Rede von
Hans Peter
Schmitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die diesjährige Etatberatung ist voraussichtlich die letzte in dieser Legislaturperiode für diese Regierung. Lassen Sich mich als Berichterstatter hier auch einmal deutlich sagen, daß die sachliche Zusammenarbeit mit der Administration in den letzten vier Jahren, was die vier Haushalte angeht, durchaus gewährleistet gewesen ist.
Beurteile ich jedoch die Regierungspolitik, was die Agrarpolitik angeht, so komme ich zu dem Ergebnis, daß man hier nicht in allzu große Begeisterung ausbrechen kann.
So liegt z. B. die Steigerungsrate des Agrarhaushalts, was offenbar bei dieser Regierung üblich ist, genauso wie in allen anderen Jahren weit unter der Gesamtsteigerungsrate von 5,5%. Herr Bundesminister Ertl, dies ist offenbar der Stellenwert, den Sie im Kabinett haben; denn seit vier Jahren sinkt eigentlich Ihr Etat laufend. Wenn Sie dagegen einmal innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einige andere Agrarhaushalte sehen, so werden Sie feststellen, daß hier offenbar ganz andere Maßstäbe angelegt werden können, so zum Beispiel in Frankreich. Dort betrug die Steigerungsrate 1975 23 %, 1976 9,2 %, 1977 18,2 %, 1978 17,1 % und 1979 13,6 %. Sie könnten stolz darauf sein, Herr Minister Ertl, wenn Sir nur die Hälfte dessen erreicht hätten.
Es ist müßig, darauf einzugehen, inwieweit die Zahlungen für die Marktordnungen, die Sie da immer so gern hinzurechnen, und zwar nur deshalb, um in der Offentlichkeit Eindruck zu schinden, tatsächlich hinzugerechnet werden dürfen. Hier ist der Streit eigentlich ausgestanden. Sie behalten Ihre Position. Unsere Position ist hier klar: Wir sind der Meinung, daß man dies nicht ohne weiteres machen kann.
Wenn allerdings — dies müssen wir hier einmal festhalten — in anderen Bereichen über Steigerungsraten der Ressorts gesprochen wird, so sind offenbar das Kabinett und die Koalitionsfraktion immer sehr gerne bereit, diese Steigerungsraten je nach Bedürftigkeit, egal, wie das ist, entsprechend nach oben zu korrigieren, gleichgültig, ob es darum geht, Kapitalzuführungen an bundeseigen Unternehmen vorzunehmen oder Zuschüsse zum Beispiel auch für das Ruhrgebiet zu gewähren. Wenn es jedoch darum geht, die Position des Landwirtschaftsministers einmal daraufhin abzuklopfen, so müssen wir feststellen, daß Sie in zunehmendem Maße immer weniger in der Lage sind, für selbst notwendig
15262 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Schmitz
erkannte Maßnahmen im Kabinett die Rückendekkung zu bekommen.
Das gilt auch für dieses Jahr zum Beispiel für die Frage des Unterglasgartenbaus. Dies gilt für die Fischerei und für die Sozialmaßnahmen im engeren Sinne, aber auch im weiteren Sinne für die Frage der Einkommensteuerregelung innerhalb der Landwirtschaft und für Maßnahmen innerhalb der EG. Es ist schon für einen Haushaltspolitiker ein eigenartiges Erlebnis, daß Sie bei Problemen, die seit längerem bekannt sind, innerhalb des Kabinetts bekannt sind, innerhalb des Ressorts bekannt sind, nicht imstande sind, Herr Minister, sich rechtzeitig mit Lösungsmöglichkeiten vertraut zu machen, diese durchzusetzen und die entsprechenden Ausweisungen der Finanzmittel vorzunehmen. Es ist für die Betreffenden — das muß ich hier einmal deutlich sagen — in der Tat kein erfreuliches Erlebnis, wenn sie über Wochen und Monate immer bei Ihnen antichambrieren müssen und auf die entsprechenden Fragen überhaupt keine Antworten bekommen.
Bis zur letzten Minute vor den Beratungen des Haushaltsausschusses war es überhaupt unklar, ob dem deutschen Unterglasgartenbau die berechtigte Hilfe gegeben würde oder nicht. Was dann allerdings als Ergebnis herauskam,
ist ein sehr sehr eigenartiges Verfahren gewesen. Nur mühsam wurden durch Umschichtungen im Einzelplan 10 diese 50,5 Millionen DM erreicht. Man hat sie nämlich aus der nationalen Vorratshaltung genommen. Ich will das einmal ein bißchen ironisch sagen, Herr Minister Ertl:
Ertl verkauft aus der Vorratshaltung, damit er wieder flüssig wird!
