Nein, Herr Kollege, Sie sehen das nicht richtig. Es kommt im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß natürlich darauf an, zu investieren. Deshalb liegt uns daran, daß die Gewinne ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten, weil sie der Anreiz für Investitionen sind. Der Bund muß auch eine öffentliche Infrastruktur in vernünftiger Weise zur Verfügung .stellen, er muß eine Größen-Strukturpolitik betreiben, er muß eine Reihe von Dingen tun, die ich Ihnen gleich noch schildern werde. Es muß in der Tat investiert werden.
Wer aber glaubt, der Schlüssel zu einem stetigen Wachstum und zur Vollbeschäftigung läge nur bei den Investitionen, der unterliegt einem schwerwiegenden Irrtum. Denn es würde ja niemand investieren, wenn die von ihm zur Verfügung gestellten Güter und Dienstleistungen keine Abnehmer fänden.
Das heißt, man muß sowohl investieren als auch die Massenkaufkraft erhöhen.
Das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander sinnvoll festzulegen, es — insbesondere unter den schwierigen Umständen der Bundesrepublik Deutschland, eines Bundesstaates — zu steuern, das ist das Kunststück, das der Wirtschaftsminister und der Finanzminister und die Bundesbank und die anderen, die sich daran beteiligen, zur Zeit gemeinsam fertigzubringen versuchen. Aber eine einseitige Betonung der Investitionen kann nur in eine Überinvestitionskrise mit mangelnder Massenkaufkraft führen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15197
Bundesminister Matthöfer
Das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft verpflichtet uns zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht. Deshalb, Herr Kollege Carstens, ist es überhaupt nicht schlimm, wenn wir nach 15 Jahren auch einmal ein Defizit in der Leistungsbilanz haben, solange unsere Ausfuhren nicht zurückgehen und solange wir eine leistungsfähige Wirtschaft haben, die sich mit den anderen sehr wohl messen kann. Die Auftragsbestände sind beachtlich hoch, und sie reichen bis weit in das nächste Jahr.
Erfreulich sind die Auswirkungen der Wirtschaftsbelebung auch auf dem Arbeitsmarkt. Im November ging die Arbeitslosenzahl gegenüber dem Vorjahr um 130 000 zurück. Das ist das beste Ergebnis seit 1973, worüber ich mich ganz besonders freue. Noch deutlicher drückt sich diese Verbesserung am Arbeitsmarkt in der Zunahme der Beschäftigung aus. Im Jahresdurchschnitt dürfte die Zahl der Beschäftigten um rund 400 000 über dem Vorjahresstand liegen. Wir nähern uns also der Vollbeschäftigung. Es war richtig, trotz rückläufiger Steuereinnahmen die Ausgaben aufrechtzuerhalten, darüber hinaus durch Steuersenkungen und zusätzliche Ausgaben die Nachfrage zu stützen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Entscheidungen zu verbessern.
Mit der Stärkung der Nachfrage und der Überwindung von Wachstumshemmnissen haben wir den Wirtschaftskreislauf in Gang gehalten. Steuerentlastungen, öffentliche Zukunftsinvestitionen, Hilfen zur Modernisierung der Wirtschaftsstruktur, gezielte Hilfen zum Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Förderung von Forschung und Entwicklung haben entscheidend zum Aufschwung mit beigetragen. Ohne eine öffentliche Kreditaufnahme hätten wir heute wahrscheinlich eine große Arbeitslosigkeit, und der soziale Friede wäre in diesem Lande nicht so gewährleistet, wie er jetzt gewährleistet ist.
Es ist Recht und Pflicht des Staates, es ist Recht und Pflicht derjenigen, die geschworen haben, Schaden vom deutschen Volke zu wenden und seinen Nutzen zu mehren, mit allen verfügbaren Wirtschafts- und finanzpolitischen Mitteln für Vollbeschäftigung, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sorgen. Das wäre ohne öffentliche Kreditaufnahme nicht zu erfüllen gewesen.
In unserer Bundesrepublik ist es noch eher als in anderen Ländern unerträglich, daß es Arbeitslosigkeit geben soll. Arbeitslosigkeit ist nicht nur jeweils eine individuelle Tragödie, weil sie auch verlorene Lebenszeit ist, die nicht wieder nachgeholt werden kann,
sie ist auch ein volkswirtschaftlicher Unsinn, den man in einem Land nicht zulassen sollte, das außer der teuren Kohle nichts anderes als die Hände und Köpfe seiner arbeitenden Menschen hat. Deshalb muß Arbeitslosigkeit bei uns verhindert werden,
und es muß auch mit Hilfe des Staates für Vollbeschäftigung gesorgt werden.
