geradlinig auf ein Hindernis zu bewegte und der Steuermann den Kapitän fragte, welchen Kurs er steuern sollte, worauf der Kapitän mit zackiger Stimme antworten würde: alle Optionen offenhalten?

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU)

    Genau das sagt die Formel. Sie gibt eben keine Auskunft über die Frage, die Herr Haussmann gestellt
    hat: Warum sind in den Haushalten nicht schon jetzt
    Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15237
    Dr. Biedenkopf
    die Mittel enthalten, um die Optionen, also die Möglichkeiten so weit zu realisieren, wie das notwendig wäre, um den Anschluß an die Zukunft nicht zu verlieren?
    Die Erhaltung der Wahlmöglichkeit als solche wird bereits als eine Führungsleistung gefeiert. Nichts kann deutlicher machen als dieser Umstand, daß wir nicht mehr geführt, sondern nur noch verwaltet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die zweite Formel, vor allen Dingen vom Herrn Kollegen Wolfram, aber auch von anderen bemüht, heißt: absoluter Vorrang der Kohle.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wie halten Sie es denn damit?)

    — Herr Kollege Wolfram, ich habe nicht das Geringste dagegen.

    (Zurufe von der SPD: Aha!)

    „Absoluter Vorrang der Kohle", was heißt das denn auf deutsch? Das heißt: So viel Kohle produzieren, wie es möglich ist.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich habe mich bereits vor anderthalb Jahren in Bochum auf der .ersten Ruhrgebietskonferenz der CDU, lange bevor Herr Rau überhaupt das Problem des Ruhrgebiets entdeckt hatte, dafür ausgesprochen, so viel Kohle wie möglich zu fördern.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das hätten Sie 1957, 1958, 1959, 1960 sagen müssen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Wollen Sie wirklich die großen Verdienste von Walter Arendt und Adolf Schmidt bei der Anpassung und Restrukturierung der Kohle mit einer solchen Handbewegung vom Tisch wischen?

    (Zuruf von der SPD: Sie haben keine Ahnung!)

    Was heißt absoluter Vorrang der Kohle? Absoluter Vorrang der Kohle heißt: So viel Kohle wie möglich fördern, und zwar auch dann, wenn dies unwirtschaftlich sein sollte.

    (Zurufe von der SPD)