Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt 1980 ist das zahlenmäßige Spiegelbild einer in den zentralen Problemen festgefahrenen Verkehrspolitik.
Die Immobilität dieser Verkehrspolitik in der 8. Legislaturperiode ist in ihrer negativen Auswirkung voll auf den Verkehrshaushalt durchgeschlagen. Abgesehen von dem Ausgabenblock „Deutsche Bundesbahn" ist die Stagnation bei den übrigen Ausgabenblöcken seit 1977 überdeutlich. Im Jahre 1977 hatte der Verkehrshaushalt ein Volumen von 21,6 Milliarden DM; im nächsten Haushaltsjahr beträgt das Volumen 25,9 Milliarden DM.
Im gleichen Zeitraum sind die Haushaltsleistungen an die Bundesbahn von 11,3 Milliarden DM auf 14,6 Milliarden DM, d. h. um über 30 % angestiegen. In einem anderen Vergleich heißt dieses, daß der Anteil der Bundesleistungen an die Bahn von 49,9% im Verkehrshaushalt des Jahres 1977 auf 53 % im vor uns liegenden Bundeshaushalt 1980 angestiegen ist, in bezug auf den gesamten Bundeshaushalt von 5,4% im Jahre 1977 auf 6,5% im Jahre 1980. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Zahlen ein eindrucksvolles Beispiel, ein eindrucksvoller Niederschlag der verkehrspolitischen Fehleinschätzungen durch den zuständigen Minister und durch diese Regierung sind.
Noch im Jahre 1977 legte die Bundesregierung ihren damaligen Finanzplan für den Zeitraum bis 1980 vor. Die Bundesleistungen an die Bahn wurden damals für das Haushaltsjahr 1980 mit 11,3 Milliarden DM angesetzt. Der tatsächliche Mittelbedarf der Bahn ist damit um fast 3 Millarden DM unterschätzt worden. Diese gewaltige Unterschätzung des Mittelbedarfs der Bahn aus dem Bundeshaushalt ist das negative Markenzeichen aller Finanzplanungen dieser Bundesregierungen seit 1970. Zugleich ist dies der zahlenmäßige Indikator für die Überschätzung ihrer Bundesbahnpolitik.
Demgegenüber hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 folgendes erklärt:
Gegenwärtig wird der Bundeshaushalt durch Zahlung an die Bundesbahn mit gut 10 Milliarden DM jährlich belastet. Diese Belastung muß durch energische Rationalisierung und durch
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1979 15271
Schröder
eine stärkere Anpassung des Angebots an die Nachfrage verringert werden.
Meine Damen und Herren, dieses Ziel — das macht der Verkehrshaushalt für 1980 deutlich — wurde eklatant verfehlt. Natürlich gesteht die Bundesregierung diesen Mißerfolg nicht ein.
Die Kunst aller Sozialisten, Mißerfolge verbal in Erfolge umzufunktionieren, wird in der neuen Finanzplanung für die Jahre 1979 bis 1983 um so beeindruckender praktiziert.
Ganz im Gegensatz zur Regierungserklärung wird hier nämlich voller Stolz verkündet — ich darf wiederum wörtlich zitieren —:
Mit rund 14 Milliarden DM
— so heißt es in der mittelfristigen Finanzplanung —
umfassen die Leistungen des Bundes an die Deutsche Bundesbahn mehr als 50% des Verkehrshaushalts.
Man brüstet sich offensichtlich mit diesem Ergebnis.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dem zentralen Thema der Verkehrs- und der Verkehrsfinanzpolitik, nämlich der Situation und den Problemen der Bundesbahn selbst. Ich will gar nicht verkennen, daß sich in diesem Jahre, 1979, aller Voraussicht nach das Wirtschaftsergebnis der Bundesbahn gegenüber dem Vorjahr um etwa 700 Millionen DM verbessern dürfte und der Jahresfehlbedarf damit erstmalig knapp unter 4 Milliarden DM, bei rund 3,9 Milliarden DM, liegen dürfte. Auch im nächsten Jahr dürfen wir auf Grund der konjunkturellen Entwicklung mit einer leichten Ertragsverbesserung bei der Bundesbahn rechnen. Dies ändert zunächst nichts daran, daß der Gesamtschuldenstand in diesem und auch im nächsten Jahr weiter ansteigen wird. Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Diese leichte Verbesserung in der Ertragslage der Bundesbahn ist Gott sei Dank das Ergebnis einer relativ guten Konjunkturentwicklung und das Ergebnis einiger ertragsbessernder Maßnahmen der Bundesbahn selbst. Zu ihr hat -leider keine konkrete verkehrspolitische Entscheidung dieser Bundesregierung beigetragen. Ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß sich dieses Parlament, der Verkehrsausschuß und der Haushaltsausschuß gleichermaßen noch nie so intensiv mit einer bestimmten verkehrspolitischen Materie auseinandergesetzt haben wie mit den Grundsatzproblemen der Deutschen Bundesbahn.