Herr Kollege Carstens, ich komme nun zu Ihren düsteren Warnungen, was nach der Wahl passieren wird. Wir haben diesen Computer, und ich könnte z. B. die Vorhersagen von Herrn Strauß seit 1969 abfragen. Wenn ich das hier vortragen würde, würden Sie Ihr blaues Wunder erleben, wie wir z. B. die Währung zerrütten würden.
Was ist geschehen? Die D-Mark ist ein so solides, stabiles Zahlungsmittel, und sie ist in der Welt so begehrt, daß wir die allergrößte Mühe haben zu verhindern, daß sie in noch stärkerem Maß als Reservewährung von den ausländischen Zentralbanken benutzt wird.
Das ist die Zerrüttung der Währung, die wir Sozialliberale zu verantworten haben. Nach den Vorhersagen sollte durch die Aufwertung der D-Mark und die Gefährdung der deutschen Ausfuhr die Arbeitslosigkeit steigen. Das ist eine falsche Diagnose gewesen, Herr Kollege Carstens. Es lohnt sich — nicht nur für mich, sondern für Sie —, einmal nachzulesen, was Sie falsch vorhergesagt haben, damit Sie sehen, wo Sie Ihre Einstellung ändern müssen und was Sie noch lernen müssen, damit Sie das in Zukunft richtig vorhersehen können. Wenn ich schon den Anspruch erhebe, das deutsche Volk und die Regierungsgeschäfte zu führen, dann muß ich versuchen, aus Fehlern zu lernen, und Ihre Vorhersagen waren falsch.
— Wir haben nicht eine Million, sondern 880 000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt. Das ist unerwünscht; das gebe ich Ihnen zu.
Ich frage Sie, verehrter Herr Kollege Carstens, wie viele Arbeitslose wir hätten, wenn der Bund in diesem Jahr kein Defizit von 25 Milliarden DM machen würde. Das läßt sich nämlich ausrechnen, verehrter Herr Kollege,
und zwar mit den multiplikativen Wirkungen des Nachfrageausfalls, der dann entstehen würde.
Wenn Sie mich fragen, Herr Kollege Carstens, was wir mit den Milliarden getan haben: Wir haben ein hervorragendes öffentliches Straßennetz gebaut. Wir haben der Bundesbahn bei einem Defizit von 25 Mrd. DM — sie beansprucht mehr als die Hälfte des Defizits — einen Zuschuß in Höhe von 14 Mrd.
15198 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979
Bundesminister Matthöfer
DM gewährt. Ich halte es für richtig, daß wir der Bundesbahn unter die Arme greifen.
Warum? Damit wir für uns und unsere Kinder in Zeiten, in denen das 01 noch knapper und teurer geworden sein wird, ein vernünftiges, leistungsfähiges, umweltfreundliches und zuverlässiges Verkehrsmittel haben, das wir dann einsetzen können.
Wir haben für uns und unsere Partner in Europa einen leistungsfähigen Steinkohlenbergbau erhalten. Sehen Sie sich doch an, was wir in den Steinkohlenbergbau stecken! Ich halte es für richtig, daß wir das tun, weil wir diese einzige nationale Energiequelle für uns und unsere Kinder erhalten müssen,
und daß wir in Zeiten, als die Ölgesellschaften noch Kampfpreise genommen haben, es nicht zugelassen haben, daß hier etwa unsere Elektrizitätserzeugung auf 01 umgestellt wird. Die ganze Diskussion „Kernenergie müßte man haben, damit Elektrizität nicht ausfällt" ist doch so nicht richtig. 8 % unserer Elektrizität werden noch mit 01 erzeugt. Wir Sozialdemo- kraten und wir Liberalen haben uns doch niemals darauf verlassen, daß das 01 so billig bleiben würde. Wir haben, nachdem wir 1966 mit in die Regierung gegangen waren — Sie können das ja nachlesen —, erst einmal den Ruhrbergbau in Ordnung gebracht. Es war ja ein einziges Tohuwabohu, was Sie sich da an Energiepolitik geleistet hatten. Jetzt haben wir den Bergbau als zukünftige Energiequelle für uns und unsere Kinder gesichert. Dafür haben wir unsere Milliarden aufgewandt, verehrter Herr Kollege.