Sie verkaufen, Herr Minister, aus der Vorratshaltung sozusagen in einem eigenartigen Kompensationsgeschäft nach der Methode „Tausche Wurst, Weizen und Schinken gegen Bargeld"! Dies ist keine solide Haushaltspolitik. Weitere 4,5 Millionen DM mußten aus dem Sozialbereich herausgenommen werden. Voraussichtlich werden die nicht abfließenden Mittel, die dem Gartenbau schon versprochen waren, ebenfalls dafür verwandt. Dies ist nicht dazu angetan, der Regierung ein kraftvolles Handeln zu unterstellen. Dies ist Flickschusterei! Die Betroffenen draußen im Lande sind sicherlich sehr daran interessiert zu erfahren, wie sich Ihre 50,5 Millionen zusammensetzen.
Wenn man dann fragt, ob Sie ein Konzept für die Weiterentwicklung des deutschen Unterglasgartenbaus haben, so erfährt man diesbezüglich als Antwort lediglich: Sie sollten sich doch auf weniger wärmeempfindliche Produktion einstellen! Wenn Sie dies sagen, Herr Minister, wissen Sie selbst, daß dies leichter gesagt ist als getan. Da hilft auch nicht drüber hinweg, daß Sie sich, Herr Bundesminister, auf entsprechenden Tagungen des Gartenbaus dann auch als Wohltäter feiern lassen. So ist es nun einmal: Die Arbeit überläßt man anderen; für das Feiern ist man dann selber zuständig.
Ich meine, der deutsche Unterglasgartenbau hat ein Recht darauf, von Ihnen, Herr Minister, zu erfahren, wie es mittelfristig und längerfristig weitergehen soll und ob Sie überhaupt ein Konzept haben.
Es ist für mich auch eigenartig, festzustellen, daß dieser Entschließungsantrag, der im Haushaltsausschuß von seiten der SPD /FDP-Koalition eingebracht worden ist, nicht mehr als nur vage Empfehlungen und den Hinweis auf Energieeinsparungen enthält, aber nichts darüber ausgesagt wird, wie die ganzen Investitionen, die notwendigerweise getätigt werden sollen, von den Betroffenen dotiert werden sollen, ob sie überhaupt in der Lage sind, dies leisten zu können. Aber so ist das nun einmal innerhalb der Koalition und innerhalb der SPD /FDP: Die einen sind für Politlyrik zuständig, die anderen machen es dann mit weißer Salbe. So geht dies nicht weiter.
Wir haben auf Drucksache 8/3380 den Antrag gestellt, 5 Millionen DM aus Mitteln der landwirtschaftlichen Alterssicherung der Berufsgenossenschaft zu übertragen. Wir haben das getan, weil wir der Meinung sind, daß es vernünftig und sachlich richtig ist, die Probleme, die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften durch die Umverteilung auf Grund eines Parlamentsbeschlusses entstanden sind, wiederum durch einen Parlamentsbeschluß einigermaßen zu glätten, um die ärgsten Schwierigkeiten auszubügeln. Es muß deutlich festgehalten werden, daß die Ablehnung dieses Antrags bedeuten würde, daß die Umschichtung innerhalb der Berufsgenossenschaften in Zukunft ohne zusätzlichen Beitrag des Bundes zu ganz erheblichen Beitragssteigerungen führen wird. Dies habe ich auch im Haushaltsausschuß deutlich gemacht.
An diesen beiden Beispielen mögen Sie erkennen, daß diese Regierung über weite Strecken auch bei solch kleineren Maßnahmen von der Hand in den Mund lebt.
Lassen Sie mich auch zur allgemeinen Agrarpolitik einige Sätze sagen. Nicht allein auf dem Dubliner Gipfel ist schlaglichtartig beleuchtet worden, daß die Finanzierungsprobleme innerhalb der EG zunehmen. In stärkerem Maße wird dies auch deutlich, wenn wir über das Thema des Beitritts der Mittelmeerländer sprechen. Ich stimme Ihnen, Herr Minister, ausdrücklich zu, wenn Sie sagen, daß diese Belastungen, die auf die Europäische Gemeinschaft zukommen werden, nicht allein innerhalb des jetzigen Finanzierungsrahmens getragen werden können. Überhaupt bin ich der Auffassung — ich möchte dies hier deutlich machen —, daß wir viel differenzierter über die Finanzierungsprobleme der EG sprechen müssen. Lange können wir das Ganze si-
Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15263
Schmitz
cher nicht vor uns herschieben. Aber es stellen sich eine Reihe von Fragen.
Wer über die Kopflastigkeit der Finanzierung innerhalb der EG redet und lamentiert, der muß, meine ich, auch zur Kenntnis nehmen, daß die Landwirtschaftspolitik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit Dingen befrachtet wird, die sie im Grunde genommen .allein nicht tragen kann.
Wer diese Dinge untersucht, muß sich ehrlicherweise diese Antwort geben. Man kann die gemeinsame Agrarpolitik in ihrer Klammerfunktion für die weitere Integration Europas und für die weitere Entwicklung nur dann verstehen und auf Dauer aufrechterhalten, wenn auch erkennbar wird, daß in anderen Bereichen Integrationsfortschritte erfolgen. Es ist, auf Dauer gesehen, zuviel verlangt, daß bei der Entwicklung der Gesamtpolitik der Gemeinschaft die Landwirtschaft zur alleinigen Verantwortung herangezogen werden soll. Denn wie ist es, auf Dauer gesehen, zu vertreten, daß die Zielsetzungen der sogenannten gemeinsamen Agrarpolitik in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche Entwicklungen nehmen?