Verkehrs- und Haushaltsausschuß haben gemein- sam Anhörverfahren durchgeführt, haben gemeinsam verschiedene interne Beratungen durchgeführt, haben gemeinsam eine Fülle von Überlegungen angestellt und von Vorschlägen unterbreitet.
Meine Damen und Herren, was aber war das Ergebnis? Ich muß es gestehen: Das Ergebnis ist null Komma nichts gewesen. Die Bundesregierung hat nicht eine einzige Anregung aus dem Anhörverfahren, hat nicht einen einzigen Vorschlag aus dem Verkehrs- und dem Haushaltsausschuß aufgegriffen. Der zuständige Bundesminister glänzt zwar — das will ich gern einräumen — durch hervorragende Analysen, in denen er uns in der Regel zustimmen muß, aber er zieht nicht eine einzige Schlußfolgerung.
So müssen wir leider feststellen, daß die Bundesbahn in dieser Dekade erst wieder ihren Leistungsstandard von 1965 erreicht hat und daß die Zuwendungen des Bundes in dem Zeitraum von 1965 bis Ende der 70er Jahre um 773 % angestiegen sind. An den Rahmenbedingungen, unter denen die Bundesbahn arbeiten muß, ist nichts geändert worden; im Gegenteil, aus jener dramatischen Schilderung, die uns in den Anhörverfahren, in den Sitzungen des Verkehrs- und des Haushaltsausschusses gegeben worden ist, daß nämlich wir aus dem Bereich der Politik,. seitens der Regierung und des Parlaments, bestimmte Rahmenbedingungen zu ändern hätten, oder aber es würde sich nichts an der Gesamtsituation der Bundesbahn ändern, aus diesen dramatischen Appellen bezüglich der Rahmenbedingungen sind keine Schlußfolgerungen gezogen worden.
Unverändert bleiben auch für den Beginn des nächsten Jahrzehnts die großen Probleme der Bundesbahn — die Organisationsstruktur, die Betriebs- und Tarifpflicht, die Frage des öffentlichen Dienstrechts, die Frage der innerbetrieblichen Organisation der Bundesbahn — bestehen. Ich bin mir darüber im klaren — wir haben das ja im Zusammenhang mit den Überlegungen, die wir angestellt haben, gemerkt —, daß man sich sicher an diesen von mir genannten Themen die Finger verbrennen kann. Aber, meine Damen und Herren, regieren heißt für mich immer noch initiieren und führen, und davon war in diesen vier Jahren wahrlich nichts zu merken.
Lassen Sie mich damit zu dem zweiten großen Problem im Verkehrshaushalt kommen, nämlich zum Straßenbau. Meine Damen und Herren, auch hier haben wir eine Entwicklung, die uns mit einer gewissen Sorge erfüllen muß.
Von 1969 bis zum Haushalt 1980 haben wir im Bereich des Straßenbaus zwar eine nominelle Steigerungsrate von rund 64 %,
aber gleichzeitig, Herr Kollege Zywietz, haben wir eine Preissteigerungsrate von 75 %. Das heißt, wir haben einen realen Rückgang von 11%. Wenn ich noch in Betracht ziehe, daß wir in diesen Jahren — und das wird im nächsten Haushaltsjahr verstärkt so
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sein — mehr Aufwendungen für den Lärmschutz vornehmen müssen
— vornehmen müssen und auch wollen; ich bin, Herr Kollege Pfeffermann, durchaus mit Ihrer Anmerkung einverstanden —, und wenn ich das in Relation zu der Tatsache setze, Herr Kollege Pfeffermann, daß die nominellen Ansätze für den Straßenbau praktisch unverändert bleiben, muß ich hier feststellen, daß die realen Leistungen für den Straßenbau zurückgehen.