Der Wert unserer Erdölbevorratung, der unsere Wirtschaft vor gefährlichen Versorgungsschwankungen schützt, ist in diesem Jahr enorm gewachsen. Das, was wir da hineingesteckt haben, hat seinen Wert so ungeheuer erhöht, daß die 8 % Zinsen, die ich für langfristige Anleihen zahlen muß, das beste Geschäft sind, das je ein Bundesfinanzminister für den Bund gemacht hat.
Auf Ihre Frage, was wir mit den Milliarden gemacht haben, kann ich Ihnen also antworten: Die haben wir vorzüglich investiert.
Das, was wir in die Bundesunternehmen hineingesteckt haben, das, was wir zur Finanzierung der nationalen Kohlereserve beigetragen haben, ist eine vorzügliche Investition. Alle Bundeskonzerne machen in diesem Jahre Gewinn. Das sind keine Fußkranken mehr; die sind ordentlich geführt.
— Ja, da fragen Sie einmal diejenigen, von denen wir das übernommen haben, Herr Kollege. Wir laufen doch nicht herum und suchen Unternehmen, sondern wir retten doch nur Arbeitsplätze, wo sie durch private Arbeitgeber nicht mehr gerettet werden können — so ist das doch gewesen —
oder wo Unternehmen nach Amerika verkauft werden sollen und es nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt, daß dies geschieht.
— Lachen Sie doch nicht! Es ist doch ein ernstes Thema, daß wir hier zukunftssichere Arbeitsplätze für Zehntausende von Arbeitnehmern schaffen; das ist doch nicht zum Lachen.
Zehntausende von Wissenschaftlern, Technikern und Facharbeitern arbeiten in den zu 90 % vom Bund finanzierten Großforschungseinrichtungen, arbeiten dort an der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik und an der Lösung von Zukunftsproblemen.
Wir haben auch eine hervorragende, leistungsfähige Bundeswehr, die einen entscheidenden Beitrag im westlichen Verteidigungsbündnis leistet. Wir haben eine soziale Sicherung, die international ihresgleichen sucht, die den einzelnen bei Krankheit, im Alter und in der Arbeitslosigkeit wirksam schützt und auf die jeder vertrauen kann.
Herr Kollege Carstens, Sie haben mich gefragt: Was haben Sie mit dem Geld gemacht? Wir haben mitgeholfen, ein leistungsfähiges Bildungssystem herbeizuführen. Sehen Sie sich einmal an, wie viele Milliarden wir in Zukunftsinvestitionen, in das Hochschulbauprogramm hineingesteckt haben! In unserem an Rohstoffen und heimischen Energiequellen armen Land hängt unsere Leistungsfähigkeit von der Leistungsfähigkeit und den Qualifikationen der arbeitenden Menschen dieses Landes ab. Wenn wir wirtschaftlich an der Spitze bleiben wollen, wenn wir auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Leistung die Zukunftschancen der Heranwachsenden und die Sicherung derjenigen, die dann in die Rente gehen, weiter verbessern wollen, dann müssen wir sehen, daß wir das Qualifikationsniveau unserer Jugendlichen erhöhen. Und es hat einen bisher noch nie gekannten Höchststand erreicht: Doppelt so viele Schüler wie 1965 erreichen einen mittleren Abschluß, fast viermal so viele eine Hochschule oder Hochschulreife. Der Anteil der Hauptschüler ohne Abschluß ist um ein Drittel zurückgegangen. Die Öffnung der Bildungschancen für die bisher benachteiligten breiten Bevölkerungsschichten ist weitgehend durchgesetzt worden. Für einen Zwanzigjährigen aus einer Arbeiterfamilie ist heute die Chance, an einer Hochschule studieren zu können, sechsmal größer als für einen Zwanzigjährigen in gleicher Lage vor zehn Jahren. Sechsmal größer!
— Ich verstehe Sie nicht. Es tut mir leid. Herr Kollege, ich muß Sie bitten, ans Mikrophon zu treten. Ich kann Ihre Zwischenrufe, besonders da mehrere gleichzeitig gemacht werden, leider nicht verstehen. Sonst würde ich sehr gern darauf eingehen.
Bildung ist eine Zukunftsinvestition. Ich verweise auf das, was der Herr Kollege Rohde gestern abend hier vorgetragen hat. Staatliche Gelder, ob vom Sparer oder vom Steuerzahler zur Verfügung gestellt, sind von uns also gut angelegt worden. Wir investieren solide in Gegenwart und Zukunft, um die Lebenschancen des einzelnen und der Gemeinschaft und der zukünftigen Generationen zu sichern und zu entfalten.