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle einmal deutlich darauf hinweisen, daß neben den bestehenden Sonderregelungen bei der Einfuhr von Agrarprodukten aus Drittländern — erinnert sei an die Einfuhr von 1,3 Millionen Tonnen Zucker aus AKP-
Staaten oder 120 000 Tonnen Butter aus Neuseeland — dies bei der Gesamtdiskussion berücksichtigt werden muß.
Ich meine, bei der Diskussion um die Finanzierbarkeit der Agrarpolitik muß auch berücksichtigt werden, daß offenbar für einige Länder immer weniger gemeinsame Agrarpolitik existiert. Eine Situationsanalyse zeigt deutlich, daß die Ausgaben für die EG-Agrarpolitik in steigendem Maße auch darauf zurückzuführen sind, daß in der nationalen Agrarpolitik unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Dies müssen wir an dieser Stelle einmal deutlich sagen, meine Damen und Herren. Es kann auf Dauer gesehen nicht gutgehen, wenn z. B. in der Bundesrepublik Deutschland mit großem Eifer und allen Mitteln nach Wegen gesucht wird, wie man in den Überschußbereichen die Produktion drosseln kann, um die Kosten zu senken, jedoch andere Staaten innerhalb der EG in ihrer Agrarpolitik und in ihrer Produktion ein Instrument ihrer Handels- und Zahlungsbilanz sehen und dies auch so handhaben. Dies gilt nicht nur für die traditionell am Agrarexport interessierten Länder Niederlande und Dänemark, sondern auch für Frankreich und Irland. Auch die traditionellen Agrarimportländer Großbritannien und Italien versuchen hier, ihre Handelsbilanz zu verbessern. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, kommt man nicht an der Feststellung vorbei, daß die unterschiedliche Zielsetzung nationaler Agrarpolitik in den einzelnen Staaten mit dazu beiträgt, daß wir zur Zeit diese Schwierigkeiten haben.
Meine Damen und Herren, es ist jedoch notwendig, daß wir uns auch einmal mit der Situation im eigenen Land beschäftigen. Und die sieht so aus, daß der Landwirtschaft in der letzten Zeit so viel an Beitrag zur Stabilitätspolitik zugemutet worden ist, daß sie heute als Packesel der Nation bezeichnet werden muß, meine Damen und Herren.
Wie auch immer man dazu stehen mag: Dies kann auf Dauer gesehen nicht weitergehen.
Es kann auf Dauer gesehen nicht unwidersprochen hingenommen werden, meine Damen und Herren, daß immer weniger Betriebe die Förderschwelle erreichen und in das Einzelbetriebliche Förderungsprogramm hineinkommen. Deshalb müssen Sie, Herr Bundesminister Ertl, diesen. Widerspruch einmal aufklären, der darin besteht, daß eine ganze Reihe von Betrieben, die in der Vergangenheit gefördert worden sind, heute die Förderschwelle nicht erreichen.
Wie sieht es aus, wenn es darum geht, diese Förderschwelle von 26 000 DM in diesem Jahr auf 27 600 DM im nächsten Jahr zu erhöhen? Dies werden Sie 1980 sagen müssen, Herr Minister. Wie sieht es 1980 aus, z. B. bei einem 30-Hektar-Betrieb, der ein Gesamtarbeitseinkommen von 33 000 DM hat? Wenn die Maßnahmen im nationalen Bereich — ich denke an die Steigerung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft, Unfallversicherung um 36%; der Alterskassenbeitrag wird um 150 DM, der Krankenversicherungsbeitrag um 6,4 % steigen — und die Maßnahmen innerhalb der EG so durchgeführt werden, wie sie vorgeschlagen werden, dann wird für diesen Betrieb mit Sicherheit ein Mindereinkommen in der Größenordnung von 4 000 bis 5 000 DM zu Buche schlagen. Darauf werden Sie Antwort geben müssen.
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Sie werden den Bauern dann auch klarmachen müssen, wie sie mit diesem von Ihnen mitzuverantwortenden Steuerkonzept hinsichtlich der Einkommensteuer leben können. Denn unter diesen Voraussetzungen wird es mit Sicherheit dazu führen, daß das Einkommen der Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland — dies sagen ja auch Prognosen aus Ihrem eigenen Hause sinken wird.
Angesichts dieser alarmierenden Entwicklung, meine Damen und Herren, muß ich abschließend festhalten, daß wir an einem entscheidenden Wendepunkt sowohl der europäischen als auch der nationalen Agrarpolitik angekommen sind.
Die Bundesregierung und Sie, Herr Minister Ertl, haben auf diese Herausforderungen — man mag sie nennen, wie man will — bisher nicht allzu viel an Antwort gegeben.
Wir können aus diesen, aber auch aus anderen Gründen — erinnert sei an das Steuerkonzept der Regierung — Ihrem Haushalt unsere Zustimmung nicht geben.
15264 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979