Ich denke, ich überzeichne nicht, wenn ich dazu feststelle, daß der eigentliche Grund für die Überarbeitung, für die Neufassung des Bundesverkehrswegeplans, der eigentliche Grund für die drastischen Reduzierungen bei den Aubauplanungen für die Bundesautobahnen und für die Bundesfernstraßen nicht einmal die neue grüne Angst dieser Regierung ist, daß auch nicht diverse Einsprüche und nicht so sehr richterliche Entscheidungen die Ursache sind; vielmehr hat hier schlicht und einfach das Diktat der Kassen entschieden. Das ist der wahre Grund dafür, daß der Bundesverkehrswegeplan mit so drastischen Kürzungen bei den Ausbauplanungen für die Bundesautobahnen und für die Bundesfernstraßen überarbeitet werden mußte.
Aus einer Unterlage des Bundesverkehrsministeriums geht eindeutig hervor, daß wir zwar im Zeitraum von 1971 bis 1980 bei den investiven Leistungen im Verkehrsbereich noch einen Anteil von 53,2 % hatten, der auf den Straßenbau entfiel, daß dieser Anteil bei den investiven Leistungen im Zeitraum 1980 bis 1990 aber auf 42 % absacken wird.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen, daß sowohl der Verkehrshaushalt 1980 als auch die fast sagen, es ist der einzige Punkt, der etwas Erfreuliches beinhaltet, nämlich die finanziellen Maßnahmen für die Seeschiffahrt. Hier darf ich feststellen, daß wir gemeinsam im Haushaltsausschuß mit den vorgesehenen Finanzbeiträgen und mit den fortgesetzten Neubauhilfen einen richtigen Weg eingeschlagen haben. Finanzbeiträge und Neubauhilfen haben sich auch aus unserer Sicht durchaus bewährt. Ich warne allerdings, Herr Kollege Hoffie, hier in einen voreiligen Optimismus auszubrechen. Ober der deutschen Seeschiffahrt lastet nach wie vor die Ungewißheit der Entwicklung auf den Weltfrachtenmärkten, lastet vor allen Dingen die Ungewißheit der Dollarentwicklung; denn über 80 % auch der Kontrakte deutscher Reeder werden bekanntlich auf Dollarbasis abgeschlossen. Aber in diesem Punkt werden wir in der Zukunft gemeinsam den Weg fortschreiten, den wir in den letzten Haushaltsjahren begonnen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als nächstes einen Blick auf die mittelfristige Vorausschau des Verkehrshaushaltes werfen. Im Jahre 1980 — dem Haushalt, über den wir nun zu entscheiden haben — haben wir ein Gesamtvolumen für Verkehrsfinanzierungsleistungen von 28,3 Milliarden DM. Werfen wir einen Blick in die mittelfristige Finanzplanung, so müssen wir mit Erschrecken feststellen, daß im letzten Jahr der jetzt vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung, nämlich 1983, das Gesamtvolumen für alle Verkehrsfinanzierungsleistungen 28,2 Milliarden betragen soll. Wir haben hier also noch nicht einmal nominelle Zuwachsraten, geschweige denn einen realen Anstieg der Verkehrshaushalte im Gesamthaushalt.
— Ganz sicher muß gespart werden. Aber, lieber Herr Kollege Grobecker, ich meine, daß in dieser Zahlenvorausschau der mittelfristigen Finanzplanung vor allen Dingen zweierlei deutlich wird: erstens, daß diese Bundesregierung der Verkehrspolitik keinerlei Priorität, ja, ich würde fast sagen, keinerlei Bedeutung einräumt, und zweitens, daß dieser Bundesverkehrsminister nicht in der Lage ist, sich durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, was statt dessen offensichtlich auf uns zukommen soll, sind Beschlüsse des SPD-Parteitages, Herr Kollege Grobecker, an denen Sie offensichtlich mitgewirkt haben, worin es heißt, daß der Schwerlastverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern sei. Ich kann nur hoffen, daß das nicht mit Gewalt, mit dirigistischen Maßnahmen der Verkehrspolitik geschehen soll. Wenn das allerdings passieren sollte, dann frage ich mich, wie Sie das vorgelegte Zahlenkorsett einhalten wollen.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen, daß sowohl der Verkehrshaushalt 1980 als auch die mittelfristige Vorausschau die Stagnation unserer Verkehrspolitik symbolisieren und deutlich wird, daß nur neue politische Impulse die Verkehrspolitik wieder nach vorn bringen. Solange dies nicht der Fall ist, müssen wir den Verkehrshaushalt und den dazugehörigen Teil der mittelfristigen Finanzplanung für den Verkehrsbereich ablehnen.