Es gibt selbstverständlich schwerwiegende Probleme, die der Bund durch diese finanzielle Belastung zur Sicherung der Beschäftigung hat. Denn da haben wir einen immer größeren Anteil tragen müssen. Es ist leider so, verehrte Kollegen von der CDU/ CSU, daß die Länder ihrer gesamtwirtschaftlichen Verpflichtung nicht im gleichen Maß wie der Bund nachkommen. Vielleicht ginge es uns wirtschaftlich schon wesentlich besser, wenn sie das täten.
Deutlich hat sich seit Mitte der 70er Jahre die Dynamik der staatlichen Ausgaben, die zuvor bei den Ländern lag, auf den Bund verlagert.
Gleichzeitig ging der Anteil des Bundes an den gesamten Steuereinnahmen zurück: von rund 54% im Jahr 1970 auf 48 ½ % im Jahr 1978. Wenn Sie über eine zu hohe Steuerquote klagen, verehrte Herren Kollegen von der CDU/CSU,
dann wenden Sie sich doch mal an die von Ihnen geführten Länder, die die Mehrheit im Bundesrat darstellen. Sie werden sehen, daß der Anteil des Bundes am gesamten Steueraufkommen in den letzten zehn Jahren um nicht weniger als 51/2 Punkte zurückgegangen ist. Da dieser Entwicklung nicht durch eine Änderung der Steuerverteilung Rechnung getragen wurde, muß der Bund schon seit Jahren aus seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für die Sicherung der Beschäftigung heraus einen etwa doppelt so hohen Anteil seiner Ausgaben mit Krediten finanzieren wie die Länder und Gemeinden. Auch 1980 wird der Anteil der kreditfinanzierten Ausgaben des Bundes rund 11 % gegenüber nur 5 % bei Ländern und Gemeinden betragen. Das heißt, der Bund trägt eine überproportional hohe Last bei der Stützung der Konjunktur aus der ihm nach der Verfassung zukommenden Verantwortung für die Gesamtwirtschaft.
Natürlich ist es nicht die Politik des Bundes, den Haushalt mit Krediten in beliebiger Höhe zu finanzieren. Die Kreditaufnahme richtet sich einerseits nach dem, was man solide an langfristigen Investitionen teilweise mit Krediten finanziert — was ja ganz und gar unumstritten ist —, andererseits nach den konjunkturellen Notwendigkeiten, d. h. nach den Notwendigkeiten der Sicherung der Beschäftigung. Wir haben uns in der Vergangenheit daran gehalten und wir werden es auch in Zukunft tun, daß wir keine Kredite aufnehmen, die für die Sicherung der Beschäftigung in unserem Land nicht notwendig sind. Arbeitslosigkeit in der jetzigen Zeit nützt kommenden Generationen überhaupt nichts. Die Wertschöpfung, die jetzt nicht geschaffen wird — durch die Leute, die arbeitslos wären, wenn wir uns nicht so verhielten —, steht kommenden Generationen nicht zur Verfügung.
Für 1980 können wir aus heutiger Sicht gegenüber dem Regierungsentwurf mit Steuermehreinnahmen von 3 Mrd. DM rechnen. Es ist gelungen — wofür ich mich bedanke —, durch eine Reihe von Einsparungen und Korrekturen bei den Ausgabeansätzen Mehrausgaben von über 1 Mrd. DM aufzufangen und darüber hinaus den Umfang des Haushalts insgesamt um 800 Millionen DM zu vermindern.
Im Energiebereich sind rund 260 Millionen DM für den Heizölkostenzuschuß und rund 250 Millionen DM zur Sicherung des Kokskohle-Absatzes zusätzlich eingeplant worden.
Wenn Sie z. B. etwas gegen solche zusätzlichen Ausgaben haben, dann bitte ich Sie, das doch einmal zu sagen. Ich bitte Sie einmal, zu sagen, ob Sie etwas dagegen haben, daß wir den Bergbau auch im nächsten Jahr unterstützen. Herr Kollege Windelen, wir werden ja unter Umständen dann noch einmal auf den Haushaltsausschuß zukommen müssen. Auch im nächsten Jahr könnten sich unter Umständen Entwicklungen vollziehen, die uns zwingen, kurzfristig zu reagieren, um dem deutschen Steinkohlenbergbau zu helfen. Wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie das . bitte, damit die Leute in Nordrhein-Westfalen wissen, wer ihre Interessen im Bund vertritt und wer nicht.